Das andere Ende der Perlenkette …

Mein Wecker steht still auf dem Nachttisch, doch er klingelt nie. Ich wache jeden Morgen pünktlich um 5.30 Uhr auf. Natürlich auch am Wochenende, was ich gerne abstellen würde, aber es ist eine über Jahre gepflegt Gewohnheit geworden. Ich genieße die ruhigen Morgenstunden. Ich trinke meinen Kaffee, lese Nachrichten und E-Mails, danach ist eine halbe Stunde Gymnastik dran und eine Viertelstunde am Maltisch. Schließlich gehe ich duschen, mache mich fertig, laufe mit dem Hund eine Runde und starte in den Tag … dann ist es halb neun Uhr morgens. Drei Stunden, ohne Verpflichtung, nur für mich, wie ein Ritual. Das war früher mal anders.

In diesem „Früher“ liegt der Grund für mein zeitiges Aufstehen. Ich war junge Mutter von zwei süßen Mädchen. Die mussten in den Kindergarten und später zur Schule. Morgendliche Hektik habe ich mein Leben lang verabscheut. Verschlafen war immer der Beginn eines richtig schrägen Tages und ist mir zum Glück nicht oft passiert. Aus diesem Grund habe ich mir früh angewöhnt, um 5.30 Uhr aufzustehen. Ich habe eine halbe Stunde Kaffeetrinken genossen, mich geduscht und angezogen um dann, selber fertig, meine Kinder zu wecken. Nun hatte ich Zeit mich nur ihnen zu widmen, bis wir entspannt weggehen konnten. Es war mir wichtig, dass sich die Kinder in Ruhe, Harmonie und ohne Zank, auf ihren Tag außer Haus einlassen konnten.

Sehr viel früher, erzählen meine Mitmenschen, sei ich ein Langschläfer und Morgenmuffel gewesen, den man nach dem Aufstehen nicht ansprechen durfte. Kluge Leute sprechen mich heute so früh immer noch nicht an. Aber das gehört woanders hin. Ich bin in meinem 60 zigsten Lebensjahr angekommen. Meine morgendlichen Gewohnheiten haben sich mehrfach im Leben geändert, je nachdem, ob ich alleine war oder nicht. Heute ist es nur noch der Ehemann, mit dem ich beim Frühstück zu einem Konsens kommen muss. Ansonsten bin ich größtenteils frei.

Diese Freiheit ist hart erarbeitet, auch wenn die „Unfreiheit“ zuvor eine klare Entscheidung war. Sie hieß Kinder großziehen und etwa 20 Jahre in allen persönlichen Belangen und Wünschen zurücktreten. Alle Wünsche wurden dem Erziehungsauftrag untergeordnet oder vielmehr angepasst. Meine Arbeit und meine Freizeitgestaltung mussten ständig nach den Erfordernissen der Kinder geändert werden. Selten war etwas „nur für mich“. Dem Vater erging es dabei nicht anders. Mit der Pubertät bekamen wir eine Ahnung, dass sich etwas ändern könnte. Die Kinder mochten nicht mehr im Fokus der elterlichen Fürsorge stehen. Freiräume erschlossen sich und wurden größer, bis zur klaren Feststellung, dass die Versorger-Rolle endgültig passé ist. Schließlich muss aber deutlich festgestellt werden, so hart manche Tage waren, haben andere uns belohnt. Wir haben es bewusst und aus Liebe gemacht. Dafür sind wir jetzt auch 20 Jahre älter.

Nun komme ich mir wie auf einer Wippe vor: Bei guter Laune, oben, jubele ich der neuen Freiheit zu, bei schlechter Laune, untern, werden alle Zipperlein doppelt schwer. Und je nach Befinden kokettiere ich mit dem Alter oder fühle mich genervt. Im Büro werden die KollegInnen immer junger. Die direkten TeamkollegInnen könnten meine Kinder sein. Ich erwische mich, wie ich meinen Kollegen mit: „Junger Mann“ anspreche und das eigentlich richtig blöd finde. Die Kollegin, zweifache junge Mutter, erzählt real und in ihrem Blog von ihrem innerlichen Chaos, gerne arbeiten zu wollen und doch Kinder versorgen zu müssen. Ich merke eine Tendenz meine Erfahrungen dazu zu sagen, aber lasse es ganz bewusst sein. Das liegt alles hinter mir, denke ich dann auf dem Heimweh, bei dem ich genieße, dass niemand mehr nachfragt: „Wann kommst du nach Hause!“

Meine Freundin hat treffend den Punkt ausgedrückt, an dem ich mich gerade befinde: „Ich denke langsam darüber nach, dass das ewige Haare färben lästig ist, und ob das Stehen zu grauen Haaren nicht vielmehr meinem selbstbewussten Alter und meinem „Ich“ entsprechen würde“. Das bedeutet auch, sich selber einzugestehen, dass die lebenslang gesammelten Perlen der Perlenkette sich dem Fadenende zuneigen. Wie viele Perlen noch passen, haben wir selbst in der Hand. Ich sage gerne, dass ich heute die Summe dessen bin, was ich im Leben erlebt habe. Jeder Tag, auch die Schlechten, gehören dazu. Ich würde keinen wiederholen wollen, weil sie nie gleich sein könnten.

Der Auszug der zweiten Tochter ist eine Frage der Zeit. Die Ruhe, wenn der Ehemann und ich alleine sind, haben wir schon oft testen können. Es ist weniger Arbeit im Haushalt (die man doch gern getan hat), die Diskussionen, welches Essen auf den Tisch kommt, verschwinden. Es ist mehr Selbstbestimmung und unsere eigenen Wünsche und Vorstellungen treten wieder in den Vordergrund. Ich muss mich nicht mehr beweisen, muss niemandem gefällig sein und kann die Menschen um mich sammeln, die mir guttun. Ich kann deutlich „Nein“ sagen, wenn ich etwas nicht will. Meine Hobbys und Interessen bekommen großen Raum, neben den Zielen und Plänen, die wir gemeinsam verfolgen. Es wird sich zeigen, was sich verwirklichen lässt, denn eine entspannte Genügsamkeit macht sich breit. Es muss keine Weltreise mehr sein, die Ostsee oder selbst der Garten reichen aus. Es ist nicht wie vor 20 Jahren, dafür kann ich heute klar sagen, was ich will oder eben auch nicht.

Wie immer haben wir selber die Wahl und entscheiden, wie wir damit umgehen. Depressive Züge entwickeln und krampfhaft an der Jugend festhalten, fordert sehr viel Kraft. Ich denke, am leichtesten mache ich es mir, wenn ich mit mir selber ehrlich umgehe. Ja, die Haare werden grau, die Waage zeigt nicht gerade das Traumgewicht, die Arztbesuche häufen sich. Aber ich kann mir entspannt alles so einrichten, wie ich es haben möchte und brauche. Ich kann eine Neugierde entwickeln, was uns noch bevorsteht. Welche Überraschungen die Kinder uns präsentieren. Insgeheim lächeln, wenn mir junge Leute erzählen, welche Erfahrungen sie machen mussten. Wir werden nun die Alten, mit hoffentlich viel Humor, viel Offenheit, Neugierde für Neues und Verständnis für Junges. Mein einziger Wunsch ist gesund bleiben, den ich durch eine positive Denkweise fördern kann. Das ist nicht an allen Tagen leicht, aber so kann auch die Perlenkette noch ein gutes Stück länger werden.

#VielfaltJa und Wahrnehmung … oder doch nicht?

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„In der Zeit, in der ich Grenzen und Halt gebraucht hätte, haben sie sich scheiden lassen. Hätte ich Grenzen gespürt, wäre vieles für mich einfacher gewesen.“ Eine Frau spricht etwas aus, was sich wie ein Widerspruch in sich selbst anhört. Sie erzählt davon, dass sie als Jugendliche tun und lassen konnte, was sie wollte, weil die Eltern mit sich selber beschäftigt waren. Erzählt, dass niemand da war, der ihr in ihrer Freiheit Einhalt bot. Niemand da war, der ihr vermittelte, was gut oder schlecht ist oder sie an Pflichten erinnerte. Niemand, der ihr einen Rahmen gab. Was sie nicht ausspricht: Es gab keinen, der sie, die junge Frau, wahrgenommen hat.

Diese Unterhaltung kommt mir immer dann in den Sinn, wenn ich als Mutter eine Auseinandersetzung mit meiner Tochter habe. Sie argumentiert hart und unerbittlich. Meine, in meinen Augen, Vernunft gesteuerten und auf Erfahrung beruhenden Argumente kommen nicht bei ihr an. Ein Konsens muss manchmal warten, bis Mutter und Tochter es schaffen die Emotionen wieder herunterzufahren. Aber ich weiß – denn ich bin ja die Erwachsene – ich darf es nicht persönlich nehmen und ein Kinderpsychologe sagte mir einmal, dass es legitim ist, wenn ich wütend werde, denn die Tochter will durch meine Reaktion wahrgenommen werden.

Für die meisten Erwachsenen ist es zuweilen schwer zu verstehen, was in Jugendlichen vorgeht. Das eigene Erwachsen werden wird oft und gerne verdrängt. Selber hat man es ganz gut überstanden. Übrig bleiben die besonders schönen, witzigen oder grenzwertigen Situationen, an die wir uns Trophäen ähnlich erinnern. Der innere Zwiespalt, der oft jahrelang das Älterwerden erschwert, gehört nicht zu den angenehmen Erinnerungen. Zu gerne geben wir Älteren dennoch den Jüngeren Ratschläge, die sie nicht wollen und ihnen nichts nutzen. Sie wollen sich abgrenzen, nicht etabliert sein, die Welt neu erfinden, sowieso alles einmal anders machen. Alleine entscheiden, Erfahrungen selber machen, keine Warnungen hören, keine Einschränkungen spüren und Freiheiten genießen. Und doch wollen sie dies alles nicht ohne Widerstand oder eben – wahrgenommen zu werden. Was nutzt ein erkämpftes Privileg, wenn es niemand bemerkt hat. Wer gibt die Anerkennung, wenn sich neue Rechte und Möglichkeiten öffnen, die noch Jüngeren verschlossen sind. Wer bemerkt, dass sie – eben – erwachsen werden.

Eigene, geschützte Räume und Bereiche für Jugendliche werden wichtig für ihre Entwicklung, mindestens ebenso wichtig, dass diese geschützten Bereiche bemerkt, besprochen und beachtet werden. Eltern verlieren in dieser Zeit die Position der Beschützer und Bestimmenden. Sie müssen lernen, dass der Jugendliche jetzt einen Partner braucht, der auf Augenhöhe kommuniziert und akzeptiert, dass kein Kind mehr vor ihm steht. Eltern verlieren, was der Jugendliche begehrt, was im Kern das Erwachsen werden erklärt. Kontrolle und Selbstbestimmung wechselt die Position – loslassen wird zur Herausforderung. Oft funktioniert das „Aufgeben-und-Gewinnen“-Spiel zwischen Eltern und Kind über Jahre nicht, weshalb Kinder und Jugendliche andere suchen, die Wahrnehmung, Anerkennung und Gehör bieten können.

Kinder und Jugendliche gehen aus dem Haus, suchen sich neue Räume, in denen sie sich entfalten und erfahren können. Plätze, die die Möglichkeit bieten unter sich zu sein. Idealerweise Plätze, die zudem ein Angebot eröffnen, das genau auf ihre Bedürfnisse und Interessen stößt. Diese Plätze finden sie in Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit. In Berlin sind es weit mehr als 400 Einrichtungen, die ein Spektrum von Angeboten eröffnen, von dem die Elterngeneration geträumt hätte. Staatliche und freie Träger, Vereine, kulturelle Projekte und vieles mehr kümmern sich jeden Tag um ein Heer von Jugendlichen, das entweder freiwillig oder gar nicht kommt. Sie kommen, wenn die Atmosphäre stimmt, die Freiräume groß genug sind, die Beschäftigungsmöglichkeiten passen und die Regeln des Hauses akzeptabel erscheinen. Sie kommen, wenn die Mitarbeitenden der Einrichtung irgendwie cool sind, nicht zu sehr an die Eltern erinnern und kommen wieder, wenn sie das Gefühl haben, dort gesehen – und wahrgenommen zu werden.

Es ist die Hauptaufgabe der Mitarbeitenden dieser Einrichtungen die jungen Besucher wahrzunehmen. Zuzuhören, Regeln vorzugeben, Anregungen zu geben, Potentiale zu entdecken und zu fördern. Sie tun das professionell und geplant, oft spontan, aber nie unüberlegt. Und sie tun es – unter normalen Umständen – entspannt, denn die persönliche Ebene und das Spannungsfeld von Eltern und Kind fehlt. Diese Mitarbeitenden sind diejenigen, die Zeit haben coole Spiele zu machen, die Lachen und auch mal verrückte Vorschläge machen. Es sind Erwachsene, die nicht mit Ratschlägen oder Benimmregeln Einfluss nehmen wollen. Erwachsene, die den Jugendlichen in den Vordergrund stellen, bemerken, ansprechen, wertschätzen … in einer Art, die den Eltern oft lange versagt bleibt.

Ich bin Mutter und dankbar, dass es Kinder- und Jugendeinrichtungen gibt. Einrichtungen in denen meine KollegInnen arbeiten und ich in vielen Gesprächen erfahre, was sie von ihrer Arbeit erzählen. Wie sie sich organisieren, wie sie planen, mit welchen Hürden sie immer wieder kämpfen. Was sie von Weiterbildungen erzählen, über zu wenig Zeit klagen oder Mangel an Unterstützung staatlicherseits andeuten. Besonders gerne höre ich zu, wenn sie von gelungenen Projekten erzählen oder stolz bemerken, dass eigentlich schon erwachsene ehemalige Einrichtungsbesucher wieder kommen. Ich sehe ihre Augen, die strahlen, wenn sie mir eine CD eines Musikprojektes schenken oder ich einen Bericht von einem besonderen Event veröffentlichen kann. Ich bin ihnen dankbar, dass sie Jugendliche, ähnlich wie meine Tochter, auffangen und wahrnehmen. Dankbar, dass sie ihre Arbeit und die Sache mit der Wahrnehmung der Jugendlichen, genauso wie ich – ja doch persönlich nehmen!

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Aus Anlass des bundesweiten Kongresses zur Kinder- und Jugendarbeit in Dortmund (26. – 28.09.) und die Vorbereitung der nächsten Legislaturperiode in Berlin rief jugendhilfe-bewegt-berlin.de zum Social-Media-Marathon #VielfaltJA über twitter, Facebook und Co. und dieser Blogparade auf. Ein Social-Media-Marathon, der zeigt wie wichtig und vielfältig Jugendarbeit ist. Jugendarbeit, die oft unbemerkt von der Öffentlichkeit, präventiv und nachhaltig ein enorm wichtiger Baustein unseres gesellschaftlichen Lebens ist.

Anna Schmidt
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Stadtteilzentrum Steglitz e.V.

Es ist still im Land

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Endlich Sommer … lang genug haben wir gewartet um das Grau in Grau zu verlassen, ohne dicke Jacke herumzulaufen, bis nachts auf der Terrasse zu sitzen oder die Blumentöpfe wieder mit bunter Vielfalt zu füllen. Parks und Straßen sind lebendig geworden. Die Menschen gehen raus und genießen die schöne Jahreszeit. Mit dem Sommer – so scheint es – ist auch endlich Ruhe in die Nachrichten eingekehrt. Keine täglichen Berichte von wartenden Flüchtlingen vor dem LaGeSo. Kaum einer spricht noch von Engpässen in den Turnhallen, die als Notunterkunft dienen. Keine Prognosen mehr, wer wohl das Richtige oder Falsche wählt. Es ist still im Land – keine größeren Probleme erhitzen die Gemüter. Aber: Die Flüchtlinge sind noch alle da, die Turnhallen belegt und Wahlen kommen wieder. Und doch hat es den Anschein, dass kaum einer noch darüber reden mag – im Moment jedenfalls nicht – ist doch jeder mit sich und der schönen Jahreszeit beschäftigt. Vor dem LaGeSo friert ja keiner, Sport machen wir im Freien und Wahlen … die sind erst in ein paar Monaten wieder aktuell. Verdiente Pause, trügerische Ruhe, Gleichgültigkeit oder Leichtsinn?
Mir ist es zu still im Land!

Um mich herum arbeiten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meines Arbeitgebers tagtäglich an den Erfordernissen der Flüchtlingsarbeit. Die Menschen in der Notunterkunft in der Halle werden in ihren behördlichen und alltäglichen Gängen betreut. Die jeweiligen Stadien ihrer Asylanträge stellen neue Anforderungen, die bewältigt werden müssen. Nebenher laufen alle möglichen Integrationsangebote für deren Kinder und natürlich auch für die Erwachsenen, die vornehmlich unsere Sprache lernen müssen. Zusätzlich müssen alteingesessene Nachbarn umfassend informiert werden und insbesondere Gelegenheit bekommen „die Neuen“ kennenzulernen, denn nur so können Ängste abgebaut werden. Integration der neuen und Teilhabe der alten Nachbarn – ein sehr wichtiger und zeitaufwendiger Aspekt der Flüchtlingsarbeit und erklärter Auftrag sozialer Träger.

In einer Einrichtung haben zwei junge Männer das Asylverfahren erfolgreich durchlaufen. Die Kollegin erzählt immer wieder von ihren Bemühungen, die jungen Männer zu begleiten, eine Wohnung und Arbeit zu finden. Erzählt von den Hindernissen und Teilerfolgen. Eine interne AG tagt regelmäßig, in der Vertreter verschiedenster Institutionen im Kiez zusammensitzen, Erfolge und Hindernisse der Arbeit zusammentragen und machbare Lösungswege beraten. Eine AG in der Nachbarschafts- und Jugendeinrichtung, Schulsozialarbeit und Politik ineinandergreifen. Was der eine nicht weiß oder kann, schafft der andere auf kürzerem Weg und umgekehrt.

Ein anderer Kollege ist kaum noch im Büro, sondern vor Ort, wo im Januar eine Einrichtung für unbegleitete Jugendliche eröffnet wurde. Vor ein paar Wochen kam ein zweiter Standort für unbegleitete Kinder hinzu. Neue Kolleginnen und Kollegen müssen eingestellt werden – sofern sie denn gefunden werden – und ein Team muss sich bilden. Die Einrichtungen müssen Auflagen erfüllen, die nicht immer sehr leicht zu erreichen sind. Vor allem aber müssen sich die jungen Bewohner wohl fühlen können. Sie brauchen Angebote, die ihre Tage nicht leer erscheinen lassen und sie müssen in Schulen untergebracht werden. Der Kollege führt mich durch beide Einrichtungen, zeigt mir wo geschlafen, gegessen, gemeinschaftlich Freizeit verbracht wird. Immer wieder begegnen uns Jugendliche, die respektvoll und wertschätzend gegrüßt werden. Die gute Atmosphäre ist deutlich in beiden Häusern spürbar.

All diese Flüchtlingsarbeit wird still gemacht und trotzdem merke ich wie an allen Ecken und Enden im sozialen Verein intensiv gearbeitet wird um den anvertrauten Menschen gerecht zu werden. Sie machen diese Arbeit, weil sie selbstverständlich für sie ist, aber eine Schlagzeile in den Nachrichten bekommen sie dafür nicht. Dies genauso wenig, wie die vielen Menschen, die zur Zeit das gute Wetter nutzen und versuchen über das Meer zu kommen – und es nicht schaffen. Es sind Hunderte, aber Europa hat das Problem vor die Grenzen geschoben. Es betrifft uns nicht mehr direkt, betrifft nicht unser Land, unsere Nachbarschaft und unsere Nachrichten. Nur hin und wieder kommt eine Nachricht durch. Wo vor Monaten noch das Bild eines ertrunkenen Kleinkindes Symbol für das Versagen Europas in der Flüchtlingspolitik wurde, kann nun das Bild eines ertrunkenen Säuglings in den Armen eines Retters keine Redaktion mehr dazu bewegen eine Schlagzeile daraus zu machen. Kein Sturm der Bestürzung geht durch die Netzwerke, kein Politiker reagiert darauf.

Die Nachrichten beherrschen andere. Leute, die den Deckmantel der Demokratie nutzen um sie permanent anzugreifen. Leute, die sich Politiker nennen, sich dabei aber einen Deut um unsere Grundwerte scheren. Parolen und Unverschämtheiten in die Welt posaunen um bewusst zu provozieren um in den Medien zu landen. Das Spiel geht auf! Es hat den Anschein, dass es wichtiger ist eine Talk-Sendung zu zeigen in der es um die Glaubwürdigkeit eines fragwürdigen „Politikers“ geht, als über fliehende und sterbende Menschen zu berichten. Es ist wichtiger, sich darüber zu empören, dass da jemand unseren dunkelhäutigen Nationalspieler diskreditiert, als darüber nachzudenken, wie man doch eine europäische Lösung in der Flüchtlingsfrage bewerkstelligen kann. Wir empören uns nicht über jetzt sterbende Menschen, sondern darüber, dass jemand das Land seiner Väter von 1941 zurückhaben will. Ein Land,  das alles in Schutt und Asche legte und 6 Millionen Menschen ermordete. Das Argument, dass es gewählte Vertreter sind mit denen man sich auseinandersetzen muss, kann ich nicht mehr hören, denn wer sich so verhält und so einen Müll erzählt – damit auch noch auf offene Ohren stößt – den kann ich nicht wirklich ernst nehmen … und sollte es doch, denn die Gefahr ist offensichtlich.

Kürzlich warf ein Bekannter eine interessante Frage auf: Er sprach davon, dass der Begriff Rassismus von manchen Menschen sehr weit gefasst wird. Für ihn ist Rassismus, wenn jemand stigmatisiert wird, weil er ein Merkmal (Hautfarbe, Nationalität, Religion …) hat für das er von Geburt nichts kann. Für andere beginnt Rassismus schon dort, wo sich jemand dumm äußert und verhält, obwohl er die Möglichkeit und Zugang zu Bildung hat. Im zweiten Fall überlege ich erstmalig, ob ich rassistisch bin, weil ich jedem verachtend gegenüberstehe, der sich überheblich, dumm und menschenverachtend verhält. Diese Leute bringen mich an meine Toleranzgrenze … ich werde weiter darüber nachdenken.

In diesem Zusammenhang möchte ich einmal einen Werbefilm empfehlen: momondo – The DNA Journey. Es ist ein Werbefilm der mehrere Personen zeigt, die aus verschiedenen Ländern kommen. Alle haben irgendein Ressentiment gegen ein anderes Land. Schließlich machen alle einen DNA Test und die Ergebnisse machen ihnen klar, dass keiner aus einer reinen Abstammung hervorgeht. Jeder verbindet in sich mehrere Länder. Wann begreifen auch hier die Letzten, dass wir ein multikulturelles Volk sind, das schon seit Jahrhunderten … und genau das unsere Stärke ist.

 

Ich möchte nicht still sein und mag die Stille im Land nicht. Ich möchte Schlagzeilen lesen von Politikern, die nach Lösungen suchen. Möchte Stimmen hören, die unbequem sind und die Mächtigen zum Handeln zwingen. Wünsche mir dass die Redaktionen die stillen, konstanten Menschen und Projekte entdecken und von ihnen erzählen – von denen, die immer und unermüdlich ihre Arbeit im Sinne der heimatlosen Menschen tun. Ich möchte etwas tun … nicht still sein … Stellung beziehen.

Wir können etwas tun:

Hand in Hand gegen Rassismus für Menschenrechte und Vielfalt
Bundesweite Menschenketten am 18. und 19. Juni 2016

Einen Tag vor dem internationalen Gedenktag für Flüchtlinge
soll ein gemeinsames ein Zeichen gesetzt werden – gegen Fremdenhass
und für Menschlichkeit, Vielfalt und Weltoffenheit.

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In guten wie in schlechten Tagen

Foto: c2a9drsg98 - fotolia-com

Foto: c2a9drsg98 – fotolia-com

Mit den Kindern das JETZT erleben, ist ihre größte Antriebsfeder im Job. Mit ihnen Sprechen, Lachen und die täglichen Dinge erleben, fasziniert sie immer wieder auf’s neue. Elke Heinrich ist Erzieherin, Kita-Erzieherin, und das schon ziemlich viele Jahre. In „ihrer“ Kita ist sie sozusagen eine Honoration, obwohl sie noch recht jung ist, aber sie war von Anfang an dabei. Als der freie Träger, das Stadtteilzentrum Steglitz e.V., die Kita 1999 übernahm, entstand ihr erste Kontakt und seither hat sie die Entwicklung des sozialen Vereins begleitet. Jetzt zum 20. Geburtstag des Vereins möchte sie ihre eigene Geschichte mit dem Verein erzählen. Möchte damit Danke sagen und erzählen, dass es nicht nur dem Namen nach ein sozialer Verein ist. Deshalb stimmt an dieser Geschichte alles und nur ihr Name nicht. Den haben wir geändert, weil es nicht darauf ankommt, wer sie ist, sondern auf das, was sie zu erzählen hat:

Zwei Vorstellungsgespräche musste sie führen, überzeugte und war damit dabei – im ersten Team der ersten Kindertagesstätte des jungen Vereins. Damals noch eine kleine Kita, genauso im Aufbau wie der ganze Verein. Das erste Team konnte wachsen, sich ausprobieren und mit der Unterstützung und dem Vertrauen der Eltern die Arbeit aufnehmen. Routine konnte sich entwickeln, das Team zusammenwachsen und Handlungsfelder wurden ausprobiert, geändert, angepasst. Es dauerte nicht lange, dass sich die Kita etablierte und sich ein vertrautes Verhältnis zwischen Kindern, Eltern und Erzieherinnen entwickelte. Elke entwickelte Berufserfahrung, dies insbesondere dahingehend, dass kein Tag dem anderen glich. Die Kinder, die ihr in ihrer Gruppe anvertraut waren, brachten jeden Tag auf’s Neue Neugierde und Lust auf’s Leben mit. Jeder Tag wurde für sie eine neue Herausforderung. Sie konnte sich in der guten Atmosphäre des Teams wohlfühlen und hatte Spaß im Beruf. Im Privaten führte sie ein völlig normales Leben. Der Lebensgefährte, Freunde, Verwandte begleiteten sie auch hier und so sehr sie das Private schätzte, freute sie sich doch jeden Morgen erneut auf „ihre“ Kinder, die Kolleginnen und Ereignisse rund um die Arbeit.

Die Idylle ihrer Geschichte änderte sich von heute auf morgen. Die Beziehung zum Lebensgefährten wurde brüchig, doch bevor er endgültig aus ihrem Leben verschwand, hatte er noch so manche Überraschung für sie parat. Eines morgens kam sie wieder zur Arbeit, wo sie die Buchhalterin empfing. In einem Gespräch erfuhr Elke, dass eine Lohnpfändung vorlag und damit ihr Kartenhaus eines intakten Lebens zusammenbrach. Die Puzzleteile setzen sich in Folge langsam zusammen und das ganze Ausmaß ließ Elke schier verzweifeln. Der Lebensgefährte hatte über das Internet einen Kredit auf Elkes Namen abgeschlossen. Völlig unbedacht hatte sie dem Briefträger eine Sendung unterschrieben, unwissend, dass dies die Unterschrift für den Kredit war. Auch ihr Konto war leer geräumt, die Miete für die gemeinsame Wohnung nicht bezahlt, der Lebensgefährte verschwunden. Sämtlicher Halt und Boden unter den Füßen war für Elke verloren. Das Leben in Trümmern und die Aussichtslosigkeit groß.

Sie war nicht allein. In der Folgezeit erlebte sie, was Hilfe bedeutet und welchen Halt man in solch einer Situation erleben kann. Die Buchhalterin ging mit ihr gemeinsam zum Rechtsanwalt, der ihr half die Sachlage nüchtern zu betrachten und erforderliche Schritte einzuleiten. Familie und Freunde gaben ihr Unterschlupf, Unterstützung und Trost. Vereinsleitung und KollegInnen gaben ihr Halt, ließen sie erzählen, weinen und fluchen. Aus einem sozialen Fond bekam sie zur Unterstützung etwas Geld. Alle hatten ein offenes Ohr, alle haben geholfen und waren offen für ihre Anliegen in dieser Zeit. Letztlich blieb nichts anderes übrig, als ihre finanzielle Notlage mit viel Geduld und Zeit zu klären. Sie hatte karge Jahre vor sich und musste Wünsche sehr weit hinten anstellen. Sie ließ den Kopf nicht hängen, so schwer es auch war und nahm gebotene Chancen wahr. Noch heute ist sie dankbar, dass dies für den Arbeitgeber kein Drama, sondern schlicht Selbstverständlichkeit zur Unterstützung war.

Heute sagt sie, dass sie nicht gewusst hätte, was sie in der schweren Zeit ohne ihre Arbeit hätte machen sollen. Elke bekam nie das Gefühl, Scham empfinden zu müssen, sondern fand Verständnis und Hilfe. Darüber hinaus konnte sie sich mit der Arbeit, die sie schon immer liebte, ablenken. Sie erlebte täglich Stunden, in denen sie nicht an die Probleme denken musste, sondern durfte mit Kindern lachen, die ihr zuversichtlich klar machten, das es immer weiter gehen wird.

Trotz der schweren Zeit schafften Freude und KollegInnen es oft, Elke zum Ausgehen zu ermuntern. Eines Abends lernte sie einen Mann kennen, den sie öfter traf und schließlich wurden sie ein Paar. Sie wurden so vertraut, dass der Moment kam, an dem sie dem neuen Mann erzählen musste, was für ein Päckchen sie trug. Statt Ablehnung erlebte sie auch durch ihn uneingeschränkte Unterstützung und Hilfe. Heute ist sie mit diesem Mann verheiratet und hat mit ihm gemeinsam die Zeit der finanziellen Not überstanden. Sie vergisst nie, was sie in dieser Zeit alles erlebt und erfahren hat.

Elke erlebt nach wie vor jeden Arbeitstag mit „ihren“ Kindern. Sie hat immer Spaß, sie zu beobachten – wie sie die Welt entdecken, wie sie Dinge aufnehmen, Schwierigkeiten überwindet, Freude empfinden, Kleinigkeiten wertschätzen, Emotionen ausleben. Sie möchte diesen Kindern das geben, was sie besonders in schweren Jahren selbst bekommen hat: Selbstbewusstsein, bestärkende Begleitung, Optimismus, Verständnis für die individuelle Situation. Heute geht sie gerne wieder nach Hause. Sie weiß, dass dort jemand wartet, mit dem sie alle Hürden nehmen kann. Morgens kommt sie gerne wieder zur Arbeit, freut sich auf die Kinder und die Arbeit. Die Arbeit bei einem Träger, der nicht nur sozial heißt, sondern es auch tatsächlich ist. Mit dem sie in guten wie in schlechten Tagen gemeinsam gehen kann und am Ende doch immer ein wertvoller Mensch sein wird.

Die lieben KollegInnen

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Zweimal in der Woche pflege ich Leitartikel in unsere Homepage ein. Das sind Berichte aus der Arbeit, Fachbeiträge oder auch Geschichten – alles was zu sozialer Arbeit passt. Ich kopiere die Texte ins System ein, bearbeite sie, setze Links hinzu, verknüpfe Videos, stelle Bilder oder ganze Fotogalerien ein. Das wird mit Schlagworten versehen, der Erscheinungstermin festgelegt und fertig ist alles. Beim letzten Beitrag bin ich hängen geblieben, weil er mich sehr beeindruckt hatte. Es ging um ein Video zum Thema „Tod und Trauer„, dass ein Kollege mit einer Schulklasse gedreht hatte. Dazu hatte er einen Text geschrieben, der in seiner persönlichen Art sehr passend war und alles ein stimmiges Bild wurde. Ich musste über diesen Kollegen nachdenken, der es wieder einmal geschafft hatte, etwas in mir zu bewegen. Seinetwegen kamen mir noch viele andere KollegInnen in den Sinn.

Wenn man das Glück hat lange Zeit für den gleichen Arbeitgeber zu arbeiten, hat man ebenso das Glück mit vielen KollegInnen einen langen Weg gemeinsam zu gehen. Manchmal geht einer einen anderen Weg, aber die meisten bleiben und jüngere KollegInnen kommen hinzu. Mit der Zeit verändern sich unsere Aufgabengebiete, neue kommen hinzu, Prioritäten werden verschoben und mit diesen Entwicklungen, die die Arbeit mit Menschen von uns abfordert, entwickeln sich auch die KollegInnen. Dies wird besonders deutlich, wenn junge KollegInnen ihre Positionen einnehmen, sich anfangs scheu einarbeiten und immer mehr an Sicherheit und Selbstbewusstsein gewinnen. Nicht selten konnten wir schon erleben, wie sich diese jungen KollegInnen von ErzieherInnen zu ProjektleiterInnen entwickelten und heute diejenigen sind, die andere von ihren Ideen begeistern. Kaum einer der älteren MitarbeiterInnen tut heute noch das, was in den ersten Jahren gefordert war, sondern hat sich Bereiche erschlossen, die immer wieder ein Umdenken und eine Anpassung an die aktuellen Gegebenheiten einfordert. Viele KollegInnen nutzen das stets offene Angebot zu Fortbildungen, die nicht nur persönlich bereichern, sondern immer ein Gewinn für die jeweilige Einrichtung und somit für den Arbeitgeber, den sozialen Verein, werden.

Den oben genannten Kollegen kenne ich etwa 13 Jahre. In den ersten Jahren hatten wir weniger miteinander zu tun. Aufgefallen ist mir aber schon sehr früh, dass er eine unglaubliche Affinität zu Kinofilmen hat. Ich glaube, er weiß alles darüber – Regisseure, Titel, Erscheinungsjahr, Mitspieler, Oskar-Verleihungen … weiterhin ist er mir durch eine bemerkenswerte Allgemeinbildung aufgefallen und mit der Zeit wurde er mein Lieblingsatheist, da er nach Möglichkeit seine Meinung bezüglich Kirche und Glauben kund tut. Mir hat immer gefallen, das er seine Fähigkeiten und Interessen in Bezug zu seiner Arbeit einsetzt und als Leiter eines Kinder- und Jugendhauses versteht, Kinder und Jugendliche zu Denkprozessen zu ermutigen und Dinge zu hinterfragen. Er leitet seit Jahren eine Hausaufgabenbetreuung, die ein großer Erfolg ist, er spielt mit den Kindern Theater und … hat es schließlich irgendwann geschafft dem Arbeitgeber eine Kamera für den Gebrauch in seiner Einrichtung zu entlocken. Seither begeistert er nicht nur die Kinder, mit denen er schon viele Video-Projekte durchgeführt hat, sondern auch alle Kolleginnen und viele andere Erwachsen, die diese Filme sehen dürfen. In diese Profession, die er mittlerweile für den ganzen Verein nutzt, ist viel private Zeit eingeflossen – ein geniales Beispiel dafür, wie fruchtbar privates Interesse oder Hobby für pädagogisch fundierte Arbeit genutzt werden kann.

Es gibt kaum einen künstlerischen Bereich, der nicht mit einer Kollegin oder Kollegen besetzt werden könnte. Die Kreativitäts- und Kunsttherapeutin leitet eine Kreativität-AG, die Theaterpädagogin stellt ihre Begabung und Profession in Projekten zur Verfügung, der Musiker begeistert Kinder- und Jugendlichen, indem er ihnen vermittelt, was sie mit seiner Hilfe auf die Beine stellen können. Ein Kollege fesselte auf einem Kunstmarkt mit ein paar Trommeln und ein paar Kindern sein Publikum – eine Vorstellung, von der wir heute noch begeistert erzählen. Einer hat über die Jahre Musicals mit Kindern und Jugendlichen auf die Beine gestellt. Immer wieder entstehen Lieder, die zu den jeweiligen Projekten passend, die Kinder mit einem Gefühl von Stolz und „Ich-kann-was!“ wachsen lassen. Ein anderer fesselt mit Gaffitis die Jugendlichen seiner Schule an der er als Projektleiter der Ergänzenden Förderung und Betreuung (Hort) tätig ist. Gaffiti ist dabei das Medium, dass den Kontakt zur Jugend erleichtert und oft Mittler seiner Botschaften wird. Alle diese Kolleginnen nutzen mit Spaß und Talent ihre Fähigkeiten im Sinne der pädagogischen Arbeit – und es macht Spaß zu beobachten, was über die Jahre daraus entstanden ist und wie sich die KollegInnen mit jedem erfolgreichen Projekt weiter entwickeln.

Es dauert natürlich nicht lange, bis man weiß, wer was kann und auf diese Weise sind schon viele übergreifende Projekte entstanden. Dazu kommt eine gewachsene Vertrautheit, weil man das Vermögen und die Arbeitsweise des anderen kennt. Natürlich sitzen auch wir nicht auf einem rosa Wölkchen – wo viele Menschen zusammen arbeiten, müssen auch mal die Funken fliegen. Die Kunst dabei ist, die Funken aufzufangen und daraus ein weisendes Licht zu machen. Dieses Licht muss nicht aus einem besonderen Talent entstehen, auch die Alltäglichkeiten, die die KollegInnen erleben, sind erzählenswert. Manchmal pflege ich Beiträge in die Homepage ein, in denen KollegInnen von den Essgepflogenheiten ihrer Einrichtungen erzählen, manchmal Berichte über schlimme Wörter, über das Miteinander-Reden oder einfach auch wie man jemandem helfen kann, der einen schlechten Tagesbeginn hatte.

Nun könnte man natürlich sagen, dass alle diese Menschen ihren Job tun und man diesen Einsatz von ihnen erwarten kann. Ich denke aber, dass man ruhig einmal erzählen sollte, wie gut so viele unterschiedliche Menschen, Talente und Fähigkeiten im Sinn einer Sache zusammenarbeiten können, sich über ein normales Maß einbringen und viel Energie dafür aufwenden. In vielen Arbeitsbereichen grenzt unsere Tätigkeit in ehrenamtliche Bereiche, in denen immer KollegInnen zu finden sind. Und dazu gehören nicht nur die KollegInnen mit den besonderen Talenten, auch die stillen MitarbeiterInnen, auf die immer Verlass ist, die Verwaltungsangestellte, die immer für den richtigen Überblick sorgt, die Küchenkraft, die Teller und Gläser sauber hält, der Hausmeister, der alles heile macht.

Ich freue mich immer wieder, dass ich an der Stelle sitze, die die besonderen Berichte, die meine KollegInnen erzählen, der Öffentlichkeit vorstellen darf. Am liebsten würde ich über jeden einzelnen eine Geschichte erzählen … denn nicht selten höre ich von ihnen, dass ihnen ihre Arbeit sehr viel Spaß macht – und das finde ich großartig, weil es mich selber sehr motiviert. „Wir gehen davon aus, dass wir die Welt verändern können!“ heißt der erste Satz des Leitbildes des Vereins – mit diese KollegInnen setzen wir ihn jeden Tag um.

Eine Zeitung von Kindern

Stadtteilzeitung Steglitz-Zehlendorf Juli-August 2015

Ich gebe es ganz ehrlich zu: Nach 123 Ausgaben der kleinen Zeitung, die ich seit 2003 bearbeite, glaubte ich, schon mit allen Wassern in der Zeitungsarbeit gewaschen zu sein. War ich nicht, denn … Jede Ausgabe der Stadtteilzeitung Steglitz-Zehlendorf hat ein Leitthema. Diese werden einmal im Jahr bei der Klausurtagung der ProjektleiterInnen des Stadtteilzentrums Steglitz e.V., für das kommende Jahr beschlossen. „Flüchtlinge“, „Nachhaltigkeit“, „Senioren“ oder „Ehrenamt“ sind Beispiele für solche Themen – alle aus dem sozialen Bereich. Im letzten Jahr hatten meine KollegInnen eine besondere Idee für mich. Unter anderen Themen sollte die Nr. 124 eine Zeitung werden, die nur von Kindern geschrieben wird.

Ich war, zugegebener Maßen, skeptisch. Das Thema bedeutete nämlich auch, dass ich für diese Ausgabe den RedakteurInnen, die alle ehrenamtlich für die Zeitung arbeiten, den aktiven Schreib-Part absagen musste. Und da diese RedakteurInnen vornehmlich der zweiten Lebenshälfte angehören, war auch nicht zu erwarten, dass wir mit der aktiven Hilfe von deren Kindern oder Kindeskinden rechnen konnten. Woher diese ganzen Kinderbeiträge kommen sollten, war mir noch ziemlich unklar. Auch, wie eine Zeitung aussehen sollte, die auf Nachrichten und Hinweisen aus dem Bezirk verzichtete. Klar war nur, dass die geschalteten Anzeigen bestehen bleiben und die Seite 6 und 7, auf denen immer die Veranstaltungen des sozialen Vereins stehen. Gut, es war ja Zeit. Bis zum Juli/August war viel Zeit … Zeit für einen öffentlichen Aufruf über unsere sozialen Netzwerke. Zeit, die KollegInnen immer wieder an dieses nette Thema zu erinnern. Zeit selber immer mal wieder rum zuhören. Und dann war die Zeit ziemlich schnell rum – wie immer, wenn man denkt, man hat Zeit.

©iuneWind-Fotolia.com_web

Der öffentliche Aufruf war verbreitet und hier freute ich mich unheimlich, dass viele Freunde z.B. unserer Facebook-Seite, diesen Aufruf weiter teilten und verbreiteten. Leider kamen aus dieser Richtung keine Beiträge bei mir an. Dabei behaupte ich immer noch, dass jede Mutter, jeder Vater, irgendwo eine Schublade hat, in der sie und er vielleicht die erste Liebeserklärung oder den ersten bitterbösen „Du-bist-so-ungerecht!“-Brief des eigenen Kindes aufgehoben hat. Nun gut. Wir machten auch wie gewohnt unsere Redaktionsvorbereitungs-Sitzung zu dem Thema, bei der sehr gute Ideen entstanden. Wie es mit Beiträgen der Jugendfeuerwehr, des Jugend-DRK oder eines Schulchores aussehen würde. Schulen könnten angesprochen werden, die Pfadfinder kontaktiert werden und vieles mehr. Nur – da war wieder das Ding mit der Zeit und die hatten wir nicht mehr. Eine Redakteurin bereitete sogar ein Anschreiben an die Direktorin einer Grundschule hier im Bezirk vor, neben der sie wohnt. Sie ist an der, sagen wir freundlich, „Für-sowas-haben-wir-keine-Zeit“-Sekretärin gescheitert und hatte nicht einmal Gelegenheit, ihr Anliegen vorzutragen. Wäre ja vielleicht schick für die Schule gewesen, in einer Zeitung darzustellen, was für fitte Schüler dort sind. War also nicht.

Die Gelegenheit nutzte dafür eine andere Schule, die Montessori Oberschule. In einem Elterngespräch fragte ich die Lehrerin meiner Tochter, ob sie schreib freudige SchülerInnen hätte. Die wusste sofort zwei Schreiberlinge und auf diese Beiträge konnte ich mich verlassen. Immerhin zwei Beiträge – für zwölf Seiten – reichte noch nicht. Nun treffen sich ja die ProjektleiterInnen des Stadtteilzentrums nicht nur einmal im Jahr, sondern monatlich in einer sogenannten PL-Runde. In einer dieser Runden bekam ich Gelegenheit mein Anliegen vorzutragen, ordentlich zu jammern und alle daran zu erinnern, dass dieses Thema eben in dieser Runde entstanden ist. Und obwohl ich eigentlich ein schlechtes Gewissen, wegen des Jammerns hatte, wirkte es. In den darauf folgenden Tagen kam eine Nachricht nach der anderen an, dass ich mit dem ein oder anderen Beitrag rechnen könne. Und nicht nur das – ich merkte, dass diese KollegInnen anfingen Spaß an der Sache zu entwickeln. Merkte ziemlich schnell, dass nun die „Zeitung von Kindern“ wahr werden würde.

Und an dieser Stelle möchte ich zu dem Grund kommen, warum ich diesen Bericht schreiben möchte. Eine Kollegin, die in einer kleinen Schulstation arbeitet, steckte mich so langsam mit ihrer Begeisterung an. Erzählte mir immer wieder, was sich bei ihr mit den Kindern ergab und lud mich ein, die Beiträge abzuholen und die kleinen RedakteurInnen kennenzulernen. Ich fuhr hin und saß in ihrem Büro, erzählte mit den MitarbeiterInnen dort und dann klingelte es zur Pause. Es wurde lauter in der Umgebung, klingelte nochmal an der Tür und ehe ich mich versah, standen etwa 10 Kinder in dem kleinen Büro. Ich wurde als die Frau mit der Zeitung vorgestellt und die nächsten Minuten werden mir immer in Erinnerung bleiben. Mit großen neugierigen und gespannten Augen, stellten die Kinder ihre Beiträge vor und verschwanden zum Teil mit noch nicht fertig gestellten Geschichten. Zwei blieben im Raum. Ein Mädchen aus der vierten Klasse, die zwei sehr lange Beiträge fast fertig hatte und ein Junge aus ihrer Klasse, der sehr gut fotografieren konnte. Wir besprachen, was noch zu tun sei und der spürbare Stolz dieser Kinder, war ein unglaublich schönes Gefühl. Ihre Beiträge in einer richtigen Zeitung. Am Ende der Pause standen wieder so viele Kinder in dem kleinen Büro und jedes plapperte: „Ich brauche drei Zeitungen!“, „Ich brauche auch drei!“, „Geht auch vier?“ oder „Mama, Papa, Oma und mein Bruder!“. Schwer für die Kinder, zu verstehen, dass es aber noch etliche Tage brauchte bis die Zeitung gestaltet, gedruckt und geliefert werden würde. Meine Kollegin schickte sie in ihre Klassen zurück. Das Mädchen verabschiedete sich sehr höflich und ihr Klassenkamerad verpasste mir die erste „Ghetto-Faust“ meines Lebens, die ich glücklicherweise sofort parierte ohne mich vor ihm zu blamieren. Solche Sachen erleben normalerweise nur die KollegInnen, die direkt mit den Kindern arbeiten, nicht ich in meinem kleinen Büro. Ich fuhr ziemlich beeindruckt wieder zurück.

Von anderen KollegInnen kamen Beiträge für die Kinderzeitung und ich muss wirklich sagen, dass ich sehr angetan war. Oft musste ich schmunzeln, oft herzhaft lachen und sehr oft imponierte mir die Weisheit oder Wahrheit, die in diesen Beiträgen stand. Schließlich – und damit hätte ich nie gerechnet, hatte ich mehr Beiträge als ich auf 12 Seiten unterbringen konnte. Ich habe gelernt, ziemlich treffsicher einen Stapel Manuskripte einzuschätzen, um zu sagen wie viele Seiten es werden. Hier konnte ich es nicht. Denn viele Artikel waren kurz, sehr viele handgeschrieben und manche nur als Bild verwendbar. Ich hatte die Qual der Wahl, fing an die Zeitung zu gestalten und musste mich entscheiden bzw. passende Beiträge zusammenstellen. Wenn ich mit so einer Zeitung anfange, brauche ich immer schnell ein Titelbild – dann hat die Zeitung für mich ein „Gesicht“. Ich weiß nicht warum, aber das ist wichtig für mich. Und das hatte ich sehr bald – eine Kinderzeichnung – warum sollte diese besondere Zeitung auch unbedingt ein Foto als Titelbild haben. Der Rest ist eigentlich schnell erzählt, denn er ergab sich von selbst. Die Titelgeschichte stand recht zügig fest und alles andere war ein doch gewohntes großes Puzzle. Das wurde pünktlich fertig, allen beteiligten KollegInnen zur Korrektur geschickt, mit einem Vorwort unseres Geschäftsführers versehen und schließlich gedruckt.

Zum Inhalt sage ich hier nicht so viel, denn es soll eine Einladung zum Lesen sein. Schaut euch die Kinderzeitung einmal an. Ich finde sie großartig, finde klasse, was Kinder können. Wir haben bewusste Rechtschreibfehler nicht verbessert, den auch beim Schreiben muss erst einmal die Motivation gelegt werden. Die richtige Schreibweise kommt mit der Übung – und dem Spaß an der Sache. Ich hatte sehr viel Spaß an dieser Zeitung und freue mich über den Stolz der Kinder, deren Beiträge in dieser Zeitung stehen. Wenn die KollegInnen im nächsten Jahr wieder einmal eine Kinderzeitung haben möchten, werde ich sicherlich sagen: „Gerne – mit eurer Hilfe – ja!“

Stadtteilzeitung Steglitz-Zehlendorf - Juli/August 2015

Ein Klick auf die Zeitung und ihr könnt los lesen! 🙂

Einen besonders herzlichen Dank für ihre Mitarbeit und Vermittlung der Beiträge:
Bianca Zielinska – Schulstation „Schuloase“ an der Ludwig-Bechstein-Grundschule.
René Stürkat – Schülerclub Memlinge.
Saskia Valle und Juliane Langguth – Ergänzende Förderung und Betreuung an der Grundschule am Insulaner.
Kristoffer Baumann – KiJuNa – Kinder-, Jugend- und Nachbarschaftszentrum.
Mike  Haase – Ergänzende Förderung und Betreuung an der Peter-Frankenfeld-Schule.
Beate Mohnstein – Geschäftsstelle Stadtteilzentrum Steglitz e.V.
Kordula Proschitzki – Montessori Oberschule.

Was geben wir den Kindern mit?

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Stell dir vor, du gehst auf eine einsame Insel und gründest eine neue Zivilisation. Vorher musst du allerdings an einer Versteigerung teilnehmen. Zu ersteigern gibt es moralische Werte, auf die diese Zivilisation aufbauen wird. Welche Werte würdest du ersteigern wollen?

Eine Werte-Versteigerung: Die Tochter hatte ein Praktikum absolviert und musste abschließend eine Präsentation aus der Praktikums-Arbeit in der Schule vorstellen. Im Rahmen des Geschichts-/Sozialkunde-Unterrichts hatte sie eine Schulstunde vorbereitet. Ihre Vorarbeiten habe ich beobachtet und das ein oder andere mit ihr diskutiert. Beschäftigt hat es mich erst, als sie nach der Präsentation nach Hause kam und davon erzählte. Die Schulstunde war ein großer Erfolg und die Tochter glücklich. Ihre MitschülerInnen hatten sich auf das Thema eingelassen, waren der Fiktion gefolgt, diskutierten über Werte und ersteigerten sie für ihre neue Zivilisation. Was mich besonders daran freute waren die nachträglichen Rückmeldungen, die mein Kind von ihren Mitschülern bekam. Es hätte sehr großen Spaß gemacht. Ein Junge schrieb ihr, dass er es schade fände, dass sie solche Diskussionen nicht öfter machten. Auf einer Skala von eins bis 10 bekäme sie eine 100. Total zufrieden … besser ging es nicht.

annaschmidt-berlin.com_werte2Es war nicht nur der Erfolg der Arbeit, der so positiv war. Es war die Vorstellung, dass sich eine Klasse von etwa 15 – 18-jährigen Oberschülern eine Stunde lang intensiv mit moralischen Werten auseinandergesetzt hatten. Sich offensichtlich sehr ernsthaft damit beschäftigte, was höheres Gewicht in der Wertung hätte. Zur Wahl hatten sie 14 Optionen: Ausbildung, Fortschritt, Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit, Gesundheit, glückliches Familienleben, Gleichheit, Glück, Liebe, Reichtum, Schönheit, Tradition, Weisheit. Sie waren in sieben Gruppen eingeteilt, mussten erst für sich selber, dann in der Gruppe festlegen, welche Werte sie ersteigern möchten. Aus der Wertung der sieben Gruppen (Ich habe das erste Mal in meinem Leben selber ein Säulendiagramm erstellt – Mac-sei-dank! :-) ) ergab sich, dass die drei höchsten Werte Frieden, Freiheit und Liebe sind. Tradition, Reichtum und Schönheit belegten die letzten Plätze. Ein sehr schönes Ergebnis finde ich.

Es gefällt mir, dass sich eine Klasse mit Jugendlichen mit moralischen Werten auseinandersetzt, stehen Jugendliche im Generationskonflikt doch immer etwas unter Generalverdacht, dass sie so etwas nicht interessiert. Und dass es sie interessiert und ihnen sogar sehr wichtig ist, zeigt sich in ihren Reaktionen. Es zeigt aber auch, dass sie sich schon viel damit beschäftigt haben müssen und hier ziehe ich den Rückschluss zu ihren Eltern. Kinder übernehmen das, was ihnen ihre Eltern vorleben. Wenn nie über Werte gesprochen wird, keine Werte gelebt werden, können sie auch nicht weitergegeben werden. “Kinder lernen mehr von dem, was Du bist, als was Du sie lehrst …“ heißt es.

Immer mal wieder seine eigenen Werte überprüfen und sich selber zu hinterfragen, was man selber weiter gibt, kann daher nicht verkehrt sein. In meinem Umfeld werden junge KollegInnen Eltern und Großeltern, ich selber werde in Kürze Tante. Was wollen wir diesen Kindern mitgeben, was soll sie formen? Meine eigenen Kinder haben in wenigen Monaten beide die Volljährigkeit erreicht. Haben wir es richtig gemacht? Ihnen die richtige Basis, eine solide Grundlage auf guten Werten vermittelt?

Wie sieht es mit uns selber aus? Welche Werte finden wir für uns persönlich grundlegend und lebenswert. Wie verändern sich unsere persönlichen Werte im Kontext mit einer Gruppe, einer Gesellschaft? Werte verändern sich mit steigendem Alter. Ist dem Jugendlichen die Freiheit sehr wichtig, mag sich der Senior vielleicht doch in den Traditionen ausruhen. Freiheit, Liebe, Gesundheit und Glück dürfte dabei keine Altersfrage sein. Für jeden einzelnen dieser vierzehn Werte lohnt sich eine eigene Debatte. Kann es Gesundheit ohne Glück geben oder Liebe ohne Weisheit? Interessant ist der Dialog zwischen Jugendlichen und Älteren. Aus dem Blick der Erwachsenen fehlen vielleicht Werte, die für eine Gesellschaft elementar sind. Wie sieht’s mit Sicherheit oder Wachstum aus? Werte, die die Jugend noch nicht interessiert. Sind Jugendliche noch enthusiastisch und wollen die Welt verändern, haben sich die Älteren mit einem realitätsnahem Blick vielleicht schon zurückgelehnt.

Ich stelle mir meine Insel vor und die Werte, die ich als Priorität einsetzen würde. Bei Frieden und Freiheit gehe ich mit der Schulklasse einher. Beim dritten Wert kämpfe ich sehr mit mir selber. Ich denke fast, ich würde das glückliche Familienleben einsetzen, beinhaltet es für mich doch das Glück, die Gesundheit und die Liebe. Vielleicht ist das aber auch mogeln … Es ist jedenfalls immer ein interessantes Thema, sich mit Werten auseinanderzusetzen. Dort, wo über Werte gesprochen wird, werden sie auch gelebt und weitergegeben … in der Familie, an die Kinder und in der Gesellschaft. Wir brauchen keine neue Zivilisation, aber wir müssen an unserer sehr hart arbeiten, viele Dinge gerade rücken, korrigieren und verbessern. Mit welchen Werten das am besten gelingt, wäre eine grundlegende Frage. Tröstlich und schön, dass sich die nächste Generation positiv diesem Thema widmet.

Der Traum von der Musik-Kita mit dem Hund

Feza Guschke März 2015

Feza Guschke

Als sie eines Tages ihrer Arbeitsbereichsleiterin erzählt, dass sie von einer Kita mit einem Hund träumt, bekommt sie als Antwort gesagt: „Warum nicht!“ Genau damit hatte sie nicht gerechnet, da die Antwort mehr aussagte, als dass allein die Vorstellung möglich ist. Die Antwort bedeutete ebenso, dass man empfänglich für ihre Visionen und Vorstellungen ist. Hier werden Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet und neu Perspektiven bereitgestellt. Das hatte sie fasziniert – ein Arbeitsplatz, der nicht in einem starren Muster verharrt, sondern wo es gewünscht ist an neuen Entwicklungen aktiv teilzuhaben und mitzuarbeiten. Zum 1. März hat Feza Guschke die Leitung der Kita Lichterfelder Strolche übernommen. Sie übernimmt damit die Verantwortung für eine der drei Kita’s des Stadtteilzentrum Steglitz e.V., aber eine neue Kollegin ist sie dennoch nicht.

Feza Guschke war Erzieherin im Team der Lankwitzer Maltinis, eine relativ neue Einrichtung des Stadtteilzentrums, die im August 2013 eröffnete. Hier konnte sie von Anfang an den Kita-Alltag, die Atmosphäre und die Teambildung mit gestalten. Recht schnell war deutlich, welches kreative Potential sie dafür mitbrachte. Feza erzählt lächelnd, dass sie einmal von einem Dozenten als ein Fass voll Kreativität bezeichnet wurde. Es ist ihr bewusst und sie sagt, dass sie Möglichkeiten braucht um all das loszulassen und zu teilen, was in ihr steckt. Mit wem könnte sie dies nun wieder besser teilen als mit Kindern. Kinder kennen für sie keine Grenzen. Sie sind bereit, sich und ihre Umwelt auszuprobieren und unvoreingenommen allem zu begegnen, was sie spannend und interessant finden. Unvoreingenommenheit zu erhalten und so wenig Grenzen als möglich zu setzen sind Dinge, die sie den Kita-Kindern erhalten möchte. Voraussetzung dafür ist, dass Kinder Regeln lernen, Pflichten einhalten und durch Verlässlichkeit wiederum Freiheiten erhalten. Klingt schwierig? Ist es nicht, denn wenn man die Ruhe und Überzeugung spürt, die Feza ausstrahlt, wenn sie das sagt, spürt man auch, dass sie die Persönlichkeit hat, dies umzusetzen.

Feza Guschke lernt gerne, für sich selber, von Kindern, von den Menschen, die ihr begegnen. In diesem Jahr wird sie ihre Zusatz-Ausbildung zur Facherzieherin für Musik und Rhythmik beenden. Musik gehörte von Kindheit an zu ihrem Leben dazu, ist etwas, was sie ihren eigenen Kindern mitgibt und auch den Kita-Kindern vermitteln möchte. Die Möglichkeiten zusätzliche Fachausbildungen zu machen, schätzt sie sehr an ihrem Beruf. Je nach Neigung und Fertigkeiten kann man Kompetenzen erlangen, sich in alle Richtungen weiterbilden und entwickeln. Sie selber musste immer lernen, sich neuen Situationen anzupassen und sich in neuen Begebenheiten zurecht zu finden. In Berlin geboren, erlebte sie ihre ersten drei Lebensjahre bei der Großmutter in der Türkei. In Berlin wieder bis zu ihrem 12 Lebensjahr, um dann bis zum 28. Lebensjahr in der Türkei zu leben. Dort absolvierte sie die erste Ausbildung und das Studium zur Deutschlehrerin. Als Lehrerin machte sie ihrer ersten Erfahrungen mit der Art und Weise, wie Kinder lernen und lernte die verschiedenen Wege kennen, Kindern etwas beizubringen. Durch Heirat und Geburt der eigenen Kindern wurde Feza endgültig in Berlin sesshaft. Das frühere Lehramt wollte sie nicht mehr ausüben. Kinder zu bewerten gehörte nicht zu der Vorstellung von Förderung die sie wollte. Sie entschloss sich nach der Elternzeit zur Erzieherausbildung. Diese Ausbildung bezeichnet Feza als Reise zu sich selber. Sie sei für Dinge sensibilisiert worden, die sie persönlich bereichert hätten. Es sei einer Reflexion der eigenen Person nahe gekommen, von der sie in vielen Bereichen bis heute profitiert und nicht zuletzt die Themenvielfalt und -vertiefung hätte sie an dieser Ausbildung geschätzt.

Nun hat die nächste Veränderung begonnen und sie wird ein Team von ErzieherInnen in der Kita leiten. Das Wort Leitung mag sie noch nicht besonders und muss sich daran gewöhnen. Als Begleitung sieht sie sich lieber, denn auch die Weiterentwicklung der Kolleginnen liegt ihr sehr am Herzen. Die Entscheidung ist ihr nicht leicht gefallen, war sie doch fest in ihre Arbeit der Kita Maltinis integriert. Dort hinterlässt sie wertvolle Kontakte zu Kindern, Eltern, Kolleginnen, die sie vermissen wird. Letztendlich war die Neugierde und Herausforderung stärker. Die Möglichkeit selber Perspektiven und Ziele zu entwickeln, eine Kita zu gestalten, Kolleginnen in ihren Ideen zu fördern und von ihren eigenen Ideen zu begeistern. Ausschlaggebend für den Zuspruch die Projektleitung zu übernehmen, war letztendlich das Vertrauen, das Arbeitsbereichsleitung und Geschäftsführung in sie setzten und besonders die Zusicherung jeglichen Rückhalt zu haben, den sie braucht.

Feza Guschke liebt Kommunikation in jeglicher Form, gleichgültig ob über Musik, Gestik oder Worte. Sie vermittelt das Gefühl, zuzuhören, was ihr Gegenüber sagt. Mit den Kita-Eltern möchte sie auf Augenhöhe arbeiten, möchte, ihr Vertrauen gewinnen und hofft auf wertschätzende Zusammenarbeit. Es ist ihr wichtig, Situationen aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, offene Gespräche zu suchen und so für alle optimale Lösungen zu schaffen, die einen achtsames Miteinander ermöglichen. Das sind ihre ersten Ziele in der „neuen“ Kita, die sie von nun an leiten wird. Oder doch eher begleiten? Alles ist offen, denn diese Frau lernt schnell – und wer weiß, vielleicht berichten wir an dieser Stelle einmal von der Musik-Kita mit dem Hund

Wir wünschen Feza einen wunderschönen Beginn und den Erfolg, den sie sich wünscht. An ihrem neuen Arbeitsplatz beim alten Arbeitgeber, der sich besonders freut, eine Kita-Leitung mit einer bewährten Kollegin aus den eigenen Reihen besetzen zu können. 

Leitartikel der Homepage des
Stadtteilzentrum Steglitz e.V. vom 2. März 2015

 

Zusammengewachsen

Foto_Andreas-Praefcke

Foto: Andreas Praefcke Berlin-Steglitz, Skulptur vor der Matthäuskirche – Dieter Popielaty: Leid an der Mauer, 1965, Kunststein und Steinquader, Höhe 1,70 m

Seit 24 Jahren feiern wir ihn zusammen: Was für die Westdeutschen der 17. Juni war, wurde von den Ostdeutschen am 7. Oktober gefeiert. Jedem seinen Nationalfeiertag. Die Bundesrepublik Deutschland gedachte dem Volksaufstand der DDR 1953 mit dem „Tag der deutschen Einheit“. Die Deutsche Demokratische Republik gedachte der Staatsgründung 1949 mit dem „Tag der Republik“. 1990 gab es sogar zwei Tage der deutschen Einheit. Ein gemeinsamer  Nationalfeiertag musste nach dem Mauerfall her. Da der Mauerfall selber mit der Reichspogromnacht 1939 auf den 9. November fiel, galt er als ungeeignet. Die Entscheidung viel im Einigungsvertrag (Artikel 2) auf den 3. Oktober, dem einzigen Feiertag nach Bundesrecht, dem „Tag der Deutschen Einheit“. 40 Jahre gab es zwei deutsche Staaten, die nun seit 25 Jahren zusammenwachsen. Tun sie das?

Jeder von uns hat seine eigene Geschichte, die mit der Trennung der Staaten, der Mauer, der Einigung zu tun hat. Jede Familie hat Verwandte, Freude, Bekannte, die von „drüben“ stammen, je nach Standort. Jeder könnte sich als „Ossi“ oder „Wessi“ bezeichnen. Und jeder hat sein persönliches Erlebnis, wo er gerade war, als sich die Mauer nach 40 Jahren öffnete. Was er in der Folgezeit erlebte und was für Änderungen der Wandel des gemeinsamen Staates mit sich zog. Zumindest die älteren von uns. Alle, die mehr als 25 Jahre alt sind, können sich an die unglaubliche Fassungslosigkeit und Freude erinnern, als die Mauer öffnete und etwas, was viele sich 40 Jahre lang wünschten, wahr wurden. Die Mauer war offen und alle die danach geboren wurden, erlebten einen gemeinsamen Staat.

Und ist es zusammen gewachsen? Spielt es überhaupt noch eine Rolle in unserem Leben, bei der Arbeit, in den Freundeskreisen? Ich habe mich bei meinen KollegInnen umgehört. Wir arbeiten alle für einen sozialen Träger, was eigentlich automatisch ausschließen sollte, dass Menschen in Kategorien geteilt werden. Aber hinter jedem Mitarbeiter steht auch der Mensch, der seine persönliche Geschichte mit einbringt. Mich hat es interessiert, wie ein geborener „Ossi“, ein geborener „Wessi“ und ein „Kind der Wende“ den Feiertag aus heutiger Sicht sehen.

Die erste Frage war, ob der „Tag der Deutschen Einheit“ überhaupt noch ein denkwürdiges Ereignis und einen Feiertag wert wäre. Dazu erklärt mir Jörg, aus Trier stammend, also aus dem Westen, dass er das absolut so findet: „Natürlich ist bei der Vereinigung nicht alles reibungslos verlaufen (wo verläuft auch alles glatt, wenn viele Millionen Menschen beteiligt sind?), aber dennoch ist sie ein geschichtliches Großereignis, das seinesgleichen sucht. Obwohl ich Feiertagen – insbesondere religiösen – sehr kritisch gegenüberstehe und eigentlich die Meinung vertrete, dass die meisten „starren“ Feiertage abgeschafft gehören und durch flexible freie Tage ersetzt werden sollten (so dass beispielsweise verschiedene religiöse Gruppierungen ihre eigenen Feiertage planen können), denke ich, dass gerade solche herausragenden geschichtlichen Ereignisse wie die deutsche Einheit einen Feiertag wert sind.“ Sebastian, ein Ostberliner, der seine Stadt sehr liebt, erklärt es mir so: „Unbedingt! Im Gegensatz zu den meisten, in der Regel kirchlich geprägten Feiertagen ist dieser doch einer, dessen Ursprung für uns alle nachvollziehbar ist. Zudem soll ein Feiertag uns nicht nur mal länger schlafen lassen, sondern auch die gemeinsame Erinnerungskultur fördern. Deshalb wünsche ich mir zusätzlich noch den 9.11. als Gedenk- und Feiertag!“ Und Katja, die drei Jahre alt war, als die Mauer öffnete: „Der Tag der Deutschen Einheit ist für mich meist nur noch ein angenehmer freier Tag. Ich verbinde mit der „deutschen Einheit“ kein Gefühl von neuer Freiheit und Einheit, da ich den Unterschied nicht wirklich kenne. Und dennoch empfinde ich durchaus noch eine Verbundenheit mit „meinen Ossis“.“

Und gibt es für alle drei noch einen Osten oder einen Westen? Wie empfinden sie das? Jörg verneint das: „Am Anfang mag diese Kategorisierung vielleicht noch im Kopf gewesen sein, aber die Einheit ist jetzt über zwanzig Jahre her – ich finde, wenn man z.B. von Westberlin nach Sachsen-Anhalt fährt, dann sollte das genau den gleichen (geringen) Stellenwert haben, wie wenn man von Rheinland-Pfalz ins Saarland fährt.“ Sebastian bejaht es: „Jedoch finde ich den Norden und den Süden ebenso speziell. So hat doch jede Region – unabhängig von der einstigen Staatszugehörigkeit – ihre eigenen Besonderheiten. In meinem Alltag ist es tatsächlich nur noch eine geografische Vorstellung. Auf meinem täglichen Arbeitsweg überquere ich täglich die Oberbaumbrücke zwischen Friedrichshain und Kreuzberg. Ohne fotografierende Besucher und Schirme schwenkende Touristenführer würde hier niemand auf die Idee kommen, dass dies mal eine unüberwindbare Grenze war.“ Die jüngste der drei spricht bei dieser Frage vornehmlich von Erinnerungen: „Durch meinen Umzug nach Frankfurt am Main, was  weit im Westen liegt, kam das Thema Ost-West vermehrt auf: So zog ich zufälligerweise mit zwei Mädels aus Leipzig zusammen. Wir gründeten eine Ossiwohngemeinschaft, aßen aus Trabbischüsseln und freuten uns über altes Geschirr, welches zumindest die Oma von irgendeiner von uns hatte. Relativ schnell gründeten wir dann in einem sozialen Netzwerk die Gruppe ‚Ossis in Frankfurt am Main‘, die innerhalb weniger Tage eine Menge Zulauf hatte. Diese Gruppe wuchs nicht nur, sondern wurde auch außerhalb des Netzwerkes genutzt: Wir trafen uns zum Quatschen, auf Festen, tranken „Pfeffi“ und aßen „Knusperflocken“. All diese Dinge gaben uns ein Gefühl der Gemeinschaft. Es wurde sich über Produkte und Gegenstände unterhalten, die wir doch alle aus unserer Kindheit kannten. Mehr aber eben auch nicht. Es gab keine politischen Unterhaltungen über das damalige Leben und welche Probleme es eventuell mit sich brachte. Gibt es nun noch den Osten und den Westen Deutschlands? Für mich persönlich irgendwie schon. Nicht durch eine bestehende Mauer im Kopf oder bestimmte Verhaltensweisen der Menschen, wohl aber durch ein Gemeinschaftsgefühl, welches der Austausch von Kindheitserinnerungen mit sich bringt.“

Und merkt man heute noch, wer aus dem Osten oder wer aus dem Westen kommt? Jörg sagt nein: „Ich merke das nur noch dann, wenn es mir jemand explizit sagt, und dann ist es für mich nur insoweit interessant, wie wenn jemand erzählt, dass er aus Bayern kommt oder aus Polen oder sonstwoher.“ Sebastian ist sich unsicher: „In Gesprächen mit Verwandten ist es gelegentlich noch ein Thema. So fühlte sich meine Mutter, die aus Sachsen-Anhalt stammt, im Jahre 2012 bei einer Fortbildung im ehem. Westteil Berlins als eine von zwei „Ossis“ ausgegrenzt und irgendwie unerwünscht. Für sie und andere wird es sich vermutlich noch lange so anfühlen, als sei man verschieden. Ich selbst habe ab 2002 als „Ossi“ in der TU-Berlin am Ernst-Reuter-Platz in Berlin Tiergarten studiert und an der Humboldt-Uni in Mitte gearbeitet. An beiden Orten war die gemeinsame Identität bereits ziemlich ’normal‘. Unterschiede waren eher zu spüren zwischen Berlinern und Studierenden aus anderen Regionen Deutschlands.“ und Katja wiederum ist auch nicht davon überzeugt: „Nicht alle Ossis sind automatisch sympathisch oder alle Wessis geizig. Ich fand in den fünf Jahren in Frankfurt oder heute  jedenfalls keine bemerkenswerten Unterschiede zwischen Ost- und Westgeborenen. Lediglich die Kindheitserinnerungen schienen uns damals zu verbinden.“

Schließlich wollte ich von den dreien noch wissen, ob die Einheit Deutschlands, also das Verhältnis zwischen Ost und West eine Rolle in ihrer täglichen Arbeit spielt? Jörg, der „Wessi“ sagt dazu: „Eigentlich nur dann, wenn es jemand thematisiert – also wenn man z.B. voneinander zum Zwecke des Kennenlernens erzählt. Wie schon vorher gesagt: Wenn mir jemand etwas über sich erzählt, dann ist es egal, ob derjenige aus dem Osten oder aus Dänemark oder sonstwer kommt. Kontrovers wird es vielleicht nur dann, wenn jemand Vorurteile von sich gibt („Die Ossis sind alle faul“, „Die Wessis sind alle arrogant“), aber das ist mir schon seit vielen Jahren nicht mehr begegnet. Generell denke ich, dass diese Unterscheidung Wessi/Ossi nur noch dann eine Rolle spielt, wenn wir dem eine Rolle geben. Und das sollte schon längst vorbei sein.“ Sebastian wird bei dieser Antwort sehr emotional: „In meiner Arbeit stelle ich regelmäßig fest, wie schnell der Zeitgeist weiterzieht. Vor genau 25 Jahren habe ich im Alter von neun Jahren an der Hand meines Vaters erstmals die Grenze von Mitte nach Tiergarten übertreten. Was für mich ein einschneidendes Erlebnis war, ist – zum Glück – heute das Selbstverständlichste der Welt. Irgendwie ist das ja auch gut so. Erschreckend ist für mich in meiner Arbeit manchmal, dass es – vor allem bei älteren Kolleginnen und Kollegen – bis heute die Labels „Ostlehrer“ und „Wessi“ gibt, um bestimmte pädagogische Haltungen einzelner Personen zu beschreiben. Traurig macht es mich auch, wenn ich von Steglitz aus mit Schülern in die „Gärten der Welt“ fahre und einige bereits am Bahnhof Südkreuz fragen, wo wir seien und ob das der Hauptbahnhof sei. Spätestens auf halbem Weg weiß ich dann, dass die meisten meiner Schülerinnen und Schüler die Bewegungsfreiheit, welche meine Elterngeneration erkämpft hatte, nicht so sehr schätzen und nutzen, wie ich es tat und mir wünschen würde. Ich werde niemals vergessen, was ich gemacht habe, als der S-Bahn-Ring an der Jungfernheide geschlossen wurde – ich fuhr stundenlang im Kreis durch Berlin – Ost, Süd, West, Nord und nochmal!“ und Katja sieht es eher nüchtern: „Heute, zurück im Osten Deutschlands, aber im Westen Berlins spielt dieses Thema im alltäglichen Leben eigentlich kaum noch eine Rolle für mich. Meine Arbeit an einer Grundschule verglichen mit der Zeit in Frankfurt zeigt, dass Schulsysteme im Osten und Westen sehr ähnlich sind und sich die Kindheit – aus meiner Sicht – innerhalb Deutschlands nicht mehr in Ost und West unterscheiden lässt.“

Für unsere Arbeit unter den KollegInnen spielt der Osten oder der Westen keine Rolle mehr. Hin und wieder bekommt man durch persönliche Gespräche mit, dass der eine daher, der andere aus der anderen Richtung kommt. Wir sehen den Menschen, mit dem wir einvernehmlich arbeiten müssen. Wie persönlich das Verhältnis zu dem Feiertag ist, zeigt sich in den Antworten. Selbstverständlich lachen wir gerne miteinander und dann wird schon mal ein entsprechender Witz erzählt. Der Feiertag ist jedoch für uns alle wichtig. Man sollte doch hin und wieder der geschichtlichen Tragweite gedenken und die Ereignisse, die dazu führten bedenken. Den heutigen Kindern kann man kaum noch vermitteln, wie sich die Beklemmung an der Mauer anfühlte. Man sollte ihnen aber doch klar machen, welche Bedeutung die Freiheit hat. Dafür sollte jeder von uns stehen, gleichgültig, ob aus Osten oder Westen. Aber auch gleichgültig, ob aus Norden oder Süden, gleichgültig, welcher Religion, welcher Nation, welcher Hautfarbe.

Leitartikel der Homepage des Stadtteilzentrum Steglitz e.V.
vom 2. Oktober 2014

Mein digitaler Chef

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Jeder kennt einen, arbeitet mit einem, hat sich schon mal über einen geärgert, muss sich wohl (-überlegt) mit ihm arrangieren, muss ihm seine Arbeitsleistung bestmöglich verkaufen und freut sich über sein Lob. Jede Firma, Institution, jedes Amt, jeder Verein hat einen. Jeder Arbeitsprozess und jedes Arbeitsverhältnis wird durch ihn beeinflusst – vom Chef. Und so unterschiedlich die Arbeitsbereiche sind, sind auch die Chef’s. Großer Chef, mittlerer Chef, kleiner Chef. Unter ihnen die Gelassenen, die Choleriker, die Kontrolleure, die Kumpels, die Despoten, die Innovativen, die Wortgewaltigen, die Darsteller und viele, viele andere mehr. Und jeder von uns kann seine persönliche Chef-Geschichte erzählen – ich auch … ich hab nämlich einen digitalen Chef!

Was ein digitaler Chef ist? Ein Mensch aus Fleisch und Blut, wie alle, nur mit einer unverbesserlichen Energie bei allen digitalen Entwicklungen in der ersten Reihe mitzumachen. Eigentlich hat das bei ihm ja ganz harmlos angefangen. Am Anfang gab’s einen Computer – Arbeitsmittel, E-Mail – Kommunikationsmittel und so ein Internet mit Homepages – Informations- und Selbstdarstellungs-Tool. Er erkannte wohl ziemlich schnell deren Vorteile gegenüber Schreibmaschine, Brief und Visitenkarte. Das ging alles schneller und bequemer und wie jeder gute Chef, hat er auch schnell die Vorteile für unsere Arbeitsprozesse und den Bekanntheitsgrad im Netz realisiert. Folglich war die unmittelbare Auswirkung des Ganzen, dass wir ein Verein sozial arbeitender Menschen geworden sind, die sich mit solchen technischen Sachen auskennen – müssen! (Anm. d. Red.: Der Verein ist das Stadtteilzentrum Steglitz e.V. – ein sozialer Träger mit Einrichtungen von Kindertagesstätten bis zum Seniorenzentrum – Infos: Link anklicken.)

Wo war ich stehen geblieben? Ach ja – sozial und technisch … Passt nicht? Passt doch, denn bei so vielen Menschen, mit denen wir tagtäglich zu tun haben, entsteht ein erheblicher Verwaltungsaufwand, der auf diese Weise effizient bewältigt werden kann. Sowohl personaltechnische Angelegenheiten, als auch die Verwaltung z.B. aller Kinder, die unsere Kitas, Schul- oder Jugendeinrichtungen besuchen, sind bestens eingetacktet. Chef beobachtete wohlwollend – vorerst.

Na, jedenfalls hat der Chef wohl was richtig gemacht, denn der Verein wurde größer und größer und aus einer Handvoll Mitarbeitern und Einrichtungen, wurde bald ein ganzer Bienenkorb. Die Folge war Zeitnot, denn anders als bei der Bienenkönigin bringen die Bienen nicht nur alle was, die wollen auch alle was. Gar nicht mehr so einfach das Ganze zu managen, weshalb Chef sich mit Arbeitseffizienz auseinandersetzen musste. So begründet hat er seine Bibel gefunden (Keine Sorge – es geht nicht religiös weiter). Bibel heißt bei ihm GTD – „Getting things done“ von David Allen. Auf deutsch: „Wie ich die Dinge geregelt kriege“. Ich behaupte mal, wir finden kaum einen Kollegen bei uns, der nicht weiß, was das ist. Alle Arbeitsprozesse werden in eine bestimmte Reihenfolge gebracht, die immer einen guten Überblick und ein ruhiges Gewissen verschaffen. Gar nicht so verkehrt die Idee, die er uns sehr ans Herz gelegt hat. Klagt mal einer über Chaos am Arbeitsplatz, ernten wir ein müdes Lächeln vom Chef.

GTD war denn der letzte Auslöser für die chefliche Digitalisierung. Sehr bald war er der E-Mail-Flut überdrüssig und fand eine Internetseite, die ein innerbetriebliches Netzwerk anbot. Mein Pech war dabei nur, dass ich an der Presse- und Öffentlichkeitsstelle sitze – also war es mein Job das Teil auszuprobieren. Ok – anmelden, KollegInnen einladen und hartnäckig darüber kommunizieren. Es hat, schätze ich mal, ein Jahr gedauert, bis auch der letzte Zauderer geglaubt hat, dass das Netzwerk wirklich nur für uns ist und – dass tatsächlich weniger E-Mails von KollegInnen zu beantworten waren. Nun konnten wir Sachverhalte, Projekte, AGs oder einfach mal Spaß gleich mit allen Mitarbeitern teilen. Gut so … Chef zufrieden – kurzfristig.

Ich spreche jetzt mal nicht von den ganzen Netzwerken, in denen ein moderner Verein heutzutage vertreten sein sollte – Chefmeinung. Meine zweijährige hartnäckige Weigerung in ein sehr bekanntes Netzwerk mit F einzutreten, scheiterte am Chefwunsch, dort eine Vereinsseite zu haben. Angemeldet und – hm – Spaß dran gewonnen. Auch in den anderen Netzwerken sind wir prima vertreten. Einen Überblick, wo ich überall angemeldet bin, kann ich spontan nicht geben. Anmelden, ausprobieren, schauen, ob das was für uns ist. Wir sind dabei und machen mit – wo’s sinnvoll ist und nutzt und – Chef gefällt – einstweilen.

Immer wieder kommt er mit neuen schönen Programmen, die uns die Erfüllung und Erleichterung unserer Arbeitswelt geloben. Haben wir eins begriffen und gelernt, integriert oder verworfen, hat er schon wieder eine neue Idee. Aufmerksamkeit ist immer geboten, wenn ich in einem Netzwerk von ihm lese: „Hat jemand schon mal Sowieso ausprobiert und kann mir dazu was sagen?“ Das bedeutet mit ziemlicher Sicherheit, dass er nicht lang danach um die Büro-Ecke kommt und sagt: „Probier mal“. Zugeben muss ich dabei: Hab ich eine Frage dazu oder bekomme ich irgendetwas nicht gleich hin, er weiß es. Also, was er uns zumutet, hat er auch probiert, studiert und eingesetzt. Chef bloggt, postet, schreibt, kommentiert, netzwerkt und ist digital an vorderster Front – früher nannte man die Pioniere. Neulich hatte er Urlaub – das bedeutet Luft im Netz zu suchen. Ganz gefährlich bei digitalen Chefs. Und wie erwartet, stand dann auch bald zu lesen, wie begeistert er von einem neuen Aufgabenprogramm ist. Und wie erwartet … wer probiert es jetzt aus? Wir … Chef freut sich! 🙂

Ok, zugegeben, der Nutzen ist sehr groß und letztendlich machen viele Programme ganz einfach Spaß. Auch ist es ein gutes Gefühl, für einem Verein zu arbeiten, der diesen Dingen sehr aufgeschlossen ist, optimalen Nutzen daraus zieht und eine sehr modere Einstellung dazu hat. Ich stelle mir insgeheim immer vor, dass seine erste Frage bei potentiellen Bewerbungsgesprächen nur heißen kann: „Lieben Sie ihren Computer?“. Tue ich und sitze eigentlich am richtigen Platz, probiere auch gerne aus. Aber nun hat er es doch einmal geschafft, mir den Angstschweiß auf die Stirn zu treiben … Da hat er gepostet (so nennt man das): „Hypereffizienz hätte er noch nicht in seiner Zielplanung gehabt“ und einen Artikel dazu von einer Seite, die sich mit Arbeitseffizienz beschäftigt. – Hypereffizienz – Chef bitte … du musst nicht alles ausprobieren!

Zur Person: Thomas Mampel ist Sozialarbeiter und Unternehmer und versteht sich als social entrepreneur. Er ist Mitgründer und Geschäftsführer des Stadtteilzentrum Steglitz e.V., Mitgründer und Mitbetreiber des sozialen Netzwerkes “socialNC – soziales engagement 2.0″ und geschäftsführender Gesellschafter der .garage berlin GmbH und Gründungsmitglied und Vorstand des gemeinnützigen Vereins Computerbildung e.V.. In seinem Blog „mampel’s welt“ will er seine Sicht auf die Welt – insbesondere zu den Themen “Soziale Arbeit und soziale Netzwerke”, “soziales Unternehmertum” und “Entwicklung der sozialen Arbeit” – zur Diskussion stellen. Außerdem ist er …

… mein Chef! 🙂