#wirsindmehr

Mensch sein. © Joseph Dahlhaus-Erichsen

Ich gebe es gerne zu: Ich war müde und es ging mir nicht sehr gut, als meine Tochter mich ansprach. Wir hatten alle über einen Messenger einen Link bekommen, in dem wir dazu aufgefordert wurden, einen offenen Brief an alle Rechten, Nazis, Identitären und „besorgte Bürger“ online zu unterschreiben. Meine Tochter fragte: „Ganz ehrlich: Was ändern wir mit der Unterzeichnung eines offenen Briefes, den sowieso keiner von denen liest?“ Ich hatte keine Lust mich mit meiner Tochter, die sehr vehement und mit festem Standpunkt diskutiert, jetzt auf einen Diskurs einzulassen und sagte nur knapp: „Ich gebe dir recht. Ich sehe es genauso.“ Dennoch lies mich ihre Frage nicht los und ich überlege … ja, was ändern wir damit?

Die Nachrichten der letzten Tage kennt jeder. Je nachdem, welche Nachrichtenquellen wir nutzen, liest jeder das, was er gerne lesen möchte und sich in seiner Meinung bestätigt fühlt. Ich gehöre zu denjenigen, die mit äußerster Besorgnis auf die rechtsgerichteten Entwicklungen blicken, die in unserem Land passieren. Ein weiterer Artikel von faktenfinder.tagesschau.de „Das Trauerspiel von Chemnitz“ verstärkt meine Besorgnis. Er handelt von den gezielt gestreuten Falschnachrichten im Netz, die alle gemeinsam nur ein Ziel haben – Hass, Angst und Unzufriedenheit zu streuen. Die übliche Taktik aller Rechten und der Partei, die keine Alternative ist. Die Bilder von Chemnitz in Gedanken, ist es unglaublich, dass der tragische Tod eines jungen Mannes dazu genutzt wird, allen rechten Bewegungen eine Plattform zu geben, ihre Ideale laut und mit Hitlergruß zu brüllen. Gewählte Vertreter der Partei, die keine Alternative ist, nutzen diesen Tod genauso wie der rechte Mob auf der Straße. Dabei geht es nicht um Trauer, sondern lediglich um die Möglichkeit rechtes Gedankengut in die Öffentlichkeit zu bringen. Man mag eigentlich nur noch weinen ob solcher Dreistigkeit. Die Bilder aus Chemnitz erschrecken und auch wenn man weiß, dass die wenigsten, die dort ihre blanken Ärsche oder den Hitlergruß gezeigt haben, tatsächlich Chemnitzer sind, kommt langsam das Grausen auf. Pegida, Pro Chemnitz und diese Partei schließen sich zusammen und marschieren gemeinsam. Unverständnis dem gegenüber, der immer noch glaubt, dass die alternativlose Partei im Bundestag nicht Rechte und Nazis begrüßt. Die anständigen Chemnitzer haben mein Mitgefühl.

Ein Haftbefehl wird in den Netzwerken geteilt. Unter anderem von einem Politiker, der später sagt, es wäre ihm nicht bewusst gewesen, dass dies eine Straftat sei. Hätte er ihn auch verbreitet, wenn der Täter ein Deutscher gewesen wäre? Wohl kaum, wenn man seinen politischen Hintergrund betrachtet. Noch dazu hat er eine Ausbildung beim Bundesgrenzschutz gemacht und für die Bundespolizei gearbeitet. Ein Lämmchen ist er wohl kaum. Auch der Urheber des Foto’s des Haftbefehls arbeitet bei der Justiz. Jetzt nicht mehr. Ein LKA Beamter wird bei einer Pediga Demo gefilmt und fällt nach seinen Protesten gegen ein ZDF Team auf. Und dann ist da noch ein Innenminister, der Worte wie Asyltourismus nutzt, die Abschiebung von 69 Asylanten feiert und mit weiteren fraglichen Stellungnahmen seine Wähler am rechten Rand halten will. Er schweigt zu lange zu den Ereignissen und später erst kommt die halbherzige Aussage, es sei ja schon alles dazu gesagt. Er hält es nicht für Notwendig, die alternativlose Partei durch den Verfassungsschutz beobachten zu lassen, deren Bundesvorsitzender die Vorgänge in Chemitz gerade nach seiner Auffassung legitimiert hat. Es stellt sich tatsächlich die Frage, in wieweit Politik und Behörden von rechts versifft sind und ob manche Beamte und Politiker, die dem Staat, unserer Verfassung und Demokratie dienen sollten, überhaupt noch ihren Auftrag erfüllen. Eine gewagte These – ich weiß. Nur – wenn es den Anscheint hat, dass rechte Parolen in der breiten Bevölkerung gesellschaftsfähig werden – wieso sollte das bei Beamten und Politikern, die auch nur Menschen sind, Halt machen? Wem kann man trauen?

Angst, dass die rechte Bewegung nicht zu stoppen ist. Bedenken, ob unsere Demokratie die rechten Tendenzen aufhalten kann. Furcht, dass Freunde und Familienmitglieder, die nicht dem deutschen Idealbild der Rechten gerecht werdend, Repressalien fürchten müssen. Trauer, dass mein Bild eines multinationalen weltoffenen Deutschlands einen üblen Sprung hat. Wut über die Dummheit der Mitläufer. Fassungslosigkeit, dass die Medien den Fremdenhass noch Öl ins Feuer gießen. Unverständnis, dass Politik nicht die tatsächlichen Probleme des Landes aufgreift … vieles kämpft in mir.

„Laut werden“ – „Klar Stellung beziehen“ – „Aktiv werden“ sind die Gedanken, die sich mir in den letzten Tagen immer mehr aufdrängen. Ich denke, jeder von uns, der diese Entwicklungen nicht will, muss sich besonders jetzt fragen, was er selber tun kann um zu zeigen, was dieses Land ausmacht. Dass eben nicht die Rechten die Oberhand haben. Dass wir uns nur multinational und weltoffen behaupten können. Dass Fremde willkommen sind. Und auch diesbezüglich reicht ein Blick in die Medien um sich klar zu machen, dass wir eben nicht allein sind und durchaus etwas tun können. Es gibt viele Beispiele, die Hoffnung machen. Ein Beispiel springt mir in Facebook ins Auge. Ein Smiley mit erhobenen Daumen lächelt mich an. Drumrum steht „ICH STEH DAZU – FREMDENHASS – NEIN DANKE“. Es ist die Facebookgruppe „Mensch sein.“ Ich schaue es mir genauer an und bekomme mit, dass der Urheber der Buttons, Joseph Dahlhaus-Erichsen, diese Buttons tatsächlich für jede gewünschte Stadt in Deutschland erstellt. Ich schreibe ihn an und habe den Button innerhalb kürzester Zeit auf meinem Rechner. Jetzt kann ich ihn verteilen, wo immer es geht … ich kann was tun!

Großartig ist das angekündigte Konzert am Montag in Chemnitz: Live auf dem großen Parkplatz an der Johanniskirche in Chemnitz ab 17.00 Uhr: Die Toten Hosen, Feine Sahne Fischfilet, K.I.Z., KRAFTKLUB, Marteria & CASPER, Nura030 (SXTN), TRETTMANN, DJ Ron & DJ Shusta, haben sich zusammen geschlossen und spielen um die Menschen zu feiern, die Hetze und Hass nicht unwidersprochen hinnehmen wollen. Der Hashtag #wirsindmehr unter dem das Konzert läuft verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Selbst der Bundespräsident Steinmeier teilt dieses Konzert in seinem offiziellen Facebook-Account.

Unter meinen Facebook-Kontakten bekomme ich mit, wie ein Freund, den ich tatsächlich aus dem echten Leben kenne, mit anderen zu einer Großdemo aufruft. Das Bündnis #unteilbar ruft zur Demo „Solidarität statt Ausgrenzung“ auf: Sie wollen am 13. Oktober 2018 in Berlin ein starkes Zeichen für eine freie, offene und solidarische Gesellschaft setzen. Die Liste der unterzeichnenden Organisationen und Einzelpersonen ist in kürzester Zeit sehr lang!

Unter ein Bild, dass einen Nazi mit Hitlergruß zeigt, schreibe ich in Facebook: „Zum Kotzen! Anders geht’s nicht auszudrücken.“ Ein Bekannter antwortet mir: „Kotzen nützt nichts. Wir, die zivile Gesellschaft, wir die Bürger müssen uns wehren. Es reicht nicht, mit dem Finger auf die Politik zu zeigen. Wir müssen klare, sichtbare Position beziehen.“ – Das sehe ich genauso und denke, dass viele Menschen zur Zeit überlegen, was sie tun können um den rechten Mob, einschließlich seiner Organe, in die Schranken zu weisen.

Ob ein Button, den man verteilt, ein Konzert, dass man besucht, eine Demo, die man mitmacht – oder eben auch ein offener Brief den man unterschreibt. Ich denke, man kann tatsächlich viel machen, um klare Haltung und ein deutliches Nein zu Hass und Ausgrenzung zu zeigen. Den offenen Brief habe ich nun doch unterzeichnet. Nach einigem überlegen, habe ich die Auffassung, dass vielleicht nicht die Rechten ihn lesen (sicherlich doch viele heimlich), aber man zeigt Solidarität mit einem guten Statement und gibt anderen das Gefühl nicht allein zu sein. Jeder kann etwas tun. Auch die, die kaum Zeit haben. Auch die, die sich offen nicht trauen. Und hoffentlich endlich auch die, denen es bisher gleichgültig war!

Respekt

Die liebsten Themen über die mein Vater mit uns Kindern sprach und diskutierte, waren moralische Werte, die das gemeinschaftliche Leben von Menschen bestimmen. Dazu gehörten Werte wie Toleranz, Weltoffenheit oder auch Respekt. Ich muss zugeben, dass uns diese Gespräche sehr prägten, auch wenn wir uns oft und gerne mit anderen Dingen beschäftigt hätten, als mit dem Vater verbal die Welt zu verändern, beziehungsweise uns seine Sicht der Dinge predigen zu lassen. Nur gerade die Sache mit dem Respekt geht mir in diesen Tagen nicht mehr aus dem Kopf, nachdem ich ein Video zur Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus im Bundestag gesehen hatte.

Respekt hatte für uns zwei Aspekte: Auf der einen Seite war mein Vater eine respekteinflößende Persönlichkeit. War er in einem Raum, richtete sich auch die Stimmung im Raum nach ihm. Sprach er ein Machtwort, war es schwer sich dem zu widersetzen. Das mussten wir tatsächlich lernen. Andererseits brachte er uns bei, dass unser Respekt tatsächlich nur Menschen gelten sollte, die sich diesen Respekt durch ihre Haltung, ihre Ansichten oder Taten auch verdient haben. Damit ist nicht die Hochachtung gegenüber anderen Menschen gemeint, die man grundsätzlich haben sollte. Er vertrat die Ansicht, dass ein Arzt, Lehrer, Politiker oder andere Honoratioren nicht per se Respekt zu erwarten hätten, sondern sie sich diesen immer wieder verdienen müssen. Genauso wie sich jedes Mitglied einer Gemeinschaft Respekt verdienen muss. Er verlangte allerdings nie etwas von anderen, was er nicht selber zu geben bereit war. Verdiente sich also seinen Respekt nach seinem eigenen Anspruch, was für uns Kinder nicht immer einfach war.

Seine Ansicht über Respekt hatte ich sehr schnell begriffen und verinnerlicht, da ich es logisch fand. Natürlich legte ich dem meine eigenen Maßstäbe zugrunde. Auch ist mir immer schon schwer gefallen, nicht zu sagen was ich denke. Das hat mir in meiner Schulzeit einige Schwierigkeiten mit den Lehrern eingebracht, die ich oft nicht sehr respektabel fand. Nur das Prädikat Lehrer, und das hatte ich ja zuhause gelernt, taugte nicht automatisch dazu meinen Respekt zu bekommen. Zur Diplomatin taugte ich in meiner Oberschulzeit genauso wenig, wodurch ich es mit so manchem Lehrer nicht sehr einfach hatte. Aber es gab sie trotzdem, die Lehrer vor denen ich großen Respekt hatte und die habe ich bis heute in guter Erinnerung. Die anderen natürlich auch.

Die Sache mit der Diplomatie und dem Respekt rückte sich für mich in den anfänglichen Berufsjahren in etwas machbare Bahnen. Ich lernte auch mit Menschen auszukommen, die in keiner Weise meinen Respekt besaßen, ohne dass sie es gleich merkten mussten. Es galt schon seit den Bauernkriegen „Die Gedanken sind frei, wer will sie erraten.“ Ich lernte außerdem zu erkennen, wen ich aufgrund seiner Persönlichkeit, seinen Ansichten oder seinem Tun respektierte. Ich denke, jeder von uns kennt Menschen, die er zutiefst bewundert und respektiert. Es waren viele, die ich auf meinem Weg in guter Erinnerung habe, wobei völlig bedeutungslos ist, wo derjenige in der gesellschaftlichen Rangordnung steht.

Was mir immer schon schwer fiel, fällt mir heute noch schwerer: Ich schaffe es nicht einen amerikanischen Präsidenten zu respektieren, nur weil er der mächtigste Mann der Welt sein soll. Ich konnte den vorherigen respektieren, der deutlich seine Achtung vor allen Menschen zeigte und dessen Worte oft meine Bewunderung weckten. Genauso wenig schaffe ich es vor deutschen Politikern Respekt zu haben, nur weil sie in unserem Bundestag sitzen. Ich zolle vielen Respekt, weil das Amt, das sie ausfüllen, nicht eins der leichtesten ist, auch wenn sie es sich selber ausgesucht haben. Ich habe Respekt vor einigen Kommunalpolitikern, die in meinem Umfeld Dinge zum positivem verändern.

Neu ist für mich, dass ich Abscheu vor Politikern empfinde. Es ist egal, welcher politischen Partei man den Vorrang gibt. Mit der aktuellen politischen Situation ist wohl kaum einer wirklich zufrieden. Dennoch gibt es Themen im Bundestag, die von allen politischen Parteien getragen werden sollten und einen einstimmigen Konsens erwarten lassen. Gerade bei diesen Themen, die die Grundwerte unserer demokratischen Ordnung betreffen, sollten sich alle Politiker vorbildlich verhalten und der menschlichen sowie geschichtlichen Verantwortung, die wir tragen, Rechnung zollen. Ich sah die Reden des Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble und der Holocaust-Überlebenden Anita Lasker-Wallfisch im Bundestag, die dazu aufgerufen hat, die Verbrechen des Nationalsozialismus nicht zu vergessen. Und ich sah, wie sich die Politiker der Partei, die keine Alternative ist, dazu verhielten. Verzogene Gesichter, gequältes Klatschen, zögerliches Aufstehen und verweigerter Respekt gegenüber dem Bundestagspräsidenten und einer Frau, die eins der schlimmsten Verbrechen an Menschen überlebte. Gewählte Volksvertreter, die sich im höchsten Gremium der Bundesrepublik, derart daneben benehmen, dass man wirklich nur noch fassungslos zuschauen kann. Mögen diese alternativlosen Politiker in ihrem Programm stehen haben, was sie wollen. Ein derartiges Verhalten ist ganz einfach ekelhaft und verabscheuungswürdig. Das sind Politiker, die nicht für, sondern gegen die Menschen arbeiten. Politiker, die Dummheit dazu nutzen um politische Stellungen einzunehmen und Macht auszuüben. Es dauert lange, bis ich so etwas sage, aber das sind Politiker, gegenüber denen ich schlicht Verachtung empfinde – gewählte Volksvertreter oder nicht.

Ich habe Respekt vor jedem, der einen Menschen aus fremden Ländern bei sich aufnimmt. Vor jedem, der alles aufgegeben hat um sich selbst und seine Familie zu retten. Vor jedem, der ehrenamtlich viel Zeit für geflüchtete Menschen opfert und dadurch bereichert wird. Ich habe Respekt vor jedem, der über Religionsgrenzen und Nationalitäten hinweg Freundschaften pflegt. Vor jedem, der sich für Obdachlose einsetzt oder sozial benachteiligten Menschen eine Freude macht. Ich habe Respekt vor einem Menschen, der auf der Straße lebend, überlebt. Respekt vor so vielen Menschen, die alle auf ihre Weise Wege durch ihre Lebensräume finden.

Respekt hat noch eine andere Bedeutung. Es ist die Angst. Angst, dass wir zu lange still bleiben. Das wir die Zeichen der Zeit nicht erkennen und einer Wiederholung der Geschichte entgegen gehen. Wir leben in einer Zeit, in der die letzten Beteiligten des letzten Krieges von uns gehen. Die Wunden der Zeit sind bis heute nicht ausreichend aufgearbeitet. Die Jüngeren haben keine Verbindung mehr dazu. Ich habe Angst, dass wir vergessen, wiederholen, bereuen. Unsere Vorfahren hatten schon einmal Respekt vor einem kleinen Gefreiten, der Politiker wurde. Mein Vater hatte es erlebt und es hat seine Ansicht von Respekt geprägt. Suchen wir diejenigen, die unseren echten Respekt verdienen und verdienen diesen uns selber, in dem wir uns dem entgegen stellen!

ZDF heute – Gedenkstunde im Bundestag – Lasker-Wallfisch: „Leugnen darf nicht sein“

Das Erste – Kontraste – AfD-Fraktion während der Gedenkstunde

Schreiben gegen Rechts – ein Buch der Zuversicht!

Schreiben gegen Rechts

Eine Momentaufnahme in Berlin: Ich gehe in die Markthalle, kaufe beim Wurststand Salami am Stück. Der Verkäufer, der mir sehr freundlich mein Rückgeld gibt, hat asiatische Augen. Die Steinpilze beim Gemüsehändler bekomme ich von einem offensichtlich türkischen Mitbürger. Die Bäckereiverkäuferin antwortet mir in breitestem Schwäbisch. Nachher ruhe ich mich im Café aus. Dort sitzen an einem Tisch englischsprachige Studenten. Am nächsten Tisch unterhalten sich ein deutsches Paar und ein Mann mit holländischem Akzent. Als ich später in den Bus einsteige, lasse ich einer Mutter, die ein Kopftuch trägt, mit ihren Kindern den Vortritt und den Busfahrer kann ich von seinem nationalen Hintergrund her nicht einschätzen. Zuhause angekommen treffe ich vor der Haustür meinen syrischen Nachbarn und grüße ihn herzlich. Kaum habe ich die Haustür hinter mir geschlossen, ruft mich meine Schwägerin an, die aus Kenia stammt. Das ist Realität in Deutschland.

Eine Momentaufnahme nach der Bundestagswahl: Die einen feiern einen für sie großartigen Sieg. 72 Jahre nach Kriegsende zieht eine rechtsgerichtete Partei in den Bundestag ein. Die anderen sind entrüstet und können kaum glauben, was da passiert. Etablierte Parteien und Medien gehen auf Ursachensuche und ringen sich fadenscheinige Begründungen ab. Viele üben sich in Gleichgültigkeit und der Hoffnung, dass das schon wieder vorbeigehen wird. Was haben wir eigentlich bei dieser Wahl erwartet? Dass die rechteste aller Parteien tatsächlich unter fünf Prozent bleibt? Dass es vielleicht nur 6 oder 7 Prozent werden? Und dann? Wäre es weniger schlimm gewesen? Haben wir nicht, wenn wir ehrlich sind, alle gewusst, dass diese gewisse Partei, die eben keine Alternative ist, einen Wahlsieg feiern wird, um den einen oder anderen Prozentpunkt hin oder her?

Lange war klar, dass Probleme in unserem Land nicht rechtzeitig aufgegriffen, lange verschleppt wurden und Unzufriedenheit siegt. Für diese Unzufriedenheit wurde zu lange die Flüchtlingspolitik als Platzhalter hergenommen, ohne zu merken, dass die Probleme viel tiefer sitzen. Zu viele fühlen sich abgehängt in einer Gesellschaft, die sich stolz Sozialstaat und Wirtschaftsmacht nennt und doch das steigende Armutsrisiko zulässt. Zu viele fühlen sich nicht zugehörig, trotz dessen, dass es die Mauer schon 28 Jahre nicht mehr gibt.

Zudem haben wir gewusst, wenn wir ehrlich bleiben, dass rechtes Gedankengut immer unter uns war. Nach dem 2. Weltkrieg und in all den Jahren danach. Begriffe wie Kriegskinder und Kriegsenkel werden erst jetzt aufgearbeitet, in einer Zeit, in der die Kriegskindergeneration langsam von uns geht. Wurden die Kriegsenkel im Schulunterricht mit der Geschichte der Nationalsozialisten überfüttert, können viele Jugendliche heute nicht einmal mehr erzählen, warum sich vierzig Jahre eine Mauer durch Deutschland zog. Menschen mit rechtem Gedankengut waren immer unter uns, konnten sich aber in etablierten Parteien wiederfinden. Erst als sich die etablierten Parteien auf die politische Mitte zu bewegten und sich Flüchtlingen öffneten, brauchten Menschen mit ihrem rechten Gedankengut eine neue Partei, die ihnen eine Heimat gibt. Die fand sich und es wurde wieder gesellschaftsfähig rechte Gedanken öffentlich und ohne Scham zu brüllen. Lange haben wir skeptisch über die Landesgrenzen geschaut, in Länder, die alle mit rechten Parteien haderten und gejubelt, wenn diese keine Mehrheiten gewinnen konnten. Wir haben mit Entsetzen die Wahl des amerikanischen Präsidenten beobachtet, der seinen Nationalismus seither dummdreist verbreitet. Nun hat es uns selber getroffen … mit Abgeordneten im Bundestag, die einem Wahlprogramm folgen, das wundern lässt, warum es nur eine einzige Stimme bekommen hat.

Ich habe lange gebraucht um es so anzuerkennen wie es ist: Die ewig Gestrigen spannen populistische Parolen vor ihren Karren und gehen auf Stimmenfang bei den ewig Unzufriedenen. Politiker kümmern sich auch nach der Wahl eher um ihren politischen Einfluss, als den Menschen einmal klar zu signalisieren, dass sie es verstanden haben und sich um die Probleme der kleinen Leute kümmern und zuhören werden. Medien kümmern sich um ihre Zugriffszahlen, füttern uns mit Negativschlagzeilen und bieten den Rechten eine Bühne, die ihnen nicht zusteht. Es waren 12,6 Prozent  … nur 12,6 Prozent oder schon 12,6 Prozent … das haben wir alle künftig in der Hand.

Die Dekadenz mit der wir hier unseren Wohlstand ausleben ist für mich der Punkt, der mir am meisten zu schaffen macht. Wir erleben einen Wohlstand, der sich durch 72 Jahre Frieden in dieser Region aufgebaut hat. Wir leben in einem der sichersten und reichsten Ländern der Welt. Unsere Waffen liefern wir in fremde Länder – sollen sie sich doch die Köpfe einschlagen, solange wir daran verdienen. Wir schotten unseren Reichtum vor denen ab, deren Länder durch Kriege zerstört sind und keine Sicherheit mehr bieten. Wir schließen unsere Grenzen, wenn heimatlose Menschen bei uns Schutz suchen. Wir bewerten, dass das Verhungern kein wirklicher Asylgrund bei uns ist. Und wenn wir als großartige Nation bei deren Aufbau wieder mithelfen, ist nicht selten der Gedanke der Bereicherung dabei. Wir könnten tausende Menschen noch zu uns reinlassen ohne das Geringste zu entbehren. Wenn ich auf die Zahlen der Zwangswanderungen nach dem 2. Weltkrieg schaue, staune ich, dass wir überhaupt über Obergrenzen debattieren. Wir erlauben uns zu bewerten, dass allein unsere Kultur die einzig richtige ist. Lassen aber zu, dass Konzerne auf fremden Kontinenten selbst Wasser als Grundrecht den Menschen vorenthalten. Das Niveau auf dem wir klagen, ist so unglaublich hoch, dass nationalsozialistische Gedanken schon irrational wirken. Die verschobene Realität nationalistischer Menschen so widersinnig und weltfremd, dass man schon fast verzweifeln müsste.

Das tun wir aber nicht – Verzweiflung hat noch nie jemandem genutzt. Ich muss was tun und ich brauche die Gemeinschaft der Menschen, die diese Probleme sehen, aber dennoch an das Gute in der Welt glauben. Es ist mir schon immer schwer gefallen meinen Mund zu halten und ich will es auch gar nicht. Es hat so unglaublich gut getan den Rückhalt zu spüren als ich 2016 zur Blogparade „Schreiben gegen Rechts“ aufgerufen habe. Es kamen 81 wunderbare Beiträge zusammen, die auch heute alle aktuell sind. Das möchte ich gerne mit euch allen weiterführen. Waren es vor einem Jahre die Flüchtlingszahlen, die in aller Munde waren, ist es heute das stärker werden der Rechten. Nehmen wir ihnen die Bühne und geben sie unseren Idealen zurück. Öffnen wir den Blick für Mitmenschlichkeit, eine multikulturelle Gesellschaft und eine Welt, die zusammenrückt:

Lasst uns wieder Beiträge sammeln in einer offenen Blogparade. Offen in der Hinsicht, dass sie nicht zeitlich begrenzt ist. Beteiligt euch mit Beiträgen, die Geschichten von multikulturellem Zusammenleben erzählen. Beiträge über Fakten, die positive Beispiele einer offenen Gesellschaft zeigen. Erzählt von Initiativen und gelungenen Projekten aus der Flüchtlingsarbeit. Erzählt von eurem Untermieter, der erst mit der Zeit eure Worte verstand. Berichtet von Ereignissen über Landesgrenzen hinweg. Beteiligt euch mit Gedichten oder Bildern, die eine bunte, aber eben die tatsächliche Realität in anderen Ländern und unserem Land zeigen. Überlegt, was jeder einzelne von uns aktiv tun kann, um den Rechten ihren Platz zu weisen. Es gibt so wunderbare Möglichkeiten von einer offenen, freien und bunten Gesellschaft zu erzählen. Bedient euch nicht der Sprache der Populisten und der Rechten. Zeigt, dass man Anliegen, Proteste oder Bedenken durchaus respektvoll und konstruktiv darstellen kann. Ich werde keine Beiträge bewerten oder auswählen. Ich fasse sie zusammen.

Veröffentlicht eure Beiträge in eurem Blog mit der Verlinkungen zu diesem Aufruf. Hier setzt ihr euren Link ein, damit er allen zugänglich wird. Ich sammle bis zu einhundert Beiträge und erstelle daraus wieder ein Buch. Dieses Buch ist allen zugänglich, die es lesen möchten. Niemand verdient daran. Es soll ein Buch werden, das einen klaren Standpunkt vermittelt. Ein Buch, dass Bewusstsein schafft. Ein Buch, dass Hoffnung schenkt – ein „Buch der Zuversicht!“.

Ich freue mich von euch zu hören … erzählt anderen davon, denn es geht weiter mit dem „Schreiben gegen Rechts – für Toleranz und Vielfalt!“

Schreiben gegen Rechts – die Blogparade FÜR Toleranz + Vielfalt

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Die Zusammenfassung

Angefangen hat alles aus Ärger und Angst. Ärger über Nachrichten aus der aktuellen Tagespolitik, über Intoleranz, über politische Strömungen, die dem Gedanken unseres Grundgesetzes zuwider laufen und über das historische Vergessen in unserer Geschichte. Angst vor Entwicklungen, die wir nicht mehr aufhalten können, wenn wir nicht rechtzeitig einschreiten. Angst vor offensichtlich immer stärker werdenden rechten Tendenzen in unserem Land. Angst vor Extremismus völlig gleich aus welcher Richtung. Es waren andere Nachrichten, die ich lesen und andere Stimmen, die ich hören wollte. Besonders aber wollte ich nicht, dass wieder einmal zu viele still sind und so unabsichtlich Tendenzen fördern, die niemandem in diesem Land gut tun können. Ich wollte etwas tun und nicht still sein – so entstand die Idee der „Blogparade gegen Rechts“. Ende Februar schrieb ich meinen Aufruf, veröffentlichte ihn in meinem Blog und bangte anfänglich, ob das wohl etwas werden würde. Es wurde … wurde so viel, wie ich es kaum für möglich gehalten hätte. Es versetzt mich jetzt in die Lage, ein wunderbares Statement gegen Rechts, FÜR Toleranz, für eine offene, freie und multikulturelle Gesellschaft, in der Zusammenfassung von 81 Blogbeiträgen vorzustellen.

Was hier zusammen gekommen ist, sind nicht nur 81. Beiträge, es ist auch ein ganzer Monat mit der Auseinandersetzung mit dem Thema. Jeder Beitrag ist auf seine Weise einzigartig. Manche gehen in ähnliche Richtungen und doch bringt jeder eigene Aspekte ein, beleuchtet das Thema von einer anderen Seite oder stellt es auf ganz eigene Weise dar. Jeder Beitrag ist ein Gewinn für denjenigen, der sich kritisch mit den Tendenzen im Land auseinandersetzen will. Es sind sachliche Beiträge, Gedichte, Geschichten, persönliche Erlebnisse oder Beispiele aus Projekten und Hilfeangebote u. v. m. Jeder Beitrag ist ein Bekenntnis, warum wir ein bestimmtes Kapitel unserer Geschichte nicht wiederholen wollen. In seiner Sprache ist jeder anders – manche ganz klar, manche frech, manche deutlich, mache sarkastisch und manche eher versöhnlich. Jeder so, wie er es will, jeder Beitrag steht für sich.

Zu jedem Beitrag und auch dazwischen, schrieben Leser ihre Kommentare. Mal lieb und freundlich, mal kritisch … immer – und das rechne ich allen Lesern hoch an – in angemessenem Ton! Ich habe alles freigeschaltet, was geschrieben wurde. Aus Erfahrung behalte ich mir vor, neue Kommentatoren erstmalig freizuschalten. Kritik bekam ich ebenfalls, die es zu bedenken gab: Warum nur gegen Rechts zum Beispiel. Ganz einfach, weil die Rechten zur Zeit das Bild bestimmen. Grundsätzlich bin ich gegen alles, was extremistisch, undifferenziert und menschenverachtend ist. Warum „Gegen“ und nicht „Für“? Diesbezüglich verweise ich auf den letzten Satz des Aufrufs „Ich würde mich unheimlich freuen, wenn ihr dazu beitragt, dass ein Teil meiner Angst in Stärke und Gewissheit gewandelt wird, dass jeder etwas – nach seinen Mitteln und Möglichkeiten – FÜR unseren offene, freie Gesellschaft tut.“ Auch glaube ich, dass der Aufruf bei weitem nicht die gleiche Aufmerksamkeit bekommen hätte, hätte ich ihn „Für Toleranz und Vielfalt!“ genannt – so traurig das auch sein mag.

Es wurde recht schnell klar, dass eine einfache Auflistung oder Linkliste aller Beiträge der Sache nicht mehr gerecht werden würde. So überlegte ich lange über die Form der Darstellung. Ich denke, ich hätte ein einfaches Pdf mit allen Beiträgen gemacht, aber manchmal ergeben sich Dinge, die sich zeitlich in die Hände spielen. Durch meine Arbeit ergab sich die Notwendigkeit, dass ich mich mit einem neuen Format der Veröffentlichung von Texten auseinander setze, weil die Zeitung, die ich seit Jahren machte, eine neue Form brauchte. So hatte ich mit der Blogparade das ideale Übungsobjekt und kann ein eBook anbieten, das jeder bequem an Smartphone, Tablet oder am Computer lesen kann. Ich betrachte es nicht als Buch (dafür gibt es Fachleute) und die professionellen Autoren unter euch mögen mir gnädig sein. Es ist für mich die bequeme Möglichkeit, alle wunderbaren Beiträge einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Ich betrachte es auch nicht als „meins“ – es gehört allen teilnehmenden Bloggern gemeinsam. Und ich betrachte es auch nicht als fertig. Zwar habe ich versucht alle Formatierungen der ursprünglichen Beiträge weitestgehend zu übernehmen, alle gesetzten Links zu beachten und Bilder, sofern möglich, einzubinden, aber sicherlich ist mir das ein oder andere durchgerutscht. Die reinen Texte sind 1:1 aus den verlinken Quellen kopiert. Wer also etwas entdeckt, was geändert werden sollte, möge Bescheid geben, sofern er gar nicht damit leben kann. Einzig die immer wiederkehrende Verlinkung auf die Blogparade habe ich weggelassen. Gestalten kann man in einem eBook nur bedingt. Ich habe mich etwas daran versucht, indem ich den Anfang jedes Kapitels in Formatierung der Schrift und durch Bilder gleich aussehen lies.

„Nicht fertig“ bedeutet für mich auch, dass ich die Parade nicht als beendet betrachte. Ein paar Beiträge fehlen dabei. Ein Blog war vollständig gelöscht, ein Link funktionierte nicht mehr, ein paar tweets lassen sich nicht zurück verfolgen. Letztlich waren auch noch ein paar Beiträge angekündigt. Nun, wir kennen alle den Alltag, der unsere Pläne durcheinander bringt … ich weiß nicht, ob es verwegen ist, aber bis zu 100 Beiträgen würde ich das eBook erweitern. 19 Kapitel einfügen (das habe ich jetzt gelernt) ist technisch gut machbar. Ich lasse es also offen, ob der ein oder andere noch einen Beitrag hinzufügen möchte.

Die Bearbeitung der einzelnen Beiträge, war für mich noch einmal eine intensive inhaltlich Auseinandersetzung. Ich bin nicht in der Lage zu sagen, welcher mir am besten gefällt. Jeder Beitrag hat etwas für sich. Aus dem Kopf heraus kenne ich den kürzesten, den längsten, den witzigsten, den erschütternsten, den frechsten Beitrag … auf der Höhe der Beiträge, die bewundernswert sind, stehen alle 80 Beiträge gleich … der 81. ist mein eigener, den nehme ich aus. 😉 Absolut begeistert bin ich von den vielen unterschiedlichen Denkansätzen, die hier zusammen kommen. Ich werde sie noch einmal lesen, mir in Ruhe die zugehörigen Verlinkungen ansehen, überdenken, was ich erfahre, dazu lernen und verwerten. Dafür bin ich dankbar!

Dankbar bin ich allen die teilgenommen haben – haben sie mich doch in dem bestätigt, was ich erfahren wollte. Es gibt sie – die Stimmen da draußen, die durchaus etwas dagegen zu setzen und zu sagen haben. Ein Teil meiner Angst ist Stärke und Gewissheit geworden: Nicht alleine zu sein mit meiner Hoffnung, dass eine tolerante Gesellschaft möglich ist, wenn wir nicht müde werden uns dafür einzusetzen und darum kämpfen. Wenn wir mit Wort und Tat Vorbilder werden und daran glauben, dass jeder – wirklich jeder – bei uns seinen Platz hat. Wenn wir uns für Empathie unseren Mitmenschen gegenüber einsetzen und sie ausleben, ganz gleich woher sie kommen, was sie glauben oder welchen kulturellen Hintergrund sie haben. Wenn wir aushalten können, dass es Andersdenkende immer geben wird, für Gespräche mit ihnen offen bleiben und Meinungsvielfalt aktiv leben. Wenn wir Differenzierung von Sachverhalten nicht verlernen. Aber dennoch den Andersdenkenden, empathielosen Mitbürgern, nicht das Feld überlassen.

Ein Dankeschön gilt meinem Mann, meiner Mutter und meinem Chef. Sie stehen immer zu Gesprächen bereit, wenn mich Zweifel plagen oder ich mir in manchen Punkten nicht sicher bin und andere Meinungen brauche. Ein besonderes Dankeschön gilt Günther Kloppert, meinem „alten“ Schulfreund. Er ist kein Blogger – er fotografiert leidenschaftlich und hat viele Bilder für dieses eBook zur Verfügung gestellt. Das ist seine Form des Statements. Alle anderen Bilder stammen aus der freien Pixabay-Auswahl, auch dafür – danke!

Zwei oder dreimal habe ich in einem Kommentar und Beitrag die Frage gelesen, was es bringt, solch eine Blogparade zu veranstalten, was wir dadurch verändern und welche Auswirkungen es hat. Das ist für mich gleichbedeutend mit: „Wir haben ein Problem, aber es lässt sich sowieso nicht lösen, also versuchen wir es erst gar nicht!“ Ich denke, jeder kleinste Versuch, sich für Toleranz und Vielfalt einzusetzen, jedes kleine Lächeln auf der Straße einem Fremden gegenüber, jedes gute Wort an einen Hilfesuchenden, jedes geschriebene oder gesagte Wort für diese gute Sache bewegt und fördert. Jeder von uns ist ein Vorbild in Denken und Handeln – welches Vorbild wir sein möchten, haben wir selber in der Hand. Wir können, jeder einzelne von uns, die Gegenwart und Zukunft positiv und optimistisch gestalten – dieses eBook und sein Statement ist ein Beispiel dafür!

 

Und nun zur Datei:

Das Bild anklicken um das eBook oder
darunter den Link anklicken um alternativ das Pdf herunter zu laden.
(Nur zur Sicherheit sei erwähnt, dass es natürlich kostenfrei ist).

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Blogparade Schreiben gegen Rechts – das Pdf

Ich wünsche allen Lesern der Publikation spannende Lektüre, gute Ein- und Ansichten und freue mich über Rückmeldungen.

… und wenn es euch gefällt – dann bringt es unter die Leute! 🙂

Herzliche Grüße

Anna Schmidt

Schreiben gegen Rechts – Blogparade

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Ich habe Angst: Angst davor, dass mein Neffe eines Tages vor mir steht und fragt: „Warum hast du nichts getan?“ Ich habe Angst, dass mir meine Schwägerin erzählt, dass sie nicht mehr einzukaufen kann, weil es zu gefährlich geworden ist. Ich habe Angst von meinem Bruder zu hören, dass er sich nur noch heimlich mit seinen Freunden treffen kann. Ich habe Angst, dass mir meine Töchter von ihren kranken Kindern erzählen, weil sie mit der Disziplin und Autorität in der Grundschule nicht klar kommen. Und ich habe Angst, dass es meinen Blog nicht mehr gibt, weil er wegen staatsgefährdenden Inhalten vom Netz genommen wurde. Die größte Angst habe ich vor all denjenigen, die keine Angst haben. Denjenigen die derzeitige politische Entwicklungen kopfschüttelnd verfolgen, hoffen, dass es schon vorbei geht und – nichts tun!

Im ersten Absatz stehen allein vier Forderungen eines öffentlichen Wahlprogramms, die realisiert werden würden, wenn eine gewisse Partei, deren Namen ich nicht nennen werde, ihr Programm umsetzen kann. Es sind keine Horror- oder Zukunftsvisionen, das sind geforderte Fakten, die noch dazu unserem Grundgesetz zuwider laufen – in schöne Worte gepackt. Wenn diese Forderungen wahr werden, wird sich meine dunkelhäutige Schwägerin in diesem Land nicht mehr sicher fühlen. Ihr Mischlings-Sohn, mein Neffe, wird sich trotz deutscher Geburt, deutschem Namen, deutscher Familie für das Land seiner Mutter entscheiden. Mein homosexueller Bruder wird die psychischen Belastungen nicht mehr aushalten. Meine Kinder werden mir Vorwürfe machen, dass ich sie frei und offen erzogen habe und sie nicht wissen, wie sie ihre Kinder disziplinarisch maßregeln sollen, damit sie sich in der Schule unauffällig verhalten.

Ich habe versucht, dieses Wahlprogramm komplett zu lesen, es aber nicht durchgehalten. Bei Lesen kamen mir Erinnerungen an ein anderes Buch, das vor fast genau 90 Jahren veröffentlicht wurde. Dort stand ebenso alles drin, was später Realität wurde und keiner wollte es vorher gewusst haben. Es war damals bekannt und es ist heute bekannt, was Menschen mit rechter Gesinnung fordern und welche Konsequenzen und Auswirkungen das auf uns alle haben würde. Die Parallelen sind erschreckend. Individualrechte sollen beschnitten und staatlich geprägter Gewalt gebeugt werden. Differenzierte Meinungsvielfalt wird mit diesem Wahlprogramm unmöglich gemacht. Wir wissen, dass Humanität, Menschlichkeit, Mitgefühl von Rechten mit den Füßen getreten und Freiheit, Individualität und freie Entfaltung keine Bedeutung mehr haben werden – sofern wir sie nicht aufhalten. Und trotzdem ist Zahl der Menschen, die still sind, die dieses Programm nicht lesen und wahrhaben wollen, die dieser Partei aus Leichtgläubigkeit keine Chancen einräumen oder aus unbegreiflichen Gründen folgen, erschreckend hoch.

Allerdings habe ich einen einzigen Punkt in diesem Programm gefunden, den ich sogar begrüße: Sie fordern, dass Nationalität und Herkunft von Straftätern veröffentlicht wird. Bitte fangt sofort damit an – bei all denjenigen, die vor Flüchtlingsunterkünften stehen und brüllen, die Aufnahme-Einrichtungen anzünden, Naziparolen an Wände schmieren und traumatisierte Menschen in Übelkeit erregender Manier attackieren. Es sind deutsche Männer und Frauen, die sich gerne hinter Grenzen verstecken, auf die Menschen davor schießen lassen würden und kullernden Kindertränen nicht nachgeben wollen. Noch dazu in unverschämter Weise von uns abverlangen, dass wir diese Bilder aushalten müssen. Deutsche Männer und Frauen, die unser Grundgesetz nur insofern nutzen, wie es ihren persönlichen Rechten und Rechtfertigungen dient. Die den Sinn in dieses Gesetzes schlicht nicht verstanden haben.

Bei all dem macht mich ein Punkt besonders wütend: Die derzeitige Situation und täglichen Nachrichten haben es geschafft, dass ich Angst bekomme. Ich bin nicht „besorgt“, sondern wütend und ängstlich über das Stillschweigen und die Untätigkeit all derer, die nicht dagegen halten, die nicht wählen gehen und glauben, dass es sie nichts angeht. Ich bin wütend über Politiker, die immer noch nicht die Dimension und Gefahr sehen, die sich aufbaut und sich hinter verharmlosenden Phrasen versteckt. Ich habe für mich beschlossen es ihnen nicht gleich zu tun. Ich will mich bei jeder Gelegenheit gegen Rechts, für Individualität, Menschlichkeit, freie Meinungsäußerung und für eine multikulturelles Land einsetzen. Ich will die moralischen Werte, zu denen ich erzogen worden bin, für alle Menschen, gleich welchen Herkunftslandes, bei uns erhalten. Ich möchte jeden Morgen mit gutem Gewissen in den Spiegel sehen und wissen, dass ich für die Freiheit meiner Kinder alles getan habe. Ich möchte später meinem Neffen sagen können: „Ich habe etwas getan, den jeder konnte etwas tun!“

Ich möchte euch ebenso bitten etwas zu tun. Ich rufe zu einer Blogparade mit dem Titel „Schreiben gegen Rechts!“ auf. Schreibt, warum ihr gegen rechte Gesinnungen seid, was diese in euch auslösen, wie ihr damit umgeht, was für Alternativen wir haben, was ihr erlebt habt, was euch Angst macht oder eure Wut auslöst. Schreibt von guten Beispielen, erfolgreichen Projekten, über bewundernswerte Menschen. Schreibt es in fairer und differenzierter Form, denn wir stellen uns bewusst nicht mit Rechten und deren Kommunikationsformen auf eine Stufe. Fordert eure Freunde und Bekannt auf, sich zu beteiligen.

Bitte teilt mir hier als Kommentar zu diesem Beitrag mit, ob ihr an dieser Blogparade teilnehmt. Sehr gern könnt ihr auch schon einen Link zu eurem Blog hinterlassen, damit interessierte LeserInnen vorab schon mal bei euch stöbern können. Wenn euer Beitrag bis zum 31. März 2016 fertig ist, gebt ihr das bitte ebenfalls hier mit entsprechendem Link bekannt. Bitte setzt in euren Blogparade-Beiträgen auf jeden Fall auch einen Link zu meinem Blog bzw. zu diesem Artikel. Ich werde am 31. März alle Beiträge zusammenfassen und mit den entsprechenden Links zu euren Blogs gebündelt präsentieren. Das obere Bild darf ungefragt übernommen werden.

Ich würde mich unheimlich freuen, wenn ihr dazu beitragt, dass ein Teil meiner Angst in Stärke und Gewissheit gewandelt wird, dass jeder etwas – nach seinen Mitteln und Möglichkeiten – FÜR unseren offene, freie Gesellschaft tut.