wellcome – Ehrenamt und Familie – ein entspanntes Miteinander

Foto © wellcome Frederika Hoffmann

Foto © wellcome Frederika Hoffmann

Es ist immer etwas ganz besonderes: Ein Kind wird geboren, nimmt seinen Platz in der Welt ein und verändert das Gefüge einer Familie vom ersten Tag an. Nichts ist mehr so wie es vorher war, obwohl man sich Monate lang darauf vorbereitet hat. Mit großer Vorfreude wurde die Erstausstattung zusammen getragen, der Name heraus gesucht, eventuell Elternratgeber gelesen, erfahrene Mütter und Väter wurden zu dem ein oder anderem befragt und man fühlt sich gut vorbereitet. Nur eins kann man nicht vorbereiten – das ist der Alltag mit dem neuen Kind. Und der kommt ganz sicher!

Wenn der Alltag mit den neugeborenem Kind beginnt, stehen junge Eltern unter einem ganz besonderen Druck. Zum einen müssen sie intuitiv mit vielen neuen Situationen zurechtkommen, ihre Zeit neu organisieren und schließlich auch ihren eigenen Anspruch, gute Eltern zu sein, auf einen sensiblen Prüfstand stellen. Denn – kein Kind lässt sich einplanen, verhält sich erwartungsgemäß und so wie es in allen Ratgebern steht. Kinder sind kleine Individuallisten, die den Müttern und Vätern das Leben ganz schön schwer machen können. Mehrlingsgeburten, Geschwisterkinder, gesundheitliche Probleme des Kindes können die jungen Eltern zudem vor besondere Belastungen stellen. Die Großfamilien, die vornehmlich der jungen Mutter in solchen Situationen früher zur Seite standen, gibt es kaum mehr und die heutige Arbeits- und Lebenssituation führt meist dazu, dass die Ursprungsfamilie aus Eltern, Geschwistern und Verwandten nicht am gleichen Ort leben. Freunde sind meist berufstätig. Junge Mütter oder Väter sind alleine mit dem Kind und der Alltagssituation. Unterstützung ist gefragt, nur woher soll die kommen?

Eine andere Situation: Eine Frau mittleren Alters hat den beruflichen Alltag hinter sich gelassen. Ihre Kinder sind eigene Wege gegangen und sie kann eigene Interessen und Vorlieben wieder ausleben. Hin und wieder möchte sie vielleicht reisen, Freunde für ein paar Wochen besuchen, eine VHS-Kurs machen. Sich in jedem Fall nicht festlegen, sondern flexibel, ggf. mit Lebenspartner, ihre Zeit und Unternehmungen planen. Aber so hin und wieder möchte sie doch irgendwo helfen, ihre Erfahrungen als Mutter nutzen, etwas Sinnvolles tun und Anerkennung finden. Sie möchte nur keine Verpflichtung eingehen, die sie zeitlich auf längere Zeit bindet und Unternehmungen einschränkt. Also ist ein kurzzeitiges Ehrenamt gesucht, nur wo findet man das?

Foto © wellcome Frederika Hoffmann

Foto © wellcome Frederika Hoffmann

Vermittlung ist gefragt: Katrin Reiner ist wellcome-Koordinatorin und Elternlotsin Frühe Hilfen im Familienstützpunkt in Lankwitz. Sie verbindet, koordiniert und begleitet sowohl jungen Mütter als auch ehrenamtlichen Kräfte, die beide in Ergänzung einen guten Start ins Familienleben erleichtern. Was ist wellcome? wellcome engagiert sich dafür, dass alle Familien die Unterstützung erhalten, die sie brauchen, um den Wunsch nach Kindern zu realisieren und sie in einem sicheren Umfeld gesund aufwachsen zu lassen. Das Angebot spricht alle Familien an – unabhängig vom sozialen Hintergrund. Es soll individuell, unbürokratisch, effizient und nachhaltig geholfen werden. wellcome ist praktische Hilfe nach der Geburt im Rahmen moderner Nachbarschaftshilfe für alle Familien, die im ersten Jahr nach der Geburt eines Kindes keine familiäre Unterstützung haben. Dazu werden über die Koordinatoren junge Mütter mit ehrenamtlichen Helferinnen verbunden, die sich so ergänzen. Die Familien finden Entlastung und Unterstützung, die ehrenamtlichen Helfer hohe Anerkennung und ein erfüllendes Ehrenamt ohne längerfristige Verpflichtung.

Das System ist einfach: HelferInnen, die sich für dieses Ehrenamt interessieren melden sich bei der wellcome-Koordinatorin. Sie bespricht die Möglichkeiten und Erwartungen mit den Interessierten. Die Aufgabe ist es während der ersten Monate nach der Geburt, ein bis dreimal in der Woche für ein- bis zwei Stunden in die Familie zu gehen. Dort betreut sie das Neugeborene, spielt mit den Geschwisterkindern oder hört der Mutter oder dem Vater ganz einfach zu und hilft ganz praktisch. Das Ehrenamt ist zeitlich begrenzt, hat aber einen hohen Anspruch. Die HelferInnen werden fachlich begleitet, können eine Aufwandsentschädigung oder Fahrtkosten erstattet bekommen. Katrin Reiner, als wellcome-Koordinatorin, vermittelt in die Familien, arrangiert das Kennenlernen beider Seiten und begleitet in Gesprächen den erfolgreichen Verlauf der Hilfe.

Die Familie, bzw. jungen Eltern melden sich ebenso wie die HelferInnen bei der wellcome-Koordinatorin, die im Gespräch herausfindet, welche Form und Intensität der Hilfe erforderlich ist. An diesem Punkt kommt der Vorteil zur Geltung, dass sie ebenso Elternlotsin der Frühen Hilfen ist und über ein großes Netzwerk aller Stellen im Bezirk verfügt, die eine nachhaltig gesunde Entwicklung von Kindern fördern. Aber – sie ist keinem Amt unterstellt, sondern Angestellte des Stadtteilzentrum Steglitz e.V., dem freien Träger unter anderem des Familienstützpunktes. Die Frühen Hilfen legen den Fokus auf Familien von der werdenden Mutter an bis etwa einem Kindesalter von ein bis drei Jahren. So ist das wellcome-Projekt ideal in ein Netzwerk von Hilfemöglichkeiten eingebettet, dass Familie, Kindern und Müttern ideal und unkonventionell mit viel Herz und Menschlichkeit ansprechen kann. Ist einfach nur Entlastung im Rahmen von nachbarschaftlicher Hilfe gefragt oder sind darüber hinaus psychosoziale Unsicherheiten auszuräumen, wird in einem sensiblen, streng vertraulichem Gespräch geklärt und das Gefühl des Alleingelassenen kann gar nicht erst entstehen. Jeder, der auf die Erziehungszeiten seiner Kinder zurückblickt weiß, was es bedeutet, wenn man sich einfach mal in die Badewanne legen kann um zu entspannen. Einen Arztbesuch machen kann ohne sich zu überlegen, ob die Stillzeiten des Kindes es zulassen. Oder auch einfach mal mit dem Partner ein ungestörtes Gespräch führen kann.

Logo_wellcome_PH_4c_gross_150dpiDie offizielle Eröffnung des wellcome-Projektes im Familienstützpunkt ist der 10. Februar 2016. Katrin Reiner ist im Vorfeld schon eine ganze Weile aktiv. Hat die erste Mutter mit einer ehrenamtlichen Helferin in Kontakt gebracht und freut sich ungemein auf die vor ihr liegenden Aufgaben. Dafür sucht sie nun HelferInnen. HelferInnen, die Spaß im Umgang mit Kindern haben, Erfahrungen gerne weitergeben möchten, jungen Müttern und Vätern helfen Luft zu holen, zu entspannen und ihre neuen Aufgaben zu meistern. Wenn sie sich für dieses Ehrenamt interessieren, rufen sie Katrin Reiner an. Sie werden schnell begeistert sein, denn das Herzstück von wellcome sind die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die den Familien ihre Zeit schenken und sich so für eine familienfreundliche Gesellschaft einsetzen!

Informationen und Kontakt:
Katrin Reiner • wellcome-Koordinatorin
und Elternlotsin Frühe Hilfen

im Familienstützpunkt, Malteser Straße 120, 12249 Berlin
Telefon 0160 96 20 94 72E-Mail berlin.steglitz@wellcome-online.dewww.wellcome-online.de

Leitartikel der Homepage des Stadtteilzentrum Steglitz e.V. vom 18. Januar 2016

Ihr Kinderlein kommet …

©-F.Schmidt-Fotolia.com

©-F.Schmidt-Fotolia.com

In ein paar Wochen ist es endlich soweit – wir freuen uns auf eine Geburt. Ein neues Mitglied wird unseren Familien-Kreis bereichern. Die Eltern sind jung, gesund, verliebt und glücklich. Das einzige etwas ungewöhnliche bei diesem Kind ist vielleicht, dass die altersmäßig nächst stehenden Cousine und Cousin des Babys bald 18 Jahre alt sein werden. Alle anderen Cousinen und Cousins sind älter. Dieses Kind wird nie gleichaltrige Cousinen und Cousins haben. Es hat auch ziemlich alte Tanten und Onkel, denn sein Vater war ein Nachzügler … 24 Jahre jünger als die älteste Schwester.

Ein großer Altersunterschied besteht und belebt die Familie. Meine Mutter hat sehr früh ihr erstes Kind, meine ältere Schwester, bekommen. Danach folgten noch drei Geschwister mit zweieinhalb, dreieinhalb und viereinhalb Jahren Abstand. Die Familienplanung war abgeschlossen und sehr spät kündigte sich doch noch ein Nachzügler an, der sich allen Planungen widersetzte. Mit 41 Jahren bekam meine Mutter meinen jüngsten Bruder. Zu einem Zeitpunkt, als sie das erste Mal in ihrem Leben etwas für sich selber tat und Malerei studierte. Zu einem Zeitpunkt, als meine Schwestern und ich schon 24, 21 und 18 Jahre alt waren und uns mit Schulabschlüssen und Ausbildungsbeginn beschäftigten. Wer unsere Familie nicht kannte, war unsicher zu wem der Säugling gehörte, denn meine Mutter hatte schon sehr früh graue Haare. Am Tag meiner Geschichts-Abiturprüfung wurde mein Bruder geboren. Mein Geschichtslehrer fragte mich damals, warum ich so nervös sei und als ich ihm den Grund nannte, fragte er: „Gleiche Mutter, gleicher Vater?“ und ich nickte nur und sagte: „Gleiche Mutter, gleicher Vater!“

Mit 41 Jahren war sie damals eine Spätgebärende. Es war keine leichte Umstellung für meine Eltern, die eigentlich schon das Ende der Erziehungsarbeit vor Augen hatten. Dennoch entwickelte sich der Nachzügler zu einem enormen Gewinn für uns alle. Zweifel bestanden, mussten letztendlich der Freude über ein neues Familienmitglied weichen. Zudem war es für meine Schwestern und mich wunderschön, meine Mutter noch einmal bewusst als schwangere Frau zu erleben. Aber mein Bruder, trotz dessen, dass er vier Geschwister hat, wuchs als Einzelkind auf. Meine Schwestern und ich waren schon auf dem Weg die Ursprungsfamilie zu verlassen.

Wir sind fünf Kinder, was wir immer sehr bewusst mit allen Vor- und Nachteilen erlebt haben. In Erinnerung bleiben natürlich vornehmlich die schönen und lustigen Erlebnisse und Gemeinsamkeiten. Wenn wir alle zusammentreffen, dauert es nicht lange und wir erinnern uns an dies und jenes, jeder weiß noch ein anderes Detail, kramt eine Besonderheit aus dem Gedächtnis, die die anderen schon vergessen hatten. An diesen Gesprächen kann sich mein jüngster Bruder oft nicht beteiligen, weil er keine gemeinsamen Kindheitserinnerungen mit uns älteren hat. Es geht sogar soweit, dass er nicht nur seine eigenen Kindheitserinnerungen hat, die er nicht mit uns teilen kann. Er hat auch meine Eltern ganz anders wahrgenommen als wir. Als wir Kinder waren, waren unsere Eltern sehr jung und fast selber noch auf dem Weg ihre Persönlichkeit zu entwickeln. Er hatte als Kind abgeklärte Eltern, die so schnell nichts mehr aus dem Sessel locken konnten, hatten sie doch schon so ziemlich alles in der Erziehung von Kindern erlebt.

Mit über 30 Jahren sagte mein Bruder einmal in einem Gespräch, dass er eigentlich jetzt erst seine älteren Geschwister richtig kennenlernt und ihr Wesen erfasst. Er sei oft auf die Gespräche neidisch gewesen, bei denen er zugehört hatte und hätte die Verbundenheit, die er zwischen uns älteren gespürt hätte, manchmal für sich selber vermisst. Es hatte etwas sehr Wehmütiges als er das sagte. Erschwerend kommt auch hinzu, dass er unseren Vater in einem Alter verloren hat, in dem er ihn sehr gebraucht hätte – er war 16 Jahre alt und in der Pubertät. Wir Älteren haben unter diesem Verlust nicht weniger gelitten, haben aber den Vater in der ganzen Kindheit und dem späteren Erwachsenwerden als Unterstützung zur Seite gehabt.

Warum ich das erzähle dürfte allen klar sein, die die Nachrichten der letzten Tage verfolgt haben. Eine Mutter von 13 Kindern bekommt mit 65 Jahren nach künstlicher Befruchtung Vierlinge. In ein paar Monaten werden Kinder geboren werden, die nie mit allen Geschwistern unter einem Dach leben werden. Ihre Mutter könnte ihre Großmutter sein. Sind die Kinder einmal 20 Jahre alt, wird die Mutter 85 Jahre alt sein und die Wahrscheinlichkeit, dass sich diese Kinder sehr früh mit Rollator, Pflegeversicherungen, Seniorennachmittagen auseinandersetzen müssen, ist sehr groß.

Ich komme seit ein paar Tagen aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus. Jedes Kind der Welt sollte willkommen sein – unter natürlichen Bedingungen. Unter Bedingungen, die ein unbeschwertes, freies und gesundes Aufwachsen möglich machen. Unter Voraussetzungen, die die Natur uns gegeben hat und an denen der Mensch nicht manipuliert. Es spielt keine Rolle, ob ein Kind Mutter und Vater hat, oder zwei Mütter oder zwei Väter. Nur sollte das Kind auch die Chance haben mit seinen Eltern den natürlichen Werdegang des Lebens und Alterns zu durchleben, und dass es nicht schon kurz nach der Pubertät in die Altenpflege wechseln muss. Der Kinderwunsch einer 65-Jährigen ist in meinen Augen purer Egoismus. Was mich besonders daran stört ist, dass dieser Kinderwunsch und Egoismus nicht eine Frau alleine für ihre eigene Person betrifft. Es betrifft vier ungeborene Kinder, die nicht die geringste Möglichkeit der Wahl haben. Die gesundheitliche Unverantwortlichkeit braucht man überhaupt nicht zu erwähnen. Nicht nur für die Mutter, deren Körper in dem Alter nicht mehr selber für Geburten bereit ist, sondern auch das Risiko, dass die Kinder tragen. Geschwisterkinder sind betroffen, die in Erklärungsnot kommen und ständig erklären werden, dass die Tante gleich alt wie die Nichte ist oder der Bruder nicht der sehr alte Onkel ist. Geschwister, die gefragt oder nicht, die Verantwortung für die Obhut ihrer sehr jungen Geschwister übernehmen werden müssen.

Meine Mutter war mit 41 Jahren eine Spätgebärende. Das ist heute nichts Besonderes mehr. Ich selber war mit 34 + 36 Jahren bei meinen Kindern eine Spätgebärende. Dennoch sind es die Zeichen der Zeit, dass Frauen oft spät Kinder bekommen und sich vorher in Ausbildung und Beruf um eigenständige Grundsicherung kümmern. Ich finde es auch wunderbar, dass Paaren, die aus irgendwelchen medizinischen Gründen alleine keine Kinder bekommen können, Möglichkeiten haben sich helfen zu lassen. Das bedeutet aber nicht, dass man jegliche Altersfrage außer Kraft setzen muss, den eigenen Wunsch, jung zu bleiben und als Mutter bewundert zu werden, über das Wohl von Kindern stellt, die mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Chance haben mit ihren Eltern erwachsen zu werden.

Es ist eine Sache sich darüber zu empören, weil es aus der Norm fällt, dass 65-jährige Frauen Kinder bekommen. Es ist eine andere Sache sich alle Facetten vorzustellen, die die Auswirkungen und Tragweite von solch einer alten Mutter für die Kinder hat. Man stelle sich allein einen Elternabend in der Oberstufe der Kinder vor, zu dem die Mutter mit Rollator gehen muss. Mir graut es bei der Vorstellung. Diesen vier Kindern wünsche ich vornehmlich, dass sie es schaffen gesund und ohne Komplikationen auf die Welt zu kommen. Zudem wünsche ich ihnen, dass ihre Familienbande stark genug und nicht zu weit auseinander sind, auf dass sie immer in einem familiären Netz aufgehoben sein werden. Ich hatte schon einmal in einem Beitrag geschrieben „Rabenmütter gibt es nicht!“. In diesem Fall komme ich an meine Grenzen des Verständnisses, muss aber auch hier einräumen, dass diese Frau ihre Gründe haben wird. Nur verstehen werde ich das nicht.

Ihr Kinderlein kommet, oh kommet doch all …?

Ich hab’s verstanden, Frau Giese!

annaschmidt-berlin.com_frau-giese

„Wenn man ein Kind bekommt, steht man in den nächsten 20 Jahren in der zweiten Reihe!“ Das war immer mein Lieblingssatz bei Diskussionen, in denen es darum ging, was Mütter alles für ihren Nachwuchs tun und aufgeben. Wir sind im Schnitt 20 Jahre die Hauptversorgungsquelle für unsere Kinder. Jahre in denen wir mehr oder weniger eigene Bedürfnisse hinten anstellen (müssen). Eine Zeit in der wir alles tun, um unsere Kinder (nach unserer Vorstellung) gut zu erziehen und auf ihr eigenständiges Leben vorbereiten. Das diese 20 Jahre auch ein Ende haben, habe ich bisher nicht wirklich bedacht. Das hat mir jetzt Frau Giese klar gemacht.

Die Geschichte hat mit ganz vielen E-Mails angefangen. Das Töchterchen brauchte ein Praktikum für die Schule und die Mutter ist davon ausgegangen, dass das weiter kein Problem ist. Undenkbar, dass dieses gute Kind keinen Platz bekommen würde. Hat ja bisher immer geklappt. Bis das Kind eines Tages von der Schule nach Hause kam und verkündete, dass der Praktikumsvertrag in 1 ½ Wochen abgegeben werden müsse. Dazu sei erwähnt, dass das Kind schon viele Anfragen alleine losgeschickt hatte, leider ohne Erfolg. Nun kam die Mutter in die Spur, verfasste siegessicher einen schönen Text und bewarb das Kind bei mehreren interessanten Stellen. Das hat auch nicht geklappt – es war zu spät und die Plätze besetzt. Die E-Mails mit Absagen kamen zurück – eine nach der anderen. Doch eine dieser E-Mail-Absagen war mit einem P.S. versehen und das gab der Mutter schwer zu denken.

Frau Giese von einem sehr namhaften Berliner Kindertheater schickte eine freundliche Absage. Gut, damit hatte ich gerechnet, nicht jedoch mit dem P.S. Frau Giese schrieb: „PS: Ich verstehe, dass Schüler sehr beschäftigt sind. Trotzdem ist es wirklich sehr ungewöhnlich, dass die Eltern die Bewerbung schreiben … Mit 17 sollte Ihre Tochter in der Lage sein, sich selber zu bewerben, das tun die 13- und 14 Jährigen, die wir üblicherweise als Schülerpraktikanten haben auch immer. Seien Sie sich aber sicher, dass dies nicht der Grund der Absage ist …“ Das saß! Im ersten Moment stutzte ich, aber so ziemlich gleich danach, machte sich ein ziemlich breites Grinsen bei mir bereit. Oh ja, Frau Giese, Sie haben so recht und ich hab’s verstanden – nur habe ich mir bis zu diesem Punkt nicht wirklich bewusst gemacht, dass meine Kinder alleine laufen können!

Realistisch gesehen ist die Beziehung zwischen Mutter und Kind von Anfang an von zwei Dingen bestimmt: Das eine ist der natürliche Instinkt der Mutter von Geburt an, alles dafür zu tun, dass es dem Kind gut geht, es sich optimal entwickeln und auf sein erwachsenes Leben vorbereiten kann. Das zweite ist der Ablösungsprozess, der im Grunde genommen mit der Geburt einsetzt. Beide Vorgänge arbeiten gegengleich. Das Kind entwickelt sich in die Selbstständigkeit von der Mutter weg. Die Mutter sollte sich ebenso in Richtung Loslösung entwickeln, was in Anbetracht der jahrelangen Versorgungsrolle, die sie hat, sehr in den Hintergrund tritt. Ist der Zeitpunkt dann da, wird er oft verkannt, dies insbesondere, wenn Mütter sich nicht rechtzeitig wieder eigener Bedürfnissen und Interessen erinnern. Der Tag, der Moment in dem einem das klar wird, kommt – und wenn es in Form einer E-Mail ist.

Ein Erlebnis, das so einen Ablösungsprozess deutlich macht, ist mir sehr in Erinnerung geblieben: Meine Kinder, zweieinhalb und fünf Jahre, hatten gemeinsam einen Brief für ihre Oma geschrieben. Der fertige Brief musste zum Briefkasten und „zu schnell“ gab ich meine Erlaubnis, dass beide alleine dorthin gehen dürfen. Es war das erste Mal, dass meine Kinder alleine und zusammen aus dem Haus gingen. Der Briefkasten ist etwa 500 Metern entfernt. Dazu mussten sie eine kleine Straße und eine riesengroße, zweispurige Kreuzung überqueren. Sie gingen fröhlich und gut gelaunt los und es wurde die schlimmste Viertelstunde in meinem bisherigen Mütterdasein. Wie krank tigerte ich zwischen Garten und Wohnzimmerfenster hin und her und fragte mich, warum sie nicht längst zurück waren. Die schlimmsten Vorstellungen und Gedanken kamen mir in den Sinn. Mein Gatte, dem mein Gejammer gehörig auf die Nerven ging, meinte nur lapidar „Dann geh doch hinterher!“ und genau das, wusste ich, durfte ich nicht tun. Sie kamen nach Hause, stolz und wunderbar gelaunt. Ich lobte und hoffte, dass sie meine Skepsis und Angst nicht gemerkt hatten.

So ging das weiter, mit Kitareisen, Reisen zu der Oma, Klassenfahrten und vielem mehr. Nicht nur die Kinder lernten, sich alleine zu bewegen und in der Welt zu behaupten. Die Mutter lernte loslassen – langsam … Dabei stellten sich die Kinder zweifelsohne besser als die Mutter an. Als ich die „Kleine“ von einem Arztbesuch abholen musste, stellte ich auf der Autobahn fest, dass eine Ausfahrt gesperrt war. Das bedeutete einen Umweg, der Pünktlichkeit unmöglich machte. Ich wusste, dass das Kind kein Handy dabei hatte. Panik machte sich wieder bei mir breit, was sie tun würde, wenn ich nicht rechtzeitig da bin und sie rette. Bis meine „Große“, die mit im Auto saß meinte, dass die „Kleine“ fragt, wo wir bleiben. Mittels IPod hatte sich die „Kleine“ in ein WLan Netz eingewählt und über ihr Musikgerät Kontakt zu uns aufgenommen. Soviel zu den hilflosen „Kleinen“, die sich mittlerweile besser im WLan-, Berliner Bus- und Bahnnetz bewegten, als ihre Mutter es jemals könnte.

Besonders schwer waren Situationen, in denen die Kinder Streit mit anderen hatten und mir verboten, einzugreifen. Sie haben so vieles gemeistert und immer wieder musste ich zugeben, dass sich Stolz bei mir einschlich, wie eigenständig und selbstbewusst sie sich in ihrer Welt bewegen. Das hat auch eine ganze Menge mit „Zutrauen“ zu tun und ich habe oft gestaunt, was sie entsprechend ihrem jeweiligen Alter schon alles konnten. Mittlerweile sind sie so weit, dass sie nach Partys nicht einmal mehr vom Vater abgeholt werden möchten, da sie das alleine sehr gut schaffen. Also nicht nur die Mutter, auch der Vater guckt in die Röhre. Sie wollen alleine und selbstständig ihre Angelegenheiten regeln. Und viele Dinge, die Organisatorisches betrifft, erledigen sich sowieso von alleine, denn mit dem 18. Lebensjahr finden Eltern kaum noch Gehör oder Verständnis bei öffentlichen Stellen. Oder Frau Giese!

Aber es ist auch gut so, denn gerade in dieser Phase zeigt sich ja, ob Mutter „ganze Arbeit“ geleistet hat. Ist der Nachwuchs selbstbewusst und selbstständig, können wir uns getrost zurücklehnen und sie ihr Ding machen lassen. Das heißt ja noch lange nicht, dass wir abgeschrieben und nicht mehr um Rat gefragt sind. Die große Tochter hat sich nun alleine einen dualen Studienplatz gesucht und wird die nächsten dreieinhalb Jahre in einer Institution lernen, die die Eltern noch nie gesehen haben. Es war ihre Wahl und ist ihr Weg. Die jüngere Tochter hat ein Praktikum bekommen – pünktlich, alleine und ganz ohne mein Zutun. Wir sind raus, was ja ebenso nicht heißt, dass wir arbeitslos sind. Wer zwei (fast) erwachsene Kinder im Haus hat weiß sehr genau, dass „Kinder“ prima zwischen Eigenständigkeit und Bequemlichkeit hin und her wechseln können.

Frau Giese hat mir mehr gesagt, als das ich mit der Praktikumssuche meiner Tochter nichts mehr zu tun habe. Sie hat mich daran erinnert, dass ich meinen Kindern zutrauen darf, ihr Leben selber in die Hand zu nehmen. Sie hat gesagt, dass Mütter früh damit beginnen sollten, die Kinder selber ihre Dinge regeln zu lassen. Und sie hat auch vermittelt, dass wir Mütter uns aus manchen Dingen gelassen zurückziehen dürfen. Uns darauf vorbereiten können, in einer gewissen Zeit auch wieder in der ersten Reihe mitzumachen und uns auf Dinge besinnen können, die nur mit uns zu tun haben. Die Kinder können das – und wenn die Säge mal klemmt – nun ja, dann stehen sie mit uns in der ersten Reihe und lösen das Problem!

Danke, Frau Giese! 🙂