Das kleine Wörtchen Dankbarkeit …

Es ist Muttertag und wie immer gibt es drei Standpunkte. Die einen, die die Gelegenheit nutzen, der Mutter Danke zu sagen, weil sie es im Alltag oft vergessen und weil man es halt so macht. Die Zweiten, die die Chance ergreifen, um von Herzen ihre Wertschätzung auszudrücken. Schließlich noch die dritte Fraktion, die Muttertag für ein Relikt aus ungeliebten Zeiten, oder vielmehr für ein vom Kommerz gemachtes Fest halten. Es spielt hier keine Rolle, zu wem man gehört. Was mir oft an dem Tag passiert, sind kleine Nachrichten von anderen Müttern. WhatsApp meldet sich: „Guten Morgen liebe Anna, alles Liebe zum Muttertag. Lass uns dankbar sein, dass wir Mamas sein dürfen!“ Da ist es wieder: Das kleine Wörtchen „Dankbarkeit“, über das ich sehr oft in den letzten Tagen nachgrübele.

Seit Wochen bin ich zuhause, öfter alleine und habe viel Gelegenheit darüber nachzudenken. Es ist keine leichte Zeit für uns alle. Die Pandemie hat unser aller Leben zum Stillstand gebracht. Eine Zeit lang jedenfalls. Für mich war es ok. Ich gehöre zur Risikogruppe. Ich fühlte mich die ganze Zeit sicher und beschützt. Es gab auch nichts zu klagen. Wir haben es gut. Genug Platz zuhause, genug zu essen, Dinge, die uns beschäftigen, einen Garten, Möglichkeiten uns aus dem Weg zu gehen. Wir können trotzdem weiter arbeiten. Die Gehälter kommen pünktlich und in voller Höhe. Wir haben keine kleinen Kinder mehr zu versorgen. Ach ja, ganz wichtig, das WC-Papier geht uns nicht aus – ohne Hamsterkauf. Anderen ergeht es schlimmer. Mir ist bewusst, dass andere weitaus schwierigere Situationen zu bewältigen haben. Dennoch habe ich den Eindruck, dass die Menschen mit jeder Lockerung der Pandemie-Regelungen unzufriedener werden.

Niemand wird je mit Sicherheit sagen können, ob alle Maßnahmen gerechtfertigt oder überzogen waren. Fakt ist, unsere Krankenhäuser haben keinen Kollaps erlebt, unsere Sterberate ist eine der niedrigsten der Welt und schließlich wird viel getan, um wirtschaftlich zu unterstützen. Ich mag dabei nicht über die Grenzen anderer Länder sehen, wo es sehr viel anders aussieht. Sicherlich sind einige Fehler passiert. Doch wer konnte je schon so ein Szenario proben. In diesen Tagen möchte ich kein Entscheidungsträger sein. Statt Dankbarkeit zu zeigen oder einfach ruhig zu bleiben, mehren sich die Nachrichten von Protesten. Gegen die Auflagen des Abstandhaltens, der Hygiene, des Ausgangs, der Wiederöffnungen und vieles mehr. Verschwörungstheorien werden geboren, bei denen man sich einfach nur noch fragen kann, ob die Leute alle Tassen im Schrank haben. Die Demokratie sei gefährdet und die Grundrechte sollen untergraben werden. Natürlich auch wieder die Rechten, die die Gunst der Stunde nutzen, Verschwörungsexperten und eine Menge Leute, denen langweilig ist. Hinterfragen ist unmodern. So viele Aluhüte können gar nicht gebastelt werden, um die Leute wieder auf den Boden zu bringen.

Aber es ist auch eine andere Dankbarkeit, die immer mehr zu vermissen ist. Sie ist persönlich und steht in engem Zusammenhang mit Zufriedenheit. Damit anderen etwas gönnen können, sich an Kleinigkeiten zu freuen und mit gegenseitiger Wertschätzung. Ich habe zuweilen den Eindruck, dass die Menschen sich verändert haben. Wir Älteren sagen gerne entweder: „Früher war alles viel besser.“ oder: „Ihr solltet es einmal besser haben! “. Der erste Satz ist das ständige Klagelied vergangene Zeit zu glorifizieren und sich mit Unbekanntem nicht arrangieren wollen, vielmehr Neues zu kritisieren. Der zweite Ausspruch ist der Wunsch der älteren Generation, dass die Zukunft der Nachkommenschaft gesichert ist. Aber eher ist er ein unterschwelliger Vorwurf, wenn der Nachwuchs nicht gehorchen mag und die Andeutung, dass man selber es ja nicht so gut hatte. Beide Sätze passen in die Zeit nach dem letzten Weltkrieg, vor dem tatsächlich sehr vieles besser war (oder auch nicht) und es nicht viel dazu gehörte, es leichter zu haben als eben in jenen Tagen.

Heute frage ich mich oft, was unsere Nachkommen einmal besser haben sollen? Oder wo wir uns selber noch steigern sollen. Dabei beschränke ich mich auf dieses Land. Was wollen wir mit unseren Luxusbestrebungen noch erreichen, wie groß darf der Fernseher werden, wie dick darf der Reisekatalog in die Welt sein. Wir leben auf einem dermaßen hohen Niveau, dass kaum mehr zu toppen ist. Auf Kosten der Umwelt und der Außenwelt, die wir tunlichst von unserem Luxus ausschließen möchten. Man muss bewahren, was einem lieb und teuer ist!

Immer höher, weiter, schneller geht irgendwann nicht mehr, aber mit dem Status quo zufrieden zu sein, ist für die meisten Menschen nicht leicht. Dabei ist es so angenehm, einem anderen sagen zu können, dass sein Kleid, die Frisur oder sein Bild gefällt. Es ist schön, die Leistung anderer zu sehen und wertschätzen zu können. Genauso wie wir genießen ein Lob des Partners, der Freundin, des Chefs zu bekommen. Zu sehen, dass jemand bemerkt hat, dass ich mir mit etwas besondere Mühe gegeben habe. Oder nur Einfachmal zwischendurch gesagt zu bekommen, dass man für jemanden wichtig ist.

Auch materiell mit dem zufrieden sein, was man hat, kann sehr entspannend sein. Ich muss nicht die neusten Markenklamotten, das teuerste Parfüm und den angesagtesten Schmuck haben, um persönliche Zufriedenheit zu spüren. Es ist gut, einen realistischen Blick zu wahren, was tatsächlich lebensnotwendig ist oder was Luxus ist. Natürlich möchten sich Jüngere eine Existenz aufbauen und vorteilhaft ist, wenn sie dabei nicht auf verlockende Ratenzahlungsangebote hereinfallen. Es war doch eine spannende Zeit als der improvisierte Haushalt sich immer weiter in eine komplette Wohnungsausstattung entwickelte. Nichts muss von Anfang an perfekt sein.

Ich habe so viele Dinge, für die ich dankbar sein und die ich wertschätzen kann. Habe um mich Menschen, die ich begleiten und bewundern kann. Ich darf kleine Situationen erleben, an denen ich mich lang erfreuen kann. Ich kann im Großen und Ganzen tun, was ich will, sagen, was ich will, mich bewegen, wie ich will. Ich darf sogar dankbar sein, schon zu den Senioren zugehören, mit allen Zipperlein des Alters, die ich natürlich zähneknirschend annehme. Aber mir dafür die Laune zu verderben? Was ich erlebt habe, war in der Summe zu wertvoll.

Die kleinen Wörtchen Dankbarkeit, Zufriedenheit, Gönnen sind kein Bild nach außen, sondern ein Eindruck, wie ich mit meiner Persönlichkeit umgehe, was ich für ein Mensch bin. Natürlich darf ich Dinge hinterfragen, kritisch betrachten, bessere Lösungen anstreben und mich klar positionieren. Entspannter lebt es sich, mit dem Gegebenen und Erreichten zufrieden zu sein und das zu pflegen. Vieles ist heutzutage besser, als es je zuvor gewesen ist, aber – anders halt!

Integration ist Kunst

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Sie hat einen Blick für sie. Jetzt könnte man sagen, dass das zu ihrem Job gehört, aber es ist weit mehr als das. Wenn Veronika Mampel durch die Straßen läuft, wenn sie etwas auf einem Amt zu tun hat oder in der Stadtbibliothek Bücher zurück bringt, sieht sie die Menschen. Menschen, die in den Straßen Koffer tragen und sich anhand von Wegzetteln orientieren. Sie sieht Menschen, die in Begleitung auf Ämtern versuchen, ihre Angelegenheiten zu regeln, was sie ohne Dolmetscher nicht könnten. Sie sieht Menschen, denen von freiwilligen Helfern unser kulturelles Angebot, zum Beispiel in der Bibliothek, näher gebracht wird und denen man die Stadt und unser öffentliches Leben zeigt. Es sind Menschen, die bewegende Geschichten hinter sich haben und hier versuchen, ein geregeltes Leben aufzubauen. Sie steht selber jeden Tag mit diesen Menschen im Kontakt, weshalb sie auch die anderen Geflüchteten mit geübten Blick erkennt … und ihre Hoffnungen spürt.

LT_21.7-fluechtlingsarbeit_1„Die Wanderung der Geflüchteten ist noch lange nicht zu Ende, wenn sie es geschafft haben, bei uns anzukommen.“ weiß Veronika Mampel aus Erfahrung. Als Mitbegründerin des sozialen Trägers Stadtteilzentrum Steglitz e.V. und aus der langjährigen Arbeit als Arbeitsbereichsleiterin für nachbarschafts- und generationsübergreifende Arbeit hat sie immer mit unterschiedlichsten Menschen zu tun. Über die Weihnachtsfeiertage 2014/2015 kamen geflüchtete Menschen dazu. Von heute auf Morgen wurde eine Halle im Kiez zur Notunterkunft umfunktioniert, eine spontane Spendenaktion ausgerufen und dort geholfen, wo es eben ging. Diese erste Erfahrung war anstrengend und bereichernd zugleich, und – was noch niemand wusste – die Geburtsstunde ihres neuen Arbeitsbereiches, der Koordination der Flüchtlingsarbeit innerhalb des Trägers. Die integrative Arbeit für eine Erstaufnahme-Einrichtung kam in der Folge hinzu, eine weitere Notunterkunft in einer Halle als Betreiber, zwei Einrichtungen für unbegleitete Kinder- und Jugendliche. Nebenher die Koordination vieler ehrenamtlicher Helfer, an denen es glücklicherweise in diesem Bezirk nicht mangelt. Darüber hinaus wurden in den bestehenden Einrichtungen viele Angebote geschaffen, die es den Geflüchteten ermöglichen, für ein paar Stunden aus ihrem sonst eintönigen Alltag herauszukommen, Kontakte mit Einheimischen zu knüpfen und die deutsche Sprache kennenzulernen. Letztlich musste auch der nachbarschaftliche Aspekt von ihr bedacht werden. Nur Unbekanntes schürt Ängste. Nachbarn, die den Menschen hinter dem Geflüchteten kennenlernen möchten, brauchen sich nicht zu fürchten. Das hört sich alles nach viel Arbeit an, ist es auch, aber natürlich hat sie viel Unterstützung von den Mitarbeitenden und geht in der Planung routiniert vor. Was jedoch nie zur Routine werden kann, ist die Geschichte, die jeden Geflüchteten begleitet und bei jedem anders aussieht.

Die Geflüchteten begegnen ihr jeden Tag. Jedes ihrer Schicksale hinterlässt Spuren und es gehört eine gewisse Professionalität dazu, um damit umgehen zu können. Die Anforderungen an diese Aufgabe und an die Geflüchteten sind vielfältig. Kindern muss der Besuch in einer Willkommensklasse ermöglicht werden, viele Kinder und Erwachsene benötigen ärztliche Betreuung, Erwachsene müssen motiviert werden, Angebote wie Deutschkurse anzunehmen. Anträge müssen bearbeitet werden, Termine gehalten und erneut vereinbart werden. Zwischen Terminen und Anträgen müssen lange, nervenaufreibende Wartezeiten überbrückt werden. Intimität gibt es dabei für die Geflüchteten nicht, da sie mit vielen anderen in einer Halle leben, die keine Möglichkeit bietet, für sich alleine zu sein. Angekommen sind sie nur in Deutschland – aber noch lange nicht in Sicherheit und in geregelten Verhältnissen. Veronika Mampel weiß, wie sich das anfühlt und was in diesen Menschen vorgeht. Kurz vor dem Mauerbau sind auch ihre Eltern in den Westen übergesiedelt und mussten mit allen Kindern ganz von vorne anfangen. Sich integrieren in eine Gesellschaft, die nur mit sich selbst beschäftigt war.

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Mit manchen Schicksalen kommt sie intensiver in Kontakt. Zwei junge Syrer, die im Seniorenzentrum Scheelestraße eine erste Bleibe fanden, hat sie fast von Anfang an begleitet. Haydarah ist einer der beiden. Mit viel Geduld hat er es geschafft das Bleiberecht in diesem Land zu bekommen. Mit Hartnäckigkeit und viel Glück gelang es schließlich, ihm durch den Dschungel der Anträge und Papiere zu helfen und heute freut er sich jeden Tag auf seine feste Arbeit und auf die eigene Wohnung, in die er am Abend zurückkehren kann. Seine Geschichte ist eine Kombination aus Glück und eigenem Willen. Auch der zweite junge Mann ist auf einem sehr guten Weg, aber sein Bleiberecht noch nicht restlich geklärt. Erst dann wird es möglich, Arbeit und Wohnung in Angriff zu nehmen, auf die er durchaus schon Aussichten hat. Bei diesen beiden hört es sich gut an, nicht erwähnt dabei sind die Wohnungen, die sie nicht bekommen haben. Veronika Mampel kennt das leere Gefühl nur zu gut, wenn man eine Wohnung für einen Geflüchteten in Aussicht hat, alle Papiere zusammenstellt, abgibt und … wartet. Die Wohnungen sind dann vergeben, weil die Behörden zu langsam reagieren. Man stößt oft an die Grenzen der Machtlosigkeit, muss sie aushalten und doch ungebrochen weiter machen. Geschichten wie die von Haydarah bauen auf und schaut man in sein strahlendes Gesicht, weiß man einfach, dass es richtig ist.

Sie hört oft die Geschichten, die diese Menschen mitbringen und von den Nöten, die sie hier erleben. Geschichten über Flucht, verlorene Familienmitglieder, verlorene Träume. Geschichten, die wir kaum begreifen können, weil wir nie in die Nähe der Angst kommen, die diese Menschen erlebt haben. Die Gefahr nicht spüren können, die sie aushalten mussten, den Verlust nicht kennen, den sie verkraften müssen. Gerade jetzt ist Ramadan, der Fastenmonat der Muslime. Sie müssen sich in einer vorwiegend christlichen Gesellschaft den Glauben und die Tradition bewahren. Sie sind geschwächt durch das Fasten. Normalerweise ein Ereignis eng verbunden mit dem familiären Kreis. Und doch müssen sie ihren Glauben den Erfordernissen, Terminen und den Spielregeln, die hier gelten, anpassen – ihre Hoffnungen, Verluste, Ängste und Vergangenheit zurückstellen.

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Integration ist eine Kunst und ein Zauberwort, das man allzu oft hört, wenn es um Geflüchtete geht. Sie müssen diese Gratwanderung zwischen altem und neuem Leben bewältigen. Wie schwierig das ist, erlebt Veronika Mampel jeden Tag aufs Neue. Erlebt, was von ihnen gefordert und erwartet wird. Erlebt die Gleichgültigkeit, die viele von uns ihnen entgegen bringen. Erlebt aber auch Dankbarkeit, Menschen, die unbedingt neu anfangen wollen und Unterstützung, die sie immer wieder in ihrem Handeln bestärkt. Es ist weit mehr als der richtige Blick für diese Menschen. Es ist ihr Blick auf eine Gesellschaft, die nur an der Akzeptanz dieser Aufgabe und Integration dieser Menschen wachsen kann.

Hühnchen, Möhrchen, Tiger und Co.

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34,4 Millionen Haustiere gab es laut statistika.com im Jahr 2015 in deutschen Haushalten, untergliedert in Katzen, Kleintiere, Hunde, Ziervögel, Gartenteiche, Aquarien und Terrarien. Eine Studie der Uni Göttingen von Prof. Dr. Renate Ohr aus dem Jahr 2014 zum „Wirtschaftsfaktor Heimtierhaltung“ gibt an, dass „Deutschlands Heimtierhaltung insgesamt einen jährlichen Umsatz von über 9,1 Mrd. Euro mit ca. 185.000 – 200.000 Arbeitsplätzen bewirkt“. Enorme Zahlen, die viel Raum für Interpretationen lassen und doch nichts über den wirklichen Wert und die Wirkung eines Haustieres aussagen. Jedes dieser 34,4 Millionen Haustiere ist für seinen Besitzer einzigartig – emotionale Ladestation, Entspannungsfaktor, Quelle persönlicher Liebe und Zuneigung, oft Schutz vor Vereinsamung. Rational ist jedem klar, dass diese Tiere eine kurze Lebenszeit haben, doch wenn sie sich verabschieden ist die Trauer groß. So wie bei uns – wir mussten uns nach 15 Jahren von unserem Tiger trennen. Ich bin eigentlich kein Katzenmensch, Hunde liegen mir eher. An diese Katze denke ich jedoch gerne zurück. Sie hat uns so viele Jahre begleitet und meine Kinder sind mit ihr aufgewachsen. Sie war besonders – dreifarbig, also eine Glückskatze, und hat nach ihren Regeln bei uns gelebt.

Ich selber bin mit Haustieren aufgewachsen. Das erste war eine Schildkröte, Mohammed, die meine Eltern damals noch legal aus Marokko mitgebracht hatten. Da wir oft zelteten, hatte mein Vater ihr ein Loch in den Panzer gebohrt und so konnte sie immer mitkommen, weil eine Nylonschnur das Weglaufen verhinderte. Das zweite Tier war ein Hund, der Boxer XuXu, den wir von Portugal mit nach Deutschland brachten. Ich habe das Bild noch vor Augen, als der Hund das erste mal mit Schnee in Kontakt kam. Der Schnee lag über Nacht einen Meter hoch im unserem Hof und der Hund tobte so sehr darin, dass man nur hin und wieder die spitzen Ohren sah. Der zweite Hund kam mit 9 Monaten in unser Haus, Afra von der Neusiedlung, ein irischer Setter mit dem wir aufwuchsen. Sie sollte als Jagdhund dienen, jagte aber lieber selber als dem Jäger sein Handwerk zu überlassen und wurde Familienhund. Sie wurde 16 Jahre alt und hatte zwei Würfe mit ihrer großen Liebe aus der Nachbarschaft, einem langhaarigen Schäferhund.

Afra musste viele andere Haustiere dulden. Bei uns zuhause mit fünf Kindern waren oft Tiere, die gerettet werden mussten. Die waren natürlich nur kurz da, sofern mein Vater entschied, dass man sie retten konnte – sonst waren sie noch kürzer da. Ich hatte einmal zwei Hamster, an denen ich aber die Lust verlor als mich beide gleichzeitig in beide Daumen bissen. Meinen Daumen brauchte ich noch selber. Bei den Geschwistern blieb der Nymphensittich Hühnchen, die Zebrafinken und Fische in Erinnerung. Der jüngste Bruder kann die Graugans „Gertrud“ im Lebenslauf erwähnen und verzeiht uns bis heute nicht die Witze, die wir mit Kochtöpfen in Bezug zu ihr machten. Und obwohl mein Vater keine Katzen mochte, kam irgendwann doch eine ins Haus. An das schwarz-weiße Flöhchen erinnere ich mich noch, weil sie nichts schöner fand als die nackten Füße eben des Vaters zu jagen.

Später kamen sogar Hühner dazu. Als meine ältere Schwester in Belgien heiratete, schenke unser Onkel ihr einen Schnellkochtopf – lebendes Huhn inklusive. Ein Huhn allein geht aber nicht und da mein Vater wundersamer Weise es nicht übers Herz brachte dieses eine Huhn zu schlachten, zudem ein Hühnerhaus vorhanden war, kauften wir auf dem Sonntagsmarkt in Mons halt sechs Küken dazu. Pech war, dass alle sechs Küken wunderschöne Hähne wurden. Da war wirklich was los im Hof und so konnte nur ein Hahn übrig bleiben. Andere Hühner kam hinzu und meine Mutter konnte immer über einen guten Vorrat an frischen Eiern verfügen.

Wir bekamen also reichlich Erfahrung mit Tieren, einschließlich Jagdtieren. Der Vater war Hobbyjäger und der Ansicht, dass wir Kinder wissen mussten, wie man einem Kaninchen das Fell über die Ohren zieht. Es könnte ja sein, dass wir einmal dadurch überleben mussten. In meinem Fall eine einmalige Erfahrung. Überhaupt mochte ich die erjagten Tiere nicht, da zum einen immer tot und wer zum anderen einmal ein Fasanbeinchen versucht hat zu essen, das mit Bleikugeln gespickt war, den Geschmack daran verliert. Für drei Tage hatten wir zwei Karpfen. Die schwammen in der Badewanne und wurden viel von uns gestreichelt. Nur war irgendwann die Wanne leer und die Karpfen auf dem Tisch – wir Kinder verweigerten. Als wir älter waren stank es irgendwann fürchterlich aus dem Keller. Nach sehr langer Ursachensuche wurde klar, dass Mohammed aus Marokko den Winter nicht überlebt hatte. Sie überwinterte immer im Kohlenkeller und mein Vater hatte dort einen Schrank abgebeizt. Die Dämpfe haben ihr bis dahin langes Leben beendet. Schade, denn sie war schon stattlich groß und hübsch.

Zuhause ausgezogen, versuchte auch ich es kurz mit Zebrafinken. Danach lebte ich viele Jahre ohne Haustier und heiratete einen Mann, der sogar ganz ohne Tiere aufgewachsen war. Das änderte sich erst wieder mit den eigenen Kindern. Die Kleinste hatte Angst vor Tieren überhaupt und war das einzige Kind in der Welt, dem man mit einem Zoobesuch keine Freude machen konnte. Die Tochter aus erster Ehe meines Mannes beschloss künftig ebenso bei uns zu leben und sie war Katzen bei der Mutter gewohnt. So erkämpfte ich gegen den hartnäckigen Widerstand meines Mannes, die Zustimmung für eine Katze – aus psychologischen Gründen natürlich. Aus der ersten einen Katze wurden zwei, denn die Schwester des zugesagten Katers hatte auch noch kein Zuhause. Zwei Katzen sind ja einfacher zu halten als eine. Tiger (dreifarbig) und Puma (schwarz) wohnten von nun an bei uns. Mit den beiden sind meine Kinder aufgewachsen und mit ihnen haben wir wirklich viel erlebt. Die Tierphobie der Kleinsten war schnell überwunden und ich habe immer gestaunt, was ein Tier alles mitmacht, wenn es von kleinen Mädchen als Puppenersatz bespielt wird. Jedenfalls kam es oft vor, dass zur Futterzeit eine Katze ganz lässig mit T-Shirt gekleidet zu mir in die Küche kam.

Meinen Kampf, dass kein Tier in ein Bett gehört habe ich offiziell gewonnen. Inoffiziell möchte ich nicht wissen, wie oft sie in unseren Federn lagen, wenn ich nicht da war. Erwischt habe ich einmal unter weißer Tagesdecke eine schwarze Schwanzspitze und sie dann flitzen sehen. Auch der Gatte gewöhnte sich an die beiden und die tierliebe Nachbarin übernahm immer den Dienst, wenn wir verreisten. Nur die Sache mit den Geschenken der Katzen konnten wir zwischen uns nie befriedigend klären, wollte sich doch bei mir keine Dankbarkeit für tote Mäuse oder Vögel einstellen. Zu den Katzen kam ein Hund. Den hatten wir der Schwiegermutter als Welpe geschenkt und sie liebte ihn sehr. Eddi, der Golden Retriever, schlich sich in unsere Herzen. So sehr meine Schwiegermutter ihn aber auch liebte, vergaß sie, dass man so einen Hund erziehen muss. Eines Tages war er groß, pubertär, der Chef im Haus und nicht mehr zu halten. Weggeben ging nicht – der Kinder wegen und so blieb nur, ihn zu uns zu holen. Die Katzen waren nicht begeistert, der Gatte auch nicht, wobei letzterer ihn ja schon sehr mochte. Die Katzen verpassten ihm rechts-links Kombinationen und machten ziemlich schnell deutlich in welchem Radius sich Eddi um sie herum bewegen durfte.

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Eddi und ich haben im ersten halben Jahr sehr darum gerungen, wer von uns beiden Chef im Haus ist. Nach einem Biss, an dem ich selber Schuld war, waren wir beide Blutsbrüder und ich seit dem sein Chef. Trotzdem haben wir noch weitere zwei Jahre viel Zeit mit dem Hundetrainer verbracht. Nicht, weil der Hund nichts kapierte, sondern weil es Spaß machte. Der Puma musste nach einem Unfall vor ein paar Jahren gehen, was sehr hart für die Kinder war. Tiger und Eddi wurden nun gemeinsam älter, und in den letzten ein/zwei Jahren näherten sie sich sogar an. Bei Gewitter war es durchaus möglich, dass sie beide zusammen lagen und pünktlich um 18.00 Uhr war Zeit für friedliche Koexistenz in der Küche. Tiger fraß, Eddi fraß auch und wartete immer bis die Katze satt war und wegging … um dann nach eventuellen Katzenfutter-Resten zu schauen.

Jetzt musste auch der Tiger gehen. Ein Tumor hat seit Ende besiegelt und da kein Tier unnötig leiden sollte, durfte sie friedlich in unseren Armen bei der Tierärztin einschlafen. Was ich vorher nicht für möglich gehalten hätte: Der Tiger sollte im Garten begraben werden, wo auch der Bruder liegt. Wir nahmen die tote Katze mit nach Hause und ich legte sie auf die Terrasse in einer Decke eingeschlagen. Während mein Mann das Loch grub, kam der Hund und leckte die Katze immer wieder ab um sie aufzuwecken. In dieser Nacht war er nicht dazu zu bewegen ins Haus zu kommen, sondern legte sich neben das Grab und passte bei der Katze auf. Er hatte eine Freundin verloren, was man ihm mehrere Tage anmerkte. Meine Kinder trauerten ebenso, die Große auf ihre Weise, die Jüngere sehr heftig. Auch wir Eltern empfinden eine gewisse Wehmut, können mit den Unabänderlichkeiten der Dinge aber besser umgehen. Natürlich entstand sofort die Diskussion nach einer neuen Katze. Die Kinder sind aber beide in einem Alter, das viel Veränderungen in den nächsten Jahren verspricht. Mein Mann und ich möchten keine Katze mehr … der Hund wird sicherlich nicht der letzte sein.

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Ich bin allen Tieren dankbar, die meinen Weg begleitet haben. Besonders diesen beiden Katzen für das was sie uns, besonders meinen Kindern, gegeben haben. Aber – es sind Tiere, die nicht vermenschlicht werden sollten. Trotzdem sind es fühlende Wesen, die in der Lange sind, Stimmungen des Menschen aufzunehmen, bei Krankheiten helfen, trösten und Lachen erzeugen können. Sie können Kindern Verantwortung beibringen, Selbstbewusstsein schenken, Einsamkeit zunichte machen, können Freund sein, Liebe erwidern und vieles andere mehr. Sie geben uns Menschen echte Gefühle und Zuneigung. Natürlich bezweifele ich, ob der Fisch im Aquarium oder die Echse im Terrarium mir das geben kann, wozu mein Hund in der Lage ist, aber vielleicht verstehe ich nur nicht, wie Fisch und Echse Zuneigung und Treue vermitteln. Ich denke aber, dass jedes dieser 34,4 Millionen Haustiere seine Berechtigung hat und einen Platz in einem Herzen.

Schreiben gegen Rechts – die Blogparade FÜR Toleranz + Vielfalt

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Die Zusammenfassung

Angefangen hat alles aus Ärger und Angst. Ärger über Nachrichten aus der aktuellen Tagespolitik, über Intoleranz, über politische Strömungen, die dem Gedanken unseres Grundgesetzes zuwider laufen und über das historische Vergessen in unserer Geschichte. Angst vor Entwicklungen, die wir nicht mehr aufhalten können, wenn wir nicht rechtzeitig einschreiten. Angst vor offensichtlich immer stärker werdenden rechten Tendenzen in unserem Land. Angst vor Extremismus völlig gleich aus welcher Richtung. Es waren andere Nachrichten, die ich lesen und andere Stimmen, die ich hören wollte. Besonders aber wollte ich nicht, dass wieder einmal zu viele still sind und so unabsichtlich Tendenzen fördern, die niemandem in diesem Land gut tun können. Ich wollte etwas tun und nicht still sein – so entstand die Idee der „Blogparade gegen Rechts“. Ende Februar schrieb ich meinen Aufruf, veröffentlichte ihn in meinem Blog und bangte anfänglich, ob das wohl etwas werden würde. Es wurde … wurde so viel, wie ich es kaum für möglich gehalten hätte. Es versetzt mich jetzt in die Lage, ein wunderbares Statement gegen Rechts, FÜR Toleranz, für eine offene, freie und multikulturelle Gesellschaft, in der Zusammenfassung von 81 Blogbeiträgen vorzustellen.

Was hier zusammen gekommen ist, sind nicht nur 81. Beiträge, es ist auch ein ganzer Monat mit der Auseinandersetzung mit dem Thema. Jeder Beitrag ist auf seine Weise einzigartig. Manche gehen in ähnliche Richtungen und doch bringt jeder eigene Aspekte ein, beleuchtet das Thema von einer anderen Seite oder stellt es auf ganz eigene Weise dar. Jeder Beitrag ist ein Gewinn für denjenigen, der sich kritisch mit den Tendenzen im Land auseinandersetzen will. Es sind sachliche Beiträge, Gedichte, Geschichten, persönliche Erlebnisse oder Beispiele aus Projekten und Hilfeangebote u. v. m. Jeder Beitrag ist ein Bekenntnis, warum wir ein bestimmtes Kapitel unserer Geschichte nicht wiederholen wollen. In seiner Sprache ist jeder anders – manche ganz klar, manche frech, manche deutlich, mache sarkastisch und manche eher versöhnlich. Jeder so, wie er es will, jeder Beitrag steht für sich.

Zu jedem Beitrag und auch dazwischen, schrieben Leser ihre Kommentare. Mal lieb und freundlich, mal kritisch … immer – und das rechne ich allen Lesern hoch an – in angemessenem Ton! Ich habe alles freigeschaltet, was geschrieben wurde. Aus Erfahrung behalte ich mir vor, neue Kommentatoren erstmalig freizuschalten. Kritik bekam ich ebenfalls, die es zu bedenken gab: Warum nur gegen Rechts zum Beispiel. Ganz einfach, weil die Rechten zur Zeit das Bild bestimmen. Grundsätzlich bin ich gegen alles, was extremistisch, undifferenziert und menschenverachtend ist. Warum „Gegen“ und nicht „Für“? Diesbezüglich verweise ich auf den letzten Satz des Aufrufs „Ich würde mich unheimlich freuen, wenn ihr dazu beitragt, dass ein Teil meiner Angst in Stärke und Gewissheit gewandelt wird, dass jeder etwas – nach seinen Mitteln und Möglichkeiten – FÜR unseren offene, freie Gesellschaft tut.“ Auch glaube ich, dass der Aufruf bei weitem nicht die gleiche Aufmerksamkeit bekommen hätte, hätte ich ihn „Für Toleranz und Vielfalt!“ genannt – so traurig das auch sein mag.

Es wurde recht schnell klar, dass eine einfache Auflistung oder Linkliste aller Beiträge der Sache nicht mehr gerecht werden würde. So überlegte ich lange über die Form der Darstellung. Ich denke, ich hätte ein einfaches Pdf mit allen Beiträgen gemacht, aber manchmal ergeben sich Dinge, die sich zeitlich in die Hände spielen. Durch meine Arbeit ergab sich die Notwendigkeit, dass ich mich mit einem neuen Format der Veröffentlichung von Texten auseinander setze, weil die Zeitung, die ich seit Jahren machte, eine neue Form brauchte. So hatte ich mit der Blogparade das ideale Übungsobjekt und kann ein eBook anbieten, das jeder bequem an Smartphone, Tablet oder am Computer lesen kann. Ich betrachte es nicht als Buch (dafür gibt es Fachleute) und die professionellen Autoren unter euch mögen mir gnädig sein. Es ist für mich die bequeme Möglichkeit, alle wunderbaren Beiträge einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Ich betrachte es auch nicht als „meins“ – es gehört allen teilnehmenden Bloggern gemeinsam. Und ich betrachte es auch nicht als fertig. Zwar habe ich versucht alle Formatierungen der ursprünglichen Beiträge weitestgehend zu übernehmen, alle gesetzten Links zu beachten und Bilder, sofern möglich, einzubinden, aber sicherlich ist mir das ein oder andere durchgerutscht. Die reinen Texte sind 1:1 aus den verlinken Quellen kopiert. Wer also etwas entdeckt, was geändert werden sollte, möge Bescheid geben, sofern er gar nicht damit leben kann. Einzig die immer wiederkehrende Verlinkung auf die Blogparade habe ich weggelassen. Gestalten kann man in einem eBook nur bedingt. Ich habe mich etwas daran versucht, indem ich den Anfang jedes Kapitels in Formatierung der Schrift und durch Bilder gleich aussehen lies.

„Nicht fertig“ bedeutet für mich auch, dass ich die Parade nicht als beendet betrachte. Ein paar Beiträge fehlen dabei. Ein Blog war vollständig gelöscht, ein Link funktionierte nicht mehr, ein paar tweets lassen sich nicht zurück verfolgen. Letztlich waren auch noch ein paar Beiträge angekündigt. Nun, wir kennen alle den Alltag, der unsere Pläne durcheinander bringt … ich weiß nicht, ob es verwegen ist, aber bis zu 100 Beiträgen würde ich das eBook erweitern. 19 Kapitel einfügen (das habe ich jetzt gelernt) ist technisch gut machbar. Ich lasse es also offen, ob der ein oder andere noch einen Beitrag hinzufügen möchte.

Die Bearbeitung der einzelnen Beiträge, war für mich noch einmal eine intensive inhaltlich Auseinandersetzung. Ich bin nicht in der Lage zu sagen, welcher mir am besten gefällt. Jeder Beitrag hat etwas für sich. Aus dem Kopf heraus kenne ich den kürzesten, den längsten, den witzigsten, den erschütternsten, den frechsten Beitrag … auf der Höhe der Beiträge, die bewundernswert sind, stehen alle 80 Beiträge gleich … der 81. ist mein eigener, den nehme ich aus. 😉 Absolut begeistert bin ich von den vielen unterschiedlichen Denkansätzen, die hier zusammen kommen. Ich werde sie noch einmal lesen, mir in Ruhe die zugehörigen Verlinkungen ansehen, überdenken, was ich erfahre, dazu lernen und verwerten. Dafür bin ich dankbar!

Dankbar bin ich allen die teilgenommen haben – haben sie mich doch in dem bestätigt, was ich erfahren wollte. Es gibt sie – die Stimmen da draußen, die durchaus etwas dagegen zu setzen und zu sagen haben. Ein Teil meiner Angst ist Stärke und Gewissheit geworden: Nicht alleine zu sein mit meiner Hoffnung, dass eine tolerante Gesellschaft möglich ist, wenn wir nicht müde werden uns dafür einzusetzen und darum kämpfen. Wenn wir mit Wort und Tat Vorbilder werden und daran glauben, dass jeder – wirklich jeder – bei uns seinen Platz hat. Wenn wir uns für Empathie unseren Mitmenschen gegenüber einsetzen und sie ausleben, ganz gleich woher sie kommen, was sie glauben oder welchen kulturellen Hintergrund sie haben. Wenn wir aushalten können, dass es Andersdenkende immer geben wird, für Gespräche mit ihnen offen bleiben und Meinungsvielfalt aktiv leben. Wenn wir Differenzierung von Sachverhalten nicht verlernen. Aber dennoch den Andersdenkenden, empathielosen Mitbürgern, nicht das Feld überlassen.

Ein Dankeschön gilt meinem Mann, meiner Mutter und meinem Chef. Sie stehen immer zu Gesprächen bereit, wenn mich Zweifel plagen oder ich mir in manchen Punkten nicht sicher bin und andere Meinungen brauche. Ein besonderes Dankeschön gilt Günther Kloppert, meinem „alten“ Schulfreund. Er ist kein Blogger – er fotografiert leidenschaftlich und hat viele Bilder für dieses eBook zur Verfügung gestellt. Das ist seine Form des Statements. Alle anderen Bilder stammen aus der freien Pixabay-Auswahl, auch dafür – danke!

Zwei oder dreimal habe ich in einem Kommentar und Beitrag die Frage gelesen, was es bringt, solch eine Blogparade zu veranstalten, was wir dadurch verändern und welche Auswirkungen es hat. Das ist für mich gleichbedeutend mit: „Wir haben ein Problem, aber es lässt sich sowieso nicht lösen, also versuchen wir es erst gar nicht!“ Ich denke, jeder kleinste Versuch, sich für Toleranz und Vielfalt einzusetzen, jedes kleine Lächeln auf der Straße einem Fremden gegenüber, jedes gute Wort an einen Hilfesuchenden, jedes geschriebene oder gesagte Wort für diese gute Sache bewegt und fördert. Jeder von uns ist ein Vorbild in Denken und Handeln – welches Vorbild wir sein möchten, haben wir selber in der Hand. Wir können, jeder einzelne von uns, die Gegenwart und Zukunft positiv und optimistisch gestalten – dieses eBook und sein Statement ist ein Beispiel dafür!

 

Und nun zur Datei:

Das Bild anklicken um das eBook oder
darunter den Link anklicken um alternativ das Pdf herunter zu laden.
(Nur zur Sicherheit sei erwähnt, dass es natürlich kostenfrei ist).

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Blogparade Schreiben gegen Rechts – das Pdf

Ich wünsche allen Lesern der Publikation spannende Lektüre, gute Ein- und Ansichten und freue mich über Rückmeldungen.

… und wenn es euch gefällt – dann bringt es unter die Leute! 🙂

Herzliche Grüße

Anna Schmidt

Weltverbesserer – im Dienst für jeden anderen

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Sie verdienen nichts daran und tun es meist ohne besondere Anerkennung zu erwarten. Die eine backt Kuchen im Café, die andere sortiert Spenden, der nächste begleitet Behördengänge, ein anderer stellt sich kostenfrei Fragen zu rechtlichen Unsicherheiten – das sind nur wenige Beispiele. So unterschiedlich die Tätigkeiten, so unterschiedlich die Gründe der Menschen, die sie ausüben und doch haben alle einen gemeinsamen Nenner: Sie üben ein Ehrenamt aus. 13 Millionen Menschen in Deutschland sind ehrenamtlich für Vereine, Organisationen, Initiativen oder Ähnlichem tätig. Es ist eine Symbiose zwischen Individuen und Verbänden bei der beide Seiten auf unterschiedlichen Ebenen gewinnen. Der Vorteil für die Verbände liegt auf der Hand. Arbeiten, für die kein Geld zur Verfügung stände, werden getan. Aber profitieren auch die Ehrenamtlichen in einem Maß, das sie nicht als blauäugige Weltverbesserer dastehen lässt?

Gemeinschaft ist ein Grundelement einer jeden Gesellschaft und funktioniert dort, wo Menschen bereit sind etwas mehr zu tun oder zu geben, als sie selber benötigen. Gemeinschaft funktioniert dort, wo gegenseitige Achtung gelebt wird, unabhängig des Vermögens des Einzelnen. Je nach Kraft, Stärke und Fähigkeit wird freies Potential an die Gemeinschaft abgegeben, die daraus bereichert wird. Vereine, Organisationen, Initiativen sind Gemeinschaften, die einem bestimmten Ziel unterliegen und dieses nach Möglichkeiten fördern. So haben soziale Vereine den Menschen selber im Fokus, entwickeln und fördern Perspektiven, die Menschen dort abholt, wo sie es aktuell brauchen und in ihrer Lebenssituation unterstützt. Funktionierende Gemeinschaft, gute Nachbarschaft, einvernehmliches Stadtteilleben und generationsübergreifende Begegnung sind solche Ziele, für die der Staat in direkter Form keine Gelder erübrigen kann. So sind diese Vereine in vielen Bereichen auf ehrenamtliche Unterstützung angewiesen.

Viele Vereine, beispielsweise im sportlichen Bereich oder in bestimmten Interessensgebieten, werden durch ehrenamtliche Vorstandsarbeit ihrer Mitglieder organisiert. Auch eine Vielzahl an Sportangeboten besonders für Kinder- und Jugendliche werden durch ehrenamtliche Trainer ermöglicht, die wenn überhaupt lediglich eine Aufwandsentschädigung bekommen. Im karitativen Bereichen werden Begleitdienste, Hilfs- und Spendenangebote wie beispielsweise Bücherstuben oder Essensausgaben durch Ehrenamtliche bestritten. Kindergärten, Schulen, Freizeitstätten … überall dort, wo Menschen zusammenkommen, trifft man auf das Heer der Ehrenamtlichen. Die Gründe ein Ehrenamt anzutreten sind vielfältig. Oft ist es der Wunsch nicht allein zu sein, oft das Vermögen außerhalb der Erwerbstätigkeit Potential frei zu haben und sehr oft auch eine bestimmte Fähigkeit oder ein besonderes Interesse, das man mit anderen teilen möchte. Gemeinsam haben alle Ehrenamtlichen die Freiwilligkeit und das Wissen für diese Tätigkeit materiell leer auszugehen. Der Gewinn liegt in ideellen Werten, die dem Ehrenamtlichen wiederum ermöglichen Teil einer Gemeinschaft zu sein, etwas zu schaffen oder ein Ziel zu verwirklichen, dass Zufriedenheit und Genugtuung verschafft.

„In der Nachbarschaftsarbeit ist ehrenamtliche Arbeit ein Muss“ sagt Veronika Mampel. Ihr obliegt der Arbeitsbereich der nachbarschafts- und generationsübergreifenden Arbeit und die Koordination der Flüchtlingshilfe des Stadtteilzentrum Steglitz e.V., einem sozialen Träger, der der Tradition der internationalen Nachbarschaftsheimbewegung verpflichtet und seit Gründung 1995 für alle Menschen in Berlin Steglitz-Zehlendorf tätig ist. Gerade in Großstädten wie Berlin sind Nachbarschaftstreffpunkte, Mehrgenerationen- oder Kinder- und Jugendhäuser aus der sozialen Landschaft nicht mehr wegzudenken. Menschen brauchen Treffpunkte und Möglichkeiten, die sie vor Isolation und Vereinsamung bewahren. Was in früheren Zeiten die Großfamilie oder dörfliche Gemeinschaft leistete, muss in heutiger Zeit auf andere Weise gefunden werden. Gegenseitiger sozialer Halt, Gemeinschaftsgefühl, Unterstützung in problematischen Lebenslagen, aber auch Lebensfreude und Lachen ist in solchen Treffpunkten zu finden. Die Ehrenamtlichen sinnvoll und an passender Stelle einzusetzen, erfordert viel Feingefühl, erzählt sie weiter. Man muss genau zuhören, was der einzelne einbringen und welche Bedürfnisse durch sein Ehrenamt erfüllen möchte. Und natürlich muss das Amt zum Ehrenamtlichen passen, damit es eine fruchtbare Bereicherung für beide Seiten wird. Freude am Leben muss der Ehrenamtliche mitbringen, ebenso wie ein selbstbewusster Umgang mit Herausforderungen in der Arbeit, ein stabiles Selbstwertgefühl und Kritikfähigkeit. Nach dem schönsten Erlebnis im Bereich der ehrenamtlichen Arbeit gefragt, erzählt sie von den jüngsten Erlebnissen in der Flüchtlingshilfe. Die spontane Bereitschaft selbst über Weihnachtsfeiertage zu helfen, der unglaubliche Zulauf bei kurzfristigen Hilfeaufrufen, sind Erlebnisse, die sie immer wieder begeistern. Für diese Erlebnisse ist sie dankbar, bestärken sie sie doch in ihrem Tun und geben Gewissheit, selbst in Krisensituationen nicht allein zu sein.

Dankbarkeit drückt auch Manuela Kolinski aus, wenn sie an „ihre“ Ehrenamtlichen denkt. Sie ist Projektleiterin des Nachbarschaftsbereichs des Gutshaus Lichterfelde. Das kleine Café im Haus wird ausschließlich durch ehrenamtliche Helfer geführt. Sie erzählt: „Jeden Morgen komme ich ins Gutshaus und freue mich auf die ehrenamtliche Kollegin, die den Frühdienst im Café hat. Es ist jeden Tag jemand anderes. Jede hat ihre eigene Art die belegten Brötchen vorzubereiten oder den selbst gebackenen Kuchen zu machen. Insgesamt sind es sechs Damen, die sich die Arbeit im Café teilen. Eine andere Dame plant Ausflüge und ein Herr unterstützt uns im Garten tatkräftig und erledigt auch alle anfallenden kleineren Reparaturen. Ich finde es einfach nur klasse, wenn Menschen ihre freie Zeit zur Verfügung stellen und mit so viel Freude und Spaß bei uns mit arbeiten. ich bedanke mich sehr oft bei ihnen, weil ich der Meinung bin, dass dies nicht selbstverständlich ist. Sie selber finden es aber selbstverständlich, z.B. auch bei Veranstaltungen mitzuhelfen oder auch mal für den anderen einzuspringen. Auch angestellte KollegInnen kommen in der Urlaubszeit her, um den Garten zu pflegen und die Blumen auf der Terrasse zu gießen. Einfach, weil sie es sehr gerne machen.“ Manuela Kolinski denkt, dass sie das tun, weil sie sich selbst dafür entschieden haben und freut sich, dass alle Ehrenamtlichen schon länger als drei Jahre im Gutshaus tätig sind. So konnte ein Team zusammenwachsen das bei Teamsitzungen neue Ideen bespricht, die dann gemeinsam umgesetzt werden. „Für mich ist es sehr wichtig, ein gutes Vertrauensverhältnis miteinander zu haben und auch offen über alles reden zu können. Ich finde das dadurch ein gutes Arbeitsklima entsteht und man sich aufeinander freuen kann.“ sagt sie weiter. „Es ist spannend, weil natürlich jeder anders in seiner Art ist. Das genau ist das, was die Arbeit mit Menschen ausmacht. So lernt jeder etwas dazu, egal wie alt er ist oder welchen Hintergrund er mitbringt. Wenn sich neue Ehrenamtliche vorstellen und schließlich bei uns anfangen, werden sie sofort ins Team aufgenommen. Keiner wird bewertet. Ganz im Gegenteil, jeder ist herzlich willkommen mit uns zu lachen, wenn der Kuchen mal aussieht wie eine Flunder oder statt Zucker auch mal Salz in den Teig kommt.“ Sie freut sich mit so tollen Menschen zu arbeiten und stellt für sich selber fest: „Wenn ich mal in Rente gehe werde ich auf jeden Fall ein Ehrenamt annehmen. Das ist Nachbarschaftsarbeit und Gemeinschaft für mich.“

Esther Oesinghaus ist hauptberuflich die Leiterin der Verwaltung des Stadtteilzentrum Steglitz e.V. Einmal in der Woche tauscht sie aber die Rolle. Dann geht sie in die kleine Zweite-Hand-Boutique in der Celsiusstraße. Die öffnet dreimal in der Woche die Türen und wird ebenso ausschließlich durch ehrenamtliche Helfer geführt. Gespendete Damen- und Herrenbekleidung wird für einen kleinen Preis angeboten und Flüchtlinge haben die Möglichkeit sich mittels Gutscheinen mit ansprechender Kleidung auszustatten. Der Erlös kommt der Kinder- und Jugendarbeit und der Flüchtlingsarbeit des Vereins zugute. Esther Oesinghaus leitet auch hier – als Ehrenamtliche das ehrenamtliche Team. Auch sie erzählt, dass gerade in der Unterschiedlichkeit der Menschen, der Helfer sowie der Kunden, die Faszination und der Spaß an der Sache liegt. Neben den Beratungen und den kleinen Verkaufsgesprächen, kommt sie mit Kunden immer wieder ins Gespräch, die oft aus ihrem Leben erzählen. Es macht ihr Spaß ihre Kreativität in der Boutique leben zu können und im Team immer wieder neue Ideen entwickeln und verwirklichen zu können. Natürlich hat ihr Beruf den Vorrang, aber im Ehrenamt, gleich ob sie in der Boutique steht oder wie oft bei anderen Gelegenheiten in der Flüchtlingsarbeit hilft, spürt sie die Dankbarkeit der Menschen, die sich über ein wenig Hilfe und geschenkte Zeit freuen.

Es gibt viele andere Beispiele aus der Arbeit des sozialen Vereins, in denen ehrenamtliche Helfer eingesetzt werden. Mehr noch – in denen es ohne sie schwer wäre das Angebot aufrecht zu erhalten. Ja, Ehrenamtliche sind Weltverbesserer. Menschen, die ihre direkte Umgebung durch ihren Einsatz etwas besser machen. Menschen, die zeitgemäß aus einem guten Motiv anderen das Leben etwas leichter machen und Gemeinschaft und Nachbarschaft ungeheuer aufwerten. Blauäugig sind die Ehrenamtlichen in keiner Weise, denn sie haben erkannt, dass Gemeinschaft nur funktionieren kann, wenn jeder auch etwas an den anderen denkt.

Wenn Sie sich für ein Ehrenamt beim Stadtteilzentrum Steglitz e.V. interessieren, schreiben Sie Frau Veronika Mampel und erzählen Sie von ihrer Vorstellung. Wir sind gespannt – E-Mail v.mampel@sz-s.de – und freuen uns auf Sie!

Der etwas andere Markt

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Für die Öffentlichkeit noch nicht bemerkbar, ist ein kleines Team mit den Vorbereitungen für den 2. Kunstmarkt der Generationen beschäftigt. Dieses Mal gelassener als im letzten Jahr, denn das Team hat ein Bild vor den Augen und eine Vorstellung im Kopf … und beides wird verwirklicht werden. Getragen von den Erfahrungen vom Vorjahr, von den Rückmeldungen der BesucherInnen und KünstlerInnen, von der Begeisterung aller Mitwirkenden, haben die Arbeiten begonnen. 100 Künstler werden in einem Kunstmarkt zusammen ausstellen und mit ihnen gemeinsam werden Kinder, Jugendliche, Mütter, Väter, etwas ältere BesucherInnen, einfach alle, die dazu Lust haben, einen Tag mit Kunst, kleineren Aktionen und der Mischung der Generationen in gemeinschaftlicher Atmosphäre im Schlosspark Lichterfelde genießen können.

Wir haben eingeladen – zum zweiten Mal – und freuen uns auf diesen besonderen Tag. Auf das Gefühl der Vorfreude, auf die Spannung, ob alles Reibungslos klappt, auf die Vielfalt der Kunstschaffenden, auf Gespräche, das Lachen, die Neugierde, auf das ein oder andere Wiedersehen und besonders auf die Menschen, die mit uns diesen Tag begehen. Wir – das sind MitarbeiterInnen des Stadtteilzentrum Steglitz e.V., die auch schon im letzten Jahr den ersten Kunstmarkt organisiert haben. Schon im Vorfeld des letzten Kunstmarktes, besonders aber am Abend, als alles vorbei war, war uns allen klar, dass wir diese Teamarbeit erneut erleben wollten. Eine Teamarbeit, in der jeder seine Erfahrungen und Stärken einbringen kann. Aber auch eine Teamarbeit, die ganz besonders von vielen ehrenamtlichen HelferInnen und vielen KollegInnen auf großartige Weise unterstützt worden war. So soll es auch in diesem Jahr werden.

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Die soziale Arbeit steht im Fokus des Veranstalters, wozu gehört, Menschen zusammenzubringen und Stadtteilarbeit zu leisten. Dieser Arbeitsbereich – generationsübergreifende Arbeit – steht unter der Leitung von Veronika Mampel, die routiniert Feste organisiert und alle erforderlichen Komponenten … MitarbeiterInnen, behördliche Erfordernisse, organisatorische Voraussetzungen … zusammenbringt. Bei diesem besonderen Markt ist die Kunst für sie das Medium, das die Menschen vereint. Sie werden durch die unterschiedlichsten Darstellungsweisen zu Gesprächen, Diskussionen, zu gemeinsamen Aktionen animiert und der besondere Reiz liegt für die Arbeitsbereichsleiterin darin, dass alles in der Natur stattfinden kann. Auf diese Weise können Flächen im Bezirk völlig neuen Möglichkeiten zugewiesen werden, die der Anonymität der Großstadt entgegenlaufen. Der Nachbar bekommt ein Gesicht und das Kennenlernen bekommt durch Kunst eine offene Chance. Veronika Mampel freut sich über jede Gelegenheit Jung und Alt zusammenzubringen, ohne Vorbehalte, Wertung oder Scheu. Hier wird Kunst von allen Altersklassen vorgestellt und so ein Einblick in die Lebenswelten der anderen gegeben. Kunst drückt sich für sie in alle möglichen Richtungen aus. So hat sie großen Spaß daran, ein kleines Programm auf die Beine zu stellen, dass über den Tag verteilt, Tanzvorstellungen und Musik zu bieten hat. Bei solchen Gelegenheiten, mitten unter alle diesen Menschen, sagt sie, fühlt sie sich besonders wohl. Dann weiß sie, dass ihre Intention – Menschen zu verbinden – angekommen ist.

„Fast genau ein Jahr ist es nun her, dass ich beim ersten Kunstmarkt der Generationen ein von Geatano Foti gesponsertes Auto mit einem Graffiti komplett besprühen durfte.“ erinnert sich Sebastian Unger. Er ist nicht nur Projektleiter der EFöB an der 10. ISS, sondern auch ein sehr renommierter Graffity-Künstler. „Ich weiß noch genau, wie nervös ich war wegen der Verantwortung dem Spender und meinen KollegInnen gegenüber. Um jeden Preis sollte es ein Hingucker werden und die abendliche Versteigerung ein Highlight der gesamten Veranstaltung.“ Ein Bild zu malen, während viele Menschen – also die Gäste, Kollegen sowie die Aussteller des Marktes – dabei zusehen können, ist für ihn ein unbeschreiblicher Nervenkitzel. Deshalb ist er stolz und voller Vorfreude auf den 27. Juni 2015! Denn auch in diesem Jahr wird er wieder als live Performance ein Bild sprayen, während an circa 100 Marktständen „echte Kunstprofis“ ihre Werke feilbieten und sicher hunderte Gäste über den Kunstmarkt der Generationen schlendern. Unter dem Motto „Gemeinsam“ möchte er über mehrere – wie in einem Puzzle – zusammengelegte Leinwände ein abstraktes Bild schaffen, das klassisches Graffiti mit der Ästhetik eines Yin-Yan-Logos vereint. „Wenn ich so darüber nachdenke, weiß ich nicht, was mich nervöser macht. Ist es die Herausforderung dieses Bild so umzusetzen, wie es in meinem Kopf herumschwirrt, oder ist es die Vorstellung des – erneut – großartigen und stark besuchten Kunstmarktes?“ fragt er sich … was es auch ist, er freut sich sehr darauf!

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„Zum ersten, zum zweiten, zum dritten … verkauft an die Dame mit der Nummer 117!“ in etwa diesen Satz werden die Gäste am Abend des Marktes zu hören bekommen. Mehr als 10 Bilderspenden namenhafter KünstlerInnen aus Steglitz-Zehlendorf stehen bereit und werden zugunsten der Kinder- und Jugendarbeit des Stadtteilzentrum Steglitz e.V. versteigert. René Stürkat ist unglaublich glücklich und dankbar ob der großen Spendenbereitschaft, den seine Aufgabe beim Kunstmarkt ist die Organisation der Versteigerung. Im letzten Jahr wurde amerikanisch versteigert und für den Fiat des Schirmherrn durch Graffiti gestaltet, sind mehr als 1000 Euro zusammen gekommen. Dieses Jahr wird die klassische Variante der Versteigerung angewandt und die Bilder an den jeweils höchst bietenden verkauft. Die Bilder kann man sich im Laufe des vormittags in Ruhe anschauen und mit den Künstlern ins Gespräch kommen. Kunst bedeutet für René Stürkat sich ohne Grenzen auszudrücken und sich dadurch mit sich selbst und anderen Menschen in Verbindung zusetzen. Es gibt für ihn keine Regeln und jeder kann sich so auf die Art und Weise ausdrücken, was und wie er fühlt. Künstler geben etwas von ihrem Inneren Preis, zeigen was sie beschäftigt und setzen sich damit auseinander. Kunst verbindet Menschen in der Auseinandersetzung. Sie ist auf jede Art und Weise ein Ausdrucksmittel und braucht eine Plattform auf der dies Möglich ist. Als die Idee von Kunstmarkt entstanden ist, war für ihn die treibende Kraft diese Plattform zu ermöglichen. Im eigenen Sozialraum sollen Menschen Raum bekommen, sich diesem Thema der Gesellschaft zu zuwenden und einen Zugang zu öffnen.

Für diesen Kunstmarkt haben wir uns eine neue Aktion ausgedacht, kann Katharina Zehner erzählen. Neben den bewährten Ständen mit Kunst und Kunsthandwerk, dem bunten Programm, reichhaltigen Gaumenfreuden und Getränken wird auch ein kleiner Kunstgarten während des Festes entstehen. In der Mitte des Marktes wird ein Areal gekennzeichnet sein, wo Kunstobjekte in kleinen „Kunstbeeten“ wachsen können.

Die Einrichtungen des Stadtteilzentrums sind eingeladen ein solches Beet zu bestellen. Sie bieten eine Station auf dem Kunstmarkt an, wo die Besucher des Kunstmarktes kleine, große, bunte, eckige, fliegende, rollende, laute, leise, dicke, flache Kunstobjekte herstellen können, die dann in diesen Beeten ausgestellt werden. Natürlich können die Objekte am Ende des Tages von den Besuchern abgeerntet und mit nach Hause genommen werden, aber zunächst soll jeder Besucher sehen, was hier in unserer Mitte alles wachsen kann. Weil ein Kunstgarten aus allem wachsen kann, ist die Idee hier möglichst Kunstobjekte aus oder mit Material zu kreieren, dass normalerweise in den Müll wandert. Diese Aktion hat es im letzten Jahr nicht gegeben … es wird also spannend werden.

Seit 1999 steht das Gutshaus Lichterfelde – hinter dem der Kunstmarkt stattfinden wird – unter Trägerschaft des Stadtteilzentrum Steglitz e.V. Manuela Kolinski ist seit vielen Jahren die Projektleiterin des Nachbarschaftsbereichs des Hauses. Ihr obliegt die Organisation vor Ort und aller ehrenamtlich helfenden Hände. Bei ihr laufen alle Fäden zusammen und sie ist die erste Ansprechpartnerin für alle, die Fragen oder helfende Hände haben. Und davon benötigt man viele um so einen großen Markt reibungslos veranstalten zu können. Ihre besondere Herausforderung ist, dass jeder weiß was er zu tun hat, und vor allem das jeder, der seine Zeit zur Verfügung stellt auch das Gefühl der richtigen Wertschätzung bekommt. Ehrenamtliche Unterstützung wird bei allen Verkaufsständen, Kaffee und Kuchen, Getränke, den Verzehrmarken, für den Auf- und Abbau der Stände und das Bestücken im Laufe des Tages gebraucht. Es ist wichtig, dass ständig geschaut wird, dass kein Müll herumliegt, altes Geschirr weggeräumt wird und immer ein sauberer Sitzplatz gefunden werden kann. „Es ist einfach schön, wenn Menschen in ihrer Freizeit mit Spaß und guter Laune bei solchen Veranstaltungen helfen. Spaß ist die Grundvoraussetzung für ein gemeinsames gutes Gelingen. Aber,“ sagt Manuela Kolinski „es ist auch unsere Aufgabe, da zu sein, wenn alles vorbei ist. Dann muss alles wieder so sein, als wenn kein Markt stattgefunden hat, denn der Park ist ja wichtiger Bestandteil unserer schönen Umgebung hier.“ Für das gemeinsame gute Gelingen hat sie beste Unterstützung von Melanie Zimmermann, Projektleiterin der Kita Schlosskobolde, die durch Kooperationsfreude und kreative Einfälle eine große Bereicherung für den schönen Markt ist.

Es gibt viele Bestandteile, die notwendig sind, solch einen Kunstmarkt auf die Beine zu stellen. Schön ist die Begeisterung, die bei allen KollegInnen, die dies organisieren und allen die mithelfen, mitschwingt. Das unglaubliche „Wir“-Gefühl, die Dankbarkeit nach dem gelungenen Markt, die fröhlichen und freundlichen Gesichter während des Markttages, die bewundernden Blicke auf die schönen Kunstwerke der Ausstellenden und die vielen Kinder, die sich vom Markttreiben anstecken lassen und immer wieder Neues und Interessantes zu entdecken finden. Ganz besonders wichtig sind dabei natürlich die Besucher, die das Markttreiben mit Leben füllen und den Künstlern die Möglichkeit geben, ihre Werke zu besprechen und die notwendige Rückmeldung für weitere Werke zu bekommen. Wir hoffen, wir können Sie mit diesem kleinen Blick hinter die Kulissen anstecken und laden herzlich zum 2. Kunstmarkt der Generationen am 27. Juni 2015 von 11.00 – 19.00 Uhr in den Schlosspark Lichterfelde ein. Wie es schließlich gewesen ist erzählt Ihnen dann …

Anna Schmidt

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Kunstmarkt der Generationen 2015
Schlosspark Lichterfelde am Hindenburgdamm 28, 12203 Berlin,
27. Juni 2015, 11.00 – 19.00 Uhr.

Fotos: Roman Tismer – Kunstmarkt der Generationen 2014

 

Mit Sicherheit „JA!“

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Foto: Henriette Schmidt

Die größtmögliche Vermeidung eines jeglichen Risikos, das unsere Person, Familie oder unsere Lebensumstände stört, um den Zustand der Sicherheit (lat. sēcūritās) zu erreichen, liegt von Natur aus im Bestreben der Menschen. Diese Sicherheit unterliegt jedoch permanenter Veränderung, da Fortschritt und Weiterentwicklung ebenso in seiner Natur liegen. Wenn sich nun Grenzen verändern, Lebensumstände untragbar werden, Kriege ein Leben unmöglich machen, fängt der Mensch an zu wandern und das Sicherheitsgefüge vieler gerät ins wanken. Diejenigen, die sicher beheimatet sind, möchten den Zustand bewahren. Diejenigen, die wandern, möchten den Zustand erlangen. Auch aus dem zweiten Aspekt, dort wo Wenige mehr haben als Viele und Ungerechtigkeit eine Überlebensfrage wird, wandert der Mensch und wird das Sicherheitsempfinden anderer ins Wanken bringen. Das richtige Mittelmaß beider Gruppen zu sättigen, würde die Flüchtlingsfrage, den Ursprung von Rassismus und Ausländerfeindlichkeit dauerhaft lösen

Aber dieses Mittelmaß wird es nie geben und es wird immer eine Frage der Bereitschaft bleiben, Veränderungen zuzulassen oder sich ihnen entgegenzustellen. Es wird immer Menschen geben, die teilen und helfen, oder Menschen, denen die eigene Besitzstandswahrung wichtiger ist. Es gibt immer Menschen, die sich für Flüchtlinge engagieren und die Flüchtlingsarbeit als gesellschaftliche Aufgabe und Verantwortung sehen. Genauso wie es Menschen gibt, die aus eigener Unsicherheit oder Ängsten für diese Arbeit nicht zu öffnen sind oder ganz einfach nicht zuhören und verstehen wollen. Umso wichtiger ist es, dass die Einsichtigen den Flüchtlingen helfen, sich mit ihnen auseinander setzen, ihre Motive hören und versuchen zu verstehen, warum sie sich auf unglaubliche Wege machen, Gefahren in Kauf nehmen und einer vollkommen ungewissen Zukunft entgegen gehen.

Hilfreich ist sicherlich, wenn wir den Begriff der Sicherheit einmal für uns selber definieren. Uns selber klar machen, was wir brauchen um uns wohl, angenommen, beschützt, akzeptiert zu fühlen um uns in unserem Umfeld frei und glücklich entfalten zu können. Haben wir das für uns deutlich gemacht, wird auch klar, was diese Menschen alles nicht haben. Nicht einmal, wenn sie es tatsächlich geschafft haben in diesem Land anzukommen.

„Sicherheit ist wie ein Käse mit Löchern.“ sagt Veronika Mampel. Sie hat sich von Anfang an für Flüchtlinge eingesetzt, als die Notunterkunft in der Sporthalle, Lippstädter Straße, eingerichtet wurde. Sie hat mit den Menschen gesprochen, dafür gesorgt, dass sie mit dem Nötigsten versorgt wurden, sich um viele administrative Dinge gekümmert und letztlich dafür gesorgt, dass eine Möglichkeit für diese Menschen bestand, außerhalb der Halle einen Ort zu haben, an dem sie Ruhe finden und sich entspannen können. Das KiJuNa – Kinder-, Jugend- und Nachbarschaftszentrum öffnete für sie die Türen und fortan kamen jeden Tag bis zu 40 Flüchtlinge in die Einrichtung. Man lernte sie kennen, sie erzählten und „Flüchtling“ war kein Wort mehr ohne Gesicht.

Man muss sich vorstellen, sagt Veronika Mampel, dass sie bei Ankunft erst einmal Polizisten sehen. Dann werden sie beispielsweise in einer Halle untergebracht, in der Bett an Bett steht. In der Halle leben Menschen aus verschiedenen Ländern, ggf. aus den Ländern mit denen sich die eigene Heimat im Krieg befindet. Sie wissen nicht, ob ihre Nationalität hier anerkannt ist, können die Anträge nicht verstehen, die sie stellen müssen. Bei allen Fragen, Bedürfnissen, Befürchtungen müssen sie hoffen einen Dolmetscher zu finden der helfen kann. Einzig sicher ist nur das Dach über dem Kopf und das was sie am Körper tragen können. Selbst außerhalb der Halle wissen sie nicht, was für Gefahren in Form von Widerständen, Ablehnung, Fremdenhass, ihnen entgegen tritt. Nur dieser Zustand ist ihnen sicher, solange bis eventuell einmal ihr Status geklärt sein wird. Dürfen sie bleiben, bekommen sie vielleicht ein Gefühl von Sicherheit. Müssen sie gehen, bleibt einzig die Hoffnung, doch noch irgendwo in dieser Welt einen Ort zu leben zu finden.

Die, die erst einmal bleiben dürfen, bis der Status geklärt ist, leben in einer Erstunterkunft. Eine Sozialpädagogin, die sich mit einem Team um diese Menschen kümmert, erzählt uns, dass diese Menschen in großer Unsicherheit leben solange der Status nicht geklärt ist. Das bringt große Probleme in Alltag mit sich, den sie so gerne planen und regeln würden. Dies insbesondere, weil sie das Gefühl haben, in einem Land zu sein, in dem alles möglich ist. Aber, sie erzählt auch von dem großen Vertrauen, das diese Menschen ihnen entgegenbringen, weil sie verstanden haben, dass sie hier nur eine Chance haben, wenn sie sich integrieren. Und natürlich lernt man sie mit der Zeit kennen, versteht die Schicksale, die sie mitbringen. Wenn dann einer von ihnen den Bescheid bekommt, dass er hier bleiben darf, ist es auch immer etwas mit Wehmut verbunden und der Hoffnung auf einen glücklichen weiteren Weg.

Aber es gibt ebenso diejenigen, die nicht anerkannt werden und wieder ihn ihr Heimatland zurück müssen. So ist es auch in der Notunterkunft geschehen und Menschen, mit denen man die ein oder andere Stunde verbracht hat, müssen zurück. Die Ratlosigkeit und Enttäuschung sind dabei kaum in Worte zu fassen. Aber ihre Worte sollten gesagt werden und so folgten ein paar von ihnen einer Einladung zu einem Gespräch im KiJuNa. Es waren serbokroatische und albanische Menschen, die dort saßen und von ihrem Weg erzählten, der sie illegal über Ungarn und Österreich nach Deutschland führt. Alle von der Hoffnung getrieben in ein besseres Leben zu laufen. Sie erzählten von 10stündigen Fußwegen, von den Gefahren und Hindernissen und besonders der Ausweglosigkeit, falls sie wieder zurückkehren müssen. Davon, dass sie sich Geld geliehen hätten um hierher kommen zu können und nicht zu wissen, wie sie es je bei der Rückkehr zurück geben könnten. Der Blick in ihre Gesichter genügt um die menschliche Ratlosigkeit dahinter zu erahnen.

Und trotzdem äußern sie die Dankbarkeit, die sie empfinden, wie sie hier behandelt und aufgenommen wurden. Sagen auch, dass die deutschen Behörden richtig und nach den Gesetzen handeln. Bedanken sich für die Stunden der Abwechslung, der Ruhe und Anteilnahme, die ihnen in der Nachbarschaftseinrichtung entgegengekommen ist.

In diesem Video können sie die Menschen sehen, wie sie von ihrem Leben, der Zukunftsangst und Perspektivlosigkeit sprechen. In ihren Sprachen mit zusammengefassten Übersetzungen. Sicherlich ist nicht alles für uns zu verstehen, dass Gefühl, was diese Menschen durchmachen und erleben wird dennoch transportiert.

Geschichte der Flüchtlinge

Diese Erlebnisse und nicht zuletzt die furchtbaren Nachrichten aus dem Mittelmeer machen deutlich, dass sich Europa für Hilfe suchende Menschen öffnen muss. Es spielt keine Rolle, ob Menschen wegen Krieg oder Verfolgung flüchten müssen oder ob Hunger, Armut und Perspektivlosigkeit die Gründe sind. Immer steht einzig der Wunsch auf ein sicheres Leben im Hintergrund. Unsere vordergründige Sicherheit ist keine Rechtfertigung einen einzigen verzweifelten Menschen ins Elend zurückzuschicken. Und bevor unsere Sicherheit auch nur einen einzigen Kratzer abbekommt, können wir noch sehr viele dieser Menschen an unserem Wohlstand teilhaben lassen! Die Antwort auf die Frage, ob wir Flüchtlingen helfen oder nicht, kann daher nur sein: „Mit Sicherheit JA!“

Einen herzlichen Dank an Veronika Mampel (Gespräch) und Kristoffer Baumann (Video), wodurch dieser Beitrag möglich wurde!

Leitartikel der Homepage des
Stadtteilzentrum Steglitz e.V. vom 27. April 2015

Sie haben einfach nichts …

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Wer kleinen Kindern ein Kuscheltier oder Spielzeug in die Hand gibt, kann beobachten, dass sie sich mit ziemlicher Sicherheit schnell ablenken lassen und die Situation um sich herum vergessen. So auch der kleine Junge, vier Monate alt, den das Geschehen um ihn herum nicht mehr interessierte. Er saß fröhlich, beschäftigt und zufrieden in seinem neuen Kinderwagen. Von den Sorgen seiner Eltern weiß er nichts. Die waren vor weniger als einer Stunde in der Turnhalle angekommen. Mit dem Sohn auf dem Arm, den Sachen, an ihren Körpern und was sie in den Händen tragen konnten. Mehr nicht. Mehr haben sie nicht. Sie kommen aus einem fremden Land und sind Flüchtlinge.

Vorgeschichte: Zwei Tage vor Weihnachten wird die Nachricht bekannt, dass eine Turnhalle in unserer Nähe beschlagnahmt ist und zwischen Weihnachten und Neujahr bis zu 200 Flüchtlinge untergebracht werden. Es muss Hilfe organisiert werden und dies trotz der Feiertage ziemlich schnell. Klar ist, dass die Menschen, die ankommen werden, nichts weiter besitzen, als das was sie anhaben oder tragen können. Es ist eine doppelstöckige Halle, also zwei übereinander. Im oberen Teil werden mit einer Trennwand Betten aufgestellt. Einzelbetten oder Stockbetten. Die untere Halle wird vorerst nur mit Bierbänken und -tischen im hinteren Teil bestückt. Über alle verfügbaren Netzwerke wird von Thomas Mampel, Geschäftsführer des Stadtteilzentrums Steglitz e.V., ein Spendenaufruf veröffentlicht und mit viel Unterstützung auch geteilt und verbreitet. Die Spendenannahme wird von Veronika Mampel organisiert. Die Spenden werden im KiJuNa – Kinder-, Jugend- und Nachbarschaftszentrum abgegeben und gesammelt. Die Spendenbereitschaft am ersten Weihnachtsfeiertag ist überwältigend.

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Als die Annahmestelle das zweite Mal öffnet, kommen Einzelpersonen und mehrere Autos vollgepackt mit allem, was die Familien entbehren können. Es wird schnell klar, dass alles nicht mehr gelagert werden kann und kurzentschlossen stehen mehrere Frauen zur Verfügung. Die Wagen werden wieder vollgepackt und fahren zur Halle. Einige Frauen fahren zweimal. In der Halle ist es noch relativ ruhig. Da die Heizung über Weihnachten ausgefallen war, mussten die ersten 40 Flüchtlinge anderweitig untergebracht werden, wurden nun aber wieder zurückerwartet. Drei Spendenräume wurden vorbereitet, unterteilt in Frauenkleidung, Kinderkleidung und Herrenkleidung. Parallel dazu kamen die ersten Flüchtlinge wieder in die Halle.

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Die Spenden wurden nun angeboten und die Menschen kamen anfangs zögerlich. Trotz der großen Sprachbarriere gelang es mit „Händen und Füßen“, teilweise in Englisch, zu kommunizieren. Die Männer und Frauen schauten nach Kleidungsstücken, die passen könnten, gefielen, nützlich und warm waren. Ein Vater trug die ganze Zeit sein Baby auf dem Arm. Wir deuteten auf einen Kinderwagen, den er dankend annahm. Wir setzten das Kind in den Wagen und der Vater realisierte schnell, dass sich jemand gefunden hatten, der ihm das Kind abnahm. Er konnte suchen gehen. Nach einer Weile fand er einen besseren Wagen. Der erste, ein Buggy, war für ein vier Monate altes Kind eher ungeeignet. Wir betteten den Kleinen um, den das aber nicht weiter interessierte. Wieder nach einer Weile kam der Vater mit einem kleinen Schneeanzug und strahlte als er ihn über den Wagen hängte. Die Eltern suchten nach Kleidung, dennoch immer den Sohn im Blickwinkel.

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Es kamen Menschen, denen anzusehen war, dass sie aus unterschiedlichsten ethnischen Gruppen stammten. Männer, die zusammen sitzen mussten um einen Schlafplatz zugewiesen zu bekommen, bei denen man spürte, dass sie untereinander genauso skeptisch waren, wie der ganzen neuen Situation gegenüber. Ein Ehepaar, das ankam, mit nur einer Tüte in der Hand und sich nur an der Wand entlang schob, sich dabei kaum traute jemanden in die Augen zu schauen. Ein Mädchen, das nur Badelatschen an den Füßen hatte. Ein Junge, der in den Sachen zwei schöne, passende Turnschuhpaare fand und sich bei allem Glück darüber nicht entscheiden konnte, welches er nehmen sollte. Ein Mann, der eine passende Winterjacke fand und sich über ein zustimmendes Lob und Lächeln freute. In diesen zwei Stunden waren alle menschlichen Gefühle vertreten, die man sich überhaupt vorstellen kann. Als alle Helfer zusammen räumten, waren auch Flüchtlinge dabei, die sofort mit anfassten, Kisten trugen und Taschen aufhielten und füllten. Am Ende kamen die jungen Eltern und nahmen ihr Kind mit einem herzlichen Handschlag wieder in ihre Obhut.

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Beim der nächsten Spendenausgabe hatte sich die Situation in der Halle geändert. Es waren nicht mehr 40 Flüchtlinge, es waren 250 Menschen. Kurzfristig hatte man beschlossen die untere Halle zu teilen und weitere 50 Schlafplätze einzurichten. Auch die Stimmung hatte sich geändert – die Anspannung war überall zu spüren. Das machte sich selbstverständlich auch bei der Spendenausgabe bemerkbar. Nun war die Anforderung eine ganz andere, nun musste gelenkt, gerecht verteilt, vermittelt und geholfen werden. Mal war ein Handtuch gefordert, mal ein Schuhpaar für eine Frau, Unterwäsche oder Haarwaschmittel. Oft mussten wir sagen, dass wir das ein oder andere nicht mehr haben. Mit allen Möglichkeiten vermitteln, dass wir versuchen uns zu kümmern. Nachdenken war in den zwei Stunden der Spendenausgabe nicht möglich und die Zeit nicht wahrnehmbar, so schnell war es wieder vorbei.

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Die Menschen, die in dieser Notunterkunft untergebracht sind, kommen aus Bosnien, Albanien, Tschetschenien, Irak, Syrien, Afghanistan und anderen Ländern. Diese Menschen haben nichts. Nicht einmal eine Perspektive. Sie wissen nur, dass sie die nächsten drei Monate in dieser Halle bleiben werden, so lange bis ihr Aufenthaltsstatus fest steht. Sie schlafen in einer Halle ohne die geringste Möglichkeit einen Hauch von Privatsphäre zu erleben. Ohne zu wissen, wo sie in drei Monaten sein werden, ob sie überhaupt bleiben dürfen oder wie es überhaupt weiter geht. Sie müssen sich sanitäre Anlagen teilen, die selbst für Schul- und Vereinssport dürftig sind. Sie wissen nicht, wann, wie und wo sie wieder ein Teil einer Gemeinschaft sein werden, in der sie sich wohlfühlen und sich ihre Kinder frei entwickeln können.

Sie haben einfach nichts – was man nicht oft genug betonen kann. Und vor allen Dingen: Sie wissen nichts von der Skepsis, die ihnen hier entgegen kommt. Nichts von Anwohner-Problemen; nichts von Schulen und Vereinen, die plötzlich keine Halle mehr haben; nichts von Kommunikationsschwierigkeiten zwischen den Instanzen; nichts von Pegida, AfD oder Konsorten. Diese Menschen wollen ganz einfach überleben und bestmöglich die nächsten Tage überstehen.

Das beste Mittel diese Menschen und diese Situation zu verstehen: Helfen Sie einmal bei der Spendenausgabe mit. Gelegenheit dazu wird es immer dienstags und donnerstags geben. Auf der Homepage und dem Blog des Stadtteilzentrum Steglitz e.V. finden Sie die nötigen Informationen, auch wie Sie sonst noch helfen können. Oder Sie schreiben eine E-Mail an helfen@sz-s.de. Eine weitere Möglichkeit sich vielfältig in der Flüchtlingshilfe zu engagieren ist das Willkommensbündnis Steglitz-Zehlendorf. Es bietet Möglichkeiten sich ehrenamtlich zum Beispiel bei Freizeitaktivitäten, Deutschunterricht, Unterstützung bei Behördengängen, der Übernahme von Patenschaften und anderem mit Tatkraft, Erfahrung und eigenen Kompetenzen einzubringen. In dieser Halle geht es um Menschlichkeit und unsere Pflicht zu helfen, unabhängig und unbedeutend von unserer persönlichen Einstellung, politischen Haltung oder Skepsis vor dem Unbekannten.

Wenn Sie nach Hause gehen, werden Sie sich unweigerlich die Frage stellen, wie es Ihnen in dieser Situation gehen würde. Sie werden unendlich dankbar nach Hause gehen. Dankbar für ein Lächeln, dass Sie geschenkt bekamen. Dankbar, dass Sie helfen konnten und dankbar für das Zuhause, in das Sie zurückkehren können. Der kleine vier Monate alte Junge wird vielleicht auch dankbar sein, wenn ihm seine Eltern einmal erzählen können, wie sie in diesem Land aufgenommen wurden.

Die letzte Mohnstolle …

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Ich sah aus dem Augenwinkel, dass eine E-Mail von der Mutter ankam, worüber ich mich immer freue. Als ich sie las, war ich gar nicht mehr so freudig. Ich wusste nicht, wie ich sie einschätzen sollte. Es war die Ankündigung an meine Geschwister und mich, dass unsere Weihnachtspäckchen unterwegs seien. Das bedeutet in der Regel, bald gibt’s Mohnstollen, den sie jedes Jahr für uns backt – so lecker! Also eigentlich etwas, was Freude bei mir auslösen sollte. Aber in der Mail stand auch der Satz: „Genießt den Kuchen, denn ab jetzt könnt Ihr nur noch das Rezept von mir bekommen.“ Schon schlugen die Gefühle Purzelbaum – richtig auf’s Päckchen freuen wollte ich mich nicht mehr. Natürlich antwortet ich fröhlich, dass sie mir sicherheitshalber das Rezept schicken solle, falls ich sie im nächsten Jahr nicht mehr überreden könne, wieder eine Stolle zu backen.

Was mich so „unfreudig“ gestimmt hatte war die Tatsache, dass sich meine Mutter bester Gesundheit erfreut. Sie ist aber auch ein sehr klar denkender Mensch, der Tatsachen anspricht und ehrlich damit umgeht. Also auch, dass sie älter wird und manche Dinge ihr nicht mehr von der Hand gehen wie früher. So auch das Backen der Stollen für fünf „Kinder“ zu Weihnachten. Unterschwellig war aber auch eine andere Botschaft damit verbunden, die sich für mich durch dieses ganze Jahr zieht. Ich muss bereit sein mich von Menschen zu verabschieden. Akzeptieren, dass Menschen sich auf die letzte Lebensphase vorbereiten. Damit verbunden auch annehmen, dass dieses Thema für mich persönlich näher kommt. Ein sehr unbequemes Thema, wenn man eigentlich Mitten im Leben steht.

Im Juni haben wir die Schwiegermutter auf andere Weise verloren. Sie ist in die Demenz gefallen, das hatte ich in diesem Beitrag schon einmal beschrieben. Die ersten Wochen und Monate waren sehr schwer und wir mussten lernen damit umzugehen. Demenz muss man erleben, sonst kann man sich schwer vorstellen, wie sich die betroffenen Menschen verändern. Dabei haben wir es noch relativ gut getroffen, da sie zweihundert Meter weiter im Seniorenheim sehr gut untergebracht ist. Es fällt uns dennoch immer schwer sie zu besuchen. Ein Teil in uns möchte, dass es wieder so wie früher wird und der andere Teil beobachtet sehr realistisch, dass sich diese einst starke Frau immer weiter von uns entfernt. Sie wird kleiner, transparenter, leiser, zärtlicher, dankbarer … weniger!

Ich habe ihr eine kleine Nikolaustüte gepackt. Ein Schokoladen-Nikolaus, ein Schoko-Glückskäfer (den sie uns immer schenkte) und dann noch jeweils eine Klappdose mit Bonbons und eine mit kandiertem Ingwer. Ich war gespannt und diesmal fiel es mir nicht so schwer sie zu besuchen, hoffte ich doch, dass sie diese Dinge erkennt und sich freut. Normale Tüten zu öffnen und schließen geht mit ihren Fingern nicht mehr. Ich zeigte ihr, wie sie die erste Dose auf bekommt. Auf die Frage, ob sie weiß, was es ist, meinte sie: „Na diese Bonbons, diese Ca… , diese mit Lakritz.“ und ich sagte „Ja, Cachou-Bonbons!“ Sie nahm ganz schnell die zweite Dose in die Hand, die sie selber öffnete. „Ach, Ingwer!“ und schon war der erste in ihrem Mund. Ihr Lächeln war mehr als 1000 Goldstücke wert. Nach einem schönen Spaziergang mit ihr, ging ich einigermaßen zufrieden nach Hause. Nur einigermaßen zufrieden, weil sie mir im Gespräch wieder gesagt hatte, dass sie manchmal nicht mehr aufwachen möchte. Das tut weh. Zufrieden, weil ich gesehen habe, dass sie sich über Kleinigkeiten freut und ich aktiv etwas tun kann. Cachou-Bonbons und Ingwer, die sie immer liebte, sind offensichtlich noch in ihrer Erinnerung wach. Wer weiß, wie lange noch.

Abschied hat immer etwas Schweres in sich, ob plötzlich oder langsam, spielt keine große Rolle dabei. Man kann etwas nicht wieder zurückholen, es ist endgültig und die Angst, was diese Veränderung mit sich bringt und die verbundene Ungewissheit doch groß. Ein Kollege hat kürzlich seine Mutter verloren. Sie war friedlich eingeschlafen, was sicherlich tröstlich war, aber damit ist für ihn die ganze Elterngeneration weggebrochen. Er hat am Tag der Beerdigung einen sehr schönen, ergreifenden Nachruf an seine Eltern veröffentlicht. Ich habe ihn sehr bewundert dafür, weil er offen über seine Trauer sprach, dennoch seine Dankbarkeit zu Ausdruck brachte und seine Verbundenheit und Liebe zeigen konnte. So hat er seinen Söhnen vermittelt, was er selber an Erziehung erfahren hat, was er an Erziehung den Söhnen weitergeben wollte und die Söhne dies in ihre Kinder weitergeben können. Trotz aller Trauer hat er einen Weg aufgezeigt, wie seine Eltern weiterleben in der Erinnerung und der Erziehung der Kinder in dieser Familie.

Es geht immer weiter – anders halt, aber es geht! Manchmal schwer, manchmal leichter … mir ist bewusst, dass ich die Veränderungen nicht aufhalten kann. Will ich auch nicht, genauso wenig wie ständig daran denken. Oder durch so eine Mail mit einer Mohnstolle daran erinnert werden. Lieber konzentriere ich mich auf das Jetzt. Überlege, wie ich die Zeit, die ich z.B. mit der Schwiegermutter noch habe, nutzen kann. Wie ich mich auf Veränderungen vorbereiten und wappnen kann. Genauso wie ich bereit sein muss, mich von Menschen zu verabschieden, muss ich bereit sein, Menschen in meinem Leben zu begrüßen. Was steht mir noch mit meinen Kindern bevor? Ich bin so dankbar, dass ich sie um mich habe, sind sie doch ein entscheidender Motor für mein Leben. Ich freue mich auf neues Leben, denn sicherlich werde ich in vielen Jahren auch einmal Oma sein. Erst einmal werde ich Tante – im nächsten Mai bekomme ich eine Nichte oder einen Neffen. Mein jüngster Bruder wird das erste Mal Vater und die Familie wächst weiter. Ein absoluter Grund für Optimismus – so eine große Freude für uns alle.

In diesem Jahr genieße ich die letzte, von der Mutter gebackene, Mohnstolle, denn das Päckchen ist angekommen. Im nächsten Jahr … backe ich sicherheitshalber schon mal selber … oder schaffe es doch noch, sie wieder zu überreden! 🙂 Denn es gibt einfach Gerichte und Gebackenes, die bei aller Mühe nicht so schmecken wollen, wie es zuhause einmal war!

 

 

 

Liebe mit 70+

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Mohnblumenfeld in Spanien

Die Liebesgeschichte begann eigentlich mit einer Trennung, wenn auch noch Jahre vergehen mussten, bevor sie begann. Nach 40 Jahren Ehe verstarb der Ehemann und die Frau, die nie alleine gewesen war, war erstmalig alleine für ihr Leben verantwortlich. Witwe mit 58 Jahren. Das erste Kind hatte sie mit 17 Jahren bekommen, eine Kinderhochzeit zur damaligen Zeit. Vier Jahre vor der Volljährigkeit war sie verheiratet und sozusagen vom Kinderzimmer direkt in die Obhut des Ehemanns gegangen. Es war eine gute Ehe mit vielen Höhen und Tiefen. Sie wurde geschlossen aus der Verpflichtung des Kindes wegen, war aber keine Liebesheirat. Am Ende standen Vertrauen, Respekt und Wertschätzung zwischen ihnen, ganz andere Werte und fünf erwachsene Kinder sowie eine gemeinsame Lebensleistung. 

Als junges Mädchen hatte sie in Sachen Liebe ein Schlüsselerlebnis. Die Damenschneider-Werkstatt in der sie lernte, bekam hin und wieder Besuch von einer Kundin. Sie kam immer in Begleitung ihres Partners oder Ehemanns. Während der Anprobe kokettierte die Dame mit ihren üppigen Rundungen, was dem Partner offensichtlich sehr gut gefiel. Er schwärmte immer davon, wie gut sie doch aussehe. So stellte sie sich die Liebe vor, in der man noch im Alter eine Begeisterung füreinander empfindet. Diese beiden waren später die einzigen, die ihr zu der frühen Schwangerschaft gratulierten.

Sie war Witwe – das erste Mal, dass sie selber, ohne Absprache, bestimmen konnte, wie sie ihren Lebensraum gestalten will. Einen neuen Partner wollte sie in keinem Fall. Sie wollte die Freiheit genießen und sich mit Dingen beschäftigen, die ihr selber wichtig waren. Sie wollte unabhängig ihre Tage gestalten, Reisen unternehmen, Freunde besuchen, selber entscheiden, welchen Film sie anschaute und einfach nur für sich sein. Das hatte sie vorher nie gehabt. Auch das fünfte Kind zog irgendwann aus und begann seinen eigenen Weg. Dann schließlich kamen die Tage, an denen sie alleine am Frühstückstisch saß, die Wochenenden, an denen keiner vorbeikam und Stunden, in denen sie mit niemandem sprach.

Sie begann Annoncen zu lesen, Zeit war ja da, und studierte die Partnerschaftsgesuche. Also doch? Nun ja, erst mal lesen bedeutet ja nichts, ganz unverbindlich einfach mal interessieren und schauen, ob nicht doch jemand Interessantes zu finden ist. Natürlich wurde sie fündig, denn eine Anzeige gefiel ihr recht gut. Es stellte sich jedoch schnell heraus, dass es sich dabei um eine Fangannonce einer Partneragentur handelte. Dennoch traf sie sich mit ein paar Herren, doch das Ergebnis war sehr ernüchternd. Der eine Herr suchte Gesellschaft, ein anderer wollte seine Porno-Sammlung vorstellen. Ein dritter wollte mit ihr nach Australien ausreisen, lebte selber aber schon im Seniorenheim. Ein weiterer hatte im Hinterkopf, seine Pflege für die beginnende Demenz zu sichern. Allen gemeinsam war der Wunsch ihre Lebensgeschichte zu erzählen, es gibt doch so viele einsame Menschen, aber ein so richtig interessanter Mann war für sie nicht dabei. Also lies sie es sein, das Leben konnte sie besser alleine gestalten.

Erstmal! Denn irgendwann saß sie wieder alleine beim Sonntagsfrühstück. Lass die Zeitung und landete doch wieder auf der Partnerseite. Dort lass sie eine außergewöhnliche Anzeige: Ein Glückssucher versprach kein Holzbein, keine Glatze und keine feuchten Hände zu haben. Fragte, wer Mut hätte zu schreiben. Den hatte sie, denn hier fand sie einen mit Humor. Um ein Foto bat er, dass er auch zurückschicken würde. Aussehen, Nationalität, Figur wären sekundär. Als Bild musste ein Passbildautomatenfoto reichen und schreiben konnte sie. So war die Antwort bald fertig und machte sich auf den Weg nach Spanien.

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Ihre Offenheit war es, die ihn wiederum antworten lies. Unter 436 Antworten auf seine Anzeige (man stelle sich den armen Briefträger des kleinen spanischen Ortes vor), war ihr Brief aufgefallen, der vielem entsprach, was er selber empfand. Und damit begann ein reger Briefwechsel. Die erwachsenen Kinder merkten natürlich eins nach dem anderen, dass sie sich veränderte. Die Laune war eine andere, das Lachen zog wieder in ihr Leben ein, die Fröhlichkeit wurde Begleiter. Alarmglocken klingelten bei allen Kindern, als sie nach zwei Brief wechselnden Monaten erzählte, dass er sich auf den Weg von 1600 km machen würde um sie kennenzulernen. Die zaghafte Frage, nach der Unterbringung des Mannes, beantwortet sie einfach: Sie hatten kein Hotel gebucht, er könne ihr gleich an der Haustür sagen, ob sie ihm gefiele oder nicht. Er blieb – für 14 Tag. Verließ für eine kurze Reise das Haus um nach weiteren 14 Tagen wieder da zu sein. Dann reiste sie – 1600 km zu ihm nach Spanien.

Das passierte vor fünf Jahren. Bis heute sind sie ein Paar – ein Liebespaar 70+. Die Kinder mussten sich daran gewöhnen, doch er machte es ihnen leicht ihn zu mögen. Dies war eine ganz andere Geschichte als die Geschichte mit ihrem Vater. Er tat nicht so, als hätte er kein Leben vorher gehabt. Seine frühere Ehe war glücklich, aber er sei nicht zum alleine leben geschaffen. Trotzdem war es teilweise schwer für die Kinder sich, ungeachtet des Erwachsenseins, daran gewöhnen zu müssen, dass die Mutter nun einen anderen Fokus hatte und das elterliche Haus nicht mehr das Haus von früher war. Mancher Unmut musste besprochen und behoben werden. Letztendlich aber zählt etwas ganz anderes. Sie ist glücklich, sie ist gesund, sie erlebt an seiner Seite Dinge, die alleine nicht möglich gewesen wären.

Sie sagt dazu, dass diese Liebe im Alter etwas Besonderes und Schönes sei. Beide müssen sich gegenseitig nichts mehr beweisen. Akzeptieren den Partner so, wie er nun mal ist – mit all seinen Ecken und Kanten. Mit 70 kann man niemanden mehr verbiegen und Kompromisse müssen geschlossen werden. Die grauen Haare, die Falten und der Bauch gehört ebenso dazu, wie die kleinen Macken, deren einzige Berechtigung das Alter ist. Aber, sagt sie, man muss sich auch selbst akzeptieren, so wie man ist, und wenn man den Jugendwahn die kalte Schulter zeigt, lässt sich manche Unebenheit durch hübsche Kleidung kaschieren. Und beobachtet sie ältere Paare, in den Straßen oder Kaffees, wenn sie sich unterhalten, dann wirken sie immer lebendig und vermitteln das Gefühl, sich noch etwas zu sagen zu haben.

So wie damals das Paar in der Damenschneider-Werkstatt, faszinierten sie auch immer schon die Gesichter und Hände älterer Menschen aus denen man viel lesen kann. Wenn diese älteren Menschen das Glück haben, jemanden lieben zu können, sie den Geruch des anderen wahrnehmen, den Kopf an den anderen anlehnen können oder beim Aufwachen dessen Hand spüren, gibt es dafür keinen anderen Namen als „Glück“. Diese Liebe und das Leben mit ihr – wird wertvoll durch Lob, Verständnis, Anerkennung und Dankbarkeit. Das jugendliche Schlüsselerlebnis wurde wahr.

Einzig eine Sorge begleitet diese Liebe im hohen Alter: Wie sieht die nächste Trennung aus? Wer bleibt, wer muss als erster gehen!