Bildung ist Recht, kein Privileg!

Ihre Nachricht kam über WhatsApp „Ich hab’ es geschafft! Bestanden!“ Meine Tochter saß in der Schule und die Abiturnoten wurden verkündet. Ein emotional sehr starker Moment für mich … irgendwas zwischen Stolz auf die Tochter und Erleichterung. Es war der Moment, in dem unsere Schulzeit zu Ende ging. Beide Töchter hatten einen guten Schulabschluss und wir somit die Basis für ein erfolgreiches Berufsleben gelegt. Alles Weitere war und ist, natürlich mit unserer Unterstützung, ihre eigene Sache und Entscheidung. Ich bin dankbar, dass wir ihnen diese schulische Basis, wenn auch nicht immer einfach, ermöglichen konnten. Nicht alle Eltern können das.

Trotzdem lässt mich das Thema „Schule“ nicht ganz los. Berlins Schulen sind baufällig und haben keine Lehrer. Über veraltete Lehrpläne denke ich lieber erst gar nicht nach. Von 1240 neu eingestellten Lehrkräften zum neuen Schuljahr 2018/2019 sind 880 Quereinsteiger und Lehrer ohne volle Lehrbefähigung. Es tut mir in der Seele weh, mir vorzustellen, dass Kinder von Menschen unterrichtet werden, die dafür nicht ausgebildet sind. Dennoch beeinflussen diese Menschen die Lebensläufe der Kinder, sowohl in der Notengebung als auch in der Motivation für weiteres Lernen. Das kann, muss aber nicht zwingend gut gehen. Ich denke, die Berliner Bildungsmisere geht auf jahrzehntelange Sparpolitik zurück. Es fehlt an allen Ecken und Ende. Glücklich können die Kinder sein, deren Eltern es möglich ist, sie zeitlich und hinsichtlich der Bildung zu unterstützen. Irgendwie kommen sie dann durch die prüfungsbesetzten Schuljahre hindurch. Irgendwann stellen ihre Eltern dann, ebenso wie wir, fest, dass es geklappt hat. Oder eben auch nicht und dann werden die Zukunftsprognosen der Kinder dürftig.

Ein paar Straßen weiter als wir wohnen liegt die Thermometersiedlung. Spätestens seit der Veröffentlichung des letzten Monitorings Soziale Stadtentwicklung ist klar, dass die Siedlung sozialer Brennpunkt ist. In den Stadtrandnachrichten finde ich folgende Passage in dem Bericht darüber: „… Laut der Studie hat sich die Zahl der Brennpunkte in Berlin in den letzten Jahren kaum verändert. Teilweise sind jetzt jedoch ganz andere Kieze betroffen, als noch vor zwei Jahren. Eines der „Neuankömmlinge“ ist die Thermometersiedlung in Lichterfelde. Die Lage in diesem Stadtteil habe sich merklich verschlechtert. Den Ergebnissen des Monitorings zufolge sieht es hier sogar ganz besonders düster aus: Die Siedlung weist nicht nur einen „sehr niedrigen sozialen Status“, sondern auch eine „negative Dynamik“ auf. Das heißt, das die Kinderarmut und die Zahl der Arbeitslosen, der Langzeitarbeitslosen und derer, die zwar nicht arbeitslos, dennoch auf die Unterstützung vom Staat angewiesen sind, hier jetzt schon sehr hoch ist und den Prognosen zufolge noch weiter ansteigen wird. Noch im Jahr 2015 war die Lage hier etwas weniger dramatisch. Damals wies der Kiez „lediglich“ einen „niedrigen Status“ und eine „stabile Dynamik“ auf. …“ Für mich bedeutet es, dass die Kinder, die in dieser Siedlung wohnen, noch schlechtere schulische Aussichten haben, als sowieso schon in Berlin vorgegeben. Sie sind oft auf sich gestellt, versuchen sich irgendwie durch die Schulzeit zu bugsieren und am Ende frustriert festzustellen, dass das Ergebnis oft nicht einmal für eine Ausbildung reicht. Der soziale Teufelskreis ist leicht zu erkennen und wird oft genug von Generation zu Generation weitergereicht.

Genau mittendrin in dieser Siedlung liegt das KiJuNa – das Kinder-, Jugend- und Nachbarschaftszentrum. Mein junger Kollege Kristoffer ist dort Projektleiter und arbeitet seit fast 10 Jahren mit den Kindern und den Familien in der Umgebung. Er erlebt tagtäglich, was Kinderarmut für Auswirkungen hat. Er erlebt Familien, die sich keinen Urlaub leisten können und froh sind, wenn ihre Kinder in der Jugendeinrichtung ein Mittagessen bekommen. Wenn es Kristoffer an etwas nicht fehlt, sind das neue Ideen und nach dem Monitoring hat er sich ein neues Projekt ausgedacht und setzt es gerade in die Tat um.

Es heißt: ExperiDay! und er selber schreibt dazu: „Ich bin der festen Überzeugung, dass gute Bildung einen gewichtigen Teil dazu beitragen kann, die Chancen der Kinder auf ein Leben ohne Armut zu steigern. Alle Projekte, die wir im Kijuna Lichterfelde Süd anbieten, sind einzig und allein darauf angelegt, Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung aktiv und mit einem positiven Blick auf ihre Talente zu begleiten.“ Sehr viele Projekte haben im KiJuNa mit Musik zu tun … diesmal geht es um Bildung und dafür braucht er Hilfe.

Was ist ExperiDay? Mit dem Projekt soll ein Bildungsangebot für die Kids aus dem sozialen Brennpunkt geschaffen werden. Es soll Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit bieten, Abstraktes und Theoretisches im Rahmen von Experimenten und Planspielen sicht- und greifbar zu machen. Gemeinsam setzen sich Kinder und Jugendliche in altersgemischten Gruppen mit praktischen Bildungselementen auseinander. Angelehnt an schulische Lerninhalte finden wöchentliche Workshops statt, in denen die Teilnehmenden naturwissenschaftliche Experimente durchführen. Die Workshops werden von angehenden und ausgebildeten Wissenschaftlern begleitet. … Der Erhalt und die Förderung der Freude von Kindern und Jugendlichen am Lernen ist das Leitmotiv des Projekts. … Noch mehr dazu zu lesen gibt es unter diesem Link  „ExperiDay! – Bildungsprojekt in einem Berliner Brennpunkt.“

Was mich persönlich immer fasziniert ist die Begeisterung, mit der Kristoffer sich für die Kinder der Siedlung einsetzt und ich finde die Idee fantastisch, Bildung dorthin zu tragen, wo man sie am wenigsten vermutet und dringend braucht. Der Wunsch, diesen Kindern Spaß am Lernen in der Freizeit näher zu bringen und ihnen zu zeigen, wo Naturwissenschaften im Alltag zu finden sind, ist in meinen Augen jede Unterstützung wert.

Nun hat er in seiner Freizeit darüber ein Lied geschrieben und mit den Kindern verfilmt. Spätestens mit diesem Lied hatte er mich überzeugt – ich habe der Spendenbutton gedrückt. Ich hoffe, dass ExperiDay! ein erfolgreiches Projekt wird und nicht nur die Kinder in diesem Song, ihren Eltern irgendwann schreiben können: „Ich hab es geschafft! Bestanden!“

Schaut euch das Lied an, lasst euch begeistern und vielleicht macht der ein oder andere dann auch den Klick auf den Spendenbutton … denn – wie immer – auch ganz kleine Beträge helfen.

„Wir brauchen dich, wir brauchen euch, wir brauchen Hilfe und dann schaffen wir’s vielleicht.“

Jetzt Spenden! Das Spendenformular wird von betterplace.org bereit gestellt.

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Spiel und Spaß und … Hausaufgaben!

SzS_leitartikel_HA-Betreuung

Im Immenweg in Steglitz gibt es ein Haus, in dem sich alles um Kinder und Jugendliche dreht – liebevoll „die Imme“ genannt. Ein eingespieltes Team von Pädagogen bezeichnet die Imme sozusagen als „verlängertes Wohnzimmer“ für die Jugend, in dem aber auch Eltern und Lehrkräfte auf Wunsch Hilfe und Unterstützung bekommen. Ganz wichtig ist es, in der Imme gemeinsam Spaß zu haben, und so bietet man dort ein breit gefächertes Angebot, das genau auf die Interessen von älteren Kindern und Jugendlichen abgestimmt ist. Schon auf der Internetseite www.immenweg.de wird jedoch klar, dass es nicht nur um Spaß geht. „Hausaufgaben“ ist ein eigener Reiter auf der Homepage, der deutlich macht, dass alle Lebensbereiche der Kinder und Jugendlichen in diesem Haus unterstützt werden.

Die Hausaufgabenbetreuung in der Imme gibt es seit 2002, als das Haus unter Trägerschaft des Stadtteilzentrums Steglitz e.V. für die Kinder und Jugendlichen geöffnet wurde. Anfangs besuchten lediglich zwischen zwei und fünf Kinder die Hausaufgabenbetreuung, die damals noch halbtags von einem Mitarbeiter des Jugendamtes geleitet wurde. Von 2005 bis 2008 musste sich die Einrichtung die Räume im Haus mit dem Hort einer benachbarten Grundschule wegen eines Neubaus teilen, wodurch aufgrund der beengten Platzverhältnisse die Durchführung der Hausaufgabenhilfe eher theoretisch möglich war. Dennoch ließen sich in dieser Zeit etwa fünf bis zehn Kinder täglich unterstützen, wenn auch mit einem eher unverbindlichen Charakter. Nachdem der Hort seinen eigenen Neubau beziehen konnte, übernahm Jörg Backes, Projektleiter des Kinder- und Jugendhauses, den Neuaufbau der HA-Betreuung, die mittlerweile seit sieben Jahren mit Erfolg läuft. Das Konzept wurde komplett neu ausgerichtet und fand nach einer rund einjährigen Anlaufzeit zu der Form, in der sie bis heute besteht.

Die Hausaufgabenbetreuung ist offen für alle Kinder ab der 5. Klasse bis zur Oberstufe. In der Praxis sieht es aber so aus, dass überwiegend Grundschüler der 5. und 6. Klasse kommen, die trotz Hortzeitverlängerung nicht mehr in den Hort gehen möchten. Dazu kommen Oberschüler der Unter- und Mittelstufe. Die meisten Kinder sind also zwischen 10 und 15 Jahre alt. Vereinzelt finden sich Viertklässler (als Ausnahme, z.B. bei Geschwisterkindern) ein und Ältere, die vor allem die Recherche-Möglichkeiten und Hilfestellungen nutzen. Angemeldet waren in den letzten Jahren immer zwischen 35 und 50 Schüler und Schülerinnen. Hinzu kommen „Altgediente“, die nicht mehr regelmäßig kommen, sondern nur noch, wenn z.B. ein Referat oder die MSA-Vorbereitung (Mittlerer Schulabschluss) auf dem Plan steht.

Die Kinder kommen nicht gleichzeitig, sondern gestaffelt. In Kernzeiten steht Jörg Backes eine Honorarkraft zur Seite. Um an der Hausaufgabenbetreuung teilnehmen zu können, müssen sich die Kinder verbindlich anmelden. Es gibt ein Aufnahmegespräch mit den Eltern, außerdem ist das Erscheinen dreimal in der Woche Minimum. Die Hausaufgabenbetreuung in der Imme grenzt sich von individueller Nachhilfe ab, gibt aber intensive Hilfestellung mit Üben auch für Klassenarbeiten – und das Ganze gibt’s kostenlos.

Sind Hausaufgaben, die die Kinder zu erledigen haben, überhaupt ein Gewinn für sie und zeitgemäß? Hat das Gelernte nicht nur für die nächste Klassenarbeit, sondern für die Zukunft Relevanz? Jörg Backes denkt durchaus, dass Hausaufgaben – bei einem sinnvollen Umgang – zeitgemäß sind. Er beantwortet die Frage mit einem entschiedenen ‚Ja’.

“Ich weiß, dass es Bestrebungen gibt, die Hausaufgaben als Relikt einer frontal vermittelnden Macht- und Notenpädagogik abzuschaffen, aber ich halte sehr viel von Hausaufgaben – WENN sie richtig eingesetzt werden. Sich stumpfsinnig hinzusetzen und eine Matheaufgabe nach der anderen herunterzuschreiben, ist natürlich nicht mehr zeitgemäß. Aber dass die Schüler sich auch nach dem letzten Klingeln noch hinsetzen und ihre Gehirnzellen mit dem tieferen Verständnis des Stoffes trainieren, ist in meinen Augen absolut sinnvoll.

Der „richtige“ Umgang mit Hausaufgaben beinhaltet dabei natürlich einige Voraussetzungen. Dazu gehört die sinnvolle Verzahnung von Lehrern und Eltern/Hausaufgabenpädagogen. Manche Aufgaben könnten fächerübergreifend thematisch verbunden werden. Bei anderen mag es sinnvoll sein, die Art der Aufgabe an die individuelle Leistungsfähigkeit jedes Schülers anzupassen. Zudem fördert der Dialog zuhause bzw. in der HA-Betreuung auch das Verständnis des Stoffes. Zum Beispiel, wenn Schüler und Eltern gemeinsam an einer kniffligen Frage arbeiten – die Eltern natürlich nur beratend, nicht vorsagend.“ Er denkt aber, dass diese Frage nicht nur in Bezug auf die Hausaufgaben, sondern in Bezug auf den Lehrstoff bzw. die Schulfächer betrachtet werden muss. “Einiges hat Relevanz für die Zukunft (und zwar immer dann, wenn das Kind sich für diese Thematik irgendwie interessiert), anderes wiederum lernt man nur bis zur nächsten Arbeit. Welche Priorität man da auch immer hat: Ein Gewinn ist das Anfertigen der Hausaufgaben immer – allerdings weniger in Bezug auf den Stoff, sondern eher in Bezug auf das Erlernen von Schlüsselqualifikationen (Selbständigkeit, Organisation, Zuverlässigkeit, Bilden von Verknüpfungen). Anders gesagt: Es gibt blöde, stumpfsinnige Hausaufgaben, die einfach nur sinnlos sind, es gibt aber auch die sinnvolle Vertiefung von relevanten Themen und deren Verinnerlichung.“

Danach gefragt, was er abschaffen würde, wenn er “Minister für Bildung” wäre, antwortet Jörg Backes, er würde die Abschaffung der Kulturhoheit der Länder betreiben und das Bildungswesen als Bundesangelegenheit definieren. Der Föderalismus führt in diesem Bereich dazu, dass jedes Bundesland macht, was es will. Er würde keins der heutigen Fächer wirklich abschaffen wollen, sich aber eine lebenspraktischere Orientierung wünschen und allgemein ein größeres Gewicht auf kreative Fächer legen. Nur statt Religion würde er einen neutralen Ethikunterricht einführen, in dem die Religionen natürlich vorkommen, aber eher als Teil der Geschichte.

Jörg Backes nimmt die Betreuung der Hausaufgabenhilfe und seine leitende Rolle darin sehr ernst und wünscht sich besonders, dass Eltern und Pädagogen eng zusammenarbeiten um individuell beurteilen zu können, welche Hilfestellung für das jeweilige Kind erforderlich ist. Aber besonders eines ist ihm bei aller Ernsthaftigkeit des Themas wichtig – der Spaß bei der Sache und das gemeinsame Lachen sollten dabei nie fehlen.

Leitartikel der Homepage des Stadtteilzentrum Steglitz e.V.
vom 14. August 2014

 

Einen herzlichen Dank an Jörg Backes, Projektleiter des Kinder- und Jugendhaus Immenweg, der mich bei diesem Beitrag unterstützt hat.