Schreiben gegen Rechts – ein Buch der Zuversicht!

Schreiben gegen Rechts

Eine Momentaufnahme in Berlin: Ich gehe in die Markthalle, kaufe beim Wurststand Salami am Stück. Der Verkäufer, der mir sehr freundlich mein Rückgeld gibt, hat asiatische Augen. Die Steinpilze beim Gemüsehändler bekomme ich von einem offensichtlich türkischen Mitbürger. Die Bäckereiverkäuferin antwortet mir in breitestem Schwäbisch. Nachher ruhe ich mich im Café aus. Dort sitzen an einem Tisch englischsprachige Studenten. Am nächsten Tisch unterhalten sich ein deutsches Paar und ein Mann mit holländischem Akzent. Als ich später in den Bus einsteige, lasse ich einer Mutter, die ein Kopftuch trägt, mit ihren Kindern den Vortritt und den Busfahrer kann ich von seinem nationalen Hintergrund her nicht einschätzen. Zuhause angekommen treffe ich vor der Haustür meinen syrischen Nachbarn und grüße ihn herzlich. Kaum habe ich die Haustür hinter mir geschlossen, ruft mich meine Schwägerin an, die aus Kenia stammt. Das ist Realität in Deutschland.

Eine Momentaufnahme nach der Bundestagswahl: Die einen feiern einen für sie großartigen Sieg. 72 Jahre nach Kriegsende zieht eine rechtsgerichtete Partei in den Bundestag ein. Die anderen sind entrüstet und können kaum glauben, was da passiert. Etablierte Parteien und Medien gehen auf Ursachensuche und ringen sich fadenscheinige Begründungen ab. Viele üben sich in Gleichgültigkeit und der Hoffnung, dass das schon wieder vorbeigehen wird. Was haben wir eigentlich bei dieser Wahl erwartet? Dass die rechteste aller Parteien tatsächlich unter fünf Prozent bleibt? Dass es vielleicht nur 6 oder 7 Prozent werden? Und dann? Wäre es weniger schlimm gewesen? Haben wir nicht, wenn wir ehrlich sind, alle gewusst, dass diese gewisse Partei, die eben keine Alternative ist, einen Wahlsieg feiern wird, um den einen oder anderen Prozentpunkt hin oder her?

Lange war klar, dass Probleme in unserem Land nicht rechtzeitig aufgegriffen, lange verschleppt wurden und Unzufriedenheit siegt. Für diese Unzufriedenheit wurde zu lange die Flüchtlingspolitik als Platzhalter hergenommen, ohne zu merken, dass die Probleme viel tiefer sitzen. Zu viele fühlen sich abgehängt in einer Gesellschaft, die sich stolz Sozialstaat und Wirtschaftsmacht nennt und doch das steigende Armutsrisiko zulässt. Zu viele fühlen sich nicht zugehörig, trotz dessen, dass es die Mauer schon 28 Jahre nicht mehr gibt.

Zudem haben wir gewusst, wenn wir ehrlich bleiben, dass rechtes Gedankengut immer unter uns war. Nach dem 2. Weltkrieg und in all den Jahren danach. Begriffe wie Kriegskinder und Kriegsenkel werden erst jetzt aufgearbeitet, in einer Zeit, in der die Kriegskindergeneration langsam von uns geht. Wurden die Kriegsenkel im Schulunterricht mit der Geschichte der Nationalsozialisten überfüttert, können viele Jugendliche heute nicht einmal mehr erzählen, warum sich vierzig Jahre eine Mauer durch Deutschland zog. Menschen mit rechtem Gedankengut waren immer unter uns, konnten sich aber in etablierten Parteien wiederfinden. Erst als sich die etablierten Parteien auf die politische Mitte zu bewegten und sich Flüchtlingen öffneten, brauchten Menschen mit ihrem rechten Gedankengut eine neue Partei, die ihnen eine Heimat gibt. Die fand sich und es wurde wieder gesellschaftsfähig rechte Gedanken öffentlich und ohne Scham zu brüllen. Lange haben wir skeptisch über die Landesgrenzen geschaut, in Länder, die alle mit rechten Parteien haderten und gejubelt, wenn diese keine Mehrheiten gewinnen konnten. Wir haben mit Entsetzen die Wahl des amerikanischen Präsidenten beobachtet, der seinen Nationalismus seither dummdreist verbreitet. Nun hat es uns selber getroffen … mit Abgeordneten im Bundestag, die einem Wahlprogramm folgen, das wundern lässt, warum es nur eine einzige Stimme bekommen hat.

Ich habe lange gebraucht um es so anzuerkennen wie es ist: Die ewig Gestrigen spannen populistische Parolen vor ihren Karren und gehen auf Stimmenfang bei den ewig Unzufriedenen. Politiker kümmern sich auch nach der Wahl eher um ihren politischen Einfluss, als den Menschen einmal klar zu signalisieren, dass sie es verstanden haben und sich um die Probleme der kleinen Leute kümmern und zuhören werden. Medien kümmern sich um ihre Zugriffszahlen, füttern uns mit Negativschlagzeilen und bieten den Rechten eine Bühne, die ihnen nicht zusteht. Es waren 12,6 Prozent  … nur 12,6 Prozent oder schon 12,6 Prozent … das haben wir alle künftig in der Hand.

Die Dekadenz mit der wir hier unseren Wohlstand ausleben ist für mich der Punkt, der mir am meisten zu schaffen macht. Wir erleben einen Wohlstand, der sich durch 72 Jahre Frieden in dieser Region aufgebaut hat. Wir leben in einem der sichersten und reichsten Ländern der Welt. Unsere Waffen liefern wir in fremde Länder – sollen sie sich doch die Köpfe einschlagen, solange wir daran verdienen. Wir schotten unseren Reichtum vor denen ab, deren Länder durch Kriege zerstört sind und keine Sicherheit mehr bieten. Wir schließen unsere Grenzen, wenn heimatlose Menschen bei uns Schutz suchen. Wir bewerten, dass das Verhungern kein wirklicher Asylgrund bei uns ist. Und wenn wir als großartige Nation bei deren Aufbau wieder mithelfen, ist nicht selten der Gedanke der Bereicherung dabei. Wir könnten tausende Menschen noch zu uns reinlassen ohne das Geringste zu entbehren. Wenn ich auf die Zahlen der Zwangswanderungen nach dem 2. Weltkrieg schaue, staune ich, dass wir überhaupt über Obergrenzen debattieren. Wir erlauben uns zu bewerten, dass allein unsere Kultur die einzig richtige ist. Lassen aber zu, dass Konzerne auf fremden Kontinenten selbst Wasser als Grundrecht den Menschen vorenthalten. Das Niveau auf dem wir klagen, ist so unglaublich hoch, dass nationalsozialistische Gedanken schon irrational wirken. Die verschobene Realität nationalistischer Menschen so widersinnig und weltfremd, dass man schon fast verzweifeln müsste.

Das tun wir aber nicht – Verzweiflung hat noch nie jemandem genutzt. Ich muss was tun und ich brauche die Gemeinschaft der Menschen, die diese Probleme sehen, aber dennoch an das Gute in der Welt glauben. Es ist mir schon immer schwer gefallen meinen Mund zu halten und ich will es auch gar nicht. Es hat so unglaublich gut getan den Rückhalt zu spüren als ich 2016 zur Blogparade „Schreiben gegen Rechts“ aufgerufen habe. Es kamen 81 wunderbare Beiträge zusammen, die auch heute alle aktuell sind. Das möchte ich gerne mit euch allen weiterführen. Waren es vor einem Jahre die Flüchtlingszahlen, die in aller Munde waren, ist es heute das stärker werden der Rechten. Nehmen wir ihnen die Bühne und geben sie unseren Idealen zurück. Öffnen wir den Blick für Mitmenschlichkeit, eine multikulturelle Gesellschaft und eine Welt, die zusammenrückt:

Lasst uns wieder Beiträge sammeln in einer offenen Blogparade. Offen in der Hinsicht, dass sie nicht zeitlich begrenzt ist. Beteiligt euch mit Beiträgen, die Geschichten von multikulturellem Zusammenleben erzählen. Beiträge über Fakten, die positive Beispiele einer offenen Gesellschaft zeigen. Erzählt von Initiativen und gelungenen Projekten aus der Flüchtlingsarbeit. Erzählt von eurem Untermieter, der erst mit der Zeit eure Worte verstand. Berichtet von Ereignissen über Landesgrenzen hinweg. Beteiligt euch mit Gedichten oder Bildern, die eine bunte, aber eben die tatsächliche Realität in anderen Ländern und unserem Land zeigen. Überlegt, was jeder einzelne von uns aktiv tun kann, um den Rechten ihren Platz zu weisen. Es gibt so wunderbare Möglichkeiten von einer offenen, freien und bunten Gesellschaft zu erzählen. Bedient euch nicht der Sprache der Populisten und der Rechten. Zeigt, dass man Anliegen, Proteste oder Bedenken durchaus respektvoll und konstruktiv darstellen kann. Ich werde keine Beiträge bewerten oder auswählen. Ich fasse sie zusammen.

Veröffentlicht eure Beiträge in eurem Blog mit der Verlinkungen zu diesem Aufruf. Hier setzt ihr euren Link ein, damit er allen zugänglich wird. Ich sammle bis zu einhundert Beiträge und erstelle daraus wieder ein Buch. Dieses Buch ist allen zugänglich, die es lesen möchten. Niemand verdient daran. Es soll ein Buch werden, das einen klaren Standpunkt vermittelt. Ein Buch, dass Bewusstsein schafft. Ein Buch, dass Hoffnung schenkt – ein „Buch der Zuversicht!“.

Ich freue mich von euch zu hören … erzählt anderen davon, denn es geht weiter mit dem „Schreiben gegen Rechts – für Toleranz und Vielfalt!“

Schreiben gegen Rechts – Blogparade

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Ich habe Angst: Angst davor, dass mein Neffe eines Tages vor mir steht und fragt: „Warum hast du nichts getan?“ Ich habe Angst, dass mir meine Schwägerin erzählt, dass sie nicht mehr einzukaufen kann, weil es zu gefährlich geworden ist. Ich habe Angst von meinem Bruder zu hören, dass er sich nur noch heimlich mit seinen Freunden treffen kann. Ich habe Angst, dass mir meine Töchter von ihren kranken Kindern erzählen, weil sie mit der Disziplin und Autorität in der Grundschule nicht klar kommen. Und ich habe Angst, dass es meinen Blog nicht mehr gibt, weil er wegen staatsgefährdenden Inhalten vom Netz genommen wurde. Die größte Angst habe ich vor all denjenigen, die keine Angst haben. Denjenigen die derzeitige politische Entwicklungen kopfschüttelnd verfolgen, hoffen, dass es schon vorbei geht und – nichts tun!

Im ersten Absatz stehen allein vier Forderungen eines öffentlichen Wahlprogramms, die realisiert werden würden, wenn eine gewisse Partei, deren Namen ich nicht nennen werde, ihr Programm umsetzen kann. Es sind keine Horror- oder Zukunftsvisionen, das sind geforderte Fakten, die noch dazu unserem Grundgesetz zuwider laufen – in schöne Worte gepackt. Wenn diese Forderungen wahr werden, wird sich meine dunkelhäutige Schwägerin in diesem Land nicht mehr sicher fühlen. Ihr Mischlings-Sohn, mein Neffe, wird sich trotz deutscher Geburt, deutschem Namen, deutscher Familie für das Land seiner Mutter entscheiden. Mein homosexueller Bruder wird die psychischen Belastungen nicht mehr aushalten. Meine Kinder werden mir Vorwürfe machen, dass ich sie frei und offen erzogen habe und sie nicht wissen, wie sie ihre Kinder disziplinarisch maßregeln sollen, damit sie sich in der Schule unauffällig verhalten.

Ich habe versucht, dieses Wahlprogramm komplett zu lesen, es aber nicht durchgehalten. Bei Lesen kamen mir Erinnerungen an ein anderes Buch, das vor fast genau 90 Jahren veröffentlicht wurde. Dort stand ebenso alles drin, was später Realität wurde und keiner wollte es vorher gewusst haben. Es war damals bekannt und es ist heute bekannt, was Menschen mit rechter Gesinnung fordern und welche Konsequenzen und Auswirkungen das auf uns alle haben würde. Die Parallelen sind erschreckend. Individualrechte sollen beschnitten und staatlich geprägter Gewalt gebeugt werden. Differenzierte Meinungsvielfalt wird mit diesem Wahlprogramm unmöglich gemacht. Wir wissen, dass Humanität, Menschlichkeit, Mitgefühl von Rechten mit den Füßen getreten und Freiheit, Individualität und freie Entfaltung keine Bedeutung mehr haben werden – sofern wir sie nicht aufhalten. Und trotzdem ist Zahl der Menschen, die still sind, die dieses Programm nicht lesen und wahrhaben wollen, die dieser Partei aus Leichtgläubigkeit keine Chancen einräumen oder aus unbegreiflichen Gründen folgen, erschreckend hoch.

Allerdings habe ich einen einzigen Punkt in diesem Programm gefunden, den ich sogar begrüße: Sie fordern, dass Nationalität und Herkunft von Straftätern veröffentlicht wird. Bitte fangt sofort damit an – bei all denjenigen, die vor Flüchtlingsunterkünften stehen und brüllen, die Aufnahme-Einrichtungen anzünden, Naziparolen an Wände schmieren und traumatisierte Menschen in Übelkeit erregender Manier attackieren. Es sind deutsche Männer und Frauen, die sich gerne hinter Grenzen verstecken, auf die Menschen davor schießen lassen würden und kullernden Kindertränen nicht nachgeben wollen. Noch dazu in unverschämter Weise von uns abverlangen, dass wir diese Bilder aushalten müssen. Deutsche Männer und Frauen, die unser Grundgesetz nur insofern nutzen, wie es ihren persönlichen Rechten und Rechtfertigungen dient. Die den Sinn in dieses Gesetzes schlicht nicht verstanden haben.

Bei all dem macht mich ein Punkt besonders wütend: Die derzeitige Situation und täglichen Nachrichten haben es geschafft, dass ich Angst bekomme. Ich bin nicht „besorgt“, sondern wütend und ängstlich über das Stillschweigen und die Untätigkeit all derer, die nicht dagegen halten, die nicht wählen gehen und glauben, dass es sie nichts angeht. Ich bin wütend über Politiker, die immer noch nicht die Dimension und Gefahr sehen, die sich aufbaut und sich hinter verharmlosenden Phrasen versteckt. Ich habe für mich beschlossen es ihnen nicht gleich zu tun. Ich will mich bei jeder Gelegenheit gegen Rechts, für Individualität, Menschlichkeit, freie Meinungsäußerung und für eine multikulturelles Land einsetzen. Ich will die moralischen Werte, zu denen ich erzogen worden bin, für alle Menschen, gleich welchen Herkunftslandes, bei uns erhalten. Ich möchte jeden Morgen mit gutem Gewissen in den Spiegel sehen und wissen, dass ich für die Freiheit meiner Kinder alles getan habe. Ich möchte später meinem Neffen sagen können: „Ich habe etwas getan, den jeder konnte etwas tun!“

Ich möchte euch ebenso bitten etwas zu tun. Ich rufe zu einer Blogparade mit dem Titel „Schreiben gegen Rechts!“ auf. Schreibt, warum ihr gegen rechte Gesinnungen seid, was diese in euch auslösen, wie ihr damit umgeht, was für Alternativen wir haben, was ihr erlebt habt, was euch Angst macht oder eure Wut auslöst. Schreibt von guten Beispielen, erfolgreichen Projekten, über bewundernswerte Menschen. Schreibt es in fairer und differenzierter Form, denn wir stellen uns bewusst nicht mit Rechten und deren Kommunikationsformen auf eine Stufe. Fordert eure Freunde und Bekannt auf, sich zu beteiligen.

Bitte teilt mir hier als Kommentar zu diesem Beitrag mit, ob ihr an dieser Blogparade teilnehmt. Sehr gern könnt ihr auch schon einen Link zu eurem Blog hinterlassen, damit interessierte LeserInnen vorab schon mal bei euch stöbern können. Wenn euer Beitrag bis zum 31. März 2016 fertig ist, gebt ihr das bitte ebenfalls hier mit entsprechendem Link bekannt. Bitte setzt in euren Blogparade-Beiträgen auf jeden Fall auch einen Link zu meinem Blog bzw. zu diesem Artikel. Ich werde am 31. März alle Beiträge zusammenfassen und mit den entsprechenden Links zu euren Blogs gebündelt präsentieren. Das obere Bild darf ungefragt übernommen werden.

Ich würde mich unheimlich freuen, wenn ihr dazu beitragt, dass ein Teil meiner Angst in Stärke und Gewissheit gewandelt wird, dass jeder etwas – nach seinen Mitteln und Möglichkeiten – FÜR unseren offene, freie Gesellschaft tut.