Ich habe Angst: Angst davor, dass mein Neffe eines Tages vor mir steht und fragt: „Warum hast du nichts getan?“ Ich habe Angst, dass mir meine Schwägerin erzählt, dass sie nicht mehr einzukaufen kann, weil es zu gefährlich geworden ist. Ich habe Angst von meinem Bruder zu hören, dass er sich nur noch heimlich mit seinen Freunden treffen kann. Ich habe Angst, dass mir meine Töchter von ihren kranken Kindern erzählen, weil sie mit der Disziplin und Autorität in der Grundschule nicht klar kommen. Und ich habe Angst, dass es meinen Blog nicht mehr gibt, weil er wegen staatsgefährdenden Inhalten vom Netz genommen wurde. Die größte Angst habe ich vor all denjenigen, die keine Angst haben. Denjenigen die derzeitige politische Entwicklungen kopfschüttelnd verfolgen, hoffen, dass es schon vorbei geht und – nichts tun!
Im ersten Absatz stehen allein vier Forderungen eines öffentlichen Wahlprogramms, die realisiert werden würden, wenn eine gewisse Partei, deren Namen ich nicht nennen werde, ihr Programm umsetzen kann. Es sind keine Horror- oder Zukunftsvisionen, das sind geforderte Fakten, die noch dazu unserem Grundgesetz zuwider laufen – in schöne Worte gepackt. Wenn diese Forderungen wahr werden, wird sich meine dunkelhäutige Schwägerin in diesem Land nicht mehr sicher fühlen. Ihr Mischlings-Sohn, mein Neffe, wird sich trotz deutscher Geburt, deutschem Namen, deutscher Familie für das Land seiner Mutter entscheiden. Mein homosexueller Bruder wird die psychischen Belastungen nicht mehr aushalten. Meine Kinder werden mir Vorwürfe machen, dass ich sie frei und offen erzogen habe und sie nicht wissen, wie sie ihre Kinder disziplinarisch maßregeln sollen, damit sie sich in der Schule unauffällig verhalten.
Ich habe versucht, dieses Wahlprogramm komplett zu lesen, es aber nicht durchgehalten. Bei Lesen kamen mir Erinnerungen an ein anderes Buch, das vor fast genau 90 Jahren veröffentlicht wurde. Dort stand ebenso alles drin, was später Realität wurde und keiner wollte es vorher gewusst haben. Es war damals bekannt und es ist heute bekannt, was Menschen mit rechter Gesinnung fordern und welche Konsequenzen und Auswirkungen das auf uns alle haben würde. Die Parallelen sind erschreckend. Individualrechte sollen beschnitten und staatlich geprägter Gewalt gebeugt werden. Differenzierte Meinungsvielfalt wird mit diesem Wahlprogramm unmöglich gemacht. Wir wissen, dass Humanität, Menschlichkeit, Mitgefühl von Rechten mit den Füßen getreten und Freiheit, Individualität und freie Entfaltung keine Bedeutung mehr haben werden – sofern wir sie nicht aufhalten. Und trotzdem ist Zahl der Menschen, die still sind, die dieses Programm nicht lesen und wahrhaben wollen, die dieser Partei aus Leichtgläubigkeit keine Chancen einräumen oder aus unbegreiflichen Gründen folgen, erschreckend hoch.
Allerdings habe ich einen einzigen Punkt in diesem Programm gefunden, den ich sogar begrüße: Sie fordern, dass Nationalität und Herkunft von Straftätern veröffentlicht wird. Bitte fangt sofort damit an – bei all denjenigen, die vor Flüchtlingsunterkünften stehen und brüllen, die Aufnahme-Einrichtungen anzünden, Naziparolen an Wände schmieren und traumatisierte Menschen in Übelkeit erregender Manier attackieren. Es sind deutsche Männer und Frauen, die sich gerne hinter Grenzen verstecken, auf die Menschen davor schießen lassen würden und kullernden Kindertränen nicht nachgeben wollen. Noch dazu in unverschämter Weise von uns abverlangen, dass wir diese Bilder aushalten müssen. Deutsche Männer und Frauen, die unser Grundgesetz nur insofern nutzen, wie es ihren persönlichen Rechten und Rechtfertigungen dient. Die den Sinn in dieses Gesetzes schlicht nicht verstanden haben.
Bei all dem macht mich ein Punkt besonders wütend: Die derzeitige Situation und täglichen Nachrichten haben es geschafft, dass ich Angst bekomme. Ich bin nicht „besorgt“, sondern wütend und ängstlich über das Stillschweigen und die Untätigkeit all derer, die nicht dagegen halten, die nicht wählen gehen und glauben, dass es sie nichts angeht. Ich bin wütend über Politiker, die immer noch nicht die Dimension und Gefahr sehen, die sich aufbaut und sich hinter verharmlosenden Phrasen versteckt. Ich habe für mich beschlossen es ihnen nicht gleich zu tun. Ich will mich bei jeder Gelegenheit gegen Rechts, für Individualität, Menschlichkeit, freie Meinungsäußerung und für eine multikulturelles Land einsetzen. Ich will die moralischen Werte, zu denen ich erzogen worden bin, für alle Menschen, gleich welchen Herkunftslandes, bei uns erhalten. Ich möchte jeden Morgen mit gutem Gewissen in den Spiegel sehen und wissen, dass ich für die Freiheit meiner Kinder alles getan habe. Ich möchte später meinem Neffen sagen können: „Ich habe etwas getan, den jeder konnte etwas tun!“
Ich möchte euch ebenso bitten etwas zu tun. Ich rufe zu einer Blogparade mit dem Titel „Schreiben gegen Rechts!“ auf. Schreibt, warum ihr gegen rechte Gesinnungen seid, was diese in euch auslösen, wie ihr damit umgeht, was für Alternativen wir haben, was ihr erlebt habt, was euch Angst macht oder eure Wut auslöst. Schreibt von guten Beispielen, erfolgreichen Projekten, über bewundernswerte Menschen. Schreibt es in fairer und differenzierter Form, denn wir stellen uns bewusst nicht mit Rechten und deren Kommunikationsformen auf eine Stufe. Fordert eure Freunde und Bekannt auf, sich zu beteiligen.
Bitte teilt mir hier als Kommentar zu diesem Beitrag mit, ob ihr an dieser Blogparade teilnehmt. Sehr gern könnt ihr auch schon einen Link zu eurem Blog hinterlassen, damit interessierte LeserInnen vorab schon mal bei euch stöbern können. Wenn euer Beitrag bis zum 31. März 2016 fertig ist, gebt ihr das bitte ebenfalls hier mit entsprechendem Link bekannt. Bitte setzt in euren Blogparade-Beiträgen auf jeden Fall auch einen Link zu meinem Blog bzw. zu diesem Artikel. Ich werde am 31. März alle Beiträge zusammenfassen und mit den entsprechenden Links zu euren Blogs gebündelt präsentieren. Das obere Bild darf ungefragt übernommen werden.
Ich würde mich unheimlich freuen, wenn ihr dazu beitragt, dass ein Teil meiner Angst in Stärke und Gewissheit gewandelt wird, dass jeder etwas – nach seinen Mitteln und Möglichkeiten – FÜR unseren offene, freie Gesellschaft tut.