Heinrich saß auf der Bank …

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… und grübelte über alles mögliche nach. Eigentlich grübelte er gar nicht – er muffelte vor sich hin. Gleich von morgens an war die schlechte Laune sein Begleiter, was sich im Laufe des Tages auch nicht ändern sollte. Nach der Arbeit holte er sich auf dem Nachhauseweg einen Kaffee und setzte sich auf die Bank. Vielleicht kam ja so ein Hauch guter Laune vorbei.

Vor ihm liefen die Leute emsig beschäftigt von einem Geschäft in das andere. Nach jedem Geschäft mit mehr Tüten bepackt. Männer, die eher wie Lastenheber wirkten. Frauen, denen die Angst ins Gesicht geschrieben stand, nicht alles zu bekommen. Kinder, die lieber woanders wären, als hier aufzupassen, dass sie nicht überrannt werden. Viele Leute, alle mit sich selbst beschäftigt. Keiner, der einen Blick dafür hatte, dass überall schöne Weihnachtsdeko hing. Und Heinrich konnte nicht mitmachen … das ärgerte ihn am meisten.

Er hatte sich seinen Weihnachtswunsch schon erfüllt. Heinrich wollte einen riesengroßen Fernseher haben. Den hat er sich seit sieben Monaten zusammen gespart. Jetzt mit dem letzten Gehalt hatte er das Geld zusammen und nach dem Kauf soviel übrig, dass er noch so gerade über den Monat kam. Mehr aber auch nicht. Hätte er doch einen Monat gewartet. Das war der Grund für seinen Ärger. Jetzt hatte er das Riesending zuhause stehen, aber nix mehr übrig für die Fahrkarte zu Muttern oder für irgendwelche anderen Annehmlichkeiten, die man sich zu Weihnachten gönnt. Frohes Fest aber auch.

Aus dem Augenwinkel heraus beobachtete er einen Stadtstreicher, der immer näher in seine Richtung kam. „Bitte nicht hierher, nicht hier auf die Bank,“ dachte Heinrich. Er wollte doch alleine sein. Alleine mit seinem lauwarmen Kaffee. Aber denkste. Natürlich kam der Mann immer näher und fragte mit einem freundlichen Lächeln, ob hier noch frei sei. War’s ja wohl offensichtlich und Heinrich hatte zwar schlechte Laune, aber unhöflich war er nicht. „Ich bin Kalle!“ sagte der Stadtstreicher. „Heinrich“ stellte er sich vor und dachte nur, dass er sich bloß nicht unterhalten wollte. „Schlechte Laune, wie?“ fragte Kalle. Heinrichs Stirnfalte zog sich verdächtig zusammen: „Wie willste das denn wissen?“ „Na, ich hab den Blick, weißte. Den bekommt man hier unter den Leuten! Das lernt man. Das muss man lernen,“ sagte Kalle und freute sich über seine Erkenntnis. Heinrich fühlte sich ertappt.

Kalle breitete sich auf der Bank aus. Der hatte ja eine ganze Menge Gepäck. Tüte hierher, Tasche da rüber, Tüte auf die andere Tüte und so dauerte es eine Weile, bis Kalle alles so hingepackt hatte, dass er gemütlich sitzen konnte. „Muss alles seine Ordnung haben, weißte!“ sagte er mit einem Zwinkern zu Heinrich. „Und jetzt erzähl mal, Junge.“ … Heinrich drehte ganz langsam den Kopf zu Kalle … wie, um Himmels willen, kam der alte Mann darauf, dass er ihm jetzt was erzählen wollte. Als er Kalle frontal ins Gesicht schaute, sagt der nur: „Dir ist doch ne Laus über die Leber gelaufen … lass sie raus, dann wird’s leichter!“ und strahlte den Jüngeren entwaffnend an. Heinrich schüttelte langsam den Kopf, aber innerlich musste er grinsen. Der Alte war schon irgendwie locker drauf. Ein großer Seufzer kam von ganz alleine aus ihm heraus und ohne, dass er es eigentlich wollte, erzählte Heinrich von seinem Groll.

„So, ein Fernseher also. Ein riesengroßer Fernseher. Junge, hol uns mal einen warmen Kaffee und dann unterhalten wir uns mal über Fernseher.“ Kalle saß auf der Bank, in seine Taschen und Tüten eingepackt, wie der Großvater, der gleich eine spannende Geschichte erzählen wollte. Heinrich brachte nur ein leises „Ok!“ heraus und kurze Zeit später hatten beide das wärmende Getränk in der Hand. Jetzt war Heinrich gespannt, was Kalle für Weisheiten über Fernseher von sich geben würde. Langsam machte ihm die Geschichte Spaß.

„Also, dein Fernseher. Da hast du dir ja was Tolles geleistet. Und was hast du jetzt davon? Alles was der kann, hast du hier draußen auch. Und trotzdem bist du hier frei. Kannst hingehen, wohin du willst und dir immer wieder neue `Programme´ aussuchen … ohne dass es irgendwas kostet.“ behauptete Kalle und machte eine gönnerhafte Bewegung mit der Hand. „Hä, wieso das denn?“ fragte Heinrich, „Wo hab ich hier Sport, Spielfilm, Politik, Unterhaltung, Musik … ?“ Kalle fing schon wieder an sein entwaffnendes Lächeln aufzusetzen. „Na, überleg doch mal. Um Sport zu gucken, gehe ich nachmittags auf den Bolzplatz. Wenn die Jungs mit der Schule fertig sind, wollen die sich bewegen. Da gibt’s die spannendsten Spiele. Ein bisschen dramatischer wird’s dann vor dem Gericht. Da kannste manchmal sogar Tränen sehen. Oder du suchst dir einen guten Platz vor einem Kaffee in dem sich Paare treffen … da spürst du die Herzchen förmlich in der Luft. Politik gucke ich vor der Polizeiwache oder vorm Rathaus. Mit ein bisschen Fantasie kann ich mir die interessantesten Geschichten zusammenreimen, von denen ich in der Zeitung gelesen habe. Unterhaltung hab ich überall – dafür brauche ich nicht so eine Kiste, die mich festnagelt. Fehlt noch Musik. Also dafür muss man eigentlich nur wissen, wo die Musikschule ist oder das Blasorchester jede Woche übt.“ „Und wo guckst du Kochsendungen?“ warf Heinrich ein. „Oh, die hab ich über die ganze Stadt verteilt. Glaub mir, wenn man frei ist, so wie ich, dann weiß man schon, wo die besten Köche sind. Das sind die mit Herz. Die, die etwas übrig haben.“ Heinrich guckte verlegen in seinen Kaffeebecher. Da war ja schon was dran, was der da von sich gab.

„Nicht schlecht, Kalle!“ gab er nach einer Weile zu. „darüber muss ich mir mal Gedanken machen. Unter Leute gehen, willste mir bestimmt damit sagen. Mich mit einfachen Sachen begnügen. Im Kleinen suchen, womit ich zufrieden sein kann.“ Kalle hielt ihm als Antwort nur seinen leeren Kaffeebecher hin. „Für noch’n Kaffee, gibt’s noch ein paar Lebensweisheiten.“ Jetzt musste Heinrich lachen. „Nee, Kalle, jetzt schalten wir mal das Programm um. Ich hab Hunger und für ne Doppelte Portion Currywurst und Pommes reicht mein Geld allmal noch.“ Kurze Zeit später war die Bank leer. Etwas weiter liefen zwei Männer mit vielen Taschen und Tüten, die rege diskutierten und anfingen die Welt zu verbessern. Der Hauch guter Laune war ja doch an der Bank vorbeigekommen.

 

Ess-Gewohnheiten und die Karotten

Foto: ©Visions-AD-Fotolia.com

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Mit einer Karotte hat alles angefangen. Als junge Mutter las ich in verschiedenen Ratgebern, mein Kind müsse Karotten essen, damit es vitaminreich und gesund aufwachsen kann. Also versuchte ich es: Karotten mit Kartoffeln gekocht + püriert, Karotten mit Apfel frisch + geraspelt, Karotten am Stück, Karotten im Gläschen von Firma X, Y und Firma Z. Karotten versteckt im Nudelsüppchen und so weiter. Das Ergebnis war immer das gleiche. Das Kind spuckte die Karotten wieder aus und musste ohne diese vollwertige, gesunde Nahrungsmöglichkeit groß werden. Auch beim zweiten Kind scheiterte der Karottenversuch kläglich … es machte erst gar nicht den Mund auf, wenn irgendetwas das (nach mütterlicher Ansicht) gesunder Ernährung entsprach, in seine Nähe kam. Karotten wurden vom familiären Speiseplan gestrichen. Im Laufe der Jahre änderten sich dann die Essgewohnheiten der Kinder immer wieder mal. Jetzt, fast zwei Jahrzehnte später, habe ich eine Gemüse- und eine Obstfanatikerin zuhause, die fast tägliche Einkäufe für „Frischfutter“ notwendig machen. Gesunde Ernährung ist bei uns angesagt, die die Ess-Gewohnheiten der Eltern auf eine harte Probe stellt.

Dabei muss ich gestehen, dass Ernährung oder gesunde Ernährung in meiner ersten Lebenshälfte kein Thema war. Trotzdem hatte ich immer einen sehr hohen Anspruch an gutes, leckeres Essen. War ja auch einfach. Mutter kochte ausgesprochen gut und es kam fertig auf den Tisch. Noch dazu war im Fünf-Kinder-Haushalt immer reichlich davon vorhanden. In den Single-Jahren siegte die Bequemlichkeit. Zwar war mir klar, wie das mit dem Kochen funktionierte, aber so ganz ohne Gesellschaft macht’s nun mal wenig Spaß. Dosensuppe, Tiefkühlpizza, Fertiggericht … ist ja einfach. Spiegelei war auch mal drin – Hauptsache schnell und einfach. Dann kam die Rosa-Wölkchen-Zeit und ich konnte plötzlich fantastisch kochen. Liebe geht ja durch den Magen und der Mann musste überzeugt werden – nachhaltig – lebenslänglich. Hat funktioniert, so schlecht kann’s nicht gewesen sein.

Danach kam die (Koch-)Zeit mit den Kindern. Das Karotten-Dilemma war schnell überwunden. Es wurde Zeit das Säuglingsalter und die fade Küche zu überstehen. Gewürze und wunder Po standen im direkten Zusammenhang – das stand auch in den erwähnten Ratgebern, genauso wie Hülsenfrüchte und Darmwinde. Vorsicht war geboten. Ganz langsam und meist heimlich zogen Salz, Pfeffer, Curry, Paprika, Basilikum, Knoblauch, Zwiebeln & Co. wieder in die Küche ein. Zwiebeln besonders heimlich, denn schnell erklärte der Nachwuchs, so etwas nicht zu essen. Also schnitt Muttern die Zwiebeln jahrelang heimlich, immer wenn der Nachwuchs mal nicht in der Küche war. Sprechende Kinder sind eh nicht förderlich für die Kochmotivation der Mütter. Aber gut, die Kinder aßen und der Balanceakt, ihrem Geschmacksdiktat zu entsprechen gelang.

Ich würde meine Küche für die Wachstumsphase meiner Kinder mal „Trennkost-Küche“ nennen. Was die eine nicht aß, aß die andere. Wichtig war, die Nahrungsmittel einzeln und nicht gemischt auf den Tisch zu stellen. Aufläufe, Gratins, Suppen … also Speisen, in denen sich ein außerfahrplanmäßiger Nahrungsbestandteil befinden könnte, waren nicht angesagt. Die Ketchup-Küche war immer gut genug alle satt zu bekommen. Erschwerend kam meine strikte Weigerung hinzu, für jedes Kind einzeln zu kochen. Das war die Domäne der Oma, die nicht nur für die Kinder, auch für den Sohn noch gesondert kochte. Noch schwöre ich, dass ich das niemals machen werde … arme Enkelkinder.

Mit der Zeit wurde es dann doch etwas besser. Erstaunlicherweise wurden die Kinder größer und das bei recht guter Gesundheit. Der Geschmack änderte sich mit der Zeit bei beiden. Die eine entdeckte die Liebe zum Salat, die andere lies immer mehr „schwierigere“ Gerichte auf der familiären Menükarte zu. Zudem wurde das Abendessen bei zunehmend volleren Terminplänen aller Familienmitglieder immer mehr zum kommunikativen Treff- und Austauschpunkt. Gemeinsam Essen um alle erlebten Dinge zu besprechen, zu erzählen und Dinge zu planen bekam einen festen Stellenwert, den alle genießen. Also das Essen selber – nicht das drumrum. Tischdecken und wieder abdecken, Küche sauber machen, Geschirrspüler ein- und ausräumen, sollte doch in fester Elternhand bleiben … meinen die Kinder.

In den letzten Jahren schlich sich eine neue Variante des Küchenlebens bei uns ein. Die eine Tochter, immer schon experimentell begeistert, entdeckte das Backen. Nach etlichen Versuchen ohne Rezept … wozu auch … stellten sich recht leckere Erfolge ein. Heute kann ich genussvoll und recht bequem sagen, das kann sie besser als ich und darf mich dezent aus diesem Bereich zurückziehen. Die andere hat die bewusste Ernährung entdeckt. Salat aß sie immer schon gerne, nun stand Gemüse in allen Varianten auf dem Einkaufszettel – meistens an erster Stelle – Karotten!

Zum Leidwesen der Eltern zieht die eine Tochter die andere mit. Die Diskussion über das Essen wird härter. Vollkornnudeln statt normale Weizennudeln. Wildreis statt Basmati-Reis. Vollkornbrot statt Weizenbrot. Und warum, um Himmels willen, immer Fleisch. Spinatbrätlinge statt Frikadellen. Salat und Gemüse tut’s auch und weil sich die Mutter weigert vollkommen auf Rohkost umzustellen, steht das Kind nun selber in der Küche und schnipselt. Gesund, bewusst, vitaminreich, wenig Kohlenhydrate … die Salatdomäne habe ich auch abgegeben. Ich darf – noch – kochen.

Ich gebe gerne zu, dass ich von den Töchtern lerne und so peu a peu schon einiges in mein Repertoire übernommen habe. Aber ich werde nun mal nicht vollkommen vegetarisch, liebe meine Mayonnaise und gebe hin und wieder meinem Heißhunger auf eine Currywurst gewissenlos nach. Ich habe immer schon Mütter bewundert, die stolz erzählten, dass ihr Nachwuchs alles isst und was sie für schöne Sachen im Bioladen erstanden haben. Habe ich alles nicht erlebt und gemacht. Und nach jeder harten Diskussion mit meinen großen Töchtern, was wir als nächstes essen, freue ich mich schon auf meine heimliche Genugtuung … die Ess-Gewohnheiten meiner potentiellen Enkelkinder. Denen werde ich dann sehr genüsslich erzählen, dass ihre Oma auch keine Karotten mag.