Acryl, Aquarell oder doch lieber Pastell?

Es fängt in aller Ruhe an. Die Kursleiterin richtet die Tische für die nächsten 2 ½ Stunden ein. Kleine Staffeleien, Farben, Becher mit verschiedensten Pinseln, eine Gliederpuppe, Malmittel, Wassertöpfe und anderes, finden Platz auf dem Tisch. Die Tischdecke, fast als wäre sie ein eigenes Bild, zeugt von sehr vielen Bildern, die hier schon entstanden sein müssen. Die ersten Kursteilnehmerinnen finden sich ein, begrüßen sich und bereiten ihre Plätze vor. Sie suchen sich die notwendigen Utensilien, stellen eigene Arbeitsmittel dazu und beginnen mit ihren Werken. Seit 12 Jahren, jeden Mittwochvormittag, verwandelt sich der Kieztreff in eine Malwerkstatt.

Das Wort „Werkstatt“ drückt im besten Sinne aus, was hier passiert: Es bietet sich Raum zum gemeinsamen Arbeiten, Experimentieren, Probieren, Lernen, Austauschen, Besprechen – im Fokus die Kunst, die sehr individuell auf jede Teilnehmerin abgestimmt ist. Das zeigt sich am deutlichsten, wenn wir den Teilnehmerinnen über die Schulter schauen. Bei der ersten fällt eine große Plastikflasche mit feinem Sand auf. Ich frage, was der zwischen den Farben zu suchen hat und erfahre, dass Sand mit Farbe gemischt, die Oberflächenstruktur beeinflusst sowie die Farbe verdichtet. Sand sei allerdings nicht die einzige Möglichkeit, es wurde hier schon mit Kaffeesatz oder Sägespänen und anderem experimentiert. Die Künstlerin mischt sich verschiedene Farbtöne auf ihre Palette, den Sand dazu, und taucht in die Farbflächen ihres Bildes ein, mischt, ergänzt, verdichtet, Fläche um Fläche. Die nächste Teilnehmerin hat gleich vier Malgründe vorbereitet und malt parallel an allen. Entstehen soll ein Jahreszeiten Pentaptychon. Kein leichtes Unterfangen, da Farben natürlich auch einer Temperatur unterliegen und Nuancen entscheidend sein können. „Die Farben haben immer ihr eigenes Leben,“ sagt sie dazu. „Erst entsteht eine Vision eines Bildes, die zur Idee wird und schließlich einer ganz eigenen Entwicklung unterliegt.“ Die vierte Kursteilnehmerin experimentiert auf unbekanntem Gebiet. Sie hat sich erstmalig einer Collage gewidmet. Ein Bild einer Frau aus einer Zeitung hat sie fasziniert und man merkt, wie es in ihr arbeitet, wenn ihr Pinsel seinen Weg über die Leinwand sucht. 

 

 

 

 

„In der Schule haben sie mir immer gesagt, dass ich nicht malen könne,“ erzählt die nächste Künstlerin und zeigt stolz ihr Blumenbild. Ihre Mutter und der Ehemann konnten sehr gut malen und es hätte sie immer selber gereizt. Als sie den Aushang der Malwerkstatt sah, hätte sie es einfach versucht. Sie hält stolz das gerahmte Bild in den Händen, überlegt, ob die Rahmenfarbe passt und straft das frühere schulische Urteil ab. Der Aushang der Malwerkstatt hat auch die nächste Teilnehmerin in den Kieztreff gelockt. Sie hätte noch nie gemalt, erzählt sie. Jetzt ist sie so begeistert, dass sie jeden Tag an ihren Werken arbeitet. Schaut man sich die Bilder an, mag man kaum glauben, dass sie vor kaum zwei Monaten angefangen hat Bekanntschaft mit Pinseln und Farben zu machen.

In der Unterschiedlichkeit der Teilnehmerinnen und deren Technikvielfalt offenbart sich die Intension der Malwerkstatt, die Ursula Langer-Weisenborn vor so vielen Jahren ins Leben gerufen hat. Sie gründete eine offene Malgruppe für kreative und experimentierfreudige Erwachsene. Hier ist alles erlaubt, was im Spielraum der Ideenvielfalt und Kreativität der TeilnehmerInnen liegt. Ursula Langer-Weisenborn macht keine Vorgaben wie und an was gearbeitet werden soll. Kommen neue TeilnehmerInnen hinzu, hinterfragt sie behutsam, wo das Interesse liegt, welche Technik geeignet sein könne, wie man eine Idee verwirklichen kann. Arbeiten die TeilnehmerInnen an ihren Werken, wird gemeinsam betrachtet, miteinander Erfahrungen ausgetauscht und so der kreative Diskurs gefördert. Farben, Materialien und Techniken können sich ein künstlerisches Wechselspiel erlauben, dass sich in den unterschiedlichsten Bildern offenbart und jedem nach Vermögen einen Erfolg bescheinigt. Ob Acryl-, Aquarell- oder Temperafarben verwendet werden, mit Pastell- oder Kohlestiften gezeichnet wird, Leinwand oder Papier als Malgrund verwendet wird, spielt keine Rolle. Das gemeinsame Arbeiten gibt Impulse, fördert Ideen und Ausdrucksvermögen. So wird es unwesentlich, ob jemand „gut malen“ kann oder gerade erst seine Kreativität entdeckt. Es gilt das geeignete Ausdrucksmittel und den persönlichen Weg ins kreative Arbeiten zu finden.

Die professionelle Anleitung durch Ursula Langer-Weisenborn gibt dabei den sicheren Rahmen. Die Leiterin der Malwerkstatt berät und gibt Anregungen, aber bestimmt keine Vorgaben für das Arbeiten. Die Diplom-Pädagogin weiß aus eigenen Erfahrungen und ihrem Studium in Berlin, London und Rom, dass Kunst Bewegungsfreiheit braucht und immer im aktuellen gesellschaftlichen Kontext zu sehen ist. Deshalb gibt es in der Malwerkstatt auch keine Anwesenheitspflicht. Die Zusammensetzung der KursteilnehmerInnen wechselt von Woche zu Woche. Die Aufwandsentschädigung wird nur für die tatsächlich in Anspruch genommenen Termine bezahlt. Neben der Malwerkstatt bietet Langer-Weisenborn die „Malwerkstatt für Mütter“ an, die sich in der Freude am kreativen Arbeiten entspannen können und Ausdrucksmöglichkeiten finden, für Dinge die sich sonst schwer in Worte fassen lassen. Ihr eigenes künstlerisches Arbeiten stellt Langer-Weisenborn in der Malwerkstatt in den Hintergrund. In der Malwerkstatt sind ihre pädagogischen sowie handwerklichen Erfahrungen ausschlaggebend. Nicht das fertige Bild, sondern eher der schaffensreiche Prozess zum Bild steht im Vordergrund. Eigene Bilder zeigt sie auch im diesem Jahr beim 4. Kunstmarkt der Generationen, die sie unter das Thema „Rosen“ gestellt hat. Auch die Malwerkstatt kann auch auf Gemeinschaftsausstellungen im Kieztreff, im Gutshaus Lichterfelde oder Nachbarschaftsheim Schöneberg und anderem zurückblicken.

Ich frage eine Teilnehmerin, ob Konkurrenz ein Thema in der Werkstatt sei: „Nein, eher manchmal so ein kleiner Neid,“ antwortet sie mit einem Augenzwinkern. Nach meinem Besuch überlege ich, wie mein Bild aussehen könnte, welchen Pinsel, welche Farben, welche Technik ich wählen würde. Acryl, Aquarell oder doch lieber Pastell? Das offene Konzept, die Stimmung und Ruhe laden zum Mitmachen ein.

Malwerkstatt – offene Malgruppe für Erwachsene
Mittwochs, 9.30 – 11.30 Uhr im Kieztreff, Celsiusstraße 60, 12207 Berlin.
Gebühr 10 € pro Termin, Grundmaterial wird gestellt.
Neueinstieg ist jederzeit möglich.

Malwerkstatt – offene, kreative Gruppe für Mütter
Montags, 9.30 – 11.30 Uhr im Kieztreff, Celsiusstraße 60, 12207 Berlin.
Gefördert durch das SRL-Projekt Steglitz-Zehlendorf.
Das Material wird gestellt.

Leitung: U. Langer-Weisenborn, Diplompädagogin, freischaffende Malerin
Informationen und Anmeldung: 030 77 32 84 77


4. Kunstmarkt der Generationen

24. Juni 2017, 12.00 – 18.00 Uhr,
Schlosspark Lichterfelde am Hindenburgdamm 28, 12203 Berlin

Informationen und Kontakt:
Manuela Kolinski,
Projektleiterin Gutshaus Lichterfelde,
Telefon 030 84 41 10 40, E-Mail: kolinski@stadtteilzentrum-steglitz.de

Herzlich Willkommen – aus der Flüchtlingsarbeit

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Rund um die Turnhalle Lippstädter Straße

Der Einzug von 250 Flüchtlingen in die Turmhalle der Lippstädter Straße hatte über die Weihnachtsfeiertage 2014/2015 für viel Aufregung gesorgt. Die Halle war beschlagnahmt worden und als Notunterkunft eingerichtet. In der von jetzt auf gleich ausgerufenen Spendenaktion zeigte sich die Hilfsbereitschaft der Steglitz-Zehlendorfer in überwältigender Weise. Es konnte eine Spendenausgabe eingerichtet und die Menschen mit den ersten Dingen des täglichen Gebrauchs versorgt werden. Drei Monate später ist es ruhiger um diese Turnhalle geworden. Dies aber nur vordergründig, denn die Flüchtlinge wohnen immer noch dort und die Flüchtlingsarbeit um diesen Menschen zu helfen, geht unvermindert weiter.

Die dortige Flüchtlingsarbeit hat sich jedoch verändert und wurde den Bedürfnissen der Menschen in der Halle angepasst. Dazu haben sich insbesondere zwei Einrichtungen des Stadtteilzentrum Steglitz e.V. den Flüchtlingen geöffnet. Im „kieztreff“ in der Celsiusstraße 60 wird seit einigen Wochen jeden Freitag Nachmittag gemeinsam gekocht. In der Einrichtung, die von jeher sehr multinational geprägt ist, geht es an diesen Nachmittagen sehr lebhaft zu und gemeinsam mit Gästen, ehrenamtlichen HelferInnen und MitarbeiterInnen, werden Gerichte ausprobiert, Kaffee getrunken und so abwechslungsreiche Nachmittage verbracht. Wie willkommen diese Abwechslung im Hallenalltag ist, zeigen die immer wiederkehrenden Gäste. Das KiJuNa – Kinder-, Jugend- und Nachbarschaftszentrum in der Scheelestraße hat seine Türen ebenso geöffnet. Dieses Angebot wurde sehr schnell Bestandteil des Tagesablaufes der HallenbewohnerInnen. Täglich besuchen bis zu 35 Flüchtlinge das Haus, nutzen die angebotenen Freizeitmöglichkeiten und Spiele, um sich angenehm und angenommen die Zeit zu vertreiben.

Neben dem Freizeitaspekt wird in vielen anderen Bereichen geholfen. Veronika Mampel, Koordinatorin der Flüchtlingsarbeit im Stadtteilzentrum Steglitz e.V., hat sich beispielsweise dafür eingesetzt, dass die Kinder in der Halle zur Schule gehen können. Dies ist zum Teil gelungen und neben dem Schulbesuch nutzen die Kinder auch die vielen AG-Angebote im KiJuNa. Erste Impfungen haben stattgefunden, montags kommt eine Friseurin in die Halle, ein Deutschkurs für die Hallenbewohner findet regen Zulauf. Darüber hinaus müssen immer wieder viele Fragen beantwortet und Flüchtlinge, die neu eintreffen, mit Kleidung versorgt werden. Auch die Spendenausgabe hat sich verändert. Die Spendenannahme findet unverändert montags und freitags von 10.00 – 15.00 Uhr im KiJuNa statt. Insbesondere wird Herrenbekleidung gesucht, wovon immer zuwenig da ist. Aber auch Koffer, Taschen, Hygieneartikel für Männer und Frauen werden gebraucht. Und nicht zuletzt der Zucker, der für die süßen Getränke vonnöten ist.

Die Spendenausgabe fand anfänglich in zwei Räumen in der Halle statt. Diese Räume wurden als Spielzimmer für die Kinder umgestaltet und erfreuen sich großer Beliebtheit bei den kleinen Bewohnern. Die Spendenausgabe zog ins KiJuNa um, da aber auch hier die Räumlichkeiten begrenzt sind, wurde nach einer besseren Lösung gesucht. Die ist gefunden: In der Einkaufspassage, Celsiusstraße 66, wurde am 26. März eine kleine Trödelstube eröffnet. Dort finden bedürftige Menschen Damen- und Herrenbekleidung und auch eine schöne Bücherecke wurde gemütlich eingerichtet. Die Trödelstube steht allen Besuchern offen. Auch hier werden ehrenamtliche Helfer gesucht.

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Ein nicht unerheblicher Aspekt dieser facettenreichen Arbeit ist die Unterstützung der ehrenamtlichen Helfer, die Veronika Mampel gewinnen konnte. Ob im Bereich der Spendenausgabe, des Deutschunterrichts, im Spielzimmer oder bei sportlichen Aktivitäten im KiJuNa – die Ehrenamtlichen leisten wertvolle Hilfe, für die der Verein sehr dankbar ist. Dabei wird niemand einfach eingeteilt. Bei den regelmäßigen Helfertreffen im KiJuNa wird gemeinsam besprochen, welche Vorstellung die Freiwilligen mitbringen, wo ihre Stärken liegen und was sie gerne anbieten und tun möchten. Das wird abgeglichen mit dem Bedarf und in Wochenpläne eingetacktet, so dass jeder genau weiß, wo seine Hilfe benötigt wird. Zu diesen Treffen kann jeder kommen, der sich für die ehrenamtliche Arbeit interessiert. Das nächste Treffen findet am 10. April 2015 um 18.00 Uhr im KiJuNa, Scheelestraße 145, 12209 Berlin statt.

Die Turnhalle soll bis Ende April Notunterkunft bleiben, was aber noch offen ist. Auch wenn sie wieder als Turnhalle genutzt wird, wird die Flüchtlingsarbeit nicht enden. Die Erfahrungen, die hier gemacht werden, kann der Verein in die künftige Arbeit des sogenannten Containerdorfes am Ostpreußendamm mit einbringen. Die neue Wohnanlage ist für 350 Flüchtlinge ausgelegt und soll voraussichtlich, von der Neue Treberhilfe in Berlin gGmbH als Betreiber und dem Stadtteilzentrum Steglitz e.V. als sozialer Partner, Ende Mai/Anfang Juni eröffnet werden.

Früh übt sich – Ehrenamt mit 16 Jahren

Magdalena und Lina sind wie viele Jugendliche: neugierig auf die Welt, aufgeschlossen und verbreiten dieses „Mir gehört die Welt“-Gefühl um sich herum. Doch trotz dessen, dass sie zur Zeit sehr in die Schule eingespannt sind, nehmen sie sich für etwas Zeit, das eher wenige Jugendliche interessiert. Beide sind 16 Jahre alt, gehen in das 2. Semester (11. Klasse) des Lilienthal-Gymnasiums und engagieren sich in ihrer Freizeit ehrenamtlich in der Flüchtlingsarbeit.

Über Magdalenas Mutter haben sie von der neuen Notunterkunft in der Turnhalle erfahren und auch, dass es dort die Möglichkeit gibt, sich ehrenamtlich in der Flüchtlingsarbeit zu engagieren. Sie kamen mit der Mutter zu einem der ersten Helfertreffen im KiJuNa – Kinder-, Jugend- und Nachbarschaftszentrum. Bei diesem Treffen wurde besprochen, wer sich für welche Bereiche interessiert, welche Stärken er mitbringt und wo eingesetzt werden könnte. Damit begann ihre Arbeit bei der Spendenausgabe in der Halle, in der sie von nun an einmal in der Woche bereit standen. Insbesondere galt es hier, die Spendenausgabe zu regeln, darauf zu achten, dass nicht zu viele Menschen gleichzeitig im Ausgabe-Raum standen, zu helfen, wenn etwas bestimmtes gesucht wurde. Ein großer Teil der Arbeit bestand im Sortieren und Aufräumen der gespendeten Kleidung. Später, als die Spendenausgabe verlagert wurde, änderte sich ihre Aufgabe. Die Räume wurden in Spielzimmer für die Kinder umgewandelt und von nun an begleiteten beide Mädchen Flüchtlingskinder in ihren Spielen und beim Malen.

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Sportliche Aktivitäten fallen ebenso in ihren Bereich. So haben sie beispielsweise mit Händen, Füßen und mit ein bisschen Englisch, den Flüchtlingen die Spielregeln für ein Frisbee-Spiel erklärt. Das hat viel Spaß gemacht und hat viel zu lachen gegeben. Mit den kleineren Kindern haben sie Seifenblasen aufsteigen lassen und auch dabei viel gemeinsamen Spaß erlebt. Kleine Beispiele ihrer Arbeit, die für alle ein großer Gewinn sind. Berührungsängste haben sie von Anfang an nicht gehabt. Zu Beginn haben sie viel beobachtet, aber schnell für sich festgestellt, dass ihnen alle Flüchtlinge in der Halle sehr freundlich und nett entgegengekommen sind. Lina erinnert sich, dass sie das erste Mal, als sie von der Halle nach Hause ging, gedacht hatte, dass es gar nicht schwierig gewesen sei.

Wenn sie in der Schule von ihrem Engagement erzählen, bekommen sie fast nur positive Rückmeldungen. Die meisten Mitschüler finden es gut, was sie machen, hinterfragen aber, woher sie die Zeit nehmen würden. Dabei sind es ja nur zwei Stunden in der Woche, die man gut aufbringen kann, sagen sie. Sie äußern Verständnis für Gleichaltrige, denn als Teenager hat man andere Sachen als zu helfen im Kopf. Für Magdalena und Lina ist es aber ziemlich normal anderen zu helfen. Sie haben beide nicht das Empfinden, etwas besonderes zu tun, räumen beide ein, dass sie sich keine großen Gedanken darüber machen, sie tun es einfach. Im Fach Politikwissenschaft haben sie das Thema im Unterricht behandelt und durch ein Referat über die Flüchtlingspolitik Deutschlands wertvolle Einblicke gewonnen. So haben sie auch in der Schule zu Spenden aufgerufen und große Unterstützung bei den Lehrern gefunden. Das hat nicht den Erfolg gebracht, den sie sich erhofft hatten, aber sie haben es versucht und hatten dabei ein gutes Gefühl.

Beide finden es wirklich wichtig, dass man anderen hilft und keine Angst davor hat. Die Flüchtlinge kommen aus anderen Ländern in denen Krieg herrscht und die hier ein neues Leben aufbauen wollen. Wer wirklich helfen wolle, könne sehr schnell eine Möglichkeit finden. Sich ehrenamtlich zu engagieren, hat sich Magdalena von der Mutter abgeschaut, die zum Beispiel ehrenamtlich eine Hausaufgabenbetreuung einer Grundschule betreut hat. Auch für Lina ist das nichts Neues, die u.a. schon einmal in einer Suppenküche geholfen hat. Helfen gehört zum Zukunftsplan beider Mädchen. Madalena möchte ein freiwilliges soziales Jahr nach dem Abitur machen. Lina plant ein Jahr mit „Work and Travel“ durch Amerika zu reisen. Und sollte die Halle als Unterkunft aufgelöst werden, dann findet sich ein anderer Bereich, in dem sie sich engagieren können – da sind beide sehr zuversichtlich.

Leitartikel der Homepage des
Stadtteilzentrum Steglitz e.V. vom 30. März 2015

Die Zeitung Nummer 374

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Nr. 374 macht sich auf den Weg

In der riesigen Produktionshalle der Druckerei steht ein Koloss von einer Maschine, der fünf Farbwerke verbindet und einfaches weißes Rollenpapier in bedruckte Zeitungsseiten verwandelt. Es ist laut in der Halle, denn verbunden mit dem Koloss sind weitere Maschinen und Förderwerke, die in einer Endlosschleife das Rollenpapier verarbeiten und am Ende fertig verpackte Zeitungsstapel produzieren und auswerfen. Es ist die Geburtsstunde der kleinen Stadtteilzeitung, die sich von hier aus auf ihren Weg zum Leser macht. In einem dieser Zeitungsstapel lag eines Tages eine kleine Zeitung, die gleich nach Entstehung eine unglaubliche Neugierde entwickelte, wohin ihr Weg sie führen würde. Sie war ungemein stolz auf ihre schönen gedruckten Buchstaben und bunten Bilder, die viele schöne Berichte auf ihren 12 Seiten zusammenfassten.

Doch zuerst führte der Weg der Zeitungen in der Druckerei zu einem großen Lastwagen. In dem war es ziemlich eng und voll, von oben und unten wurde gedrückt, alles war mit Zeitungsstapeln voll gepackt. Doch es half nichts. Die Lastwagen wurde geschlossen, Motorengeräusche waren zu hören und in schunkelnder Fahrt machten sich alle Zeitungsstapel auf ihren gemeinsamen Weg. Lange dauerte die Fahrt nicht. Der Laster hielt an, wurde geöffnet, Stapel für Stapel wurde in einen kleinen Raum getragen. Die Tür des Raums ging zu und erst einmal war Ruhe. Unsere kleine Zeitung schaute sich ein bisschen um und entdeckte ein Plakat auf dem in bunten Buchstaben stand: „Faschingsfest im KiJuNa“. „Aha, KiJuNa heißt das hier also,“ dachte sich die kleine Zeitung und überlegte, was das wohl war.

Als sich unsere kleine Zeitung gerade so richtig anfing zu langweilen, ging die Tür wieder auf. Zwei Männer kamen herein und besprachen sich, wie sie die ganzen Zeitungsstapel nun im Bezirk verteilen würden. Sie brachten die Stapel erneut in einen Wagen, diesmal in einen kleinen Transporter, der keine allzu lange Fahrt vermuten ließ. Unsere kleine Zeitung dachte sich ganz richtig, dass dies nun wohl der Zeitpunkt war, sich von seinen Brüdern und Schwestern zu verabschieden. Die Zeitungen hatten ja eine Aufgabe: Die Buchstaben und bunten Bilder, die sie trugen, ergaben spannende Informationen, die unbedingt einen Leser finden wollten. Recht hatte sie – nach kurzer Zeit trugen die beiden Männer mal hier, mal dort – immer ein, zwei, drei Stapel der Zeitungen in ein Geschäft, eine Bücherei, ein Bezirksamt oder eine Einrichtung. Bei den Einrichtungen stand immer Stadtteilzentrum auf einem Schild. Die mochte unsere kleine Zeitung, denn das Wort „Stadtteil…“ war ja auch ein Teil ihres schönen Namens. In einer dieser Einrichtungen wurde ihr Stapel schließlich auch gebracht. Dort war eine Frau, die die Männer sehr herzlich begrüßte und sich richtig freute, dass sie die neuen Zeitungen bekam. Als die Männer weiterfuhren, legte die Frau die älteren Zeitungen zur Seite und platzierte die neuen in einem schönen Stapeln bereit. Was wohl mit den älteren Zeitungen gemacht werden würde, überlegte sich unsere kleine Zeitung. Aber das vergaß sie recht schnell, denn nun war ja der Moment „ihren“ Leser zu finden in greifbare Nähe gerückt. Drei Geschwister lagen über ihr – oh, wie sie sich freute.

In der Einrichtung, in der die Zeitungen lagen, war ganz schön viel los. Männer, Mütter mit Kindern, ältere Frauen und Herren, alle aus aller Herren Länder. Die sprachen so viele unterschiedliche Sprachen, dass unsere kleine Zeitung sich immer freute, wenn sie entdeckte, dass die ganzen Menschen ja doch ihre Sprache, also ihre Buchstaben, verstehen und sprechen konnten. Eine Frau mit Kopftuch nahm die erste Zeitung und steckte sie ohne zu lesen ein. „Hm, liest sie bestimmt heute Abend“, dachte die kleine Zeitung, „noch zwei, dann bin ich dran!“ Die nächste Ausgabe nahm eine junge Frau mit einem Baby auf dem Arm und setzte sich ins Café. „Noch eine über mir,“ dachte die kleine Zeitung. Nach einer Weile kam ein ziemlich alter Herr mit Aktentasche. Der sah etwas grummelig aus. Auch er nahm sich eine Zeitung, schaute sich das große Titelbild an, las ein bisschen und fing an zu lächeln. „Aha, wir haben also die Kraft unsere Leser zum Lächeln zu bringen!“ dachte sich unsere Zeitung und konnte kaum mehr aushalten, da sie nun an der Reihe war.

Nun … es dauerte. Keiner kam und nahm sich die kleine Zeitung. Es wurde Nacht und wieder Tag. Die freundliche Frau kam zurück, schloss alles auf, kochte Kaffee, breitete das Frühstück vor für die Gäste in ihrer Einrichtung, die „kieztreff“ hieß. Zu ihr kam eine zweite Frau und sie unterhielten sich, dann kam ein Mann, der sich an die Theke setzte. „Jetzt,“ dachte sich die kleine Zeitung, „gleich entdeckt er mich!“ und tatsächlich zog der Mann die oberste Zeitung zu sich heran. Fing an zu lesen, blätterte, las weiter, blätterte … oh, wie wohl fühlte sich die kleine Zeitung. Schließlich zog der Mann einen Kugelschreiber aus seiner Tasche, klappte die Zeitung zu und schrieb in die obere Ecke „374“. Faltete die Zeitung zusammen und steckte sie in seine Jackentasche.

„Ich bin jetzt also die Zeitung Nr. 374.“ überlegte sich unsere Zeitung. „Was das wohl zu bedeuten hat?“ Aber das überlegte sie nicht lange, denn der Mann machte sich auf den Weg und unsere Nr. 374 freute sich auf die Dinge, die sie nun mit dem Mann erleben würde …

Familie Glück und Nummer 374

Der Mann, der die Zeitung mit der Nummer 374 mitgenommen hat, heißt Herr Glück. Er ist der Vater von Jule und Paul und wohnt mit Frau Bärbel und Schwiegermutter Else zusammen in einem kleinen Haus in Lichterfelde. Ab und zu geht er in den „kieztreff“, trink dort einen Frühstückscafé, liest etwas in der Zeitung, bevor er sich auf den Weg zur Arbeit macht. In seinem Garten steht eine riesengroße Lärche, die mit der Zeit sehr krumm gewachsen ist und er Befürchtungen hat, dass sie irgendwann umfällt. In der kleinen Zeitung hatte er in einem Beitrag gelesen, dass man unter bestimmten Voraussetzungen solch einen Baum fällen darf. Eine Amtsnummer, die Auskunft geben kann, stand auch in dem Artikel, Durchwahl -374. Dort wollte er anrufen und sich erkundigen.

Als Herr Glück am Abend nach Hause kam, hatte er seine Informationen bekommen. Die Lärche gehört nicht zu den geschützten Baumarten in Berlin, also durfte sie ohne Genehmigung und Ersatzbepflanzung gefällt werden. Herr Glück hängte seine Jacke an den Garderobenhaken, sah die kleine Zeitung in der Tasche, die er nun ja nicht mehr brauchte und legte sie auf den Beistelltisch. Er begrüßte seine Familie und freute sich auf einen schönen Abend zuhause. Natürlich erzählte Herr Glück davon, dass die Lärche gefällt werden dürfe und man nun schauen müsse, wer so etwas machen kann. Frau Glück, die ja die Pläne den Baum zu fällen kannte, hatte sich schon einmal online umgeschaut, was man statt dessen dort pflanzen könne. Verliebt war sie in einen Ginkgobaum, der zwar auch ein Nadelgehölz ist, aber doch Blätter hat. Gefallen hat ihr besonders, dass der Ginkgo als Lebensbaum gilt und seinen Blättern eine große Heilwirkung zu gesprochen wird.

Später, als Frau Glück schlafen ging, kontrollierte sie noch einmal die Haustür. Dabei fiel ihr Blick auf die kleine Zeitung auf dem Beistelltisch oder besser gesagt, auf die Nummer auf der kleinen Zeitung auf dem Beistelltisch. 374 … was hatte denn nun das zu bedeuten. 374 war genau die Online-Bestellnummer für einen Ginkgo-Baum. Sie nahm die kleine Zeitung in die Hand, blätterte sie durch und überlegte. Bestimmt wollte sie ihr Mann mit dem schönen Baum überraschen und da er sich keine Zahlen merken konnte, hatte er sie hier aufgeschrieben und vergessen einzustecken. Aber hatte sie tatsächlich die Nummer in dem Gespräch erwähnt? Nun, das wusste sie nicht mehr und legte die Zeitung gedankenverloren in die Schublade darunter.

Das gefiel der kleinen Zeitung nun nicht. In der dunklen Schublade konnte sie keiner sehen. Sie wollte gelesen werden und erst nach ein paar Tagen, in denen sie außerhalb viele Geräusche gehört hatte, zog jemand die Schublade wieder auf. Das Gesicht von Oma Else war zu sehen. Die suchte ihren Schlüssel – wieder einmal – und hoffe ihn in der Schublade zu entdecken. Da war er nicht, aber die Zeitung kannte sie nicht und beschloss, sie sich zum Kaffee anzuschauen. „Endlich wieder jemand der mich lesen möchte,“ stellte die kleine Zeitung zufrieden fest. „Ich kam mir schon wie Altpapier vor!“ … am Nachmittag war es dann soweit. Oma Else machte es sich auf der Terrasse gemütlich, legte sich die Zeitung und ihr Strickzeug bereit, dann machte sich eine schöne Tasse Kaffee. Sie las in der Zeitung, die sich nun so richtig wohl und beachtet vorkam. Alle Beiträge hatten etwa das gleiche Thema. Es ging in der ganzen Zeitung um „Nachhaltigkeit“. Ein ganz modernes Thema, das davon handelt, wie wir unsere Bedürfnisse und unseren Verbrauch so ändern, dass wir die Welt nicht zu sehr belasten und für unsere Nachkommen erhalten. Oma Else las alles durch und legte die Zeitung später zufrieden zur Seite. 374 … sie nahm ihr Strickzeug in die Hand, blickte aber immer wieder auf die 374, die auf die Zeitung geschrieben stand. War sie beim Stricken tatsächlich in Reihe 374 stehengeblieben? Nun, Oma Else grübelte nicht lange und legte los … Reihe 375, 376, 377 … die kleine Zeitung lag zufrieden auf dem Tisch … durchgelesen!

Etwas später am Nachmittag setze sich Paul zur Oma und erzählte ihr, was er am Nachmittag mit seinem Freund Jasper erlebt hatte. Die beiden Jungen waren zum Weiher gefahren und hatten dort ihre Boote fahren lassen. Paul war so stolz auf sein selbstgebautes Boot, das aber etwas langsamer als Jaspers Boot war … Jasper hatte Model 374 – als Paul die Zahl in der oberen Ecke auf der kleinen Zeitung sah, erschrak er so heftig, dass er gegen den Tisch stieß und sein Saftglas umstieß. Na, was für eine Freude. Oma Else sprang auf und rettete vor dem Saft was sie halten konnte. Paul holte einen Lappen und so hatten sie schnell wieder alles in Ordnung gebracht. Nur die kleine Zeitung sah jetzt nicht mehr so fein aus. Else legte sie schnell zur Seite auf die Fensterbank, wo sie trocknen konnte. „Was ist nur mit dir los, Paulchen,“ schimpfte Oma Else, „manchmal bist du wirklich ungeschickt.“ Paul hörte das nicht. Er überlegte, warum die Nummer mit seinem Wunschmodel auf der Zeitung gestanden hatte. Ob sich da wohl jemand Gedanken für seinen Geburtstag gemacht hatte?

Am frühen Abend kam die ganze Familie auf der Terrasse zusammen. Die Mutter hatte für alle etwas zu essen bereit gestellt, alle hatten etwas über den Tag zu erzählen und unterhielten sich angeregt. Bis Oma Else anfing vom Nachmittag und dem umgeschubsten Saftglas zu erzählen. Sie beklagte sich, dass das Strickzeug ja doch ein paar Spritzer von dem Saft abgekommen hatte und nun ganz klebrig sei. „Aber,“ beschwerte sie sich, „ist ja eh wurscht. Ich hab bei Reihe 374 weitergestrickt, weil das auf der kleinen Zeitung stand. Als ich den Fehler gemerkt hatte, war ich im Muster schon viel zu weit. Jetzt muss ich wieder alles aufmachen und neu anfangen.“ „Äh, 374. Auf der kleinen Zeitung? Das war doch nur die Durchwahl für das Grünflächenamt, weil ich wissen wollte, ob wir die Lärche fällen dürfen. Sonst würde die ja immer noch dort stehen!“ sagte Herr Glück ganz verwundert und schaute in die großen Augen seiner Frau. „Wie, Durchwahl,“ , meinte sie. „War das nicht die Online-Bestellnummer für meinen neuen Ginkgo-Baum? Hast du ihn nicht bestellt?“ Die Eltern schauten sich fragend an und wieder zur Oma, die leise vor sich hin schimpfte und irgendwas von mangelnder Kommunikation in der Ehe erzählte. Und Paul … tja, der schaute ebenso verwundert, nein eher enttäuscht, und erzählte mit leiser Stimme ebenfalls von seiner Verbindung zu Nummer 374 … Sprachlosigkeit in der Familie und jeder hing seinen Gedanken nach. Der Vater fragte mit einem Mal, wo eigentlich Jule ist. „Jule wird ja wohl nichts mit 374 zu tun haben … Jule!“ rief er laut.

Jule meldete sich … im hintersten Winkel des Gartens, dort wo vorher die Lärche gestanden hatte, war sie auf dem Boden beschäftigt. Das interessierte dann doch alle und sie gingen zu ihr hinüber. Jule buddelte in der Erde. „Schau mal, Mama. Ich habe diese kleine Kastanie im Park gefunden. Die hat ausgekeimt und ist schon so groß. Wenn ich sie im Park gelassen hätte, wäre sie bestimmt kaputt gegangen. Wir haben doch jetzt den Platz, wo die Lärche weg ist.“ Jule schaute alle mit strahlendem Gesicht an. Herr und Frau Glück konnten sich ihr Lächeln nicht verkneifen und Paul meinte dazu: „Ich weiß jetzt, was Jule mit der kleinen Zeitung Nummer 374 zu tun hat. Schaut mal zu der Erde. Jule hat Zeitungsschnipsel mit eingegraben.“ „Warum hast du das denn gemacht?“ fragte die Oma. „Na, in der Schule im Hort haben wir heute gelernt, dass Zeitungspapier aus Bäumen gemacht wird. Und als ich vorhin mit der Kastanie gekommen bin, habe ich die nasse Zeitung gesehen. Die kann ja keiner mehr lesen.“ „Dann hat der kleine Baum ja genügend Lesestoff und wird bestimmt ein schlauer Baum,“ lachte die Oma und auch die anderen mussten jetzt alle lachen. 374 – eine einfache Zahl auf so einer kleinen Zeitung und jeder hatte damit etwas zu tun. „Ach, Paulchen, natürlich bekommst du dein Model Nr. 374 zum Geburtstag. Das Geld für den Ginkgo haben wir ja jetzt eingespart, dank Jule und der kleinen Zeitung!“

Die kleine Zeitung war zufrieden – zwar in kleine Schnipsel zerrissen, aber sie hatte alles erlebt, was so eine Nr. 374 erleben kann. Eines Tages würde sie wieder ein großer starker Baum sein, der sicherlich nicht zu Zeitungspapier verarbeitet werden würde!

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Die Geschichte von Nr. 374 ist im Zusammenhang mit dem Papierpaten-Projekt des Stadtteilzentrum Steglitz e.V. entstanden. Eine schöne Projektbeschreibung findet sich in diesem Beitrag: Neue KollegInnen in der Geschäftsstelle

Eine Einrichtung mit Herz – der „kieztreff“

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Wenn sie auf die lange Wand an der Seite des „kieztreffs“ schaut, ist Rita Schumann besonders stolz. Dort ist ein riesengroßes Graffiti zu sehen, dass 2011 im Rahmen einer Veranstaltung von ihrem Kollegen und Graffiti-Künstler Sebastian Unger gesprüht wurde. Es ist immer noch unbeschädigt und das empfindet sie als eine Art Respekterweisung gegenüber der kleinen Einrichtung. Der „kieztreff“ ist eine Nachbarschaftseinrichtung in der Thermometersiedlung in Lichterfelde-Süd und feierte in diesem Jahr unter der Trägerschaft des Stadtteilzentrum Steglitz e.V. und in Kooperation mit FAMOS e.V. Berlin sein 10-jähriges Bestehen. Rita Schumann ging 2006 das erste Mal durch die Tür des Treffpunktes.

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Anfänglich war ihr nicht klar, was für eine erfüllende Aufgabe ihr bevorstand, als sie im „kieztreff“ als Projektleiterin anfing. Es war ein völlig neuer Einstieg nachdem sie jahrelang im Künstlermanagement gearbeitet hatte. Eine Tätigkeit, die so gar nichts mit sozialem Engagement zu tun hatte. Aber es war durchaus so gewollt: Nach der Arbeit mit den schönen Künsten und der Zusammenarbeit mit Künstlern stand ihr der Sinn danach etwas für das Gemeinwohl zu tun. Dazu bekam sie reichlich Gelegenheit und eigentlich gleich von Anfang an freute sie sich jeden Tag zur Arbeit zu gehen, Menschen aus dem Kiez zu treffen und mit Rat und Tat Unterstützung im Alltag zu geben. Hier kam ihr die erworbene Menschenkenntnis und Flexibilität zugute, die ihr früheres Berufsleben forderte. Aber hier war auch das Herz am richtigen Fleck gefragt und dafür war sie genau die Richtige. Die Einrichtung blühte auf und konnte sich beständig in der Nachbarschaft etablieren.

Die Aufgaben, die sie zu bewältigen hat sind sehr vielfältig und verlangen ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen. Es kommen Menschen vorbei, die Hilfe bei Schriftwechseln mit Ämtern oder Vermietern benötigen. Manche wissen nicht, wie man eine Bewerbung verfassen kann und bekommen hier Unterstützung, manche haben ein Problem und möchten es einfach loswerden und manche möchten zum Problem einen Rat. Rita Schumann muss mit feinem Gespür herausfinden, wie viel Hilfe gewünscht wird ohne zu nahezutreten. Natürlich weiß sie nicht alles, gibt sich auch nicht den Anspruch, aber sie weiß wohin man sich wenden kann und wer weiter helfen kann. Mit der Zeit konnten einige Beratungsangebote etabliert werden. In der Bürgersprechstunde steht die Polizei regelmäßig zur Verfügung, in der sozialen Sprechstunde können alle familienrelevanten Themen angesprochen werden und wenn’s ganz dicke kommt, gibt es auch noch eine Rechtsberatung vornehmlich für Familienrecht.

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Die Besucher der Einrichtung kennen sich zum großen Teil alle aus der Nachbarschaft, vom Sehen, vom Einkauf, von der Bushaltestelle. Sehr viele Familien mit kleinen Kindern kommen, auch alleinstehende Menschen und Senioren. Alle kommen vorbei und schätzen den einvernehmlichen Ton in der Einrichtung. Alle finden ein passendes Angebot oder wissen einfach eine gute Tasse Kaffee zu schätzen. Angebote gibt es viele und es fällt nicht schwer sie anzunehmen. Ausländische Frauen können einen Deutschkurs besuchen, der ihnen hilft im Alltag zurechtzukommen. Senioren können ihre Englischkenntnisse auffrischen, Kreative finden sich in der Malgruppe wieder und eine Rommé-Gruppe will sich gründen. Die Kaffee- und Gesprächsrunde bietet immer wieder neue Themen … das Miteinander bestimmt die Angebote und die Nachfrage ist groß. Dennoch sollte man kinderfreundlich sein, wenn man den „kieztreff“ besucht. Die Kleinen nehmen den gemütlichen Treffpunkt sehr für sich ein. An den Bastelnachmittagen, die mit FAMOS e.V. Berlin in Kooperation angeboten werden, wimmelt und wuselt es nur so von kleinen Künstlern, die egal ob drei oder zwölf Jahre alt, alle etwas Schönes mit nach Hause nehmen wollen. In der Lesestunde mit Märchen oder Gruselgeschichten und bei der Hausaufgaben-Hilfe sind auch die kleinen Geister ruhiger. Aber es ist gleichgültig, ob die Kinder im Sommer das Freigelände beschlagnahmen oder im Winter die Zimmer mit ihrem Spiel füllen, sie gehören zum Bild dazu und laden jedem zum Lächeln ein. Ob die Gäste einfach kommen um nicht alleine Frühstücken zu müssen oder ob sie am monatlichen Brunch teilnehmen, spielt im „kieztreff“ keine Rolle. Alle möchten Begegnung, Gespräch und gemeinsames Erleben. Hier kann man zwanglos Kontakte knüpfen oder einfach eine Zeitung lesen und nur am Rande das Geschehen beobachten.

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Das der „kieztreff“ so lebhaft ist, ist insbesondere der bunten Mischung vieler Nationen und Kulturen zu verdanken. Hier verkehren türkische, arabische, baltische, asiatische und polnische Familien. Die Unterschiede zwischen den Kulturen werden in den Alltag mit einbezogen. Muslimische Familien zum Bespiel feiern mit den Einheimischen Weihnachten und Ostern, die christlichen Kinder werden zum Zuckerfest von manchem Gast mit einem kleinen Geschenk bedacht. Es herrscht eine große Akzeptanz untereinander. Aber auch Neugierde und Interesse an fremden Kulturen. So hat das Feiern einen besonderen Stellenwert in der kleinen Einrichtung. Da die Wohnungen der Familien oftmals zu klein sind, verlegen sie ihre privaten Festlichkeiten in den „kieztreff“. Familienfeiern aller Art und Kindergeburtstage werden sehr oft ausgerichtet. Rita Schumann hilft mit ihren ehrenamtlichen Kräften, dass die Mütter einen schön geschmückten Raum präsentieren können. Das Buffet und was man so zum Essen benötigt bringen die Familien selber mit. Der Raum ist für diese Feiern so gefragt, dass man unbedingt einen Termin reservieren muss und die Einschränkung akzeptiert, dass nur während der Öffnungszeiten gefeiert werden kann. Macht aber nichts – genauso wenig, wie die Tatsache, dass meist mehr Gäste dabei sind, wenn sie schon mal in der Einrichtung sind. Vor der Tür muss niemand stehen. So passiert es, dass bei der Babyparty oder Taufe, der ein oder andere alleinstehende Senior dazu geladen wird oder die Trauerfeier durch Kinderlachen gelockert wird – das ist im „kieztreff“ nun einfach mal so. Abgrenzungen finden kaum statt, eher das Gegenteil kommt zum Tragen.

Manche Momente möchte Rita Schumann am liebsten festhalten. Hin und wieder kommt beispielsweise ein älterer Herr aus der Nachbarschaft vorbei. Die Kinder nennen ihn liebevoll „Herr Seymerchen“. Er ist 75 Jahre alt und spielt mit den Kindern sehr gerne, meistens Kids-Memory oder „Mensch ärgere dich nicht“. Hin und wieder ist ein besonders ehrgeiziges und mutiges Kind dabei, das fordert ihn dann zum Schach heraus. Herr Seymer nimmt es gelassen und wer weiß, wie oft er schon seine kleinen Spielpartner hat gewinnen lassen. Das sind die Szenen, die für Rita Schumann das nachbarschaftliche Zusammenleben symbolisieren. Diesen Momenten Raum zu geben, das Miteinander der Menschen zu moderieren, Anregungen und Hilfe zu geben, das sieht sie als ihre Herausforderung und Aufgabe an. Sie nimmt sie von Herzen täglich auf’s neue an und macht so aus dem „kieztreff“ eine Einrichtung mit Herz!

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Dieser Beitrag kam mit der wertvollen Unterstützung meiner Kollegin Rita Schumann zustande! 🙂

Leitartikel der Homepage des Stadtteilzentrum Steglitz e.V.
vom 29. September 2014