Sie trauen sich!

Das Erste, woran ich mich in diesem Zusammenhang erinnern kann, sind die Überlegungen meiner älteren Tochter, wie sie bei uns zu Hause einen Kuchen backen kann. Das Besondere, er sollte eine Hertha BSC Dekoration bekommen und das alles, ohne dass ihr Vater es mitbekommt. Schon allein die Tatsache, dass sich dieses Kind an einen Kuchen wagen wollte, war ungewöhnlich, war das doch eher die Domäne der Jüngeren. Doch sie schaffte es. Der Kuchen wurde gebacken, dekoriert, duftete durchs ganze Haus und natürlich bekam der Vater es mit. Dazu muss man wissen, dass wir in einem reinen, unumstößlichen Hamburger SV Fan-Haushalt leben. Das Missfallen des Vaters war sicher und die Tochter in Erklärungsnot. Keine verlorene Wette, sondern ein Geburtstag. Es konnte nur ein Mann dahinter stecken.

Tat es auch. Die Informationen, die wir Eltern über die sich verändernde Lebenssituation der Tochter bekamen, waren spärlich. Auch die Schwester hielt dicht. Aber der verklärte und abwesende Blick der Tochter auf ihr Handy häufte sich. Kein Abendessen konnte schnell genug erledigt sein, damit sie wieder das Handy in die Hand nehmen konnte, um zu schauen, ob (seine) Nachrichten da sind. Es wurde immer deutlicher, besonders durch Abwesenheit. Die Tochter hatte einen Freund und es war ernst.

Tatsächlich kam nach einiger Zeit die Frage, ob der junge Mann einmal zum Abendessen kommen könne, was wir natürlich mit großer Begeisterung (oder Neugierde?) bejahten. Bis es so weit war, zeichneten sich haufenweise Szenarien vor unserem inneren Auge ab, wen sich die Tochter gewählt hatte. Ich denke, die Anlage für manch graues Haar wurde in dieser Zeit gelegt. Was, wenn er (in unseren Augen) der Falsche ist, die Chemie mit uns nicht stimmt, die Verliebtheit das Kind geblendet hat. Und überhaupt – ein Hertha-Fan. Es half nichts. Wir mussten da durch. – Er auch. Und sicher hatte er ebenso seine Szenarien im Kopf, ähnlich dem Film „Meine Braut, ihr Vater und ich“ mit Robert de Niro, in dem der Schwiegersohn beim Antrittsbesuch nicht nur jedes Fettnäpfchen mitnimmt, sondern die Familie nahezu in den Ruin treibt.

Nichts davon passierte bei uns. Der junge Mann, der uns besuchte, erfüllte noch viel besser als wir den Eindruck eines kultivierten Menschen. Frisch aus dem Büro kommend, korrekt und sehr schick gekleidet, ließ er uns in unserem Räuberzivil eher blass aussehen. Nun, ohne viel drumrum zu reden: Mein Kind hat gute Gene und so auch hier ihren guten Geschmack unter Beweis gestellt. Dieser Bewerber war vorstellbar, denn uncoolerweise denken Eltern ja gleich in Zukunftsperspektiven. Es war ein schöner Abend und wir haben viel gelacht.

Wenn über WhatsApp die Frage kommt: „Wie wäscht man Buntwäsche?“, weiß man als Eltern, dass sich der gemeinsame Lebensweg mit dem Kind in der Trennungsphase befindet. Bei uns bekam der Vater die Frage gestellt, denn entgegen dem gängigen Rollenverständnis war die Waschküche das Hoheitsgebiet des Vaters. Der erklärte auch gerne, was die Tochter wissen musste, womit sich ihre Besuche zu Hause weiter reduzierten. Nicht uneigennützig, muss man zugeben, bedeutet das für ihn ja weniger Arbeit. Und zufälligerweise befand sich die Arbeitsstelle der Tochter genau auf der anderen Straßenseite von der Wohnung des Freundes. Musste sie um sechs Uhr morgens anfangen zu arbeiten, klingelte ihr Wecker bei ihm um halb sechs. Bei uns hingegen um vier Uhr. Wir hatten verloren. Trotz Ein-Zimmerwohnung, Liebe macht das möglich, lebte das junge Paar in minimalistischen vier Wänden. Nun wurden wir „nur“ noch besucht.

Aber auch in dieser Sache machte der Gewöhnungseffekt ganze Arbeit. Der Mann an der Seite des Kindes war nicht nur sehr sympathisch, sondern wir mussten schnell feststellen, dass sich das junge Paar in allen positiven Eigenschaften perfekt ergänzte. Es passte einfach für die beiden und auch für uns. Die Eingangstür in die Familie stand offen. Er wurde uns vertraut und gehörte immer mehr dazu. Spätestens als an einem legendären Sonntag der Vater, HSV, mit dem potenziellen Schwiegersohn, Hertha, im Wohnzimmer ein gemeinsames Spiel beider Vereine zusammen anschauten und beide überlebten. Die friedliche Koexistenz beider Fußballfans täuschte aber zuweilen, je nach Punktestand und Tordifferenz des Gegners.

Ein weiterer Pluspunkt sollte sich herausstellen, als die Eltern beider selber zum Antrittsbesuch verabredet wurden. Wieder flogen die Gedanken durch die Köpfe, was wäre, wenn man sich nun so gar nicht grün wäre oder auf völlig anderen Planeten leben würde. Ich denke, das Magen-Grummeln war deutlichst zu hören. Aber: Glück gehabt – und mehr als das. So ein akzeptabler, eventuell mal, Schwiegersohn musste ja aus einem entsprechenden Elternhaus kommen. Und seine Eltern waren nicht nur sympathisch, sondern hatten beträchtliches Potenzial, einen neuen freundschaftlichen Familienzweig zu eröffnen. Wir verstanden uns von Anfang an und das war ein sehr schönes Gefühl, sicherlich auch für die Kinder.

Das Leben ist leider nicht immer nett zu uns und wir mussten uns vom Vater im Februar verabschieden. Es war hart und bei einem der ersten Gespräche kam die Frage der Tochter auf, wer sie nun zum Traualtar führen würde. Das Paar fing das erste Mal an, offen über Hochzeit zu sprechen. Sicher war es öfters schon Thema, nun hatte es zwar einen wehmütigen Anklang, war aber doch ein sehr tröstliches Zeichen, dass auch wir wieder feiern werden und in Zukunft denken. Trotz der Umstände und es war ok. Denn ganz besonders in dieser Trauersituation zeigte der junge Mann, wie stark er mit uns zusammen gewachsen war. Er war eine sehr besondere Stütze, nicht nur für die eine Tochter und ich war extrem dankbar dafür.

Den nächsten Kuchen wird ganz sicher nicht die Tochter backen, aber sie wird ihn mit ihrem Mann anschneiden. Er hat sich getraut zu fragen, nicht ohne sich vorher die Zustimmung der jüngeren Schwester zu holen. An einem verlängerten Urlaubswochenende zwischen den Dünen wurde mein Kind seine Verlobte. Sie wird seine Frau und ganz gleich, wer sie zum Traualtar führt, sie wird genau vom Richtigen empfangen.

Die Frau auf der Bank

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Zuhause, wenn wir uns zum Essen an den großen Tisch setzen, hat jeder von uns seinen Stammplatz. Das ist nicht gewollt und hat sich mit der Zeit ergeben. Von meinem Stuhl aus schaue ich genau auf den kleinen Platz vor unserem Haus. An beiden Seiten der Wiese des Platzes steht jeweils eine Bank und ich kann die linke der beiden beobachten. Viel ist dort nicht los, aber hin und wieder sitzt jemand auf der Bank und ruht sich etwas aus. Vor kurzem saßen wir an einem Sonntag beim Frühstück und unterhielten uns. Aus dem Augenwinkel, ohne dem Aufmerksamkeit zu schenken, nahm ich wahr, dass sich eine Frau auf die Bank setzte. Wir beendeten das Frühstück nach einiger Zeit. Ich räumte den Frühstückstisch auf und schaute danach wieder aus dem Fenster. Sie saß immer noch dort – die Frau auf der Bank.

Ich bin mir nicht ganz sicher, warum mir gerade diese Frau auffiel. Ich schätzte sie über 50 Jahre. Sie war vollständig mit einem hellblauen Gewand gekleidet – einem hellblauen Mantel und hellblauen Kopftuch, das über die Schultern ging. Das Gesicht, die Hände und Schuhe waren frei. Sie saß alleine dort und bewegte sich kaum. Es war ein schönes und ruhiges Bild, was an diesem Sonntag und in den darauf folgenden Tagen bis heute nicht mehr aus meinem Kopf ging. Auch eine Stunde später saß sie dort, zwei weitere Stunden später und bis in den frühen Nachmittag hinein. Mal saß sie auf der rechten Seite der Bank, mal links. Mal saß sie mit überkreuzen Händen dort, mal hatte sie die Ellenbogen auf den Knien und stützte den Kopf oder legte die Hände seitlich auf die Bank. Mehr Bewegungen gab es nicht. Es war ein schönes und ruhiges Bild und doch war es traurig, aber es zog mich immer wieder an und ich schaute öfter, ob sie noch dort sitzt.

Mehr als das, was ich gesehen habe, weiß ich nicht über sie. Ich weiß nicht wie sie heißt oder woher sie gekommen ist. Auch nicht wohin sie ging. Ich vermute, dass sie aus einem fremden Land kam, sonst hätte sie nicht eine solche Tracht getragen. Ich weiß nicht, was sie dazu bewogen hat einen ganzen Sonntag auf einer Bank im Sonnenschein zu verbringen. Und gerade das lässt mich immer wieder an sie denken. Was hat sie gedacht, woran hat sie sich erinnert, was hat sie beschäftigt. 

Was hat sie erlebt? Ich nehme an, dass sie in der Erstaufnahme-Einrichtung an unserer Ecke wohnt. Die Menschen, die dort leben, kommen aus den unterschiedlichsten Ländern. Alle haben einen weiten Weg hinter sich. Alle haben Geschichten hinter sich, die sie berechtigen, von einer Notunterkunft in eine Erstaufnahme-Einrichtung zu wechseln. Das bedeutet, sie sind geduldet in unserem Land. Um geduldet zu sein, muss man Gründe haben oder Geschichten erlebt haben, die alles andere als angenehm, eventuell sogar existenzgefährdend oder lebensbedrohlich sind. Sie sind geduldet – das bedeutet auch, dass sie nicht wissen, wie die Zukunft aussehen wird. Es sind Menschen, die nur von einem Tag auf den anderen leben und planen können. Die sich mit den Gegebenheiten in der Einrichtung arrangieren müssen, ganz gleich ob im Nebenzimmer vielleicht sogar Menschen aus einem verfeindeten Land leben. Sie müssen warten bis unsere Behörden reagieren und ihnen vielleicht zugestehen, dass sie länger bei uns leben dürfen. Sie sind auf andere Menschen angewiesen, die ihnen vorschreiben, ob und wie ein Neuaufbau ihres Lebens möglich wird. Sie dürfen nicht über ihr eigenes Fortkommen entscheiden. Sie müssen aushalten … jeden Tag aufs neue. Die Vorstellung, meine persönlichen Geschicke von anderen entscheiden lassen zu müssen, macht mich wütend!

Welchen Weg hat sie genommen? Ist sie alleine oder mit ihrer Familie zu uns gekommen. In welchem Land hat diese Reise begonnen und was hat sie erlebt, das sie zu dieser Reise gezwungen war? Waren es nur Landwege oder musste sie auch über das Wasser? Das Meer, in dem auch in diesem Sommer so viele Menschen ertrinken. Das gleiche Meer, das uns im Sommer so viel Freude machte. Hat sie erlebt, wie Menschen ertranken? Musste sie an versperrten Grenzen und in trostlosen Lagern warten? War sie auf menschenverachtende Schlepper angewiesen, die ihr und ihrer Familie das letzte Geld abnahmen? Was hat sie gefühlt, als sie doch unsere Grenze erreichen und einreisen durfte? Wie wurde sie bei uns aufgenommen? Ich bin mir sicher, dass ihre Reise keine angenehme war – eine Reise, an deren Ende keiner weiß, wie das Leben weitergehen wird. Allein die Vorstellung alles hier und heute liegen zu lassen und zu wissen, dass ich es nie wieder so sehen werde, macht mir Angst!

Wo ist ihre Familie? Warum sitzt sie einen ganzen Tag alleine auf einer Bank. Ist es in der Unterkunft so eng und laut, dass sie einfach ein paar Stunden Ruhe braucht oder ist sie überhaupt allein? Konnte sie mit der ganzen Familie hierher kommen oder musste sie geliebte Menschen zurücklassen? Hat sie im Krieg in ihrem Land schon den Mann, den Sohn oder Töchter verloren? Was denkt sie bei der Vorstellung nie wieder auf dem heimischen Markt ihre Nachbarn und Bekannte zu treffen. Wie geht es ihr, wenn sie hier beim Einkauf im Supermarkt argwöhnisch betrachtet wird? Hat sie jemanden hier mit dem sie zusammen lachen kann? In den südlichen Ländern hat Familie eine ganz andere Bedeutung und Zusammenhalt als bei uns. Trotzdem graut mir vor dem Gedanken auf irgendeinen von meinen liebsten Menschen verzichten zu müssen!

So könnte ich lange weiter hinterfragen und versuchen zu ergründen, was in dieser Frau vorging. Dachte sie eher an die Vergangenheit oder an die Zukunft? Ich werde es nie erfahren. Trotzdem war sie für mich mehr, als nur eine Frau auf einer Bank. Sie war Anlass, mir wieder und wieder über die Menschen Gedanken zu machen, die zu uns kommen. Menschen, die ganz gleich aus wirtschaftlicher Not oder lebensbedrohlichen Umständen hierher zu uns fliehen. Sie war Anlass, mir selber deutlich zu machen, welchen Luxus ich erleben darf und auf welchem Niveau ich zuweilen klage. Sie macht mir gerade in diesen Tagen klar, wie absurd es ist über ein Burka oder Burkini-Verbot zu streiten und statt dessen lieber die Frau in den Mittelpunkt gerückt werden müsste, die solche Trachten trägt. Das Bild dieser Frau, liebe Freunde mit rechten Gedankengut und ihr besorgten Bürger, hat mich insofern bedroht, als das es mich zwang darüber nachzudenken, mit welch abfälligem Niveau und wie oberflächlich wir mit Fremden umgehen.

Ich habe mich später sehr über mich geärgert. Irgendwann hätte ich hinüber gehen sollen und ihr wenigstens etwas zu trinken anbieten können. Habe ich leider nicht – weil sie so fremd aussah? Am späten Nachmittag ging ich mit meinem Mann und dem Hund aus dem Haus. Im Weggehen schaute ich über die Straße. Sie hob den Kopf und lächelte mich an. Ich war dankbar – sie hatte zumindest ihr Lächeln nicht auf dem langen Weg verloren und mir einen winzigen persönlichen Moment geschenkt. Als wir wiederkamen war die Bank leer. Das Bild dieser Frau ist bis heute geblieben.  

Besuch bei Carl – und noch ein Tattoo

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Hin und wieder bin ich fällig: Da finde ich keine Ausrede mehr mich vor einer Shoppingtour mit meinen Töchtern zu drücken. Erst die eine und dann die andere. Nach solchen Nachmittagen bin ich immer ziemlich platt. Vor Weihnachten war es wieder soweit und ich fügte mich in mein Schicksal mit der jüngeren Tochter durch die Läden zu ziehen. Zum Glück wusste sie ziemlich genau was sie will und schneller als ich gehofft hatte, saßen wir im Restaurant um uns mit einem Abschluss-Essen zu belohnen. Wir saßen uns gegenüber und unterhielten uns. Dabei fiel es mir wieder auf. Wir hatten uns so schnell daran gewöhnt, dass wir es kaum mehr wahrnehmen – das Tattoo an ihrem Handgelenk.

Es war ein langer Prozess bis dieses Tattoo an ihrem Handgelenk für immer verewigt war. Etwa mit 13 Jahren fasste sie den Entschluss einmal ein Tattoo zu tragen und ziemlich früh wusste sie, dass ein Notenschlüssel wegen ihrer Verbindung zur Musik ein Bestandteil sein würde. Aber es brauchte noch das richtige Alter und das Jahr vor dem 18. Geburtstag wurde oft mit Gesprächen und Diskussionen über Tätowierungen gefüllt. Es wurde greifbarer, dass sie ihren Plan in die Tat umsetzen konnte. Ich selber trage kein Tattoo und habe es für mich selber ausgeschlossen. Dennoch muss ich gestehen, dass auch für mich eine gewisse Faszination davon ausgeht. So habe ich schon einmal einen Bericht über das Anderssein in Bezug auf Tätowierungen geschrieben, der aber nichts mit der Tochter zu tun hatte. Doch es blieb Thema und in einem zweiten Bericht habe ich über die Auseinandersetzung von uns Eltern mit diesem Thema geschrieben. Schließlich, weil ich immer besser mit Dingen umgehen kann mit denen ich mich beschäftigt habe, kam ein dritter Bericht dazu, als ich beide Töchter in die Tattoo-Ausstellung nach Hamburg einlud. Später saß ich ein paar Mal mit der Tochter am Computer, wir probierten Notenschlüssel in Verbindung mit Schriftarten für ihren Schriftzug aus. Als das Motiv recht sicher war, fing sie an sich Studios anzusehen. Auf die Empfehlung von zwei Kollegen kam sie schließlich in das Tattoo-Studio von Carl. Dort stimmte offensichtlich die Chemie und das Gesagte passte zu ihrer Vorstellung. Der 18. Geburtstag stand bevor und der Termin wurde abgesprochen.

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Ich hatte gebeten dabei sein zu dürfen (… weil ich immer besser mit Dingen umgehen kann …), was auch sofort die Zustimmung der Tochter fand. Als wir schließlich hingegangen sind, glaube ich, war ich nervöser als die Hauptperson. Von beiden Töchtern bekam ich vorher die Info, dass Carl etwas anders sei. Er sei halt ein Typ, ein Charakter, eben nicht so ganz wie es in ein konservatives Bild passt. Ich weiß allerdings bis heute nicht, warum sie mich vorwarnten … oder warum sie glaubten mich vorwarnen zu müssen. 😉

„Welcome to Berlin Street Tattoo“ steht gleich auf der Startseite der Homepage des Studios und bei aller Andersartigkeit fühlt man sich durchaus gleich willkommen, wenn man sich über die Türschwelle wagt. Wir konnten uns kurz hinsetzen, ein paar Bücher mit Arbeiten ansehen und schon war Carl bei der Tochter um das Motiv und die Einwilligungserklärung zu besprechen. Für kurze Zeit ging er noch einmal zum Computer um das Motiv etwas zu modifizieren, überlegte mit der Tochter, von welcher Seite es lesbar sein sollte und schon saß sie in einer der Kabinen auf dem Stuhl.

Von dem Motiv hatte er eine Matrix hergestellt, ein Wachspapier, mit dem das Motiv auf die zu tätowierende Stelle aufgetragen wird. Das alles geschieht unter größtmöglicher Sauberkeit, gehen die Stiche ja tatsächlich unter die Haut, weshalb auch nur Einwegnadeln benutz werden. Ziemlich zu Anfang kann ich mich an seine Aussage erinnern, dass es heutzutage etwas besonderes sei, wenn man nicht tätowiert ist. Damit war klar, dass auch die (bildlose) Mutter ihn sympathisch finden musste! 🙂 Das Motiv saß schließlich am Handgelenk, Farben und Nadel wurde von ihm vorbereitet, die Schwester durfte die andere Hand halten und los ging es. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, aber das Gesicht meines Kindes blieb entspannt. Keine schmerzverzerrte Mine, kein Wehklagen, einfach nur gute Stimmung und interessante Gespräche. Carl war offensichtlich keine unserer Fragen zuviel. Redend und arbeitend konnte das Motiv auf dem Handgelenk wachsen.

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Gemalt hat Carl schon als kleiner Junge gerne und so sieht er seinen Beruf nicht als Handwerk, sondern eher als Leidenschaft zu Formen und Farben. Die bunten realistischen Tiermotive sind seine Welt, die wie Aquarelle auf Haut anmuten und zweifelsohne nicht zu den leichtesten Tattoo-Techniken gehören. Beigebracht hat er sich das alles selber, sogar die erste Maschine hat er selber gebaut, ist der Tätowierer doch kein anerkannter Beruf bei uns. Offiziell zählt das Studio zu den Kosmetikstudios, Rubrik Permanent Make-up. So erzählt er auch bald von den schwarzen Schafen der Branche, deren Motive, sogenannte Cover-ups, zu den häufigsten Arbeiten des Tagesgeschäfts gehören. Misslungene Motive werden dabei sozusagen „gerettet“. Darüber ärgert er sich offensichtlich, gehören doch verschiedene Dinge für ihn zu einem guten Tattoo.

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Er empfiehlt, sich vorher gut zu informieren und auf Mundpropaganda zu hören. Auf gute Beratung und Sauberkeit legt er hohen Stellenwert. Das Handwerkszeug muss stimmen und auch die Farbe muss in sehr guter Qualität zur Verfügung stehen. Farben finden in diesem Studio nur Verwendung, wenn sie von renommierten Händlern und in Deutschland hergestellt sind. Er nimmt sich die Freiheit von dem Tätowieren von Namen abzuraten und tätowiert keine Motive, mit denen er nicht einverstanden ist. Die Frage nach politischen Motiven beantwortet er recht knapp, da er sich nicht in irgendwelche Ecken drängen lassen würde und eben die Mundpropaganda ihr schädliches Zutun hätte. Eigentlich hätte sich die Frage auch von selbst beantwortet, wenn man die Namen seiner Kollegen hört. Carl, Murrat und Pierre haben jeder für sich ein Spezialgebiet im Bereich ihrer Kunst, mit dem sie alle möglichen Techniken abdecken können.

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Im Bezug auf die Namen verrät er noch, verschmitzt lächelnd, dass er selbst natürlich den Namen seiner Ehefrau trägt. Die wäre aber auch seine Traumfrau und er wisse ja, was er tut. So erzählend war die Arbeit am Handgelenk der Tochter schnell zu Ende gebracht. Das Handgelenk wurde eingecremt. Carl gab wichtige Hinweise für die Pflege in den ersten Tagen und Wochen und wir konnten ein schönes „Geschafft“-Foto machen. Alles in Allem muss ich sagen, dass es sehr viel Spaß gemacht hat. Eine wirklich sehr nette Atmosphäre, eine überzeugende Arbeit und eine zufriedene Tochter waren das Ergebnis. Ich gebe zu, dass ich zwischendurch Lust bekam, selber ein Tattoo zu haben. Nicht um eins zu tragen, sondern das Gefühl des Stechens auszuprobieren. (Nein, ich werde es nicht machen 🙂 ). Die Informationen, die man braucht um solch einen Entschluss umzusetzen, bekommt man hier ohne Umschweife und beeindruckend ist die Ausführlichkeit der Internetseite. Selbst zweifelnde Eltern sind dort angesprochen. Und ja, ich gebe auch noch zu, dass Carl tatsächlich ein Typ, ein Charakter ist. Freundlich und nett, halt so wie er sagt „Was früher der Barbier oder Friseur war, ist heute der Tätowierer – Zuhörer, Kummerkasten, Lebensberater.

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Zuhause saßen wir jetzt erneut am Computer, haben ein Motiv mit Schriftzügen kombiniert und ausprobiert. Noch ein Tattoo ist in Planung. Wieder steht ein Termin fest – nein, diesmal nicht bei Carl, diesmal bei Pierre – mit der anderen Tochter. Aber dieses Mal ist die Mutter gelassen, weiß sie die Tochter in guten Händen und hat vorher erlebt, wie schnell man sich an ein gut gemachtes, gut durchdachtes Tattoo gewöhnt.

Adventskalender … lebenslänglich

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Kinderkriegen ist – im Idealfall – eine bewusste Entscheidung. Immer, wenn ich jüngeren Menschen begegnet bin, die diese bewusste Entscheidung gerade erleben, habe ich naseweis wie ich bin, meinen Senf dazugegeben und bin meinen Standardsatz losgeworden: „Wer Kinder bekommt weiß, dass er für die nächsten 20 Jahre in der zweiten Reihe steht!“ Sprich, alles dafür tut, dass dieser Nachwuchs nach 20 Jahren selbstbewusst auf eigenen Beinen steht und alleine seinen Weg durchs Leben bewältigen kann. Man selber dabei eigene Bedürfnisse hinten anstellen muss, die dann – nach 20 Jahren – wieder aus dem Dornröschenschlaf erwachen dürfen. Daran habe ich natürlich geglaubt und entsprechend frohlockt, als das zweite Kind den 18. Geburtstag feierte und unser Erziehungsauftrag erfüllt war. 

Frohlockt habe ich allerdings nicht lange – die Realität hat mich ganz schnell eingeholt. Ziemlich wenige Tage nach diesem 18. Geburtstag erklärten mir meine nun „erwachsenen“ Kinder in wie vielen Tagen Weihnachten ist, und dass sie selbstverständlich einen Adventskalender erwarten. Auf meine Einwände (siehe oben) kam nur Protest, denn die Jüngere meinte, dass die Ältere immer zwei Jahre mehr Vorteile hätte und die Ältere war sich sicher, dass Mütter solche Leistungen zu erbringen hätten – schon allein bei Kindern, die im gemeinsamen Haushalt leben. Ich habe die Diskussion erst einmal abgebrochen, nicht ohne immer wieder nette Hinweise zu bekommen, wann die Adventskalender fertig sein müssen. Nur zur Erklärung: Meine Töchter essen offiziell keine Schokolade, was die 24-Türchen-Standard-Kalender von vornherein ausschließt und ich selber diesen Standard über die Jahre durch viel Selbstgebasteltes recht hoch gesetzt habe.

Dann habe ich einen Fehler gemacht: Als ich wieder einmal einen Denk-an-die-Kalender-Appell hinter mich gebracht hatte, habe ich in Facebook mutig in mein Facebook-Profil geschrieben „Volljährige Kinder sind zu alt für Adventskalender, oder? Das dürfen alle kommentieren außer Esther Oesinghaus“ Eigentlich hatte ich erwartet, das ein oder andere: „Ja, da hast du recht!“ zu bekommen (das meine Töchter lesen werden), aber weit gefehlt!

Erstmal zu Esther: Sie ist meine Kollegin und leitet bei uns die Verwaltung. Aber nicht nur das – darüber hinaus engagiert sie sich ehrenamtlich bei allen sich bietenden Gelegenheiten, in letzter Zeit speziell einer kleinen sozialen Boutique und der Flüchtlingsarbeit. Und weil das ja nicht reicht, engagiert sie sich besonders für alle Belange, ihre Familie betreffend. Das sollte ja normal sein, sind Frauen, sprich Mütter nun mal die wahren Organisationstalente. Das reicht meiner Kollegin Esther aber immer noch nicht: Jedes Jahr zu Weihnachten bekommt ihre Familie Adventskalender – selbstgemachte – alle – jeder einzelne – Mann, zwei Söhne, zwei Schwiegertöchter, zwei Enkelsöhne! Das sind sieben … und das erzählt sie mir jedes Jahr aufs neue natürlich mit einem strahlenden Lächeln, wahrer Begeisterung und ohne jegliche Ermüdungserscheinungen. So ist Esther! Ich wusste also, dass ich bei ihr mit meiner Facebook-Frage keinen Blumentopf gewinne und hab zumindest versucht sie bei den Kommentaren auszugrenzen. Hat natürlich nicht geklappt.

Was mich als „alten“ Facebook-Hasen wirklich erstaunt hat, war die Vehemenz und die Vielzahl der Kommentare, die dann meiner Frage folgten: „Definitiv – sie sind nicht zu alt!“ begann es und auf meine Frage, wann man zu alt ist, kam die Antwort, dafür nie zu alt zu sein. Dann meldete sich die frisch-volljährige Tochter mit einem #Adventskalenderfürvolljährige. Als wenn ich’s gewusst hätte meldete sich auf meinen Einwand, dass sie sich mit Esther abgesprochen hätten, auch tatsächlich Esther persönlich, die natürlich keinen Kommentar zurückhalten konnte: Niemals sind Kinder zu alt dafür, und dass ich aus der Nummer nicht mehr raus komme! Mein Protest, dass dieser Kommentar kontraproduktiv wäre und man Kinder entwöhnen müsse, brachte mir einen gewaschenen Kommentar ihrer (Esther’s) Schwiegertochter ein, die die Gelegenheit nutzte sich bei der Schwiegermama zu bedanken und die riesige Freude beschrieb, dass diese nicht nur die eigenen Kinder sondern auch die Schwiegertöchter bedenkt. An der Stelle habe ich schon angefangen meine Eingangsfrage zu bereuen, spätestens nach Esther’s nächstem Kommentar, war mir klar, dass ich auf verlorenem Posten saß – Zitat: „Siehe es mal so … deine sind doch noch so jung und bedürftig … meine sind fast 30 und ein bissl drüber … und immer noch bedürftig … wollen wir Ihnen denn wirklich dieses wundervolle Gefühl nehmen … morgens aufzustehen … die Kalendertür aufzumachen und ein Lächeln auf dem Gesicht zu haben, weil Ihre Mama an sie gedacht hat … und ihnen den Tag damit versüßt – Hä!“ Das abschließende „Hä!“ war ganz schön frech! 😉

Es wurde aber noch besser: Von der Feststellung, dass ich wohl nie wieder diese Frage stellen würde, bis zu einer Meldung, dass eine Schwester immer die Kalender verschenkt. … Ich habe versucht meine Schwestern zu Tausch anzubieten … hat aber auch nicht geklappt. Eine Freundin erzählte von dem Opa, der die Kalender immer macht, selbst meine Schwester kommentierte mit einem „NEVER!“ und ein Freund erzählte, dass die Gattin immer einen Kalender bereit hält. Selbst mit 50 sein man nie zu alt, eine Freundin der Töchter bekräftigte ebenfalls den Anspruch, auch der Hund würde einen bekommen und viele weitere Kommentare mehr … nur ein einziger Kommentar kam von einer mit mir fühlenden Mutter, die auch zugab, dass sie gleiches Vorhaben wie meins – Adventskalender abzusetzen – wohl schon bei der Ankündigung wieder aufgegeben habe. … Man beachte bitte, dass die Kommentare alle von erwachsenen Menschen kamen, die offensichtlich nie aufgehört haben, das Privileg einen Adventskalender zu öffnen, aufzugeben.

Das nennt man wohl einen Schuss, der nach hinten los ging. Gut – versucht habe ich es und eigentlich war von vornherein klar, dass ich damit nicht durchkomme! Natürlich habe ich mich rechtzeitig um die einzelnen Komponenten gekümmert, die notwendig sind, meinen Kindern den Wunsch zu erfüllen und so werden sie ab dem 1. Dezember jeden Tag eine Tüte öffnen. Ganz so leicht machen wir es ihnen aber dennoch nicht – die Kalender sind mit einem Rätsel gefüllt, das erst am 24.12. zum Tragen kommt – das kann ich hier natürlich noch nicht verraten. Dabei hat mir der Vater der Kinder wunderbar geholfen. Ich werde auf Esther’s Spuren wandeln, Spaß beim Basteln und der Vorstellung haben und – natürlich – zeitlich megaknapp zwei Adventskalender aufhängen. An den Vater werde ich auch denken – beim Hund aber streike ich … 24 Leckerlies aufzuhängen ist Blödsinn – die hat er in einer Sekunde gefressen! 😃

Etwas stimmt mich bei der ganzen Geschichte aber doch recht nachdenklich: Ich lese durch die Medien immer wieder, dass Valentinstag, Ostern, Halloween, der Weihnachtsmann gemachte Feiertage und Feste sind, die nur dem Kommerz und Emotions-Menschen nutzen – warum stehen die Adventskalender offensichtlich auf ganz anderem Posten? Vielleicht finde ich die Antwort, wenn ich – wie Esther – Schwiegersöhne und Enkelkinder habe … ein bisschen Zeit ist noch – die nächsten 20 Jahre – mit in der ersten Reihe! 😃

 

Ein Update zu diesem Beitrag am 9.12.2016:
Ich ändere nie einen Beitrag nachträglich – es sei den ich entdecke ein Fehlerchen. Aber dies möchte ich doch noch dazu erzählen. Ich bekam in Facebook und auch hier im Blog sehr viele Kommentare – offensichtlich hat jeder seine persönliche Adventskalender-Geschichte und Beziehung. Einzig Sabine Waldmann-Brun fragte, ob die Kinder wohl auch an die Mutter denken, wenn es um die Kalender geht. Als ich das verneinte, wurde sie selber aktiv und hat einen Kalender für mich persönlich gemalt, gebastelt und geschickt. Er ist so wunderschön, dass ich ihn hier zeigen möchte. Er wird künftig das ganze Jahr bei mir hängen und mich immer wieder daran erinnern, wie schön es ist, einfach mal so, etwas für einen anderen zu tun. Einen sehr herzlichen Dank an Sabine für diese große Freude – schaut euch ihre Bilder an – so wunderschön! 🙂

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Der Weg vom Blog zum Leser …

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Ziemlich zögerlich und ganz langsam hat es angefangen, dass sich dieser Blog einen Weg in die weite Welt gesucht hat. Zu Beginn stand für mich mehr im Vordergrund bei anderen zu lesen, zu staunen, zu bewundern und neugierig zu beobachten. Bei einigen Blogs bin ich immer wieder zu Besuch gekommen, gefiel mir doch sehr die Art und Weise, wie sie es schafften ihre Leser zu fesseln – und mich!

Ein Blog war von Anfang an auf meiner Bestsellerliste, weil ich bis heute die Geschichten, Denkanregungen und den Schreibstil liebe und verfolge. Noch dazu (ganz wichtig!) schafft es dieser Blog immer wieder, mich mit den Gedankenspielen zwischen Großstadt (in der ich lebe) und den selbstgewählten Exil auf dem Land (wo sie lebt) zum Lachen zu bringen. Ausgerechnet dieser Blog, bzw. seine Schreiberin, hat mich nun in die Liste der Blogs eingereiht, die ihre Fragen für den „Liebsten Award“ beantworten dürfen. Also beantworte ich (nicht ohne Stolz … ehrlich bleiben! 😉 ) die Fragen von Friederike und ihrem LANDLEBENBLOG … mit einer herzlichen Leseempfehlung!

Ist das geschafft, bekommt ihr noch ein paar Leseempfehlungen zu anderen Blogs, die dann wiederum meine Fragen (vielleicht) beantworten. Es ist ein Spiel unter den Bloggern, macht Spaß und bringt so manche interessante Einsichten ans Licht. Denn – so ist das mit den Blogs … sie leben vom Austausch, der Kommunikation und Empfehlungen … und nicht selten trifft man gute alte Bekannte auf den anderen Seiten wieder!

Friederikes Fragen:

Warum hast Du angefangen zu bloggen?
Ganz am Anfang fand ich das Wort „Blog“ komisch, aber hörte es immer öfter und habe gegoogelt, was es bedeutet. Dort stand, dass es eine Art virtuelles Tagebuch sei. Das fand ich ziemlich komisch, denn – wer schreibt ein öffentliches Tagebuch … bis ich irgendwann mitbekam, dass mein Chef bloggt. Der Mann ist alles mögliche, keinesfalls aber komisch, und so war die Neugierde geweckt. Ich fing an (siehe oben) zögerlich zu lesen, zu staunen, zu … hatten wir ja schon. Es fing an mir zu gefallen und es entstand eine Idee. Seit 2003 entsteht eine Bezirkszeitung an meinem Computer und mit der Zeit schrieb ich den ein oder anderen Texte dafür. Über die Jahre verschwanden die Texte aber in den alten Ausgaben. Schade eigentlich und so fragte ich eben den Chef, ob er eine Idee hätte, wie ich diese Texte sammeln könnte und einen Überblick behalte. „Mach einen Blog!“ war die Antwort. Und da wir für unsere Arbeit in dieser Zeit eine neue Internetseite mit WordPress erarbeiteten, hatte ich das System schon lieb gewonnen. Also bastelte ich meinen Blog, stellte zwei Beiträge ein, lies es aber ein dreiviertel Jahr unberührt – der richtige Mut fehlte. Zu Weihnachten schrieb ich schließlich eine schöne Geschichte, die auf der Homepage der Arbeit veröffentlicht wurde. Da ich dort großen Zuspruch fand, traute ich mich endlich und ab dann purzelten die Beiträge nur noch so in meinen Blog … und ich bekam mit der Zeit einen Begriff, was Internet tatsächlich bedeutet!

Wissen Freunde und Familie von der Bloggerei?
Oh ja … und sie gehören zu den wichtigsten Kritikern! Ich teile immer fleißig in die Netzwerke oder Messenger. Viele Beiträge handeln von ihnen.

Und lesen die das etwa auch?
Ich denke ja – die Rückmeldungen zeigen es. Jeden Beitrag, in dem ich jemanden persönlich erwähne, lasse ich vorher von demjenigen lesen. Es ist mir wichtig, dass sie Bescheid wissen und sich ebenso damit identifizieren können. Töchter, Mann, Geschwister, meine Mutter, viele Freunde … da sind alle mit im Boot. Wenn ich mit einem Beitrag unsicher bin (was immer noch oft vorkommt) hole ich mir Rat (davon weiß u.a. der Chef ein Lied zu singen) – vier Augen sehen immer mehr als zwei! ;-).

Hast Du eine Bloggerbotschaft an die Welt?
Ja … viele … lest einfach. Das wichtigste wäre mir, jeden Menschen so zu akzeptieren, wie er ist und in der Toleranz und dem Kompromiss die größte Errungenschaft der Menschheit zu sehen!

Liest Du auch noch Zeitungen?
Ich lese sie nicht nur – ich mache auch eine – seit 12 Jahren – die Stadtteilzeitung Steglitz-Zehlendorf. Ich liebe sie und werde immer ganz grantig, wenn jemand Blättchen dazu sagt. Immerhin 12 Seiten und eine Auflage von 10.000 Stück. Die lese ich besonders intensiv – auch zur Korrektur. Ich lese auch viele andere Zeitungen … nicht mehr in den Mengen wie früher, aber an manchen Sonderheften komme ich nicht vorbei. Modezeitungen gar nicht und für Society-Lektüre müssen die seltenen Arztbesuche ausreichen.

Bist Du online und offline gleich?
Aaaaahhhhhh … nein … wenn ich ehrlich bin. Ich liebe online, kann offline aber bestens aushalten und mich problemlos beschäftigen. „Langeweile“ und „Anna Schmidt“ passt nicht auf einen Planeten – kenne ich nicht. Ich bin aber die Ohne-Fernseher-Handy-Computer-Kindheitsgeneration … schätze also beide Seiten sehr!

Hast Du schon mal Internetbekanntschaften im realen Leben getroffen?
Mehrere und es war jedes Mal ein absoluter Gewinn! 🙂

Was machst Du in computerfreien Zeiten?
Hungrige Kinder füttern, reale Bücher lesen, Garten genießen, Hund sozialisieren, den Gatten beschäftigen und Pläne schmieden, was ich noch so alles vor habe … und das ist viel!

Hast Du überhaupt längere computerfreie Zeiten?
Wenn ich ehrlich bin – nein. Im Sommer habe ich es im Urlaub sehr genossen, aber das Smartphone war doch immer irgendwo in der Nähe und ich bin grundsätzlich ein sehr interessierter Mensch. Das Seniorenheim bekommt mich irgendwann einmal nur mit der Zusage von uneingeschränktem WLan.

Wie gehts Dir, wenn Du momentan die Welt betrachtest?
Schwierige Frage – das wäre einen eigenen Beitrag würdig. Ich bin sehr realistisch und lebe nicht auf einem rosa Wölkchen. Dennoch weigere ich mich, zu glauben, die Welt und der Mensch sei schlecht. Miesmacher, Schlecht-Redner, Zukunfts-Paniker ertrage ich nicht in meiner Nähe. Wenn wir nur das Negative sehen würden, hätten wir keine Zukunft mehr. Und so bin ich auch überzeugt, dass ein Kind, dass selbstbewusst und positiv erzogen wird, die beste Investition in die Zukunft ist. Wenn ich zuhöre, wie meine Töchter sich mit Dritten über Toleranz und Weltoffenheit unterhalten, weiß ich, dass ich etwas richtig gemacht habe. Selbst, wenn mich mancher für meinen Optimismus belächeln mag, denke ich, dass ich für meinen Teil der Welt mehr erreiche, als andere die mit ihrem Wehgeschrei nerven.

Magst Du Schnitzel mit Pommes?
Ganz klar – nein! 50 % unserer kleinen Familie mag es sehr und ich esse es, wenn ich mich nur an den Tisch setzen muss. Offiziell habe ich beschlossen, dass ich beim Panieren die größte Pflaume bin und es nicht kann. Ich liebe Tintenfisch, esse Schnecken oder rohen Fisch, aber auch ein einfaches Spiegelei kann bei mir Begeisterung auslösen … es gibt wenige Dinge, die ich nicht esse … das Schnitzel ist ein Volltreffer in Bezug auf nicht mögen! 😉

 

Meine Leseempfehlungen wären folgende Blogs – neben vielen anderen, die ich sehr schätze:

Wortgepüttscher

Schnipseltippse

Modepraline

Mein Lesestübchen

keinbisschenleise

Kinder Unlimited

Ich habe nicht nachgeschaut, ob sie an diesem Award schon einmal teilgenommen haben – es lohnt sich in jedem Fall ein Klick auf ihre Seiten, wo ihr schöne, interessante Beiträge findet.

 

Meine Fragen an sie wären die Folgenden …

Alter ist ein relativer Begriff – gibt’s Momente, in denen du dich alt fühlst?

Ist Alter ein Problem für dich?

Würdest du noch einmal gerne von vorne Anfangen?

Welches Alter war das spannendste?

Gibt es Einstellungen oder Dinge, die sich bei dir im Laufe des Lebens geändert haben?

Wird man im Alter ein sozialerer Mensch?

Was möchtest du einmal machen, wenn du das Glück hast so richtig alt zu werden? 🙂

Was wäre deine Großmutter/Großvater-Botschaft an die Jugend?

 

Ich habe in Facebook einen wunderbaren Spruch
bei Irene Söding gelesen:

„Wenn ich alt bin,
will ich nicht jung aussehen,
sondern glücklich!“

So soll es sein! 🙂 Ich bin gespannt!

Das hässliche Entlein war schon immer ein Schwan!

©-Pefkos-Fotolia.com

Foto: © Pefkos Fotolia.com

Es waren verschiedene Dinge zu erledigen, was bedeutete, dass ich eine Weile im Auto sitzen würde. In Berlin sind die Wege manchmal recht weit. Kurzfristig erklärt Tochter 2, dass sie mitkommt. Was das bedeutet, war mir gleich klar, weil dieses Kind eine sehr feine Antenne dafür hat, wann Mutter beide Ohren offen hat und ihr zuhören muss. So kam es dann auch: Kind 2 … seit jeher vom Augen aufmachen morgens bis Augen schließen am Abend sehr kommunikativ … erzählte und erzählte. Als ich schon glaubte, dass es nichts mehr zu erzählen gab, fragte sie mich, ob ich schon von der „Don’t judge challenge“ gehört hätte. Hatte ich nicht.

Sie erklärte mir, dass das ein Wettbewerb sei, der gerade durch die Netzwerke, besonders in Facebook, läuft. Es werden Video-Sequenzen gezeigt, in denen sich Jugendliche besonders hässlich machen, um später deutlich zu machen, dass sie in Wirklichkeit recht gut aussehen. Das machen sie um zu zeigen, dass man nicht gleich nach dem ersten Eindruck über Menschen urteilen sollte. Soweit alles klar – das sollte ja jedem einleuchten. Nun sei aber diese Challenge in Verruf geraten, weil viele behaupten würden, das die Jugendlichen dies nur machen um ihr Ego zu streicheln und zu zeigen, wie toll sie aussehen. Kind 2 hatte eine andere Meinung. Den Stau auf der Straße kurz vor dem Autobahnzubringer nutzt sie um mir solch ein Video zu zeigen. Mehrere Leute hintereinander zeigen sich hässlich angemalt, legen nach kurzer Zeit die Hand vor die Linse um danach wieder vollkommen hübsch zu erscheinen. Dabei auch ein Mädchen, das anfänglich recht normal aussieht, sich aber nach dem Verdecken mit der Hand als Krebspatientin entpuppt und lächelt. Wow, denke ich, das ist bemerkenswert!

Meine Tochter erzählt mir von ihrer Idee, dazu einen Beitrag in Facebook zu posten (so heißt das dort). Sie hätte kürzlich ein Foto von sich selber gefunden auf dem man ihre Akne (die ehemalige) besonders gut sieht. Dazu wollte sie den Ist-Zustand stellen und ihre Meinung dazu schreiben – eben dass sie diese Challenge recht gut findet. Wir diskutierten ein bisschen hin und her. Ich gab zu bedenken, dass der Text gut geschrieben sein müsse und sie sich dadurch natürlich angreifbar macht. Es gibt manchmal einfach sehr dumme Leute in diesen Netzwerken. Die Diskussion endete nicht, weil wir nichts mehr dazu zu sagen hatten, sondern weil wir Zuhause ankamen.

Später nach dem Abendessen bekam ich noch mit, dass Kind 2 auch Kind 1 von der Idee erzählte. Was Kind 1 davon hielt, bekam ich nicht mehr mit. Die beiden besprechen viele Dinge untereinander und soweit ich weiß, finden sie meistens einen Konsens. Ich saß wieder am Computer und arbeitet. Kurze Zeit später sah ich in Facebook einen recht langen Beitrag meiner Tochter, den ich unverändert hier einfüge:

annaschmidt-berlin.com_akne

„Hier mein kleiner Beitrag zur Don’t judge Challenge.

Als ich das erste mal ein solches Video gesehen habe, war ich nicht einmal negativ abgeneigt davon, sondern ich fand es amüsant. Der eigentliche Gedanke der Challenge war, dass man nicht auf den ersten Blick urteilen sollte.

Ich habe diese ‚Challenge‘ als ‘Aus hässlichem Entlein wird schöner Schwan’-Effekt gesehen. Das einzige was ich anders gemacht hätte, wäre der Aufbau dieser Challenge gewesen. Von einem gestylten Menschen, zu einem völlig normalen und natürlichem Aussehen, so wie jeder von uns morgens in den Spiegel schaut.

Ich persönlich habe bis vor sieben Monaten, acht Jahre lang mit extremer Akne zu kämpfen gehabt. Ich habe versucht mit Cremes, Tabletten, Ernährungsumstellung, Hautkuren und vielem mehr, dem ganzen entgegen zuwinken. Hoffnungslos! 
Und ganz ehrlich ich fühlte mich unwohl, ungepflegt und hässlich. 
Manchmal stand ich vor dem Spiegel und hab mich gefragt warum ich Akne haben muss. Dem ist einfach so und das sollte man nunmal nicht leugnen. 
Nach gewisser Zeit habe ich versucht meine Akne zu verstecken. Mit Make-up. Das Make-up hat ungefähr eine Stunde gehalten, danach sah alles wie ungeschminkt aus. Aber trotzdem versuchte ich es jeden Tag aufs neue mein Gesicht mit Make-up zu überschminken und somit vor blicken zu verstecken. Soviel, dass meine Haut gar nicht mehr atmen konnte. 
Dadurch entwickelte ich eine kleine Make-up-Sucht die mich bis heute auch ohne Akne noch begleitet.
An manchen Tagen wollte ich nicht aufstehen, weil ich mich selbst schämte und neidisch auf die Haut der anderen war.
Mittlerweile habe ich keine Akne mehr und ich fühle mich wohl damit und mein ganzes Selbstbewusstsein hat sich nochmal gestärkt.
Trotzdem habe ich es den anderen Menschen gegönnt eine so schöne und glatte Haut zu haben.

So auch in der ‪#‎dontjugechallenge . 
Die Leute die da mitmachen haben ein so schönes Aussehen, sei es ein Mädchen mit Make-up, eine Krebskranke, eine Türkin mit Kopftuch, eine die sich abschminkt. Alle sehen super nach ihrer ‚Verwandlung‘ aus! Das sei ihnen auch gegönnt ihr gutes Aussehen zu präsentieren, warum denn auch nicht?
Und darum gehts, aus jedem kleinem hässlichem Entlein kann und wird mal ein schöner Schwan. 
Seht es mit Humor.

Und nur weil sie gut aussehen und das auch zeigen ist das oberflächlich von ihnen? 
Ja klar, Charakter ist das wichtigste aber seh ich in einem solchen Video welchen Charakter ein Mensch wirklich hat? Eben nicht. Weswegen ich ihn auch nicht auf den ersten Blick, egal wie er nun ausschaut, verurteile bzw. rückschließe wie er nun ist. Was eben der Ursprungsgedanke dieser Challenge sein sollte.

Alle sagen wir sollen Menschen so sein lassen wie sie sind, dann lasst uns es doch bei allen tun, auch nicht die Menschen verurteilen, die ein Don’t judge Video drehen. Egal ob dick, dünn, glatte Haut, Akne.

Mittlerweile ist unsere Gesellschaft auf Schönheitsideale und Moralpredigten über Schönheitsideale so eingefahren, dass wir mittlerweile den Humor an uns selbst verloren haben. 

Lasst uns unsere mittlerweile so verklemmte Gesellschaft mit ein bisschen Humor auflockern und Spaß an der ganzen Sache haben.“

Als ich es gelesen hatte, war ich sehr betroffen. Erst einmal allein von der Tatsache, dass ich mein Kind durch die Jahre mit dieser Akne begleitet habe, sie unzählige Male zur Kosmetiksprechstunde gefahren habe und wir oft über dieses Leid gesprochen haben. Wie es tatsächlich in ihr drinnen aussieht, was diese Akne für sie bedeutet, wurde mir jetzt erst richtig klar. Man kann als Mutter 100 000 Mal sagen: „Du bist trotzdem hübsch!“ oder „Es wird wieder gut!“, aber es hilft dem Kind nicht wirklich. Auch ohne Akne, kann ein einziger Pickel schon zu gewaltig schlechter Laune führen, seien wir ehrlich. Hinzu kam meine Hochachtung für meine Tochter. Öffentlich zu zeigen, wie schlimm es bei ihr aussah und wie es geworden ist, diesen Mut aufzubringen und gerade für ihre Meinung einzustehen. Prima fand ich auch die Art und Weise … zwar hat sie vorher gefragt, was ich davon halte, aber letztlich mir den Text nicht einmal vorher zum Lesen gegeben. Es war einfach im Netz. Sie äußert und vertritt ihre Meinung selbstbewusst! Sie hat unglaublich viel Zustimmung dafür bekommen. Eine Freundin fragte, ob sie es teilen dürfe, es würde so viel Mut machen.

Mir blieb nur noch „Respekt!“ unter ihren Beitrag zu schreiben … für mich waren, sind und werden meine Töchter immer schöne Schwäne sein – innerlich wie äußerlich – die Entlein gibt’s nicht mehr.