Lockdown – macht was draus!

Morgendliche Bad-Routine. Ich schaue in den Spiegel und stelle fest, dass es so weit ist. Die Haare um die Ohren fangen an, sich zu kräuseln. Der Friseurbesuch würde anstehen, wäre da nicht so ein hinderlicher Lockdown. Ich probiere es mit einem Mittelscheitel und werde es noch eine Weile aushalten müssen. Wie sehr ich langhaarige Frauen in dieser Zeit beneide. Beim Anziehen greife ich zur festen Jeanshose, weil ich meine Jogginghose, wer hätte das je gedacht, im Moment nicht mehr sehen kann. Ich ziehe mich an, schminke mich, suche Ohrringe aus und trage mein Parfüm auf. Dann bin ich fertig gestylt für den Hundespaziergang. Wieder zu Hause, sitze ich nach dem Frühstück, pünktlichst zum Arbeitsbeginn vor meinem Computer. Das Homeoffice beginnt.

Zu Hause arbeite ich grundsätzlich gerne und bin es aus früheren Zeiten gewöhnt. Kein nerviger Anfahrtsweg. Ich bin konzentrierter bei der Sache und erledige mangels Ablenkung mehr Aufgaben als im Büro. Mit pünktlichem Beginn erhebe ich mich bis zum offiziellen Arbeitsende wenig von meinem Stuhl. Nur steht der Computer zurzeit im Wohnzimmer, weil der neue Welpe nicht in mein Dachzimmer kommt. So ist der Rechner allgegenwärtig und oft finde ich nicht das Ende oder Abstand vom Office. Meine Hemmschwelle, schnell mal zu einem Videogespräch anzurufen, ist dazu enorm gesunken. Es ist ein neuer Arbeitsalltag, die Kolleg*innen in quadratischen Bildern zu sehen. Die Arbeit selbst hat sich verändert. Wir denken alles in „Digital“. So richtig Spaß machen mir diese Rahmenbedingungen allerdings nicht mehr wirklich. Je länger das Homeoffice dauert, desto strengere Routine brauche ich für mich. Dazu kommt, dass ich ganz besonders eben das vermisse, was mich hier nicht ablenkt: die kleinen zwischenmenschlichen Gespräche in der Kaffeeküche oder beim Postausgangsstempel.

Was gibt es sonst noch zu klagen? Wir sind abgesichert. Haben keine kleinen Kinder mehr hier, außer dem Hundebaby, der kein Homeschooling braucht. Wir haben Platz, uns aus dem Weg zu gehen oder eben auch nicht. Wir sind gesund. Wir haben Ablenkung, Hobbys und genug zu tun. Wir haben eigentlich keine Probleme. Außer zu lange Haare vielleicht. Klagen auf extrem hohen Niveau. Ich gehe fast nie Shoppen und würde gerade jetzt so gerne mal durch die Geschäfte ziehen. Ich meide Menschenmassen und wünsche mich nun in ein Straßencafé, um Leute zu beobachten. Ich vermisse geistigen Input in Form von Ortswechseln, Ausstellungen oder Städtereisen. Mir fehlt der Streit mit meinem inneren Schweinehund beim Kiesertraining. Ich vermisse das Leben, das außerhalb meiner geliebten vier Wände stattfindet – normalerweise.

Ich habe im Vergleich zu anderen nichts zu klagen. Trotzdem bin ich extrem genervt, dünnhäutig und jeden Abend heilfroh, keinen meiner lieben Mitmenschen bis in die Steinzeit beleidigt zu haben. Ich bin nicht glücklich und erlebe das sehr bewusst. Es macht mir große Sorge, was in der Welt passiert und ich schaue skeptisch in die Zukunft. Dabei erkenne ich mich selbst manchmal nicht mehr, besonders, wenn ich mir selber suggeriere „Bloß nicht depressiv werden!“. Ich behaupte immer Optimist zu sein und muss eben diesen nun recht oft suchen. Und alles zusammen nervt mich am meisten, wenn ich das eigene Selbstmitleid pflege. Die Lösung eines Problems beginnt, indem man das Problem erkennt. Ein Satz, der mich seit sehr vielen Jahren erfolgreich begleitet. Auch diesmal erkenne ich mein Problem, nur finde die Perspektive und Lösung nicht. Auf den Frühling oder den Sommer freuen reicht mir nicht mehr. Worauf dann, wenn nichts planbar ist oder alles im „Vielleicht“ schwebt?

Ich kann gut mit Dingen umgehen, die klar und verständlich kommuniziert werden. Ich würde es begrüßen, wenn der Lockdown gleich bis April festgeschrieben und bundeseinheitlich wäre. Dann könnten alle Protagonisten aufhören zu überlegen, welches Bundesland sich welche Ausnahme leisten kann. Wer den geschicktesten Wahlkampf macht, die beste Figur zeigt oder die schwärzesten Prognosen liefern kann. Vielleicht wäre dann Zeit zu überlegen, wie man den Menschen selber helfen kann.

Politiker oder Entscheidungsträger möchte ich in diesem Zeitraum beim besten Willen nicht sein. Noch nie musste eine Pandemie bewältigt werden. Aber das Hin und Her, ein bisschen Öffnung oder doch lieber nicht, die vielen „vielleicht“ und „eventuells“ machen die Menschen mürbe, ratlos und aggressiv. Versagen und Fehler werden schnell offenbar. Enttäuschung und Hoffnungslosigkeit macht sich breit. Wie können Novemberhilfen im Februar nicht ausgezahlt sein. Warum ist es immer noch nicht möglich, allen Schulkindern digitale Bildung zu ermöglichen. Wie kann man über ein Jahr den Menschen Sport- und Bewegungsmöglichkeiten nehmen, ohne auf sinnvolle Konzepte der Sporttreibenden zu hören. Warum sind Museen geschlossen. Restaurant, die sich sehr gute Hygiene-Konzepte erdacht hatten, zu? Warum müssen Kinder- und Jugendhäuser schließen, wenn sie handfeste Hygiene- und Beschäftigungskonzepte haben. Es gäbe so viel mehr aufzuzählen und zu Recht fühlen sich Pflegekräfte und Arbeitnehmer*innen aus sozialen und medizinischen Berufen alleine gelassen. Der Mensch ist ein soziales Wesen und nicht für die Isolation geeignet. Also müssen Konzepte erdacht werden, die den Virus isolieren, aber nicht die Menschen.

Welcher Wert welchen Level erreicht hat, kommt nicht mehr in meinem Bewusstsein an. Ich würde gerne täglich wahrnehmen, wo wem geholfen wurde. Was unter welchen Bedingungen wieder eingerichtet werden kann oder welche Möglichkeiten der Begegnung möglich sind – ganz besonders für ältere Leute. Die Negativstimmung der Politik und der Medien selber macht mich und sicher viele andere krank.

Ich kann mir den Frust „von der Seele schreiben“. Viele andere könne das nicht. Ich würde mir sehr wünschen, dass wieder auf die Menschen und nicht auf die Zahlen geachtet wird. Ich bin dankbar für jeden Tag, an dem alle um mich herum gesund sind und trage dafür den Lockdown mit allen Einschränkungen gerne mit. Trotzdem möchte ich den Damen und Herren der Politik und Verwaltung ein Zitat von Max Frisch ans Herz legen:

„Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihm nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.“

In diesem Sinne – macht endlich was draus!

Das kleine Wörtchen Dankbarkeit …

Es ist Muttertag und wie immer gibt es drei Standpunkte. Die einen, die die Gelegenheit nutzen, der Mutter Danke zu sagen, weil sie es im Alltag oft vergessen und weil man es halt so macht. Die Zweiten, die die Chance ergreifen, um von Herzen ihre Wertschätzung auszudrücken. Schließlich noch die dritte Fraktion, die Muttertag für ein Relikt aus ungeliebten Zeiten, oder vielmehr für ein vom Kommerz gemachtes Fest halten. Es spielt hier keine Rolle, zu wem man gehört. Was mir oft an dem Tag passiert, sind kleine Nachrichten von anderen Müttern. WhatsApp meldet sich: „Guten Morgen liebe Anna, alles Liebe zum Muttertag. Lass uns dankbar sein, dass wir Mamas sein dürfen!“ Da ist es wieder: Das kleine Wörtchen „Dankbarkeit“, über das ich sehr oft in den letzten Tagen nachgrübele.

Seit Wochen bin ich zuhause, öfter alleine und habe viel Gelegenheit darüber nachzudenken. Es ist keine leichte Zeit für uns alle. Die Pandemie hat unser aller Leben zum Stillstand gebracht. Eine Zeit lang jedenfalls. Für mich war es ok. Ich gehöre zur Risikogruppe. Ich fühlte mich die ganze Zeit sicher und beschützt. Es gab auch nichts zu klagen. Wir haben es gut. Genug Platz zuhause, genug zu essen, Dinge, die uns beschäftigen, einen Garten, Möglichkeiten uns aus dem Weg zu gehen. Wir können trotzdem weiter arbeiten. Die Gehälter kommen pünktlich und in voller Höhe. Wir haben keine kleinen Kinder mehr zu versorgen. Ach ja, ganz wichtig, das WC-Papier geht uns nicht aus – ohne Hamsterkauf. Anderen ergeht es schlimmer. Mir ist bewusst, dass andere weitaus schwierigere Situationen zu bewältigen haben. Dennoch habe ich den Eindruck, dass die Menschen mit jeder Lockerung der Pandemie-Regelungen unzufriedener werden.

Niemand wird je mit Sicherheit sagen können, ob alle Maßnahmen gerechtfertigt oder überzogen waren. Fakt ist, unsere Krankenhäuser haben keinen Kollaps erlebt, unsere Sterberate ist eine der niedrigsten der Welt und schließlich wird viel getan, um wirtschaftlich zu unterstützen. Ich mag dabei nicht über die Grenzen anderer Länder sehen, wo es sehr viel anders aussieht. Sicherlich sind einige Fehler passiert. Doch wer konnte je schon so ein Szenario proben. In diesen Tagen möchte ich kein Entscheidungsträger sein. Statt Dankbarkeit zu zeigen oder einfach ruhig zu bleiben, mehren sich die Nachrichten von Protesten. Gegen die Auflagen des Abstandhaltens, der Hygiene, des Ausgangs, der Wiederöffnungen und vieles mehr. Verschwörungstheorien werden geboren, bei denen man sich einfach nur noch fragen kann, ob die Leute alle Tassen im Schrank haben. Die Demokratie sei gefährdet und die Grundrechte sollen untergraben werden. Natürlich auch wieder die Rechten, die die Gunst der Stunde nutzen, Verschwörungsexperten und eine Menge Leute, denen langweilig ist. Hinterfragen ist unmodern. So viele Aluhüte können gar nicht gebastelt werden, um die Leute wieder auf den Boden zu bringen.

Aber es ist auch eine andere Dankbarkeit, die immer mehr zu vermissen ist. Sie ist persönlich und steht in engem Zusammenhang mit Zufriedenheit. Damit anderen etwas gönnen können, sich an Kleinigkeiten zu freuen und mit gegenseitiger Wertschätzung. Ich habe zuweilen den Eindruck, dass die Menschen sich verändert haben. Wir Älteren sagen gerne entweder: „Früher war alles viel besser.“ oder: „Ihr solltet es einmal besser haben! “. Der erste Satz ist das ständige Klagelied vergangene Zeit zu glorifizieren und sich mit Unbekanntem nicht arrangieren wollen, vielmehr Neues zu kritisieren. Der zweite Ausspruch ist der Wunsch der älteren Generation, dass die Zukunft der Nachkommenschaft gesichert ist. Aber eher ist er ein unterschwelliger Vorwurf, wenn der Nachwuchs nicht gehorchen mag und die Andeutung, dass man selber es ja nicht so gut hatte. Beide Sätze passen in die Zeit nach dem letzten Weltkrieg, vor dem tatsächlich sehr vieles besser war (oder auch nicht) und es nicht viel dazu gehörte, es leichter zu haben als eben in jenen Tagen.

Heute frage ich mich oft, was unsere Nachkommen einmal besser haben sollen? Oder wo wir uns selber noch steigern sollen. Dabei beschränke ich mich auf dieses Land. Was wollen wir mit unseren Luxusbestrebungen noch erreichen, wie groß darf der Fernseher werden, wie dick darf der Reisekatalog in die Welt sein. Wir leben auf einem dermaßen hohen Niveau, dass kaum mehr zu toppen ist. Auf Kosten der Umwelt und der Außenwelt, die wir tunlichst von unserem Luxus ausschließen möchten. Man muss bewahren, was einem lieb und teuer ist!

Immer höher, weiter, schneller geht irgendwann nicht mehr, aber mit dem Status quo zufrieden zu sein, ist für die meisten Menschen nicht leicht. Dabei ist es so angenehm, einem anderen sagen zu können, dass sein Kleid, die Frisur oder sein Bild gefällt. Es ist schön, die Leistung anderer zu sehen und wertschätzen zu können. Genauso wie wir genießen ein Lob des Partners, der Freundin, des Chefs zu bekommen. Zu sehen, dass jemand bemerkt hat, dass ich mir mit etwas besondere Mühe gegeben habe. Oder nur Einfachmal zwischendurch gesagt zu bekommen, dass man für jemanden wichtig ist.

Auch materiell mit dem zufrieden sein, was man hat, kann sehr entspannend sein. Ich muss nicht die neusten Markenklamotten, das teuerste Parfüm und den angesagtesten Schmuck haben, um persönliche Zufriedenheit zu spüren. Es ist gut, einen realistischen Blick zu wahren, was tatsächlich lebensnotwendig ist oder was Luxus ist. Natürlich möchten sich Jüngere eine Existenz aufbauen und vorteilhaft ist, wenn sie dabei nicht auf verlockende Ratenzahlungsangebote hereinfallen. Es war doch eine spannende Zeit als der improvisierte Haushalt sich immer weiter in eine komplette Wohnungsausstattung entwickelte. Nichts muss von Anfang an perfekt sein.

Ich habe so viele Dinge, für die ich dankbar sein und die ich wertschätzen kann. Habe um mich Menschen, die ich begleiten und bewundern kann. Ich darf kleine Situationen erleben, an denen ich mich lang erfreuen kann. Ich kann im Großen und Ganzen tun, was ich will, sagen, was ich will, mich bewegen, wie ich will. Ich darf sogar dankbar sein, schon zu den Senioren zugehören, mit allen Zipperlein des Alters, die ich natürlich zähneknirschend annehme. Aber mir dafür die Laune zu verderben? Was ich erlebt habe, war in der Summe zu wertvoll.

Die kleinen Wörtchen Dankbarkeit, Zufriedenheit, Gönnen sind kein Bild nach außen, sondern ein Eindruck, wie ich mit meiner Persönlichkeit umgehe, was ich für ein Mensch bin. Natürlich darf ich Dinge hinterfragen, kritisch betrachten, bessere Lösungen anstreben und mich klar positionieren. Entspannter lebt es sich, mit dem Gegebenen und Erreichten zufrieden zu sein und das zu pflegen. Vieles ist heutzutage besser, als es je zuvor gewesen ist, aber – anders halt!