Was für ein biblisches Alter

Als wäre es gestern gewesen, kann ich mich sehr gut daran erinnern, wie ich etwa 16-jährig über Ältere nachdachte. Meine Mutter, damals 36 Jahre jung, war für mich jenseits eines erreichbaren Alters. So alt zu werden lang außerhalb meiner Vorstellungskraft. Damals. Das einzige Etappenziel, das ich vor Augen hatte, war 18 Jahre alt zu werden, um die Volljährigkeit zu erhalten. Volljährig werden war mir wichtig, da ich ein mit der Welt auf Konfrontation stehender, immer für zu jung gehaltener Teenager war. Tatsächliche Verbesserungen stellten sich mit der Volljährigkeit nicht wirklich ein. Dennoch glaubte ich, mich nun in der Welt der Erwachsenen allen ebenbürtig zu behaupten können. Die Erkenntnis, dass Erwachsen sein nichts mit der Volljährigkeit zu tun hat, traf mich erst später.

Ich wurde 30 Jahre alt, das war ok. Mit 40 Jahren kamen die ersten Gedanken über das Älterwerden. Der 50 zigste war mein entspanntester Geburtstag und nun – uups – bin ich 60 Jahre alt. Auch dieses Wiegenfest tat nicht weh, zumal ich es seit jeher als Energieverschwendung ansehe, mit etwas zu hadern, was ich eh nicht ändern kann. Ein paar Gedanken mache ich mir trotzdem darum:

Mich fasziniert der Perspektivwechsel, den wir mit steigender Lebenszeit unterliegen. Man wird tatsächlich mit dem Alter erfahrener und ändert die Betrachtungsweise in vielerlei Hinsicht. Dazu kommen angepasste Bedürfnisse, Vorlieben und Interessen. Konnte ich mir als 18-jährige nicht vorstellen, einen Abend zu Hause und ohne meine Freunde zu verbringen, bin ich heute froh, wenn ich nicht unbedingt mehr weg muss. Nahezu jeder von uns hat sicherlich als Kind einmal gedacht, die eigenen Kinder ganz anders zu erziehen als die Eltern. Ganz besonders, wenn wir gerade ein entschiedenes Nein erfahren hatten. Sind die eigenen Kinder dann tatsächlich da, sieht die Sache schon anders aus. Man ertappt sich dabei, wie man den Eltern nachträglich recht gibt oder frühere Entscheidungen nachvollziehen kann. Wir haben viele Dinge in der Erziehung unserer Kinder anders als unsere Eltern gemacht. Allein weil sich die Zeit und das Verständnis zur Pädagogik geändert hatte. Wir haben aber auch viele grundlegende Werte übernommen, weil sie sich bewährt und als richtig erwiesen haben.

Immer schon habe ich bewundernd und respektvoll älteren Menschen zugehört. Sie haben in Zeiten gelebt, die ich nur aus Büchern oder Filmen kennenlernen konnte und kann. Meine Großeltern hatten zwei Weltkriege erlebt und überlebt. Verhältnisse, die wir uns hier überhaupt nicht vorstellen können. Mein Vater hatte immer gesagt, dass er sich nichts mehr wünschte, als dass seine Kinder keinen Krieg erleben müssen. Bisher hat sein Wunsch gehalten. Für viele Kinder in der Welt gilt das nicht. Ich gehöre in eine Generation, deren Großeltern die Kriege erlebten und deren Eltern dort hineingeboren worden sind. Das hat unsere Erziehung bestimmt. Wir sind deren Enkel und hatten das Privileg, ihren Geschichten persönlich zuhören zu dürfen. Meine Mutter kann aus ihren Kindertagen nicht erzählen, ohne den Tränen nahe zu sein. Dieses erzählte Erleben aus der Kriegszeit wird es bald nicht mehr geben. Andere Ereignisse treten in den Vordergrund und bestimmen unsere Geschichten, die den Kindern von Heute mitgegeben werden.

Nun gehöre ich langsam zu denjenigen, die von Früher erzählen können und in der Tat hat sich unser Leben sehr verändert. Die frühen 60er, Kriegsenkel-Generation, ist eine der letzten Generationen, die analog aufgewachsen ist. Wir hatten relativ wenig Spielzeug und im Kinderzimmer nichts, wozu eine Steckdose erforderlich war. Als Jugendliche hatten wir keine Handys. Taschenrechner ab der 10. Klasse waren etwas Besonderes und der ganze Stolz ein eigener Kassettenrekorder und die erste aus dem Radio aufgenommene Musikkassette mit Lieblingsmusik. In der Ausbildung habe ich Bleisatz gelernt, eine Reprokamera per Hand eingestellt, eine Reinzeichnung mit Rapidograf bearbeitet und gezeichnet wurde mit einem Bleistift. Ich weiß, was ein Fadenzähler ist und ein Typometer benutze ich noch heute. Sachen, die mein Schreibprogramm als Fehler oder unbekannte Wörter markiert. Computer eroberten recht schnell in den 90ern unser Leben. Den ersten Privaten kauften mein Mann und ich 1993 als wir zusammen zogen. Das erste Handy bekamen wir 1995. Heute ist beides nicht mehr wegzudenken. Ich bin dankbar, dass ich im Gegensatz zu meinen Kindern analog aufwuchs. Bei ihnen waren diese Geräte von Anfang an dabei, was für mich nicht schlechter, aber eben anders ist. Ihre Selbstverständlichkeit, mit digitalen Programmen, Tools und Inhalten umzugehen, werde ich nicht erreichen. Die Möglichkeiten, die sie haben, waren uns nicht gegeben, allein weil ihre Welt transparenter und kleiner geworden ist.

Der Blick auf einige Gesetze, die in den Jahren geändert wurden, seit dem ich geboren wurde, lohnt ebenfalls. Bis 1977 waren Frauen zur Führung des Haushalts verpflichtet. Der Mann allein konnte bestimmen, ob sie arbeiten gehen durfte oder nicht. 1994 wird der Paragraf 175 abgeschafft, womit Homosexualität nicht mehr strafbar war. Erst seit 1998 wird in Deutschland nicht mehr zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern unterschieden. Seit kurzen 21 Jahren haben Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung, sowohl körperlich als auch psychisch. Es ist so unglaublich kurz her, dass diese heutigen Selbstverständlichkeiten beschlossen wurden. Und es ist so unglaublich traurig, wie sehr immer noch um Gleichberechtigung, Kinderschutz, Inklusion, Anerkennung und Respekt allen Geschlechtern gegenüber gekämpft werden muss.

Es ist spannend, das Leben rückwärts zu betrachten und Veränderungen zu beobachten. Manche Jahre und schwierige Entwicklungen hätte ich gerne vermieden, aber genau sie sind sehr prägend gewesen. Und nur alle Jahre zusammen prägen meine heutige Persönlichkeit. Noch einmal Jung sein möchte ich nicht. Natürlich würde ich mich freuen, wenn die Waage etwas anderes anzeigen würde. Den körperlichen Zustand einer 20-Jährigen würde ich mir auch heute gerne gefallen lassen. Alles noch einmal erleben würde mir aber nichts nutzen. Ich würde vieles vielleicht anders handhaben, aber auch neue Fehler machen. Je älter ich werde, desto entspannter empfinde ich mich im Umgang mit vielen Aspekten. Ich MUSS nicht mehr, ich KANN.

Tja, 60 Jahre und lange noch nicht das Ende. Hoffentlich! Eine Erkenntnis, die für einen Teenager unvorstellbar ist. Meine 80-jährige Mutter ist jetzt mein Vorbild. Ich empfände es als Geschenk so fit, so alt zu werden und auch sie hat noch einige Pläne. Der Blick auf das gelebte Leben ist zuweilen sehr schön. Ich liebe Erinnerungen und Gegenstände, die früher für mich eine Rolle spielten. Nun, ich gehöre jetzt zu den Alten – Punkt! Nicht zu ändern, aber auch nicht schlimm. An die Zahl 60 muss ich mich etwas gewöhnen. Bedeutender ist für mich das Jetzt mit meinen Plänen und Zielen, die es zu erfüllen gilt. Humor und Optimismus müssen gepflegt werden und sind wichtig, um gelassen alt zu werden. So ein bisschen mit dem inneren Schweinehund zanken und etwas für die geistige und körperliche Gesundheit tun, ist auch von Vorteil. Ich bin jeden Morgen neugierig auf den bevorstehenden Tag und die Menschen, die mir begegnen werden. Solange ich mir diese Neugierde erhalten kann, werde ich mich um das tatsächlich biblische Alter noch fleißig weiter bemühen.

Mein Bildschirmschoner heißt „Ich habe gute Laune!“

Meine Kaffeetasse steht unter dem Vollautomat und ich warte, dass die Bohnen fertig gemahlen mit heißem Wasser das wichtige Morgengetränk bereiten. Während ich warte, kommt mein Chef dazu, wir wechseln ein paar Sätze und kommen auf die am nächsten Tag geplanten Klausurtagung. Einmal im Jahr treffen sich alle ProjektleiterInnen des Stadtteilzentrums Steglitz e.V. um zukunftsweisende Themen zu erarbeiten. In diesem Jahr steht der Tag unter dem Thema „Leiten und Führen!“ Ich beschwere mich ein bisschen, dass meine Motivation bei dem Thema nicht sehr groß ist. In meiner Funktion gehöre ich keinem Team an, leite und führe nicht, sondern bin eher ein Einzelkämpfer. Klar muss ich immer wieder alle MitarbeiterInnen für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit begeistern, aber direkte Personaltätigkeiten habe ich nicht. Der Chef, Thomas Mampel – falls ich es noch nie erwähnt habe – gibt mir zu bedenken, dass ich quasi doch mich selbst leiten und führen muss. Wie es denn mit meiner Selbstmotivation aussieht, was ja auch zu „leiten und führen“ gehört. Sofort und noch während er mir das Thema schmackhaft macht, fängt mein Kopf an zu arbeiten (sogar noch ohne Kaffee). Selbstmotivation ist von Natur aus ein sehr beliebtes Thema, mit dem ich mich oft, bewusst und gerne beschäftige. Der Klausurtag ist in Form eines Barcamps geplant. Jeder kann sein Thema einbringen und versuchen dafür Interessierte zum Austausch zu finden. Mein Thema steht also fest.

Am Klausurtag biete ich dieses Thema an und trotz vieler interessanter, parallel laufender Themen, sitzen wir in einer kleinen Runde und beschäftigen uns mit den Dingen, die uns selber Motor und Antrieb sind. Dabei stellte sich sehr schnell heraus, wie unterschiedlich Selbstmotivation je nach Charakter aufgefasst und genutzt wird. Braucht der eine kleine Rituale, ist es beim anderen die Rückmeldung und beim dritten die Vorstellung eines erreichten Ziels. Das Erledigt-Häkchen war genauso dabei, wie ein Erfolgstagebuch oder Motivation durch Musik. Dem einen Kollegen hilft die Möglichkeit Aufgaben auf das einfachste herunterzubrechen, dem anderen die Freiheit und das Vertrauen seinen Arbeits- und Aufgabenbereich selber zu gestalten. Wir haben wirklich eine Menge Aspekte gefunden, die unsere Selbstmotivation stärken, aber einen gemeinsamen Nenner dafür nicht.

Ich wage zu bezweifeln, dass es einen ausschlaggebenden Aspekt der Selbstmotivation gibt. Je nachdem in welchem Kontext ich mich bewege, müssen jeweils andere Aspekte greifen, die mich in meinem Handeln führen, bestärken und antreiben. Ist es das eine Mal eine positive Vorstellung, kann es ein anderes Mal eine reale Belohnung sein und ein drittes Mal ein erleichtertes Aufatmen. Selbstmotivation spiegelt meine persönliche Haltung und Lebenseinstellung wider und ist eine Fähigkeit, die ich erlernen und pflegen kann. Trainiere ich sie, kann sie treue und sehr effektive Dienste leisten, die mein Handeln in allen Facetten positiv voranbringen. Schon Kinder sollten sehr früh die Möglichkeit und Fähigkeit erlernen, das „Selbst“ zu leben, zu probieren, zu entscheiden und so eigene Erfolge zu erleben. Erlebte Erfolge graben sich tief ins Bewusstsein ein, die künftige Aufgaben beeinflussen. Das „stolz sein“ etwas geschafft zu haben, beflügelt und motiviert im Folgenden.

Im Internet finde ich Seiten voll mit Listen, die alle möglichen Formen der Selbstmotivation anbieten. Motivation durch: erkannten Sinn und Zweck einer Aufgabe, … messbare und realistische Ziele, … machbare Teilaufgaben, … durch Klarheit, … durch Vereinfachung, … Zielvorstellungen, … durch Niederlagen als Lernschritte, … dadurch negative Denkbarrieren abzuschalten, … durch Gefühl, … durch Belohnung, … durch feste Zeitpunkte, … durch bewusste Auszeiten, … durch Druck, … durch kleine Rituale, … durch To-do-Listen, … durch ein Erfolgstagebuch, … durch Verbündete, … durch Rückmeldung, … durch Vorbilder, … durch Weiterentwicklung, … durch Lachen und positives Denken, … durch Energiequellen, … durch Musik, … durch Mut, … durch Kreativität, … selber andere Motivieren. Ganz egal, was gerade als Motivation greift, ist die Selbstmotivation grundsätzlich von dem Willen beeinflusst, etwas erreichen zu wollen.

Mein persönlich stärkster Motivator ist vornehmlich der Optimismus. Sicherlich von manchen hin und wieder belächelt, hilft es mir immer das Gute einer Sache zu betrachten und positive Umstände zu schaffen. Natürlich kann ich auch schlecht gelaunt sein, wütend werden, irgendjemanden so richtig blöde finden, entsetzt sein oder übelst schimpfen. Ich kann meinen inneren Schweinehund in die Hölle wünschen und mich selber dafür verfluchen. In der Regel halte ich es in dem Zustand jedoch nicht lange aus. Über die „Kraft des positiven Denkens“ haben meine Großeltern schon viel geredet und irgendwann ist der Funke auf mich übergegangen. Ich bin von der positiven Selbstsuggestion überzeugt. Mein Denken steuert mein Handeln, was ein bewusster Prozess und eine klare Entscheidung ist. Optimismus und positives Denken hat nichts damit zu tun, sich die Welt schön zu färben, hilft jedoch enorm sich in ihr erfolgreich zu bewegen.

Den Optimismus muss ich natürlich auch trainieren, dies ganz besonders, wenn sich widrige Umstände auftun. Aber ich habe meine kleinen Hilfen: Als Bildschirmschoner steht bei mir der Satz „Ich habe gute Laune!“. Meine Passwörter sind immer ein positiver Satz. Ich gehe an fast keinem Spiegel vorbei, in dem ich mir kein Lächeln schenke (auch wenn ich muffelig bin). Ich liebe Smileys, als Aufkleber oder wenn ich schreibe. Schöne Dinge machen mir gute Laune, was sich z.B. in zahllosen Blumenbildern wiederfindet. Und noch ein paar andere Sachen. Mit Optimismus, positivem Denken, Humor, Offenheit und einer guten Portion Selbstironie ist man, denke ich, recht gut aufgestellt und gut in der Lage sich selbst zu motivieren. Das mit dem Schweinehund trainiere ich noch, immer wieder, mal mehr oder weniger erfolgreich … 😉

Und wenn’s mal nicht klappt mit der Selbstmotivation? Nun, ich habe gelernt, dass man manchen Dingen ihren Lauf lassen muss. Fehlt eine gute Idee, lieber einer anderen Aufgabe zuwenden und später weiter machen. Wenn der Antrieb fehlt, einfach mal akzeptieren, dass ich nicht immer 100 % geben kann (99 % tun es auch 🙂 ). Der Schweinehund hat mal wieder gewonnen? Neue Strategien planen … Das wichtigste mit der Selbstmotivation ist, dass wir ehrlich mit uns selbst sind, sozusagen Experten in eigener Sache – dann klappt es! Bestimmt!

Es soll gelacht werden

annaschmidt-berlin.com_lachen-im-szs

Soziale Arbeit zu leisten bedeutet vornehmlich, Menschen bestmöglich in ihrer persönlichen Entfaltung und Entwicklung zu unterstützen. Das dies nicht immer einfach ist, versteht sich auch daraus, dass sich Menschen, die soziale Hilfe wünschen, häufig in einer Konfliktsituation befinden. Das allein wäre jedoch zu oberflächlich, denn soziale Arbeit bedeutet ebenso, Menschen zusammen zu führen und ein gesellschaftliches Miteinander zu fördern. Die Aufgaben in diesem Bereich sind vielfältig, nur eines haben sie in allen Facetten gemeinsam – Menschen unterschiedlichster Art, Alter und Herkunft, treffen aufeinander. Dieses Aufeinandertreffen bestimmt die Arbeit aller Mitarbeitenden des Stadtteilzentrum Steglitz e.V., ein sozialen Träger, der von der Kita bis zum Seniorenzentrum in über 20 Einrichtungen im Bezirk Steglitz-Zehlendorf tätig ist. Die vielen Kinder, Jugendlichen, Besucher, Kursteilnehmer, Ratsuchenden, Mitarbeitenden, die tagtäglich mit diesem Träger in Verbindung stehen, eint besonders eines – es darf nicht nur, es soll sogar gelacht werden.

Dem Lachen wird Vieles nachgesagt und wissenschaftliche Untersuchungen untermauern es: Lachende Mensch kooperieren besser miteinander. Sie haben ein gemeinsames Ventil, das ihnen hilft, besser mit Stress umzugehen und sie widerstandsfähiger bei Belastungen macht. Lachen löst Anspannungen und fördert so kreative Prozesse. Wer zusammen lachen kann, arbeitet auch besser miteinander. Viel einfacher erklärt sich die wohltuende Wirkung des Lachens daraus, dass Lachen Menschlichkeit und Nähe offenbart. Humorvolle Menschen wirken viel sympathischer als Sauertöpfe, sind zugänglicher und leichter anzusprechen. Dumm wäre also derjenige, der die positive Wirkung nicht erkennt und nutzt.

Für den Arbeitsprozess bedeutet das Lachen besonders eins – man darf sich wohlfühlen. Das fängt gleich morgens bei der Begrüßung an. Fühlt sich jemand willkommen, geht er schon mit einem guten Gefühl in den Tag, das alle weiteren Dinge, die da kommen mögen beeinflusst. Das kennt und erkennt jeder. Und auch ein wertschätzender, fröhlicher Abschied kann eine tragende Wirkung in einen erholsamen Abend sein. Zwischen Morgen und Abend verbringen wir meist mehr Zeit mit KollegInnen als mit dem Partner und Familie, weshalb deutlich ist, warum eine gute Atmosphäre, hin und wieder ein freundliches Wort oder ein fröhliches Lachen so wichtig ist. Auf diese Weise kann Lachen, dort wo sich Menschen angenommen fühlen, durchaus bewusst gefördert und eingesetzt werden. Lächeln, Lachen, Humor, Freundlichkeit … tut gut und hält gesund!

Danach gefragt, was Lachen für ihre tägliche Arbeit bedeutet, antworten KollegInnen aus dem Stadtteilzentrum, dass Lachen zu den wichtigsten Bestandteilen der Arbeit gehört. Es macht den Kopf frei, verbindet und gibt Kraft. Eine Kollegin führt an, dass wer lacht, schon ein Problem gelöst hat. Ein anderer sagt, dass es Freude macht und Sorgen vergessen lässt. Es sei wie Medizin, nur ohne Nebenwirkungen. Eine Kollegin aus einer Kindereinrichtung, erzählt, dass die Kinder gerade so gerne kommen, weil viel gelacht wird und Quatsch gemacht werden darf. Die Kinder hatten selbst eine Stellenanzeige für einen neuen Erzieher geschrieben und dem Lachen dabei einen sehr hohen Stellenwert eingeräumt. Ein anderer sagt: „Das Kinderlachen ist für mich etwas Positives, da es Fröhlichkeit, Unbeschwertheit und Leichtigkeit der Kinder ausstrahlt. Ein ehrliches und herzliches Lachen der Kinder zeigt mir, dass sie eine fröhliche Zeit mit mir haben und das ist die schönste Motivation für meine Arbeit.“ Lachen bedeutet, Kontakt, Verbindung und Beziehung mit den Kindern aufzunehmen. Über Humor und Freude erreicht man Kinder und auch Erwachsene anders als sonst in der alltäglichen Kommunikation. Und nicht zuletzt stärkt es das Selbstempfinden, man wächst näher zusammen, festigt Bindungen im Team.

Wo wird gelacht? Überall – ist die einzig mögliche Zusammenfassung aller Antworten der KollegInnen. In Besprechungen, Teamsitzungen, persönlichen Gesprächen, in Spielsituationen, zwischen Kindern, Eltern, KollegInnen, Besuchern, Gästen, Kursteilnehmern … die Liste ist unendlich. Dabei spielt Sprache, Nationalität oder ethnische Merkmale nicht die geringste Rolle. Die Antworten sind so vielfältig, dass der Eindruck entsteht, dass das Lachen durchaus allgegenwärtig ist. Gut so!

Vorausgesetzt, dass nie über jemanden oder aus Schadenfreude gelacht wird. Lachen darf nicht „auf Kosten“ eines Einzelnen gehen und sollte immer ein feines Gespür für den Humor des anderen beinhalten. Lachen ist nicht konfliktfrei. Es funktioniert nur, wenn keiner unterlegen ist. Die Schwelle, über sich selber zu lachen, ist unterschiedlich hoch und komische Situationen können schnell falsch verstanden werden. Ebenso wie es Konflikte lösen kann, kann es auch erst der Auslöser eines Konfliktes werden. Lachen kann ein Ausdruck für Unsicherheit, Anspannung, Nervosität und Ängste sein. Feingefühl ist gefragt, das sich besonders zeigt, wenn es um Lachen mit und über Randgruppen geht. Blondinenwitze, Ostfriesenwitze, Fritzchenwitze … es gibt sogar ein Buch über SozialarbeiterInnenwitze. Der Witz ist der Versuch, den Zuhörer über eine Pointe zum Lachen zu bringen, doch oft hat er ein „Opfer“. Es ist Vorsicht geboten. Selbst Menschen mit Behinderungen witzeln über sich selber, in der Medizin und dem Hospiz wird gewitzelt – oft um der Situation die Schärfe zu nehmen oder als Selbstschutz. Tragikomische Witze sind eher ein hilfloser Ausdruck. Wenn ein demenzkranker Mensch erklärt, er sei doch nicht meschugge? Darf man Lachen?

Die letzte Frage an die KollegInnen war die nach dem schönsten Lachen, dass sie persönlich erlebt hatten. Die Antworten hatten alle eine Verbindung mit Kindern. Kinderlachen ist unbelastet, frei und echt. Es steckt an, erleichtert, macht die Umgebung freundlich. Auch ein kleines Lächeln, dass Zustimmung, Wohlwollen oder Akzeptanz ausdrückt, gehört zu den Favoriten. Kleine Momente, die haften bleiben. Situationen, in denen ein Wort ein Kopfkino auslöste. Das Lachen ist mit der Arbeit nicht zu trennen, denn hinter der Arbeit stehen die KollegInnen, die letztendlich Mensch sind. Der Mensch braucht das Lachen, die kleinen feinen Aufheller, im täglichen Geschehen. Lachen ist soziale Interaktion in höchster Form. Eine Kollegin hat das schönste Lachen, dass sie persönlich erlebt hatte, besonders schön beschrieben – ganz im Sinne des sozialen Trägers: „Es war das letzte, gerade erlebte!“

zeit0415

Stadtteilzeitung Steglitz-ZehlendorfNr. 186 • April 2015

Was ist „Alt“?

©photo5000-Fotolia.com

© photo 5000 – Fotolia.com

Wir saßen in einer fröhlichen Runde in einem Restaurant und waren mit verschiedenen Themen beschäftigt, die wir sehr spaßig durchsprachen. Bis die Frage aufkam, was eigentlich „Alt“ ist. Da wurden die Gesichter plötzlich ziemlich ernst. Wer fällt nun in das Muster, schienen die Gesichter zu fragen – die Altersspanne der Runde lag zwischen geschätzten Mitte 30 bis Anfang 60 – alle Jahrzehnte vertreten. Ich habe mal frech behauptet, dass „Alt“ eine Sache des Kopfes ist und relativ früh anfangen kann. Das, weil ich Menschen kenne, jünger als ich, die ich aber schon als sehr alt empfinde. Wirklich wissen tue ich nicht, wie sich Alter definiert. Wie komme ich dem also nun näher? Eine Definition muss her. Deshalb: Google ist mein Freund – ich gebe „definition alt“ ein (Google interessiert sich nicht für Groß- und Kleinschreibung) und bekomme 67.200.000 Einträge. Dafür habe ich keine Zeit. Also versuche ich mal aus dem Bauch raus das Thema zu beleuchten und meine „Altersweisheit“ zu Rate zu ziehen.

„Alt“ werden wir wohl immer nach der eigenen Jahreszahl, dem persönlichen Standpunkt und beruflichen Hintergrund definieren. Ich weiß noch genau, dass ich mit 18 Jahren meine Eltern als ganz schön alt empfand. Meine Mutter war damals 38 Jahre alt. Aus heutiger Sicht – mit 38 Jahren hatte ich gerade mal zwei kleine Kinder – ist 38 Jahre so richtig volle Kanne mittendrin. Mir war erst ziemlich spät klar, dass ich mit sehr jungen Eltern gesegnet war. Heute stehe ich manchmal da und denke bei manchen Leuten: „Die sind ja noch ganz schön jung.“ Das hat aber weniger mit ihrem Alter als eher mit ihrem Verhalten zu tun. Wenn sich mal wieder ein eigener Geburtstag nähert, staune ich tatsächlich darüber wie viele Jahre ich schon geschafft habe und mich trotzdem noch so jung fühlen kann. Wie jung es sich in meinem Kopf anfühlt, kann ja keiner von außen sehen. Zugegeben, manchmal stehe ich morgens auf und ohne Kaffee in der Hand, fühle ich mich mindestens 30 Jahre zu alt – manchmal. Zum Glück nicht oft – das überwiegende Morgens-Gefühl ist Neugierde auf den Tag – das fühlt sich ziemlich jung an.

Aus Sicht der Soziologie werde ich mir in Bezug auf das Alter wohl die Frage stellen, welche Rolle ich in der Gesellschaft erfülle. Bin ich noch in der Entwicklung oder am Anfang des Arbeitsprozesses, bin ich jung. Trage ich Verantwortung, im Beruf oder für Kinder/Familie, habe ich eine tragende Rolle, bin also im „besten“ Alter. Gebe ich Verantwortung ab, die Kinder wachsen aus dem Haus heraus, junge Kräfte wachsen im Arbeitsprozess nach, bin ich auf dem Weg ins Alter. Der Biologe schaut sich den Körper an und fragt nach dessen Leistungsfähigkeit oder beginnenden Abbauerscheinungen. Der Psychologe macht alles am Zustand der Psyche fest – ein sehr komplexer und umfassender Bereich.

Der beste Gradmesser für das eigene Alter ist wohl das Selbstempfinden, auch wenn das durch die Sicht der anderen empfindlich gestört werden oder manchmal sogar peinlich werden kann. Ich selbst empfinde mich also noch als ganz schön jung … bis im Bus ein netter junger Mann für mich aufsteht und fragt, ob ich mich setzen möchte. Zwischen Rührung (Er nimmt auf mich persönlich Rücksicht) und Entsetzen (Wie kommt der denn da drauf – als ob ich so aussehe), lehne ich natürlich dankend ab. Natürlich empfinde ich ein gewisses Alter, durch das ich mich aber noch lange nicht alt fühle, sondern es genießen kann. Ich weiß heute zum Beispiel, was ich nicht mehr will. Da gibt’s eine ganze Menge Sachen … habe ich alles ausprobiert – muss nicht mehr sein. Ich weiß, dass ich mich nicht mehr beweisen muss – vor anderen – vor mir selber schon, aber das ist eine andere Geschichte. Ich weiß, was ich unbedingt noch machen oder erleben möchte – das ziemlich bewusst und als Antriebsfeder. Und ich weiß, welche Menschen mir gut tun und welche nicht. Und tatsächlich bin ich auch auf dem Weg „Nein“ sagen zu lernen – dafür musste ich allerdings ganz schön alt werden. Also hängt alt sein eigentlich von der jeweiligen Sache und meiner Tagesform ab – aus meiner Sicht.

Der Körper freilich lässt unser Alter nicht leugnen. Ich bewundere Bilder von superfitten Senioren, die in Fitness-Studios locker mithalten können mit allen, die unter 25 Jahre alt sind. Aber das ist Werbung, die uns genauso ein falsches Bild vermitteln möchte, wie das der ständig superschlanken Frauen. Gehen wir in ein Bildarchiv und geben das Wort „Alt“ ein, strahlen uns zu 95 Prozent Bilder mit lachenden Alten an. Selbst auf Krankenhausbildern oder wo Omas gefüttert werden – die lachen alle. Eigentlich müsste das was richtig schönes sein, so wie die sich alle freuen. Tja, nur will keiner so alt sein. Die Realität sieht  dann doch anders aus und ich behaupte mal, dass derjenige ein Lügner ist, der mit 50 Jahren noch kein Zipperlein an sich entdeckt hat. Im Alter scheiden sich die Geister in diejenigen, die immer mehr und teurere Schönheitscremes brauchen und diejenigen, die tapfer jede Falte als Trophäe sammeln. In diejenigen, die heroisch zur kurzgeschorenen, offenen Frisur stehen, weil einfach keine Haare mehr da sind oder diejenigen, die jedes, aber auch jedes Haarwässerchen ausprobieren und Strähnchen hoch toupieren und pflegen. Es gibt definitiv keinen Jungbrunnen nach dem die Menschheit seit Jahrhunderten sucht – oder war’s der Gral? Na gut … vielleicht gibt’s dafür ja irgendwann einmal eine App.

Die Jugend und die Gesellschaft sind diejenigen, die uns erbarmungslos unsere Altersgrenzen aus ihrer Sicht aufzeigen. Wenn ich meine Kinder auffordere, dass sie mal wieder deutsch mit mir sprechen sollen, bedeutet das, ich verstehe ihre Jugendsprache nicht. Besonders allergisch reagiere ich auf: „Ey, alter!“ was so ziemlich einem konstanten Satzende bei ihnen gleich kommt. Sobald ich ein Wort in ihrer Sprache gelernt habe, kommt ein „Mama, das ist peinlich.“ Pfff … was denn nun? Fangen wir „Alten“ an „chillen“ in unseren Wortschatz aufzunehmen, sagt das schon kein Jugendlicher unter 20 mehr. Man will sich ja abgrenzen … Tja, und die Gesellschaft – die ist nicht viel besser als die Jugendlichen – die grenzt uns Ältere ab. Ich lese von Angeboten „50+“, Senioren-Bonus-Heften, Seniorenresidenz, Freizeit-Angebote speziell am Vormittag … Die Wirtschaft hat uns als zahlungskräftiges Potential – allerdings nur im Freizeit- und Pflegebereich entdeckt. Hallo? Und seien wir ehrlich, ab dem gesegneten Alter von 40 Jahren müssen wir bei einem Wechsel der Arbeitsstelle entweder verbeamtet sein, in irgendeinem Aufsichtsrat sitzen und Millionen verdienen oder mindestens eine wichtige Fähigkeit haben, damit das klappt. Das Potential und die Erfahrung der Normalbürger zu nutzen, hat unsere Wirtschaft noch nicht verstanden. Normalbürger schicken wir lieber in Rente, sonst werden sie zu teuer und Rente zahlen ja unsere Kinder – wie auch immer sie das einmal machen werden.

Bei allen Überlegungen über das Alter komme ich zu der Überzeugung, dass ich dennoch eines nicht will: Noch einmal Jung sein und alle Erfahrungen, die ich heute habe, noch einmal machen müssen. So wie es ist, ist es auch gut. Ich fühle mich im „besten“ Alter, aller Zipperlein und schönen Erinnerungen zum Trotz. Alt sein bleibt für mich eine Frage des Kopfes. Wenn ich den Kopf kein Futter mehr gebe, wird das auch nix mit der fitten Alten. Krampfhaft jung bleiben wollen funktioniert nicht. Wenn ich aufgebe – mich für nichts mehr interessiere – mich von nichts mehr begeistern lasse und nur noch von negativen Dingen beeinflussen lasse. Wenn ich mich über die Jugend aufrege und früher alles viel besser fand – wenn ich jeden Tag damit beschäftigt bin, mir selber leid zu tun und die Schuld meines Dilemmas bei anderen vorgeschobenen Dingen suche – dann bin ich alt. Möge dieser Tag nie kommen! Und wenn mich andere als alt empfinden, dann möchte ich die Persönlichkeit haben, das mit Würde – und ganz  besonders mit Humor – zu tragen und hoffe, dass meine Erfahrungen für Jüngere zum Nutzen sind. Alt werden kann ziemlich entspannend, schön und lustig sein. Alt sein – auch!
 

Liebe mit 70+

annaschmidt-berlin.com_mohnblumenfeld-spanien

Mohnblumenfeld in Spanien

Die Liebesgeschichte begann eigentlich mit einer Trennung, wenn auch noch Jahre vergehen mussten, bevor sie begann. Nach 40 Jahren Ehe verstarb der Ehemann und die Frau, die nie alleine gewesen war, war erstmalig alleine für ihr Leben verantwortlich. Witwe mit 58 Jahren. Das erste Kind hatte sie mit 17 Jahren bekommen, eine Kinderhochzeit zur damaligen Zeit. Vier Jahre vor der Volljährigkeit war sie verheiratet und sozusagen vom Kinderzimmer direkt in die Obhut des Ehemanns gegangen. Es war eine gute Ehe mit vielen Höhen und Tiefen. Sie wurde geschlossen aus der Verpflichtung des Kindes wegen, war aber keine Liebesheirat. Am Ende standen Vertrauen, Respekt und Wertschätzung zwischen ihnen, ganz andere Werte und fünf erwachsene Kinder sowie eine gemeinsame Lebensleistung. 

Als junges Mädchen hatte sie in Sachen Liebe ein Schlüsselerlebnis. Die Damenschneider-Werkstatt in der sie lernte, bekam hin und wieder Besuch von einer Kundin. Sie kam immer in Begleitung ihres Partners oder Ehemanns. Während der Anprobe kokettierte die Dame mit ihren üppigen Rundungen, was dem Partner offensichtlich sehr gut gefiel. Er schwärmte immer davon, wie gut sie doch aussehe. So stellte sie sich die Liebe vor, in der man noch im Alter eine Begeisterung füreinander empfindet. Diese beiden waren später die einzigen, die ihr zu der frühen Schwangerschaft gratulierten.

Sie war Witwe – das erste Mal, dass sie selber, ohne Absprache, bestimmen konnte, wie sie ihren Lebensraum gestalten will. Einen neuen Partner wollte sie in keinem Fall. Sie wollte die Freiheit genießen und sich mit Dingen beschäftigen, die ihr selber wichtig waren. Sie wollte unabhängig ihre Tage gestalten, Reisen unternehmen, Freunde besuchen, selber entscheiden, welchen Film sie anschaute und einfach nur für sich sein. Das hatte sie vorher nie gehabt. Auch das fünfte Kind zog irgendwann aus und begann seinen eigenen Weg. Dann schließlich kamen die Tage, an denen sie alleine am Frühstückstisch saß, die Wochenenden, an denen keiner vorbeikam und Stunden, in denen sie mit niemandem sprach.

Sie begann Annoncen zu lesen, Zeit war ja da, und studierte die Partnerschaftsgesuche. Also doch? Nun ja, erst mal lesen bedeutet ja nichts, ganz unverbindlich einfach mal interessieren und schauen, ob nicht doch jemand Interessantes zu finden ist. Natürlich wurde sie fündig, denn eine Anzeige gefiel ihr recht gut. Es stellte sich jedoch schnell heraus, dass es sich dabei um eine Fangannonce einer Partneragentur handelte. Dennoch traf sie sich mit ein paar Herren, doch das Ergebnis war sehr ernüchternd. Der eine Herr suchte Gesellschaft, ein anderer wollte seine Porno-Sammlung vorstellen. Ein dritter wollte mit ihr nach Australien ausreisen, lebte selber aber schon im Seniorenheim. Ein weiterer hatte im Hinterkopf, seine Pflege für die beginnende Demenz zu sichern. Allen gemeinsam war der Wunsch ihre Lebensgeschichte zu erzählen, es gibt doch so viele einsame Menschen, aber ein so richtig interessanter Mann war für sie nicht dabei. Also lies sie es sein, das Leben konnte sie besser alleine gestalten.

Erstmal! Denn irgendwann saß sie wieder alleine beim Sonntagsfrühstück. Lass die Zeitung und landete doch wieder auf der Partnerseite. Dort lass sie eine außergewöhnliche Anzeige: Ein Glückssucher versprach kein Holzbein, keine Glatze und keine feuchten Hände zu haben. Fragte, wer Mut hätte zu schreiben. Den hatte sie, denn hier fand sie einen mit Humor. Um ein Foto bat er, dass er auch zurückschicken würde. Aussehen, Nationalität, Figur wären sekundär. Als Bild musste ein Passbildautomatenfoto reichen und schreiben konnte sie. So war die Antwort bald fertig und machte sich auf den Weg nach Spanien.

ruperts_anzeige_web

Ihre Offenheit war es, die ihn wiederum antworten lies. Unter 436 Antworten auf seine Anzeige (man stelle sich den armen Briefträger des kleinen spanischen Ortes vor), war ihr Brief aufgefallen, der vielem entsprach, was er selber empfand. Und damit begann ein reger Briefwechsel. Die erwachsenen Kinder merkten natürlich eins nach dem anderen, dass sie sich veränderte. Die Laune war eine andere, das Lachen zog wieder in ihr Leben ein, die Fröhlichkeit wurde Begleiter. Alarmglocken klingelten bei allen Kindern, als sie nach zwei Brief wechselnden Monaten erzählte, dass er sich auf den Weg von 1600 km machen würde um sie kennenzulernen. Die zaghafte Frage, nach der Unterbringung des Mannes, beantwortet sie einfach: Sie hatten kein Hotel gebucht, er könne ihr gleich an der Haustür sagen, ob sie ihm gefiele oder nicht. Er blieb – für 14 Tag. Verließ für eine kurze Reise das Haus um nach weiteren 14 Tagen wieder da zu sein. Dann reiste sie – 1600 km zu ihm nach Spanien.

Das passierte vor fünf Jahren. Bis heute sind sie ein Paar – ein Liebespaar 70+. Die Kinder mussten sich daran gewöhnen, doch er machte es ihnen leicht ihn zu mögen. Dies war eine ganz andere Geschichte als die Geschichte mit ihrem Vater. Er tat nicht so, als hätte er kein Leben vorher gehabt. Seine frühere Ehe war glücklich, aber er sei nicht zum alleine leben geschaffen. Trotzdem war es teilweise schwer für die Kinder sich, ungeachtet des Erwachsenseins, daran gewöhnen zu müssen, dass die Mutter nun einen anderen Fokus hatte und das elterliche Haus nicht mehr das Haus von früher war. Mancher Unmut musste besprochen und behoben werden. Letztendlich aber zählt etwas ganz anderes. Sie ist glücklich, sie ist gesund, sie erlebt an seiner Seite Dinge, die alleine nicht möglich gewesen wären.

Sie sagt dazu, dass diese Liebe im Alter etwas Besonderes und Schönes sei. Beide müssen sich gegenseitig nichts mehr beweisen. Akzeptieren den Partner so, wie er nun mal ist – mit all seinen Ecken und Kanten. Mit 70 kann man niemanden mehr verbiegen und Kompromisse müssen geschlossen werden. Die grauen Haare, die Falten und der Bauch gehört ebenso dazu, wie die kleinen Macken, deren einzige Berechtigung das Alter ist. Aber, sagt sie, man muss sich auch selbst akzeptieren, so wie man ist, und wenn man den Jugendwahn die kalte Schulter zeigt, lässt sich manche Unebenheit durch hübsche Kleidung kaschieren. Und beobachtet sie ältere Paare, in den Straßen oder Kaffees, wenn sie sich unterhalten, dann wirken sie immer lebendig und vermitteln das Gefühl, sich noch etwas zu sagen zu haben.

So wie damals das Paar in der Damenschneider-Werkstatt, faszinierten sie auch immer schon die Gesichter und Hände älterer Menschen aus denen man viel lesen kann. Wenn diese älteren Menschen das Glück haben, jemanden lieben zu können, sie den Geruch des anderen wahrnehmen, den Kopf an den anderen anlehnen können oder beim Aufwachen dessen Hand spüren, gibt es dafür keinen anderen Namen als „Glück“. Diese Liebe und das Leben mit ihr – wird wertvoll durch Lob, Verständnis, Anerkennung und Dankbarkeit. Das jugendliche Schlüsselerlebnis wurde wahr.

Einzig eine Sorge begleitet diese Liebe im hohen Alter: Wie sieht die nächste Trennung aus? Wer bleibt, wer muss als erster gehen!