Meine Mama hat gekocht …

Um 3 Uhr mitten in der Nacht bekommt Zorica eine Nachricht über WhatsApp. Eine andere Mutter, fragt, ob sie am Mittag ihren Kochdienst tauschen kann, weil sie kurzfristig einen Termin hat. Zorica fragt kurz, was gekocht werden soll, bekommt die Rückmeldung „Käsespätzle“, und dass alles eingekauft ist. Der Tausch ist abgesprochen und das Mittagessen im KiReLi gesichert. An diesem Tag gibt es keine hungrigen Bäuche im Kinderrestaurant Lichterfelde, das seit 2008 im KiJuNa – Kinder-, Jugend- und Nachbarschaftszentrum im der Scheelestraße angegliedert ist.

Hungrige Bäuche und ein Kinderrestaurant passen sowieso so gar nicht zusammen. Dafür schafft in der Regel Melanie, die Köchin, Abhilfe. Die Mutter von vier Kindern kocht jeden Mittag mit viel Liebe, Einfallsreichtum und vor allen Dingen nährstoffreiche Kost. Die Kinder, die regelmäßig das KiReLi besuchen, lieben Melanie. Ende Februar wurde sie jedoch krank und es zeichnete sich ab, dass es etwas länger brauchen würde, bis sie wieder zur Verfügung steht. Es fügte sich sehr positiv, dass Melanie für drei Monate einen Praktikanten bekam. Andreas wurde von Melanie als Küchenhilfe eingewiesen, bekam einen Einblick, wie man die richtigen Mengen wählt, wusste, wo alles steht und unterstützte sie. Nun stand Andreas allerdings allein in der Küche, außer an zwei Tagen in der Woche an denen ihm auch Marina hilft.

25 Portionen Essen werden jeden Tag im Kinderrestaurant gekocht. Vornehmlich essen die Kinder aus dem Schülerclub hier, aber es kommt immer mal weitere Kinder hinzu. 25 Portionen zu kochen ist für eine Küchenhilfe alleine auf Dauer zuviel. So sprangen immer wieder KollegInnen aus dem pädagogischen Team mit ein und halfen Andreas. Das war allerdings auch keine Lösung, haben die ErzieherInnen doch andere Aufgaben.

Natürlich erzählten die Kinder Zuhause von diesem Engpass und die ersten Eltern boten ihre Hilfe an. Hier überlegte Jonas, der Projektleiter des KiJuNa, nicht lange, musste das Kinderrestaurant doch offen bleiben. Das Team ging auf die Eltern zu, man besprach, wie es funktionieren könnte und schaffte die Voraussetzungen dazu. So kam es, dass ein Team von etwa 8 Müttern und Vätern sich in der Küche mit dem Kochen abwechseln. Dies mit Unterstützung von Andreas. Den Eltern steht die Wahl des Gerichtes frei. Ebenso, ob das KiJuNa-Team einkauft oder sie selber die Zutaten besorgen. Anja, aus dem Team koordiniert die wöchentlichen Einsätze der Eltern. Jonas erzählt, dass die meisten Eltern lieber selber einkaufen und dann gleich das Essen „spendieren“.

Die Kinder sind begeistert von dieser Lösung. Sie bekommen Lieblings-Gerichte aus den arabischen Ländern, Afghanistan, Serbien und vieles andere serviert. Jedes Elternteil kocht wie Zuhause und weiß natürlich, was die eigenen Kinder besonders mögen. Und je nachdem, wer gerade kocht, sitzt immer wieder ein anderes Kind im Kinderrestaurant und sagt stolz: „Heute hat meine Mama oder mein Papa gekocht!“.

Das besondere an dieser Situation ist, dass die Eltern ihr Engagement über viele Wochen aufrechterhalten. Jonas, der selber schon in der Küche stand, sagt er sei gescheitert. Nicht weil er nicht gerne und gut kocht, es sind die Mengen, die tatsächlich eine Herausforderung sind. Für ihn sei diese Situation auch besonders, weil die kochenden Eltern einen Einblick bekommen, was im KiJuNa alles den Kindern angeboten wird. Im Normalfall holen sie ihre Kinder ab und verweilen wenig. Andreas hat sein Praktikum nun beendet. Schade, weil die Kinder auch ihn lieb gewonnen hatten. Er hat in einer besonderen Situation wertvolle Unterstützung geleistet.

Zorica erzählt stellvertretend für die Eltern, dass ihr Engagement in der Küche eine Art Dankeschön ist. Von ihren Kindern ist eins in der Kita im Haus und zwei sind im Schülerclub. Aber bei allem, was die Kinder hier geboten bekommen, hätte auch sie selber immer Ansprache und Hilfe bekommen, wenn sie einen Rat brauchte. Das KiJuNa wäre wie eine Art zweites Wohnzimmer. Das KiReLi muss geöffnet bleiben, auch wenn es schwer zu bewerkstelligen ist bis Melanie wiederkommen kann – bisher wurde es immer geschafft. So bleibt, Melanie gute Besserung und Andreas alles Gute auf weiteren Wegen zu wünschen. Schließlich möchten wir uns bei dem tollen Elternteam sehr herzlich für ihr großes Engagement zu bedanken!


Das KiReLi – Kinderrestaurant Lichterfelde wird ausschließlich über spenden finanziert. Auch hier sind wir für jede Hilfe sehr dankbar! Spenden kann man über die Homepage des Stadtteilzentrum Steglitz e.V.

Bildung ist Recht, kein Privileg!

Ihre Nachricht kam über WhatsApp „Ich hab’ es geschafft! Bestanden!“ Meine Tochter saß in der Schule und die Abiturnoten wurden verkündet. Ein emotional sehr starker Moment für mich … irgendwas zwischen Stolz auf die Tochter und Erleichterung. Es war der Moment, in dem unsere Schulzeit zu Ende ging. Beide Töchter hatten einen guten Schulabschluss und wir somit die Basis für ein erfolgreiches Berufsleben gelegt. Alles Weitere war und ist, natürlich mit unserer Unterstützung, ihre eigene Sache und Entscheidung. Ich bin dankbar, dass wir ihnen diese schulische Basis, wenn auch nicht immer einfach, ermöglichen konnten. Nicht alle Eltern können das.

Trotzdem lässt mich das Thema „Schule“ nicht ganz los. Berlins Schulen sind baufällig und haben keine Lehrer. Über veraltete Lehrpläne denke ich lieber erst gar nicht nach. Von 1240 neu eingestellten Lehrkräften zum neuen Schuljahr 2018/2019 sind 880 Quereinsteiger und Lehrer ohne volle Lehrbefähigung. Es tut mir in der Seele weh, mir vorzustellen, dass Kinder von Menschen unterrichtet werden, die dafür nicht ausgebildet sind. Dennoch beeinflussen diese Menschen die Lebensläufe der Kinder, sowohl in der Notengebung als auch in der Motivation für weiteres Lernen. Das kann, muss aber nicht zwingend gut gehen. Ich denke, die Berliner Bildungsmisere geht auf jahrzehntelange Sparpolitik zurück. Es fehlt an allen Ecken und Ende. Glücklich können die Kinder sein, deren Eltern es möglich ist, sie zeitlich und hinsichtlich der Bildung zu unterstützen. Irgendwie kommen sie dann durch die prüfungsbesetzten Schuljahre hindurch. Irgendwann stellen ihre Eltern dann, ebenso wie wir, fest, dass es geklappt hat. Oder eben auch nicht und dann werden die Zukunftsprognosen der Kinder dürftig.

Ein paar Straßen weiter als wir wohnen liegt die Thermometersiedlung. Spätestens seit der Veröffentlichung des letzten Monitorings Soziale Stadtentwicklung ist klar, dass die Siedlung sozialer Brennpunkt ist. In den Stadtrandnachrichten finde ich folgende Passage in dem Bericht darüber: „… Laut der Studie hat sich die Zahl der Brennpunkte in Berlin in den letzten Jahren kaum verändert. Teilweise sind jetzt jedoch ganz andere Kieze betroffen, als noch vor zwei Jahren. Eines der „Neuankömmlinge“ ist die Thermometersiedlung in Lichterfelde. Die Lage in diesem Stadtteil habe sich merklich verschlechtert. Den Ergebnissen des Monitorings zufolge sieht es hier sogar ganz besonders düster aus: Die Siedlung weist nicht nur einen „sehr niedrigen sozialen Status“, sondern auch eine „negative Dynamik“ auf. Das heißt, das die Kinderarmut und die Zahl der Arbeitslosen, der Langzeitarbeitslosen und derer, die zwar nicht arbeitslos, dennoch auf die Unterstützung vom Staat angewiesen sind, hier jetzt schon sehr hoch ist und den Prognosen zufolge noch weiter ansteigen wird. Noch im Jahr 2015 war die Lage hier etwas weniger dramatisch. Damals wies der Kiez „lediglich“ einen „niedrigen Status“ und eine „stabile Dynamik“ auf. …“ Für mich bedeutet es, dass die Kinder, die in dieser Siedlung wohnen, noch schlechtere schulische Aussichten haben, als sowieso schon in Berlin vorgegeben. Sie sind oft auf sich gestellt, versuchen sich irgendwie durch die Schulzeit zu bugsieren und am Ende frustriert festzustellen, dass das Ergebnis oft nicht einmal für eine Ausbildung reicht. Der soziale Teufelskreis ist leicht zu erkennen und wird oft genug von Generation zu Generation weitergereicht.

Genau mittendrin in dieser Siedlung liegt das KiJuNa – das Kinder-, Jugend- und Nachbarschaftszentrum. Mein junger Kollege Kristoffer ist dort Projektleiter und arbeitet seit fast 10 Jahren mit den Kindern und den Familien in der Umgebung. Er erlebt tagtäglich, was Kinderarmut für Auswirkungen hat. Er erlebt Familien, die sich keinen Urlaub leisten können und froh sind, wenn ihre Kinder in der Jugendeinrichtung ein Mittagessen bekommen. Wenn es Kristoffer an etwas nicht fehlt, sind das neue Ideen und nach dem Monitoring hat er sich ein neues Projekt ausgedacht und setzt es gerade in die Tat um.

Es heißt: ExperiDay! und er selber schreibt dazu: „Ich bin der festen Überzeugung, dass gute Bildung einen gewichtigen Teil dazu beitragen kann, die Chancen der Kinder auf ein Leben ohne Armut zu steigern. Alle Projekte, die wir im Kijuna Lichterfelde Süd anbieten, sind einzig und allein darauf angelegt, Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung aktiv und mit einem positiven Blick auf ihre Talente zu begleiten.“ Sehr viele Projekte haben im KiJuNa mit Musik zu tun … diesmal geht es um Bildung und dafür braucht er Hilfe.

Was ist ExperiDay? Mit dem Projekt soll ein Bildungsangebot für die Kids aus dem sozialen Brennpunkt geschaffen werden. Es soll Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit bieten, Abstraktes und Theoretisches im Rahmen von Experimenten und Planspielen sicht- und greifbar zu machen. Gemeinsam setzen sich Kinder und Jugendliche in altersgemischten Gruppen mit praktischen Bildungselementen auseinander. Angelehnt an schulische Lerninhalte finden wöchentliche Workshops statt, in denen die Teilnehmenden naturwissenschaftliche Experimente durchführen. Die Workshops werden von angehenden und ausgebildeten Wissenschaftlern begleitet. … Der Erhalt und die Förderung der Freude von Kindern und Jugendlichen am Lernen ist das Leitmotiv des Projekts. … Noch mehr dazu zu lesen gibt es unter diesem Link  „ExperiDay! – Bildungsprojekt in einem Berliner Brennpunkt.“

Was mich persönlich immer fasziniert ist die Begeisterung, mit der Kristoffer sich für die Kinder der Siedlung einsetzt und ich finde die Idee fantastisch, Bildung dorthin zu tragen, wo man sie am wenigsten vermutet und dringend braucht. Der Wunsch, diesen Kindern Spaß am Lernen in der Freizeit näher zu bringen und ihnen zu zeigen, wo Naturwissenschaften im Alltag zu finden sind, ist in meinen Augen jede Unterstützung wert.

Nun hat er in seiner Freizeit darüber ein Lied geschrieben und mit den Kindern verfilmt. Spätestens mit diesem Lied hatte er mich überzeugt – ich habe der Spendenbutton gedrückt. Ich hoffe, dass ExperiDay! ein erfolgreiches Projekt wird und nicht nur die Kinder in diesem Song, ihren Eltern irgendwann schreiben können: „Ich hab es geschafft! Bestanden!“

Schaut euch das Lied an, lasst euch begeistern und vielleicht macht der ein oder andere dann auch den Klick auf den Spendenbutton … denn – wie immer – auch ganz kleine Beträge helfen.

„Wir brauchen dich, wir brauchen euch, wir brauchen Hilfe und dann schaffen wir’s vielleicht.“

Jetzt Spenden! Das Spendenformular wird von betterplace.org bereit gestellt.

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Vom Geflüchteten zum Helfer für Geflüchtete

Der junge Mann stürmt in mein Büro und füllt innerhalb von Sekunden den ganzen Raum mit seiner Energie. Wir kommen schnell ins Gespräch, in dem wir uns darüber austauschen, was eine positive Ausstrahlung alles bewirken kann. Wir klären ein paar arbeitstechnische Dinge und schon ist er wieder weg. Ich bleibe etwas erstaunt alleine im Büro sitzen, denn ich weiß in Ansätzen, was er in den letzten Jahren hinter sich gebracht hat. Trotzdem hinterlässt mein neuer junge Kollege ein gutes und optimistisches Gefühl bei mir und ich glaube, dass er für seinen Job genau der Richtige ist. Haydarah’s Arbeitsbereich ist die unterstützende Tätigkeit in der Nachbarschaftsarbeit, speziell im Hinblick auf geflüchtete Menschen. Er war selber einer von ihnen und hilft nun bei dem, was ihm selber gelungen ist – der Integration.

Wir treffen uns ein weiteres Mal. Ich möchte es genauer wissen. „Wie ich nach Deutschland gekommen bin? Ganz normal. Wie alle anderen Flüchtlinge mit dem Flugzeug, Bus, Boot, zu Fuß, Zug, etc. … Aber die richtige Herausforderung begann hier in Deutschland, die neue Kultur, Gesellschaft, Sprache, Lebensart … aber mit der Zeit und einiger Mühe wurde alles einfacher.“ sagt er. – Moment. Ich bleibe hartnäckig. So normal kann das nicht gewesen sein bevor das mit der Gesellschaft und Kultur begann. Und dann erzählt er doch von seinem langen Weg hierher. Haydarah ist Syrer und lebte mit seiner Familie in Damaskus. Mit 18 Jahren hätte er zum Militärdienst gemusst und so wurde seine Flucht die einzige Alternative zum Krieg. Die Flucht kostete sehr viel Geld, was zur Folge hatte, dass er sie ohne Begleitung alleine bewältigen musste. Über den Libanon, die Türkei, Griechenland, Makedonien, Serbien, Ungarn und Österreich kam er nach Deutschland, wo er über München nach Berlin kam. Heute sagt er, dass er so eine Flucht nicht noch einmal machen würde. Die meiste Zeit war er auf sich gestellt, erst ab Serbien fand er zwei weitere Männer mit denen er weiterreisen konnte. Die schlimmste Erinnerung hat er an das Boot, dass sie von der Türkei nach Griechenland brachte. Sie mussten stundenlang bewacht darin sitzend aushalten ohne zu wissen, wie es weiter geht.

Ende August 2015 kam er am Ziel an und zum Glück sagten ihm ein paar Leute, wo er die erste Nacht schlafen konnte. Gleich mit dem zweiten Tag begannen seine Erfahrungen mit dem LaGeSo*, das damals wegen der langen Menschenschlangen in aller Munde war. Auch an diesem Tag standen so viele Geflüchtete an, dass er keinen Termin bekommen konnte. Umsonst gewartet und kein Schlafplatz in Sicht. Wieder hatte er Glück und bekam von den Beamten die Adresse vom KiJuNa – Kinder-, Jugend- und Nachbarschaftszentrum im Süden Berlins. Dort kam er mit 14 anderen jungen Männern an, wo sie von Veronika Mampel empfangen wurden. Zwei Nächte konnten sie dort bleiben, dann mussten sie erneut zum LaGeSo. Von den 15 Männern konnten drei in Berlin bleiben und die bekamen Hoteltickets für 50 Tage. So sehr sie auch suchten – kein Hotel nahm sie auf. Sie riefen wieder Veronika Mampel an, die ihnen erlaubte vorerst in einer Einrichtung des Stadtteilzentrum Steglitz e.V. unterzukommen. Auch sie suchte im Folgenden Unterkünfte für die drei jungen Männern, blieb jedoch ebenso erfolglos.

In dieser Zeit standen sie viele Stunden vor dem LaGeSo an. Wenn sie keinen Termin hatten, gingen sie ins KiJuNa um sich die Zeit zu vertreiben. Haydarah erzählt, dass er sich schnell gelangweilt hätte. Im KiJuNa hätte er aber Benni kennengelernt, der dort arbeitete. Mit ihm verstand er sich gut, mit ihm konnte er viel Lachen und fand einen geduldigen Gesprächspartner bei seinen ersten Versuchen sich in Deutsch auszudrücken. Es war ihm von Anfang an klar: Wollte er in diesem Land Fuß fassen, musste er die Sprache so schnell als möglich lernen. Der Kontakt mit Benni brachte ihn zudem auf die Idee Veronika Mampel zu fragen, ob er und seine Mitbewohner nicht ehrenamtlich in KiJuNa helfen könnten. Veronika Mampel leitet die nachbarschaftsübergreifende Arbeit, koordiniert Ehrenamt und Flüchtlingsarbeit des freien sozialen Trägers und hatte so die Möglichkeit eine ehrenamtliche Beschäftigung für die jungen Männer zu finden. Darüber hinaus bekamen die Drei neben der Beschäftigung Kontakt zu Einheimischen und die Möglichkeit ihre Deutschkenntnisse zu erweitern. Parallel besuchten sie Deutschkurse, die im KiJuNa angeboten wurden.

Nach drei/vier Monaten hatte Haydarah es geschafft: Er bekam die Aufenthaltsgenehmigung und damit die Arbeitserlaubnis in Deutschland. Und schließlich gelang V. Mampel, was tatsächlich sehr schwer ist – sie fand eine Wohnung in die Haydarah alleine einziehen konnte. Dieser ganze Prozess war begleitet von Papieren, die ausgefüllt werden mussten. „Vielen Papieren“, sagt Haydarah, und das ist der einzige Punkt in unserem Gespräch, an dem er etwas klagt. Deutschland, deine Formulare. Die Arbeitserlaubnis ermöglichte einen Job als Küchenhilfe und ein Praktikum in einer Unternehmensberatung. Ausbildung war ebenfalls ein gefasster Plan, der sich aber nicht umsetzen ließ. Nach bestandenem B2 Sprachlehrgang hatte er gerade den C1 Lehrgang begonnen, als wieder Veronika Mampel auf ihn zukam und ihm eine Arbeitsstelle im Stadtteilzentrum anbot.

Ich frage ihn, wo er sich selbst in 10 Jahren sieht. Er lacht mich an und sagt, dass es immer anders kommt als man es plant. Das sei eine seiner großen Erfahrungen der letzten Jahre. In Syrien hatte er nach dem Abitur Wirtschaft und Informatik studiert, aber macht heute etwas ganz anderes. Er lässt es auf sich zukommen, würde aber gerne hier in Deutschland bleiben. Als ich ihn frage, woher er seine positive Ausstrahlung hat, antwortet er, dass er das tatsächlich hier erst gelernt hätte. Wenn man drei Monate täglich 12 Stunden warten muss, lernt man Geduld zu haben und gerade in dieser Zeit hätte er sehr viel darüber gelesen, wie man Emotionen und Gefühle in Griff bekommt. Früher sei er viel aggressiver aufgetreten um Stärke zu zeigen. Es hat sich für ihn aber gezeigt, dass er nichts erreicht, wenn er unangenehm oder fordernd auf andere zugeht. Mit einem Lächeln geht es leichter.

Ich habe meinen jungen Kollegen weitere Male im Rahmen der Arbeit getroffen. Dabei hat er immer gelacht und ist auch für jeden Spaß zu haben. Ich gebe mir dabei keine Mühe für ihn verständlich zu sprechen. Er lacht, wenn er etwas falsch ausspricht, lässt aber keine Ruhe, bis er es dann richtig kann. Nicht leicht für jemanden in dessen Muttersprache es kein Ä, Ö oder Ü gibt. Auch manche Buchstaben sind für ihn schwierig, weil sich der Name Benny genauso wie der Laden Penny anhört. Haydarah ist ein sehr gutes Beispiel für jemanden, der flüchten musste und eine gefährliche Reise hinter sich hat, dessen Familie nach wie vor in einem vor Krieg besetzten Land lebt. Der trotzdem hier angekommen ist, sich integriert hat und nun für andere eine große Unterstützung werden kann. Der Zufall hat ihn das Stadtteilzentrum Steglitz e.V. finden lassen, bei dem er nun einen Beitrag zur Integrationsarbeit des Vereins leisten kann. Besser geht Integration kaum.

*LaGeSo – Landesamt für Gesundheit und Soziales

Es sind die Begegnungen mit Menschen, …

Ich sitze an meinem Computer und betrachte die Fotos, die beim diesjährigen Kunstmarkt der Generationen entstanden sind. Von 529 Fotos habe ich 102 Bilder ausgesucht, die exemplarisch den Tag, die Stimmung und die Menschen zeigen sollen. Die Bilder sind fertig bearbeitet und nun überlege ich, was ich dazu schreiben soll. Es war der vierte Kunstmarkt, den wir veranstalteten und ich frage mich, was mir dieses Mal besonders gut gefallen hat. Ein Zitat von Guy de Maupassant bringt es auf den Punkt: „Es sind die Begegnungen mit Menschen, die das Leben lebenswert machen.“ Eben diese Begegnungen mit Menschen sind das Hauptmotiv, das uns als sozialer Träger immer wieder motiviert, diesen Tag zu organisieren. Wir möchten ein Forum zu schaffen, in dem sich Kunstschaffende, deren Interessenten und Besucher, junge und ältere Menschen begegnen und über die Kunst einen Anlass für einen gemeinsamen Tag haben.

Natürlich liegt in Vorfeld etwas Spannung in der Luft, wenn wir den Kunstmarkt organisieren. Auch wenn wir routiniert vorgehen, können wir nicht alles beeinflussen, was einen erfolgreichen Tag ausmacht. Die Wettervorhersage haben wir beispielsweise sehr früh im Blick und verfolgen aufmerksam was uns eventuell bevorsteht. Das sah in diesem Jahr recht gut aus – bedeckt und etwa 23 Grad. Im letzten Jahr waren wir glücklich, dass uns bei der Hitze niemand ohnmächtig wurde. Um 6.04 Uhr am Morgen postete mein Kollege ein Bild in seinen Facebookprofil, das den Schlosspark Lichterfelde zeigt. „Die Stände für den Kunstmarkt stehen“ schrieb er dazu und alle betroffenen KollegInnen konnten schon einmal einen erleichterten Säufer loswerden. Ab dann lief alles wie einstudiert ab. Zwischen 9.00 und 11.00 Uhr bauten wir Bänke, Tische und Stände auf, die KünstlerInnen trafen ein, meldeten sich an, spendierten ihren Kuchen und richteten ihre Stände ein. Schon bei der Begrüßung von bekannten und neuen KünstlerInnen sowie unserer treuen ehrenamtlichen HelferInnen, war die freundliche Stimmung zu spüren. Um 12.00 Uhr stand der 4. Kunstmarkt der Generationen seinem Publikum offen.

Die Schirmherrin des Kunstmarktes, Bezirksbürgermeisterin Kerstin Richter-Kotowski, bedenkt ebenfalls in ihrer Begrüßungsrede, dass dieser Kunstmarkt schon alle Wetterkapriolen erlebt hat. Dazu wedelt sie leicht mit dem Fächer, den wir ihr vorsorglich und aus letztjähriger Erfahrung vor der Rede geschenkt hatten. Sie lobt die stimmungsvolle Atmosphäre des Parks, der wie geschaffen für einen schönen Kunstmarkt ist, lädt zum Verweilen und Kaufen des abwechslungsreichen Angebots der KünstlerInnen ein, nicht ohne allen Ehrenamtlichen zu danken, die mit uns diesen besonderen Tag möglich machen. Ab dann bestimmt das bunte Treiben den Schlosspark und natürlich freuten wir uns als Veranstalter, dass offensichtlich viele Menschen unserer Einladung gefolgt waren.

Der Rundgang an den Ständen hatte für jeden etwas zu bieten. Viele KünstlerInnen sind treue TeilnehmerInnen des Marktes und neue TeilnehmerInnen ergänzten das bunte Angebot. Etwa ein Viertel der Stände bot darstellende Kunst in verschiedensten Variationen an. Aquarell, Acryl, Encaustic, Fotografie, Öl, Illustrationen und anderes war zu finden, was eine lebhafte Bildwelt zeigte. Die anderen Stände waren den KunsthandwerkerInnen vorbehalten, die durch die Vielfalt der Techniken, Werkstoffen und Art staunen ließen. Holz, Glas. Leder, Papier, Scherenschnitt, Pappmaché, Filz, Seide, Stoff, Keramik, Wachs, Recyclekunst, Kork, Perlen, Leder … kaum ein Werkstoff, der nicht vertreten war. Schmuck in allen Formen von Nespressokapseln bis Gold- und Silberschmuck. Bei dem Angebot musste man den Geldbeutel schon besonders gut festhalten. Trotzdem kam immer wieder jemand auf die Terrasse um Freunden zu zeigen, was er oder sie gerade schönes erstanden hatte. Für die KünstlerInnen ist der Verkauf Lob und Geschäft zugleich. Besonders wichtig ist jedoch das Gespräch mit den BesucherInnen der Stände. Was kommt an, was gefällt, wo kann man an sich arbeiten. Und wie bei jedem von uns, wird die Anerkennung zur Motivation weiterzumachen. Das Publikum profitiert nicht nur vom Erwerb schöner Dinge, sondern auch von der Anregung eigener Kreativität. Manche KünstlerInnen bieten die Möglichkeit einen Kurs oder Workshop zu besuchen und Künstlergruppen laden zum Mitmachen ein.

Wer eine Pause vom Marktgeschehen brauchte, fand einen Platz im Garten des Gutshauses Lichterfelde. Tische und Bänke luden zu Kaffee und Kuchen oder einer leckeren Bratwurst ein. Der Kuchen wurde, wie in jedem Jahr, von den KünstlerInnen gespendet, dessen Erlös der Kinder- und Jugendarbeit des Stadtteilzentrums Steglitz e.V. zugedacht war. Besonders in diesem Bereich gilt ein besonderer Dank den ehrenamtlichen HelferInnen, die jedes Jahr ohne eigenen Nutzen ihre Hilfe anbieten. Dieser Helferkreis hat schon etwas sehr Familiäres, weil jeder weiß, wo er anpacken, helfen und unterstützen muss. Respekt den Herren am Grill, die auch nach Stunden mit einem netten Spruch und Lächeln die Bratwurst verkauften, den Damen, die immer für ausreichend Kaffee sorgten, die Sauberkeit der Örtlichkeiten im Blick hielten oder Kunstmarkttaler tauschten.

Wer genug von Kunst und Kuchen hatte, fand auf der Wiese ein schönes Programm. Zuerst zeigte die Kreistanzgruppe aus dem Gutshaus ihre Freude an traditionellen internationalen Kreistänzen und vermittelte Spaß an der Musik und an der Bewegung. Zu anderen Klängen und anderen Rhythmen machten ihnen das die Tanzgruppen aus dem KiJuNa nach. Seit vielen Jahren übt Anija mit den Kindern Choreografien ein, die besondere Beachtung bei solchen Gelegenheiten finden. Wer die Kinder über die Jahre kennt, stellt leicht fest, dass aus ehemals kleinen Mädchen nun junge Damen geworden sind und durch neue kleine Mädchen unterstützt werden. Giovanna hat uns im vergangenen Jahr schon mit ihren orientalischen Tänzen fasziniert, was ihr auch diesmal mit Leichtigkeit gelang. Ihre anmutigen Bewegungen zum Tanz mit oder ohne Reif lassen so manchen träumen und genießen. Beim letzten Programmpunkt „Biodanza mit Martina“, gebe ich offen zu, war ich im Vorfeld etwas skeptisch, weil ich es nicht kannte. Biodanza kann man in etwa mit „Tanz des Lebens“ übersetzen und setzt sich aus Musik, Bewegung und Begegnung zusammen. Martina und Natascha warben beim Publikum mitzumachen und als sich eine kleine Gruppe zusammengefunden hatte, begannen die Kreistänze mit viel Schwung und freien Bewegungen. Faszinierend hierbei war die Zusammensetzung der Tanzenden. Mütter mit sehr kleinen Kindern, eine Frau mit ihrer Mutter, die an den Gehwagen gebunden war, Frauen aus Afghanistan – bunter hätte das Bild nicht sein können. Die Freude an der Bewegung reichte bis in die letzte Ecke des Schlossparks und der Spaß an der Begegnung steckte an.

Es sind die Begegnungen mit Menschen, die diesen 4. Kunstmarkt der Generationen wieder einmal zu einem besonderen Erlebnis gemacht haben. Begegnungen mit KünstlerInnen, die uns sehr wertschätzende Rückmeldungen gaben. Begegnungen mit BesucherInnen, die sich offensichtlich wohl fühlten. Kinder, die überall dazwischen tobten, Erwachsene, die gute Gespräche führten, Freunde und Bekannte, die uns mit einem herzlichen Hallo und Lächeln motivierten. Begegnungen, die uns beschenkten und bestärkten auch im nächsten Jahr wieder einen Kunstmarkt der Generationen zu veranstalten. Und eine schöne Nachricht zum Schluss: Durch Spenden und den Erlös des Kunstmarktes der Generationen wird es möglich, dass sich die Kinder im KiJuNa – Kinder-, Jugend- und Nachbarschaftszentrum, demnächst in einer großen Vogelnestschaukel entspannen können.

Wir freuen uns auf die Begegnung mit Ihnen bei 5. Kunstmarkt der Generationen am 23. Juni 2018.

Ein Tag an dem Kunst verbindet

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Hochsommer in Berlin – dennoch war der beobachtende Blick auf die Wetterlage ratsam. Der Kunstmarkt der Generationen stand bevor und genau wie im letzten Jahr lang auch für diesen Tag eine Gewitterwarnung vor. Die Auswertung verschiedenster Wetter-Apps und Wetterberichte ließen auf ein Gewitter am frühen Abend hoffen. Optimistisch wurden alle Vorbereitungen abgeschlossen, die Helfer wussten wann sie wo eingesetzt wurden und der Marktstand-Aufsteller begann am 25. Juni morgens früh mit seiner Arbeit. 90 Kunstschaffende und ihre Kunstwerke wurden beim Kunstmarkt der Generationen erwartet, der nun schon im dritten Jahr stattfand. Pünktlich um 12.00 Uhr war alles fertig, der Markt begann mit strahlendem Sonnenschein und den ersten Besucherinnen und Besuchern.

„Es gibt Veranstaltungen, die so erfolgreich verlaufen, dass sie sich für eine Wiederholung geradezu anbieten. Der „Kunstmarkt der Generationen“ zählt dazu.“ begann Cerstin Richter-Kotowski ihre Begrüßungsrede. Die Bezirksstadträtin für Bildung, Kultur, Sport und Bürgerdienste fungierte schon im zweiten Jahr als Schirmherrin des Kunstmarktes und führte weiter aus, dass Kunst dabei hilft Menschen generationsübergreifend zusammen zu bringen. „Kunst kann im Alltag helfen, ganz nebenbei, wenn die Betrachtung von Kunstwerken etwas Positives bewirkt oder uns zum Nachdenken bringt. Kunst wirkt kommunikativ oder auch kontemplativ.“ Von der positiven Wirkung der Kunst überzeugte sie sich mit Thomas Mampel, Geschäftsführer des Stadtteilzentrums Steglitz e.V., gemeinsam auf ihrem Rundgang über den Kunstmarkt an allen Ständen und Kunstschaffenden vorbei.

KMdG_A_allg15KMdG_A_allg19Es ist immer ein Erlebnis den sonst eher ruhigen Schlosspark mit allen Marktständen zu erleben, von denen jeder für sich einzigartig ist. Die Atmosphäre des Schlossparks scheint wie geschaffen die bunte Vielfalt zu präsentieren. Vorwiegend bildende Künstlerinnen und Künstler zeigen ihr Schaffen aus verschiedensten Perspektiven, Stilen und Materialien. Keiner lässt sich mit dem anderen vergleichen und für jeden Geschmack scheint das richtige dabei zu sein. Kunsthandwerkerinnen und Handwerker bringen Abwechslung zwischen die Bilder mit Lederarbeiten, Papierarbeiten, Kerzen-, Stoff- oder Recyclingkunst. Schmuck findet sich ebenso wie Keramik für den Garten und mit ein bisschen Glück erlebt man die Autorin bei einer Leseprobe am nächsten Stand. An jedem Stand findet man ein nettes Gespräch mit den Kunstschaffenden, die sich dankbar auf interessierte Besucher einlassen und geduldig Fragen zu Technik oder Motiv beantworten. Ist eine Lücke zwischen den Besuchen findet man die Künstlerinnen und Künstler untereinander im Gespräch vertieft. Die Gelegenheiten zu fachlichem Gesprächen sind doch eher selten. Es ist ein Tag des Austausches und der Gemeinsamkeit im Sinne der Kunst, die für uns greifbar ist.

Zwei etwas andere Stände waren auch in diesem Jahr wieder dabei. Wie in den letzten beiden Jahren ließ es sich das KiJuNa – Kinder-, Jungend- und Nachbarschaftszentrum in der Scheelestraße nicht nehmen, zu zeigen welches kreative Potential die Kinder im Haus entfalten können. Tina Wagner stellte mit den Mädchen aus ihrer Kreativ-AG die Arbeiten aus dem Haus vor und verdeutlichten den Spaß, den die Kinder beim gemeinsamen Arbeiten haben. Die Lichterfelder Strolche, die Kita aus dem gleichen Haus, präsentierte an dem zweiten Stand die erste und eigen hergestellte CD, das Hörspiel „Die drei Räuber“ nach Toni Ungerer von und für Kinder. Mit der CD nahmen sie auch an dem kleinen Wettbewerb teil, den der Verein für diesen Tag unter den Einrichtungen des Stadtteilzentrums ausgelobt hatte. Sie konnten sich mit kreativen Ideen beteiligen und im Fall des Gewinns mit den Einnahmen des Kunstmarktes rechnen. Als zweites Projekt beteiligte sich die Kita Schlosskobolde, die im Gutshaus ansässig ist. Traudl Berberich erzählte den Besuchern von ihrem Projekt, dass sie mit den Kindern durchgeführt hatte und dessen Ergebnisse für jeden sichtbar aufgestellt waren. Aus Holzscheiten hatten die Kinder Figuren gebaut, die in Form, Farbe und Aussehen der Fantasie alle Ehre machten. Nicht wenige bedauerten, dass diese besonderen Kunstwerke nicht zu kaufen waren, sondern wieder in die kleinen Hände ihrer Urheber zurück gingen. Ein sehr schönes Beispiel, dass Fantasie und Kreativität keine Altersfrage kennt.

KMdG_A_tanz17Der dritte Wettbewerbsteilnehmer ist ein alter Bekannter auf Festen, die das Stadtteilzentrum Steglitz e.V. in seiner nachbarschaftlichen Arbeit ausrichtet. Anja und ihre Tanzgruppen hatten sich lange auf diesen Tag vorbereitet und boten ein kleines Potpourri aus Musicals an, deren Melodien in jedem Ohr nachklingen. Zu den Liedern von Grease, Mamma Mia, dem Dschungelbuch und Tanz der Vampire tanzten die Mädchen und rissen ihr Publikum mit, dass den verdienten Applaus sehr deutlich hören ließ. Es war eine sehr überzeugende Vorstellung, die den erhofften Gewinn bescherte. Aber was wäre eine soziale Einrichtung, wenn nicht auch an die anderen gedacht würde. So beschlossen die Gewinner, wegen der Unterschiedlichkeit der Beiträge zum Wettbewerb, den Gewinn zu teilen, was natürlich alle sehr freute!

KMdG_A_tanz5Nicht unerwähnt bleiben darf die kleine Überraschung, die Giovanna Saccullo den Besuchern bot: Zu orientalischen Klängen tanzte sie über die Wiese im Schlosspark, balancierte mit einem Hula Hoop-Reifen und verzauberte das Publikum. Das war eine sehr schöne Vorstellung, die so machen in die Märchen von 1000 und eine Nacht versetzte. Nach dem Wettbewerb und dem Tanz zerstreute sich das Publikum wieder im Park und fand Abwechslung an den Kunstständen oder gönnte sich eine Erfrischung. Man darf nicht vergessen, dass das Barometer eine große Herausforderung an diesem Tag war. Es war heiß und so manchem Künstler muss Respekt gezollt werden, dessen Stand in der prallen Sonne stand. Die Besucher suchten Schatten, gönnten sich die leckeren Cocktails, Grillwürstchen oder einen, von den Kunstschaffenden gespendeten Kuchen.

KMdG_A_allg88 KMdG_A_grillZum Schluss gilt es für uns noch „Danke!“ zu sagen. Alle Aktivitäten um das Gutshaus Lichterfelde herum, wurden an diesem Tag von ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern geleistet. Ob das die Herren am Grill, die Damen im Café, am Cocktail-Stand oder die Damen an der Kunstmarktaler-Kasse waren, die fleißigen Hände, die für Ordnung sorgten und sich um Gäste kümmerten … sie alle trugen wieder einmal dazu bei, dass dieser Tag im Sinne der Gemeinsamkeit ein Erlebnis wurde. Dies trotz der großen Hitze und oft über den geplanten Einsatz hinaus. Es ist ein Tag für alle, ein Tag an dem Kunst verbindet, Gemeinschaft bildet und Gemeinsamkeit vermittelt. So überlassen wir wieder Frau Richter-Kotowski das Schlusswort aus ihrer Rede: „Dem Stadtteilzentrum Steglitz danke ich für seine vielfältigen Projekte in diesem Bezirk und heute ganz besonders für die Durchführung des Kunstmarktes der Generationen. Sie leisten wirklich großartiges in der Nachbarschaftsarbeit!“ und versprechen – Wir machen weiter und laden herzlich zum 4. Kunstmarkt der Generationen am 24. Juni 2017 ein.

P.S.: Beim 4. Kunstmarkt der Generationen 2017 soll die Nachwuchsförderung im Fokus stehen. So rufen wir insbesondere Grund- und Oberschulen, Kunstschulen, Kunstprojekte mit Kinder- und Jugendlichen auf, sich an diesem generationsübergreifenden Markt zu beteiligen. Junge Talente sollen – gleich welche Kunstgattung – die Gelegenheit bekommen sich einem interessierten Publikum vorzustellen. Wir freuen uns auf Ihre Nachricht – Frau Manuela Kolinski, Telefon 030 84 41 10 40, E-Mail: kolinski@stadtteilzentrum-steglitz.de

Viele weitere Bilder sind hier zu finden! 🙂

Am Wochenende werdet IHR dringend gebraucht!

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Das Thema „Flüchtlingshilfe“ ist aktueller denn je und beschäftigt soziale Vereine wie das Stadtteilzentrum Steglitz e.V. immer mehr. Der heutige Leitartikel der Homepage veranschaulicht sehr transparent, was schon alles getan wird und künftig geschehen wird.

Heute ganz aktuell wird in Lichterfelde-Süd spontane Hilfe gebraucht. Und wenn es nur Hilfe durch Weitersagen oder andere kleine Dinge ist, die großes bewirken können:

Vor wenigen Stunden erreichte uns – und alle anderen Berliner Stadtteilzentren und Nachbarschaftsheime – ein dringender Hilferuf aus der Senatsverwaltung für Soziales: Rund 500 Flüchtlinge, die sich aktuell  im und vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) in der Moabiter Turmstrasse aufhalten, brauchen dringend eine Schlaf-/Übernachtungsmöglichkeit für das bevorstehende Wochenende. 

Selbstverständlich haben wir uns sofort bei der Senatsverwaltung gemeldet und insgesamt  50 Schlafplätze in zwei Einrichtungen unseres Vereins zur Verfügung gestellt. Die Betten werden von der Senatsverwaltung geliefert – wir müssen nun ganz schnell eine „Notversorgung“ auf die Beine stellen: Die Flüchtlinge brauchen (auch nachts) AnsprechpartnerInnen vor Ort und wir müssen die Ausgabe von Essen und dringendem Alltagsbedarf organisieren.

Hierfür brauchen wir die Hilfe von vielen engagierten Bürgerinnen und Bürgern, die wir hiermit herzlich bitten, mitzuhelfen und ein deutliches Zeichen für Menschlichkeit und Solidarität zu setzen.

Den vollständigen Beitrag findet ihr unter #steglitzhilft

Ein „Fest der Nachbarn“ von Nachbarn für Nachbarn

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Es gibt viele Gründe, warum sich Menschen in ihrem Wohnumfeld wohl fühlen, auch in einer großen Stadt. Es kann die schöne Lage der Wohnung sein, die gute Anbindung im Stadtgefüge oder eine schöne Lage mit angrenzenden Grünflächen. Manche schätzen einen kinderfreundlichen Kiez, andere wiederum gute Einkaufs- oder Freizeitmöglichkeiten. Völlig unabhängig, was jeder für sich selber als Wohlfühlfaktor im Kiez definiert, kann der Grund ganz einfach sein: Der Nachbar ist bekannt, hat einen Namen und mit der Zeit trifft man bekannte Gesichter, kann Grüßen und nette Gespräche führen. Es gibt viele Möglichkeiten nette Nachbarn kennenzulernen. Eine davon ist das „Fest der Nachbarn“, das in allen Berliner Bezirken neben vielen anderen, am 29. Mai zum zweiten Mal auf dem Ludwig-Beck-Platz in Lichterfelde gefeiert wurde.

Am Runden Tisch in Lichterfelde-West entstand die Idee auch in diesem Jahr auf dem Platz ein Fest zu feiern. Das Fest vom letzten September war allen Beteiligten noch in schöner Erinnerung geblieben. Bei der Terminsuche bot sich das Fest der Nachbarn, der European Neighbours Day, an. Das europaweit gefeierte Fest steht unter der Schirmherrschaft des Europäischen Parlaments, erfreut sich jährlich steigender Beliebtheit und wird seit 2012 durch den Verband für sozial-kulturelle Arbeit in Berlin koordiniert. Gründe genug sich zu beteiligen und unter Organisation und Koordination des Stadtteilzentrum Steglitz e.V. wurde schließlich fleißig geplant und organisiert. Es sollte ein Fest werden, bei dem sich Vereine, Einrichtungen, Einzelhändler, Organisationen … alle die im Kiez eine Rolle erfüllen, vorstellen, präsentieren und mit den Nachbarn ins Gespräch kommen möchten. 20 Marktstände wurden bestellt, die sehr schnell vergeben waren, Plakate und Handzettel verteilt und Aktionen für alle Generationen vorbereitet. Bald stand nur noch eins im Raum: Gutes Wetter bestellen und die Vorfreude!

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Vorfreude war das hauptsächliche Gefühl, das allen anzumerken war, die am Festtag ihre Stände schmücken. Das Wetter versprach einen regenfreien Nachmittag und pünktlich um 16.00 Uhr eröffnete Manuela Kolinski vom Stadtteilzentrum Steglitz e.V. die Feierlichkeit. Nicht nur die Stände luden zu Information, Gespräch und Austausch ein, daneben versprach ein Ablaufplan viel Abwechslung für Augen und Ohren. Zwischen den Darbietungen verschiedener Gruppen konnten sich die teilnehmenden Stände mit ihren Anliegen vorstellen, was von den meisten auch gerne in Anspruch genommen wurde.

Die Kreistanzgruppe aus dem Gutshaus Lichterfelde machten mit mehreren Tänzen den Anfang. Mit rhythmischen Bewegungen brachten sie das Publikum sofort in die richtige Stimmung. Da konnte kaum ein Fuß stillhalten und begeistertes Klatschen begleitete die Bewegungen und Lieder der Damen. Auch eine Zugabe wurde gefordert und schließlich luden die Tänzerinnen alle ein doch mitzumachen. Das machten auch viele – von Kindern, Eltern und vielen Senioren begleitet, fuhr selbst eine Rollstuhlfahrerin die getanzten Runden mit im Kreis. Da fällt es nicht schwer, sich das Lachen und die Stimmung auf dem kleinen Platz vorzustellen, oder?

Die Tanzmäuse aus dem KiJuNa, Kinder-, Jugend- und Nachbarschaftszentrum in der Osdorfer Straße, zeigten ebenso ihr Können, das sie seit vielen Jahren mit ihrer Tanzlehrerin Anjia gerne bei solchen Festen zeigen. Matthias Winnig ließ die Gäste bei einer Qi Gong Vorführung staunen. Die Mädchengruppe aus der Jugendfreizeiteinrichtung Albrecht Dürer in der Memlingstraße zeigten, mit was für modernen Tänzen Jugendliche ihr Publikum begeistern können. Das Zentrum für Yoga ließ wieder Staunen und zeigte Bewegungen, die kaum jemand ohne gute Anleitung und Übung zustande bringt, aber die richtige Adresse dafür war ja am Ort. Zu guter Letzt zeigte der Bläserkreis der Paulusgemeinde einen schönen Ausschnitt aus seinem Repertoire. Alles in allem, von den Vorstellungen der Teilnehmenden in eigener Sache eingerahmt, ein sehr abwechslungsreicher Nachmittag, der das Publikum bis zum Ende auf dem Fest begeisterte.

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Information, Gespräch und Austausch, den Nachbarn kennenlernen – sich mit dem Händler, den Gemeindemitgliedern, dem Seniorenservice oder den MitarbeiterInnen des Schülerclubs einmal ungezwungen unterhalten, war ein großes Anliegen des Festes. An jedem Stand fanden gute Gespräche statt. Interessante Fragen konnten beantwortet werden, Tipps gegeben, Verabredungen getroffen werden. Kennenlernen, Gesicht zeigen, Barrieren abbauen und zeigen, dass ein Kiez durch Geschichten, durch Miteinander, gegenseitigen Ergänzungen und Unterstützungen lebenswert wird, das war ein sehr gelungenes Unterfangen an diesem Nachmittag. Eine Malerin aus dem Einwohnerheim in der Klingsorstraße zeigte am ganzen Nachmittag ihr Talent und lud zahlreiche Kinder ein, es ihr gleich zu tun. Die Sozialarbeiterin aus der Flüchtlingseinrichtung gab Informationen und, wo notwendig, die Übersetzungen dazu. Und gerade alle Kinder, ganz gleich woher, zeigten in ihrer Mischung, dass sie egal ob bei Malen, Schminken, Tanzen oder Luftballon fliegen lassen, alle den gleichen Spaß hatten.

Wir sind uns sicher, die Nachbarn und Gäste dieses Festes grüßen einander, wenn sie sich wiedersehen. Die Teilnehmer der Stände zeigten sich sehr zufrieden und uns hat es ganz einfach richtig viel Spaß gemacht! An Spenden kamen 330 Euro zusammen, die einem Zweck der Kinder- und Jugendhilfe zugute kommen, der noch bestimmt wird. Also aufgepasst, wenn wir auch 2016 wieder zum Fest der Nachbarn einladen. Bis dahin wollen Sie vielleicht gar nicht so lange warten. Müssen Sie auch nicht … wir freuen uns über jeden Nachbarn, der Lust hat am Runden Tisch in Lichterfelde-West mitzureden.

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Fest der Nachbarn Teilnehmer 2015:
JFE Albrecht Dürer, Schülerclub Memlinge, Netti 2.0, Seniorenresidenz Bürgerpark, Die Piraten, SPD, CDU, Qi Gong – M. Winnig, Mrs. Sporty, ev. Paulus Gemeinde, Familienzentrum der Paulus Gemeinde, ADFC, Radfahrclub Lichterfelde, Senioren Service Peschke/Pasedach, HIBUDA, Runder Tisch Lichterfelde-West, Stadtteilzentrum Steglitz e.V., Jung fragt Alt e.V., Wohnheim Klingsorstraße, ImZentrumSein – Joga + Ernährungsberatung, Heimatverein Steglitz.

Termine Runder Tisch Lichterfelde-West 2015:
16.6.15, 8.9.15, 20.10.15 + 1.12.15, Info Manuela Kolinski, Telefon 030 84 41 10 40

Leitartikel der Homepage des Stadtteilzentrum Steglitz e.V.
vom 11. Juni 2015

Mit Sicherheit „JA!“

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Foto: Henriette Schmidt

Die größtmögliche Vermeidung eines jeglichen Risikos, das unsere Person, Familie oder unsere Lebensumstände stört, um den Zustand der Sicherheit (lat. sēcūritās) zu erreichen, liegt von Natur aus im Bestreben der Menschen. Diese Sicherheit unterliegt jedoch permanenter Veränderung, da Fortschritt und Weiterentwicklung ebenso in seiner Natur liegen. Wenn sich nun Grenzen verändern, Lebensumstände untragbar werden, Kriege ein Leben unmöglich machen, fängt der Mensch an zu wandern und das Sicherheitsgefüge vieler gerät ins wanken. Diejenigen, die sicher beheimatet sind, möchten den Zustand bewahren. Diejenigen, die wandern, möchten den Zustand erlangen. Auch aus dem zweiten Aspekt, dort wo Wenige mehr haben als Viele und Ungerechtigkeit eine Überlebensfrage wird, wandert der Mensch und wird das Sicherheitsempfinden anderer ins Wanken bringen. Das richtige Mittelmaß beider Gruppen zu sättigen, würde die Flüchtlingsfrage, den Ursprung von Rassismus und Ausländerfeindlichkeit dauerhaft lösen

Aber dieses Mittelmaß wird es nie geben und es wird immer eine Frage der Bereitschaft bleiben, Veränderungen zuzulassen oder sich ihnen entgegenzustellen. Es wird immer Menschen geben, die teilen und helfen, oder Menschen, denen die eigene Besitzstandswahrung wichtiger ist. Es gibt immer Menschen, die sich für Flüchtlinge engagieren und die Flüchtlingsarbeit als gesellschaftliche Aufgabe und Verantwortung sehen. Genauso wie es Menschen gibt, die aus eigener Unsicherheit oder Ängsten für diese Arbeit nicht zu öffnen sind oder ganz einfach nicht zuhören und verstehen wollen. Umso wichtiger ist es, dass die Einsichtigen den Flüchtlingen helfen, sich mit ihnen auseinander setzen, ihre Motive hören und versuchen zu verstehen, warum sie sich auf unglaubliche Wege machen, Gefahren in Kauf nehmen und einer vollkommen ungewissen Zukunft entgegen gehen.

Hilfreich ist sicherlich, wenn wir den Begriff der Sicherheit einmal für uns selber definieren. Uns selber klar machen, was wir brauchen um uns wohl, angenommen, beschützt, akzeptiert zu fühlen um uns in unserem Umfeld frei und glücklich entfalten zu können. Haben wir das für uns deutlich gemacht, wird auch klar, was diese Menschen alles nicht haben. Nicht einmal, wenn sie es tatsächlich geschafft haben in diesem Land anzukommen.

„Sicherheit ist wie ein Käse mit Löchern.“ sagt Veronika Mampel. Sie hat sich von Anfang an für Flüchtlinge eingesetzt, als die Notunterkunft in der Sporthalle, Lippstädter Straße, eingerichtet wurde. Sie hat mit den Menschen gesprochen, dafür gesorgt, dass sie mit dem Nötigsten versorgt wurden, sich um viele administrative Dinge gekümmert und letztlich dafür gesorgt, dass eine Möglichkeit für diese Menschen bestand, außerhalb der Halle einen Ort zu haben, an dem sie Ruhe finden und sich entspannen können. Das KiJuNa – Kinder-, Jugend- und Nachbarschaftszentrum öffnete für sie die Türen und fortan kamen jeden Tag bis zu 40 Flüchtlinge in die Einrichtung. Man lernte sie kennen, sie erzählten und „Flüchtling“ war kein Wort mehr ohne Gesicht.

Man muss sich vorstellen, sagt Veronika Mampel, dass sie bei Ankunft erst einmal Polizisten sehen. Dann werden sie beispielsweise in einer Halle untergebracht, in der Bett an Bett steht. In der Halle leben Menschen aus verschiedenen Ländern, ggf. aus den Ländern mit denen sich die eigene Heimat im Krieg befindet. Sie wissen nicht, ob ihre Nationalität hier anerkannt ist, können die Anträge nicht verstehen, die sie stellen müssen. Bei allen Fragen, Bedürfnissen, Befürchtungen müssen sie hoffen einen Dolmetscher zu finden der helfen kann. Einzig sicher ist nur das Dach über dem Kopf und das was sie am Körper tragen können. Selbst außerhalb der Halle wissen sie nicht, was für Gefahren in Form von Widerständen, Ablehnung, Fremdenhass, ihnen entgegen tritt. Nur dieser Zustand ist ihnen sicher, solange bis eventuell einmal ihr Status geklärt sein wird. Dürfen sie bleiben, bekommen sie vielleicht ein Gefühl von Sicherheit. Müssen sie gehen, bleibt einzig die Hoffnung, doch noch irgendwo in dieser Welt einen Ort zu leben zu finden.

Die, die erst einmal bleiben dürfen, bis der Status geklärt ist, leben in einer Erstunterkunft. Eine Sozialpädagogin, die sich mit einem Team um diese Menschen kümmert, erzählt uns, dass diese Menschen in großer Unsicherheit leben solange der Status nicht geklärt ist. Das bringt große Probleme in Alltag mit sich, den sie so gerne planen und regeln würden. Dies insbesondere, weil sie das Gefühl haben, in einem Land zu sein, in dem alles möglich ist. Aber, sie erzählt auch von dem großen Vertrauen, das diese Menschen ihnen entgegenbringen, weil sie verstanden haben, dass sie hier nur eine Chance haben, wenn sie sich integrieren. Und natürlich lernt man sie mit der Zeit kennen, versteht die Schicksale, die sie mitbringen. Wenn dann einer von ihnen den Bescheid bekommt, dass er hier bleiben darf, ist es auch immer etwas mit Wehmut verbunden und der Hoffnung auf einen glücklichen weiteren Weg.

Aber es gibt ebenso diejenigen, die nicht anerkannt werden und wieder ihn ihr Heimatland zurück müssen. So ist es auch in der Notunterkunft geschehen und Menschen, mit denen man die ein oder andere Stunde verbracht hat, müssen zurück. Die Ratlosigkeit und Enttäuschung sind dabei kaum in Worte zu fassen. Aber ihre Worte sollten gesagt werden und so folgten ein paar von ihnen einer Einladung zu einem Gespräch im KiJuNa. Es waren serbokroatische und albanische Menschen, die dort saßen und von ihrem Weg erzählten, der sie illegal über Ungarn und Österreich nach Deutschland führt. Alle von der Hoffnung getrieben in ein besseres Leben zu laufen. Sie erzählten von 10stündigen Fußwegen, von den Gefahren und Hindernissen und besonders der Ausweglosigkeit, falls sie wieder zurückkehren müssen. Davon, dass sie sich Geld geliehen hätten um hierher kommen zu können und nicht zu wissen, wie sie es je bei der Rückkehr zurück geben könnten. Der Blick in ihre Gesichter genügt um die menschliche Ratlosigkeit dahinter zu erahnen.

Und trotzdem äußern sie die Dankbarkeit, die sie empfinden, wie sie hier behandelt und aufgenommen wurden. Sagen auch, dass die deutschen Behörden richtig und nach den Gesetzen handeln. Bedanken sich für die Stunden der Abwechslung, der Ruhe und Anteilnahme, die ihnen in der Nachbarschaftseinrichtung entgegengekommen ist.

In diesem Video können sie die Menschen sehen, wie sie von ihrem Leben, der Zukunftsangst und Perspektivlosigkeit sprechen. In ihren Sprachen mit zusammengefassten Übersetzungen. Sicherlich ist nicht alles für uns zu verstehen, dass Gefühl, was diese Menschen durchmachen und erleben wird dennoch transportiert.

Geschichte der Flüchtlinge

Diese Erlebnisse und nicht zuletzt die furchtbaren Nachrichten aus dem Mittelmeer machen deutlich, dass sich Europa für Hilfe suchende Menschen öffnen muss. Es spielt keine Rolle, ob Menschen wegen Krieg oder Verfolgung flüchten müssen oder ob Hunger, Armut und Perspektivlosigkeit die Gründe sind. Immer steht einzig der Wunsch auf ein sicheres Leben im Hintergrund. Unsere vordergründige Sicherheit ist keine Rechtfertigung einen einzigen verzweifelten Menschen ins Elend zurückzuschicken. Und bevor unsere Sicherheit auch nur einen einzigen Kratzer abbekommt, können wir noch sehr viele dieser Menschen an unserem Wohlstand teilhaben lassen! Die Antwort auf die Frage, ob wir Flüchtlingen helfen oder nicht, kann daher nur sein: „Mit Sicherheit JA!“

Einen herzlichen Dank an Veronika Mampel (Gespräch) und Kristoffer Baumann (Video), wodurch dieser Beitrag möglich wurde!

Leitartikel der Homepage des
Stadtteilzentrum Steglitz e.V. vom 27. April 2015

Herzlich Willkommen – aus der Flüchtlingsarbeit

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Rund um die Turnhalle Lippstädter Straße

Der Einzug von 250 Flüchtlingen in die Turmhalle der Lippstädter Straße hatte über die Weihnachtsfeiertage 2014/2015 für viel Aufregung gesorgt. Die Halle war beschlagnahmt worden und als Notunterkunft eingerichtet. In der von jetzt auf gleich ausgerufenen Spendenaktion zeigte sich die Hilfsbereitschaft der Steglitz-Zehlendorfer in überwältigender Weise. Es konnte eine Spendenausgabe eingerichtet und die Menschen mit den ersten Dingen des täglichen Gebrauchs versorgt werden. Drei Monate später ist es ruhiger um diese Turnhalle geworden. Dies aber nur vordergründig, denn die Flüchtlinge wohnen immer noch dort und die Flüchtlingsarbeit um diesen Menschen zu helfen, geht unvermindert weiter.

Die dortige Flüchtlingsarbeit hat sich jedoch verändert und wurde den Bedürfnissen der Menschen in der Halle angepasst. Dazu haben sich insbesondere zwei Einrichtungen des Stadtteilzentrum Steglitz e.V. den Flüchtlingen geöffnet. Im „kieztreff“ in der Celsiusstraße 60 wird seit einigen Wochen jeden Freitag Nachmittag gemeinsam gekocht. In der Einrichtung, die von jeher sehr multinational geprägt ist, geht es an diesen Nachmittagen sehr lebhaft zu und gemeinsam mit Gästen, ehrenamtlichen HelferInnen und MitarbeiterInnen, werden Gerichte ausprobiert, Kaffee getrunken und so abwechslungsreiche Nachmittage verbracht. Wie willkommen diese Abwechslung im Hallenalltag ist, zeigen die immer wiederkehrenden Gäste. Das KiJuNa – Kinder-, Jugend- und Nachbarschaftszentrum in der Scheelestraße hat seine Türen ebenso geöffnet. Dieses Angebot wurde sehr schnell Bestandteil des Tagesablaufes der HallenbewohnerInnen. Täglich besuchen bis zu 35 Flüchtlinge das Haus, nutzen die angebotenen Freizeitmöglichkeiten und Spiele, um sich angenehm und angenommen die Zeit zu vertreiben.

Neben dem Freizeitaspekt wird in vielen anderen Bereichen geholfen. Veronika Mampel, Koordinatorin der Flüchtlingsarbeit im Stadtteilzentrum Steglitz e.V., hat sich beispielsweise dafür eingesetzt, dass die Kinder in der Halle zur Schule gehen können. Dies ist zum Teil gelungen und neben dem Schulbesuch nutzen die Kinder auch die vielen AG-Angebote im KiJuNa. Erste Impfungen haben stattgefunden, montags kommt eine Friseurin in die Halle, ein Deutschkurs für die Hallenbewohner findet regen Zulauf. Darüber hinaus müssen immer wieder viele Fragen beantwortet und Flüchtlinge, die neu eintreffen, mit Kleidung versorgt werden. Auch die Spendenausgabe hat sich verändert. Die Spendenannahme findet unverändert montags und freitags von 10.00 – 15.00 Uhr im KiJuNa statt. Insbesondere wird Herrenbekleidung gesucht, wovon immer zuwenig da ist. Aber auch Koffer, Taschen, Hygieneartikel für Männer und Frauen werden gebraucht. Und nicht zuletzt der Zucker, der für die süßen Getränke vonnöten ist.

Die Spendenausgabe fand anfänglich in zwei Räumen in der Halle statt. Diese Räume wurden als Spielzimmer für die Kinder umgestaltet und erfreuen sich großer Beliebtheit bei den kleinen Bewohnern. Die Spendenausgabe zog ins KiJuNa um, da aber auch hier die Räumlichkeiten begrenzt sind, wurde nach einer besseren Lösung gesucht. Die ist gefunden: In der Einkaufspassage, Celsiusstraße 66, wurde am 26. März eine kleine Trödelstube eröffnet. Dort finden bedürftige Menschen Damen- und Herrenbekleidung und auch eine schöne Bücherecke wurde gemütlich eingerichtet. Die Trödelstube steht allen Besuchern offen. Auch hier werden ehrenamtliche Helfer gesucht.

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Ein nicht unerheblicher Aspekt dieser facettenreichen Arbeit ist die Unterstützung der ehrenamtlichen Helfer, die Veronika Mampel gewinnen konnte. Ob im Bereich der Spendenausgabe, des Deutschunterrichts, im Spielzimmer oder bei sportlichen Aktivitäten im KiJuNa – die Ehrenamtlichen leisten wertvolle Hilfe, für die der Verein sehr dankbar ist. Dabei wird niemand einfach eingeteilt. Bei den regelmäßigen Helfertreffen im KiJuNa wird gemeinsam besprochen, welche Vorstellung die Freiwilligen mitbringen, wo ihre Stärken liegen und was sie gerne anbieten und tun möchten. Das wird abgeglichen mit dem Bedarf und in Wochenpläne eingetacktet, so dass jeder genau weiß, wo seine Hilfe benötigt wird. Zu diesen Treffen kann jeder kommen, der sich für die ehrenamtliche Arbeit interessiert. Das nächste Treffen findet am 10. April 2015 um 18.00 Uhr im KiJuNa, Scheelestraße 145, 12209 Berlin statt.

Die Turnhalle soll bis Ende April Notunterkunft bleiben, was aber noch offen ist. Auch wenn sie wieder als Turnhalle genutzt wird, wird die Flüchtlingsarbeit nicht enden. Die Erfahrungen, die hier gemacht werden, kann der Verein in die künftige Arbeit des sogenannten Containerdorfes am Ostpreußendamm mit einbringen. Die neue Wohnanlage ist für 350 Flüchtlinge ausgelegt und soll voraussichtlich, von der Neue Treberhilfe in Berlin gGmbH als Betreiber und dem Stadtteilzentrum Steglitz e.V. als sozialer Partner, Ende Mai/Anfang Juni eröffnet werden.

Früh übt sich – Ehrenamt mit 16 Jahren

Magdalena und Lina sind wie viele Jugendliche: neugierig auf die Welt, aufgeschlossen und verbreiten dieses „Mir gehört die Welt“-Gefühl um sich herum. Doch trotz dessen, dass sie zur Zeit sehr in die Schule eingespannt sind, nehmen sie sich für etwas Zeit, das eher wenige Jugendliche interessiert. Beide sind 16 Jahre alt, gehen in das 2. Semester (11. Klasse) des Lilienthal-Gymnasiums und engagieren sich in ihrer Freizeit ehrenamtlich in der Flüchtlingsarbeit.

Über Magdalenas Mutter haben sie von der neuen Notunterkunft in der Turnhalle erfahren und auch, dass es dort die Möglichkeit gibt, sich ehrenamtlich in der Flüchtlingsarbeit zu engagieren. Sie kamen mit der Mutter zu einem der ersten Helfertreffen im KiJuNa – Kinder-, Jugend- und Nachbarschaftszentrum. Bei diesem Treffen wurde besprochen, wer sich für welche Bereiche interessiert, welche Stärken er mitbringt und wo eingesetzt werden könnte. Damit begann ihre Arbeit bei der Spendenausgabe in der Halle, in der sie von nun an einmal in der Woche bereit standen. Insbesondere galt es hier, die Spendenausgabe zu regeln, darauf zu achten, dass nicht zu viele Menschen gleichzeitig im Ausgabe-Raum standen, zu helfen, wenn etwas bestimmtes gesucht wurde. Ein großer Teil der Arbeit bestand im Sortieren und Aufräumen der gespendeten Kleidung. Später, als die Spendenausgabe verlagert wurde, änderte sich ihre Aufgabe. Die Räume wurden in Spielzimmer für die Kinder umgewandelt und von nun an begleiteten beide Mädchen Flüchtlingskinder in ihren Spielen und beim Malen.

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Sportliche Aktivitäten fallen ebenso in ihren Bereich. So haben sie beispielsweise mit Händen, Füßen und mit ein bisschen Englisch, den Flüchtlingen die Spielregeln für ein Frisbee-Spiel erklärt. Das hat viel Spaß gemacht und hat viel zu lachen gegeben. Mit den kleineren Kindern haben sie Seifenblasen aufsteigen lassen und auch dabei viel gemeinsamen Spaß erlebt. Kleine Beispiele ihrer Arbeit, die für alle ein großer Gewinn sind. Berührungsängste haben sie von Anfang an nicht gehabt. Zu Beginn haben sie viel beobachtet, aber schnell für sich festgestellt, dass ihnen alle Flüchtlinge in der Halle sehr freundlich und nett entgegengekommen sind. Lina erinnert sich, dass sie das erste Mal, als sie von der Halle nach Hause ging, gedacht hatte, dass es gar nicht schwierig gewesen sei.

Wenn sie in der Schule von ihrem Engagement erzählen, bekommen sie fast nur positive Rückmeldungen. Die meisten Mitschüler finden es gut, was sie machen, hinterfragen aber, woher sie die Zeit nehmen würden. Dabei sind es ja nur zwei Stunden in der Woche, die man gut aufbringen kann, sagen sie. Sie äußern Verständnis für Gleichaltrige, denn als Teenager hat man andere Sachen als zu helfen im Kopf. Für Magdalena und Lina ist es aber ziemlich normal anderen zu helfen. Sie haben beide nicht das Empfinden, etwas besonderes zu tun, räumen beide ein, dass sie sich keine großen Gedanken darüber machen, sie tun es einfach. Im Fach Politikwissenschaft haben sie das Thema im Unterricht behandelt und durch ein Referat über die Flüchtlingspolitik Deutschlands wertvolle Einblicke gewonnen. So haben sie auch in der Schule zu Spenden aufgerufen und große Unterstützung bei den Lehrern gefunden. Das hat nicht den Erfolg gebracht, den sie sich erhofft hatten, aber sie haben es versucht und hatten dabei ein gutes Gefühl.

Beide finden es wirklich wichtig, dass man anderen hilft und keine Angst davor hat. Die Flüchtlinge kommen aus anderen Ländern in denen Krieg herrscht und die hier ein neues Leben aufbauen wollen. Wer wirklich helfen wolle, könne sehr schnell eine Möglichkeit finden. Sich ehrenamtlich zu engagieren, hat sich Magdalena von der Mutter abgeschaut, die zum Beispiel ehrenamtlich eine Hausaufgabenbetreuung einer Grundschule betreut hat. Auch für Lina ist das nichts Neues, die u.a. schon einmal in einer Suppenküche geholfen hat. Helfen gehört zum Zukunftsplan beider Mädchen. Madalena möchte ein freiwilliges soziales Jahr nach dem Abitur machen. Lina plant ein Jahr mit „Work and Travel“ durch Amerika zu reisen. Und sollte die Halle als Unterkunft aufgelöst werden, dann findet sich ein anderer Bereich, in dem sie sich engagieren können – da sind beide sehr zuversichtlich.

Leitartikel der Homepage des
Stadtteilzentrum Steglitz e.V. vom 30. März 2015

Die Zeitung Nummer 374

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Nr. 374 macht sich auf den Weg

In der riesigen Produktionshalle der Druckerei steht ein Koloss von einer Maschine, der fünf Farbwerke verbindet und einfaches weißes Rollenpapier in bedruckte Zeitungsseiten verwandelt. Es ist laut in der Halle, denn verbunden mit dem Koloss sind weitere Maschinen und Förderwerke, die in einer Endlosschleife das Rollenpapier verarbeiten und am Ende fertig verpackte Zeitungsstapel produzieren und auswerfen. Es ist die Geburtsstunde der kleinen Stadtteilzeitung, die sich von hier aus auf ihren Weg zum Leser macht. In einem dieser Zeitungsstapel lag eines Tages eine kleine Zeitung, die gleich nach Entstehung eine unglaubliche Neugierde entwickelte, wohin ihr Weg sie führen würde. Sie war ungemein stolz auf ihre schönen gedruckten Buchstaben und bunten Bilder, die viele schöne Berichte auf ihren 12 Seiten zusammenfassten.

Doch zuerst führte der Weg der Zeitungen in der Druckerei zu einem großen Lastwagen. In dem war es ziemlich eng und voll, von oben und unten wurde gedrückt, alles war mit Zeitungsstapeln voll gepackt. Doch es half nichts. Die Lastwagen wurde geschlossen, Motorengeräusche waren zu hören und in schunkelnder Fahrt machten sich alle Zeitungsstapel auf ihren gemeinsamen Weg. Lange dauerte die Fahrt nicht. Der Laster hielt an, wurde geöffnet, Stapel für Stapel wurde in einen kleinen Raum getragen. Die Tür des Raums ging zu und erst einmal war Ruhe. Unsere kleine Zeitung schaute sich ein bisschen um und entdeckte ein Plakat auf dem in bunten Buchstaben stand: „Faschingsfest im KiJuNa“. „Aha, KiJuNa heißt das hier also,“ dachte sich die kleine Zeitung und überlegte, was das wohl war.

Als sich unsere kleine Zeitung gerade so richtig anfing zu langweilen, ging die Tür wieder auf. Zwei Männer kamen herein und besprachen sich, wie sie die ganzen Zeitungsstapel nun im Bezirk verteilen würden. Sie brachten die Stapel erneut in einen Wagen, diesmal in einen kleinen Transporter, der keine allzu lange Fahrt vermuten ließ. Unsere kleine Zeitung dachte sich ganz richtig, dass dies nun wohl der Zeitpunkt war, sich von seinen Brüdern und Schwestern zu verabschieden. Die Zeitungen hatten ja eine Aufgabe: Die Buchstaben und bunten Bilder, die sie trugen, ergaben spannende Informationen, die unbedingt einen Leser finden wollten. Recht hatte sie – nach kurzer Zeit trugen die beiden Männer mal hier, mal dort – immer ein, zwei, drei Stapel der Zeitungen in ein Geschäft, eine Bücherei, ein Bezirksamt oder eine Einrichtung. Bei den Einrichtungen stand immer Stadtteilzentrum auf einem Schild. Die mochte unsere kleine Zeitung, denn das Wort „Stadtteil…“ war ja auch ein Teil ihres schönen Namens. In einer dieser Einrichtungen wurde ihr Stapel schließlich auch gebracht. Dort war eine Frau, die die Männer sehr herzlich begrüßte und sich richtig freute, dass sie die neuen Zeitungen bekam. Als die Männer weiterfuhren, legte die Frau die älteren Zeitungen zur Seite und platzierte die neuen in einem schönen Stapeln bereit. Was wohl mit den älteren Zeitungen gemacht werden würde, überlegte sich unsere kleine Zeitung. Aber das vergaß sie recht schnell, denn nun war ja der Moment „ihren“ Leser zu finden in greifbare Nähe gerückt. Drei Geschwister lagen über ihr – oh, wie sie sich freute.

In der Einrichtung, in der die Zeitungen lagen, war ganz schön viel los. Männer, Mütter mit Kindern, ältere Frauen und Herren, alle aus aller Herren Länder. Die sprachen so viele unterschiedliche Sprachen, dass unsere kleine Zeitung sich immer freute, wenn sie entdeckte, dass die ganzen Menschen ja doch ihre Sprache, also ihre Buchstaben, verstehen und sprechen konnten. Eine Frau mit Kopftuch nahm die erste Zeitung und steckte sie ohne zu lesen ein. „Hm, liest sie bestimmt heute Abend“, dachte die kleine Zeitung, „noch zwei, dann bin ich dran!“ Die nächste Ausgabe nahm eine junge Frau mit einem Baby auf dem Arm und setzte sich ins Café. „Noch eine über mir,“ dachte die kleine Zeitung. Nach einer Weile kam ein ziemlich alter Herr mit Aktentasche. Der sah etwas grummelig aus. Auch er nahm sich eine Zeitung, schaute sich das große Titelbild an, las ein bisschen und fing an zu lächeln. „Aha, wir haben also die Kraft unsere Leser zum Lächeln zu bringen!“ dachte sich unsere Zeitung und konnte kaum mehr aushalten, da sie nun an der Reihe war.

Nun … es dauerte. Keiner kam und nahm sich die kleine Zeitung. Es wurde Nacht und wieder Tag. Die freundliche Frau kam zurück, schloss alles auf, kochte Kaffee, breitete das Frühstück vor für die Gäste in ihrer Einrichtung, die „kieztreff“ hieß. Zu ihr kam eine zweite Frau und sie unterhielten sich, dann kam ein Mann, der sich an die Theke setzte. „Jetzt,“ dachte sich die kleine Zeitung, „gleich entdeckt er mich!“ und tatsächlich zog der Mann die oberste Zeitung zu sich heran. Fing an zu lesen, blätterte, las weiter, blätterte … oh, wie wohl fühlte sich die kleine Zeitung. Schließlich zog der Mann einen Kugelschreiber aus seiner Tasche, klappte die Zeitung zu und schrieb in die obere Ecke „374“. Faltete die Zeitung zusammen und steckte sie in seine Jackentasche.

„Ich bin jetzt also die Zeitung Nr. 374.“ überlegte sich unsere Zeitung. „Was das wohl zu bedeuten hat?“ Aber das überlegte sie nicht lange, denn der Mann machte sich auf den Weg und unsere Nr. 374 freute sich auf die Dinge, die sie nun mit dem Mann erleben würde …

Familie Glück und Nummer 374

Der Mann, der die Zeitung mit der Nummer 374 mitgenommen hat, heißt Herr Glück. Er ist der Vater von Jule und Paul und wohnt mit Frau Bärbel und Schwiegermutter Else zusammen in einem kleinen Haus in Lichterfelde. Ab und zu geht er in den „kieztreff“, trink dort einen Frühstückscafé, liest etwas in der Zeitung, bevor er sich auf den Weg zur Arbeit macht. In seinem Garten steht eine riesengroße Lärche, die mit der Zeit sehr krumm gewachsen ist und er Befürchtungen hat, dass sie irgendwann umfällt. In der kleinen Zeitung hatte er in einem Beitrag gelesen, dass man unter bestimmten Voraussetzungen solch einen Baum fällen darf. Eine Amtsnummer, die Auskunft geben kann, stand auch in dem Artikel, Durchwahl -374. Dort wollte er anrufen und sich erkundigen.

Als Herr Glück am Abend nach Hause kam, hatte er seine Informationen bekommen. Die Lärche gehört nicht zu den geschützten Baumarten in Berlin, also durfte sie ohne Genehmigung und Ersatzbepflanzung gefällt werden. Herr Glück hängte seine Jacke an den Garderobenhaken, sah die kleine Zeitung in der Tasche, die er nun ja nicht mehr brauchte und legte sie auf den Beistelltisch. Er begrüßte seine Familie und freute sich auf einen schönen Abend zuhause. Natürlich erzählte Herr Glück davon, dass die Lärche gefällt werden dürfe und man nun schauen müsse, wer so etwas machen kann. Frau Glück, die ja die Pläne den Baum zu fällen kannte, hatte sich schon einmal online umgeschaut, was man statt dessen dort pflanzen könne. Verliebt war sie in einen Ginkgobaum, der zwar auch ein Nadelgehölz ist, aber doch Blätter hat. Gefallen hat ihr besonders, dass der Ginkgo als Lebensbaum gilt und seinen Blättern eine große Heilwirkung zu gesprochen wird.

Später, als Frau Glück schlafen ging, kontrollierte sie noch einmal die Haustür. Dabei fiel ihr Blick auf die kleine Zeitung auf dem Beistelltisch oder besser gesagt, auf die Nummer auf der kleinen Zeitung auf dem Beistelltisch. 374 … was hatte denn nun das zu bedeuten. 374 war genau die Online-Bestellnummer für einen Ginkgo-Baum. Sie nahm die kleine Zeitung in die Hand, blätterte sie durch und überlegte. Bestimmt wollte sie ihr Mann mit dem schönen Baum überraschen und da er sich keine Zahlen merken konnte, hatte er sie hier aufgeschrieben und vergessen einzustecken. Aber hatte sie tatsächlich die Nummer in dem Gespräch erwähnt? Nun, das wusste sie nicht mehr und legte die Zeitung gedankenverloren in die Schublade darunter.

Das gefiel der kleinen Zeitung nun nicht. In der dunklen Schublade konnte sie keiner sehen. Sie wollte gelesen werden und erst nach ein paar Tagen, in denen sie außerhalb viele Geräusche gehört hatte, zog jemand die Schublade wieder auf. Das Gesicht von Oma Else war zu sehen. Die suchte ihren Schlüssel – wieder einmal – und hoffe ihn in der Schublade zu entdecken. Da war er nicht, aber die Zeitung kannte sie nicht und beschloss, sie sich zum Kaffee anzuschauen. „Endlich wieder jemand der mich lesen möchte,“ stellte die kleine Zeitung zufrieden fest. „Ich kam mir schon wie Altpapier vor!“ … am Nachmittag war es dann soweit. Oma Else machte es sich auf der Terrasse gemütlich, legte sich die Zeitung und ihr Strickzeug bereit, dann machte sich eine schöne Tasse Kaffee. Sie las in der Zeitung, die sich nun so richtig wohl und beachtet vorkam. Alle Beiträge hatten etwa das gleiche Thema. Es ging in der ganzen Zeitung um „Nachhaltigkeit“. Ein ganz modernes Thema, das davon handelt, wie wir unsere Bedürfnisse und unseren Verbrauch so ändern, dass wir die Welt nicht zu sehr belasten und für unsere Nachkommen erhalten. Oma Else las alles durch und legte die Zeitung später zufrieden zur Seite. 374 … sie nahm ihr Strickzeug in die Hand, blickte aber immer wieder auf die 374, die auf die Zeitung geschrieben stand. War sie beim Stricken tatsächlich in Reihe 374 stehengeblieben? Nun, Oma Else grübelte nicht lange und legte los … Reihe 375, 376, 377 … die kleine Zeitung lag zufrieden auf dem Tisch … durchgelesen!

Etwas später am Nachmittag setze sich Paul zur Oma und erzählte ihr, was er am Nachmittag mit seinem Freund Jasper erlebt hatte. Die beiden Jungen waren zum Weiher gefahren und hatten dort ihre Boote fahren lassen. Paul war so stolz auf sein selbstgebautes Boot, das aber etwas langsamer als Jaspers Boot war … Jasper hatte Model 374 – als Paul die Zahl in der oberen Ecke auf der kleinen Zeitung sah, erschrak er so heftig, dass er gegen den Tisch stieß und sein Saftglas umstieß. Na, was für eine Freude. Oma Else sprang auf und rettete vor dem Saft was sie halten konnte. Paul holte einen Lappen und so hatten sie schnell wieder alles in Ordnung gebracht. Nur die kleine Zeitung sah jetzt nicht mehr so fein aus. Else legte sie schnell zur Seite auf die Fensterbank, wo sie trocknen konnte. „Was ist nur mit dir los, Paulchen,“ schimpfte Oma Else, „manchmal bist du wirklich ungeschickt.“ Paul hörte das nicht. Er überlegte, warum die Nummer mit seinem Wunschmodel auf der Zeitung gestanden hatte. Ob sich da wohl jemand Gedanken für seinen Geburtstag gemacht hatte?

Am frühen Abend kam die ganze Familie auf der Terrasse zusammen. Die Mutter hatte für alle etwas zu essen bereit gestellt, alle hatten etwas über den Tag zu erzählen und unterhielten sich angeregt. Bis Oma Else anfing vom Nachmittag und dem umgeschubsten Saftglas zu erzählen. Sie beklagte sich, dass das Strickzeug ja doch ein paar Spritzer von dem Saft abgekommen hatte und nun ganz klebrig sei. „Aber,“ beschwerte sie sich, „ist ja eh wurscht. Ich hab bei Reihe 374 weitergestrickt, weil das auf der kleinen Zeitung stand. Als ich den Fehler gemerkt hatte, war ich im Muster schon viel zu weit. Jetzt muss ich wieder alles aufmachen und neu anfangen.“ „Äh, 374. Auf der kleinen Zeitung? Das war doch nur die Durchwahl für das Grünflächenamt, weil ich wissen wollte, ob wir die Lärche fällen dürfen. Sonst würde die ja immer noch dort stehen!“ sagte Herr Glück ganz verwundert und schaute in die großen Augen seiner Frau. „Wie, Durchwahl,“ , meinte sie. „War das nicht die Online-Bestellnummer für meinen neuen Ginkgo-Baum? Hast du ihn nicht bestellt?“ Die Eltern schauten sich fragend an und wieder zur Oma, die leise vor sich hin schimpfte und irgendwas von mangelnder Kommunikation in der Ehe erzählte. Und Paul … tja, der schaute ebenso verwundert, nein eher enttäuscht, und erzählte mit leiser Stimme ebenfalls von seiner Verbindung zu Nummer 374 … Sprachlosigkeit in der Familie und jeder hing seinen Gedanken nach. Der Vater fragte mit einem Mal, wo eigentlich Jule ist. „Jule wird ja wohl nichts mit 374 zu tun haben … Jule!“ rief er laut.

Jule meldete sich … im hintersten Winkel des Gartens, dort wo vorher die Lärche gestanden hatte, war sie auf dem Boden beschäftigt. Das interessierte dann doch alle und sie gingen zu ihr hinüber. Jule buddelte in der Erde. „Schau mal, Mama. Ich habe diese kleine Kastanie im Park gefunden. Die hat ausgekeimt und ist schon so groß. Wenn ich sie im Park gelassen hätte, wäre sie bestimmt kaputt gegangen. Wir haben doch jetzt den Platz, wo die Lärche weg ist.“ Jule schaute alle mit strahlendem Gesicht an. Herr und Frau Glück konnten sich ihr Lächeln nicht verkneifen und Paul meinte dazu: „Ich weiß jetzt, was Jule mit der kleinen Zeitung Nummer 374 zu tun hat. Schaut mal zu der Erde. Jule hat Zeitungsschnipsel mit eingegraben.“ „Warum hast du das denn gemacht?“ fragte die Oma. „Na, in der Schule im Hort haben wir heute gelernt, dass Zeitungspapier aus Bäumen gemacht wird. Und als ich vorhin mit der Kastanie gekommen bin, habe ich die nasse Zeitung gesehen. Die kann ja keiner mehr lesen.“ „Dann hat der kleine Baum ja genügend Lesestoff und wird bestimmt ein schlauer Baum,“ lachte die Oma und auch die anderen mussten jetzt alle lachen. 374 – eine einfache Zahl auf so einer kleinen Zeitung und jeder hatte damit etwas zu tun. „Ach, Paulchen, natürlich bekommst du dein Model Nr. 374 zum Geburtstag. Das Geld für den Ginkgo haben wir ja jetzt eingespart, dank Jule und der kleinen Zeitung!“

Die kleine Zeitung war zufrieden – zwar in kleine Schnipsel zerrissen, aber sie hatte alles erlebt, was so eine Nr. 374 erleben kann. Eines Tages würde sie wieder ein großer starker Baum sein, der sicherlich nicht zu Zeitungspapier verarbeitet werden würde!

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Die Geschichte von Nr. 374 ist im Zusammenhang mit dem Papierpaten-Projekt des Stadtteilzentrum Steglitz e.V. entstanden. Eine schöne Projektbeschreibung findet sich in diesem Beitrag: Neue KollegInnen in der Geschäftsstelle