Die Frau auf der Bank

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Zuhause, wenn wir uns zum Essen an den großen Tisch setzen, hat jeder von uns seinen Stammplatz. Das ist nicht gewollt und hat sich mit der Zeit ergeben. Von meinem Stuhl aus schaue ich genau auf den kleinen Platz vor unserem Haus. An beiden Seiten der Wiese des Platzes steht jeweils eine Bank und ich kann die linke der beiden beobachten. Viel ist dort nicht los, aber hin und wieder sitzt jemand auf der Bank und ruht sich etwas aus. Vor kurzem saßen wir an einem Sonntag beim Frühstück und unterhielten uns. Aus dem Augenwinkel, ohne dem Aufmerksamkeit zu schenken, nahm ich wahr, dass sich eine Frau auf die Bank setzte. Wir beendeten das Frühstück nach einiger Zeit. Ich räumte den Frühstückstisch auf und schaute danach wieder aus dem Fenster. Sie saß immer noch dort – die Frau auf der Bank.

Ich bin mir nicht ganz sicher, warum mir gerade diese Frau auffiel. Ich schätzte sie über 50 Jahre. Sie war vollständig mit einem hellblauen Gewand gekleidet – einem hellblauen Mantel und hellblauen Kopftuch, das über die Schultern ging. Das Gesicht, die Hände und Schuhe waren frei. Sie saß alleine dort und bewegte sich kaum. Es war ein schönes und ruhiges Bild, was an diesem Sonntag und in den darauf folgenden Tagen bis heute nicht mehr aus meinem Kopf ging. Auch eine Stunde später saß sie dort, zwei weitere Stunden später und bis in den frühen Nachmittag hinein. Mal saß sie auf der rechten Seite der Bank, mal links. Mal saß sie mit überkreuzen Händen dort, mal hatte sie die Ellenbogen auf den Knien und stützte den Kopf oder legte die Hände seitlich auf die Bank. Mehr Bewegungen gab es nicht. Es war ein schönes und ruhiges Bild und doch war es traurig, aber es zog mich immer wieder an und ich schaute öfter, ob sie noch dort sitzt.

Mehr als das, was ich gesehen habe, weiß ich nicht über sie. Ich weiß nicht wie sie heißt oder woher sie gekommen ist. Auch nicht wohin sie ging. Ich vermute, dass sie aus einem fremden Land kam, sonst hätte sie nicht eine solche Tracht getragen. Ich weiß nicht, was sie dazu bewogen hat einen ganzen Sonntag auf einer Bank im Sonnenschein zu verbringen. Und gerade das lässt mich immer wieder an sie denken. Was hat sie gedacht, woran hat sie sich erinnert, was hat sie beschäftigt. 

Was hat sie erlebt? Ich nehme an, dass sie in der Erstaufnahme-Einrichtung an unserer Ecke wohnt. Die Menschen, die dort leben, kommen aus den unterschiedlichsten Ländern. Alle haben einen weiten Weg hinter sich. Alle haben Geschichten hinter sich, die sie berechtigen, von einer Notunterkunft in eine Erstaufnahme-Einrichtung zu wechseln. Das bedeutet, sie sind geduldet in unserem Land. Um geduldet zu sein, muss man Gründe haben oder Geschichten erlebt haben, die alles andere als angenehm, eventuell sogar existenzgefährdend oder lebensbedrohlich sind. Sie sind geduldet – das bedeutet auch, dass sie nicht wissen, wie die Zukunft aussehen wird. Es sind Menschen, die nur von einem Tag auf den anderen leben und planen können. Die sich mit den Gegebenheiten in der Einrichtung arrangieren müssen, ganz gleich ob im Nebenzimmer vielleicht sogar Menschen aus einem verfeindeten Land leben. Sie müssen warten bis unsere Behörden reagieren und ihnen vielleicht zugestehen, dass sie länger bei uns leben dürfen. Sie sind auf andere Menschen angewiesen, die ihnen vorschreiben, ob und wie ein Neuaufbau ihres Lebens möglich wird. Sie dürfen nicht über ihr eigenes Fortkommen entscheiden. Sie müssen aushalten … jeden Tag aufs neue. Die Vorstellung, meine persönlichen Geschicke von anderen entscheiden lassen zu müssen, macht mich wütend!

Welchen Weg hat sie genommen? Ist sie alleine oder mit ihrer Familie zu uns gekommen. In welchem Land hat diese Reise begonnen und was hat sie erlebt, das sie zu dieser Reise gezwungen war? Waren es nur Landwege oder musste sie auch über das Wasser? Das Meer, in dem auch in diesem Sommer so viele Menschen ertrinken. Das gleiche Meer, das uns im Sommer so viel Freude machte. Hat sie erlebt, wie Menschen ertranken? Musste sie an versperrten Grenzen und in trostlosen Lagern warten? War sie auf menschenverachtende Schlepper angewiesen, die ihr und ihrer Familie das letzte Geld abnahmen? Was hat sie gefühlt, als sie doch unsere Grenze erreichen und einreisen durfte? Wie wurde sie bei uns aufgenommen? Ich bin mir sicher, dass ihre Reise keine angenehme war – eine Reise, an deren Ende keiner weiß, wie das Leben weitergehen wird. Allein die Vorstellung alles hier und heute liegen zu lassen und zu wissen, dass ich es nie wieder so sehen werde, macht mir Angst!

Wo ist ihre Familie? Warum sitzt sie einen ganzen Tag alleine auf einer Bank. Ist es in der Unterkunft so eng und laut, dass sie einfach ein paar Stunden Ruhe braucht oder ist sie überhaupt allein? Konnte sie mit der ganzen Familie hierher kommen oder musste sie geliebte Menschen zurücklassen? Hat sie im Krieg in ihrem Land schon den Mann, den Sohn oder Töchter verloren? Was denkt sie bei der Vorstellung nie wieder auf dem heimischen Markt ihre Nachbarn und Bekannte zu treffen. Wie geht es ihr, wenn sie hier beim Einkauf im Supermarkt argwöhnisch betrachtet wird? Hat sie jemanden hier mit dem sie zusammen lachen kann? In den südlichen Ländern hat Familie eine ganz andere Bedeutung und Zusammenhalt als bei uns. Trotzdem graut mir vor dem Gedanken auf irgendeinen von meinen liebsten Menschen verzichten zu müssen!

So könnte ich lange weiter hinterfragen und versuchen zu ergründen, was in dieser Frau vorging. Dachte sie eher an die Vergangenheit oder an die Zukunft? Ich werde es nie erfahren. Trotzdem war sie für mich mehr, als nur eine Frau auf einer Bank. Sie war Anlass, mir wieder und wieder über die Menschen Gedanken zu machen, die zu uns kommen. Menschen, die ganz gleich aus wirtschaftlicher Not oder lebensbedrohlichen Umständen hierher zu uns fliehen. Sie war Anlass, mir selber deutlich zu machen, welchen Luxus ich erleben darf und auf welchem Niveau ich zuweilen klage. Sie macht mir gerade in diesen Tagen klar, wie absurd es ist über ein Burka oder Burkini-Verbot zu streiten und statt dessen lieber die Frau in den Mittelpunkt gerückt werden müsste, die solche Trachten trägt. Das Bild dieser Frau, liebe Freunde mit rechten Gedankengut und ihr besorgten Bürger, hat mich insofern bedroht, als das es mich zwang darüber nachzudenken, mit welch abfälligem Niveau und wie oberflächlich wir mit Fremden umgehen.

Ich habe mich später sehr über mich geärgert. Irgendwann hätte ich hinüber gehen sollen und ihr wenigstens etwas zu trinken anbieten können. Habe ich leider nicht – weil sie so fremd aussah? Am späten Nachmittag ging ich mit meinem Mann und dem Hund aus dem Haus. Im Weggehen schaute ich über die Straße. Sie hob den Kopf und lächelte mich an. Ich war dankbar – sie hatte zumindest ihr Lächeln nicht auf dem langen Weg verloren und mir einen winzigen persönlichen Moment geschenkt. Als wir wiederkamen war die Bank leer. Das Bild dieser Frau ist bis heute geblieben.  

Heinrich saß auf der Bank …

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… und grübelte über alles mögliche nach. Eigentlich grübelte er gar nicht – er muffelte vor sich hin. Gleich von morgens an war die schlechte Laune sein Begleiter, was sich im Laufe des Tages auch nicht ändern sollte. Nach der Arbeit holte er sich auf dem Nachhauseweg einen Kaffee und setzte sich auf die Bank. Vielleicht kam ja so ein Hauch guter Laune vorbei.

Vor ihm liefen die Leute emsig beschäftigt von einem Geschäft in das andere. Nach jedem Geschäft mit mehr Tüten bepackt. Männer, die eher wie Lastenheber wirkten. Frauen, denen die Angst ins Gesicht geschrieben stand, nicht alles zu bekommen. Kinder, die lieber woanders wären, als hier aufzupassen, dass sie nicht überrannt werden. Viele Leute, alle mit sich selbst beschäftigt. Keiner, der einen Blick dafür hatte, dass überall schöne Weihnachtsdeko hing. Und Heinrich konnte nicht mitmachen … das ärgerte ihn am meisten.

Er hatte sich seinen Weihnachtswunsch schon erfüllt. Heinrich wollte einen riesengroßen Fernseher haben. Den hat er sich seit sieben Monaten zusammen gespart. Jetzt mit dem letzten Gehalt hatte er das Geld zusammen und nach dem Kauf soviel übrig, dass er noch so gerade über den Monat kam. Mehr aber auch nicht. Hätte er doch einen Monat gewartet. Das war der Grund für seinen Ärger. Jetzt hatte er das Riesending zuhause stehen, aber nix mehr übrig für die Fahrkarte zu Muttern oder für irgendwelche anderen Annehmlichkeiten, die man sich zu Weihnachten gönnt. Frohes Fest aber auch.

Aus dem Augenwinkel heraus beobachtete er einen Stadtstreicher, der immer näher in seine Richtung kam. „Bitte nicht hierher, nicht hier auf die Bank,“ dachte Heinrich. Er wollte doch alleine sein. Alleine mit seinem lauwarmen Kaffee. Aber denkste. Natürlich kam der Mann immer näher und fragte mit einem freundlichen Lächeln, ob hier noch frei sei. War’s ja wohl offensichtlich und Heinrich hatte zwar schlechte Laune, aber unhöflich war er nicht. „Ich bin Kalle!“ sagte der Stadtstreicher. „Heinrich“ stellte er sich vor und dachte nur, dass er sich bloß nicht unterhalten wollte. „Schlechte Laune, wie?“ fragte Kalle. Heinrichs Stirnfalte zog sich verdächtig zusammen: „Wie willste das denn wissen?“ „Na, ich hab den Blick, weißte. Den bekommt man hier unter den Leuten! Das lernt man. Das muss man lernen,“ sagte Kalle und freute sich über seine Erkenntnis. Heinrich fühlte sich ertappt.

Kalle breitete sich auf der Bank aus. Der hatte ja eine ganze Menge Gepäck. Tüte hierher, Tasche da rüber, Tüte auf die andere Tüte und so dauerte es eine Weile, bis Kalle alles so hingepackt hatte, dass er gemütlich sitzen konnte. „Muss alles seine Ordnung haben, weißte!“ sagte er mit einem Zwinkern zu Heinrich. „Und jetzt erzähl mal, Junge.“ … Heinrich drehte ganz langsam den Kopf zu Kalle … wie, um Himmels willen, kam der alte Mann darauf, dass er ihm jetzt was erzählen wollte. Als er Kalle frontal ins Gesicht schaute, sagt der nur: „Dir ist doch ne Laus über die Leber gelaufen … lass sie raus, dann wird’s leichter!“ und strahlte den Jüngeren entwaffnend an. Heinrich schüttelte langsam den Kopf, aber innerlich musste er grinsen. Der Alte war schon irgendwie locker drauf. Ein großer Seufzer kam von ganz alleine aus ihm heraus und ohne, dass er es eigentlich wollte, erzählte Heinrich von seinem Groll.

„So, ein Fernseher also. Ein riesengroßer Fernseher. Junge, hol uns mal einen warmen Kaffee und dann unterhalten wir uns mal über Fernseher.“ Kalle saß auf der Bank, in seine Taschen und Tüten eingepackt, wie der Großvater, der gleich eine spannende Geschichte erzählen wollte. Heinrich brachte nur ein leises „Ok!“ heraus und kurze Zeit später hatten beide das wärmende Getränk in der Hand. Jetzt war Heinrich gespannt, was Kalle für Weisheiten über Fernseher von sich geben würde. Langsam machte ihm die Geschichte Spaß.

„Also, dein Fernseher. Da hast du dir ja was Tolles geleistet. Und was hast du jetzt davon? Alles was der kann, hast du hier draußen auch. Und trotzdem bist du hier frei. Kannst hingehen, wohin du willst und dir immer wieder neue `Programme´ aussuchen … ohne dass es irgendwas kostet.“ behauptete Kalle und machte eine gönnerhafte Bewegung mit der Hand. „Hä, wieso das denn?“ fragte Heinrich, „Wo hab ich hier Sport, Spielfilm, Politik, Unterhaltung, Musik … ?“ Kalle fing schon wieder an sein entwaffnendes Lächeln aufzusetzen. „Na, überleg doch mal. Um Sport zu gucken, gehe ich nachmittags auf den Bolzplatz. Wenn die Jungs mit der Schule fertig sind, wollen die sich bewegen. Da gibt’s die spannendsten Spiele. Ein bisschen dramatischer wird’s dann vor dem Gericht. Da kannste manchmal sogar Tränen sehen. Oder du suchst dir einen guten Platz vor einem Kaffee in dem sich Paare treffen … da spürst du die Herzchen förmlich in der Luft. Politik gucke ich vor der Polizeiwache oder vorm Rathaus. Mit ein bisschen Fantasie kann ich mir die interessantesten Geschichten zusammenreimen, von denen ich in der Zeitung gelesen habe. Unterhaltung hab ich überall – dafür brauche ich nicht so eine Kiste, die mich festnagelt. Fehlt noch Musik. Also dafür muss man eigentlich nur wissen, wo die Musikschule ist oder das Blasorchester jede Woche übt.“ „Und wo guckst du Kochsendungen?“ warf Heinrich ein. „Oh, die hab ich über die ganze Stadt verteilt. Glaub mir, wenn man frei ist, so wie ich, dann weiß man schon, wo die besten Köche sind. Das sind die mit Herz. Die, die etwas übrig haben.“ Heinrich guckte verlegen in seinen Kaffeebecher. Da war ja schon was dran, was der da von sich gab.

„Nicht schlecht, Kalle!“ gab er nach einer Weile zu. „darüber muss ich mir mal Gedanken machen. Unter Leute gehen, willste mir bestimmt damit sagen. Mich mit einfachen Sachen begnügen. Im Kleinen suchen, womit ich zufrieden sein kann.“ Kalle hielt ihm als Antwort nur seinen leeren Kaffeebecher hin. „Für noch’n Kaffee, gibt’s noch ein paar Lebensweisheiten.“ Jetzt musste Heinrich lachen. „Nee, Kalle, jetzt schalten wir mal das Programm um. Ich hab Hunger und für ne Doppelte Portion Currywurst und Pommes reicht mein Geld allmal noch.“ Kurze Zeit später war die Bank leer. Etwas weiter liefen zwei Männer mit vielen Taschen und Tüten, die rege diskutierten und anfingen die Welt zu verbessern. Der Hauch guter Laune war ja doch an der Bank vorbeigekommen.

 

Das Gespräch zwischen Jung und Alt

Foto: Günther Kloppert

Foto: Günther Kloppert

An einem See steht eine Bank, drumherum liegen grüne Wiesen und ein Wäldchen in der Nähe. Dahinter ein Tennisplatz, von dem immer wieder die gleichen Geräusche zu hören sind – plog, plog, … plog. Etwas weiter entfernt spaziert ein Pärchen mit einem Hund, dem sie Stöcke zuwerfen und auf dem See schwimmt eine junge Entenfamilie. Es ist später Nachmittag und die Luft noch mild.

Auf der Bank sitzt ein alter Mann. Er denkt über eine Begebenheit nach, die er gerade erlebt hat und die ihm sehr nahe geht. Was um ihn herum passiert bekommt er eigentlich nicht mit. So vergeht eine Weile bis ein zweiter Mann, ein jüngerer, kommt und sich neben ihn auf die Bank setzt. Natürlich mit einem kleinen Abstand, nur nicht zu nah. Sie sprechen nicht, bemerken einander kaum und grübeln. Von weitem ist eine Radfahrerin zu sehen und das Pärchen mit dem Hund verschwindet aus dem Blickfeld. Sonst passiert nichts außer dem Geräusch vom Tennisplatz.

„Warum haben sie das gesagt?“, fragt der junge Mann mit einem Mal laut, grübelt und sagt nichts weiter. – Der Ältere stutzt und überlegt: Tja, warum haben sie das gesagt. Es soll ein Fest geben, aber sie wollen ihn nicht mehr dabei haben. Er sei zu alt und es wäre zu anstrengend für ihn. Wann ist man zu alt um nicht mehr dabei sein zu können? Wann ist man zu alt um nicht mal zu den Gesprächen etwas beizutragen zu können? – Der junge Mann denkt über seine Situation nach, die er erlebt hatte und die auch seine Gedankenwelt durcheinander brachte. Er bekam zu hören, er sei zu jung. Die anderen wollten eine Aktion planen, aber er könne noch nicht mithelfen. Er hätte noch keine Erfahrung mit so etwas und könne nicht mitreden. – Beide können nicht verstehen, dass sie bei etwas nicht dabei sein sollen, weil sie entweder zu jung oder zu alt sind.

„Wieso tun sie das nur“, fragt nun der alte Mann laut. Und der Junge überlegt, dass das eigentlich seine Frage ist und sagt: „Das frag´ ich mich auch gerade.“ – Wieso tun sie so etwas einfach und merken nicht, wie es ihn verletzt. Er wollte doch zeigen, dass er sich vorbereitet hat und durchaus etwas zu sagen hätte. Dass er neue Ideen entworfen hatte, die das Ganze bereichert hätten. Der Alte nimmt kaum wahr, was der andere gesagt hatte, kämpft mit sich und den Gefühlen, weil auch er nicht versteht, wie man einem anderen so weh tun kann. Er könnte noch so viele Geschichten und Erinnerungen erzählen, die sie doch gar nicht kennen.

„Warum sind sie so?“, sagt jetzt der Junge, der die anderen doch eigentlich sehr mochte. Sie als Vorbilder sah, sich bewähren wollte, sein wollte wie sie. Hatte er sich doch getäuscht und sie für mehr gehalten als sie eigentlich sind? – „Ja, warum sind sie so geworden“, sagt der Alte, und glaubt, dass sie früher nicht so waren. Kommt es ihm so vor, weil er alt ist oder waren sie immer schon so? Beide kommen sich mit einem Mal so alleine und ausgeschlossen vor.

„Was soll ich denn nun tun“, überlegt dann der alte Mann laut. Der Junge schaut ihn kurz von der Seite an und sagt: „Gute Frage, alter Mann.“ Und wieder verharren beide in ihren Gedanken. Man hört nichts als die eintönigen Geräusche vom Tennisplatz … das Spiel müsste bald zu Ende sei. Zwei junge Frauen laufen vorbei, grüßen kurz „Guten Abend!“ und laufen schwatzend weiter. Eine zweite Entenfamilie schwimmt über den See. Die Sonne senkt sich langsam hinter den Bäumen ab.

„Und wo liegt jetzt die Lösung, verdammt“, schimpft der Junge. Er will einfach nicht glauben, dass dies das Ende seiner Pläne sein soll. Er hatte so gute Einfälle, so einen Elan und so eine Lust sich dafür stark zu machen. „Verdammt“, sagt der Alte, „da hast du recht … wo ist die Lösung? Das kann doch nicht alles gewesen sein.“ – Er kann nicht mehr springen, nicht mehr rennen, keine Bäume rauf klettern. Aber er kann denken und reden und zuhören und lachen. Beide überlegen was zu tun ist. Der eine, wie er als junger Mann einen Beitrag unter den älteren Erfahrenen leisten kann und der andere, wie er als alter Mann, die Welt der Jüngeren bereichern kann.

„Wer sollte mich denn aufhalten?“, meinte der Alte und seine Augen fangen an zu glänzen. Wieder schaut der Junge ihn von der Seite an, nickt anerkennend und meint: „Wer sollte mich aufhalten? Das ist wohl die richtige Frage.“ Wer sollte sich meinen guten Ideen in den Weg stellen. Ich mach´ weiter, überlege es mir gut und finde einen Weg. Und auch der Alte nickt, mehr für sich selber, doch ein Lächeln erscheint nun in seinem Gesicht. „Es gibt andere“, sagt er, „andere, die durchaus noch hören wollen, was ich zu sagen habe.“

Es ist leise, kein Geräusch kommt mehr vom Tennisplatz, dunkel und kühl wird es nun auch. Die Enten haben sich ins Schilf zurückgezogen. Spaziergänger sind nicht mehr zu sehen. Beide Männer stehen gleichzeitig auf, als ob sie sich abgesprochen hätten. Sie schauen sich kurz an und laufen wortlos in die gleiche Richtung. Als der Weg sich gabelt, schlägt der Junge den anderen Weg ein. Der Alte schaut ihm nach, der Junge dreht sich noch einmal um, schaut auch ihn an und sagt: „Danke – danke für das Gespräch!“ Der alte Mann nickt, lächelt und läuft zufrieden nach Haus.

Sie wissen beide nicht, was der andere erlebt hat. Und es ist auch nicht wichtig. Wichtig ist, sich hin und wieder einmal Gedanken zu machen, wie man mit Menschen umgeht, die nicht dem eigenen Alter entsprechen. Mit den Jüngeren oder mit den Älteren. Wenn wir uns die Zeit nehmen und ihnen genauer zuhören, würden wir sicherlich manches besser verstehen und feststellen, dass die Befindlichkeiten gar nicht so weit auseinander liegen.