Ihr Kinderlein kommet …

©-F.Schmidt-Fotolia.com

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In ein paar Wochen ist es endlich soweit – wir freuen uns auf eine Geburt. Ein neues Mitglied wird unseren Familien-Kreis bereichern. Die Eltern sind jung, gesund, verliebt und glücklich. Das einzige etwas ungewöhnliche bei diesem Kind ist vielleicht, dass die altersmäßig nächst stehenden Cousine und Cousin des Babys bald 18 Jahre alt sein werden. Alle anderen Cousinen und Cousins sind älter. Dieses Kind wird nie gleichaltrige Cousinen und Cousins haben. Es hat auch ziemlich alte Tanten und Onkel, denn sein Vater war ein Nachzügler … 24 Jahre jünger als die älteste Schwester.

Ein großer Altersunterschied besteht und belebt die Familie. Meine Mutter hat sehr früh ihr erstes Kind, meine ältere Schwester, bekommen. Danach folgten noch drei Geschwister mit zweieinhalb, dreieinhalb und viereinhalb Jahren Abstand. Die Familienplanung war abgeschlossen und sehr spät kündigte sich doch noch ein Nachzügler an, der sich allen Planungen widersetzte. Mit 41 Jahren bekam meine Mutter meinen jüngsten Bruder. Zu einem Zeitpunkt, als sie das erste Mal in ihrem Leben etwas für sich selber tat und Malerei studierte. Zu einem Zeitpunkt, als meine Schwestern und ich schon 24, 21 und 18 Jahre alt waren und uns mit Schulabschlüssen und Ausbildungsbeginn beschäftigten. Wer unsere Familie nicht kannte, war unsicher zu wem der Säugling gehörte, denn meine Mutter hatte schon sehr früh graue Haare. Am Tag meiner Geschichts-Abiturprüfung wurde mein Bruder geboren. Mein Geschichtslehrer fragte mich damals, warum ich so nervös sei und als ich ihm den Grund nannte, fragte er: „Gleiche Mutter, gleicher Vater?“ und ich nickte nur und sagte: „Gleiche Mutter, gleicher Vater!“

Mit 41 Jahren war sie damals eine Spätgebärende. Es war keine leichte Umstellung für meine Eltern, die eigentlich schon das Ende der Erziehungsarbeit vor Augen hatten. Dennoch entwickelte sich der Nachzügler zu einem enormen Gewinn für uns alle. Zweifel bestanden, mussten letztendlich der Freude über ein neues Familienmitglied weichen. Zudem war es für meine Schwestern und mich wunderschön, meine Mutter noch einmal bewusst als schwangere Frau zu erleben. Aber mein Bruder, trotz dessen, dass er vier Geschwister hat, wuchs als Einzelkind auf. Meine Schwestern und ich waren schon auf dem Weg die Ursprungsfamilie zu verlassen.

Wir sind fünf Kinder, was wir immer sehr bewusst mit allen Vor- und Nachteilen erlebt haben. In Erinnerung bleiben natürlich vornehmlich die schönen und lustigen Erlebnisse und Gemeinsamkeiten. Wenn wir alle zusammentreffen, dauert es nicht lange und wir erinnern uns an dies und jenes, jeder weiß noch ein anderes Detail, kramt eine Besonderheit aus dem Gedächtnis, die die anderen schon vergessen hatten. An diesen Gesprächen kann sich mein jüngster Bruder oft nicht beteiligen, weil er keine gemeinsamen Kindheitserinnerungen mit uns älteren hat. Es geht sogar soweit, dass er nicht nur seine eigenen Kindheitserinnerungen hat, die er nicht mit uns teilen kann. Er hat auch meine Eltern ganz anders wahrgenommen als wir. Als wir Kinder waren, waren unsere Eltern sehr jung und fast selber noch auf dem Weg ihre Persönlichkeit zu entwickeln. Er hatte als Kind abgeklärte Eltern, die so schnell nichts mehr aus dem Sessel locken konnten, hatten sie doch schon so ziemlich alles in der Erziehung von Kindern erlebt.

Mit über 30 Jahren sagte mein Bruder einmal in einem Gespräch, dass er eigentlich jetzt erst seine älteren Geschwister richtig kennenlernt und ihr Wesen erfasst. Er sei oft auf die Gespräche neidisch gewesen, bei denen er zugehört hatte und hätte die Verbundenheit, die er zwischen uns älteren gespürt hätte, manchmal für sich selber vermisst. Es hatte etwas sehr Wehmütiges als er das sagte. Erschwerend kommt auch hinzu, dass er unseren Vater in einem Alter verloren hat, in dem er ihn sehr gebraucht hätte – er war 16 Jahre alt und in der Pubertät. Wir Älteren haben unter diesem Verlust nicht weniger gelitten, haben aber den Vater in der ganzen Kindheit und dem späteren Erwachsenwerden als Unterstützung zur Seite gehabt.

Warum ich das erzähle dürfte allen klar sein, die die Nachrichten der letzten Tage verfolgt haben. Eine Mutter von 13 Kindern bekommt mit 65 Jahren nach künstlicher Befruchtung Vierlinge. In ein paar Monaten werden Kinder geboren werden, die nie mit allen Geschwistern unter einem Dach leben werden. Ihre Mutter könnte ihre Großmutter sein. Sind die Kinder einmal 20 Jahre alt, wird die Mutter 85 Jahre alt sein und die Wahrscheinlichkeit, dass sich diese Kinder sehr früh mit Rollator, Pflegeversicherungen, Seniorennachmittagen auseinandersetzen müssen, ist sehr groß.

Ich komme seit ein paar Tagen aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus. Jedes Kind der Welt sollte willkommen sein – unter natürlichen Bedingungen. Unter Bedingungen, die ein unbeschwertes, freies und gesundes Aufwachsen möglich machen. Unter Voraussetzungen, die die Natur uns gegeben hat und an denen der Mensch nicht manipuliert. Es spielt keine Rolle, ob ein Kind Mutter und Vater hat, oder zwei Mütter oder zwei Väter. Nur sollte das Kind auch die Chance haben mit seinen Eltern den natürlichen Werdegang des Lebens und Alterns zu durchleben, und dass es nicht schon kurz nach der Pubertät in die Altenpflege wechseln muss. Der Kinderwunsch einer 65-Jährigen ist in meinen Augen purer Egoismus. Was mich besonders daran stört ist, dass dieser Kinderwunsch und Egoismus nicht eine Frau alleine für ihre eigene Person betrifft. Es betrifft vier ungeborene Kinder, die nicht die geringste Möglichkeit der Wahl haben. Die gesundheitliche Unverantwortlichkeit braucht man überhaupt nicht zu erwähnen. Nicht nur für die Mutter, deren Körper in dem Alter nicht mehr selber für Geburten bereit ist, sondern auch das Risiko, dass die Kinder tragen. Geschwisterkinder sind betroffen, die in Erklärungsnot kommen und ständig erklären werden, dass die Tante gleich alt wie die Nichte ist oder der Bruder nicht der sehr alte Onkel ist. Geschwister, die gefragt oder nicht, die Verantwortung für die Obhut ihrer sehr jungen Geschwister übernehmen werden müssen.

Meine Mutter war mit 41 Jahren eine Spätgebärende. Das ist heute nichts Besonderes mehr. Ich selber war mit 34 + 36 Jahren bei meinen Kindern eine Spätgebärende. Dennoch sind es die Zeichen der Zeit, dass Frauen oft spät Kinder bekommen und sich vorher in Ausbildung und Beruf um eigenständige Grundsicherung kümmern. Ich finde es auch wunderbar, dass Paaren, die aus irgendwelchen medizinischen Gründen alleine keine Kinder bekommen können, Möglichkeiten haben sich helfen zu lassen. Das bedeutet aber nicht, dass man jegliche Altersfrage außer Kraft setzen muss, den eigenen Wunsch, jung zu bleiben und als Mutter bewundert zu werden, über das Wohl von Kindern stellt, die mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Chance haben mit ihren Eltern erwachsen zu werden.

Es ist eine Sache sich darüber zu empören, weil es aus der Norm fällt, dass 65-jährige Frauen Kinder bekommen. Es ist eine andere Sache sich alle Facetten vorzustellen, die die Auswirkungen und Tragweite von solch einer alten Mutter für die Kinder hat. Man stelle sich allein einen Elternabend in der Oberstufe der Kinder vor, zu dem die Mutter mit Rollator gehen muss. Mir graut es bei der Vorstellung. Diesen vier Kindern wünsche ich vornehmlich, dass sie es schaffen gesund und ohne Komplikationen auf die Welt zu kommen. Zudem wünsche ich ihnen, dass ihre Familienbande stark genug und nicht zu weit auseinander sind, auf dass sie immer in einem familiären Netz aufgehoben sein werden. Ich hatte schon einmal in einem Beitrag geschrieben „Rabenmütter gibt es nicht!“. In diesem Fall komme ich an meine Grenzen des Verständnisses, muss aber auch hier einräumen, dass diese Frau ihre Gründe haben wird. Nur verstehen werde ich das nicht.

Ihr Kinderlein kommet, oh kommet doch all …?