Was geben wir den Kindern mit?

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Stell dir vor, du gehst auf eine einsame Insel und gründest eine neue Zivilisation. Vorher musst du allerdings an einer Versteigerung teilnehmen. Zu ersteigern gibt es moralische Werte, auf die diese Zivilisation aufbauen wird. Welche Werte würdest du ersteigern wollen?

Eine Werte-Versteigerung: Die Tochter hatte ein Praktikum absolviert und musste abschließend eine Präsentation aus der Praktikums-Arbeit in der Schule vorstellen. Im Rahmen des Geschichts-/Sozialkunde-Unterrichts hatte sie eine Schulstunde vorbereitet. Ihre Vorarbeiten habe ich beobachtet und das ein oder andere mit ihr diskutiert. Beschäftigt hat es mich erst, als sie nach der Präsentation nach Hause kam und davon erzählte. Die Schulstunde war ein großer Erfolg und die Tochter glücklich. Ihre MitschülerInnen hatten sich auf das Thema eingelassen, waren der Fiktion gefolgt, diskutierten über Werte und ersteigerten sie für ihre neue Zivilisation. Was mich besonders daran freute waren die nachträglichen Rückmeldungen, die mein Kind von ihren Mitschülern bekam. Es hätte sehr großen Spaß gemacht. Ein Junge schrieb ihr, dass er es schade fände, dass sie solche Diskussionen nicht öfter machten. Auf einer Skala von eins bis 10 bekäme sie eine 100. Total zufrieden … besser ging es nicht.

annaschmidt-berlin.com_werte2Es war nicht nur der Erfolg der Arbeit, der so positiv war. Es war die Vorstellung, dass sich eine Klasse von etwa 15 – 18-jährigen Oberschülern eine Stunde lang intensiv mit moralischen Werten auseinandergesetzt hatten. Sich offensichtlich sehr ernsthaft damit beschäftigte, was höheres Gewicht in der Wertung hätte. Zur Wahl hatten sie 14 Optionen: Ausbildung, Fortschritt, Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit, Gesundheit, glückliches Familienleben, Gleichheit, Glück, Liebe, Reichtum, Schönheit, Tradition, Weisheit. Sie waren in sieben Gruppen eingeteilt, mussten erst für sich selber, dann in der Gruppe festlegen, welche Werte sie ersteigern möchten. Aus der Wertung der sieben Gruppen (Ich habe das erste Mal in meinem Leben selber ein Säulendiagramm erstellt – Mac-sei-dank! :-) ) ergab sich, dass die drei höchsten Werte Frieden, Freiheit und Liebe sind. Tradition, Reichtum und Schönheit belegten die letzten Plätze. Ein sehr schönes Ergebnis finde ich.

Es gefällt mir, dass sich eine Klasse mit Jugendlichen mit moralischen Werten auseinandersetzt, stehen Jugendliche im Generationskonflikt doch immer etwas unter Generalverdacht, dass sie so etwas nicht interessiert. Und dass es sie interessiert und ihnen sogar sehr wichtig ist, zeigt sich in ihren Reaktionen. Es zeigt aber auch, dass sie sich schon viel damit beschäftigt haben müssen und hier ziehe ich den Rückschluss zu ihren Eltern. Kinder übernehmen das, was ihnen ihre Eltern vorleben. Wenn nie über Werte gesprochen wird, keine Werte gelebt werden, können sie auch nicht weitergegeben werden. “Kinder lernen mehr von dem, was Du bist, als was Du sie lehrst …“ heißt es.

Immer mal wieder seine eigenen Werte überprüfen und sich selber zu hinterfragen, was man selber weiter gibt, kann daher nicht verkehrt sein. In meinem Umfeld werden junge KollegInnen Eltern und Großeltern, ich selber werde in Kürze Tante. Was wollen wir diesen Kindern mitgeben, was soll sie formen? Meine eigenen Kinder haben in wenigen Monaten beide die Volljährigkeit erreicht. Haben wir es richtig gemacht? Ihnen die richtige Basis, eine solide Grundlage auf guten Werten vermittelt?

Wie sieht es mit uns selber aus? Welche Werte finden wir für uns persönlich grundlegend und lebenswert. Wie verändern sich unsere persönlichen Werte im Kontext mit einer Gruppe, einer Gesellschaft? Werte verändern sich mit steigendem Alter. Ist dem Jugendlichen die Freiheit sehr wichtig, mag sich der Senior vielleicht doch in den Traditionen ausruhen. Freiheit, Liebe, Gesundheit und Glück dürfte dabei keine Altersfrage sein. Für jeden einzelnen dieser vierzehn Werte lohnt sich eine eigene Debatte. Kann es Gesundheit ohne Glück geben oder Liebe ohne Weisheit? Interessant ist der Dialog zwischen Jugendlichen und Älteren. Aus dem Blick der Erwachsenen fehlen vielleicht Werte, die für eine Gesellschaft elementar sind. Wie sieht’s mit Sicherheit oder Wachstum aus? Werte, die die Jugend noch nicht interessiert. Sind Jugendliche noch enthusiastisch und wollen die Welt verändern, haben sich die Älteren mit einem realitätsnahem Blick vielleicht schon zurückgelehnt.

Ich stelle mir meine Insel vor und die Werte, die ich als Priorität einsetzen würde. Bei Frieden und Freiheit gehe ich mit der Schulklasse einher. Beim dritten Wert kämpfe ich sehr mit mir selber. Ich denke fast, ich würde das glückliche Familienleben einsetzen, beinhaltet es für mich doch das Glück, die Gesundheit und die Liebe. Vielleicht ist das aber auch mogeln … Es ist jedenfalls immer ein interessantes Thema, sich mit Werten auseinanderzusetzen. Dort, wo über Werte gesprochen wird, werden sie auch gelebt und weitergegeben … in der Familie, an die Kinder und in der Gesellschaft. Wir brauchen keine neue Zivilisation, aber wir müssen an unserer sehr hart arbeiten, viele Dinge gerade rücken, korrigieren und verbessern. Mit welchen Werten das am besten gelingt, wäre eine grundlegende Frage. Tröstlich und schön, dass sich die nächste Generation positiv diesem Thema widmet.

Die kleine Knolle!

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Meine erste bewusste Erinnerung an Knoblauch habe ich als ich etwa 20 Jahre alt war. Ein Onkel von mir lobte die kleine Knolle überschwänglich als Heilsbringer. Er lobt sie nicht nur, er aß sie auch in sehr großen Mengen. Erzählte immer, dass ein Butterbrot mit feinen Scheiben der Knolle die Gehirnleistung enorm steigere, die Gesundheit förderte und überhaupt ein medizinisches Wunder sei. Die Sache hatte natürlich den Nachteil, dass wir, wenn er neben uns stand und etwas erklärte, versuchten so lange als möglich die Luft anzuhalten. Das half nur bedingt. Immerhin – der alte Herr ist heute erstaunliche 94 Jahre alt – altersentsprechend fit und unserer Bewunderung sicher. Ob das an seiner Lebenseinstellung überhaupt oder an der kleinen Knolle liegt – wer weiß!

Ich lese so gerne Küchen-Blogs. Es macht mir Spaß die Beiträge zu lesen, mir Anregungen zu holen oder einfach nur die meistens sehr schönen Bildern zu betrachten. Mich fasziniert immer wieder mit welcher Liebe die Schreiber von ihren Kreationen berichten und was für schöne Ideen sie präsentieren. Besonders mag ich den Blog Schnippelboy – der alle Kreationen reich bebildert, leichte Gerichte vorstellt und einfache schöne Anleitungen schreibt – wunderbar! Und deshalb möchte ich wenigstens einmal auch einen Beitrag aus der Küche schreiben – nicht weil ich eine große Köchin bin, sondern weil es einfach so viel Spaß gemacht hat … womit ich wieder bei der kleinen Knolle bin.

Den Onkel haben wir trotz Knoblauchliebe alle bewundert und auch ich habe mit der Zeit eine Liebe zu Knoblauch entwickelt, den ich sehr gerne in der Küche verwende. Dennoch – ein bisschen achte ich schon darauf, ob irgendwer von uns am nächsten Tag ein wichtiges Gespräch hat. Vor einem Vorstellungsgespräch würde ich Knoblauch nicht unbedingt essen. Ich bin auch nicht sehr begeistert, wenn mein Physiotherapeut vor meiner Nackenmassage einen Döner gegessen hat (den ich ihm von Herzen gönne). So ganz bekommt man den Geruch ja doch nicht weg, auch wenn man einen ganzen Liter Milch trinkt. Es gibt aber die Möglichkeit, Knoblauch als Gewürz zu verwenden ohne dass er intensiv gleich alle in die Fluch schlägt. Ich bekam von meiner Mutter ein selbst gemachtes Gläschen Knoblauchcreme, hielt es in Ehren, verwendete es sparsam und trotzdem war es plötzlich leer. Zum Glück bekam ich von ihr auch das Rezept … und hier ist das Ergebnis:

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Ich habe etwas über 1 Kilo Knoblauch gekauft. Manchmal ärgere ich mich, wenn ich eine Knolle zuhause habe, sie aber zu wenig einsetzte und sie nachher nicht mehr verwendbar ist. Damit ist erst mal Schluss.

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Die Knolle grob aus den Häuten lösen und …

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die einzelnen Zehen lösen. Mehr schälen kann man machen, ist aber nicht notwendig und kostet viel Zeit.

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So reicht es völlig aus.

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Die Knollen auf zwei Lagen Aluminiumpapier legen und …

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schön einpacken. Das Päckchen wird dann etwa 60 Minuten bei 200 Grad gebacken.

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Das sieht ausgepackt dann so aus.

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Nahaufnahme: Man sieht schön, wo keine Schale ist schaut der gebackene Knoblauch raus.

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Die Spitzen oben etwas einschneiden und den Knoblauch aus der Schale streichen.

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Man sieht ziemlich schnell, was alle zusammen kommt, auch wenn die Zehen so klein sind. Motivation durch Erfolg heißt das glaube ich. 😉

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Das bleibt übrig … ein Gang zum Kompost wird fällig.

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Muss nicht sein, habe ich aber wegen des Geschmacks gemacht … ein bisschen Meersalz.

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Dann wird die Paste fein püriert und …

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in Gläser gefüllt.

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Zum Schluss wird etwas neutrales Öl darauf gegossen. Das konserviert die Creme.

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Ein Kilo Knoblauchknollen haben bei mir drei kleinere Marmeladen-Gläser ergeben. Die stehen nun im Kühlschrank und warten auf ihren Einsatz. Dort halten sie sich ewig lange … je nach Geschmack aber eben auch nicht! 🙂

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Und noch ein kleines Anwendungsbeispiel … Tomaten Zwiebeln und Ziegenkäse in einer Auflaufform schichten. Vorher die Form mit Butter und der neuen Knoblauchcreme ausgestrichen. Mit Meersalz, grünem Pfeffer, etwas Zucker und Thymian würzen. Etwas Olivenöl darüber … ab in den Ofen … mit etwas Baguette schmeckt es nach einer halben Stunde Ofenzeit wunderbar!

Mehr nicht! 🙂

Der Aufwand für die Knoblauchcreme liegt ohne Backzeit etwa bei zwei Stunden. Mit etwas Musik und guter Laune sind die schnell vorbei und man hat sehr lange etwas von der Creme. Lohnt sich also für alle die Knoblauch mögen. Beim Ausstreichen der Zehen habe ich bei den ersten drei Zehen OP-Handschuhe angehabt. Das war aber lästig und ohne ging es leichter. Die Hände haben wenig von dem Geruch abbekommen und nach dem Geschirr-Abwasch war alles gut.

Das war mein Ausflug in die Küchenblogs … über die Heilkraft des Knoblauchs brauche ich, denke ich, nicht viel schreiben. Das findet man alles im Netz. Vielleicht habt ihr ja auch so einen tollen Onkel als Vorbild. Geschichten über Knovi-Stinker kennt jeder oder war selber mal einer (… und erinnert sich mit einem Grinsen, wie lecker das Essen war). Ob ich so alt werden möchte, weiß ich nicht sicher … dennoch versuche ich es eher mit der Lebenseinstellung und hin und wieder etwas leckerer Knoblauchcreme!

Viel Spaß beim Nachmachen!

Die letzte Mohnstolle …

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Ich sah aus dem Augenwinkel, dass eine E-Mail von der Mutter ankam, worüber ich mich immer freue. Als ich sie las, war ich gar nicht mehr so freudig. Ich wusste nicht, wie ich sie einschätzen sollte. Es war die Ankündigung an meine Geschwister und mich, dass unsere Weihnachtspäckchen unterwegs seien. Das bedeutet in der Regel, bald gibt’s Mohnstollen, den sie jedes Jahr für uns backt – so lecker! Also eigentlich etwas, was Freude bei mir auslösen sollte. Aber in der Mail stand auch der Satz: „Genießt den Kuchen, denn ab jetzt könnt Ihr nur noch das Rezept von mir bekommen.“ Schon schlugen die Gefühle Purzelbaum – richtig auf’s Päckchen freuen wollte ich mich nicht mehr. Natürlich antwortet ich fröhlich, dass sie mir sicherheitshalber das Rezept schicken solle, falls ich sie im nächsten Jahr nicht mehr überreden könne, wieder eine Stolle zu backen.

Was mich so „unfreudig“ gestimmt hatte war die Tatsache, dass sich meine Mutter bester Gesundheit erfreut. Sie ist aber auch ein sehr klar denkender Mensch, der Tatsachen anspricht und ehrlich damit umgeht. Also auch, dass sie älter wird und manche Dinge ihr nicht mehr von der Hand gehen wie früher. So auch das Backen der Stollen für fünf „Kinder“ zu Weihnachten. Unterschwellig war aber auch eine andere Botschaft damit verbunden, die sich für mich durch dieses ganze Jahr zieht. Ich muss bereit sein mich von Menschen zu verabschieden. Akzeptieren, dass Menschen sich auf die letzte Lebensphase vorbereiten. Damit verbunden auch annehmen, dass dieses Thema für mich persönlich näher kommt. Ein sehr unbequemes Thema, wenn man eigentlich Mitten im Leben steht.

Im Juni haben wir die Schwiegermutter auf andere Weise verloren. Sie ist in die Demenz gefallen, das hatte ich in diesem Beitrag schon einmal beschrieben. Die ersten Wochen und Monate waren sehr schwer und wir mussten lernen damit umzugehen. Demenz muss man erleben, sonst kann man sich schwer vorstellen, wie sich die betroffenen Menschen verändern. Dabei haben wir es noch relativ gut getroffen, da sie zweihundert Meter weiter im Seniorenheim sehr gut untergebracht ist. Es fällt uns dennoch immer schwer sie zu besuchen. Ein Teil in uns möchte, dass es wieder so wie früher wird und der andere Teil beobachtet sehr realistisch, dass sich diese einst starke Frau immer weiter von uns entfernt. Sie wird kleiner, transparenter, leiser, zärtlicher, dankbarer … weniger!

Ich habe ihr eine kleine Nikolaustüte gepackt. Ein Schokoladen-Nikolaus, ein Schoko-Glückskäfer (den sie uns immer schenkte) und dann noch jeweils eine Klappdose mit Bonbons und eine mit kandiertem Ingwer. Ich war gespannt und diesmal fiel es mir nicht so schwer sie zu besuchen, hoffte ich doch, dass sie diese Dinge erkennt und sich freut. Normale Tüten zu öffnen und schließen geht mit ihren Fingern nicht mehr. Ich zeigte ihr, wie sie die erste Dose auf bekommt. Auf die Frage, ob sie weiß, was es ist, meinte sie: „Na diese Bonbons, diese Ca… , diese mit Lakritz.“ und ich sagte „Ja, Cachou-Bonbons!“ Sie nahm ganz schnell die zweite Dose in die Hand, die sie selber öffnete. „Ach, Ingwer!“ und schon war der erste in ihrem Mund. Ihr Lächeln war mehr als 1000 Goldstücke wert. Nach einem schönen Spaziergang mit ihr, ging ich einigermaßen zufrieden nach Hause. Nur einigermaßen zufrieden, weil sie mir im Gespräch wieder gesagt hatte, dass sie manchmal nicht mehr aufwachen möchte. Das tut weh. Zufrieden, weil ich gesehen habe, dass sie sich über Kleinigkeiten freut und ich aktiv etwas tun kann. Cachou-Bonbons und Ingwer, die sie immer liebte, sind offensichtlich noch in ihrer Erinnerung wach. Wer weiß, wie lange noch.

Abschied hat immer etwas Schweres in sich, ob plötzlich oder langsam, spielt keine große Rolle dabei. Man kann etwas nicht wieder zurückholen, es ist endgültig und die Angst, was diese Veränderung mit sich bringt und die verbundene Ungewissheit doch groß. Ein Kollege hat kürzlich seine Mutter verloren. Sie war friedlich eingeschlafen, was sicherlich tröstlich war, aber damit ist für ihn die ganze Elterngeneration weggebrochen. Er hat am Tag der Beerdigung einen sehr schönen, ergreifenden Nachruf an seine Eltern veröffentlicht. Ich habe ihn sehr bewundert dafür, weil er offen über seine Trauer sprach, dennoch seine Dankbarkeit zu Ausdruck brachte und seine Verbundenheit und Liebe zeigen konnte. So hat er seinen Söhnen vermittelt, was er selber an Erziehung erfahren hat, was er an Erziehung den Söhnen weitergeben wollte und die Söhne dies in ihre Kinder weitergeben können. Trotz aller Trauer hat er einen Weg aufgezeigt, wie seine Eltern weiterleben in der Erinnerung und der Erziehung der Kinder in dieser Familie.

Es geht immer weiter – anders halt, aber es geht! Manchmal schwer, manchmal leichter … mir ist bewusst, dass ich die Veränderungen nicht aufhalten kann. Will ich auch nicht, genauso wenig wie ständig daran denken. Oder durch so eine Mail mit einer Mohnstolle daran erinnert werden. Lieber konzentriere ich mich auf das Jetzt. Überlege, wie ich die Zeit, die ich z.B. mit der Schwiegermutter noch habe, nutzen kann. Wie ich mich auf Veränderungen vorbereiten und wappnen kann. Genauso wie ich bereit sein muss, mich von Menschen zu verabschieden, muss ich bereit sein, Menschen in meinem Leben zu begrüßen. Was steht mir noch mit meinen Kindern bevor? Ich bin so dankbar, dass ich sie um mich habe, sind sie doch ein entscheidender Motor für mein Leben. Ich freue mich auf neues Leben, denn sicherlich werde ich in vielen Jahren auch einmal Oma sein. Erst einmal werde ich Tante – im nächsten Mai bekomme ich eine Nichte oder einen Neffen. Mein jüngster Bruder wird das erste Mal Vater und die Familie wächst weiter. Ein absoluter Grund für Optimismus – so eine große Freude für uns alle.

In diesem Jahr genieße ich die letzte, von der Mutter gebackene, Mohnstolle, denn das Päckchen ist angekommen. Im nächsten Jahr … backe ich sicherheitshalber schon mal selber … oder schaffe es doch noch, sie wieder zu überreden! 🙂 Denn es gibt einfach Gerichte und Gebackenes, die bei aller Mühe nicht so schmecken wollen, wie es zuhause einmal war!

 

 

 

Ess-Gewohnheiten und die Karotten

Foto: ©Visions-AD-Fotolia.com

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Mit einer Karotte hat alles angefangen. Als junge Mutter las ich in verschiedenen Ratgebern, mein Kind müsse Karotten essen, damit es vitaminreich und gesund aufwachsen kann. Also versuchte ich es: Karotten mit Kartoffeln gekocht + püriert, Karotten mit Apfel frisch + geraspelt, Karotten am Stück, Karotten im Gläschen von Firma X, Y und Firma Z. Karotten versteckt im Nudelsüppchen und so weiter. Das Ergebnis war immer das gleiche. Das Kind spuckte die Karotten wieder aus und musste ohne diese vollwertige, gesunde Nahrungsmöglichkeit groß werden. Auch beim zweiten Kind scheiterte der Karottenversuch kläglich … es machte erst gar nicht den Mund auf, wenn irgendetwas das (nach mütterlicher Ansicht) gesunder Ernährung entsprach, in seine Nähe kam. Karotten wurden vom familiären Speiseplan gestrichen. Im Laufe der Jahre änderten sich dann die Essgewohnheiten der Kinder immer wieder mal. Jetzt, fast zwei Jahrzehnte später, habe ich eine Gemüse- und eine Obstfanatikerin zuhause, die fast tägliche Einkäufe für „Frischfutter“ notwendig machen. Gesunde Ernährung ist bei uns angesagt, die die Ess-Gewohnheiten der Eltern auf eine harte Probe stellt.

Dabei muss ich gestehen, dass Ernährung oder gesunde Ernährung in meiner ersten Lebenshälfte kein Thema war. Trotzdem hatte ich immer einen sehr hohen Anspruch an gutes, leckeres Essen. War ja auch einfach. Mutter kochte ausgesprochen gut und es kam fertig auf den Tisch. Noch dazu war im Fünf-Kinder-Haushalt immer reichlich davon vorhanden. In den Single-Jahren siegte die Bequemlichkeit. Zwar war mir klar, wie das mit dem Kochen funktionierte, aber so ganz ohne Gesellschaft macht’s nun mal wenig Spaß. Dosensuppe, Tiefkühlpizza, Fertiggericht … ist ja einfach. Spiegelei war auch mal drin – Hauptsache schnell und einfach. Dann kam die Rosa-Wölkchen-Zeit und ich konnte plötzlich fantastisch kochen. Liebe geht ja durch den Magen und der Mann musste überzeugt werden – nachhaltig – lebenslänglich. Hat funktioniert, so schlecht kann’s nicht gewesen sein.

Danach kam die (Koch-)Zeit mit den Kindern. Das Karotten-Dilemma war schnell überwunden. Es wurde Zeit das Säuglingsalter und die fade Küche zu überstehen. Gewürze und wunder Po standen im direkten Zusammenhang – das stand auch in den erwähnten Ratgebern, genauso wie Hülsenfrüchte und Darmwinde. Vorsicht war geboten. Ganz langsam und meist heimlich zogen Salz, Pfeffer, Curry, Paprika, Basilikum, Knoblauch, Zwiebeln & Co. wieder in die Küche ein. Zwiebeln besonders heimlich, denn schnell erklärte der Nachwuchs, so etwas nicht zu essen. Also schnitt Muttern die Zwiebeln jahrelang heimlich, immer wenn der Nachwuchs mal nicht in der Küche war. Sprechende Kinder sind eh nicht förderlich für die Kochmotivation der Mütter. Aber gut, die Kinder aßen und der Balanceakt, ihrem Geschmacksdiktat zu entsprechen gelang.

Ich würde meine Küche für die Wachstumsphase meiner Kinder mal „Trennkost-Küche“ nennen. Was die eine nicht aß, aß die andere. Wichtig war, die Nahrungsmittel einzeln und nicht gemischt auf den Tisch zu stellen. Aufläufe, Gratins, Suppen … also Speisen, in denen sich ein außerfahrplanmäßiger Nahrungsbestandteil befinden könnte, waren nicht angesagt. Die Ketchup-Küche war immer gut genug alle satt zu bekommen. Erschwerend kam meine strikte Weigerung hinzu, für jedes Kind einzeln zu kochen. Das war die Domäne der Oma, die nicht nur für die Kinder, auch für den Sohn noch gesondert kochte. Noch schwöre ich, dass ich das niemals machen werde … arme Enkelkinder.

Mit der Zeit wurde es dann doch etwas besser. Erstaunlicherweise wurden die Kinder größer und das bei recht guter Gesundheit. Der Geschmack änderte sich mit der Zeit bei beiden. Die eine entdeckte die Liebe zum Salat, die andere lies immer mehr „schwierigere“ Gerichte auf der familiären Menükarte zu. Zudem wurde das Abendessen bei zunehmend volleren Terminplänen aller Familienmitglieder immer mehr zum kommunikativen Treff- und Austauschpunkt. Gemeinsam Essen um alle erlebten Dinge zu besprechen, zu erzählen und Dinge zu planen bekam einen festen Stellenwert, den alle genießen. Also das Essen selber – nicht das drumrum. Tischdecken und wieder abdecken, Küche sauber machen, Geschirrspüler ein- und ausräumen, sollte doch in fester Elternhand bleiben … meinen die Kinder.

In den letzten Jahren schlich sich eine neue Variante des Küchenlebens bei uns ein. Die eine Tochter, immer schon experimentell begeistert, entdeckte das Backen. Nach etlichen Versuchen ohne Rezept … wozu auch … stellten sich recht leckere Erfolge ein. Heute kann ich genussvoll und recht bequem sagen, das kann sie besser als ich und darf mich dezent aus diesem Bereich zurückziehen. Die andere hat die bewusste Ernährung entdeckt. Salat aß sie immer schon gerne, nun stand Gemüse in allen Varianten auf dem Einkaufszettel – meistens an erster Stelle – Karotten!

Zum Leidwesen der Eltern zieht die eine Tochter die andere mit. Die Diskussion über das Essen wird härter. Vollkornnudeln statt normale Weizennudeln. Wildreis statt Basmati-Reis. Vollkornbrot statt Weizenbrot. Und warum, um Himmels willen, immer Fleisch. Spinatbrätlinge statt Frikadellen. Salat und Gemüse tut’s auch und weil sich die Mutter weigert vollkommen auf Rohkost umzustellen, steht das Kind nun selber in der Küche und schnipselt. Gesund, bewusst, vitaminreich, wenig Kohlenhydrate … die Salatdomäne habe ich auch abgegeben. Ich darf – noch – kochen.

Ich gebe gerne zu, dass ich von den Töchtern lerne und so peu a peu schon einiges in mein Repertoire übernommen habe. Aber ich werde nun mal nicht vollkommen vegetarisch, liebe meine Mayonnaise und gebe hin und wieder meinem Heißhunger auf eine Currywurst gewissenlos nach. Ich habe immer schon Mütter bewundert, die stolz erzählten, dass ihr Nachwuchs alles isst und was sie für schöne Sachen im Bioladen erstanden haben. Habe ich alles nicht erlebt und gemacht. Und nach jeder harten Diskussion mit meinen großen Töchtern, was wir als nächstes essen, freue ich mich schon auf meine heimliche Genugtuung … die Ess-Gewohnheiten meiner potentiellen Enkelkinder. Denen werde ich dann sehr genüsslich erzählen, dass ihre Oma auch keine Karotten mag.