Der Hartz4-Nazi … war einmal

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Selten, ganz selten lese ich Kommentare, die irgendwelche Nutzer in sozialen Netzwerken unter Beiträge schreiben. Sie sind oft abstoßend und selten werden konstruktive, differenzierte Meinungen geäußert. Es ist so leicht, so anonym zu hetzen. Aus irgendeinem Grund blieb ich bei einem Artikel doch an den Kommentaren hängen und lese: „Hartz4-Nazi“. … Ich überlege, was ein Hartz4-Nazi ist. Ich google, aber finde keine richtige Antwort. Das Wort ist eine Beschimpfung, eine Beleidigung, ein Vorurteil und in sich völlig bescheuert. Natürlich weiß ich, was vordergründig gemeint ist. Doch um es richtig zu verstehen, muss ich wohl erst verstehen, was ein Nazi ist. Genau da liegt mein Problem – ein Versuch:

Ich mache eine kleine Liste mit Begriffen, die mir einfallen, wenn ich mir einen Nazi vorstelle. Schon allein das ist schwer, weil natürlich der Springerstiefel-Typ als Erstes in den Sinn kommt. Die Sache ist jedoch viel subtiler, versteckt sich doch so mancher Nazi im Küchenkittel oder Nadelstreifen-Anzug. Und sich vorzustellen, was der Nazi im Kopf hat … ähm … Also:

Eins der häufigsten Probleme, dass Menschen mit dieser Gesinnung haben müssen, ist der Wohlstandsverlust und daraus bedingte Existenzangst. Immer wieder lese ich, dass die bösen Flüchtlinge viel mehr Geld bekommen, als einheimische Bedürftige. Dass dies schlicht und einfach falsch ist und jeglicher Grundlage entbehrt, spielt keine Rolle. Wenn der eine es behauptet, glaubt es der nächste, angebliche Rechenbeispiele werden aus dem Zusammenhang gerissen, falsche widerlegte Zahlen trotzdem in den Netzwerken geteilt – es tut ja so gut, wenn man weiß wer der böse ist. Wenn einer schreit, applaudieren zwei andere und schon tut’s nicht mehr so weh. Ich behaupte mal, dass keine alleinerziehende Mutter, keine Oma im Rentenalter, kein arbeitsloser Mann je einen Euro zu wenig bekommen hat, weil die bösen Flüchtlinge da sind. Wir leben mit einem der besten Sozialsysteme der Welt und trotzdem ist Alters- sowie Kinderarmut ein sehr ernstes Thema bei uns … aber das sind ganz andere Töpfe und gehen den Flüchtling nichts an!

Mangelndes Geschichtsbewusstsein möchte ich fast gleichsetzen mit Realitätsverlust. Geschichte ist nicht zu ändern und die Welt in der wir leben ist bunt. Speziell Deutschland war immer ein Durch- und Einwanderungsland. Die Deutschen sind nicht erst seit den beiden letzten Weltkriegen, der Einwanderungswelle von Türken und Italienern der Nachkriegszeit, der Aufnahme von Menschen aus den Jugoslawienkriegen, Spätheimkehrern, Sudetendeutschen und vieles mehr, vollkommen gemischt und von anderen Völkern durchsetzt. Keine Familie und kein Freundeskreis kann behaupten rein Deutsch zu sein, falls es das überhaupt gibt. Gäbe es ein „Rein Deutsch“ wären wir sehr wahrscheinlich ein degenerierter Haufen von Menschlein, die in der Welt keine Rolle spielten und noch in den Höhlen der Urzeiten vor sich hin vegetierten. Was bei uns in den Landstrichen passiert, die von Durchmischen anderer Nationen ausgeschlossen waren oder sind, kann man fast täglich in der (Lüge-)Presse lesen.

Womit der gemeine Nazi im meinen Augen auch die seinen vor den Zusammenhängen der Länder der Welt verschließt. Ein Staat kann heute nur im Verbund mit anderen Nationen und im offenen Transfer existieren. Verschließen wir uns, verkümmern wir, machen Handel, Wirtschaft und Fortschritt zunichte. Grenzen zu schließen bedeutet Kriege und Allianzen zu fördern, die Vernichtung nach sich ziehen.

Die Empathielosigkeit vor dieser Vernichtung ist ein weiteres Merkmal, dass in der Liste auftaucht. Via Internet erleben wir die Kriege in der Welt als fänden sie im eigenen Wohnzimmer statt. Wir sehen Bilder von Menschen, die unerträgliches Leid erfahren und wollen diesen Menschen einen sicheren Platz bei uns verwehren? Der Gedanke tut mir fast körperlich weh. Ich erlebe Menschen, die über Flüchtlinge schimpfen, sie an Grenzen erschießen lassen wollen, Asylbetrüger in jedem sehen, der nicht ins Bild passt … und gleichzeitig die Todesstrafe für Tierquäler fordern. Jedem Hund und jeder Katze mehr Wohlstand und fettere Bäuche gönnen, als Menschen, die vorm Verhungern flüchten.

Übersteigertes Selbstbewusstsein und Bildungsresistenz möchte ich in einem Satz nennen, gehört es für mich doch sehr zusammen. Der normale Nazi ist nämlich nicht von der ungebildeten Sorte und müsste eigentlich, wenn er einen rein logischen Denkprozess einsetzen würde, wissen, dass seine Thesen und Behauptungen haltlos, selbstsüchtig und veraltet sind. Es gibt für mich bis heute keinen einzigen Grund aus dem sich ein Mensch einem anderen gegenüber als höherwertig stellen kann – der Nazi tut’s … also kann er ja nur so selbstverliebt sein, … oder … ich vermute fast … so wenig von sich selber halten, dass es in übersteigertes Selbstbewusstsein umschlägt. Wäre das nicht so fürchterlich, müsste man fast mit Mitleid kämpfen …

Machtwille steht als letztes in meiner Liste und das ist ein sehr trauriger Punkt. Beobachtet man die politische Entwicklung im Land, stellt man fest, wie einige wenige mit viel Polemik, mit gemachter Angst und Populismus, eine Masse lenken, die Lämmer-gleich und ohne Hinterfragen nachplappert, schreit und brüllt. Das „Hatten-wir-schon-mal!“ bleibt bewusst ungehört und jeglicher Wille aus der Geschichte zu lernen fehlt. Die Lämmer merken nichts … mäh!

Der Nazi ist – unbelehrbar – da … und er war immer da! Die rechte Gesinnung wird – wieder – gesellschaftsfähig. Das ist der Punkt, der mir Angst und mich nachdenklich macht. Er wird wieder so gesellschaftsfähig, dass in den Netzwerken schon eine Art Ranking unter den Nazis beginnt. Der Hartz4- und Springerstiefel-Nazi ist böse und dumm. Bleiben ja noch genug andere, die den politischen Entwicklungen gedankt, sich frei und offen unter uns bewegen. Als wären sie befreit, ihre Parolen endlich wieder in die Gesellschaft zu tragen. Wir geben ihnen Raum in Talkshows, auf der politischen Bühne und in der Nachbarschaft. Wir empören uns ein bisschen, wenn ein Polizist einer rechten Veranstaltung ein gutes Gelingen wünscht. Entschuldigen es damit, dass es ja in dem bestimmten Bundesland passiert. Unsere Politiker halten die Klappe, weil nach der Wahl vor der Wahl ist, hoffend, dass nicht zu viele Stimmen wegwandern.

Sie waren immer da und fanden Unterschlupf in den etablierten Parteien, die ihr Profil mehr und mehr einbüßen. Jetzt ist es nicht mehr unfein besorgt, rechts, gegen Werte zu sein – denn – und das kann ich nicht mehr hören – so ist nun mal Demokratie. Was ein Nazi ist, verstehe ich wohl. Warum er jetzt in offener Weise mein Nachbar, mein Kollege, der Mann im Bus sein könnte – das verstehe ich nicht und nicht, dass wir – die Nicht-Nazis – nicht viel lauter schreien. Ich kann nicht nachvollziehen und will auch nicht verstehen, wie ein Nazi denkt. Brauche ich auch nicht – denn er besinnt sich neuer Namen … besorgter Bürger oder Mitglied der Partei, die eben keine Alternative ist. Der Hartz4-Nazi war einmal … jetzt kommen andere.

Hühnchen, Möhrchen, Tiger und Co.

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34,4 Millionen Haustiere gab es laut statistika.com im Jahr 2015 in deutschen Haushalten, untergliedert in Katzen, Kleintiere, Hunde, Ziervögel, Gartenteiche, Aquarien und Terrarien. Eine Studie der Uni Göttingen von Prof. Dr. Renate Ohr aus dem Jahr 2014 zum „Wirtschaftsfaktor Heimtierhaltung“ gibt an, dass „Deutschlands Heimtierhaltung insgesamt einen jährlichen Umsatz von über 9,1 Mrd. Euro mit ca. 185.000 – 200.000 Arbeitsplätzen bewirkt“. Enorme Zahlen, die viel Raum für Interpretationen lassen und doch nichts über den wirklichen Wert und die Wirkung eines Haustieres aussagen. Jedes dieser 34,4 Millionen Haustiere ist für seinen Besitzer einzigartig – emotionale Ladestation, Entspannungsfaktor, Quelle persönlicher Liebe und Zuneigung, oft Schutz vor Vereinsamung. Rational ist jedem klar, dass diese Tiere eine kurze Lebenszeit haben, doch wenn sie sich verabschieden ist die Trauer groß. So wie bei uns – wir mussten uns nach 15 Jahren von unserem Tiger trennen. Ich bin eigentlich kein Katzenmensch, Hunde liegen mir eher. An diese Katze denke ich jedoch gerne zurück. Sie hat uns so viele Jahre begleitet und meine Kinder sind mit ihr aufgewachsen. Sie war besonders – dreifarbig, also eine Glückskatze, und hat nach ihren Regeln bei uns gelebt.

Ich selber bin mit Haustieren aufgewachsen. Das erste war eine Schildkröte, Mohammed, die meine Eltern damals noch legal aus Marokko mitgebracht hatten. Da wir oft zelteten, hatte mein Vater ihr ein Loch in den Panzer gebohrt und so konnte sie immer mitkommen, weil eine Nylonschnur das Weglaufen verhinderte. Das zweite Tier war ein Hund, der Boxer XuXu, den wir von Portugal mit nach Deutschland brachten. Ich habe das Bild noch vor Augen, als der Hund das erste mal mit Schnee in Kontakt kam. Der Schnee lag über Nacht einen Meter hoch im unserem Hof und der Hund tobte so sehr darin, dass man nur hin und wieder die spitzen Ohren sah. Der zweite Hund kam mit 9 Monaten in unser Haus, Afra von der Neusiedlung, ein irischer Setter mit dem wir aufwuchsen. Sie sollte als Jagdhund dienen, jagte aber lieber selber als dem Jäger sein Handwerk zu überlassen und wurde Familienhund. Sie wurde 16 Jahre alt und hatte zwei Würfe mit ihrer großen Liebe aus der Nachbarschaft, einem langhaarigen Schäferhund.

Afra musste viele andere Haustiere dulden. Bei uns zuhause mit fünf Kindern waren oft Tiere, die gerettet werden mussten. Die waren natürlich nur kurz da, sofern mein Vater entschied, dass man sie retten konnte – sonst waren sie noch kürzer da. Ich hatte einmal zwei Hamster, an denen ich aber die Lust verlor als mich beide gleichzeitig in beide Daumen bissen. Meinen Daumen brauchte ich noch selber. Bei den Geschwistern blieb der Nymphensittich Hühnchen, die Zebrafinken und Fische in Erinnerung. Der jüngste Bruder kann die Graugans „Gertrud“ im Lebenslauf erwähnen und verzeiht uns bis heute nicht die Witze, die wir mit Kochtöpfen in Bezug zu ihr machten. Und obwohl mein Vater keine Katzen mochte, kam irgendwann doch eine ins Haus. An das schwarz-weiße Flöhchen erinnere ich mich noch, weil sie nichts schöner fand als die nackten Füße eben des Vaters zu jagen.

Später kamen sogar Hühner dazu. Als meine ältere Schwester in Belgien heiratete, schenke unser Onkel ihr einen Schnellkochtopf – lebendes Huhn inklusive. Ein Huhn allein geht aber nicht und da mein Vater wundersamer Weise es nicht übers Herz brachte dieses eine Huhn zu schlachten, zudem ein Hühnerhaus vorhanden war, kauften wir auf dem Sonntagsmarkt in Mons halt sechs Küken dazu. Pech war, dass alle sechs Küken wunderschöne Hähne wurden. Da war wirklich was los im Hof und so konnte nur ein Hahn übrig bleiben. Andere Hühner kam hinzu und meine Mutter konnte immer über einen guten Vorrat an frischen Eiern verfügen.

Wir bekamen also reichlich Erfahrung mit Tieren, einschließlich Jagdtieren. Der Vater war Hobbyjäger und der Ansicht, dass wir Kinder wissen mussten, wie man einem Kaninchen das Fell über die Ohren zieht. Es könnte ja sein, dass wir einmal dadurch überleben mussten. In meinem Fall eine einmalige Erfahrung. Überhaupt mochte ich die erjagten Tiere nicht, da zum einen immer tot und wer zum anderen einmal ein Fasanbeinchen versucht hat zu essen, das mit Bleikugeln gespickt war, den Geschmack daran verliert. Für drei Tage hatten wir zwei Karpfen. Die schwammen in der Badewanne und wurden viel von uns gestreichelt. Nur war irgendwann die Wanne leer und die Karpfen auf dem Tisch – wir Kinder verweigerten. Als wir älter waren stank es irgendwann fürchterlich aus dem Keller. Nach sehr langer Ursachensuche wurde klar, dass Mohammed aus Marokko den Winter nicht überlebt hatte. Sie überwinterte immer im Kohlenkeller und mein Vater hatte dort einen Schrank abgebeizt. Die Dämpfe haben ihr bis dahin langes Leben beendet. Schade, denn sie war schon stattlich groß und hübsch.

Zuhause ausgezogen, versuchte auch ich es kurz mit Zebrafinken. Danach lebte ich viele Jahre ohne Haustier und heiratete einen Mann, der sogar ganz ohne Tiere aufgewachsen war. Das änderte sich erst wieder mit den eigenen Kindern. Die Kleinste hatte Angst vor Tieren überhaupt und war das einzige Kind in der Welt, dem man mit einem Zoobesuch keine Freude machen konnte. Die Tochter aus erster Ehe meines Mannes beschloss künftig ebenso bei uns zu leben und sie war Katzen bei der Mutter gewohnt. So erkämpfte ich gegen den hartnäckigen Widerstand meines Mannes, die Zustimmung für eine Katze – aus psychologischen Gründen natürlich. Aus der ersten einen Katze wurden zwei, denn die Schwester des zugesagten Katers hatte auch noch kein Zuhause. Zwei Katzen sind ja einfacher zu halten als eine. Tiger (dreifarbig) und Puma (schwarz) wohnten von nun an bei uns. Mit den beiden sind meine Kinder aufgewachsen und mit ihnen haben wir wirklich viel erlebt. Die Tierphobie der Kleinsten war schnell überwunden und ich habe immer gestaunt, was ein Tier alles mitmacht, wenn es von kleinen Mädchen als Puppenersatz bespielt wird. Jedenfalls kam es oft vor, dass zur Futterzeit eine Katze ganz lässig mit T-Shirt gekleidet zu mir in die Küche kam.

Meinen Kampf, dass kein Tier in ein Bett gehört habe ich offiziell gewonnen. Inoffiziell möchte ich nicht wissen, wie oft sie in unseren Federn lagen, wenn ich nicht da war. Erwischt habe ich einmal unter weißer Tagesdecke eine schwarze Schwanzspitze und sie dann flitzen sehen. Auch der Gatte gewöhnte sich an die beiden und die tierliebe Nachbarin übernahm immer den Dienst, wenn wir verreisten. Nur die Sache mit den Geschenken der Katzen konnten wir zwischen uns nie befriedigend klären, wollte sich doch bei mir keine Dankbarkeit für tote Mäuse oder Vögel einstellen. Zu den Katzen kam ein Hund. Den hatten wir der Schwiegermutter als Welpe geschenkt und sie liebte ihn sehr. Eddi, der Golden Retriever, schlich sich in unsere Herzen. So sehr meine Schwiegermutter ihn aber auch liebte, vergaß sie, dass man so einen Hund erziehen muss. Eines Tages war er groß, pubertär, der Chef im Haus und nicht mehr zu halten. Weggeben ging nicht – der Kinder wegen und so blieb nur, ihn zu uns zu holen. Die Katzen waren nicht begeistert, der Gatte auch nicht, wobei letzterer ihn ja schon sehr mochte. Die Katzen verpassten ihm rechts-links Kombinationen und machten ziemlich schnell deutlich in welchem Radius sich Eddi um sie herum bewegen durfte.

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Eddi und ich haben im ersten halben Jahr sehr darum gerungen, wer von uns beiden Chef im Haus ist. Nach einem Biss, an dem ich selber Schuld war, waren wir beide Blutsbrüder und ich seit dem sein Chef. Trotzdem haben wir noch weitere zwei Jahre viel Zeit mit dem Hundetrainer verbracht. Nicht, weil der Hund nichts kapierte, sondern weil es Spaß machte. Der Puma musste nach einem Unfall vor ein paar Jahren gehen, was sehr hart für die Kinder war. Tiger und Eddi wurden nun gemeinsam älter, und in den letzten ein/zwei Jahren näherten sie sich sogar an. Bei Gewitter war es durchaus möglich, dass sie beide zusammen lagen und pünktlich um 18.00 Uhr war Zeit für friedliche Koexistenz in der Küche. Tiger fraß, Eddi fraß auch und wartete immer bis die Katze satt war und wegging … um dann nach eventuellen Katzenfutter-Resten zu schauen.

Jetzt musste auch der Tiger gehen. Ein Tumor hat seit Ende besiegelt und da kein Tier unnötig leiden sollte, durfte sie friedlich in unseren Armen bei der Tierärztin einschlafen. Was ich vorher nicht für möglich gehalten hätte: Der Tiger sollte im Garten begraben werden, wo auch der Bruder liegt. Wir nahmen die tote Katze mit nach Hause und ich legte sie auf die Terrasse in einer Decke eingeschlagen. Während mein Mann das Loch grub, kam der Hund und leckte die Katze immer wieder ab um sie aufzuwecken. In dieser Nacht war er nicht dazu zu bewegen ins Haus zu kommen, sondern legte sich neben das Grab und passte bei der Katze auf. Er hatte eine Freundin verloren, was man ihm mehrere Tage anmerkte. Meine Kinder trauerten ebenso, die Große auf ihre Weise, die Jüngere sehr heftig. Auch wir Eltern empfinden eine gewisse Wehmut, können mit den Unabänderlichkeiten der Dinge aber besser umgehen. Natürlich entstand sofort die Diskussion nach einer neuen Katze. Die Kinder sind aber beide in einem Alter, das viel Veränderungen in den nächsten Jahren verspricht. Mein Mann und ich möchten keine Katze mehr … der Hund wird sicherlich nicht der letzte sein.

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Ich bin allen Tieren dankbar, die meinen Weg begleitet haben. Besonders diesen beiden Katzen für das was sie uns, besonders meinen Kindern, gegeben haben. Aber – es sind Tiere, die nicht vermenschlicht werden sollten. Trotzdem sind es fühlende Wesen, die in der Lange sind, Stimmungen des Menschen aufzunehmen, bei Krankheiten helfen, trösten und Lachen erzeugen können. Sie können Kindern Verantwortung beibringen, Selbstbewusstsein schenken, Einsamkeit zunichte machen, können Freund sein, Liebe erwidern und vieles andere mehr. Sie geben uns Menschen echte Gefühle und Zuneigung. Natürlich bezweifele ich, ob der Fisch im Aquarium oder die Echse im Terrarium mir das geben kann, wozu mein Hund in der Lage ist, aber vielleicht verstehe ich nur nicht, wie Fisch und Echse Zuneigung und Treue vermitteln. Ich denke aber, dass jedes dieser 34,4 Millionen Haustiere seine Berechtigung hat und einen Platz in einem Herzen.

Soziale Kunst

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Der Raum füllt sich mit immer mehr Besuchern, aufgeregte Stimmen sind hinter dem Vorhang zu hören, alle suchen sich einen Platz, es wird dunkel, leise und die Vorstellung beginnt. Ein erstes Musikstück ist zu hören, das sich in der Folge mit vielen anderen Stücken zu einem Musical verbindet. Kinder spielen ihre Instrumente, singen und tanzen, verlieren ihre Nervosität und dürfen schließlich im begeisterten Beifall der Zuschauer versinken. Der Erfolg hat dem wochenlangen Proben recht gegeben. Die ErzieherInnen im Kinder- und Jugendhaus haben mit den Kindern ein Stück einstudiert. Sie haben selber Texte geschrieben, Melodien komponiert, dazu gesungen, immer wieder verbessert und geprobt. Eine andere Gruppe von Kindern hat Tänze einstudiert, Kostüme entworfen und genäht, ein Bühnenbild ist entstanden und schließlich die Plakate, die zum Musical eingeladen haben. Ist die Vorstellung vorbei, ist kaum mehr nachzuvollziehen, wie viel Arbeit es war, alles auf die Beine zu stellen. Die Kinder haben auf mehreren Ebenen Dinge gelernt und erfahren, deren Tragweite sie in jungen Jahren noch nicht absehen können. Der Transporteur war die gemeinsame Kunst.

Eine umfassende Definition zu geben, was Kunst ist, fällt schwer, weil der Facettenreichtum des Begriffs kaum zu fassen ist. Einigkeit dürfte darüber herrschen, dass immer ein Prozess damit verbunden ist, der dem Kunstschaffenden die Möglichkeit gibt, Gefühle und Gedanken zu offenbaren und zum Ausdruck zu bringen. Der Kunstschaffenden gibt seine Botschaft mit seinen Ausdrucksmitteln an andere weiter und damit einen Teil von sich selbst. Unbedeutend, ob er das bewusst oder unbewusst tut, denn wie es beim Betrachter ankommt und verstanden wird, hat er nicht in der Hand. Die Möglichkeiten, die der Kunstschaffende hat, sind nahezu unbegrenzt. Kunst bricht Regeln, setzt Bekanntes und Gewohntes außer Kraft. Kunst provoziert und bedient sich endloser Fantasien. Kunst darf nahezu alles, was der Mensch in seiner Vorstellungskraft sicht- und hörbar machen kann. Die reine Kunst ist frei.

Kunst wird gerne mit dem Begriff Kultur verbunden, was sofort eine massive Einschränkung der reinen Kunst bedeutet. Kultur ist ein stets gesellschaftlich geprägtes Verständnis, dass von Zeit, Mode und Historie der jeweiligen Gesellschaft vorgegeben ist. Kultur ist, was gefällt und zeitgemäß empfunden wird. Die Gesellschaft gibt vor, welche Art der Musik, bildenden und darstellenden Kunst und der Literatur Erfolg oder eben auch nicht haben kann. Kultur verändert sich.

Kunst und Kultur setzen menschliches Handeln voraus. Setzt man nun die Begriffe Kunst mit „Prozess“ und Kultur mit „gesellschaftlicher Veränderung“ gleich, liegt der Rückschluss nicht fern, dass Kunst und Kultur auch den Kunstschaffenden selber verändert. Dieser Veränderungsprozess ist das Mittel, mit dem Kunst und Kultur in pädagogischen, psychologischen und sozialen Zusammenhängen genutzt wird. PädagogInnen, TherapeutInnen und ErzieherInnen nutzen Kunst und Kultur, um gewünschte und verändernde Inhalte bewusst zu machen.

In einer Kita wird ein Märchen vorgelesen, das Stück mit den Kindern geprobt, vertont und auf einer CD verewigt. Die Kinder lernten eine Geschichte in eigenen Worten wieder zu geben, wie Geräusche entstehen und welche Arbeit in einer CD steckt. In einer Schülerbetreuung wird ein Papierprojekt durchgeführt, um den Kindern bewusst zu machen, welche Umweltressourcen genutzt und verbraucht werden, um Papier zu erzeugen. Die dabei entstehenden künstlerischen Arbeiten sind Mittel zum Zweck, die letztlich viel Stolz vermitteln und im Gedächtnis haften bleiben. Jugendliche werden animiert, aus altem Zeitungspapier ihre Trauminsel zu bauen, und machen so die ganz neue Erfahrung, dass auch sie sehr kreativ sein können. Zahllos sind die Beispiele, bei denen etwas mit Kindern zusammen gebaut, gemalt, geprobt oder gespielt wird. Sinn ist es, immer die freie Fantasie zu nutzen und deren Potential zu entfalten. Bewusst ist dabei, dass Menschen mit viel Fantasie Zusammenhänge neu kombinieren und gewohnte Muster aufbrechen können. Neue Lösungen entstehen, die einen gewünschten Fortschritt erzielen können. Ein Kind, das mit Behinderungen lebt, malt mit einem Pinsel nicht nur, es macht Sinneserfahrungen und kann sich selber wahrnehmen. Schüchterne Kinder legen im Theaterspiel ihre Scheu ab und stärken das Selbstbewusstsein. Junge Erwachsene, die den Kunstunterricht immer langweilig fanden, machen in der Gruppe die Erfahrung, wie viel Kreativität in ihnen steckt.

Die künstlerischen Prozesse, die im pädagogischen Zusammenhang genutzt werden, sind frei von Bewertung und Talent. Es geht um den Prozess an sich selbst und nicht darum ein Kunstwerk zu schaffen. Natürlich kommt es immer wieder vor, dass ein Talent entdeckt wird, das dann in gezielte Förderung vermittelt werden muss. Bewertet werden kann nur, ob ein Projekt oder Prozess erfolgreich war und angenommen wurde. Ob ein Bild, das von einem Jugendlichen gemalt wurde, schön ist, ist nicht von Bedeutung. Wichtig ist, dass es gemalt wurde. Ist es schön geworden, umso besser, weil er oder sie dann weiter machen.

So ist es nicht weiter verwunderlich, dass gerade in sozialen Einrichtungen zahlreiche Angebote zu finden sind, die Kunst und Kultur zum Inhalt haben. Malgruppen für Erwachsene, Tanz- und Theatergruppen, Literaturkreise oder Musikangebote stehen immer dort auf dem Programm, wo Menschen zusammen kommen. Austausch und Kommunikation stehen hier im Fokus. In der Gruppe können Menschen etwas bewerkstelligen und die Stillen in etwas einbezogen werden, was sie sonst als Zuschauer betrachten würden. Kunst und Kultur in sozialen Einrichtungen bewegt und verbindet. Die KünstlerInnen, die hier zu sehen sind, sind nicht die der großen Bühnen und Öffentlichkeit. Es sind die Senioren, die nicht allein sein wollen, Geflüchtete, die ihrem Erlebten Ausdruck vermitteln möchten und Menschen aus der Nachbarschaft, die in der Gruppe Dinge mitmachen, zu denen ihnen alleine der Antrieb fehlt. Kunst in sozialen Einrichtungen verbindet – der begeisterte Beifall aller Beteiligten heißt dabei jeden willkommen.

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Dies ist einer von vielen schönen Beiträgen zum Thema „Integration durch Kunst und Kultur“ und zu finden sind sie alle im Magazin „Im Mittelpunkt“ des Stadtteilzentrum Steglitz e.V. oder hier:

Als eBook – eine epub-Datei, als interaktives Pdf und den Einleger „Mittendrin“ mit Veranstaltungen und Ferientipps des Stadtteilzentrum im Juli und August.

http://www.stadtteilzentrum-steglitz.de/ebook/MagazinImMittelpunktJuliAugust2016.epub – 230 MB

http://www.stadtteilzentrum-steglitz.de/ebook/MagazinImMittelpunktJuliAugust2016.pdf – 230 MB

http://www.stadtteilzentrum-steglitz.de/ebook/VeranstaltungenSzSMittendrinJuliAugust2016online.pdf – 640 KB

Die lieben KollegInnen

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Zweimal in der Woche pflege ich Leitartikel in unsere Homepage ein. Das sind Berichte aus der Arbeit, Fachbeiträge oder auch Geschichten – alles was zu sozialer Arbeit passt. Ich kopiere die Texte ins System ein, bearbeite sie, setze Links hinzu, verknüpfe Videos, stelle Bilder oder ganze Fotogalerien ein. Das wird mit Schlagworten versehen, der Erscheinungstermin festgelegt und fertig ist alles. Beim letzten Beitrag bin ich hängen geblieben, weil er mich sehr beeindruckt hatte. Es ging um ein Video zum Thema „Tod und Trauer„, dass ein Kollege mit einer Schulklasse gedreht hatte. Dazu hatte er einen Text geschrieben, der in seiner persönlichen Art sehr passend war und alles ein stimmiges Bild wurde. Ich musste über diesen Kollegen nachdenken, der es wieder einmal geschafft hatte, etwas in mir zu bewegen. Seinetwegen kamen mir noch viele andere KollegInnen in den Sinn.

Wenn man das Glück hat lange Zeit für den gleichen Arbeitgeber zu arbeiten, hat man ebenso das Glück mit vielen KollegInnen einen langen Weg gemeinsam zu gehen. Manchmal geht einer einen anderen Weg, aber die meisten bleiben und jüngere KollegInnen kommen hinzu. Mit der Zeit verändern sich unsere Aufgabengebiete, neue kommen hinzu, Prioritäten werden verschoben und mit diesen Entwicklungen, die die Arbeit mit Menschen von uns abfordert, entwickeln sich auch die KollegInnen. Dies wird besonders deutlich, wenn junge KollegInnen ihre Positionen einnehmen, sich anfangs scheu einarbeiten und immer mehr an Sicherheit und Selbstbewusstsein gewinnen. Nicht selten konnten wir schon erleben, wie sich diese jungen KollegInnen von ErzieherInnen zu ProjektleiterInnen entwickelten und heute diejenigen sind, die andere von ihren Ideen begeistern. Kaum einer der älteren MitarbeiterInnen tut heute noch das, was in den ersten Jahren gefordert war, sondern hat sich Bereiche erschlossen, die immer wieder ein Umdenken und eine Anpassung an die aktuellen Gegebenheiten einfordert. Viele KollegInnen nutzen das stets offene Angebot zu Fortbildungen, die nicht nur persönlich bereichern, sondern immer ein Gewinn für die jeweilige Einrichtung und somit für den Arbeitgeber, den sozialen Verein, werden.

Den oben genannten Kollegen kenne ich etwa 13 Jahre. In den ersten Jahren hatten wir weniger miteinander zu tun. Aufgefallen ist mir aber schon sehr früh, dass er eine unglaubliche Affinität zu Kinofilmen hat. Ich glaube, er weiß alles darüber – Regisseure, Titel, Erscheinungsjahr, Mitspieler, Oskar-Verleihungen … weiterhin ist er mir durch eine bemerkenswerte Allgemeinbildung aufgefallen und mit der Zeit wurde er mein Lieblingsatheist, da er nach Möglichkeit seine Meinung bezüglich Kirche und Glauben kund tut. Mir hat immer gefallen, das er seine Fähigkeiten und Interessen in Bezug zu seiner Arbeit einsetzt und als Leiter eines Kinder- und Jugendhauses versteht, Kinder und Jugendliche zu Denkprozessen zu ermutigen und Dinge zu hinterfragen. Er leitet seit Jahren eine Hausaufgabenbetreuung, die ein großer Erfolg ist, er spielt mit den Kindern Theater und … hat es schließlich irgendwann geschafft dem Arbeitgeber eine Kamera für den Gebrauch in seiner Einrichtung zu entlocken. Seither begeistert er nicht nur die Kinder, mit denen er schon viele Video-Projekte durchgeführt hat, sondern auch alle Kolleginnen und viele andere Erwachsen, die diese Filme sehen dürfen. In diese Profession, die er mittlerweile für den ganzen Verein nutzt, ist viel private Zeit eingeflossen – ein geniales Beispiel dafür, wie fruchtbar privates Interesse oder Hobby für pädagogisch fundierte Arbeit genutzt werden kann.

Es gibt kaum einen künstlerischen Bereich, der nicht mit einer Kollegin oder Kollegen besetzt werden könnte. Die Kreativitäts- und Kunsttherapeutin leitet eine Kreativität-AG, die Theaterpädagogin stellt ihre Begabung und Profession in Projekten zur Verfügung, der Musiker begeistert Kinder- und Jugendlichen, indem er ihnen vermittelt, was sie mit seiner Hilfe auf die Beine stellen können. Ein Kollege fesselte auf einem Kunstmarkt mit ein paar Trommeln und ein paar Kindern sein Publikum – eine Vorstellung, von der wir heute noch begeistert erzählen. Einer hat über die Jahre Musicals mit Kindern und Jugendlichen auf die Beine gestellt. Immer wieder entstehen Lieder, die zu den jeweiligen Projekten passend, die Kinder mit einem Gefühl von Stolz und „Ich-kann-was!“ wachsen lassen. Ein anderer fesselt mit Gaffitis die Jugendlichen seiner Schule an der er als Projektleiter der Ergänzenden Förderung und Betreuung (Hort) tätig ist. Gaffiti ist dabei das Medium, dass den Kontakt zur Jugend erleichtert und oft Mittler seiner Botschaften wird. Alle diese Kolleginnen nutzen mit Spaß und Talent ihre Fähigkeiten im Sinne der pädagogischen Arbeit – und es macht Spaß zu beobachten, was über die Jahre daraus entstanden ist und wie sich die KollegInnen mit jedem erfolgreichen Projekt weiter entwickeln.

Es dauert natürlich nicht lange, bis man weiß, wer was kann und auf diese Weise sind schon viele übergreifende Projekte entstanden. Dazu kommt eine gewachsene Vertrautheit, weil man das Vermögen und die Arbeitsweise des anderen kennt. Natürlich sitzen auch wir nicht auf einem rosa Wölkchen – wo viele Menschen zusammen arbeiten, müssen auch mal die Funken fliegen. Die Kunst dabei ist, die Funken aufzufangen und daraus ein weisendes Licht zu machen. Dieses Licht muss nicht aus einem besonderen Talent entstehen, auch die Alltäglichkeiten, die die KollegInnen erleben, sind erzählenswert. Manchmal pflege ich Beiträge in die Homepage ein, in denen KollegInnen von den Essgepflogenheiten ihrer Einrichtungen erzählen, manchmal Berichte über schlimme Wörter, über das Miteinander-Reden oder einfach auch wie man jemandem helfen kann, der einen schlechten Tagesbeginn hatte.

Nun könnte man natürlich sagen, dass alle diese Menschen ihren Job tun und man diesen Einsatz von ihnen erwarten kann. Ich denke aber, dass man ruhig einmal erzählen sollte, wie gut so viele unterschiedliche Menschen, Talente und Fähigkeiten im Sinn einer Sache zusammenarbeiten können, sich über ein normales Maß einbringen und viel Energie dafür aufwenden. In vielen Arbeitsbereichen grenzt unsere Tätigkeit in ehrenamtliche Bereiche, in denen immer KollegInnen zu finden sind. Und dazu gehören nicht nur die KollegInnen mit den besonderen Talenten, auch die stillen MitarbeiterInnen, auf die immer Verlass ist, die Verwaltungsangestellte, die immer für den richtigen Überblick sorgt, die Küchenkraft, die Teller und Gläser sauber hält, der Hausmeister, der alles heile macht.

Ich freue mich immer wieder, dass ich an der Stelle sitze, die die besonderen Berichte, die meine KollegInnen erzählen, der Öffentlichkeit vorstellen darf. Am liebsten würde ich über jeden einzelnen eine Geschichte erzählen … denn nicht selten höre ich von ihnen, dass ihnen ihre Arbeit sehr viel Spaß macht – und das finde ich großartig, weil es mich selber sehr motiviert. „Wir gehen davon aus, dass wir die Welt verändern können!“ heißt der erste Satz des Leitbildes des Vereins – mit diese KollegInnen setzen wir ihn jeden Tag um.

Ich hab’s verstanden, Frau Giese!

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„Wenn man ein Kind bekommt, steht man in den nächsten 20 Jahren in der zweiten Reihe!“ Das war immer mein Lieblingssatz bei Diskussionen, in denen es darum ging, was Mütter alles für ihren Nachwuchs tun und aufgeben. Wir sind im Schnitt 20 Jahre die Hauptversorgungsquelle für unsere Kinder. Jahre in denen wir mehr oder weniger eigene Bedürfnisse hinten anstellen (müssen). Eine Zeit in der wir alles tun, um unsere Kinder (nach unserer Vorstellung) gut zu erziehen und auf ihr eigenständiges Leben vorbereiten. Das diese 20 Jahre auch ein Ende haben, habe ich bisher nicht wirklich bedacht. Das hat mir jetzt Frau Giese klar gemacht.

Die Geschichte hat mit ganz vielen E-Mails angefangen. Das Töchterchen brauchte ein Praktikum für die Schule und die Mutter ist davon ausgegangen, dass das weiter kein Problem ist. Undenkbar, dass dieses gute Kind keinen Platz bekommen würde. Hat ja bisher immer geklappt. Bis das Kind eines Tages von der Schule nach Hause kam und verkündete, dass der Praktikumsvertrag in 1 ½ Wochen abgegeben werden müsse. Dazu sei erwähnt, dass das Kind schon viele Anfragen alleine losgeschickt hatte, leider ohne Erfolg. Nun kam die Mutter in die Spur, verfasste siegessicher einen schönen Text und bewarb das Kind bei mehreren interessanten Stellen. Das hat auch nicht geklappt – es war zu spät und die Plätze besetzt. Die E-Mails mit Absagen kamen zurück – eine nach der anderen. Doch eine dieser E-Mail-Absagen war mit einem P.S. versehen und das gab der Mutter schwer zu denken.

Frau Giese von einem sehr namhaften Berliner Kindertheater schickte eine freundliche Absage. Gut, damit hatte ich gerechnet, nicht jedoch mit dem P.S. Frau Giese schrieb: „PS: Ich verstehe, dass Schüler sehr beschäftigt sind. Trotzdem ist es wirklich sehr ungewöhnlich, dass die Eltern die Bewerbung schreiben … Mit 17 sollte Ihre Tochter in der Lage sein, sich selber zu bewerben, das tun die 13- und 14 Jährigen, die wir üblicherweise als Schülerpraktikanten haben auch immer. Seien Sie sich aber sicher, dass dies nicht der Grund der Absage ist …“ Das saß! Im ersten Moment stutzte ich, aber so ziemlich gleich danach, machte sich ein ziemlich breites Grinsen bei mir bereit. Oh ja, Frau Giese, Sie haben so recht und ich hab’s verstanden – nur habe ich mir bis zu diesem Punkt nicht wirklich bewusst gemacht, dass meine Kinder alleine laufen können!

Realistisch gesehen ist die Beziehung zwischen Mutter und Kind von Anfang an von zwei Dingen bestimmt: Das eine ist der natürliche Instinkt der Mutter von Geburt an, alles dafür zu tun, dass es dem Kind gut geht, es sich optimal entwickeln und auf sein erwachsenes Leben vorbereiten kann. Das zweite ist der Ablösungsprozess, der im Grunde genommen mit der Geburt einsetzt. Beide Vorgänge arbeiten gegengleich. Das Kind entwickelt sich in die Selbstständigkeit von der Mutter weg. Die Mutter sollte sich ebenso in Richtung Loslösung entwickeln, was in Anbetracht der jahrelangen Versorgungsrolle, die sie hat, sehr in den Hintergrund tritt. Ist der Zeitpunkt dann da, wird er oft verkannt, dies insbesondere, wenn Mütter sich nicht rechtzeitig wieder eigener Bedürfnissen und Interessen erinnern. Der Tag, der Moment in dem einem das klar wird, kommt – und wenn es in Form einer E-Mail ist.

Ein Erlebnis, das so einen Ablösungsprozess deutlich macht, ist mir sehr in Erinnerung geblieben: Meine Kinder, zweieinhalb und fünf Jahre, hatten gemeinsam einen Brief für ihre Oma geschrieben. Der fertige Brief musste zum Briefkasten und „zu schnell“ gab ich meine Erlaubnis, dass beide alleine dorthin gehen dürfen. Es war das erste Mal, dass meine Kinder alleine und zusammen aus dem Haus gingen. Der Briefkasten ist etwa 500 Metern entfernt. Dazu mussten sie eine kleine Straße und eine riesengroße, zweispurige Kreuzung überqueren. Sie gingen fröhlich und gut gelaunt los und es wurde die schlimmste Viertelstunde in meinem bisherigen Mütterdasein. Wie krank tigerte ich zwischen Garten und Wohnzimmerfenster hin und her und fragte mich, warum sie nicht längst zurück waren. Die schlimmsten Vorstellungen und Gedanken kamen mir in den Sinn. Mein Gatte, dem mein Gejammer gehörig auf die Nerven ging, meinte nur lapidar „Dann geh doch hinterher!“ und genau das, wusste ich, durfte ich nicht tun. Sie kamen nach Hause, stolz und wunderbar gelaunt. Ich lobte und hoffte, dass sie meine Skepsis und Angst nicht gemerkt hatten.

So ging das weiter, mit Kitareisen, Reisen zu der Oma, Klassenfahrten und vielem mehr. Nicht nur die Kinder lernten, sich alleine zu bewegen und in der Welt zu behaupten. Die Mutter lernte loslassen – langsam … Dabei stellten sich die Kinder zweifelsohne besser als die Mutter an. Als ich die „Kleine“ von einem Arztbesuch abholen musste, stellte ich auf der Autobahn fest, dass eine Ausfahrt gesperrt war. Das bedeutete einen Umweg, der Pünktlichkeit unmöglich machte. Ich wusste, dass das Kind kein Handy dabei hatte. Panik machte sich wieder bei mir breit, was sie tun würde, wenn ich nicht rechtzeitig da bin und sie rette. Bis meine „Große“, die mit im Auto saß meinte, dass die „Kleine“ fragt, wo wir bleiben. Mittels IPod hatte sich die „Kleine“ in ein WLan Netz eingewählt und über ihr Musikgerät Kontakt zu uns aufgenommen. Soviel zu den hilflosen „Kleinen“, die sich mittlerweile besser im WLan-, Berliner Bus- und Bahnnetz bewegten, als ihre Mutter es jemals könnte.

Besonders schwer waren Situationen, in denen die Kinder Streit mit anderen hatten und mir verboten, einzugreifen. Sie haben so vieles gemeistert und immer wieder musste ich zugeben, dass sich Stolz bei mir einschlich, wie eigenständig und selbstbewusst sie sich in ihrer Welt bewegen. Das hat auch eine ganze Menge mit „Zutrauen“ zu tun und ich habe oft gestaunt, was sie entsprechend ihrem jeweiligen Alter schon alles konnten. Mittlerweile sind sie so weit, dass sie nach Partys nicht einmal mehr vom Vater abgeholt werden möchten, da sie das alleine sehr gut schaffen. Also nicht nur die Mutter, auch der Vater guckt in die Röhre. Sie wollen alleine und selbstständig ihre Angelegenheiten regeln. Und viele Dinge, die Organisatorisches betrifft, erledigen sich sowieso von alleine, denn mit dem 18. Lebensjahr finden Eltern kaum noch Gehör oder Verständnis bei öffentlichen Stellen. Oder Frau Giese!

Aber es ist auch gut so, denn gerade in dieser Phase zeigt sich ja, ob Mutter „ganze Arbeit“ geleistet hat. Ist der Nachwuchs selbstbewusst und selbstständig, können wir uns getrost zurücklehnen und sie ihr Ding machen lassen. Das heißt ja noch lange nicht, dass wir abgeschrieben und nicht mehr um Rat gefragt sind. Die große Tochter hat sich nun alleine einen dualen Studienplatz gesucht und wird die nächsten dreieinhalb Jahre in einer Institution lernen, die die Eltern noch nie gesehen haben. Es war ihre Wahl und ist ihr Weg. Die jüngere Tochter hat ein Praktikum bekommen – pünktlich, alleine und ganz ohne mein Zutun. Wir sind raus, was ja ebenso nicht heißt, dass wir arbeitslos sind. Wer zwei (fast) erwachsene Kinder im Haus hat weiß sehr genau, dass „Kinder“ prima zwischen Eigenständigkeit und Bequemlichkeit hin und her wechseln können.

Frau Giese hat mir mehr gesagt, als das ich mit der Praktikumssuche meiner Tochter nichts mehr zu tun habe. Sie hat mich daran erinnert, dass ich meinen Kindern zutrauen darf, ihr Leben selber in die Hand zu nehmen. Sie hat gesagt, dass Mütter früh damit beginnen sollten, die Kinder selber ihre Dinge regeln zu lassen. Und sie hat auch vermittelt, dass wir Mütter uns aus manchen Dingen gelassen zurückziehen dürfen. Uns darauf vorbereiten können, in einer gewissen Zeit auch wieder in der ersten Reihe mitzumachen und uns auf Dinge besinnen können, die nur mit uns zu tun haben. Die Kinder können das – und wenn die Säge mal klemmt – nun ja, dann stehen sie mit uns in der ersten Reihe und lösen das Problem!

Danke, Frau Giese! 🙂

Wir sind alle kleine Lichter!

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Vor nicht allzu langer Zeit stand im Internet eine Dokumentation mit dem Titel „26 Bilder, durch die Sie ihre Existenz neu bewerten werden!“ Gezeigt wurde im ersten Bild die Erde – der Platz auf dem wir leben. Im zweiten Bild wurde die Richtung der Dokumentation deutlich – alle Planeten im Größenvergleich. Merkur, Mars und Venus sind noch kleiner als die Erde, alle anderen deutlich größer bis hin zum Jupiter, der mehr als 10 x so groß ist. Dann die Sonne, in die der Jupiter wiederum mehr als 10 x hineinpasst. Aber das reichte noch nicht … gezeigt wurde auch, dass Nordamerika auf dem Jupiter eher wie ein Mitesser wirkt oder die Erde zur Sonne nicht mal einem Floh gleich kommt. Wer hier noch nicht genug hatte, machte Bekanntschaft mit VY Canis Majoris, einem Hyperriesen, der als größter schätzbarer Stern gilt. Es ging weiter zur Milchstraße, den Galaxien und dem Orbit. Armes Menschlein … wo steckst du nur im Universum!

Nun könnten wir ja zur berechtigten Annahme kommen, dass wir Menschlein ganz kleine Lichter sind. Der Größenvergleich der Planeten ist eigentlich jedem klar, aber in Bildern so deutlich gemacht, lässt es uns doch winzig klein schrumpfen. Wohin mit unserem Selbstbewusstsein und der Bedeutung unseres täglichen Tuns. Sind wir selbst tatsächlich nur Organismen, die des Überlebenswillen existieren. Sind wir trotz der Winzigkeit der Dreh und Angelpunkt oder die einzige denkende Energieform des Universums? Schwierige Fragen, um die sich Heere von Philosophen und Wissenschaftler schon die Köpfe eingehauen haben. Können wir nicht, werden wir nicht und wollen wir nicht beantworten. Die Antwort könnte schlicht und einfach zeigen, wie unwichtig wir sind.

Beschäftigen wir uns lieber mit der Wiederherstellung unseres Selbstwertgefühls! Auch im Internet gefunden: „Wenn du dich für klein hält, bedenke, was eine Mücke im Schlafzimmer anrichten kann!“ Daraus wir schon eher ein Schuh, der uns passt und gefällt. Eine kleine Mücke kann einen Menschen zur Weißglut treiben und ist sicherlich schon mache Male Ursache für ein zerstörtes Schlafzimmer gewesen. Zur Mücke haben wir jedoch ein schlechtes Verhältnis oder haben Sie schon einmal jemanden erlebt, der ein gutes Wort für diese kleinen Blutsauger hatte.

Nehmen wir lieber den Spruch: „Der ist ein ganz kleines Licht!“ Natürlich wollen wir kein „kleines Licht“ sein. Mit Licht bekommt der Mensch aber schon eine ganz andere Bedeutung. Kaum hat er das Licht der Welt erblickt, mag er sein Licht nicht mehr unter den Scheffel stellen. Das heißt, er erarbeitet sich seinen Platz in der Welt (in seinem kleinen Universum) und je nach Prägung möchte er sich in einem guten Licht darstellen. Wenn er zu der lieben Gattung gehört, möchte er anderen nicht im Licht stehen. Licht hat eine ganz besondere Kraft und Wirkung. Eine kleine Flamme wird leicht gelöscht, hat aber auch die Kraft eine Feuersbrunst zu werden. Ein Glühwürmchen geht in der Dunkelheit unter, eine ganze Bande Glühwürmchen begeistert den Betrachter.

Vergleichen wir den Menschen mit Licht, ist er gar nicht mehr so klein, sofern er sich der Wirkung klar ist, die er haben kann. Mit jeder Geste, jedem Ausdruck, jedem Wort senden wir eine Botschaft nach außen zu den anderen „Lichtern“. Bin ich mir dieser Wirkung bewusst, kann ich sie gezielt einsetzten um mein Umfeld ein bisschen schöner, freundlicher und lebenswerter zu machen. Was haben dann schon drei freundliche „Lichter“ für eine Wirkung oder vier, fünf, sechs … und so geht es immer weiter … viele freundliche Lichter in einem Kiez, einem Bezirk, einer Stadt, einem Bundesland, einem Land, einem Kontinent, unserer Welt. Gäbe es den Mann im Mond hätte auch er sicherlich ein freundliches Lächeln für uns. Das färbt wieder auf die anderen Planeten ab und so geht es immer weiter …

Naiv? Nein, sicherlich nicht … zum Jahresbeginn aber ein Grund sich selber einmal zu hinterfragen. Wir sind im Vergleich mit dem Universum nicht wahrnehmbar. Wahrnehmbar aber für jeden, mit dem wir in Kontakt treten. Alles was wir tun und sagen hat eine Wirkung auf einen anderen, wirft ein Licht auf einen anderen. Selbst unser Denken beeinflusst unser Handeln. Alles was wir von uns geben gleicht einer Visitenkarte. Überlegen wir uns einmal, wie diese Karte aussehen soll. Wie möchten wir von anderen gesehen werden, was soll den anderen in Erinnerung bleiben, mit welchem Ausdruck möchten wir ihnen wieder begegnen. Wie möchten wir behandelt werden. Was erwarten wir, wenn wir auf einen anderen treffen. In welchem Licht möchten wir unsere Welt sehen?

Besonders bedenkenswert dabei, dass weißes Licht eine Mischung aus allen Spektralfarben ist. Fehlt eine Nuance ist es schon nicht mehr weiß. Wir brauchen alle Farbbereiche um annähernd weißes Licht zu erreichen. Der Mensch als Licht braucht also alle Farben um tatsächlich als Ganzes hell zu leuchten … das ist doch eine schöne Vorstellung? Eine bunte Welt in der alle Farben und Lichter ihre Wirkung haben dürfen und gemeinsam leuchten und strahlen. Alle Menschen, gleich welcher Hautfarbe, Nationalität, Herkunft, Religion, Neigung, … alle dürfen in ihrem Licht glänzen! In wie vielen Millionen Lichtjahren wären wir dann noch zu sehen?

Alles Gute zum neuen Jahr
… seinen Sie sich ihrer Wirkung bewusst
… in einem neuen, buntem Licht!