Schreiben gegen Rechts – die Blogparade FÜR Toleranz + Vielfalt

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Die Zusammenfassung

Angefangen hat alles aus Ärger und Angst. Ärger über Nachrichten aus der aktuellen Tagespolitik, über Intoleranz, über politische Strömungen, die dem Gedanken unseres Grundgesetzes zuwider laufen und über das historische Vergessen in unserer Geschichte. Angst vor Entwicklungen, die wir nicht mehr aufhalten können, wenn wir nicht rechtzeitig einschreiten. Angst vor offensichtlich immer stärker werdenden rechten Tendenzen in unserem Land. Angst vor Extremismus völlig gleich aus welcher Richtung. Es waren andere Nachrichten, die ich lesen und andere Stimmen, die ich hören wollte. Besonders aber wollte ich nicht, dass wieder einmal zu viele still sind und so unabsichtlich Tendenzen fördern, die niemandem in diesem Land gut tun können. Ich wollte etwas tun und nicht still sein – so entstand die Idee der „Blogparade gegen Rechts“. Ende Februar schrieb ich meinen Aufruf, veröffentlichte ihn in meinem Blog und bangte anfänglich, ob das wohl etwas werden würde. Es wurde … wurde so viel, wie ich es kaum für möglich gehalten hätte. Es versetzt mich jetzt in die Lage, ein wunderbares Statement gegen Rechts, FÜR Toleranz, für eine offene, freie und multikulturelle Gesellschaft, in der Zusammenfassung von 81 Blogbeiträgen vorzustellen.

Was hier zusammen gekommen ist, sind nicht nur 81. Beiträge, es ist auch ein ganzer Monat mit der Auseinandersetzung mit dem Thema. Jeder Beitrag ist auf seine Weise einzigartig. Manche gehen in ähnliche Richtungen und doch bringt jeder eigene Aspekte ein, beleuchtet das Thema von einer anderen Seite oder stellt es auf ganz eigene Weise dar. Jeder Beitrag ist ein Gewinn für denjenigen, der sich kritisch mit den Tendenzen im Land auseinandersetzen will. Es sind sachliche Beiträge, Gedichte, Geschichten, persönliche Erlebnisse oder Beispiele aus Projekten und Hilfeangebote u. v. m. Jeder Beitrag ist ein Bekenntnis, warum wir ein bestimmtes Kapitel unserer Geschichte nicht wiederholen wollen. In seiner Sprache ist jeder anders – manche ganz klar, manche frech, manche deutlich, mache sarkastisch und manche eher versöhnlich. Jeder so, wie er es will, jeder Beitrag steht für sich.

Zu jedem Beitrag und auch dazwischen, schrieben Leser ihre Kommentare. Mal lieb und freundlich, mal kritisch … immer – und das rechne ich allen Lesern hoch an – in angemessenem Ton! Ich habe alles freigeschaltet, was geschrieben wurde. Aus Erfahrung behalte ich mir vor, neue Kommentatoren erstmalig freizuschalten. Kritik bekam ich ebenfalls, die es zu bedenken gab: Warum nur gegen Rechts zum Beispiel. Ganz einfach, weil die Rechten zur Zeit das Bild bestimmen. Grundsätzlich bin ich gegen alles, was extremistisch, undifferenziert und menschenverachtend ist. Warum „Gegen“ und nicht „Für“? Diesbezüglich verweise ich auf den letzten Satz des Aufrufs „Ich würde mich unheimlich freuen, wenn ihr dazu beitragt, dass ein Teil meiner Angst in Stärke und Gewissheit gewandelt wird, dass jeder etwas – nach seinen Mitteln und Möglichkeiten – FÜR unseren offene, freie Gesellschaft tut.“ Auch glaube ich, dass der Aufruf bei weitem nicht die gleiche Aufmerksamkeit bekommen hätte, hätte ich ihn „Für Toleranz und Vielfalt!“ genannt – so traurig das auch sein mag.

Es wurde recht schnell klar, dass eine einfache Auflistung oder Linkliste aller Beiträge der Sache nicht mehr gerecht werden würde. So überlegte ich lange über die Form der Darstellung. Ich denke, ich hätte ein einfaches Pdf mit allen Beiträgen gemacht, aber manchmal ergeben sich Dinge, die sich zeitlich in die Hände spielen. Durch meine Arbeit ergab sich die Notwendigkeit, dass ich mich mit einem neuen Format der Veröffentlichung von Texten auseinander setze, weil die Zeitung, die ich seit Jahren machte, eine neue Form brauchte. So hatte ich mit der Blogparade das ideale Übungsobjekt und kann ein eBook anbieten, das jeder bequem an Smartphone, Tablet oder am Computer lesen kann. Ich betrachte es nicht als Buch (dafür gibt es Fachleute) und die professionellen Autoren unter euch mögen mir gnädig sein. Es ist für mich die bequeme Möglichkeit, alle wunderbaren Beiträge einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Ich betrachte es auch nicht als „meins“ – es gehört allen teilnehmenden Bloggern gemeinsam. Und ich betrachte es auch nicht als fertig. Zwar habe ich versucht alle Formatierungen der ursprünglichen Beiträge weitestgehend zu übernehmen, alle gesetzten Links zu beachten und Bilder, sofern möglich, einzubinden, aber sicherlich ist mir das ein oder andere durchgerutscht. Die reinen Texte sind 1:1 aus den verlinken Quellen kopiert. Wer also etwas entdeckt, was geändert werden sollte, möge Bescheid geben, sofern er gar nicht damit leben kann. Einzig die immer wiederkehrende Verlinkung auf die Blogparade habe ich weggelassen. Gestalten kann man in einem eBook nur bedingt. Ich habe mich etwas daran versucht, indem ich den Anfang jedes Kapitels in Formatierung der Schrift und durch Bilder gleich aussehen lies.

„Nicht fertig“ bedeutet für mich auch, dass ich die Parade nicht als beendet betrachte. Ein paar Beiträge fehlen dabei. Ein Blog war vollständig gelöscht, ein Link funktionierte nicht mehr, ein paar tweets lassen sich nicht zurück verfolgen. Letztlich waren auch noch ein paar Beiträge angekündigt. Nun, wir kennen alle den Alltag, der unsere Pläne durcheinander bringt … ich weiß nicht, ob es verwegen ist, aber bis zu 100 Beiträgen würde ich das eBook erweitern. 19 Kapitel einfügen (das habe ich jetzt gelernt) ist technisch gut machbar. Ich lasse es also offen, ob der ein oder andere noch einen Beitrag hinzufügen möchte.

Die Bearbeitung der einzelnen Beiträge, war für mich noch einmal eine intensive inhaltlich Auseinandersetzung. Ich bin nicht in der Lage zu sagen, welcher mir am besten gefällt. Jeder Beitrag hat etwas für sich. Aus dem Kopf heraus kenne ich den kürzesten, den längsten, den witzigsten, den erschütternsten, den frechsten Beitrag … auf der Höhe der Beiträge, die bewundernswert sind, stehen alle 80 Beiträge gleich … der 81. ist mein eigener, den nehme ich aus. 😉 Absolut begeistert bin ich von den vielen unterschiedlichen Denkansätzen, die hier zusammen kommen. Ich werde sie noch einmal lesen, mir in Ruhe die zugehörigen Verlinkungen ansehen, überdenken, was ich erfahre, dazu lernen und verwerten. Dafür bin ich dankbar!

Dankbar bin ich allen die teilgenommen haben – haben sie mich doch in dem bestätigt, was ich erfahren wollte. Es gibt sie – die Stimmen da draußen, die durchaus etwas dagegen zu setzen und zu sagen haben. Ein Teil meiner Angst ist Stärke und Gewissheit geworden: Nicht alleine zu sein mit meiner Hoffnung, dass eine tolerante Gesellschaft möglich ist, wenn wir nicht müde werden uns dafür einzusetzen und darum kämpfen. Wenn wir mit Wort und Tat Vorbilder werden und daran glauben, dass jeder – wirklich jeder – bei uns seinen Platz hat. Wenn wir uns für Empathie unseren Mitmenschen gegenüber einsetzen und sie ausleben, ganz gleich woher sie kommen, was sie glauben oder welchen kulturellen Hintergrund sie haben. Wenn wir aushalten können, dass es Andersdenkende immer geben wird, für Gespräche mit ihnen offen bleiben und Meinungsvielfalt aktiv leben. Wenn wir Differenzierung von Sachverhalten nicht verlernen. Aber dennoch den Andersdenkenden, empathielosen Mitbürgern, nicht das Feld überlassen.

Ein Dankeschön gilt meinem Mann, meiner Mutter und meinem Chef. Sie stehen immer zu Gesprächen bereit, wenn mich Zweifel plagen oder ich mir in manchen Punkten nicht sicher bin und andere Meinungen brauche. Ein besonderes Dankeschön gilt Günther Kloppert, meinem „alten“ Schulfreund. Er ist kein Blogger – er fotografiert leidenschaftlich und hat viele Bilder für dieses eBook zur Verfügung gestellt. Das ist seine Form des Statements. Alle anderen Bilder stammen aus der freien Pixabay-Auswahl, auch dafür – danke!

Zwei oder dreimal habe ich in einem Kommentar und Beitrag die Frage gelesen, was es bringt, solch eine Blogparade zu veranstalten, was wir dadurch verändern und welche Auswirkungen es hat. Das ist für mich gleichbedeutend mit: „Wir haben ein Problem, aber es lässt sich sowieso nicht lösen, also versuchen wir es erst gar nicht!“ Ich denke, jeder kleinste Versuch, sich für Toleranz und Vielfalt einzusetzen, jedes kleine Lächeln auf der Straße einem Fremden gegenüber, jedes gute Wort an einen Hilfesuchenden, jedes geschriebene oder gesagte Wort für diese gute Sache bewegt und fördert. Jeder von uns ist ein Vorbild in Denken und Handeln – welches Vorbild wir sein möchten, haben wir selber in der Hand. Wir können, jeder einzelne von uns, die Gegenwart und Zukunft positiv und optimistisch gestalten – dieses eBook und sein Statement ist ein Beispiel dafür!

 

Und nun zur Datei:

Das Bild anklicken um das eBook oder
darunter den Link anklicken um alternativ das Pdf herunter zu laden.
(Nur zur Sicherheit sei erwähnt, dass es natürlich kostenfrei ist).

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Blogparade Schreiben gegen Rechts – das Pdf

Ich wünsche allen Lesern der Publikation spannende Lektüre, gute Ein- und Ansichten und freue mich über Rückmeldungen.

… und wenn es euch gefällt – dann bringt es unter die Leute! 🙂

Herzliche Grüße

Anna Schmidt

Schreiben gegen Rechts – Blogparade

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Ich habe Angst: Angst davor, dass mein Neffe eines Tages vor mir steht und fragt: „Warum hast du nichts getan?“ Ich habe Angst, dass mir meine Schwägerin erzählt, dass sie nicht mehr einzukaufen kann, weil es zu gefährlich geworden ist. Ich habe Angst von meinem Bruder zu hören, dass er sich nur noch heimlich mit seinen Freunden treffen kann. Ich habe Angst, dass mir meine Töchter von ihren kranken Kindern erzählen, weil sie mit der Disziplin und Autorität in der Grundschule nicht klar kommen. Und ich habe Angst, dass es meinen Blog nicht mehr gibt, weil er wegen staatsgefährdenden Inhalten vom Netz genommen wurde. Die größte Angst habe ich vor all denjenigen, die keine Angst haben. Denjenigen die derzeitige politische Entwicklungen kopfschüttelnd verfolgen, hoffen, dass es schon vorbei geht und – nichts tun!

Im ersten Absatz stehen allein vier Forderungen eines öffentlichen Wahlprogramms, die realisiert werden würden, wenn eine gewisse Partei, deren Namen ich nicht nennen werde, ihr Programm umsetzen kann. Es sind keine Horror- oder Zukunftsvisionen, das sind geforderte Fakten, die noch dazu unserem Grundgesetz zuwider laufen – in schöne Worte gepackt. Wenn diese Forderungen wahr werden, wird sich meine dunkelhäutige Schwägerin in diesem Land nicht mehr sicher fühlen. Ihr Mischlings-Sohn, mein Neffe, wird sich trotz deutscher Geburt, deutschem Namen, deutscher Familie für das Land seiner Mutter entscheiden. Mein homosexueller Bruder wird die psychischen Belastungen nicht mehr aushalten. Meine Kinder werden mir Vorwürfe machen, dass ich sie frei und offen erzogen habe und sie nicht wissen, wie sie ihre Kinder disziplinarisch maßregeln sollen, damit sie sich in der Schule unauffällig verhalten.

Ich habe versucht, dieses Wahlprogramm komplett zu lesen, es aber nicht durchgehalten. Bei Lesen kamen mir Erinnerungen an ein anderes Buch, das vor fast genau 90 Jahren veröffentlicht wurde. Dort stand ebenso alles drin, was später Realität wurde und keiner wollte es vorher gewusst haben. Es war damals bekannt und es ist heute bekannt, was Menschen mit rechter Gesinnung fordern und welche Konsequenzen und Auswirkungen das auf uns alle haben würde. Die Parallelen sind erschreckend. Individualrechte sollen beschnitten und staatlich geprägter Gewalt gebeugt werden. Differenzierte Meinungsvielfalt wird mit diesem Wahlprogramm unmöglich gemacht. Wir wissen, dass Humanität, Menschlichkeit, Mitgefühl von Rechten mit den Füßen getreten und Freiheit, Individualität und freie Entfaltung keine Bedeutung mehr haben werden – sofern wir sie nicht aufhalten. Und trotzdem ist Zahl der Menschen, die still sind, die dieses Programm nicht lesen und wahrhaben wollen, die dieser Partei aus Leichtgläubigkeit keine Chancen einräumen oder aus unbegreiflichen Gründen folgen, erschreckend hoch.

Allerdings habe ich einen einzigen Punkt in diesem Programm gefunden, den ich sogar begrüße: Sie fordern, dass Nationalität und Herkunft von Straftätern veröffentlicht wird. Bitte fangt sofort damit an – bei all denjenigen, die vor Flüchtlingsunterkünften stehen und brüllen, die Aufnahme-Einrichtungen anzünden, Naziparolen an Wände schmieren und traumatisierte Menschen in Übelkeit erregender Manier attackieren. Es sind deutsche Männer und Frauen, die sich gerne hinter Grenzen verstecken, auf die Menschen davor schießen lassen würden und kullernden Kindertränen nicht nachgeben wollen. Noch dazu in unverschämter Weise von uns abverlangen, dass wir diese Bilder aushalten müssen. Deutsche Männer und Frauen, die unser Grundgesetz nur insofern nutzen, wie es ihren persönlichen Rechten und Rechtfertigungen dient. Die den Sinn in dieses Gesetzes schlicht nicht verstanden haben.

Bei all dem macht mich ein Punkt besonders wütend: Die derzeitige Situation und täglichen Nachrichten haben es geschafft, dass ich Angst bekomme. Ich bin nicht „besorgt“, sondern wütend und ängstlich über das Stillschweigen und die Untätigkeit all derer, die nicht dagegen halten, die nicht wählen gehen und glauben, dass es sie nichts angeht. Ich bin wütend über Politiker, die immer noch nicht die Dimension und Gefahr sehen, die sich aufbaut und sich hinter verharmlosenden Phrasen versteckt. Ich habe für mich beschlossen es ihnen nicht gleich zu tun. Ich will mich bei jeder Gelegenheit gegen Rechts, für Individualität, Menschlichkeit, freie Meinungsäußerung und für eine multikulturelles Land einsetzen. Ich will die moralischen Werte, zu denen ich erzogen worden bin, für alle Menschen, gleich welchen Herkunftslandes, bei uns erhalten. Ich möchte jeden Morgen mit gutem Gewissen in den Spiegel sehen und wissen, dass ich für die Freiheit meiner Kinder alles getan habe. Ich möchte später meinem Neffen sagen können: „Ich habe etwas getan, den jeder konnte etwas tun!“

Ich möchte euch ebenso bitten etwas zu tun. Ich rufe zu einer Blogparade mit dem Titel „Schreiben gegen Rechts!“ auf. Schreibt, warum ihr gegen rechte Gesinnungen seid, was diese in euch auslösen, wie ihr damit umgeht, was für Alternativen wir haben, was ihr erlebt habt, was euch Angst macht oder eure Wut auslöst. Schreibt von guten Beispielen, erfolgreichen Projekten, über bewundernswerte Menschen. Schreibt es in fairer und differenzierter Form, denn wir stellen uns bewusst nicht mit Rechten und deren Kommunikationsformen auf eine Stufe. Fordert eure Freunde und Bekannt auf, sich zu beteiligen.

Bitte teilt mir hier als Kommentar zu diesem Beitrag mit, ob ihr an dieser Blogparade teilnehmt. Sehr gern könnt ihr auch schon einen Link zu eurem Blog hinterlassen, damit interessierte LeserInnen vorab schon mal bei euch stöbern können. Wenn euer Beitrag bis zum 31. März 2016 fertig ist, gebt ihr das bitte ebenfalls hier mit entsprechendem Link bekannt. Bitte setzt in euren Blogparade-Beiträgen auf jeden Fall auch einen Link zu meinem Blog bzw. zu diesem Artikel. Ich werde am 31. März alle Beiträge zusammenfassen und mit den entsprechenden Links zu euren Blogs gebündelt präsentieren. Das obere Bild darf ungefragt übernommen werden.

Ich würde mich unheimlich freuen, wenn ihr dazu beitragt, dass ein Teil meiner Angst in Stärke und Gewissheit gewandelt wird, dass jeder etwas – nach seinen Mitteln und Möglichkeiten – FÜR unseren offene, freie Gesellschaft tut.

Ihr Kinderlein kommet …

©-F.Schmidt-Fotolia.com

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In ein paar Wochen ist es endlich soweit – wir freuen uns auf eine Geburt. Ein neues Mitglied wird unseren Familien-Kreis bereichern. Die Eltern sind jung, gesund, verliebt und glücklich. Das einzige etwas ungewöhnliche bei diesem Kind ist vielleicht, dass die altersmäßig nächst stehenden Cousine und Cousin des Babys bald 18 Jahre alt sein werden. Alle anderen Cousinen und Cousins sind älter. Dieses Kind wird nie gleichaltrige Cousinen und Cousins haben. Es hat auch ziemlich alte Tanten und Onkel, denn sein Vater war ein Nachzügler … 24 Jahre jünger als die älteste Schwester.

Ein großer Altersunterschied besteht und belebt die Familie. Meine Mutter hat sehr früh ihr erstes Kind, meine ältere Schwester, bekommen. Danach folgten noch drei Geschwister mit zweieinhalb, dreieinhalb und viereinhalb Jahren Abstand. Die Familienplanung war abgeschlossen und sehr spät kündigte sich doch noch ein Nachzügler an, der sich allen Planungen widersetzte. Mit 41 Jahren bekam meine Mutter meinen jüngsten Bruder. Zu einem Zeitpunkt, als sie das erste Mal in ihrem Leben etwas für sich selber tat und Malerei studierte. Zu einem Zeitpunkt, als meine Schwestern und ich schon 24, 21 und 18 Jahre alt waren und uns mit Schulabschlüssen und Ausbildungsbeginn beschäftigten. Wer unsere Familie nicht kannte, war unsicher zu wem der Säugling gehörte, denn meine Mutter hatte schon sehr früh graue Haare. Am Tag meiner Geschichts-Abiturprüfung wurde mein Bruder geboren. Mein Geschichtslehrer fragte mich damals, warum ich so nervös sei und als ich ihm den Grund nannte, fragte er: „Gleiche Mutter, gleicher Vater?“ und ich nickte nur und sagte: „Gleiche Mutter, gleicher Vater!“

Mit 41 Jahren war sie damals eine Spätgebärende. Es war keine leichte Umstellung für meine Eltern, die eigentlich schon das Ende der Erziehungsarbeit vor Augen hatten. Dennoch entwickelte sich der Nachzügler zu einem enormen Gewinn für uns alle. Zweifel bestanden, mussten letztendlich der Freude über ein neues Familienmitglied weichen. Zudem war es für meine Schwestern und mich wunderschön, meine Mutter noch einmal bewusst als schwangere Frau zu erleben. Aber mein Bruder, trotz dessen, dass er vier Geschwister hat, wuchs als Einzelkind auf. Meine Schwestern und ich waren schon auf dem Weg die Ursprungsfamilie zu verlassen.

Wir sind fünf Kinder, was wir immer sehr bewusst mit allen Vor- und Nachteilen erlebt haben. In Erinnerung bleiben natürlich vornehmlich die schönen und lustigen Erlebnisse und Gemeinsamkeiten. Wenn wir alle zusammentreffen, dauert es nicht lange und wir erinnern uns an dies und jenes, jeder weiß noch ein anderes Detail, kramt eine Besonderheit aus dem Gedächtnis, die die anderen schon vergessen hatten. An diesen Gesprächen kann sich mein jüngster Bruder oft nicht beteiligen, weil er keine gemeinsamen Kindheitserinnerungen mit uns älteren hat. Es geht sogar soweit, dass er nicht nur seine eigenen Kindheitserinnerungen hat, die er nicht mit uns teilen kann. Er hat auch meine Eltern ganz anders wahrgenommen als wir. Als wir Kinder waren, waren unsere Eltern sehr jung und fast selber noch auf dem Weg ihre Persönlichkeit zu entwickeln. Er hatte als Kind abgeklärte Eltern, die so schnell nichts mehr aus dem Sessel locken konnten, hatten sie doch schon so ziemlich alles in der Erziehung von Kindern erlebt.

Mit über 30 Jahren sagte mein Bruder einmal in einem Gespräch, dass er eigentlich jetzt erst seine älteren Geschwister richtig kennenlernt und ihr Wesen erfasst. Er sei oft auf die Gespräche neidisch gewesen, bei denen er zugehört hatte und hätte die Verbundenheit, die er zwischen uns älteren gespürt hätte, manchmal für sich selber vermisst. Es hatte etwas sehr Wehmütiges als er das sagte. Erschwerend kommt auch hinzu, dass er unseren Vater in einem Alter verloren hat, in dem er ihn sehr gebraucht hätte – er war 16 Jahre alt und in der Pubertät. Wir Älteren haben unter diesem Verlust nicht weniger gelitten, haben aber den Vater in der ganzen Kindheit und dem späteren Erwachsenwerden als Unterstützung zur Seite gehabt.

Warum ich das erzähle dürfte allen klar sein, die die Nachrichten der letzten Tage verfolgt haben. Eine Mutter von 13 Kindern bekommt mit 65 Jahren nach künstlicher Befruchtung Vierlinge. In ein paar Monaten werden Kinder geboren werden, die nie mit allen Geschwistern unter einem Dach leben werden. Ihre Mutter könnte ihre Großmutter sein. Sind die Kinder einmal 20 Jahre alt, wird die Mutter 85 Jahre alt sein und die Wahrscheinlichkeit, dass sich diese Kinder sehr früh mit Rollator, Pflegeversicherungen, Seniorennachmittagen auseinandersetzen müssen, ist sehr groß.

Ich komme seit ein paar Tagen aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus. Jedes Kind der Welt sollte willkommen sein – unter natürlichen Bedingungen. Unter Bedingungen, die ein unbeschwertes, freies und gesundes Aufwachsen möglich machen. Unter Voraussetzungen, die die Natur uns gegeben hat und an denen der Mensch nicht manipuliert. Es spielt keine Rolle, ob ein Kind Mutter und Vater hat, oder zwei Mütter oder zwei Väter. Nur sollte das Kind auch die Chance haben mit seinen Eltern den natürlichen Werdegang des Lebens und Alterns zu durchleben, und dass es nicht schon kurz nach der Pubertät in die Altenpflege wechseln muss. Der Kinderwunsch einer 65-Jährigen ist in meinen Augen purer Egoismus. Was mich besonders daran stört ist, dass dieser Kinderwunsch und Egoismus nicht eine Frau alleine für ihre eigene Person betrifft. Es betrifft vier ungeborene Kinder, die nicht die geringste Möglichkeit der Wahl haben. Die gesundheitliche Unverantwortlichkeit braucht man überhaupt nicht zu erwähnen. Nicht nur für die Mutter, deren Körper in dem Alter nicht mehr selber für Geburten bereit ist, sondern auch das Risiko, dass die Kinder tragen. Geschwisterkinder sind betroffen, die in Erklärungsnot kommen und ständig erklären werden, dass die Tante gleich alt wie die Nichte ist oder der Bruder nicht der sehr alte Onkel ist. Geschwister, die gefragt oder nicht, die Verantwortung für die Obhut ihrer sehr jungen Geschwister übernehmen werden müssen.

Meine Mutter war mit 41 Jahren eine Spätgebärende. Das ist heute nichts Besonderes mehr. Ich selber war mit 34 + 36 Jahren bei meinen Kindern eine Spätgebärende. Dennoch sind es die Zeichen der Zeit, dass Frauen oft spät Kinder bekommen und sich vorher in Ausbildung und Beruf um eigenständige Grundsicherung kümmern. Ich finde es auch wunderbar, dass Paaren, die aus irgendwelchen medizinischen Gründen alleine keine Kinder bekommen können, Möglichkeiten haben sich helfen zu lassen. Das bedeutet aber nicht, dass man jegliche Altersfrage außer Kraft setzen muss, den eigenen Wunsch, jung zu bleiben und als Mutter bewundert zu werden, über das Wohl von Kindern stellt, die mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Chance haben mit ihren Eltern erwachsen zu werden.

Es ist eine Sache sich darüber zu empören, weil es aus der Norm fällt, dass 65-jährige Frauen Kinder bekommen. Es ist eine andere Sache sich alle Facetten vorzustellen, die die Auswirkungen und Tragweite von solch einer alten Mutter für die Kinder hat. Man stelle sich allein einen Elternabend in der Oberstufe der Kinder vor, zu dem die Mutter mit Rollator gehen muss. Mir graut es bei der Vorstellung. Diesen vier Kindern wünsche ich vornehmlich, dass sie es schaffen gesund und ohne Komplikationen auf die Welt zu kommen. Zudem wünsche ich ihnen, dass ihre Familienbande stark genug und nicht zu weit auseinander sind, auf dass sie immer in einem familiären Netz aufgehoben sein werden. Ich hatte schon einmal in einem Beitrag geschrieben „Rabenmütter gibt es nicht!“. In diesem Fall komme ich an meine Grenzen des Verständnisses, muss aber auch hier einräumen, dass diese Frau ihre Gründe haben wird. Nur verstehen werde ich das nicht.

Ihr Kinderlein kommet, oh kommet doch all …?