Respekt

Die liebsten Themen über die mein Vater mit uns Kindern sprach und diskutierte, waren moralische Werte, die das gemeinschaftliche Leben von Menschen bestimmen. Dazu gehörten Werte wie Toleranz, Weltoffenheit oder auch Respekt. Ich muss zugeben, dass uns diese Gespräche sehr prägten, auch wenn wir uns oft und gerne mit anderen Dingen beschäftigt hätten, als mit dem Vater verbal die Welt zu verändern, beziehungsweise uns seine Sicht der Dinge predigen zu lassen. Nur gerade die Sache mit dem Respekt geht mir in diesen Tagen nicht mehr aus dem Kopf, nachdem ich ein Video zur Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus im Bundestag gesehen hatte.

Respekt hatte für uns zwei Aspekte: Auf der einen Seite war mein Vater eine respekteinflößende Persönlichkeit. War er in einem Raum, richtete sich auch die Stimmung im Raum nach ihm. Sprach er ein Machtwort, war es schwer sich dem zu widersetzen. Das mussten wir tatsächlich lernen. Andererseits brachte er uns bei, dass unser Respekt tatsächlich nur Menschen gelten sollte, die sich diesen Respekt durch ihre Haltung, ihre Ansichten oder Taten auch verdient haben. Damit ist nicht die Hochachtung gegenüber anderen Menschen gemeint, die man grundsätzlich haben sollte. Er vertrat die Ansicht, dass ein Arzt, Lehrer, Politiker oder andere Honoratioren nicht per se Respekt zu erwarten hätten, sondern sie sich diesen immer wieder verdienen müssen. Genauso wie sich jedes Mitglied einer Gemeinschaft Respekt verdienen muss. Er verlangte allerdings nie etwas von anderen, was er nicht selber zu geben bereit war. Verdiente sich also seinen Respekt nach seinem eigenen Anspruch, was für uns Kinder nicht immer einfach war.

Seine Ansicht über Respekt hatte ich sehr schnell begriffen und verinnerlicht, da ich es logisch fand. Natürlich legte ich dem meine eigenen Maßstäbe zugrunde. Auch ist mir immer schon schwer gefallen, nicht zu sagen was ich denke. Das hat mir in meiner Schulzeit einige Schwierigkeiten mit den Lehrern eingebracht, die ich oft nicht sehr respektabel fand. Nur das Prädikat Lehrer, und das hatte ich ja zuhause gelernt, taugte nicht automatisch dazu meinen Respekt zu bekommen. Zur Diplomatin taugte ich in meiner Oberschulzeit genauso wenig, wodurch ich es mit so manchem Lehrer nicht sehr einfach hatte. Aber es gab sie trotzdem, die Lehrer vor denen ich großen Respekt hatte und die habe ich bis heute in guter Erinnerung. Die anderen natürlich auch.

Die Sache mit der Diplomatie und dem Respekt rückte sich für mich in den anfänglichen Berufsjahren in etwas machbare Bahnen. Ich lernte auch mit Menschen auszukommen, die in keiner Weise meinen Respekt besaßen, ohne dass sie es gleich merkten mussten. Es galt schon seit den Bauernkriegen „Die Gedanken sind frei, wer will sie erraten.“ Ich lernte außerdem zu erkennen, wen ich aufgrund seiner Persönlichkeit, seinen Ansichten oder seinem Tun respektierte. Ich denke, jeder von uns kennt Menschen, die er zutiefst bewundert und respektiert. Es waren viele, die ich auf meinem Weg in guter Erinnerung habe, wobei völlig bedeutungslos ist, wo derjenige in der gesellschaftlichen Rangordnung steht.

Was mir immer schon schwer fiel, fällt mir heute noch schwerer: Ich schaffe es nicht einen amerikanischen Präsidenten zu respektieren, nur weil er der mächtigste Mann der Welt sein soll. Ich konnte den vorherigen respektieren, der deutlich seine Achtung vor allen Menschen zeigte und dessen Worte oft meine Bewunderung weckten. Genauso wenig schaffe ich es vor deutschen Politikern Respekt zu haben, nur weil sie in unserem Bundestag sitzen. Ich zolle vielen Respekt, weil das Amt, das sie ausfüllen, nicht eins der leichtesten ist, auch wenn sie es sich selber ausgesucht haben. Ich habe Respekt vor einigen Kommunalpolitikern, die in meinem Umfeld Dinge zum positivem verändern.

Neu ist für mich, dass ich Abscheu vor Politikern empfinde. Es ist egal, welcher politischen Partei man den Vorrang gibt. Mit der aktuellen politischen Situation ist wohl kaum einer wirklich zufrieden. Dennoch gibt es Themen im Bundestag, die von allen politischen Parteien getragen werden sollten und einen einstimmigen Konsens erwarten lassen. Gerade bei diesen Themen, die die Grundwerte unserer demokratischen Ordnung betreffen, sollten sich alle Politiker vorbildlich verhalten und der menschlichen sowie geschichtlichen Verantwortung, die wir tragen, Rechnung zollen. Ich sah die Reden des Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble und der Holocaust-Überlebenden Anita Lasker-Wallfisch im Bundestag, die dazu aufgerufen hat, die Verbrechen des Nationalsozialismus nicht zu vergessen. Und ich sah, wie sich die Politiker der Partei, die keine Alternative ist, dazu verhielten. Verzogene Gesichter, gequältes Klatschen, zögerliches Aufstehen und verweigerter Respekt gegenüber dem Bundestagspräsidenten und einer Frau, die eins der schlimmsten Verbrechen an Menschen überlebte. Gewählte Volksvertreter, die sich im höchsten Gremium der Bundesrepublik, derart daneben benehmen, dass man wirklich nur noch fassungslos zuschauen kann. Mögen diese alternativlosen Politiker in ihrem Programm stehen haben, was sie wollen. Ein derartiges Verhalten ist ganz einfach ekelhaft und verabscheuungswürdig. Das sind Politiker, die nicht für, sondern gegen die Menschen arbeiten. Politiker, die Dummheit dazu nutzen um politische Stellungen einzunehmen und Macht auszuüben. Es dauert lange, bis ich so etwas sage, aber das sind Politiker, gegenüber denen ich schlicht Verachtung empfinde – gewählte Volksvertreter oder nicht.

Ich habe Respekt vor jedem, der einen Menschen aus fremden Ländern bei sich aufnimmt. Vor jedem, der alles aufgegeben hat um sich selbst und seine Familie zu retten. Vor jedem, der ehrenamtlich viel Zeit für geflüchtete Menschen opfert und dadurch bereichert wird. Ich habe Respekt vor jedem, der über Religionsgrenzen und Nationalitäten hinweg Freundschaften pflegt. Vor jedem, der sich für Obdachlose einsetzt oder sozial benachteiligten Menschen eine Freude macht. Ich habe Respekt vor einem Menschen, der auf der Straße lebend, überlebt. Respekt vor so vielen Menschen, die alle auf ihre Weise Wege durch ihre Lebensräume finden.

Respekt hat noch eine andere Bedeutung. Es ist die Angst. Angst, dass wir zu lange still bleiben. Das wir die Zeichen der Zeit nicht erkennen und einer Wiederholung der Geschichte entgegen gehen. Wir leben in einer Zeit, in der die letzten Beteiligten des letzten Krieges von uns gehen. Die Wunden der Zeit sind bis heute nicht ausreichend aufgearbeitet. Die Jüngeren haben keine Verbindung mehr dazu. Ich habe Angst, dass wir vergessen, wiederholen, bereuen. Unsere Vorfahren hatten schon einmal Respekt vor einem kleinen Gefreiten, der Politiker wurde. Mein Vater hatte es erlebt und es hat seine Ansicht von Respekt geprägt. Suchen wir diejenigen, die unseren echten Respekt verdienen und verdienen diesen uns selber, in dem wir uns dem entgegen stellen!

ZDF heute – Gedenkstunde im Bundestag – Lasker-Wallfisch: „Leugnen darf nicht sein“

Das Erste – Kontraste – AfD-Fraktion während der Gedenkstunde

Ich weiß, wo der Schiri wohnt!

Foto: Maccabi Games 2015

Foto: Maccabi Games 2015

Wird man Mutter und Vater hat man in der Regel eine ungefähre Vorstellung davon, wie man seine Kinder erziehen will. Eigene Erfahrungen, Prinzipien und Vorstellungen spielen eine Rolle, aber es ist, wie gesagt, nur eine Vorstellung. Das Leben belehrt uns meist anders und viel hängt vom Charakter des Kindes ab – nicht jedes Kind kann gleich erzogen werden. In einem Punkt hatten mein Mann und ich jedoch einen festen Vorsatz: Wir wollten, dass unsere Kinder mit Sport groß werden und mit Sport die Pubertät überstehen. Danach würde es ihre eigene Sache sein, ob sie weiter Sport treiben oder nicht. Natürlich war uns klar, dass sie auch mit Sport jeden Blödsinn der Pubertät durchleben würden. In einem Punkt wären sie dennoch gewappnet: Sie wüssten was Verantwortung und Verlässlichkeit gegenüber einer Mannschaft bedeutet. Es wurde der Hockeysport. Mit fünf ½ Jahren kam die ältere Tochter, Fritzi, nach Hause und erklärte uns, dass sie von nun an Hockey spielen würde. Was diese Entscheidung für unser Familienleben bedeuten würde, war uns damals nicht klar. Hockey wurde nicht nur die Sportart beider Kinder, sondern nahm einen sehr großen Raum im Familienleben ein. Vor ein paar Tagen wurde das kleine Mädchen von damals als Hockey Bundesliga-Schiedsrichterin hoch gestuft. Eine wunderbare Leistung, ein harter Weg und viele Beteiligte, die sich heute mit der Tochter freuen können.

Es hat mit einem Zufall angefangen. Bei einem Hockeyturnier wurde mit den Mädchen und Knaben der Spielklasse A ein Schiedsrichter-Regeltest durchgeführt. Diejenigen, die den Test bestanden, bekamen eine Schiedsrichterpfeife geschenkt. Fritzi bestand den Test und ihr damaliger Betreuer der Mannschaft, Christian Kober, fand heraus, dass ihr das Pfeifen durchaus liegt. Er setzte sie immer wieder bei Punktspielen ein. Bei einem dieser Spiele wurde sie von Heiner Lohmann angesprochen, ob sie nicht Lust hätte BVH (Berliner Hockey Verband) Schiedsrichterin zu werden. Sie hätte Talent dafür und um am in Kürze stattfindenden Lehrgang teilnehmen zu können, würde er mit Michael Niggeloh sprechen. Sie nahm teil, bestand den Lehrgang in der Theorie. Die praktische Ausbildung im Rahmen eines Turniers in der Sporthalle am Steinplatz ließ Fritzi das erste Mal auf Petra Goerke treffen, die dann ihre langjährige Mentorin wurde und sie in den Mädchenförderkreis aufnahm.

Fritzi bekam ihre ersten Trikots als BHV Schiedsrichterin. Das bedeutete für die Familie jede Woche am Wochenende neue Sporthallen in Berlin kennenzulernen. Dies nicht nur bei den Spielen, die beide Töchter als Sportlerinnen mitmachten, sondern nun auch bei den Hockeyspielen, in denen die Schiedsrichterin gefordert war. Zwei Mannschaften, zwei Hockeyspielerinnen, eine Schiedsrichterin, ein Auto – logistisch war es manchmal nicht einfach. Aber – die Töchter hatten Spaß am Spiel, Fritzi an der Schiedsrichterei und wir Eltern die Möglichkeit unseren Vorsatz durchzuhalten. Hockey wurde das zentrale Familienthema.

Fritzi wurde im weiteren Verlauf für das Turnier „Jugend trainiert für Olympia“ oder die Endrundenspiele um die Berliner Meisterschaft angefragt. Damit kam sie in das Blickfeld zwei weiterer Namen, Rene Pleißner (Mitglied SRA – Schiedsrichter und Regelausschuss) und Malik Schulze (Schiedsrichterobmann des Berliner Hockey-Verbandes). Ab dem Jahr 2011 gehörte sie zum festen Schiedsrichterkader bei den Endrunden in Berlin. 2012 wurde sie vom Berliner Schiedsrichterausschuss für die Teilnahme am Länderpokal (Berlin/Rhein-Pfalz Pokal) nominiert, womit sie in den Nachwuchsbereich des DHB (Deutscher Hockey Bund) aufgenommen wurde, der durch Gabi Schmitz, Vorsitzende des Jugend-Schiedsrichterausschusses des DHB, geleitet wird.

Es folgten zwei Jahre mit persönlichen Höhepunkten: 2013 die ersten Jugendländerspiele und der ersten Endrunde der Deutsche Meisterschaft, 2014 zwei Länderspiele in den Niederlanden, die Teilnahme am Fünf Nationenturnier in England sowie die Nominierungen zu verschiedenen Endrunden. 2015 bekam sie den dritten Satz der Schiedesrichter-Ausrüstung, den der Regionalliga. In diesem Bereich wurde sie von Dirk Möller, 2. Stellvertreter SRA, unterstützt. Auch Michelle Meister, Jerrit Trebesius, Andreas Wille oder Lothar Kubig und andere haben diesen Weg begleitet. Am 28. Oktober bekam sie die offizielle Nachricht, dass sie für die 2. Bundesliga Damen (Feld) und Bundesliga Damen (Halle) hoch gestuft wurde.

Mit 13 Jahren hat Fritzi ihr erstes Spiel gepfiffen, mit 21 Jahren beginnt sie in der Bundesliga. Dazwischen liegen Jahre, die manchmal nicht so leicht waren, wie es sich hier vielleicht liest. Schiedsrichter müssen viel aushalten, blitzschnelle Entscheidungen treffen, körperlich fit sein, durchsetzungsfähig Spiele lenken, ohne den Spielfluss kaputt zu pfeifen. Sie müssen immer auf dem aktuellsten Stand der Regeln sein und trotz manchmal harter Kommentare von Trainern und Zuschauern gelassen bleiben. Ich habe oft gestaunt, wie meine Tochter so manche Bemerkung ignoriert, Rückschläge wegsteckt, scharfe Kritik verarbeitet, Nichtnominierungen hinnimmt und auf die nächste Chance wartet. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass die Jugendlichen, die sich dem Schiedsrichterwesen widmen, begleitet sind. Sie lernen zeitlich angemessen, werden beobachtet, geschult, beraten und in eine Richtung gelenkt, die ein breites Kreuz mit der Pfeife in der Hand möglich machen. Fritzi war nie allein, sondern konnte auf Unterstützung zählen – wurde gefördert und gefordert.

Letztlich darf man den Vater der jungen Dame dabei nicht außer Acht lassen. Er hat sie durch ganz Berlin gefahren, ihr immer den Rücken gestärkt, ihre Spiele beobachtet und mit ihr durchgesprochen. Hockey war und ist wohl das häufigste Thema an unserem Esstisch und wir haben oft andere familiäre Dinge hinten angestellt. Die Pubertät beider Töchter ist lange vorbei – das Hockeyspiel ist geblieben. Als die Hochstufung zur Bundesliga-Schiedsrichterin offiziell wurde, fragte Fritzi, ob wir stolz seinen. Ich habe geantwortet: Wenn du Mutter oder Vater bist und dein Kind einen Meilenstein schafft, ist es immer etwas Besonderes und ein Geschenk. Danke dem Kind für das Geschenk und den Wegbegleitern für die Unterstützung.

Und warum ich das jetzt so ausführlich und öffentlich schreibe? Ersten ist Hockey ein wunderbarer Sport. Zweitens sollte Hockey eine weitaus höhere Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit – auch im Fernsehen – bekommen. Drittens fehlt es immer an Schiedsrichtern: Eltern – wenn ihr selbstbewusste Kinder wollt – schenkt euren Kindern eine Pfeife … und fördert sie! 😉

Hühnchen, Möhrchen, Tiger und Co.

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34,4 Millionen Haustiere gab es laut statistika.com im Jahr 2015 in deutschen Haushalten, untergliedert in Katzen, Kleintiere, Hunde, Ziervögel, Gartenteiche, Aquarien und Terrarien. Eine Studie der Uni Göttingen von Prof. Dr. Renate Ohr aus dem Jahr 2014 zum „Wirtschaftsfaktor Heimtierhaltung“ gibt an, dass „Deutschlands Heimtierhaltung insgesamt einen jährlichen Umsatz von über 9,1 Mrd. Euro mit ca. 185.000 – 200.000 Arbeitsplätzen bewirkt“. Enorme Zahlen, die viel Raum für Interpretationen lassen und doch nichts über den wirklichen Wert und die Wirkung eines Haustieres aussagen. Jedes dieser 34,4 Millionen Haustiere ist für seinen Besitzer einzigartig – emotionale Ladestation, Entspannungsfaktor, Quelle persönlicher Liebe und Zuneigung, oft Schutz vor Vereinsamung. Rational ist jedem klar, dass diese Tiere eine kurze Lebenszeit haben, doch wenn sie sich verabschieden ist die Trauer groß. So wie bei uns – wir mussten uns nach 15 Jahren von unserem Tiger trennen. Ich bin eigentlich kein Katzenmensch, Hunde liegen mir eher. An diese Katze denke ich jedoch gerne zurück. Sie hat uns so viele Jahre begleitet und meine Kinder sind mit ihr aufgewachsen. Sie war besonders – dreifarbig, also eine Glückskatze, und hat nach ihren Regeln bei uns gelebt.

Ich selber bin mit Haustieren aufgewachsen. Das erste war eine Schildkröte, Mohammed, die meine Eltern damals noch legal aus Marokko mitgebracht hatten. Da wir oft zelteten, hatte mein Vater ihr ein Loch in den Panzer gebohrt und so konnte sie immer mitkommen, weil eine Nylonschnur das Weglaufen verhinderte. Das zweite Tier war ein Hund, der Boxer XuXu, den wir von Portugal mit nach Deutschland brachten. Ich habe das Bild noch vor Augen, als der Hund das erste mal mit Schnee in Kontakt kam. Der Schnee lag über Nacht einen Meter hoch im unserem Hof und der Hund tobte so sehr darin, dass man nur hin und wieder die spitzen Ohren sah. Der zweite Hund kam mit 9 Monaten in unser Haus, Afra von der Neusiedlung, ein irischer Setter mit dem wir aufwuchsen. Sie sollte als Jagdhund dienen, jagte aber lieber selber als dem Jäger sein Handwerk zu überlassen und wurde Familienhund. Sie wurde 16 Jahre alt und hatte zwei Würfe mit ihrer großen Liebe aus der Nachbarschaft, einem langhaarigen Schäferhund.

Afra musste viele andere Haustiere dulden. Bei uns zuhause mit fünf Kindern waren oft Tiere, die gerettet werden mussten. Die waren natürlich nur kurz da, sofern mein Vater entschied, dass man sie retten konnte – sonst waren sie noch kürzer da. Ich hatte einmal zwei Hamster, an denen ich aber die Lust verlor als mich beide gleichzeitig in beide Daumen bissen. Meinen Daumen brauchte ich noch selber. Bei den Geschwistern blieb der Nymphensittich Hühnchen, die Zebrafinken und Fische in Erinnerung. Der jüngste Bruder kann die Graugans „Gertrud“ im Lebenslauf erwähnen und verzeiht uns bis heute nicht die Witze, die wir mit Kochtöpfen in Bezug zu ihr machten. Und obwohl mein Vater keine Katzen mochte, kam irgendwann doch eine ins Haus. An das schwarz-weiße Flöhchen erinnere ich mich noch, weil sie nichts schöner fand als die nackten Füße eben des Vaters zu jagen.

Später kamen sogar Hühner dazu. Als meine ältere Schwester in Belgien heiratete, schenke unser Onkel ihr einen Schnellkochtopf – lebendes Huhn inklusive. Ein Huhn allein geht aber nicht und da mein Vater wundersamer Weise es nicht übers Herz brachte dieses eine Huhn zu schlachten, zudem ein Hühnerhaus vorhanden war, kauften wir auf dem Sonntagsmarkt in Mons halt sechs Küken dazu. Pech war, dass alle sechs Küken wunderschöne Hähne wurden. Da war wirklich was los im Hof und so konnte nur ein Hahn übrig bleiben. Andere Hühner kam hinzu und meine Mutter konnte immer über einen guten Vorrat an frischen Eiern verfügen.

Wir bekamen also reichlich Erfahrung mit Tieren, einschließlich Jagdtieren. Der Vater war Hobbyjäger und der Ansicht, dass wir Kinder wissen mussten, wie man einem Kaninchen das Fell über die Ohren zieht. Es könnte ja sein, dass wir einmal dadurch überleben mussten. In meinem Fall eine einmalige Erfahrung. Überhaupt mochte ich die erjagten Tiere nicht, da zum einen immer tot und wer zum anderen einmal ein Fasanbeinchen versucht hat zu essen, das mit Bleikugeln gespickt war, den Geschmack daran verliert. Für drei Tage hatten wir zwei Karpfen. Die schwammen in der Badewanne und wurden viel von uns gestreichelt. Nur war irgendwann die Wanne leer und die Karpfen auf dem Tisch – wir Kinder verweigerten. Als wir älter waren stank es irgendwann fürchterlich aus dem Keller. Nach sehr langer Ursachensuche wurde klar, dass Mohammed aus Marokko den Winter nicht überlebt hatte. Sie überwinterte immer im Kohlenkeller und mein Vater hatte dort einen Schrank abgebeizt. Die Dämpfe haben ihr bis dahin langes Leben beendet. Schade, denn sie war schon stattlich groß und hübsch.

Zuhause ausgezogen, versuchte auch ich es kurz mit Zebrafinken. Danach lebte ich viele Jahre ohne Haustier und heiratete einen Mann, der sogar ganz ohne Tiere aufgewachsen war. Das änderte sich erst wieder mit den eigenen Kindern. Die Kleinste hatte Angst vor Tieren überhaupt und war das einzige Kind in der Welt, dem man mit einem Zoobesuch keine Freude machen konnte. Die Tochter aus erster Ehe meines Mannes beschloss künftig ebenso bei uns zu leben und sie war Katzen bei der Mutter gewohnt. So erkämpfte ich gegen den hartnäckigen Widerstand meines Mannes, die Zustimmung für eine Katze – aus psychologischen Gründen natürlich. Aus der ersten einen Katze wurden zwei, denn die Schwester des zugesagten Katers hatte auch noch kein Zuhause. Zwei Katzen sind ja einfacher zu halten als eine. Tiger (dreifarbig) und Puma (schwarz) wohnten von nun an bei uns. Mit den beiden sind meine Kinder aufgewachsen und mit ihnen haben wir wirklich viel erlebt. Die Tierphobie der Kleinsten war schnell überwunden und ich habe immer gestaunt, was ein Tier alles mitmacht, wenn es von kleinen Mädchen als Puppenersatz bespielt wird. Jedenfalls kam es oft vor, dass zur Futterzeit eine Katze ganz lässig mit T-Shirt gekleidet zu mir in die Küche kam.

Meinen Kampf, dass kein Tier in ein Bett gehört habe ich offiziell gewonnen. Inoffiziell möchte ich nicht wissen, wie oft sie in unseren Federn lagen, wenn ich nicht da war. Erwischt habe ich einmal unter weißer Tagesdecke eine schwarze Schwanzspitze und sie dann flitzen sehen. Auch der Gatte gewöhnte sich an die beiden und die tierliebe Nachbarin übernahm immer den Dienst, wenn wir verreisten. Nur die Sache mit den Geschenken der Katzen konnten wir zwischen uns nie befriedigend klären, wollte sich doch bei mir keine Dankbarkeit für tote Mäuse oder Vögel einstellen. Zu den Katzen kam ein Hund. Den hatten wir der Schwiegermutter als Welpe geschenkt und sie liebte ihn sehr. Eddi, der Golden Retriever, schlich sich in unsere Herzen. So sehr meine Schwiegermutter ihn aber auch liebte, vergaß sie, dass man so einen Hund erziehen muss. Eines Tages war er groß, pubertär, der Chef im Haus und nicht mehr zu halten. Weggeben ging nicht – der Kinder wegen und so blieb nur, ihn zu uns zu holen. Die Katzen waren nicht begeistert, der Gatte auch nicht, wobei letzterer ihn ja schon sehr mochte. Die Katzen verpassten ihm rechts-links Kombinationen und machten ziemlich schnell deutlich in welchem Radius sich Eddi um sie herum bewegen durfte.

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Eddi und ich haben im ersten halben Jahr sehr darum gerungen, wer von uns beiden Chef im Haus ist. Nach einem Biss, an dem ich selber Schuld war, waren wir beide Blutsbrüder und ich seit dem sein Chef. Trotzdem haben wir noch weitere zwei Jahre viel Zeit mit dem Hundetrainer verbracht. Nicht, weil der Hund nichts kapierte, sondern weil es Spaß machte. Der Puma musste nach einem Unfall vor ein paar Jahren gehen, was sehr hart für die Kinder war. Tiger und Eddi wurden nun gemeinsam älter, und in den letzten ein/zwei Jahren näherten sie sich sogar an. Bei Gewitter war es durchaus möglich, dass sie beide zusammen lagen und pünktlich um 18.00 Uhr war Zeit für friedliche Koexistenz in der Küche. Tiger fraß, Eddi fraß auch und wartete immer bis die Katze satt war und wegging … um dann nach eventuellen Katzenfutter-Resten zu schauen.

Jetzt musste auch der Tiger gehen. Ein Tumor hat seit Ende besiegelt und da kein Tier unnötig leiden sollte, durfte sie friedlich in unseren Armen bei der Tierärztin einschlafen. Was ich vorher nicht für möglich gehalten hätte: Der Tiger sollte im Garten begraben werden, wo auch der Bruder liegt. Wir nahmen die tote Katze mit nach Hause und ich legte sie auf die Terrasse in einer Decke eingeschlagen. Während mein Mann das Loch grub, kam der Hund und leckte die Katze immer wieder ab um sie aufzuwecken. In dieser Nacht war er nicht dazu zu bewegen ins Haus zu kommen, sondern legte sich neben das Grab und passte bei der Katze auf. Er hatte eine Freundin verloren, was man ihm mehrere Tage anmerkte. Meine Kinder trauerten ebenso, die Große auf ihre Weise, die Jüngere sehr heftig. Auch wir Eltern empfinden eine gewisse Wehmut, können mit den Unabänderlichkeiten der Dinge aber besser umgehen. Natürlich entstand sofort die Diskussion nach einer neuen Katze. Die Kinder sind aber beide in einem Alter, das viel Veränderungen in den nächsten Jahren verspricht. Mein Mann und ich möchten keine Katze mehr … der Hund wird sicherlich nicht der letzte sein.

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Ich bin allen Tieren dankbar, die meinen Weg begleitet haben. Besonders diesen beiden Katzen für das was sie uns, besonders meinen Kindern, gegeben haben. Aber – es sind Tiere, die nicht vermenschlicht werden sollten. Trotzdem sind es fühlende Wesen, die in der Lange sind, Stimmungen des Menschen aufzunehmen, bei Krankheiten helfen, trösten und Lachen erzeugen können. Sie können Kindern Verantwortung beibringen, Selbstbewusstsein schenken, Einsamkeit zunichte machen, können Freund sein, Liebe erwidern und vieles andere mehr. Sie geben uns Menschen echte Gefühle und Zuneigung. Natürlich bezweifele ich, ob der Fisch im Aquarium oder die Echse im Terrarium mir das geben kann, wozu mein Hund in der Lage ist, aber vielleicht verstehe ich nur nicht, wie Fisch und Echse Zuneigung und Treue vermitteln. Ich denke aber, dass jedes dieser 34,4 Millionen Haustiere seine Berechtigung hat und einen Platz in einem Herzen.

Der kleine König

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Sein Name hat einen persischen Ursprung und bedeutet König. Im keltischen bedeutet es weiser oder alter Mann, aber bis es soweit ist, wird es noch lange dauern, ist er doch gerade erst geboren. Halten wir uns ans Persische, denn königlich sind auch die Empfindungen, wenn man den kleinen Kerl sieht. Mit seinen gerade mal 50 Zentimetern fällt die Vorstellung, dass daraus einmal ein großer Mann wird, im Moment noch etwas schwer. Mein Bruder ist Vater geworden. Lange war mein Besuch geplant und da das Baby so unpünktlich gar nicht war, konnte ich die zweite Lebenswoche begleiten. Es ist ein unglaublich schönes Gefühl, ein Kind in den Armen zu halten, dessen Vater ich vor 33 Jahren ebenso im Arm hielt, den 21 Jahre jüngeren Bruder. Wie schön muss dieses Gefühl für die Großmutter des Kindes sein?

Wenn ich ihn im Arm halte kommen viele Gedanken und Erinnerungen auf. Allein der Geruch des Säuglings, der mit nichts anderem zu vergleichen ist. Das Schutzgefühl, das sich automatisch in mir ausbreitet. Das wohlige Gefühl, wenn ich die zarte Haut streicheln kann. Der Hoffnung, dass ihm nur das Beste im Leben widerfährt. Die Erinnerung an die eigenen Kinder, die so klein, so zart, so schutzbedürftig waren. Es ist immer wieder ein kleines Wunder, wenn so ein kleines Kind eine ganze Familie bereichert und erwachsene Menschen zu emotional gesteuerten Tagträumern macht.

Die Rollen sind neu verteilt. Der Bruder, der lange alleine lebte, hat eine wunderbare Frau gefunden und aus dem Bund ist dieses Kind entstanden. Ein Kind, das in Liebe geboren ist und zwei sehr große Familien verbindet. Wir lernen den Bruder in seiner neuen Rolle kennen. Merken, wie er Verantwortung übernimmt, die er bislang nicht kannte. Freuen uns, wie er seine Jugendhaftigkeit behält und erzählt, welche Pläne er hat und was er einmal alles mit seinem Sohn machen wird. Sehen die Freude und den Stolz in seinen Augen als ihm bewusst wird, dass sein Sohn mit den Augen seinem Finger folgen kann. Wir lernen, dass seine Frau nun die erste Stelle einnimmt und er seine eigene Familie hat. Und wir freuen uns, dass diese Frau seine Familie genauso angenommen hat wie die Familie sie.

Die Familien des kleinen Königs könnten unterschiedlicher nicht sein, wobei sie sich in der Größe nicht viel geben. Er ist eins von fünf, sie ist eins von acht Kindern. Die eine, europäische, Großmutter hat die komplette Erstlingsausstattung des Vaters aufgehoben. Da er ein Nachzügler war, musste sie damals alles noch einmal anschaffen. Das sollte nicht noch einmal passieren, da die Töchter schon erwachsen, auch Mütter werden könnten. Das bedeutet, dass der neugeborene Sohn nun die gleichen Strampelanzüge trägt wie der 33-jährige Vater. Dies fand die andere, afrikanische, Großmutter unglaublich als sie es hörte, da in ihrem Land ganz andere Traditionen, Gepflogenheiten und Erfordernisse im Umgang mit Säuglingen gelten. Es gibt zum Beispiel keine Kinderwagen. Dort, wo sie lebt, werden die Kinder am Körper getragen. Müssen doch einmal längere Wege zurück gelegt werden, ist immer jemand im Familienverband zur Stelle, der das Kind hütet. Und damit ihr Enkel im fernen Europa auch den richtigen Kinderbrei bekommt, ist ein Paket unterwegs mit einem Getreide, dass hierzulande nicht zu bekommen ist.

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Das die Mutter des kleinen Kerls aus einer anderen Kultur kommt, merkt man deutlich. Ich habe selten eine so entspannte junge Mutter erlebt. Ich denke, so entspannt war ich selber kaum. Mit einer Engelsruhe widmet sie sich ihrem Kind, wird kaum nervös und verliert nie die Geduld. Ihr ist das Glück anzusehen und das macht sie wunderschön. Aber einmal habe ich sie doch erwischt. Wir wollten spazieren gehen. Der kleine Kerl wurde von uns in den Kinderwagen gelegt und meckerte lautstark und lange. Nach ein paar Metern hörte es schlagartig auf und er schlief. Die Mama musste doch ein paarmal prüfen, ob alles mit ihm ok ist. Ha, das kannte ich doch – wie oft ging ich ans Kinderbett, wenn mein Kind länger schlief, um zu prüfen, ob alles gut ist.

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Nun muss sich die kleine Familie bewähren, wird täglich Veränderungen erfahren und im Miteinander wachsen. Wir sind Begleiter, unterstützen, wo es sinnvoll ist und stützen, wenn es erforderlich wird. Freuen uns an deren Glück und wünschen uns, dass der kleine Kerl einen guten Lebensweg vor sich hat. Nach einer Woche bin ich nach Hause gekommen, voller Erinnerungen, wie es für uns damals war, als unsere Kinder noch so klein waren. Es war wunderschön, aber auch die Jahre, die seither vergangen sind, waren im Miteinander wunderschön. Vielleicht werde ich einmal erfahren, wie das Gefühl einer Großmutter ist, die ihr Enkelkind das erste Mal auf dem Arm hält. Beim kleinen König durfte ich sehen, wie meine Mutter ihn hielt – es muss großartig sein.

Mit Sicherheit „JA!“

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Foto: Henriette Schmidt

Die größtmögliche Vermeidung eines jeglichen Risikos, das unsere Person, Familie oder unsere Lebensumstände stört, um den Zustand der Sicherheit (lat. sēcūritās) zu erreichen, liegt von Natur aus im Bestreben der Menschen. Diese Sicherheit unterliegt jedoch permanenter Veränderung, da Fortschritt und Weiterentwicklung ebenso in seiner Natur liegen. Wenn sich nun Grenzen verändern, Lebensumstände untragbar werden, Kriege ein Leben unmöglich machen, fängt der Mensch an zu wandern und das Sicherheitsgefüge vieler gerät ins wanken. Diejenigen, die sicher beheimatet sind, möchten den Zustand bewahren. Diejenigen, die wandern, möchten den Zustand erlangen. Auch aus dem zweiten Aspekt, dort wo Wenige mehr haben als Viele und Ungerechtigkeit eine Überlebensfrage wird, wandert der Mensch und wird das Sicherheitsempfinden anderer ins Wanken bringen. Das richtige Mittelmaß beider Gruppen zu sättigen, würde die Flüchtlingsfrage, den Ursprung von Rassismus und Ausländerfeindlichkeit dauerhaft lösen

Aber dieses Mittelmaß wird es nie geben und es wird immer eine Frage der Bereitschaft bleiben, Veränderungen zuzulassen oder sich ihnen entgegenzustellen. Es wird immer Menschen geben, die teilen und helfen, oder Menschen, denen die eigene Besitzstandswahrung wichtiger ist. Es gibt immer Menschen, die sich für Flüchtlinge engagieren und die Flüchtlingsarbeit als gesellschaftliche Aufgabe und Verantwortung sehen. Genauso wie es Menschen gibt, die aus eigener Unsicherheit oder Ängsten für diese Arbeit nicht zu öffnen sind oder ganz einfach nicht zuhören und verstehen wollen. Umso wichtiger ist es, dass die Einsichtigen den Flüchtlingen helfen, sich mit ihnen auseinander setzen, ihre Motive hören und versuchen zu verstehen, warum sie sich auf unglaubliche Wege machen, Gefahren in Kauf nehmen und einer vollkommen ungewissen Zukunft entgegen gehen.

Hilfreich ist sicherlich, wenn wir den Begriff der Sicherheit einmal für uns selber definieren. Uns selber klar machen, was wir brauchen um uns wohl, angenommen, beschützt, akzeptiert zu fühlen um uns in unserem Umfeld frei und glücklich entfalten zu können. Haben wir das für uns deutlich gemacht, wird auch klar, was diese Menschen alles nicht haben. Nicht einmal, wenn sie es tatsächlich geschafft haben in diesem Land anzukommen.

„Sicherheit ist wie ein Käse mit Löchern.“ sagt Veronika Mampel. Sie hat sich von Anfang an für Flüchtlinge eingesetzt, als die Notunterkunft in der Sporthalle, Lippstädter Straße, eingerichtet wurde. Sie hat mit den Menschen gesprochen, dafür gesorgt, dass sie mit dem Nötigsten versorgt wurden, sich um viele administrative Dinge gekümmert und letztlich dafür gesorgt, dass eine Möglichkeit für diese Menschen bestand, außerhalb der Halle einen Ort zu haben, an dem sie Ruhe finden und sich entspannen können. Das KiJuNa – Kinder-, Jugend- und Nachbarschaftszentrum öffnete für sie die Türen und fortan kamen jeden Tag bis zu 40 Flüchtlinge in die Einrichtung. Man lernte sie kennen, sie erzählten und „Flüchtling“ war kein Wort mehr ohne Gesicht.

Man muss sich vorstellen, sagt Veronika Mampel, dass sie bei Ankunft erst einmal Polizisten sehen. Dann werden sie beispielsweise in einer Halle untergebracht, in der Bett an Bett steht. In der Halle leben Menschen aus verschiedenen Ländern, ggf. aus den Ländern mit denen sich die eigene Heimat im Krieg befindet. Sie wissen nicht, ob ihre Nationalität hier anerkannt ist, können die Anträge nicht verstehen, die sie stellen müssen. Bei allen Fragen, Bedürfnissen, Befürchtungen müssen sie hoffen einen Dolmetscher zu finden der helfen kann. Einzig sicher ist nur das Dach über dem Kopf und das was sie am Körper tragen können. Selbst außerhalb der Halle wissen sie nicht, was für Gefahren in Form von Widerständen, Ablehnung, Fremdenhass, ihnen entgegen tritt. Nur dieser Zustand ist ihnen sicher, solange bis eventuell einmal ihr Status geklärt sein wird. Dürfen sie bleiben, bekommen sie vielleicht ein Gefühl von Sicherheit. Müssen sie gehen, bleibt einzig die Hoffnung, doch noch irgendwo in dieser Welt einen Ort zu leben zu finden.

Die, die erst einmal bleiben dürfen, bis der Status geklärt ist, leben in einer Erstunterkunft. Eine Sozialpädagogin, die sich mit einem Team um diese Menschen kümmert, erzählt uns, dass diese Menschen in großer Unsicherheit leben solange der Status nicht geklärt ist. Das bringt große Probleme in Alltag mit sich, den sie so gerne planen und regeln würden. Dies insbesondere, weil sie das Gefühl haben, in einem Land zu sein, in dem alles möglich ist. Aber, sie erzählt auch von dem großen Vertrauen, das diese Menschen ihnen entgegenbringen, weil sie verstanden haben, dass sie hier nur eine Chance haben, wenn sie sich integrieren. Und natürlich lernt man sie mit der Zeit kennen, versteht die Schicksale, die sie mitbringen. Wenn dann einer von ihnen den Bescheid bekommt, dass er hier bleiben darf, ist es auch immer etwas mit Wehmut verbunden und der Hoffnung auf einen glücklichen weiteren Weg.

Aber es gibt ebenso diejenigen, die nicht anerkannt werden und wieder ihn ihr Heimatland zurück müssen. So ist es auch in der Notunterkunft geschehen und Menschen, mit denen man die ein oder andere Stunde verbracht hat, müssen zurück. Die Ratlosigkeit und Enttäuschung sind dabei kaum in Worte zu fassen. Aber ihre Worte sollten gesagt werden und so folgten ein paar von ihnen einer Einladung zu einem Gespräch im KiJuNa. Es waren serbokroatische und albanische Menschen, die dort saßen und von ihrem Weg erzählten, der sie illegal über Ungarn und Österreich nach Deutschland führt. Alle von der Hoffnung getrieben in ein besseres Leben zu laufen. Sie erzählten von 10stündigen Fußwegen, von den Gefahren und Hindernissen und besonders der Ausweglosigkeit, falls sie wieder zurückkehren müssen. Davon, dass sie sich Geld geliehen hätten um hierher kommen zu können und nicht zu wissen, wie sie es je bei der Rückkehr zurück geben könnten. Der Blick in ihre Gesichter genügt um die menschliche Ratlosigkeit dahinter zu erahnen.

Und trotzdem äußern sie die Dankbarkeit, die sie empfinden, wie sie hier behandelt und aufgenommen wurden. Sagen auch, dass die deutschen Behörden richtig und nach den Gesetzen handeln. Bedanken sich für die Stunden der Abwechslung, der Ruhe und Anteilnahme, die ihnen in der Nachbarschaftseinrichtung entgegengekommen ist.

In diesem Video können sie die Menschen sehen, wie sie von ihrem Leben, der Zukunftsangst und Perspektivlosigkeit sprechen. In ihren Sprachen mit zusammengefassten Übersetzungen. Sicherlich ist nicht alles für uns zu verstehen, dass Gefühl, was diese Menschen durchmachen und erleben wird dennoch transportiert.

Geschichte der Flüchtlinge

Diese Erlebnisse und nicht zuletzt die furchtbaren Nachrichten aus dem Mittelmeer machen deutlich, dass sich Europa für Hilfe suchende Menschen öffnen muss. Es spielt keine Rolle, ob Menschen wegen Krieg oder Verfolgung flüchten müssen oder ob Hunger, Armut und Perspektivlosigkeit die Gründe sind. Immer steht einzig der Wunsch auf ein sicheres Leben im Hintergrund. Unsere vordergründige Sicherheit ist keine Rechtfertigung einen einzigen verzweifelten Menschen ins Elend zurückzuschicken. Und bevor unsere Sicherheit auch nur einen einzigen Kratzer abbekommt, können wir noch sehr viele dieser Menschen an unserem Wohlstand teilhaben lassen! Die Antwort auf die Frage, ob wir Flüchtlingen helfen oder nicht, kann daher nur sein: „Mit Sicherheit JA!“

Einen herzlichen Dank an Veronika Mampel (Gespräch) und Kristoffer Baumann (Video), wodurch dieser Beitrag möglich wurde!

Leitartikel der Homepage des
Stadtteilzentrum Steglitz e.V. vom 27. April 2015

Der Traum von der Musik-Kita mit dem Hund

Feza Guschke März 2015

Feza Guschke

Als sie eines Tages ihrer Arbeitsbereichsleiterin erzählt, dass sie von einer Kita mit einem Hund träumt, bekommt sie als Antwort gesagt: „Warum nicht!“ Genau damit hatte sie nicht gerechnet, da die Antwort mehr aussagte, als dass allein die Vorstellung möglich ist. Die Antwort bedeutete ebenso, dass man empfänglich für ihre Visionen und Vorstellungen ist. Hier werden Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet und neu Perspektiven bereitgestellt. Das hatte sie fasziniert – ein Arbeitsplatz, der nicht in einem starren Muster verharrt, sondern wo es gewünscht ist an neuen Entwicklungen aktiv teilzuhaben und mitzuarbeiten. Zum 1. März hat Feza Guschke die Leitung der Kita Lichterfelder Strolche übernommen. Sie übernimmt damit die Verantwortung für eine der drei Kita’s des Stadtteilzentrum Steglitz e.V., aber eine neue Kollegin ist sie dennoch nicht.

Feza Guschke war Erzieherin im Team der Lankwitzer Maltinis, eine relativ neue Einrichtung des Stadtteilzentrums, die im August 2013 eröffnete. Hier konnte sie von Anfang an den Kita-Alltag, die Atmosphäre und die Teambildung mit gestalten. Recht schnell war deutlich, welches kreative Potential sie dafür mitbrachte. Feza erzählt lächelnd, dass sie einmal von einem Dozenten als ein Fass voll Kreativität bezeichnet wurde. Es ist ihr bewusst und sie sagt, dass sie Möglichkeiten braucht um all das loszulassen und zu teilen, was in ihr steckt. Mit wem könnte sie dies nun wieder besser teilen als mit Kindern. Kinder kennen für sie keine Grenzen. Sie sind bereit, sich und ihre Umwelt auszuprobieren und unvoreingenommen allem zu begegnen, was sie spannend und interessant finden. Unvoreingenommenheit zu erhalten und so wenig Grenzen als möglich zu setzen sind Dinge, die sie den Kita-Kindern erhalten möchte. Voraussetzung dafür ist, dass Kinder Regeln lernen, Pflichten einhalten und durch Verlässlichkeit wiederum Freiheiten erhalten. Klingt schwierig? Ist es nicht, denn wenn man die Ruhe und Überzeugung spürt, die Feza ausstrahlt, wenn sie das sagt, spürt man auch, dass sie die Persönlichkeit hat, dies umzusetzen.

Feza Guschke lernt gerne, für sich selber, von Kindern, von den Menschen, die ihr begegnen. In diesem Jahr wird sie ihre Zusatz-Ausbildung zur Facherzieherin für Musik und Rhythmik beenden. Musik gehörte von Kindheit an zu ihrem Leben dazu, ist etwas, was sie ihren eigenen Kindern mitgibt und auch den Kita-Kindern vermitteln möchte. Die Möglichkeiten zusätzliche Fachausbildungen zu machen, schätzt sie sehr an ihrem Beruf. Je nach Neigung und Fertigkeiten kann man Kompetenzen erlangen, sich in alle Richtungen weiterbilden und entwickeln. Sie selber musste immer lernen, sich neuen Situationen anzupassen und sich in neuen Begebenheiten zurecht zu finden. In Berlin geboren, erlebte sie ihre ersten drei Lebensjahre bei der Großmutter in der Türkei. In Berlin wieder bis zu ihrem 12 Lebensjahr, um dann bis zum 28. Lebensjahr in der Türkei zu leben. Dort absolvierte sie die erste Ausbildung und das Studium zur Deutschlehrerin. Als Lehrerin machte sie ihrer ersten Erfahrungen mit der Art und Weise, wie Kinder lernen und lernte die verschiedenen Wege kennen, Kindern etwas beizubringen. Durch Heirat und Geburt der eigenen Kindern wurde Feza endgültig in Berlin sesshaft. Das frühere Lehramt wollte sie nicht mehr ausüben. Kinder zu bewerten gehörte nicht zu der Vorstellung von Förderung die sie wollte. Sie entschloss sich nach der Elternzeit zur Erzieherausbildung. Diese Ausbildung bezeichnet Feza als Reise zu sich selber. Sie sei für Dinge sensibilisiert worden, die sie persönlich bereichert hätten. Es sei einer Reflexion der eigenen Person nahe gekommen, von der sie in vielen Bereichen bis heute profitiert und nicht zuletzt die Themenvielfalt und -vertiefung hätte sie an dieser Ausbildung geschätzt.

Nun hat die nächste Veränderung begonnen und sie wird ein Team von ErzieherInnen in der Kita leiten. Das Wort Leitung mag sie noch nicht besonders und muss sich daran gewöhnen. Als Begleitung sieht sie sich lieber, denn auch die Weiterentwicklung der Kolleginnen liegt ihr sehr am Herzen. Die Entscheidung ist ihr nicht leicht gefallen, war sie doch fest in ihre Arbeit der Kita Maltinis integriert. Dort hinterlässt sie wertvolle Kontakte zu Kindern, Eltern, Kolleginnen, die sie vermissen wird. Letztendlich war die Neugierde und Herausforderung stärker. Die Möglichkeit selber Perspektiven und Ziele zu entwickeln, eine Kita zu gestalten, Kolleginnen in ihren Ideen zu fördern und von ihren eigenen Ideen zu begeistern. Ausschlaggebend für den Zuspruch die Projektleitung zu übernehmen, war letztendlich das Vertrauen, das Arbeitsbereichsleitung und Geschäftsführung in sie setzten und besonders die Zusicherung jeglichen Rückhalt zu haben, den sie braucht.

Feza Guschke liebt Kommunikation in jeglicher Form, gleichgültig ob über Musik, Gestik oder Worte. Sie vermittelt das Gefühl, zuzuhören, was ihr Gegenüber sagt. Mit den Kita-Eltern möchte sie auf Augenhöhe arbeiten, möchte, ihr Vertrauen gewinnen und hofft auf wertschätzende Zusammenarbeit. Es ist ihr wichtig, Situationen aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, offene Gespräche zu suchen und so für alle optimale Lösungen zu schaffen, die einen achtsames Miteinander ermöglichen. Das sind ihre ersten Ziele in der „neuen“ Kita, die sie von nun an leiten wird. Oder doch eher begleiten? Alles ist offen, denn diese Frau lernt schnell – und wer weiß, vielleicht berichten wir an dieser Stelle einmal von der Musik-Kita mit dem Hund

Wir wünschen Feza einen wunderschönen Beginn und den Erfolg, den sie sich wünscht. An ihrem neuen Arbeitsplatz beim alten Arbeitgeber, der sich besonders freut, eine Kita-Leitung mit einer bewährten Kollegin aus den eigenen Reihen besetzen zu können. 

Leitartikel der Homepage des
Stadtteilzentrum Steglitz e.V. vom 2. März 2015

 

Die Gedanken sind frei, …

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… wer kann sie erraten? 
Sie fliegen vorbei
wie nächtliche Schatten.
Kein Mensch kann sie wissen,
kein Jäger erschießen
mit Pulver und Blei.
Die Gedanken sind frei!

Dieses alte Volkslied, das etwa 1790 entstand, symbolisiert den Gedanken von Freiheit. Die Freiheit der Menschen, der Gedanken, der Meinungen. Menschen wollen frei sein und seit Jahrhunderten versuchen wir diese Freiheit gegen Machtverhältnisse, Religionen und Wirtschaftsverhältnisse zu erkämpfen. Freiheit ist immer dort in Gefahr, wo wenige Menschen über viele Menschen Macht bekommen wollen und einseitig ihre Meinung radikalisieren. Diese Freiheit muss wieder einen schrecklichen Angriff aushalten. Die Fassungslosigkeit lähmt, erschüttert und macht sprachlos …

Unser Respekt, unsere Hochachtung und unsere Anteilnahme gilt den Redakteuren von Charlie Hebdo. Sie wussten, was sie tun und welcher Gefahr sie ausgesetzt sind. Trotzdem haben sie sich nicht abschrecken lassen, ihrer Überzeugung mit jeder Ausgabe der Zeitung Ausdruck zu geben. Aber nicht einseitig, sondern in alle Richtungen. Mutige Männer und Frauen, die für freie Meinungsäußerung mit Satire gekämpft haben und damit allen Menschen symbolisch geholfen haben. Unter Tränen erklärt ein überlebender Redakteur, dass die nächste Ausgabe der Zeitung pünktlich erscheinen wird. Wie unglaublich wertvoll ist diese Überzeugung, wenn ein Mensch unter dieser Belastung solch eine Aussage trifft?

Meinungsfreiheit – ein Privileg, das längst nicht in allen Ländern der Welt gilt, wohl eher den wenigsten. Und wenn wir ehrlich sind, auch bei uns ist diese Meinungsfreiheit nicht 100 %ig gegeben. Kann sie ja auch nicht, weil sie schon im Kleinsten beginnt und nur funktioniert, wenn sich alle an Spielregeln halten. Ein Mensch, eine Meinung. Zwei Menschen, zwei Meinungen und schon fangen die Spielregeln an. Ist meine Meinung fundiert und berechtigt? Aus welchen Erfahrungen entspringt sie. Kann ich sie rational vertreten und gut argumentieren. Verletzt meine Meinung keine andere Person, schränkt sie niemanden ein, unterwirft sie niemanden, kann sie gegenüber anderen Meinungen Stand halten? Kann ich andere Meinungen bestehen lassen? Lasse ich mich auf andere Meinungen ein?

Eine Meinung kommt nie aus dem Nichts. Sie ist die Summe der Dinge, die wir erlebt haben, des Umfeldes in dem wir uns bewegen, der Vorlieben, die wir haben. Meinungen entstehen aus vielen Faktoren und dürfen gesagt werden – wenn sie respektvoll und friedlich vertreten werden. Aber freie Meinungsäußerung ist auch ein kostbares Gut mit dem wir verantwortungsvoll umgehen müssen. Und das gilt für alle – den einzelnen Menschen, die Presse und Vertreter im öffentlichen Raum. Die Verantwortung tragen diejenigen, die einen Blog schreiben und mit Worten öffentlich jonglieren. Menschen, die Bücher schreiben. Meinungen werden beeinflusst und gelenkt. Dürfen radikal, aber nicht erzwungen sein. Sie wollen bewegen und ändern. Ist eine Meinung, eine Ansicht stark genug, kann sie Kritik vertragen und hält dann auch Satire aus. Hält aus, dass sie hinterfragt und geprüft wird – egal von welcher Seite. Ist sie stark genug, setzt sie sich in Gedanken anderer fest und wird Bestand haben, sich entwickeln, bewegen.

Entscheidend in diesem Punkt ist auch das Menschenbild, das wir haben. Kann ich die Meinung eines Kindes neben meiner erwachsenen Meinung bestehen lassen? Kann ein Geselle eine Lehrlingsmeinung akzeptieren? Ein Lehrer, die eines Schülers oder der Chef die des Mitarbeiters? Kann ein Atheist die eines religiösen Menschen akzeptieren? Und schaffen sie es in einem friedlichen Austausch ihre Meinungen auf den Prüfstand zu stellen. Eine Meinung zu haben und zu vertreten ist ein Grundrecht der Menschlichkeit und darf niemanden verwehrt werden. Tun wir das, verwehren wir auch jeglichem Fortschritt die Möglichkeit der Entwicklung.

Meinungen können sehr weh tun und natürlich verletzen. Sie können unbequem sein. Wenn ich andere Meinungen zulasse, die nicht meiner entsprechen, mache ich mein eigenes Haus schwächer. Je nachdem, wie ich damit umgehe, kann ich daraus einen Fortschritt erzielen, den ich steuern kann oder ich unterdrücke es und werde dadurch immer brüchiger. Dennoch hat jegliche Entwicklung in der Geschichte der Menschen damit zu tun, dass Menschen andere Meinungen hatten und dafür Kriege geführt haben.

Meinungen zuzulassen und Gedanken laut äußern zu dürfen, sollte eine Errungenschaft einer zivilen Gesellschaft in der heutigen Zeit sein. Es kann und darf nicht sein, dass dies durch Waffen oder Angst einiger weniger zerstört wird. Es ist in Ordnung, wenn Menschen an Religionen glauben, wenn sie es für sich brauchen. Es ist in Ordnung, wenn Menschen nicht glauben, weil sie darin keinen Sinn sehen. Es muss erlaubt sein, dass beide Seiten darüber humorvoll streiten, wenn auch immer ein Kern Kritik dahinter steht. Aber es ist nicht in Ordnung, wenn das ein oder andere mit Waffen zerstört wird. Genauso wenig, wie es sein darf, dass eine fremde Auffassung als Grund für Terror missbraucht wird.

Sophie Scholl hat das Lied „Die Gedanken sind frei“ ihrem inhaftierten Vater vor den Gefängnismauern vorgespielt. Es war schon immer ein Lied für Freiheit, für freie Meinungen, gegen Terror … Ausdruck dafür, dass freie Gedanken nie verhindert werden können und sich letztlich durchsetzen … wir sollten es wieder öfter singen und dabei Zeichenstifte anspitzen.

Ich denke, was ich will 
und was mich beglücket, 
doch alles in der Still‘, 
und wie es sich schicket. 
Mein Wunsch und Begehren 
kann niemand verwehren, 
es bleibet dabei: 
Die Gedanken sind frei! 

Und sperrt man mich ein 
im finsteren Kerker, 
ich spotte der Pein 
und menschlicher Werke; 
denn meine Gedanken 
zerreißen die Schranken 
und Mauern entzwei: 
Die Gedanken sind frei! 

Drum will ich auf immer 
den Sorgen entsagen, 
und will mich auch nimmer 
mit Grillen mehr plagen. 
Man kann ja im Herzen 
stets lachen und scherzen 
und denken dabei: 
Die Gedanken sind frei!

Generationswechsel …

annaschmidt-berlin_generationswechsel

Ich gebe zu, dass ich diesbezüglich gedankenlos war oder blauäugig könnte man es auch nennen. Denke jedoch eher, ich wollte mich nicht damit auseinandersetzen. Wollte, dass es immer so bleibt, wie es ist. Ich wollte die Vorzüge genießen, erwachsen zu sein und dennoch hin und wieder in die Rolle des Kindes zurück schlüpfen zu dürfen. Wollte eigenständiges und freies Handeln und Entscheiden bewusst ausüben und mich trotzdem von den Älteren, den Menschen mit mehr Lebenserfahrung, beraten und mich von ihnen unterstützen lassen. So wie es immer war. Eine, wie ich finde, sehr angenehme Lebensphase, deren Endlichkeit nun absehbar ist. Ich muss endgültig erwachsen sein. Ein Generationswechsel steht uns bevor.

Abschiede kündigen sich an. Keine vorübergehenden, sondern endgültige Abschiede. Abschiede von Menschen, die mich mein Leben lang begleitet haben. Natürlich habe ich hin und wieder darüber nachgedacht, dass ich älter werde. Aber ich lege keinen besonderen Wert darauf, jung sein zu müssen, weshalb mir dieses Thema zwar bewusst, aber nicht wichtig ist. Ich genieße es sogar ein „gewisses“ Alter zu haben. Was ich dabei völlig außer acht gelassen habe ist, dass die Menschen um mich herum ebenso älter werden. Menschen, die immer für mich da waren. Menschen, die immer dazu gehörten und mit meinem Lebensweg eng verbunden sind. Wichtige Menschen für mich.

Vor 15 Jahren musste ich mich schon einmal damit auseinander setzen. Mein Vater starb innerhalb eines halben Jahres an Krebs. Das traf uns unvorbereitet und viel zu früh. Ich selber habe zwei Jahre gebraucht, bis ich wieder richtig auf den Füßen stand und das verkraftet hatte. Bereit war, mein Leben weithin ohne ihn anzunehmen und meine Wut, dass mein Großvater viel älter werden durfte als er, beizulegen. Mit der Zeit habe ich ein sehr tröstliches Verhältnis zu diesem Verlust aufbauen können und lasse mich weiterhin in Gedanken von ihm begleiten.

Nun kündigen sich weitere Abschiede an. Meine Schwiegermutter haben wir in den letzten Wochen wegen eines Infarkts und dessen Folgen in einem Seniorenheim bringen müssen. Wir sind froh, dass sie uns erkennt, nur Zeit und Raum gehören nicht mehr in ihre Welt. Wir können sie besuchen, mit ihr sprechen, sie sehen und in den Arm nehmen. In den Arm nehmen … etwas, was die gesunde Frau nur zögerlich zuließ. Ein langsamer Abschied von einer starken Frau. Und immer noch mit dieser neuen Familiensituation beschäftigt, erreichen uns die nächsten Nachrichten von Verwandten, die zur älteren Generation gehörend ihr Leben nicht mehr alleine führen können. Ein Onkel, der auch eine Pflegestufe benötigt und eine Tante, die einen längeren Krankenhausaufenthalt überstanden hat. Wir haben eine wirklich sehr große Familie … aber das reicht für’s erste an Nachrichten.

Erstaunlicherweise hat mich die Nachricht von der Tante so verstört und nachdenklich gemacht. Bei ihr und meinem Onkel habe ich meine erste Ausbildung gemacht. Sie hatte einen Verlag und er eine Werbeagentur. Ich lernte bei ihm und habe dort eine wirklich solide Grundlage für meinen Beruf bekommen. Das ist richtig viele Jahre her und ich war ihm immer dankbar und verbunden dafür. Das besondere daran ist heute, dass diese Tante und dieser Onkel 94 und 93 Jahre alt sind. Ein verheiratetes Paar, dass sich im Restaurant immer noch streitet, wer die Rechnung bezahlen darf. Als ich hörte, dass sie im Krankenhaus liegt und es anfänglich schlecht aussah, war ich erst erstaunt und dann fast empört. Meine Welt ohne sie  – für mich unvorstellbar. Im zweiten Moment erst merkte ich, dass meine Empörung völlig absurd ist. Sie sind 94 und 93 Jahre alt – wer darf das gemeinsam bei relativer Gesundheit erleben?

Ich muss mich bereit machen, mich trennen zu können. Muss akzeptieren, dass die Zeit ihren Tribut fordert und meinen eigenen Wunsch hinten anstellen, dass alles so bleibt, wie es ist. Muss für die anderen, die gehen müssen, bedenken, was das Beste für sie ist. Ich möchte meine Erinnerungen bewahren und einpacken, möglichst an einem Platz, wo sie sich mit der Zeit nicht verklären und ändern können. Und schließlich muss ich mich vorbereiten in ihre Reihen zu treten. In die Reihen der Ältesten der Gesellschaft, in denen wir diejenigen sein werden, die Halt, Zuversicht und Unterstützung geben. Letztlich muss ich mich der Verantwortung den Jüngeren gegenüber stellen und ihnen das bieten, was ich an den Älteren so liebe, die mich und meine Geschichte kennen. Ich muss mich bei ihnen nicht verstellen und verbiegen und sie geben mir den Halt, den speziell ich benötige. Den Halt, den ich künftig aus eigener Kraft aufbringen muss.

Das Schöne daran ist, dass ich das alles nicht alleine erleben muss. Ich habe einen Mann an der Seite, viele gleichaltrige Verwandte, Geschwister, Cousinen, Cousins und viele Freunde. Ich werde mich an die neue Rolle gewöhnen. Werde in Gedanken damit spielen, was der ein oder andere, der gehen muss oder musste, wohl für einen Rat gegeben hätte und mich an sie erinnern. Wir werden nun die Generation, die sich kümmert, die pflegt, regelt, entscheidet, trauert, erinnert und die letzten Reste des Kind-Seins aufgeben wird.

Generationen wechseln – natürlich – zur Zeit erlebe ich das sehr bewusst. Einerseits mag ich nicht so richtig daran denken, andererseits möchte ich es als Natürlichkeit annehmen. Ich kann es nicht aufhalten und weiß, dass es noch sehr oft weh tun wird. Und trotzdem, je mehr es mich beschäftigt, desto stärker wird mein Hunger auf’s Leben. Auf das Hier und Jetzt, meine Kinder und Familie, die Freunde, die Arbeit, das Lachen und die Neugierde, die mich jeden Morgen neu antreibt. Die Vorstellung, was diejenigen, die gehen werden, von mir erwarten würden, wird mein Antrieb sein. Lebensbejahend, positiv und optimistisch … bereit ihre Kinder und Kindeskinder zu stützen.

Der beste Freund …

Hundehaltung in der Stadt – mit Sicherheit keine einfache Sache.

Der Golden Retriever ist allgemein als Familiehund und für sein ruhiges Gemüt bekannt. Aber auch dieser hübsche Gefährte kann ohne vernüftige Erziehung für seine Familie zur Belastung werden und mit seinen starken Zähnen schmerzhafte Bisse verursachen.

Der Golden Retriever ist allgemein als Familiehund und für sein ruhiges Gemüt bekannt. Aber auch dieser hübsche Gefährte kann ohne vernüftige Erziehung für seine Familie zur Belastung werden und mit seinen starken Zähnen schmerzhafte Bisse verursachen.

Untersuchungen belegen, dass Hundehalter deutlich weniger Herzinfarkte erleiden, auffällig weniger stressanfällig sind und grundsätzlich gesünder leben. Dennoch ist der gesundheitliche Aspekt wohl der seltenste Grund, sich so einen flauschigen Spielkameraden ins Haus zu holen und damit eine jahrelange Verantwortung – auch der Gesellschaft gegenüber – zu übernehmen.

Hundebesitzer sind gefordert, das Zusammenleben mit ihrem Vierbeiner so zu gestalten, dass kein anderer belästigt, beeinträchtigt oder gar verletzt wird. Er trägt die Verantwortung, sein Tier so zu verstehen, dass der Grundgehorsam erfolgreich gelernt werden kann und eine Beeinträchtigung all derer vermieden wird, die Hunde ganz einfach nicht leiden können oder auch Angst vor ihnen haben.

Aber auch hier können nur durch gegenseitige Rücksichtnahme und Verständnis Konflikte vermieden werden. Ärger entsteht, wo beispielsweise ignorante Hundeliebhaber ihren Lieblingen unkontrollierten freien Lauf lassen, Hinderlassenschaften liegen lassen und so tun, als ob ihr Tier keine Zähne hat. Nur wer die Natur und das Wesen des Hundes versteht, ihn zu Gehorsam erzieht, ängstliche Menschen, Kinder, Jogger und Radfahrer respektiert, kann letztendlich auch mit Freude und gutem Gewissen seinen Hund in der Stadt ausführen.

Aber auch die anderen, die ohne Hund leben, sollten ein paar Regeln kennen, zur eigenen Sicherheit und aus Respekt dem Tier gegenüber. Hunde verstehen keine Sprache, sie kennen nur eindeutige Laut- oder Sichtzeichen. Sie reagieren auf Körperhaltungen, Bewegungen und letztendlich – ganz wichtig – sie spüren Emotionen. Merkt ein Hund Angst bei einem Menschen, wird er automatisch der dominantere Part und der Mensch seine Beute. Es ist fast unmöglich einem Hund seine Stimmung zu verbergen, aber mit ein paar kleinen Tricks, kann man sie dennoch bestens ablenken und einer Konfrontation aus dem Weg gehen, sollte, warum auch immer, der Hundehalter nicht in der Nähe sein.

Wenn Sie einem freilaufenden Hund begegnen … wird er sich in der Regel nicht für Sie interessieren. Da bietet die Natur spannendere Gerüche und Geräusche als so einen unbekannten Menschen. Sollte er doch aktiv auf Sie zukommen, sollten Sie sich nicht über ihn beugen und ihn streicheln. Versuchen Sie möglichst ruhig und entspannt zu bleiben. Gehen Sie ruhig weiter, schauen Sie ihm nicht in die Augen und vermeiden Sie ruckartige Bewegungen oder Fuchteln mit den Armen. Sie dürfen auf gar keinem Fall nach ihm treten, das versteht er als Aggression. Je ruhiger und selbstsicherer Sie auftreten, desto schneller verliert er das Interesse an Ihnen. Laufen Sie ganz normal weiter, Wegrennen versteht er als Flucht oder Spiel.

Wenn Kinder Hunden begegnen … kann es schnell gefährlich werden, wenn sie ein paar wichtige Grundregeln nicht kennen. Kleinen Kindern sollte man frühzeitig bewusst machen, dass Hunde, gleich welcher Größe, gefährlich werden können, besonders, wenn man sie erschreckt oder ärgert. Aber ein grundsätzliches Angstmachen ist ebenso fatal, wie alle Hunde „süß“ finden. Kinder sollten lernen, sich in Gegenwart eines Hundes ruhig zu verhalten, besonders, wenn sie ihn nicht kennen. Ein fremder Hund darf nur gestreichelt werden, wenn der Besitzer vorher gefragt wurde. Und auch dann reicht man erst dem Hund die Hand, damit er schnuppern kann. Dann darf gestreichelt werden, aber auch für Kinder gilt, sich nicht über den Hund zu beugen, ihn festzuhalten oder ihm in die Augen zu schauen. Heftiges Spielen sollte in jedem Fall vermieden werden, bei dem ein Kind stürzen kann und hinfällt. Hier sollten Erwachsene rechtzeitig eingreifen und die Situation wieder beruhigen. In einer bedrohlichen Situation sollte das Kind lernen, möglichst ruhig stehen zu bleiben und die Arme am Körper zu halten. Auch Spielsachen oder Dinge in der Hand sollte es fallen lassen, um für den Hund uninteressant zu werden. Lautes Schimpfen mit Kind, Hund oder Hundebesitzer ist in einer bedrohlichen Situation nicht hilfreich, bewirkt eher das Gegenteil, nämlich, dass der Hund beschützen will. Im Ernstfall, wenn ein Kind angegriffen wird, muss es sich zusammenrollen, mit den Armen Nacken und Gesicht schützen. Diese Verhaltensweisen müssen mit dem Kind in einer ruhigen Situation besprochen werden. Aber – ein Kind darf niemals mit einem Hund alleine gelassen werden.

Wenn Hunde einem Jogger hinterher laufen … sind diese zu Recht meist sehr verärgert. Aber sie entsprechen mit ihren Bewegungen einem Beutetier. Sollte ein Hund ihnen nachlaufen und bellen, laufen Sie immer langsamer in gleichbleibenden Bewegungen. Nicht mit den Armen fuchteln und ruhig atmen. Lässt er nicht von Ihnen ab, bleiben Sie stehen, reden Sie ruhig mit ihm und geben Sie deutlich den Befehl „Sitz“ oder „Platz“. Dabei sehen Sie ihn kurz an und deuten auf den Boden. Gehen Sie anschließend ruhig weiter.

Wenn der Hund einen Radfahrer jagt … gilt das gleiche wie bei dem Jogger. Fahren Sie immer langsamer, bis Sie zum Stillstand kommen. Reden Sie ruhig mit ihm und geben Sie den Befehl „Sitz“ oder „Platz“ – die meisten Hunde können das. Sie sollten aber als Radfahrer auf keinen Fall versuchen, unüberlegt auszuweichen oder schneller zu werden, das zieht eher eine Verletzung nach sich als durch den Hund.

Wenn Hunde Hunden begegnen …  gilt am Besten – Finger weg. Die meisten Hunde regeln das von alleine und wollen ihren Artgenossen nur begrüßen. Die Begrüßung, ohne dass einer der Hundeangeleint ist, ist auch meist friedlich. Mit Leine wird es schon schwieriger und da kommt es auf die Kenntnis des Hundehalters seines Hundes an. Sollte es doch zu einer Beißerei kommen, ist Dazwischengehen meist gefährlicher als es der Anlass wert ist und eher werden Sie verletzt als der Hund, dies ist wirklich gefährlich.

Wissen muss man im Umgang mit Hunden, dass Hunde Rudeltiere sind und eine Rangordnung brauchen, um sich wohlzufühlen. Je dominater, ruhiger und selbstsicherer der Mensch ihm begegnet, desto ruhiger verhält sich auch der Hund. Hunde, die sich auffällig verhalten oder unangenehm auftreten, spiegeln die Erziehungsfehler ihrer Halter wieder. Wenig bekannt ist, dass Hunde bis ins hohe Alter lernfähig bleiben und Verhalten korregiert werden kann.

Letztendlich gilt, dass ein gut erzogener Hund seinem Halter viel Freude machen kann, Gesundheit erhält und Kontakte schafft. Solch ein Hund wird auch nicht zum Ärgernis für andere Menschen und fügt sich bestens ins Stadtbild ein. Aber auch für die Nicht-Hundefreunde gilt – ein bisschen Entgegenkommen und Verständnis für den Hundefreund, ein bisschen Kenntnis des Hundedenkens macht den Hund letztendlich doch zum besten Freund des Menschen.

 

Stadtteilzeitung Steglitz-Zehlendorf – Nr. 157, Mai 2012