Acryl, Aquarell oder doch lieber Pastell?

Es fängt in aller Ruhe an. Die Kursleiterin richtet die Tische für die nächsten 2 ½ Stunden ein. Kleine Staffeleien, Farben, Becher mit verschiedensten Pinseln, eine Gliederpuppe, Malmittel, Wassertöpfe und anderes, finden Platz auf dem Tisch. Die Tischdecke, fast als wäre sie ein eigenes Bild, zeugt von sehr vielen Bildern, die hier schon entstanden sein müssen. Die ersten Kursteilnehmerinnen finden sich ein, begrüßen sich und bereiten ihre Plätze vor. Sie suchen sich die notwendigen Utensilien, stellen eigene Arbeitsmittel dazu und beginnen mit ihren Werken. Seit 12 Jahren, jeden Mittwochvormittag, verwandelt sich der Kieztreff in eine Malwerkstatt.

Das Wort „Werkstatt“ drückt im besten Sinne aus, was hier passiert: Es bietet sich Raum zum gemeinsamen Arbeiten, Experimentieren, Probieren, Lernen, Austauschen, Besprechen – im Fokus die Kunst, die sehr individuell auf jede Teilnehmerin abgestimmt ist. Das zeigt sich am deutlichsten, wenn wir den Teilnehmerinnen über die Schulter schauen. Bei der ersten fällt eine große Plastikflasche mit feinem Sand auf. Ich frage, was der zwischen den Farben zu suchen hat und erfahre, dass Sand mit Farbe gemischt, die Oberflächenstruktur beeinflusst sowie die Farbe verdichtet. Sand sei allerdings nicht die einzige Möglichkeit, es wurde hier schon mit Kaffeesatz oder Sägespänen und anderem experimentiert. Die Künstlerin mischt sich verschiedene Farbtöne auf ihre Palette, den Sand dazu, und taucht in die Farbflächen ihres Bildes ein, mischt, ergänzt, verdichtet, Fläche um Fläche. Die nächste Teilnehmerin hat gleich vier Malgründe vorbereitet und malt parallel an allen. Entstehen soll ein Jahreszeiten Pentaptychon. Kein leichtes Unterfangen, da Farben natürlich auch einer Temperatur unterliegen und Nuancen entscheidend sein können. „Die Farben haben immer ihr eigenes Leben,“ sagt sie dazu. „Erst entsteht eine Vision eines Bildes, die zur Idee wird und schließlich einer ganz eigenen Entwicklung unterliegt.“ Die vierte Kursteilnehmerin experimentiert auf unbekanntem Gebiet. Sie hat sich erstmalig einer Collage gewidmet. Ein Bild einer Frau aus einer Zeitung hat sie fasziniert und man merkt, wie es in ihr arbeitet, wenn ihr Pinsel seinen Weg über die Leinwand sucht. 

 

 

 

 

„In der Schule haben sie mir immer gesagt, dass ich nicht malen könne,“ erzählt die nächste Künstlerin und zeigt stolz ihr Blumenbild. Ihre Mutter und der Ehemann konnten sehr gut malen und es hätte sie immer selber gereizt. Als sie den Aushang der Malwerkstatt sah, hätte sie es einfach versucht. Sie hält stolz das gerahmte Bild in den Händen, überlegt, ob die Rahmenfarbe passt und straft das frühere schulische Urteil ab. Der Aushang der Malwerkstatt hat auch die nächste Teilnehmerin in den Kieztreff gelockt. Sie hätte noch nie gemalt, erzählt sie. Jetzt ist sie so begeistert, dass sie jeden Tag an ihren Werken arbeitet. Schaut man sich die Bilder an, mag man kaum glauben, dass sie vor kaum zwei Monaten angefangen hat Bekanntschaft mit Pinseln und Farben zu machen.

In der Unterschiedlichkeit der Teilnehmerinnen und deren Technikvielfalt offenbart sich die Intension der Malwerkstatt, die Ursula Langer-Weisenborn vor so vielen Jahren ins Leben gerufen hat. Sie gründete eine offene Malgruppe für kreative und experimentierfreudige Erwachsene. Hier ist alles erlaubt, was im Spielraum der Ideenvielfalt und Kreativität der TeilnehmerInnen liegt. Ursula Langer-Weisenborn macht keine Vorgaben wie und an was gearbeitet werden soll. Kommen neue TeilnehmerInnen hinzu, hinterfragt sie behutsam, wo das Interesse liegt, welche Technik geeignet sein könne, wie man eine Idee verwirklichen kann. Arbeiten die TeilnehmerInnen an ihren Werken, wird gemeinsam betrachtet, miteinander Erfahrungen ausgetauscht und so der kreative Diskurs gefördert. Farben, Materialien und Techniken können sich ein künstlerisches Wechselspiel erlauben, dass sich in den unterschiedlichsten Bildern offenbart und jedem nach Vermögen einen Erfolg bescheinigt. Ob Acryl-, Aquarell- oder Temperafarben verwendet werden, mit Pastell- oder Kohlestiften gezeichnet wird, Leinwand oder Papier als Malgrund verwendet wird, spielt keine Rolle. Das gemeinsame Arbeiten gibt Impulse, fördert Ideen und Ausdrucksvermögen. So wird es unwesentlich, ob jemand „gut malen“ kann oder gerade erst seine Kreativität entdeckt. Es gilt das geeignete Ausdrucksmittel und den persönlichen Weg ins kreative Arbeiten zu finden.

Die professionelle Anleitung durch Ursula Langer-Weisenborn gibt dabei den sicheren Rahmen. Die Leiterin der Malwerkstatt berät und gibt Anregungen, aber bestimmt keine Vorgaben für das Arbeiten. Die Diplom-Pädagogin weiß aus eigenen Erfahrungen und ihrem Studium in Berlin, London und Rom, dass Kunst Bewegungsfreiheit braucht und immer im aktuellen gesellschaftlichen Kontext zu sehen ist. Deshalb gibt es in der Malwerkstatt auch keine Anwesenheitspflicht. Die Zusammensetzung der KursteilnehmerInnen wechselt von Woche zu Woche. Die Aufwandsentschädigung wird nur für die tatsächlich in Anspruch genommenen Termine bezahlt. Neben der Malwerkstatt bietet Langer-Weisenborn die „Malwerkstatt für Mütter“ an, die sich in der Freude am kreativen Arbeiten entspannen können und Ausdrucksmöglichkeiten finden, für Dinge die sich sonst schwer in Worte fassen lassen. Ihr eigenes künstlerisches Arbeiten stellt Langer-Weisenborn in der Malwerkstatt in den Hintergrund. In der Malwerkstatt sind ihre pädagogischen sowie handwerklichen Erfahrungen ausschlaggebend. Nicht das fertige Bild, sondern eher der schaffensreiche Prozess zum Bild steht im Vordergrund. Eigene Bilder zeigt sie auch im diesem Jahr beim 4. Kunstmarkt der Generationen, die sie unter das Thema „Rosen“ gestellt hat. Auch die Malwerkstatt kann auch auf Gemeinschaftsausstellungen im Kieztreff, im Gutshaus Lichterfelde oder Nachbarschaftsheim Schöneberg und anderem zurückblicken.

Ich frage eine Teilnehmerin, ob Konkurrenz ein Thema in der Werkstatt sei: „Nein, eher manchmal so ein kleiner Neid,“ antwortet sie mit einem Augenzwinkern. Nach meinem Besuch überlege ich, wie mein Bild aussehen könnte, welchen Pinsel, welche Farben, welche Technik ich wählen würde. Acryl, Aquarell oder doch lieber Pastell? Das offene Konzept, die Stimmung und Ruhe laden zum Mitmachen ein.

Malwerkstatt – offene Malgruppe für Erwachsene
Mittwochs, 9.30 – 11.30 Uhr im Kieztreff, Celsiusstraße 60, 12207 Berlin.
Gebühr 10 € pro Termin, Grundmaterial wird gestellt.
Neueinstieg ist jederzeit möglich.

Malwerkstatt – offene, kreative Gruppe für Mütter
Montags, 9.30 – 11.30 Uhr im Kieztreff, Celsiusstraße 60, 12207 Berlin.
Gefördert durch das SRL-Projekt Steglitz-Zehlendorf.
Das Material wird gestellt.

Leitung: U. Langer-Weisenborn, Diplompädagogin, freischaffende Malerin
Informationen und Anmeldung: 030 77 32 84 77


4. Kunstmarkt der Generationen

24. Juni 2017, 12.00 – 18.00 Uhr,
Schlosspark Lichterfelde am Hindenburgdamm 28, 12203 Berlin

Informationen und Kontakt:
Manuela Kolinski,
Projektleiterin Gutshaus Lichterfelde,
Telefon 030 84 41 10 40, E-Mail: kolinski@stadtteilzentrum-steglitz.de

Kunstvoll erziehen!

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Es ist ein Moment der Selbsterkenntnis: Der dreijährige Sohn sitzt auf dem Teppich des Wohnzimmers und spielt mit seinen Modellautos den Straßenverkehr nach. Völlig in sich und sein Spiel versunken, schimpft das Kind mit einem Mal: „Dieser verdammte Viot, keine Augen im Kopf!“ und lässt einen Wagen in den anderen krachen. Der Vater sitzt im Wohnzimmersessel, beobachtet die Szene und zweifelt, ob er lächeln oder schimpfen soll, weil das Kind ein Schimpfwort benutzt. Ihm ist klar, dass das Kind den Vater im realen Straßenverkehr kopiert und erkennt sich selber im Verhalten des Kindes. Es ist der Moment in dem er versteht, wie Erziehung funktioniert.

„Erziehen heißt vorleben … alles andere ist höchstens Dressur“ – besagt ein Zitat von Oswald Bumke. Jede Mutter und jeder Vater erlebt irgendwann diesen Moment, in dem sie oder er sich selber im Verhalten, der Gestik, in der Wortwahl oder dem Tonfall des Kindes wieder erkennt. Die eigentliche Kunst ist nun, diesen Moment der Selbsterkenntnis bewusst für die Erziehung zu nutzen. Es bedeutet nichts anderes, als sich eigenes Verhalten klar zu machen, das man oft vom Nachwuchs gespiegelt bekommt. Kinder ahmen das Verhalten Erwachsener nach und beobachten ihre Umgebung mehr, als es Erwachsenen bewusst ist. Deutlich wird es ganz besonders in den kleinen menschlichen Fauxpas, die uns allen zu eigen sind. So nutzt es kaum, das Kind zum Lesen zu animieren, wenn man selbst nie ein Buch zur Hand nimmt oder dem Kind die Freude am Vorlesen zeigt. Es nutzt kaum, einem Kind Freundlichkeit abzuverlangen, sofern man sie selbst nicht lebt. Auch die Art und Weise, Streitgespräche zu führen, der Umgang mit anderen Menschen bis hin zur inneren Ruhe und Ausgeglichenheit hat Auswirkung auf den Wunsch des Kindes es den Erwachsen, den Eltern und meist Vorbildern gleich zu tun. „Es gibt keine andere vernünftige Erziehung, als Vorbild zu sein, wenn es nicht anders geht, ein abschreckendes.“ wusste auch Albert Einstein. So bleibt ganz einfach festzustellen, dass Kinder ein Spiegelbild der Eltern sind.

Erziehung ist die Kunst, sich selbst und seiner Wirkung bewusst zu sein. Das auch Erziehung durch Kunst möglich ist, macht das Beispiel der Künstlerin Katrin Munke deutlich. Bei ihr wurde das Interesse am künstlerisches Arbeiten und der Musik sehr früh geweckt und bleibt Bestandteil in Ausbildung und Beruf. Ob grafische Arbeiten, Mixed Media oder textile Kunstwerke – ihre Arbeiten bestechen durch ihr Farbigkeit und Detailtreue. Der Betrachter kann sich die Werke erschließen, immer wieder neue Bildelemente entdecken und über die Stimmigkeit von Bild-, Objekt-
und Farbelementen staunen. In drei Ausstellungen hat Katrin Munde ihre Werke im Gutshaus Lichterfelde den Besuchern vorgestellt und auch beim Kunstmarkt der Generationen, der in diesem Jahr zum vierten Mal stattfindet, ist sie treuer Gast. Nicht nur die Werke zeichnen sich in ihrer Besonderheit aus, auch der Erlös aus dem Verkauf lässt so manchen aufhorchen. So spendet Katrin Munke den Erlös zu 100 % an Hilfsorganisationen – meist der UNO Flüchtlingshilfe. Ihr persönlicher Gewinn an der künstlerischen Arbeit liegt im Prozess, der Entspannung und letztlich auch dem Austausch mit ihrem Publikum. Ihr Ehemann Martin Munke, ebenfalls Lehrer, hat sich autodidaktisch das Arbeiten mit Leder angeeignet und gilt heute unter Liebhabern als Geheimtipp. Er fertigt Helme, Armstulpen, Gürtel und Rüstungen, die nicht nur durch das edle Material sondern auch durch die kunstvollen Verzierungen Bewunderung auslösen. Ein Blick genügt, um zu wissen, welch ein Zeitaufwand in diesem, gar nicht mehr üblichem, Handwerk liegt.

Zur Familie gehören zwei Kinder, die von Anfang an ihre Eltern bei der Beschäftigung mit künstlerischen Arbeiten beobachten konnten. Natürlich ist es keine unbedingte Folge, dass Kinder durch dieses Vorleben ebenso die Liebe zum Kunsthandwerk entdecken. In diesem Fall war das aber so. Insbesondere in den Ferien lieben die Kinder die von den Eltern vorgegebene Atmosphäre. Es wird gemeinschaftlich gearbeitet und gewerkelt. Der Sohn zeigt eine Neigung zu grafischen Arbeiten und beherrscht den Umgang mit Finelinern. Malte A3 Blätter mit Theaterszenen voll, die die Mutter zum Vortrag hochhalten durfte. Die Tochter zeigt eine Neigung zu Handarbeiten und verfügt schon über eine stattliche Stoffsammlung. Auch das Mangazeichnen ist eins ihrer Steckenpferde. So steht die Familie über die Kunst im Austausch, ergänzt sich durch die jeweiligen Vorlieben und Richtungen des künstlerischen Arbeitens.

Den Kindern wird weit mehr mitgegeben als handwerkliche Fähigkeiten. Sie lernen durch Vorbild einen Prozess konzentriert und in Ruhe zu Ende zu bringen. Lernen sich selbst zu beschäftigen, bekommen Einblick in die Herstellung von Gegenständen und wissen um die Wirkung von Materialien. Sie lernen die Schaffensprozesse anderer zu respektieren. Lernen den Stellenwert der Kreativität zu schätzen, die letztlich Auswirkungen auf alle Lebensbereiche hat. Sie lernen Wertschätzung gegenüber Fähigkeiten anderer. Erfahren über Lob Anerkennung oder Förderung in einem weniger gefälligem Urteil zu erkennen. Zudem wird ihnen durch die Mutter vermittelt, dass sich neben dem Eigennutzen durch Kunst anderen helfen lässt.

Natürlich ist diese Familie ein sehr deutliches Beispiel dafür, dass das Vorleben im eigenen Tun unmittelbare Auswirkungen auf die Erziehung der Kinder hat. Nicht jedem ist es gegeben künstlerisch zu Arbeiten. Doch auch durch Sport, Literatur, durch besondere Wissensgebiete, besonderer Wertschätzung gegenüber Ernährung, Interessen in speziellen Bereichen, Reisen oder schlicht durch die Beschäftigung mit dem Kind, können Eltern eigenes Interesse und Erleben mit Erziehung verbinden. Und sei es durch die Kunst, sich immer wieder ehrlich und kritisch der Selbsterkenntnis zu stellen.   

Künstlerkontakt:
Katrin Munke, Telefon 030 29 36 86 63, E-Mail: katrin_munke[at]web.de


4. Kunstmarkt der Generationen

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24. Juni 2017, 12.00 – 18.00 Uhr,
Schlosspark Lichterfelde am Hindenburgdamm 28, 12203 Berlin

Info/Kontakt: Manuela Kolinski
E-Mail kolinski[at]stadtteilzentrum-steglitz.de
Telefon 030 84 41 10 41


szs_mittelpunkt_februar-2017Ein Beitrag aus dem Magazin „Im Mittelpunkt“ Januar/Februar 2017 mit dem Leitthema „Eltern“
Das ganze Magazin kann als eBook oder interaktives Pdf heruntergeladen werden. Die gedruckte Version, einschließlich dem Einleger mit allen Veranstaltungen, bekommt man in den Einrichtungen des Stadtteilzentrum Steglitz e.V.

Soziale Kunst

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Der Raum füllt sich mit immer mehr Besuchern, aufgeregte Stimmen sind hinter dem Vorhang zu hören, alle suchen sich einen Platz, es wird dunkel, leise und die Vorstellung beginnt. Ein erstes Musikstück ist zu hören, das sich in der Folge mit vielen anderen Stücken zu einem Musical verbindet. Kinder spielen ihre Instrumente, singen und tanzen, verlieren ihre Nervosität und dürfen schließlich im begeisterten Beifall der Zuschauer versinken. Der Erfolg hat dem wochenlangen Proben recht gegeben. Die ErzieherInnen im Kinder- und Jugendhaus haben mit den Kindern ein Stück einstudiert. Sie haben selber Texte geschrieben, Melodien komponiert, dazu gesungen, immer wieder verbessert und geprobt. Eine andere Gruppe von Kindern hat Tänze einstudiert, Kostüme entworfen und genäht, ein Bühnenbild ist entstanden und schließlich die Plakate, die zum Musical eingeladen haben. Ist die Vorstellung vorbei, ist kaum mehr nachzuvollziehen, wie viel Arbeit es war, alles auf die Beine zu stellen. Die Kinder haben auf mehreren Ebenen Dinge gelernt und erfahren, deren Tragweite sie in jungen Jahren noch nicht absehen können. Der Transporteur war die gemeinsame Kunst.

Eine umfassende Definition zu geben, was Kunst ist, fällt schwer, weil der Facettenreichtum des Begriffs kaum zu fassen ist. Einigkeit dürfte darüber herrschen, dass immer ein Prozess damit verbunden ist, der dem Kunstschaffenden die Möglichkeit gibt, Gefühle und Gedanken zu offenbaren und zum Ausdruck zu bringen. Der Kunstschaffenden gibt seine Botschaft mit seinen Ausdrucksmitteln an andere weiter und damit einen Teil von sich selbst. Unbedeutend, ob er das bewusst oder unbewusst tut, denn wie es beim Betrachter ankommt und verstanden wird, hat er nicht in der Hand. Die Möglichkeiten, die der Kunstschaffende hat, sind nahezu unbegrenzt. Kunst bricht Regeln, setzt Bekanntes und Gewohntes außer Kraft. Kunst provoziert und bedient sich endloser Fantasien. Kunst darf nahezu alles, was der Mensch in seiner Vorstellungskraft sicht- und hörbar machen kann. Die reine Kunst ist frei.

Kunst wird gerne mit dem Begriff Kultur verbunden, was sofort eine massive Einschränkung der reinen Kunst bedeutet. Kultur ist ein stets gesellschaftlich geprägtes Verständnis, dass von Zeit, Mode und Historie der jeweiligen Gesellschaft vorgegeben ist. Kultur ist, was gefällt und zeitgemäß empfunden wird. Die Gesellschaft gibt vor, welche Art der Musik, bildenden und darstellenden Kunst und der Literatur Erfolg oder eben auch nicht haben kann. Kultur verändert sich.

Kunst und Kultur setzen menschliches Handeln voraus. Setzt man nun die Begriffe Kunst mit „Prozess“ und Kultur mit „gesellschaftlicher Veränderung“ gleich, liegt der Rückschluss nicht fern, dass Kunst und Kultur auch den Kunstschaffenden selber verändert. Dieser Veränderungsprozess ist das Mittel, mit dem Kunst und Kultur in pädagogischen, psychologischen und sozialen Zusammenhängen genutzt wird. PädagogInnen, TherapeutInnen und ErzieherInnen nutzen Kunst und Kultur, um gewünschte und verändernde Inhalte bewusst zu machen.

In einer Kita wird ein Märchen vorgelesen, das Stück mit den Kindern geprobt, vertont und auf einer CD verewigt. Die Kinder lernten eine Geschichte in eigenen Worten wieder zu geben, wie Geräusche entstehen und welche Arbeit in einer CD steckt. In einer Schülerbetreuung wird ein Papierprojekt durchgeführt, um den Kindern bewusst zu machen, welche Umweltressourcen genutzt und verbraucht werden, um Papier zu erzeugen. Die dabei entstehenden künstlerischen Arbeiten sind Mittel zum Zweck, die letztlich viel Stolz vermitteln und im Gedächtnis haften bleiben. Jugendliche werden animiert, aus altem Zeitungspapier ihre Trauminsel zu bauen, und machen so die ganz neue Erfahrung, dass auch sie sehr kreativ sein können. Zahllos sind die Beispiele, bei denen etwas mit Kindern zusammen gebaut, gemalt, geprobt oder gespielt wird. Sinn ist es, immer die freie Fantasie zu nutzen und deren Potential zu entfalten. Bewusst ist dabei, dass Menschen mit viel Fantasie Zusammenhänge neu kombinieren und gewohnte Muster aufbrechen können. Neue Lösungen entstehen, die einen gewünschten Fortschritt erzielen können. Ein Kind, das mit Behinderungen lebt, malt mit einem Pinsel nicht nur, es macht Sinneserfahrungen und kann sich selber wahrnehmen. Schüchterne Kinder legen im Theaterspiel ihre Scheu ab und stärken das Selbstbewusstsein. Junge Erwachsene, die den Kunstunterricht immer langweilig fanden, machen in der Gruppe die Erfahrung, wie viel Kreativität in ihnen steckt.

Die künstlerischen Prozesse, die im pädagogischen Zusammenhang genutzt werden, sind frei von Bewertung und Talent. Es geht um den Prozess an sich selbst und nicht darum ein Kunstwerk zu schaffen. Natürlich kommt es immer wieder vor, dass ein Talent entdeckt wird, das dann in gezielte Förderung vermittelt werden muss. Bewertet werden kann nur, ob ein Projekt oder Prozess erfolgreich war und angenommen wurde. Ob ein Bild, das von einem Jugendlichen gemalt wurde, schön ist, ist nicht von Bedeutung. Wichtig ist, dass es gemalt wurde. Ist es schön geworden, umso besser, weil er oder sie dann weiter machen.

So ist es nicht weiter verwunderlich, dass gerade in sozialen Einrichtungen zahlreiche Angebote zu finden sind, die Kunst und Kultur zum Inhalt haben. Malgruppen für Erwachsene, Tanz- und Theatergruppen, Literaturkreise oder Musikangebote stehen immer dort auf dem Programm, wo Menschen zusammen kommen. Austausch und Kommunikation stehen hier im Fokus. In der Gruppe können Menschen etwas bewerkstelligen und die Stillen in etwas einbezogen werden, was sie sonst als Zuschauer betrachten würden. Kunst und Kultur in sozialen Einrichtungen bewegt und verbindet. Die KünstlerInnen, die hier zu sehen sind, sind nicht die der großen Bühnen und Öffentlichkeit. Es sind die Senioren, die nicht allein sein wollen, Geflüchtete, die ihrem Erlebten Ausdruck vermitteln möchten und Menschen aus der Nachbarschaft, die in der Gruppe Dinge mitmachen, zu denen ihnen alleine der Antrieb fehlt. Kunst in sozialen Einrichtungen verbindet – der begeisterte Beifall aller Beteiligten heißt dabei jeden willkommen.

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Dies ist einer von vielen schönen Beiträgen zum Thema „Integration durch Kunst und Kultur“ und zu finden sind sie alle im Magazin „Im Mittelpunkt“ des Stadtteilzentrum Steglitz e.V. oder hier:

Als eBook – eine epub-Datei, als interaktives Pdf und den Einleger „Mittendrin“ mit Veranstaltungen und Ferientipps des Stadtteilzentrum im Juli und August.

http://www.stadtteilzentrum-steglitz.de/ebook/MagazinImMittelpunktJuliAugust2016.epub – 230 MB

http://www.stadtteilzentrum-steglitz.de/ebook/MagazinImMittelpunktJuliAugust2016.pdf – 230 MB

http://www.stadtteilzentrum-steglitz.de/ebook/VeranstaltungenSzSMittendrinJuliAugust2016online.pdf – 640 KB

Besuch bei Carl – und noch ein Tattoo

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Hin und wieder bin ich fällig: Da finde ich keine Ausrede mehr mich vor einer Shoppingtour mit meinen Töchtern zu drücken. Erst die eine und dann die andere. Nach solchen Nachmittagen bin ich immer ziemlich platt. Vor Weihnachten war es wieder soweit und ich fügte mich in mein Schicksal mit der jüngeren Tochter durch die Läden zu ziehen. Zum Glück wusste sie ziemlich genau was sie will und schneller als ich gehofft hatte, saßen wir im Restaurant um uns mit einem Abschluss-Essen zu belohnen. Wir saßen uns gegenüber und unterhielten uns. Dabei fiel es mir wieder auf. Wir hatten uns so schnell daran gewöhnt, dass wir es kaum mehr wahrnehmen – das Tattoo an ihrem Handgelenk.

Es war ein langer Prozess bis dieses Tattoo an ihrem Handgelenk für immer verewigt war. Etwa mit 13 Jahren fasste sie den Entschluss einmal ein Tattoo zu tragen und ziemlich früh wusste sie, dass ein Notenschlüssel wegen ihrer Verbindung zur Musik ein Bestandteil sein würde. Aber es brauchte noch das richtige Alter und das Jahr vor dem 18. Geburtstag wurde oft mit Gesprächen und Diskussionen über Tätowierungen gefüllt. Es wurde greifbarer, dass sie ihren Plan in die Tat umsetzen konnte. Ich selber trage kein Tattoo und habe es für mich selber ausgeschlossen. Dennoch muss ich gestehen, dass auch für mich eine gewisse Faszination davon ausgeht. So habe ich schon einmal einen Bericht über das Anderssein in Bezug auf Tätowierungen geschrieben, der aber nichts mit der Tochter zu tun hatte. Doch es blieb Thema und in einem zweiten Bericht habe ich über die Auseinandersetzung von uns Eltern mit diesem Thema geschrieben. Schließlich, weil ich immer besser mit Dingen umgehen kann mit denen ich mich beschäftigt habe, kam ein dritter Bericht dazu, als ich beide Töchter in die Tattoo-Ausstellung nach Hamburg einlud. Später saß ich ein paar Mal mit der Tochter am Computer, wir probierten Notenschlüssel in Verbindung mit Schriftarten für ihren Schriftzug aus. Als das Motiv recht sicher war, fing sie an sich Studios anzusehen. Auf die Empfehlung von zwei Kollegen kam sie schließlich in das Tattoo-Studio von Carl. Dort stimmte offensichtlich die Chemie und das Gesagte passte zu ihrer Vorstellung. Der 18. Geburtstag stand bevor und der Termin wurde abgesprochen.

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Ich hatte gebeten dabei sein zu dürfen (… weil ich immer besser mit Dingen umgehen kann …), was auch sofort die Zustimmung der Tochter fand. Als wir schließlich hingegangen sind, glaube ich, war ich nervöser als die Hauptperson. Von beiden Töchtern bekam ich vorher die Info, dass Carl etwas anders sei. Er sei halt ein Typ, ein Charakter, eben nicht so ganz wie es in ein konservatives Bild passt. Ich weiß allerdings bis heute nicht, warum sie mich vorwarnten … oder warum sie glaubten mich vorwarnen zu müssen. 😉

„Welcome to Berlin Street Tattoo“ steht gleich auf der Startseite der Homepage des Studios und bei aller Andersartigkeit fühlt man sich durchaus gleich willkommen, wenn man sich über die Türschwelle wagt. Wir konnten uns kurz hinsetzen, ein paar Bücher mit Arbeiten ansehen und schon war Carl bei der Tochter um das Motiv und die Einwilligungserklärung zu besprechen. Für kurze Zeit ging er noch einmal zum Computer um das Motiv etwas zu modifizieren, überlegte mit der Tochter, von welcher Seite es lesbar sein sollte und schon saß sie in einer der Kabinen auf dem Stuhl.

Von dem Motiv hatte er eine Matrix hergestellt, ein Wachspapier, mit dem das Motiv auf die zu tätowierende Stelle aufgetragen wird. Das alles geschieht unter größtmöglicher Sauberkeit, gehen die Stiche ja tatsächlich unter die Haut, weshalb auch nur Einwegnadeln benutz werden. Ziemlich zu Anfang kann ich mich an seine Aussage erinnern, dass es heutzutage etwas besonderes sei, wenn man nicht tätowiert ist. Damit war klar, dass auch die (bildlose) Mutter ihn sympathisch finden musste! 🙂 Das Motiv saß schließlich am Handgelenk, Farben und Nadel wurde von ihm vorbereitet, die Schwester durfte die andere Hand halten und los ging es. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, aber das Gesicht meines Kindes blieb entspannt. Keine schmerzverzerrte Mine, kein Wehklagen, einfach nur gute Stimmung und interessante Gespräche. Carl war offensichtlich keine unserer Fragen zuviel. Redend und arbeitend konnte das Motiv auf dem Handgelenk wachsen.

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Gemalt hat Carl schon als kleiner Junge gerne und so sieht er seinen Beruf nicht als Handwerk, sondern eher als Leidenschaft zu Formen und Farben. Die bunten realistischen Tiermotive sind seine Welt, die wie Aquarelle auf Haut anmuten und zweifelsohne nicht zu den leichtesten Tattoo-Techniken gehören. Beigebracht hat er sich das alles selber, sogar die erste Maschine hat er selber gebaut, ist der Tätowierer doch kein anerkannter Beruf bei uns. Offiziell zählt das Studio zu den Kosmetikstudios, Rubrik Permanent Make-up. So erzählt er auch bald von den schwarzen Schafen der Branche, deren Motive, sogenannte Cover-ups, zu den häufigsten Arbeiten des Tagesgeschäfts gehören. Misslungene Motive werden dabei sozusagen „gerettet“. Darüber ärgert er sich offensichtlich, gehören doch verschiedene Dinge für ihn zu einem guten Tattoo.

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Er empfiehlt, sich vorher gut zu informieren und auf Mundpropaganda zu hören. Auf gute Beratung und Sauberkeit legt er hohen Stellenwert. Das Handwerkszeug muss stimmen und auch die Farbe muss in sehr guter Qualität zur Verfügung stehen. Farben finden in diesem Studio nur Verwendung, wenn sie von renommierten Händlern und in Deutschland hergestellt sind. Er nimmt sich die Freiheit von dem Tätowieren von Namen abzuraten und tätowiert keine Motive, mit denen er nicht einverstanden ist. Die Frage nach politischen Motiven beantwortet er recht knapp, da er sich nicht in irgendwelche Ecken drängen lassen würde und eben die Mundpropaganda ihr schädliches Zutun hätte. Eigentlich hätte sich die Frage auch von selbst beantwortet, wenn man die Namen seiner Kollegen hört. Carl, Murrat und Pierre haben jeder für sich ein Spezialgebiet im Bereich ihrer Kunst, mit dem sie alle möglichen Techniken abdecken können.

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Im Bezug auf die Namen verrät er noch, verschmitzt lächelnd, dass er selbst natürlich den Namen seiner Ehefrau trägt. Die wäre aber auch seine Traumfrau und er wisse ja, was er tut. So erzählend war die Arbeit am Handgelenk der Tochter schnell zu Ende gebracht. Das Handgelenk wurde eingecremt. Carl gab wichtige Hinweise für die Pflege in den ersten Tagen und Wochen und wir konnten ein schönes „Geschafft“-Foto machen. Alles in Allem muss ich sagen, dass es sehr viel Spaß gemacht hat. Eine wirklich sehr nette Atmosphäre, eine überzeugende Arbeit und eine zufriedene Tochter waren das Ergebnis. Ich gebe zu, dass ich zwischendurch Lust bekam, selber ein Tattoo zu haben. Nicht um eins zu tragen, sondern das Gefühl des Stechens auszuprobieren. (Nein, ich werde es nicht machen 🙂 ). Die Informationen, die man braucht um solch einen Entschluss umzusetzen, bekommt man hier ohne Umschweife und beeindruckend ist die Ausführlichkeit der Internetseite. Selbst zweifelnde Eltern sind dort angesprochen. Und ja, ich gebe auch noch zu, dass Carl tatsächlich ein Typ, ein Charakter ist. Freundlich und nett, halt so wie er sagt „Was früher der Barbier oder Friseur war, ist heute der Tätowierer – Zuhörer, Kummerkasten, Lebensberater.

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Zuhause saßen wir jetzt erneut am Computer, haben ein Motiv mit Schriftzügen kombiniert und ausprobiert. Noch ein Tattoo ist in Planung. Wieder steht ein Termin fest – nein, diesmal nicht bei Carl, diesmal bei Pierre – mit der anderen Tochter. Aber dieses Mal ist die Mutter gelassen, weiß sie die Tochter in guten Händen und hat vorher erlebt, wie schnell man sich an ein gut gemachtes, gut durchdachtes Tattoo gewöhnt.

Vorwärts geht’s … kein Rückblick!

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Ich habe das erste Mal grüne Butter gemacht und viel Zeit zum Nachdenken dabei gehabt. Eigentlich hat die grüne Butter immer meine Schwiegermutter gemacht, jedes Jahr zu Weihnachten oder Silvester. Das kann sie nun nicht mehr. Jetzt ist es an mir. Als ich über die alte Dame nachdachte, kam mir besonders in den Sinn, wie gut es ihr im Moment geht. Wir haben gelernt, mit ihrer Demenz umzugehen. Wissen, wie wir ihr kleine Freuden bereiten können und sind dankbar über ihren, zur Zeit, stabilen Gesundheitszustand. Das war in diesem Jahr nicht immer so. Es gab Tage, an denen wir glaubten, sie für immer zu verlieren. Die alte Dame ist das beste Beispiel für mich, dass Rückblicke nutzlos sind. Das Gehirn hebt sich das auf, was besonders prägend im Leben ist und war. Das sind meistens die positiven Momente, den Rest verdrängen wir – oft, nicht immer. Das Entscheidende bleibt.

Würde ich nur zurückblicken, müsste ich über den Umstand klagen, dass die Schwiegermutter krank wurde, dass sie sterben wollte und kein selbstbestimmtes Leben mehr führen kann. Alles sind Dinge, die ich nicht beeinflussen kann oder konnte. Natürlich sind schlimme Tage dabei gewesen, aber zur Zeit können wir uns um sie kümmern, mit ihr lachen und noch ein bisschen festhalten. Wer weiß wie lange noch – der Moment zählt.

Würde ich zurückblicken, würde ich von der Last erschlagen werden, welche schrecklichen Ereignisse im letzten Jahr in der Welt passiert sind. So grausam, dass die Fassungslosigkeit bleibt. Und den Gedanken, dass es auch weiterhin solche Ereignisse geben wird, möchte man erst gar nicht denken. Sich diesen Ereignissen ergeben, hieße aufgeben und ich bin dankbar für jede Nachricht, jede Initiative, jedes Projekt, jeden beherzten Menschen, der zeigt, dass es in dieser Welt anders läuft. Ich bin dankbar für jeden, der zukunftsweisend, offen, multikulturell und beherzt denkt, der gute Entwicklungen vorantreibt und mich an das Gute im Menschen glauben lässt!

Mir würde so manches Wort, manche Situation und manches Missverständnis im Nachhinein leid tun. Auch dies tut es nicht, denn so unangenehm das ein oder andere war, hat es mich lernen lassen und zurücknehmen kann ich es nicht. Lernen lassen, noch genauer auf Gesagtes zu achten und insbesondere bei allem Gesagten, den anderen in seiner Situation und seinen Beweggründen feinfühlender zu betrachten. Ich darf lernen … das ist immer gut!

Würde ich nur rückwärts blicken, müsste ich mich ändern. Nicht alles was ich tat war gut, aber weit mehr positiv und richtig. Und ganz ehrlich – wer ändert sich grundlegend im meinem Altern noch? Ich bin die Summe der Dinge, die ich erlebt habe – Gutes wie Schlechtes, mache das Beste daraus, versuche an einigen Ecken etwas zu feilen. Gesunde Selbstkritik ist immer gefragt. Aber ich habe meine Macken und werde sie gut pflegen! 😉

Im Rückblick müsste ich über ein arbeitsreiches und Jahr der Veränderungen klagen – was für ein Blödsinn. Es hat Spaß gemacht, es hat Fortschritt gebracht und Dinge entstehen lassen – beruflich wie privat. Im nächsten Jahr wird’s noch mehr … nie, wirklich niemals wird mir langweilig.

Ein bisschen bedauern könnte ich mich auch noch – ich bin (fast) arbeitslose Mutter geworden. Die Kinder sind keine Kinder mehr, aber ganz erwachen sind sie (zum Glück) noch nicht. Ich kann ihre Selbstständigkeit genießen, kann sie begleiten in den Dingen, die sie nun zwingend alleine handhaben müssen und bekomme doch noch das Gefühl von beiden gebraucht zu werden. Was für ein schöner Prozess zu beobachten, wie sie in die Erwachsenenwelt hineinwachsen! Dazu kommt die bewusste Erkenntnis, dass der Vater und ich uns immer mehr mit dem Bewusstsein auseinander setzten, wie wir unsere Zweisamkeit künftig gestalten … wie spannend.

Vorwärts blickend werde ich das neue Jahr beginnen.

Bei allen Rückblicken oder Neujahrsgedanken, die ich gelesen habe, haben mir zwei besonders gefallen. Über „Toms Gedankenblog“ bin ich auf den Beitrag von Lydia Krüger gekommen: „Gute Vorsätze für 2016? Warum ein Jahresmotto besser funktioniert“. Lest es – für mich war es sofort einleuchtend und ich finde ein Jahresmotto prima. Vorsätze habe ich seit Jahren keine, denn – ich kenne mich. Sie sind so schnell vergessen, wie der Alltag mich wieder im Griff hat. Als ich es gelesen habe, hatte ich sofort mein Jahresmotto: „Neue Perspektiven!“ … seit längerem schon spüre ich die Lust auf Neues, Umdenken, innovative Ideen … ich denke, es wird ein gutes Jahr, dies an verschiedenen Ecken in Angriff zu nehmen!

Der zweite Beitrag ist ein Neujahrsgruß von Anna-Lena im Blog „Mein Lesestübchen“. In ihrem Beitrag „Zum Jahresende“ bettet sie in ihren Text viele lesenswerte Blogs mit Namen ein. Lest den Beitrag und klickt euch durch diese wunderbaren Blogs. Es ist eine Bereicherung – versprochen. Seit zwei Jahren gehört die Blogwelt nun zu mir. Viele virtuelle Freundschaften sind entstanden, die ich nicht mehr missen möchte. Ich genieße in hohen Maßen, dass dieses Medium wesentlich langlebiger und beständiger als alle anderen sozialen Medien ist. Ich genieße die Vielfalt der Blogs, die sich in der Meinungsvielfalt und unterschiedlichen Macharten spiegelt. Und es entwickelt sich immer weiter … meine natürliche Neugierde kommt auf volle Kosten. 😉

In der Zusammenfassung aus meinen Nicht-Rückblicken ergibt sich für mich folgendes: Ich zerbreche nicht an Dingen, die ich nicht beeinflussen kann und werde nicht aufgeben an das Gute im Menschen zu glauben. Da der Moment zählt, achte ich feinfühliger auf gute Entwicklungen, die ich vorantreiben kann. Ich werde in diesem Sinne weiter an mir feilen und weil ich gebraucht werde, gibt’s auch keine Langeweile. 🙂 Passt!

Auf ein neues, gutes, spannendes und interessantes Jahr!

Herzliche Grüße von
Anna

Wir müssten mal wieder …

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Wer kennt es nicht: Man ist unterwegs und trifft alte Freunde oder Bekannte aus längst vergangenen Tagen wieder. Die Freude ist groß, man grüßt sich, fragt wie es geht, tauscht spannende Dinge aus, die sich zwischenzeitlich ergeben haben und stellt fest, dass die Sympathie doch noch die gleiche ist wie früher. Und eh man sich versieht, sagt einer von beiden: „Wir müssten mal wieder …!“ Gegenseitig verspricht man sich zu melden und geht wieder getrennter Weg … Zuhause erzählen wir vielleicht von der Begegnung, gehen ins Tagesgeschehen über und vergessen in der Regel ziemlich schnell dieses „Wir müssten mal wieder …!“

Ich sage es selber und halte mir zugute, dass ich es ehrlich so meine – solange bis ich wieder in meinem eigenen Trott bin. Schuld daran ist natürlich die Zeit, die ich nie habe. Das glaube ich jedenfalls, wenn ich denkfaul bin oder eine Ausrede parat haben möchte. Tatsächlich bin ich diejenige, die ihre Zeit verwaltet und ja, ich habe inzwischen gelernt, dass es nicht die Zeit ist, die ich nicht habe. Es sind die Prioritäten, die allein ich selber festlege. Doch gerade diese Prioritäten sind es, die sich von Zeit zu Zeit verschieben und sich aus meiner jeweiligen Lebenssituation ergeben. Dieses „Wir müssten mal wieder …!“ ist eigentlich der Wunsch an etwas Vergangenem anzuknüpfen, das es in der damaligen Form nicht mehr gibt.

Der Kern ist, dass sich die Menschen, mit denen wir uns umgeben, immer wieder in der Zusammensetzung verändern. Es gibt einige wenige, die für immer bleiben. Die Familie bleibt, wenn man ein gutes Verhältnis hat, und ein paar Freunde, von denen uns, wenn wir Glück haben, ein paar das ganze Leben begleiten. Alle anderen Freunde wie Bekannte, ArbeitskollgInnen, Freunde aus Interessensgruppen, Menschen, die man aus bestimmten Aktualitäten kennt, kommen und gehen, meist ohne bewusstem Beginn oder Abschied. Man kann diese Menschen nicht festhalten. Muss akzeptieren, dass die Dinge sich ändern und Freundschaften ihre Zeit haben, so schmerzlich es manchmal ist.

Es ist ein langer Prozess, dies zu erkennen und, vor allen Dingen, auch zu akzeptieren. Definiert man sich in jungen Jahren oft über viele Freunde und dem Wunsch einer Gruppe anzugehören, setzt sich mit steigendem Alter immer mehr durch, dass eher die Qualität als die Zahl der Freunde von Bedeutung ist. Die Erkenntnis, dass jeder wirkliche Freund einen besonderen Stellenwert hat und zu anderen nicht vergleichbar ist, kommt ebenso hinzu. So ist der Freund mit dem ich prima philosophieren kann, nicht minder demjenigen, der der ideale Partner ist um zum Beispiel Museen und Ausstellungen zu besuchen. Genauso wie das Heer von Bekannten, die je nach Kontext eine andere Funktion erfüllen.

Ein gutes Beispiel dafür sind unsere Schulfreunde, mit denen wir jahrelang die gleichen Stundenpläne, Lehrer, Schulstreiche und Notenkonferenzen teilen. Kaum vorstellbar für den Schüler, diesen Verband zu verlassen – bis zum letzten Zeugnis. Damit trennt sich dann die Gemeinsamkeit und allein die Berufswahl schickt alle in verschiedene Richtungen. Wie schön sind da Klassentreffen, bei denen sicherlich oft das ein oder andere „Wir müssten mal wieder …!“ gesprochen wird. Mit Studienfreunden verhält es sich genauso, wie mit Freunden aus Sport oder Hobby. Freundschaften trennen sich, wenn Paare beschließen alleine zu bleiben oder Kinder zu bekommen. Hat man Kinder, lernt man viele Bekannte unter den Eltern von Kita und Schule kennen. Elternabende und Schulfeste verbinden für ein paar Jahre und trotz Sympathie verliert man sich später aus den Augen. Trifft man sich dann beim Einkauf, hört man, wie sich die Kinder entwickelt haben und kann sich dieses „Wir müssten mal wieder …!“ vielleicht gerade noch verkneifen. Man hat die Realität verstanden oder fürchtet zu wenig Gesprächsstoff für ein ganzes Treffen. Die wenigsten bleiben übrig und nur dann, wenn das eigene Lebensmodell sich mit dem des Freundes oder Bekannten überschneidet, wenn eine Grundhaltung die gleiche ist oder ein anderes Interesse eine Fortführung der Freundschaft stützt.

Das schöne daran ist, dass man im Laufe seines Lebens unglaublich viele tolle Menschen und Erinnerungen an sie sammeln kann. Akzeptiert man, dass alles seine Zeit hat, bleibt in manchen Fällen vielleicht etwas Wehmut und Bedauern. Bei manchen Fällen, seinen wir ehrlich, bemerkten wir den Verlust kaum oder sind vielleicht sogar froh darüber. Andererseits kommen ja auch immer wieder neue Bekanntschaften hinzu, die sich vielleicht in Freundschaften wandeln. Es gibt viele Menschen, die ich kennengelernt habe, mit denen ich sehr gerne befreundet wäre. Viele, die ich leider hinter mir lassen musste. Viele, die ich bewundere, die aber aus den verschiedensten Gründen nicht zu meiner Lebensweise, Familie oder Umfeld passen. Doch welch glücklicher Umstand, dass es keine Grenze gibt, wie viele Bekannte ein Mensch verkraften kann. Das ist etwas, was ich an den sozialen Netzwerken sehr genieße: Zwar trifft man sich nicht mehr im realen Leben, kann aber doch ab und zu lesen, wie es dem anderen ergeht. Wer weiß, was daraus wird. Ich persönlich mag Menschen – viele, vielfältig, multikulturell und grenzenlos.

Nun, vielleicht ist dieses „Wir müssten mal wieder …!“ aber auch ein zaghaftes Abtasten, ob sich ein neuer Anknüpfungspunkt finden lässt. Oder es ist ein Test, ob der andere einen noch mag. Ein verlegener Satz eventuell, weil man sonst nicht weiß, wie man sich endgültig vom anderen trennen soll. Lassen wir sie gehen, diese vielen tollen Menschen und bedenken, dass „Vergangenheit ist, wenn es nicht mehr weh tut!“ – Mark Twain. Soll es aber nicht Vergangenheit sein, müssen wir den Augenblick nutzen. Dann gibt’s als Antwort auf das „Wir müssten mal wieder …!“ einzig ein bestimmendes „Wann?“