Unterstützung für Trans* und queer lebende Menschen

Es ist weit mehr als ein Spiel und aus vielen Lebensgeschichten nicht wegzudenken. Die Rede ist von Fußball, Fußballvereinen und eine enorme Zahl von verbundenen Fans. Die Wahl des Lieblingsfußballvereins gleicht einem Glaubensbekenntnis und hält meist lebenslang. Umso bedeutender ist der gesellschaftliche Tenor des „Spiel des Lebens“, wie es gerne von Liebhabern genannt wird. Dieser gesellschaftlichen Bedeutung sind sich die Fußballvereine insbesondere in den letzten Jahren sehr bewusst geworden. Damit verbunden auch die Notwendigkeit, eine klare und soziale Haltung einzunehmen. Man könnte es „mit gutem Beispiel vorangehen“ nennen, so wie es der Berliner Verein Hertha BSC immer wieder tut.

Zum Sozialbericht 2019 „Mehr als Fußball“, der im November erschien, schreibt Paul Keuter, Mitglied der Geschäftsleitung, dass Hertha Haltung zeigen will, die sich an unseren Werten ‚Vielfalt‘ und ‚Fortschritt‘ ausrichtet. Wie das genau aussieht, liest man im Sozialbericht, der auf 72 Seiten alle Facetten des sozialen Engagements des Vereins aufzeigt. Auf Seite 24 des Berichts findet man die Headline: „In Berlin kannst du alles sein – auch LGBTQ“. Darunter steht: „Gerade in der Welt des Fußballs muss noch viel gegen Homo- und Transphobie gekämpft und müssen klassische Geschlechterrollen aufgebrochen werden. Hertha BSC verschreibt sich diesem Kampf und setzt sich ein – für ein buntes Berlin, auch in Bezug auf die sexuelle Orientierung und Identität, für die Bewahrung demokratischer Grundtugenden wie Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit.“

Die Haltung gegen Homo- und Transphobie ist aber nur ein Beispiel des Engagements. Der Verein fördert nicht nur eine Vielzahl eigener Projekte, sondern unterstützt beispielsweise mit der Bezirkswette kleine Initiativen und zeigt so seine Verbundenheit mit der Hauptstadt. In der Spielzeit 2019/20 wurden die Spieltage um die „Bezirks-Wette“ erweitert, bei denen der Hauptstadtclub mit dem im Vordergrund stehenden Bezirk eine Ticket-Wette eingeht. Schaffen es die Fans, das bereitgestellte Kontingent an „Bezirks-Tickets“ abzurufen, stellt Hertha BSC einem sozialen Projekt aus einem zugehörigen Kiez 5.000 Euro zur Verfügung.

Der 25. Spieltag – das Bundesligaspiel Hertha BSC gegen SV Werder Bremen am 7. März sollte für das Stadtteilzentrum Steglitz e.V. zum Glücksfall werden. Über das Internet fanden die Verantwortlichen das Stadtteilzentrum und boten sich als „Wettgegner“ an. Das zu unterstützende Projekt sollte der Aufbau einer Beratungsstelle für trans*identen Kinder und Jugendlichen sein. Es war lange ungewiss, aber am Spieltag stand fest, dass es gelungen war. Weit mehr als 500 Tickets für das Spiel über die Bezirkswette waren verkaufen. Die Freude war nicht nur bei Thomas Mampel, Geschäftsführer des Stadtteilzentrums, einem echten Herthaner, sehr groß und damit auch der Beginn des Projektes möglich.

Seither wurde viel im Hintergrund gearbeitet. Katrin Reiner, die sich diesem Projekt widmet, hat Kontakte geknüpft, recherchiert, sich selber weitergebildet und nicht zuletzt eine Präsentation erarbeitet. Diese hat sie unter anderem im Projektleiter*innenkreis des sozialen Vereins präsentiert. Themen wie die Definitionen Trans*identität und Inter*geschlechtlichkeit, der Sprachgebrauch oder Trans*kinder und deren Familien, wurden neben anderem besprochen. Klar wurde dabei, dass dieses Thema viele Wissenlücken aufweist, auch im Kreis der Pädagog*innen und Erzieher*innen. Um diese Themenstellung in die Arbeit des Vereins zu integrieren, eine Haltung auszubauen, zu sensibilisieren und zu stärken werden die nächsten Schritte geplant. Zunächst wird das Thema in Arbeitsgruppen und Teams vorgestellt. Daraus werden sich weitere Diskussionen und Besprechungen ergeben, die letztlich die Richtung der Weiterentwicklung möglich und sinnvoll machen.

Katrin Reiner möchte das Projekt „von innen heraus“ wachsen lassen, das heißt Kolleg*innen einbinden und offen für Denkanstöße und Meinungen zu sein. Möglich wäre später beispielsweise eine Jugendgruppe für trans*idente Jugendlich oder eine Beratungsstelle für Betroffene und ihre Eltern, Vorträge zur Aufklärung und Klärung für Einrichtungen und andere soziale Träger. Zum jetzigen Zeitpunkt ist alles offen.

Begeistern und sensibilisieren steht im Fokus von Katrin Reiner, die das Thema von Grund auf kennt. Mit der Unterstützung von Hertha BSC ist das Projekt vorerst gesichert. So kann das Stadtteilzentrum in naher Zukunft Inter* und Trans* und queer lebende Menschen unterstützen ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Zudem alle eigenen Möglichkeiten nutzen, eine breit gefächerte Akzeptanz zu fördern.

Denn, so wie Hertha BSC sagt: In Berlin kannst du alles sein …

Eins bis Fünf plus Zwei macht Sieben

annaschmidt-berlin-com_1bis5plus2macht7Beim morgendlichen Hundespaziergang begegne ich einer Frau mit einem Welpen und ich komme mit ihr ins Gespräch. Wir kennen uns seit Jahren und unterhalten uns über die Kinder, denn unsere Ältesten waren in einer Grundschulklasse. Insgesamt hat die Frau sieben Kinder und als sie zum Ende kommt, habe ich das Gefühl, kaum etwas über meine Zwei erzählen zu können. Nun, ich kann doch mitreden, denn ich selber bin eins von fünf Kindern. Auf dem Rückweg denke ich über diesen Beitrag nach, der ebenfalls von einer Familie mit fünf Kindern handeln soll. In meiner unmittelbaren Nachbarschaft wohnen noch einmal drei Familien mit vier bzw. fünf Kindern. So selten scheint es also gar nicht zu sein, dass sich Eltern entschließen, dem gängigen Bild der Familie mit einem oder zwei Kindern zu widersprechen.

Ich mache mich schlau und finde verschiedene Zahlen. Im Schnitt sind es etwa 12 % der Familien, die in Deutschland als kinderreich, also mit drei und mehr Kindern, gelten. Dabei wird das Wort „kinderreich“ gerne vermieden, weil reich an Kindern oft mit wirtschaftlich schmalen Verhältnissen verbunden wird. Dies, weil man in den Köpfen davon aus geht, dass wenigstens ein Elternteil aufgrund der Kinderzahl nicht erwerbstätig sein kann. Der überzeugten Einzelkind-Mutter und anderen gelingt es kaum, die Vorstellung mit drei und mehr Kindern zu leben, nicht mit Stress, Chaos und viel Hausarbeit zu verbinden.

Stress erlebt sie nur durch die Lautstärke, wenn alle Kinder zuhause sind, sagt meine Interview-Mutter und fügt tröstlich dazu, dass das ja nur besser werden kann, je älter die Kinder werden. Die Ruhe am Vormittag täuscht. Sie sitzt mit mir entspannt bei einer Tasse Tee und erzählt aus dem Familienleben. Auf dem Schoß sitzt der jüngste Sohn. Entsprechend seines Sprachvermögens mit 9 Monaten beteiligt er sich lebhaft an der Unterhaltung. Ansonsten hat sie keinen Stress, denn es kommt ja sowieso so, wie es kommt und das muss man nehmen, wie es ist. Starke Worte, wenn man weiß, dass ab dem frühen Nachmittag Kind Nummer 2, 3, 4 und 5 nach Hause kommen. Dann ist es mit der Ruhe vorbei.

Die Alleinstellung der Familie kommt ihr lediglich ins Bewusstsein, wenn sie von anderen darauf angesprochen wird. Im normalen Alltag erlebt sie die Vielzahl der Familienmitglieder als Selbstverständlichkeit. Trotzdem nimmt sie wahr, dass die Menschen aufhorchen, wenn sie von fünf Kindern erzählt. Ob geplant oder nicht, der Vater ist eins von vier Kindern, die ebenfalls alle vier Kinder haben. Sie selber hatte früher die Vorstellung, einmal ein oder zwei Kinder zu bekommen. Die Reaktionen auf Schwangerschaften haben sich mit steigender Kinderzahl verändert. Von anfänglicher Begeisterung und Glückwünschen bis hin zu unpassenden Fragen, ob es nicht schon genug Kinder seien oder es ein Unfall ist, hat sie alles erlebt. Das Unverständnis mancher Leute, die Irritation und das Befremden, dass man gerne und bewusst mit vielen Kinder leben möchte, wird größer.   

Vom frühen Nachmittag bis frühen Abend ist Kinderzeit in der Familie. Bis halb Acht fordern die Jüngeren Aufmerksamkeit, danach ist noch Raum für die Älteren, bis diese schlafen gehen. Der Vater steht mitten drin, unternimmt und spielt viel mit seinem Nachwuchs, redet und beschäftigt sich mit ihnen. Jedes Kind hat seine eigenen Nischen, über die es sich seine besondere Aufmerksamkeit holt. Sieht der Außenstehende fünf Kinder, lebt die Familie sehr bewusst mit den individuellen Eigenheiten jedes einzelnen und geht, wo möglich, darauf ein. Der Mutter ist durchaus bewusst, dass sie nur begrenzt erziehen kann. Eher versteht sie sich als Begleitung nach den persönlichen Stärken und Schwächen ihrer Kinder. Dennoch geben die Eltern den formenden Rahmen. Gemeinsame Mahlzeiten sind für große Familien ein Muss und so legt besonders der Vater Wert darauf, dass beispielsweise alle am Tisch sitzen und Essmanieren gewahrt bleiben. Rituale und Regeln dienen nicht allein dazu, das Familienleben zu ordnen und organisieren, sie sind auch zugleich ein probates Mittel, das Gemeinschaftsgefühl der Kinder untereinander zu stärken. Die Kinder wachsen einerseits mit der stets schützenden Gemeinschaft auf, in der Begriffe wie Rücksicht, Teilen, für die anderen mitdenken genauso bedeutend sind, wie die Selbstverständlichkeit, früh zu lernen, eigene Wege zu gehen und Eigenverantwortung zu übernehmen – immer die Familie im Rücken.

Die Mutter ist weit entfernt davon, die gängigen Vorstellungen einer Hausfrau mit fünf Kindern zu erfüllen. Ohne ihre Arbeit hätte sie keine fünf Kinder bekommen, sagt sie. Beim dritten Kind war sie ein Jahr lang zuhause und konnte kaum den Arbeitsbeginn erwarten. Einen Krankheitstag wegen krankem Kind hat sie noch nie einreichen müssen. War einmal ein Kind krank, war es immer möglich, den Dienst zu tauschen oder zu verschieben. Gute Organisation und ein starkes Netzwerk ist ohne Zweifel bei so einer großen Familie erforderlich, was aber mit der Zeit wächst. So lebt im gleichen Haus eine Familie mit drei Kindern. Ergeben sich Überschneidungen bei Terminen, ist es mittels Babyphone immer möglich, kleine Lücken zu überbrücken. Zusammengerechnet (einschließlich Arbeitszeit) verbucht die Mutter zwei Tage in der Woche ohne Kinderbetreuung für sich. Genug Zeit, um zu entspannen und eigenen Interessen, wie Sport und Treffen mit Freunden, nachzugehen.

Natürlich gehen manche Dinge nicht so leicht, wie in kleineren Familien. Wollen die Kinder Angebote nutzen und Vereinssport machen, müssen sie Angebote in unmittelbarer Umgebung suchen. Sie kann keinen Fahrdienst einrichten und so müssen manche Dinge warten bis die Kinder selber das öffentliche Verkehrsnetz nutzen können. Elternabende versucht sie zu besuchen. Dabei ist es ihr wichtig, der Lehrkraft oder Erzieherin ihre Wertschätzung durch ihr Interesse auszudrücken. Die Kinder suchen sich ihre Lücken, in denen sie ganz speziell für sich Zeit mit den Eltern finden. Alles andere wird halt gemeinsam gemacht.

Wo bleibt das Paar? An dieser Stelle lacht sie: Zeit für ihren Mann und sich ist hart erkämpfte Zeit. Zum Glück sei der Vater sehr kommunikativ und unterhaltsam, weshalb sie immer das Gefühl der Verbundenheit hat. Er würde durchaus einmal ein paar Tage wegfahren, die Kinderbetreuung organisieren und abschalten. Aber da gesteht sie ein, noch nicht soweit zu sein … der 9 Monate alte Sohn auf dem Schoß macht es deutlich.

Kinderreiche Familien empfinden sich selber als selbstverständlich und tatsächlich auch reich. Reich im Sinne der Gemeinschaft, nie alleine sein zu müssen und kennen selten das Gefühl der Langeweile. Die Eltern wachsen in diese Rolle in natürlicher Weise hinein, müssen ein hohes Maß an Flexibilität und Offenheit einbringen. Wo fünf Kinder zuhause sind, kommen oft Freunde dazu … macht ja auch nichts – es kommt ja sowieso so, wie es kommen muss.


szs_mittelpunkt_februar-2017Ein Beitrag aus dem Magazin „Im Mittelpunkt“ Januar/Februar 2017 mit dem Leitthema „Eltern“
Das ganze Magazin kann als eBook oder interaktives Pdf heruntergeladen werden. Die gedruckte Version, einschließlich dem Einleger mit allen Veranstaltungen, bekommt man in den Einrichtungen des Stadtteilzentrum Steglitz e.V.

Ihr Kinderlein kommet …

©-F.Schmidt-Fotolia.com

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In ein paar Wochen ist es endlich soweit – wir freuen uns auf eine Geburt. Ein neues Mitglied wird unseren Familien-Kreis bereichern. Die Eltern sind jung, gesund, verliebt und glücklich. Das einzige etwas ungewöhnliche bei diesem Kind ist vielleicht, dass die altersmäßig nächst stehenden Cousine und Cousin des Babys bald 18 Jahre alt sein werden. Alle anderen Cousinen und Cousins sind älter. Dieses Kind wird nie gleichaltrige Cousinen und Cousins haben. Es hat auch ziemlich alte Tanten und Onkel, denn sein Vater war ein Nachzügler … 24 Jahre jünger als die älteste Schwester.

Ein großer Altersunterschied besteht und belebt die Familie. Meine Mutter hat sehr früh ihr erstes Kind, meine ältere Schwester, bekommen. Danach folgten noch drei Geschwister mit zweieinhalb, dreieinhalb und viereinhalb Jahren Abstand. Die Familienplanung war abgeschlossen und sehr spät kündigte sich doch noch ein Nachzügler an, der sich allen Planungen widersetzte. Mit 41 Jahren bekam meine Mutter meinen jüngsten Bruder. Zu einem Zeitpunkt, als sie das erste Mal in ihrem Leben etwas für sich selber tat und Malerei studierte. Zu einem Zeitpunkt, als meine Schwestern und ich schon 24, 21 und 18 Jahre alt waren und uns mit Schulabschlüssen und Ausbildungsbeginn beschäftigten. Wer unsere Familie nicht kannte, war unsicher zu wem der Säugling gehörte, denn meine Mutter hatte schon sehr früh graue Haare. Am Tag meiner Geschichts-Abiturprüfung wurde mein Bruder geboren. Mein Geschichtslehrer fragte mich damals, warum ich so nervös sei und als ich ihm den Grund nannte, fragte er: „Gleiche Mutter, gleicher Vater?“ und ich nickte nur und sagte: „Gleiche Mutter, gleicher Vater!“

Mit 41 Jahren war sie damals eine Spätgebärende. Es war keine leichte Umstellung für meine Eltern, die eigentlich schon das Ende der Erziehungsarbeit vor Augen hatten. Dennoch entwickelte sich der Nachzügler zu einem enormen Gewinn für uns alle. Zweifel bestanden, mussten letztendlich der Freude über ein neues Familienmitglied weichen. Zudem war es für meine Schwestern und mich wunderschön, meine Mutter noch einmal bewusst als schwangere Frau zu erleben. Aber mein Bruder, trotz dessen, dass er vier Geschwister hat, wuchs als Einzelkind auf. Meine Schwestern und ich waren schon auf dem Weg die Ursprungsfamilie zu verlassen.

Wir sind fünf Kinder, was wir immer sehr bewusst mit allen Vor- und Nachteilen erlebt haben. In Erinnerung bleiben natürlich vornehmlich die schönen und lustigen Erlebnisse und Gemeinsamkeiten. Wenn wir alle zusammentreffen, dauert es nicht lange und wir erinnern uns an dies und jenes, jeder weiß noch ein anderes Detail, kramt eine Besonderheit aus dem Gedächtnis, die die anderen schon vergessen hatten. An diesen Gesprächen kann sich mein jüngster Bruder oft nicht beteiligen, weil er keine gemeinsamen Kindheitserinnerungen mit uns älteren hat. Es geht sogar soweit, dass er nicht nur seine eigenen Kindheitserinnerungen hat, die er nicht mit uns teilen kann. Er hat auch meine Eltern ganz anders wahrgenommen als wir. Als wir Kinder waren, waren unsere Eltern sehr jung und fast selber noch auf dem Weg ihre Persönlichkeit zu entwickeln. Er hatte als Kind abgeklärte Eltern, die so schnell nichts mehr aus dem Sessel locken konnten, hatten sie doch schon so ziemlich alles in der Erziehung von Kindern erlebt.

Mit über 30 Jahren sagte mein Bruder einmal in einem Gespräch, dass er eigentlich jetzt erst seine älteren Geschwister richtig kennenlernt und ihr Wesen erfasst. Er sei oft auf die Gespräche neidisch gewesen, bei denen er zugehört hatte und hätte die Verbundenheit, die er zwischen uns älteren gespürt hätte, manchmal für sich selber vermisst. Es hatte etwas sehr Wehmütiges als er das sagte. Erschwerend kommt auch hinzu, dass er unseren Vater in einem Alter verloren hat, in dem er ihn sehr gebraucht hätte – er war 16 Jahre alt und in der Pubertät. Wir Älteren haben unter diesem Verlust nicht weniger gelitten, haben aber den Vater in der ganzen Kindheit und dem späteren Erwachsenwerden als Unterstützung zur Seite gehabt.

Warum ich das erzähle dürfte allen klar sein, die die Nachrichten der letzten Tage verfolgt haben. Eine Mutter von 13 Kindern bekommt mit 65 Jahren nach künstlicher Befruchtung Vierlinge. In ein paar Monaten werden Kinder geboren werden, die nie mit allen Geschwistern unter einem Dach leben werden. Ihre Mutter könnte ihre Großmutter sein. Sind die Kinder einmal 20 Jahre alt, wird die Mutter 85 Jahre alt sein und die Wahrscheinlichkeit, dass sich diese Kinder sehr früh mit Rollator, Pflegeversicherungen, Seniorennachmittagen auseinandersetzen müssen, ist sehr groß.

Ich komme seit ein paar Tagen aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus. Jedes Kind der Welt sollte willkommen sein – unter natürlichen Bedingungen. Unter Bedingungen, die ein unbeschwertes, freies und gesundes Aufwachsen möglich machen. Unter Voraussetzungen, die die Natur uns gegeben hat und an denen der Mensch nicht manipuliert. Es spielt keine Rolle, ob ein Kind Mutter und Vater hat, oder zwei Mütter oder zwei Väter. Nur sollte das Kind auch die Chance haben mit seinen Eltern den natürlichen Werdegang des Lebens und Alterns zu durchleben, und dass es nicht schon kurz nach der Pubertät in die Altenpflege wechseln muss. Der Kinderwunsch einer 65-Jährigen ist in meinen Augen purer Egoismus. Was mich besonders daran stört ist, dass dieser Kinderwunsch und Egoismus nicht eine Frau alleine für ihre eigene Person betrifft. Es betrifft vier ungeborene Kinder, die nicht die geringste Möglichkeit der Wahl haben. Die gesundheitliche Unverantwortlichkeit braucht man überhaupt nicht zu erwähnen. Nicht nur für die Mutter, deren Körper in dem Alter nicht mehr selber für Geburten bereit ist, sondern auch das Risiko, dass die Kinder tragen. Geschwisterkinder sind betroffen, die in Erklärungsnot kommen und ständig erklären werden, dass die Tante gleich alt wie die Nichte ist oder der Bruder nicht der sehr alte Onkel ist. Geschwister, die gefragt oder nicht, die Verantwortung für die Obhut ihrer sehr jungen Geschwister übernehmen werden müssen.

Meine Mutter war mit 41 Jahren eine Spätgebärende. Das ist heute nichts Besonderes mehr. Ich selber war mit 34 + 36 Jahren bei meinen Kindern eine Spätgebärende. Dennoch sind es die Zeichen der Zeit, dass Frauen oft spät Kinder bekommen und sich vorher in Ausbildung und Beruf um eigenständige Grundsicherung kümmern. Ich finde es auch wunderbar, dass Paaren, die aus irgendwelchen medizinischen Gründen alleine keine Kinder bekommen können, Möglichkeiten haben sich helfen zu lassen. Das bedeutet aber nicht, dass man jegliche Altersfrage außer Kraft setzen muss, den eigenen Wunsch, jung zu bleiben und als Mutter bewundert zu werden, über das Wohl von Kindern stellt, die mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Chance haben mit ihren Eltern erwachsen zu werden.

Es ist eine Sache sich darüber zu empören, weil es aus der Norm fällt, dass 65-jährige Frauen Kinder bekommen. Es ist eine andere Sache sich alle Facetten vorzustellen, die die Auswirkungen und Tragweite von solch einer alten Mutter für die Kinder hat. Man stelle sich allein einen Elternabend in der Oberstufe der Kinder vor, zu dem die Mutter mit Rollator gehen muss. Mir graut es bei der Vorstellung. Diesen vier Kindern wünsche ich vornehmlich, dass sie es schaffen gesund und ohne Komplikationen auf die Welt zu kommen. Zudem wünsche ich ihnen, dass ihre Familienbande stark genug und nicht zu weit auseinander sind, auf dass sie immer in einem familiären Netz aufgehoben sein werden. Ich hatte schon einmal in einem Beitrag geschrieben „Rabenmütter gibt es nicht!“. In diesem Fall komme ich an meine Grenzen des Verständnisses, muss aber auch hier einräumen, dass diese Frau ihre Gründe haben wird. Nur verstehen werde ich das nicht.

Ihr Kinderlein kommet, oh kommet doch all …?

Die letzte Mohnstolle …

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Ich sah aus dem Augenwinkel, dass eine E-Mail von der Mutter ankam, worüber ich mich immer freue. Als ich sie las, war ich gar nicht mehr so freudig. Ich wusste nicht, wie ich sie einschätzen sollte. Es war die Ankündigung an meine Geschwister und mich, dass unsere Weihnachtspäckchen unterwegs seien. Das bedeutet in der Regel, bald gibt’s Mohnstollen, den sie jedes Jahr für uns backt – so lecker! Also eigentlich etwas, was Freude bei mir auslösen sollte. Aber in der Mail stand auch der Satz: „Genießt den Kuchen, denn ab jetzt könnt Ihr nur noch das Rezept von mir bekommen.“ Schon schlugen die Gefühle Purzelbaum – richtig auf’s Päckchen freuen wollte ich mich nicht mehr. Natürlich antwortet ich fröhlich, dass sie mir sicherheitshalber das Rezept schicken solle, falls ich sie im nächsten Jahr nicht mehr überreden könne, wieder eine Stolle zu backen.

Was mich so „unfreudig“ gestimmt hatte war die Tatsache, dass sich meine Mutter bester Gesundheit erfreut. Sie ist aber auch ein sehr klar denkender Mensch, der Tatsachen anspricht und ehrlich damit umgeht. Also auch, dass sie älter wird und manche Dinge ihr nicht mehr von der Hand gehen wie früher. So auch das Backen der Stollen für fünf „Kinder“ zu Weihnachten. Unterschwellig war aber auch eine andere Botschaft damit verbunden, die sich für mich durch dieses ganze Jahr zieht. Ich muss bereit sein mich von Menschen zu verabschieden. Akzeptieren, dass Menschen sich auf die letzte Lebensphase vorbereiten. Damit verbunden auch annehmen, dass dieses Thema für mich persönlich näher kommt. Ein sehr unbequemes Thema, wenn man eigentlich Mitten im Leben steht.

Im Juni haben wir die Schwiegermutter auf andere Weise verloren. Sie ist in die Demenz gefallen, das hatte ich in diesem Beitrag schon einmal beschrieben. Die ersten Wochen und Monate waren sehr schwer und wir mussten lernen damit umzugehen. Demenz muss man erleben, sonst kann man sich schwer vorstellen, wie sich die betroffenen Menschen verändern. Dabei haben wir es noch relativ gut getroffen, da sie zweihundert Meter weiter im Seniorenheim sehr gut untergebracht ist. Es fällt uns dennoch immer schwer sie zu besuchen. Ein Teil in uns möchte, dass es wieder so wie früher wird und der andere Teil beobachtet sehr realistisch, dass sich diese einst starke Frau immer weiter von uns entfernt. Sie wird kleiner, transparenter, leiser, zärtlicher, dankbarer … weniger!

Ich habe ihr eine kleine Nikolaustüte gepackt. Ein Schokoladen-Nikolaus, ein Schoko-Glückskäfer (den sie uns immer schenkte) und dann noch jeweils eine Klappdose mit Bonbons und eine mit kandiertem Ingwer. Ich war gespannt und diesmal fiel es mir nicht so schwer sie zu besuchen, hoffte ich doch, dass sie diese Dinge erkennt und sich freut. Normale Tüten zu öffnen und schließen geht mit ihren Fingern nicht mehr. Ich zeigte ihr, wie sie die erste Dose auf bekommt. Auf die Frage, ob sie weiß, was es ist, meinte sie: „Na diese Bonbons, diese Ca… , diese mit Lakritz.“ und ich sagte „Ja, Cachou-Bonbons!“ Sie nahm ganz schnell die zweite Dose in die Hand, die sie selber öffnete. „Ach, Ingwer!“ und schon war der erste in ihrem Mund. Ihr Lächeln war mehr als 1000 Goldstücke wert. Nach einem schönen Spaziergang mit ihr, ging ich einigermaßen zufrieden nach Hause. Nur einigermaßen zufrieden, weil sie mir im Gespräch wieder gesagt hatte, dass sie manchmal nicht mehr aufwachen möchte. Das tut weh. Zufrieden, weil ich gesehen habe, dass sie sich über Kleinigkeiten freut und ich aktiv etwas tun kann. Cachou-Bonbons und Ingwer, die sie immer liebte, sind offensichtlich noch in ihrer Erinnerung wach. Wer weiß, wie lange noch.

Abschied hat immer etwas Schweres in sich, ob plötzlich oder langsam, spielt keine große Rolle dabei. Man kann etwas nicht wieder zurückholen, es ist endgültig und die Angst, was diese Veränderung mit sich bringt und die verbundene Ungewissheit doch groß. Ein Kollege hat kürzlich seine Mutter verloren. Sie war friedlich eingeschlafen, was sicherlich tröstlich war, aber damit ist für ihn die ganze Elterngeneration weggebrochen. Er hat am Tag der Beerdigung einen sehr schönen, ergreifenden Nachruf an seine Eltern veröffentlicht. Ich habe ihn sehr bewundert dafür, weil er offen über seine Trauer sprach, dennoch seine Dankbarkeit zu Ausdruck brachte und seine Verbundenheit und Liebe zeigen konnte. So hat er seinen Söhnen vermittelt, was er selber an Erziehung erfahren hat, was er an Erziehung den Söhnen weitergeben wollte und die Söhne dies in ihre Kinder weitergeben können. Trotz aller Trauer hat er einen Weg aufgezeigt, wie seine Eltern weiterleben in der Erinnerung und der Erziehung der Kinder in dieser Familie.

Es geht immer weiter – anders halt, aber es geht! Manchmal schwer, manchmal leichter … mir ist bewusst, dass ich die Veränderungen nicht aufhalten kann. Will ich auch nicht, genauso wenig wie ständig daran denken. Oder durch so eine Mail mit einer Mohnstolle daran erinnert werden. Lieber konzentriere ich mich auf das Jetzt. Überlege, wie ich die Zeit, die ich z.B. mit der Schwiegermutter noch habe, nutzen kann. Wie ich mich auf Veränderungen vorbereiten und wappnen kann. Genauso wie ich bereit sein muss, mich von Menschen zu verabschieden, muss ich bereit sein, Menschen in meinem Leben zu begrüßen. Was steht mir noch mit meinen Kindern bevor? Ich bin so dankbar, dass ich sie um mich habe, sind sie doch ein entscheidender Motor für mein Leben. Ich freue mich auf neues Leben, denn sicherlich werde ich in vielen Jahren auch einmal Oma sein. Erst einmal werde ich Tante – im nächsten Mai bekomme ich eine Nichte oder einen Neffen. Mein jüngster Bruder wird das erste Mal Vater und die Familie wächst weiter. Ein absoluter Grund für Optimismus – so eine große Freude für uns alle.

In diesem Jahr genieße ich die letzte, von der Mutter gebackene, Mohnstolle, denn das Päckchen ist angekommen. Im nächsten Jahr … backe ich sicherheitshalber schon mal selber … oder schaffe es doch noch, sie wieder zu überreden! 🙂 Denn es gibt einfach Gerichte und Gebackenes, die bei aller Mühe nicht so schmecken wollen, wie es zuhause einmal war!

 

 

 

Geschwister – Familienbande

Lästiges Übel oder Gewinn für´s Leben?

Geschwister_24082013_webIch gehöre dazu. Ich bin sogar eine von Fünfen. Das Zweite von fünf Kindern. Ältere Schwester, jüngere Schwester und zwei jüngere Brüder. Nur ein „großer“ Bruder blieb mir verwehrt, sonst kann ich in jeder Hinsicht bei diesem Thema mitreden. Aber einfach ist das nicht unbedingt.

Als wir klein waren, haben wir uns überhaupt keine Gedanken darüber gemacht. Wir waren halt immer viele. Und wo viele sind, werden es auch immer mehr. Freunde waren bei uns immer im Haus, das gehörte dazu, fiel nicht weiter auf und zu irgendwem würde das zusätzliche Kind schon gehören. Ob es Freund oder Freundin von der großen Schwester oder einem Bruder war, das spielte gar keine Rolle. Das haben wir auch alle sehr genossen, war doch immer etwas los. Bei so vielen Kindern hat immer jemand eine Idee, was man anstellen könnte.

Später in der Schule fiel uns dann schon auf, dass die Augen doch manchmal sehr groß wurden, wenn wir erzählen (mussten), dass wir fünf Kinder zuhause waren. Bei den Erwachsenen konnten wir die Blicke nicht deuten. War es das Mitleid mit unseren Eltern, die uns durchbringen mussten oder die Bewunderung, dass sich jemand so etwas noch zumutete. Kamen wir vielleicht sogar aus ärmlichen Verhältnissen? Bei den Jugendlichen war es eigentlich immer Solidarität. Bei uns war immer etwas los, es gab immer etwas zu erzählen, es gab immer etwas zu essen und es gab (fast) immer etwas zu Lachen. Und wir haben etliche Einzelkinder in allen Zeiten erlebt, die sich sehr wohl bei uns fühlten.

Natürlich gab es auch Streit. Bei fünf Kindern ist es vollkommen natürlich, dass der eine zum anderen besser passt oder eine andere Konstellation überhaupt nicht geht. Aber damit lernt man umzugehen und letztendlich auch die Erkenntnis zu schätzen, dass man gerade trotz der hohen Kinderzahl doch einzigartig ist und nicht in einen Topf gehört. Und man lernt mit der Zeit, die Stärken und Schwächen der Geschwister zu nutzen. Ist der eine der kreative Kopf, der andere der stille Philosoph, gibt es immer auch den starken Redner, den logischen Denker oder den tatkräftigen Bauchmenschen. Geschwister ergänzen sich im Idealfall, stärken sich den Rücken und ziehen eine unglaubliche Kraft aus dem Gemeinschaftsgefühl. Streit gehört dazu, um immer wieder die Stärke zu messen und Grenzen abzustecken, um dann wieder den sprachlosen Eltern mit diesem entwaffnenden „War doch gar nicht so schlimm“-Lächeln entgegen zu leuchten!

Und oft genug war uns vollkommen klar, dass wir eine eingeschworene Bande sind – wir fünf gegen den Rest der Welt. Hat einer ein Problem, stehen vier zur Seite – bis heute. Heute sind wir erwachsen, leben alle in verschiedenen Städten, und drei Geschwister sind verheiratet und haben eigene Familien. Dennoch ist das Band geblieben. Die Ehemänner mussten mit der geschwisterlichen Verbundenheit umgehen lernen. Wir pflegen intuitiv einen sehr engen Kontakt, und uns wird gerade im Alter bewusst, wie sehr wir uns gegenseitig brauchen. Sind die Geschwister doch die Menschen, denen ich nichts erklären muss. Sie wissen, in welchem Muster ich denke und wissen nach einem Wort von mir, wie es mir geht. Wir geben uns gegenseitige Geborgenheit, finden immer Verständnis und können mit unzähligen Geschichten und Erinnerungen alles um uns herum vergessen.

Wenn wir von anderen hören, dass Familienbande gebrochen sind, kein Kontakt mehr zu Geschwistern besteht oder nur noch Konflikte das Miteinander bestimmen, macht uns das sehr traurig und sprachlos. Aber es macht uns auch unendlich dankbar – wissen wir doch, was wir an einander haben!