Es soll gelacht werden

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Soziale Arbeit zu leisten bedeutet vornehmlich, Menschen bestmöglich in ihrer persönlichen Entfaltung und Entwicklung zu unterstützen. Das dies nicht immer einfach ist, versteht sich auch daraus, dass sich Menschen, die soziale Hilfe wünschen, häufig in einer Konfliktsituation befinden. Das allein wäre jedoch zu oberflächlich, denn soziale Arbeit bedeutet ebenso, Menschen zusammen zu führen und ein gesellschaftliches Miteinander zu fördern. Die Aufgaben in diesem Bereich sind vielfältig, nur eines haben sie in allen Facetten gemeinsam – Menschen unterschiedlichster Art, Alter und Herkunft, treffen aufeinander. Dieses Aufeinandertreffen bestimmt die Arbeit aller Mitarbeitenden des Stadtteilzentrum Steglitz e.V., ein sozialen Träger, der von der Kita bis zum Seniorenzentrum in über 20 Einrichtungen im Bezirk Steglitz-Zehlendorf tätig ist. Die vielen Kinder, Jugendlichen, Besucher, Kursteilnehmer, Ratsuchenden, Mitarbeitenden, die tagtäglich mit diesem Träger in Verbindung stehen, eint besonders eines – es darf nicht nur, es soll sogar gelacht werden.

Dem Lachen wird Vieles nachgesagt und wissenschaftliche Untersuchungen untermauern es: Lachende Mensch kooperieren besser miteinander. Sie haben ein gemeinsames Ventil, das ihnen hilft, besser mit Stress umzugehen und sie widerstandsfähiger bei Belastungen macht. Lachen löst Anspannungen und fördert so kreative Prozesse. Wer zusammen lachen kann, arbeitet auch besser miteinander. Viel einfacher erklärt sich die wohltuende Wirkung des Lachens daraus, dass Lachen Menschlichkeit und Nähe offenbart. Humorvolle Menschen wirken viel sympathischer als Sauertöpfe, sind zugänglicher und leichter anzusprechen. Dumm wäre also derjenige, der die positive Wirkung nicht erkennt und nutzt.

Für den Arbeitsprozess bedeutet das Lachen besonders eins – man darf sich wohlfühlen. Das fängt gleich morgens bei der Begrüßung an. Fühlt sich jemand willkommen, geht er schon mit einem guten Gefühl in den Tag, das alle weiteren Dinge, die da kommen mögen beeinflusst. Das kennt und erkennt jeder. Und auch ein wertschätzender, fröhlicher Abschied kann eine tragende Wirkung in einen erholsamen Abend sein. Zwischen Morgen und Abend verbringen wir meist mehr Zeit mit KollegInnen als mit dem Partner und Familie, weshalb deutlich ist, warum eine gute Atmosphäre, hin und wieder ein freundliches Wort oder ein fröhliches Lachen so wichtig ist. Auf diese Weise kann Lachen, dort wo sich Menschen angenommen fühlen, durchaus bewusst gefördert und eingesetzt werden. Lächeln, Lachen, Humor, Freundlichkeit … tut gut und hält gesund!

Danach gefragt, was Lachen für ihre tägliche Arbeit bedeutet, antworten KollegInnen aus dem Stadtteilzentrum, dass Lachen zu den wichtigsten Bestandteilen der Arbeit gehört. Es macht den Kopf frei, verbindet und gibt Kraft. Eine Kollegin führt an, dass wer lacht, schon ein Problem gelöst hat. Ein anderer sagt, dass es Freude macht und Sorgen vergessen lässt. Es sei wie Medizin, nur ohne Nebenwirkungen. Eine Kollegin aus einer Kindereinrichtung, erzählt, dass die Kinder gerade so gerne kommen, weil viel gelacht wird und Quatsch gemacht werden darf. Die Kinder hatten selbst eine Stellenanzeige für einen neuen Erzieher geschrieben und dem Lachen dabei einen sehr hohen Stellenwert eingeräumt. Ein anderer sagt: „Das Kinderlachen ist für mich etwas Positives, da es Fröhlichkeit, Unbeschwertheit und Leichtigkeit der Kinder ausstrahlt. Ein ehrliches und herzliches Lachen der Kinder zeigt mir, dass sie eine fröhliche Zeit mit mir haben und das ist die schönste Motivation für meine Arbeit.“ Lachen bedeutet, Kontakt, Verbindung und Beziehung mit den Kindern aufzunehmen. Über Humor und Freude erreicht man Kinder und auch Erwachsene anders als sonst in der alltäglichen Kommunikation. Und nicht zuletzt stärkt es das Selbstempfinden, man wächst näher zusammen, festigt Bindungen im Team.

Wo wird gelacht? Überall – ist die einzig mögliche Zusammenfassung aller Antworten der KollegInnen. In Besprechungen, Teamsitzungen, persönlichen Gesprächen, in Spielsituationen, zwischen Kindern, Eltern, KollegInnen, Besuchern, Gästen, Kursteilnehmern … die Liste ist unendlich. Dabei spielt Sprache, Nationalität oder ethnische Merkmale nicht die geringste Rolle. Die Antworten sind so vielfältig, dass der Eindruck entsteht, dass das Lachen durchaus allgegenwärtig ist. Gut so!

Vorausgesetzt, dass nie über jemanden oder aus Schadenfreude gelacht wird. Lachen darf nicht „auf Kosten“ eines Einzelnen gehen und sollte immer ein feines Gespür für den Humor des anderen beinhalten. Lachen ist nicht konfliktfrei. Es funktioniert nur, wenn keiner unterlegen ist. Die Schwelle, über sich selber zu lachen, ist unterschiedlich hoch und komische Situationen können schnell falsch verstanden werden. Ebenso wie es Konflikte lösen kann, kann es auch erst der Auslöser eines Konfliktes werden. Lachen kann ein Ausdruck für Unsicherheit, Anspannung, Nervosität und Ängste sein. Feingefühl ist gefragt, das sich besonders zeigt, wenn es um Lachen mit und über Randgruppen geht. Blondinenwitze, Ostfriesenwitze, Fritzchenwitze … es gibt sogar ein Buch über SozialarbeiterInnenwitze. Der Witz ist der Versuch, den Zuhörer über eine Pointe zum Lachen zu bringen, doch oft hat er ein „Opfer“. Es ist Vorsicht geboten. Selbst Menschen mit Behinderungen witzeln über sich selber, in der Medizin und dem Hospiz wird gewitzelt – oft um der Situation die Schärfe zu nehmen oder als Selbstschutz. Tragikomische Witze sind eher ein hilfloser Ausdruck. Wenn ein demenzkranker Mensch erklärt, er sei doch nicht meschugge? Darf man Lachen?

Die letzte Frage an die KollegInnen war die nach dem schönsten Lachen, dass sie persönlich erlebt hatten. Die Antworten hatten alle eine Verbindung mit Kindern. Kinderlachen ist unbelastet, frei und echt. Es steckt an, erleichtert, macht die Umgebung freundlich. Auch ein kleines Lächeln, dass Zustimmung, Wohlwollen oder Akzeptanz ausdrückt, gehört zu den Favoriten. Kleine Momente, die haften bleiben. Situationen, in denen ein Wort ein Kopfkino auslöste. Das Lachen ist mit der Arbeit nicht zu trennen, denn hinter der Arbeit stehen die KollegInnen, die letztendlich Mensch sind. Der Mensch braucht das Lachen, die kleinen feinen Aufheller, im täglichen Geschehen. Lachen ist soziale Interaktion in höchster Form. Eine Kollegin hat das schönste Lachen, dass sie persönlich erlebt hatte, besonders schön beschrieben – ganz im Sinne des sozialen Trägers: „Es war das letzte, gerade erlebte!“

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Stadtteilzeitung Steglitz-ZehlendorfNr. 186 • April 2015

Ich hab’s verstanden, Frau Giese!

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„Wenn man ein Kind bekommt, steht man in den nächsten 20 Jahren in der zweiten Reihe!“ Das war immer mein Lieblingssatz bei Diskussionen, in denen es darum ging, was Mütter alles für ihren Nachwuchs tun und aufgeben. Wir sind im Schnitt 20 Jahre die Hauptversorgungsquelle für unsere Kinder. Jahre in denen wir mehr oder weniger eigene Bedürfnisse hinten anstellen (müssen). Eine Zeit in der wir alles tun, um unsere Kinder (nach unserer Vorstellung) gut zu erziehen und auf ihr eigenständiges Leben vorbereiten. Das diese 20 Jahre auch ein Ende haben, habe ich bisher nicht wirklich bedacht. Das hat mir jetzt Frau Giese klar gemacht.

Die Geschichte hat mit ganz vielen E-Mails angefangen. Das Töchterchen brauchte ein Praktikum für die Schule und die Mutter ist davon ausgegangen, dass das weiter kein Problem ist. Undenkbar, dass dieses gute Kind keinen Platz bekommen würde. Hat ja bisher immer geklappt. Bis das Kind eines Tages von der Schule nach Hause kam und verkündete, dass der Praktikumsvertrag in 1 ½ Wochen abgegeben werden müsse. Dazu sei erwähnt, dass das Kind schon viele Anfragen alleine losgeschickt hatte, leider ohne Erfolg. Nun kam die Mutter in die Spur, verfasste siegessicher einen schönen Text und bewarb das Kind bei mehreren interessanten Stellen. Das hat auch nicht geklappt – es war zu spät und die Plätze besetzt. Die E-Mails mit Absagen kamen zurück – eine nach der anderen. Doch eine dieser E-Mail-Absagen war mit einem P.S. versehen und das gab der Mutter schwer zu denken.

Frau Giese von einem sehr namhaften Berliner Kindertheater schickte eine freundliche Absage. Gut, damit hatte ich gerechnet, nicht jedoch mit dem P.S. Frau Giese schrieb: „PS: Ich verstehe, dass Schüler sehr beschäftigt sind. Trotzdem ist es wirklich sehr ungewöhnlich, dass die Eltern die Bewerbung schreiben … Mit 17 sollte Ihre Tochter in der Lage sein, sich selber zu bewerben, das tun die 13- und 14 Jährigen, die wir üblicherweise als Schülerpraktikanten haben auch immer. Seien Sie sich aber sicher, dass dies nicht der Grund der Absage ist …“ Das saß! Im ersten Moment stutzte ich, aber so ziemlich gleich danach, machte sich ein ziemlich breites Grinsen bei mir bereit. Oh ja, Frau Giese, Sie haben so recht und ich hab’s verstanden – nur habe ich mir bis zu diesem Punkt nicht wirklich bewusst gemacht, dass meine Kinder alleine laufen können!

Realistisch gesehen ist die Beziehung zwischen Mutter und Kind von Anfang an von zwei Dingen bestimmt: Das eine ist der natürliche Instinkt der Mutter von Geburt an, alles dafür zu tun, dass es dem Kind gut geht, es sich optimal entwickeln und auf sein erwachsenes Leben vorbereiten kann. Das zweite ist der Ablösungsprozess, der im Grunde genommen mit der Geburt einsetzt. Beide Vorgänge arbeiten gegengleich. Das Kind entwickelt sich in die Selbstständigkeit von der Mutter weg. Die Mutter sollte sich ebenso in Richtung Loslösung entwickeln, was in Anbetracht der jahrelangen Versorgungsrolle, die sie hat, sehr in den Hintergrund tritt. Ist der Zeitpunkt dann da, wird er oft verkannt, dies insbesondere, wenn Mütter sich nicht rechtzeitig wieder eigener Bedürfnissen und Interessen erinnern. Der Tag, der Moment in dem einem das klar wird, kommt – und wenn es in Form einer E-Mail ist.

Ein Erlebnis, das so einen Ablösungsprozess deutlich macht, ist mir sehr in Erinnerung geblieben: Meine Kinder, zweieinhalb und fünf Jahre, hatten gemeinsam einen Brief für ihre Oma geschrieben. Der fertige Brief musste zum Briefkasten und „zu schnell“ gab ich meine Erlaubnis, dass beide alleine dorthin gehen dürfen. Es war das erste Mal, dass meine Kinder alleine und zusammen aus dem Haus gingen. Der Briefkasten ist etwa 500 Metern entfernt. Dazu mussten sie eine kleine Straße und eine riesengroße, zweispurige Kreuzung überqueren. Sie gingen fröhlich und gut gelaunt los und es wurde die schlimmste Viertelstunde in meinem bisherigen Mütterdasein. Wie krank tigerte ich zwischen Garten und Wohnzimmerfenster hin und her und fragte mich, warum sie nicht längst zurück waren. Die schlimmsten Vorstellungen und Gedanken kamen mir in den Sinn. Mein Gatte, dem mein Gejammer gehörig auf die Nerven ging, meinte nur lapidar „Dann geh doch hinterher!“ und genau das, wusste ich, durfte ich nicht tun. Sie kamen nach Hause, stolz und wunderbar gelaunt. Ich lobte und hoffte, dass sie meine Skepsis und Angst nicht gemerkt hatten.

So ging das weiter, mit Kitareisen, Reisen zu der Oma, Klassenfahrten und vielem mehr. Nicht nur die Kinder lernten, sich alleine zu bewegen und in der Welt zu behaupten. Die Mutter lernte loslassen – langsam … Dabei stellten sich die Kinder zweifelsohne besser als die Mutter an. Als ich die „Kleine“ von einem Arztbesuch abholen musste, stellte ich auf der Autobahn fest, dass eine Ausfahrt gesperrt war. Das bedeutete einen Umweg, der Pünktlichkeit unmöglich machte. Ich wusste, dass das Kind kein Handy dabei hatte. Panik machte sich wieder bei mir breit, was sie tun würde, wenn ich nicht rechtzeitig da bin und sie rette. Bis meine „Große“, die mit im Auto saß meinte, dass die „Kleine“ fragt, wo wir bleiben. Mittels IPod hatte sich die „Kleine“ in ein WLan Netz eingewählt und über ihr Musikgerät Kontakt zu uns aufgenommen. Soviel zu den hilflosen „Kleinen“, die sich mittlerweile besser im WLan-, Berliner Bus- und Bahnnetz bewegten, als ihre Mutter es jemals könnte.

Besonders schwer waren Situationen, in denen die Kinder Streit mit anderen hatten und mir verboten, einzugreifen. Sie haben so vieles gemeistert und immer wieder musste ich zugeben, dass sich Stolz bei mir einschlich, wie eigenständig und selbstbewusst sie sich in ihrer Welt bewegen. Das hat auch eine ganze Menge mit „Zutrauen“ zu tun und ich habe oft gestaunt, was sie entsprechend ihrem jeweiligen Alter schon alles konnten. Mittlerweile sind sie so weit, dass sie nach Partys nicht einmal mehr vom Vater abgeholt werden möchten, da sie das alleine sehr gut schaffen. Also nicht nur die Mutter, auch der Vater guckt in die Röhre. Sie wollen alleine und selbstständig ihre Angelegenheiten regeln. Und viele Dinge, die Organisatorisches betrifft, erledigen sich sowieso von alleine, denn mit dem 18. Lebensjahr finden Eltern kaum noch Gehör oder Verständnis bei öffentlichen Stellen. Oder Frau Giese!

Aber es ist auch gut so, denn gerade in dieser Phase zeigt sich ja, ob Mutter „ganze Arbeit“ geleistet hat. Ist der Nachwuchs selbstbewusst und selbstständig, können wir uns getrost zurücklehnen und sie ihr Ding machen lassen. Das heißt ja noch lange nicht, dass wir abgeschrieben und nicht mehr um Rat gefragt sind. Die große Tochter hat sich nun alleine einen dualen Studienplatz gesucht und wird die nächsten dreieinhalb Jahre in einer Institution lernen, die die Eltern noch nie gesehen haben. Es war ihre Wahl und ist ihr Weg. Die jüngere Tochter hat ein Praktikum bekommen – pünktlich, alleine und ganz ohne mein Zutun. Wir sind raus, was ja ebenso nicht heißt, dass wir arbeitslos sind. Wer zwei (fast) erwachsene Kinder im Haus hat weiß sehr genau, dass „Kinder“ prima zwischen Eigenständigkeit und Bequemlichkeit hin und her wechseln können.

Frau Giese hat mir mehr gesagt, als das ich mit der Praktikumssuche meiner Tochter nichts mehr zu tun habe. Sie hat mich daran erinnert, dass ich meinen Kindern zutrauen darf, ihr Leben selber in die Hand zu nehmen. Sie hat gesagt, dass Mütter früh damit beginnen sollten, die Kinder selber ihre Dinge regeln zu lassen. Und sie hat auch vermittelt, dass wir Mütter uns aus manchen Dingen gelassen zurückziehen dürfen. Uns darauf vorbereiten können, in einer gewissen Zeit auch wieder in der ersten Reihe mitzumachen und uns auf Dinge besinnen können, die nur mit uns zu tun haben. Die Kinder können das – und wenn die Säge mal klemmt – nun ja, dann stehen sie mit uns in der ersten Reihe und lösen das Problem!

Danke, Frau Giese! 🙂