Es sind die Begegnungen mit Menschen, …

Ich sitze an meinem Computer und betrachte die Fotos, die beim diesjährigen Kunstmarkt der Generationen entstanden sind. Von 529 Fotos habe ich 102 Bilder ausgesucht, die exemplarisch den Tag, die Stimmung und die Menschen zeigen sollen. Die Bilder sind fertig bearbeitet und nun überlege ich, was ich dazu schreiben soll. Es war der vierte Kunstmarkt, den wir veranstalteten und ich frage mich, was mir dieses Mal besonders gut gefallen hat. Ein Zitat von Guy de Maupassant bringt es auf den Punkt: „Es sind die Begegnungen mit Menschen, die das Leben lebenswert machen.“ Eben diese Begegnungen mit Menschen sind das Hauptmotiv, das uns als sozialer Träger immer wieder motiviert, diesen Tag zu organisieren. Wir möchten ein Forum zu schaffen, in dem sich Kunstschaffende, deren Interessenten und Besucher, junge und ältere Menschen begegnen und über die Kunst einen Anlass für einen gemeinsamen Tag haben.

Natürlich liegt in Vorfeld etwas Spannung in der Luft, wenn wir den Kunstmarkt organisieren. Auch wenn wir routiniert vorgehen, können wir nicht alles beeinflussen, was einen erfolgreichen Tag ausmacht. Die Wettervorhersage haben wir beispielsweise sehr früh im Blick und verfolgen aufmerksam was uns eventuell bevorsteht. Das sah in diesem Jahr recht gut aus – bedeckt und etwa 23 Grad. Im letzten Jahr waren wir glücklich, dass uns bei der Hitze niemand ohnmächtig wurde. Um 6.04 Uhr am Morgen postete mein Kollege ein Bild in seinen Facebookprofil, das den Schlosspark Lichterfelde zeigt. „Die Stände für den Kunstmarkt stehen“ schrieb er dazu und alle betroffenen KollegInnen konnten schon einmal einen erleichterten Säufer loswerden. Ab dann lief alles wie einstudiert ab. Zwischen 9.00 und 11.00 Uhr bauten wir Bänke, Tische und Stände auf, die KünstlerInnen trafen ein, meldeten sich an, spendierten ihren Kuchen und richteten ihre Stände ein. Schon bei der Begrüßung von bekannten und neuen KünstlerInnen sowie unserer treuen ehrenamtlichen HelferInnen, war die freundliche Stimmung zu spüren. Um 12.00 Uhr stand der 4. Kunstmarkt der Generationen seinem Publikum offen.

Die Schirmherrin des Kunstmarktes, Bezirksbürgermeisterin Kerstin Richter-Kotowski, bedenkt ebenfalls in ihrer Begrüßungsrede, dass dieser Kunstmarkt schon alle Wetterkapriolen erlebt hat. Dazu wedelt sie leicht mit dem Fächer, den wir ihr vorsorglich und aus letztjähriger Erfahrung vor der Rede geschenkt hatten. Sie lobt die stimmungsvolle Atmosphäre des Parks, der wie geschaffen für einen schönen Kunstmarkt ist, lädt zum Verweilen und Kaufen des abwechslungsreichen Angebots der KünstlerInnen ein, nicht ohne allen Ehrenamtlichen zu danken, die mit uns diesen besonderen Tag möglich machen. Ab dann bestimmt das bunte Treiben den Schlosspark und natürlich freuten wir uns als Veranstalter, dass offensichtlich viele Menschen unserer Einladung gefolgt waren.

Der Rundgang an den Ständen hatte für jeden etwas zu bieten. Viele KünstlerInnen sind treue TeilnehmerInnen des Marktes und neue TeilnehmerInnen ergänzten das bunte Angebot. Etwa ein Viertel der Stände bot darstellende Kunst in verschiedensten Variationen an. Aquarell, Acryl, Encaustic, Fotografie, Öl, Illustrationen und anderes war zu finden, was eine lebhafte Bildwelt zeigte. Die anderen Stände waren den KunsthandwerkerInnen vorbehalten, die durch die Vielfalt der Techniken, Werkstoffen und Art staunen ließen. Holz, Glas. Leder, Papier, Scherenschnitt, Pappmaché, Filz, Seide, Stoff, Keramik, Wachs, Recyclekunst, Kork, Perlen, Leder … kaum ein Werkstoff, der nicht vertreten war. Schmuck in allen Formen von Nespressokapseln bis Gold- und Silberschmuck. Bei dem Angebot musste man den Geldbeutel schon besonders gut festhalten. Trotzdem kam immer wieder jemand auf die Terrasse um Freunden zu zeigen, was er oder sie gerade schönes erstanden hatte. Für die KünstlerInnen ist der Verkauf Lob und Geschäft zugleich. Besonders wichtig ist jedoch das Gespräch mit den BesucherInnen der Stände. Was kommt an, was gefällt, wo kann man an sich arbeiten. Und wie bei jedem von uns, wird die Anerkennung zur Motivation weiterzumachen. Das Publikum profitiert nicht nur vom Erwerb schöner Dinge, sondern auch von der Anregung eigener Kreativität. Manche KünstlerInnen bieten die Möglichkeit einen Kurs oder Workshop zu besuchen und Künstlergruppen laden zum Mitmachen ein.

Wer eine Pause vom Marktgeschehen brauchte, fand einen Platz im Garten des Gutshauses Lichterfelde. Tische und Bänke luden zu Kaffee und Kuchen oder einer leckeren Bratwurst ein. Der Kuchen wurde, wie in jedem Jahr, von den KünstlerInnen gespendet, dessen Erlös der Kinder- und Jugendarbeit des Stadtteilzentrums Steglitz e.V. zugedacht war. Besonders in diesem Bereich gilt ein besonderer Dank den ehrenamtlichen HelferInnen, die jedes Jahr ohne eigenen Nutzen ihre Hilfe anbieten. Dieser Helferkreis hat schon etwas sehr Familiäres, weil jeder weiß, wo er anpacken, helfen und unterstützen muss. Respekt den Herren am Grill, die auch nach Stunden mit einem netten Spruch und Lächeln die Bratwurst verkauften, den Damen, die immer für ausreichend Kaffee sorgten, die Sauberkeit der Örtlichkeiten im Blick hielten oder Kunstmarkttaler tauschten.

Wer genug von Kunst und Kuchen hatte, fand auf der Wiese ein schönes Programm. Zuerst zeigte die Kreistanzgruppe aus dem Gutshaus ihre Freude an traditionellen internationalen Kreistänzen und vermittelte Spaß an der Musik und an der Bewegung. Zu anderen Klängen und anderen Rhythmen machten ihnen das die Tanzgruppen aus dem KiJuNa nach. Seit vielen Jahren übt Anija mit den Kindern Choreografien ein, die besondere Beachtung bei solchen Gelegenheiten finden. Wer die Kinder über die Jahre kennt, stellt leicht fest, dass aus ehemals kleinen Mädchen nun junge Damen geworden sind und durch neue kleine Mädchen unterstützt werden. Giovanna hat uns im vergangenen Jahr schon mit ihren orientalischen Tänzen fasziniert, was ihr auch diesmal mit Leichtigkeit gelang. Ihre anmutigen Bewegungen zum Tanz mit oder ohne Reif lassen so manchen träumen und genießen. Beim letzten Programmpunkt „Biodanza mit Martina“, gebe ich offen zu, war ich im Vorfeld etwas skeptisch, weil ich es nicht kannte. Biodanza kann man in etwa mit „Tanz des Lebens“ übersetzen und setzt sich aus Musik, Bewegung und Begegnung zusammen. Martina und Natascha warben beim Publikum mitzumachen und als sich eine kleine Gruppe zusammengefunden hatte, begannen die Kreistänze mit viel Schwung und freien Bewegungen. Faszinierend hierbei war die Zusammensetzung der Tanzenden. Mütter mit sehr kleinen Kindern, eine Frau mit ihrer Mutter, die an den Gehwagen gebunden war, Frauen aus Afghanistan – bunter hätte das Bild nicht sein können. Die Freude an der Bewegung reichte bis in die letzte Ecke des Schlossparks und der Spaß an der Begegnung steckte an.

Es sind die Begegnungen mit Menschen, die diesen 4. Kunstmarkt der Generationen wieder einmal zu einem besonderen Erlebnis gemacht haben. Begegnungen mit KünstlerInnen, die uns sehr wertschätzende Rückmeldungen gaben. Begegnungen mit BesucherInnen, die sich offensichtlich wohl fühlten. Kinder, die überall dazwischen tobten, Erwachsene, die gute Gespräche führten, Freunde und Bekannte, die uns mit einem herzlichen Hallo und Lächeln motivierten. Begegnungen, die uns beschenkten und bestärkten auch im nächsten Jahr wieder einen Kunstmarkt der Generationen zu veranstalten. Und eine schöne Nachricht zum Schluss: Durch Spenden und den Erlös des Kunstmarktes der Generationen wird es möglich, dass sich die Kinder im KiJuNa – Kinder-, Jugend- und Nachbarschaftszentrum, demnächst in einer großen Vogelnestschaukel entspannen können.

Wir freuen uns auf die Begegnung mit Ihnen bei 5. Kunstmarkt der Generationen am 23. Juni 2018.

Soziale Kunst

annaschmidt-berlin.com_soziale-kunst

Der Raum füllt sich mit immer mehr Besuchern, aufgeregte Stimmen sind hinter dem Vorhang zu hören, alle suchen sich einen Platz, es wird dunkel, leise und die Vorstellung beginnt. Ein erstes Musikstück ist zu hören, das sich in der Folge mit vielen anderen Stücken zu einem Musical verbindet. Kinder spielen ihre Instrumente, singen und tanzen, verlieren ihre Nervosität und dürfen schließlich im begeisterten Beifall der Zuschauer versinken. Der Erfolg hat dem wochenlangen Proben recht gegeben. Die ErzieherInnen im Kinder- und Jugendhaus haben mit den Kindern ein Stück einstudiert. Sie haben selber Texte geschrieben, Melodien komponiert, dazu gesungen, immer wieder verbessert und geprobt. Eine andere Gruppe von Kindern hat Tänze einstudiert, Kostüme entworfen und genäht, ein Bühnenbild ist entstanden und schließlich die Plakate, die zum Musical eingeladen haben. Ist die Vorstellung vorbei, ist kaum mehr nachzuvollziehen, wie viel Arbeit es war, alles auf die Beine zu stellen. Die Kinder haben auf mehreren Ebenen Dinge gelernt und erfahren, deren Tragweite sie in jungen Jahren noch nicht absehen können. Der Transporteur war die gemeinsame Kunst.

Eine umfassende Definition zu geben, was Kunst ist, fällt schwer, weil der Facettenreichtum des Begriffs kaum zu fassen ist. Einigkeit dürfte darüber herrschen, dass immer ein Prozess damit verbunden ist, der dem Kunstschaffenden die Möglichkeit gibt, Gefühle und Gedanken zu offenbaren und zum Ausdruck zu bringen. Der Kunstschaffenden gibt seine Botschaft mit seinen Ausdrucksmitteln an andere weiter und damit einen Teil von sich selbst. Unbedeutend, ob er das bewusst oder unbewusst tut, denn wie es beim Betrachter ankommt und verstanden wird, hat er nicht in der Hand. Die Möglichkeiten, die der Kunstschaffende hat, sind nahezu unbegrenzt. Kunst bricht Regeln, setzt Bekanntes und Gewohntes außer Kraft. Kunst provoziert und bedient sich endloser Fantasien. Kunst darf nahezu alles, was der Mensch in seiner Vorstellungskraft sicht- und hörbar machen kann. Die reine Kunst ist frei.

Kunst wird gerne mit dem Begriff Kultur verbunden, was sofort eine massive Einschränkung der reinen Kunst bedeutet. Kultur ist ein stets gesellschaftlich geprägtes Verständnis, dass von Zeit, Mode und Historie der jeweiligen Gesellschaft vorgegeben ist. Kultur ist, was gefällt und zeitgemäß empfunden wird. Die Gesellschaft gibt vor, welche Art der Musik, bildenden und darstellenden Kunst und der Literatur Erfolg oder eben auch nicht haben kann. Kultur verändert sich.

Kunst und Kultur setzen menschliches Handeln voraus. Setzt man nun die Begriffe Kunst mit „Prozess“ und Kultur mit „gesellschaftlicher Veränderung“ gleich, liegt der Rückschluss nicht fern, dass Kunst und Kultur auch den Kunstschaffenden selber verändert. Dieser Veränderungsprozess ist das Mittel, mit dem Kunst und Kultur in pädagogischen, psychologischen und sozialen Zusammenhängen genutzt wird. PädagogInnen, TherapeutInnen und ErzieherInnen nutzen Kunst und Kultur, um gewünschte und verändernde Inhalte bewusst zu machen.

In einer Kita wird ein Märchen vorgelesen, das Stück mit den Kindern geprobt, vertont und auf einer CD verewigt. Die Kinder lernten eine Geschichte in eigenen Worten wieder zu geben, wie Geräusche entstehen und welche Arbeit in einer CD steckt. In einer Schülerbetreuung wird ein Papierprojekt durchgeführt, um den Kindern bewusst zu machen, welche Umweltressourcen genutzt und verbraucht werden, um Papier zu erzeugen. Die dabei entstehenden künstlerischen Arbeiten sind Mittel zum Zweck, die letztlich viel Stolz vermitteln und im Gedächtnis haften bleiben. Jugendliche werden animiert, aus altem Zeitungspapier ihre Trauminsel zu bauen, und machen so die ganz neue Erfahrung, dass auch sie sehr kreativ sein können. Zahllos sind die Beispiele, bei denen etwas mit Kindern zusammen gebaut, gemalt, geprobt oder gespielt wird. Sinn ist es, immer die freie Fantasie zu nutzen und deren Potential zu entfalten. Bewusst ist dabei, dass Menschen mit viel Fantasie Zusammenhänge neu kombinieren und gewohnte Muster aufbrechen können. Neue Lösungen entstehen, die einen gewünschten Fortschritt erzielen können. Ein Kind, das mit Behinderungen lebt, malt mit einem Pinsel nicht nur, es macht Sinneserfahrungen und kann sich selber wahrnehmen. Schüchterne Kinder legen im Theaterspiel ihre Scheu ab und stärken das Selbstbewusstsein. Junge Erwachsene, die den Kunstunterricht immer langweilig fanden, machen in der Gruppe die Erfahrung, wie viel Kreativität in ihnen steckt.

Die künstlerischen Prozesse, die im pädagogischen Zusammenhang genutzt werden, sind frei von Bewertung und Talent. Es geht um den Prozess an sich selbst und nicht darum ein Kunstwerk zu schaffen. Natürlich kommt es immer wieder vor, dass ein Talent entdeckt wird, das dann in gezielte Förderung vermittelt werden muss. Bewertet werden kann nur, ob ein Projekt oder Prozess erfolgreich war und angenommen wurde. Ob ein Bild, das von einem Jugendlichen gemalt wurde, schön ist, ist nicht von Bedeutung. Wichtig ist, dass es gemalt wurde. Ist es schön geworden, umso besser, weil er oder sie dann weiter machen.

So ist es nicht weiter verwunderlich, dass gerade in sozialen Einrichtungen zahlreiche Angebote zu finden sind, die Kunst und Kultur zum Inhalt haben. Malgruppen für Erwachsene, Tanz- und Theatergruppen, Literaturkreise oder Musikangebote stehen immer dort auf dem Programm, wo Menschen zusammen kommen. Austausch und Kommunikation stehen hier im Fokus. In der Gruppe können Menschen etwas bewerkstelligen und die Stillen in etwas einbezogen werden, was sie sonst als Zuschauer betrachten würden. Kunst und Kultur in sozialen Einrichtungen bewegt und verbindet. Die KünstlerInnen, die hier zu sehen sind, sind nicht die der großen Bühnen und Öffentlichkeit. Es sind die Senioren, die nicht allein sein wollen, Geflüchtete, die ihrem Erlebten Ausdruck vermitteln möchten und Menschen aus der Nachbarschaft, die in der Gruppe Dinge mitmachen, zu denen ihnen alleine der Antrieb fehlt. Kunst in sozialen Einrichtungen verbindet – der begeisterte Beifall aller Beteiligten heißt dabei jeden willkommen.

szs_mittelpunkt_juli-2016_titel

Dies ist einer von vielen schönen Beiträgen zum Thema „Integration durch Kunst und Kultur“ und zu finden sind sie alle im Magazin „Im Mittelpunkt“ des Stadtteilzentrum Steglitz e.V. oder hier:

Als eBook – eine epub-Datei, als interaktives Pdf und den Einleger „Mittendrin“ mit Veranstaltungen und Ferientipps des Stadtteilzentrum im Juli und August.

http://www.stadtteilzentrum-steglitz.de/ebook/MagazinImMittelpunktJuliAugust2016.epub – 230 MB

http://www.stadtteilzentrum-steglitz.de/ebook/MagazinImMittelpunktJuliAugust2016.pdf – 230 MB

http://www.stadtteilzentrum-steglitz.de/ebook/VeranstaltungenSzSMittendrinJuliAugust2016online.pdf – 640 KB

79.344 Schritte durch Prag

ansichten-allg-5_prag15_a.schmidt

Kurz vor der Abfahrt hatte ich mir überlegt, dass jetzt so eine moderne Fitnessuhr genau richtig wäre. Die hatte ich aber nicht und schaute deshalb im App-Store des Handys nach. Dort wurde schnell fündig und konnte unsere Reise mit einem Schrittzähler antreten. Herr Schmidt und ich hatten die Koffer gepackt. Eine viertägige Reise nach Prag stand uns bevor und wir freuten uns sehr wieder einmal neue Eindrücke und Erlebnisse vor uns zu haben. Von der goldenen Stadt hatte ich sehr oft gehört, dass sie eine Reise wert sei – nun war es soweit. Die Tochter brachte uns zum Bahnhof, das Gleis war schnell gefunden und es konnte gemütlich mit dem Zug losgehen. Viereinhalb Stunden später standen wir in Prag am Bahnhof. Ich kann versichern, dass diese Stadt über alle bekannten öffentlichen Verkehrsmittel verfügt. Ich habe sie gesehen! Aber – Herr Schmidt zieht die tatsächlich und körperlich erlebten Wege vor und wir begannen mit dem kurzen Fußweg zum Hotel … der Schrittzähler konnte seinen Dienst aufnehmen:

Prag ist beeindruckend! In jedem Winkel der Stadt kann man sich leicht in den Anfang des vorherigen Jahrhunderts oder früher versetzen. In jeder Straße reihen sich die alten Fassaden aneinander. Dies beschränkt sich nicht, wie bei uns üblich, auf einen alten Stadtkern. Die alten Stadthäuser sind überall. Und überall mehr oder wenig gut erhalten. Viele Häuser sind modernisiert, aber ebenso viele dem Verfall übergeben oder warten auf einen geneigten Geldgeber. Oft sieht man mehrere modernisierte Häuser und ganz unscheinbar dazwischen ein Haus, das abgeriegelt und unbewohnt ist. Ein Haus, dass offensichtlich von guten alten Tagen träumt und auf neue gute Tage hofft. Viele dieser maroden Häuser sind so schön, dass der Anblick Bedauern hervorruft. Bedauern ist aber fehl am Platz, weil man drei Schritte weiter schon wieder ein neues wunderschönes Haus entdeckt und das in einer Fülle, die tatsächlich sprachlos macht. Die Details der Häuser, die sich in Fenster, Bemalungen, Stuckarbeiten, Figuren, Säulen und vielem anderen zeigen und sie unterscheiden, sind so abwechslungsreich, dass man gar nicht satt wird, zu entdecken, zu schauen und zu staunen.

Wer nun im Geschichtsunterricht gut aufgepasst hat weiß, dass Prag die Stadt des Zweiten Prager Fenstersturzes ist, dem der Beginn des 30-jährigen Krieges zugeschrieben wird. Entsprechend ist klar, welch eine geschichtsträchtige Stadt hier liegt. Auch das zeigt sich in jeder Ecke. Mein Schrittzähler hatte eine ganze Menge zu tun und ich bin mir sicher, dass wir bei weitem nicht alles gesehen haben. Die Karlsburg, das Strahov-Kloster, der alte Königspalast, die Karlsbrücke, das Altstädter Rathaus mit der schönen astronomischen Uhr, die zahlreichen Synagogen, die vielen Kirchen, der Wenzelplatz mit Nationalmuseum und viel andere mehr … vier Tage sind definitiv zu kurz um alles zu sehen. Zu kurz leider auch, um in die Tiefe zu gehen und sich alle anbietenden Ausstellungen und Galerien anzusehen. Im Strahov-Kloster befindet sich beispielsweise das Nationalmuseum für Literatur, das ich gerne angesehen hätte. Wir mussten uns aber immer wieder entscheiden und in diesem Fall sprach die lange Schlange vor dem Eingang, die müden Füße und ein leichtes Brummen im Magen dagegen, hineinzugehen. Es gibt so unglaublich viel anzusehen, dass es sich tatsächlich empfiehlt, sich vorher ein wenig zu informieren, was und in welcher Intensität man es sich ansehen will. Wer, wie wir, einen Eindruck der Stadt haben möchte, braucht nur einen Schrittzähler und einen Verkehrsmittel-resistenten Partner!

Eine meiner Vorlieben ist es mir Kirchen anzusehen, sobald ich in einer fremden Stadt bin. Das haben wir auch hier getan, denn um eine Kirche oder eine Synagoge zu finden braucht man nie lange zu laufen. Etwas befremdlich fanden wir hier, dass man tatsächlich für jede Kirche ein Ticket benötigt und am Sonntag viele Kirchen geschlossen waren. Vormittags wegen Gottesdiensten, was der Christ natürlich akzeptiert, aber auch am Nachmittag wegen Konzerten. Nichtsdestotrotz konnten wir der Vorliebe voll Rechnung tragen und wunderschöne Altäre, Kirchenfenster, Skulpturen und Kirchenschmuck bewundern. Schade fand ich hingegen, dass ich in keiner Kirche eine Kerze anzünden konnte. Ich bin gläubig und das Anzünden der Opferkerze ist eine mich tröstende Gewohnheit geworden. Nun, in Prag gedenkt, wünscht, bittet, hofft man offensichtlich auf andere Weise. Vielleicht weiß ein Leser, warum es dort so ist. Am beeindruckendsten war bei diesem Besuch für mich die Stimmung in der spanischen Synagoge. Am nettesten im kirchlichen Zusammenhang unter anderem die Wasserspeier am Sankt-Veits-Dom.

Mehr dem Schrittzähler und dem müden Fußen gezollt haben wir am Sankt-Veits-Dom viel Spaß gehabt. Wir setzten uns auf eine Bank um eine kleine Pause zu machen. Dabei wurde uns in wenigen Minuten bewusst, wie viele Menschen sich hier in allen möglichen Positionen fotografieren, fotografieren lassen und was sie sich dafür einfallen lassen. Von Profikamera, Handys, Tablets (viele Asiaten laufen tatsächlich mit Tablets herum), war technisch alles dabei und, was ich noch nie so bewusst erlebt habe, sehr viele Leute fotografieren mit Selfie-Verlängerern. Gefragt wurden wir zudem, ob wir einmal ein Foto machen könnten. Überhaupt kann man immer und überall in der Stadt Menschen fotografieren, weil zum einen jeder zweite einen Fotoapparat in der Hand hält und es so viel zu fotografieren gibt, dass kaum einer auf die Idee kommt, selber das Objekt des Bildes zu sein.

Das Wahrzeichen der Stadt, die Karlsbrücke, möchte ich hier explizit erwähnen. Nicht nur, weil sie zu den ältesten Steinbrücken Europas zählt, sondern weil diese Fußgängerbrücke über die schöne Moldau mit ihren 30 Figuren eine besondere Stimmung vermittelt. Hier tobt im wahrsten Sinne des Wortes das Leben. Wir hatten die ganzen Tage bedecktes, trockenes Wetter. Bei Sonnenschein dürfte die Brücke weit belebter sein, als wir es erlebt haben. Von den Figuren gleicht keine der anderen, wobei der Brückenbesucher Kopien sieht, die Originale stehen im Nationalmuseum. Natürlich ist die Brücke Ziel der Touristen wie unsereins, aber auch die Einheimischen nutzen sie offensichtlich intensiv. Dies zeigt sich, wenn man ein bisschen an der Figur der heiligen Johannes von Nepomuk stehen bleibt. Sie ist die älteste der Figuren auf der Brücke. Der Heilige soll an dieser Stelle in den Fluss gestürzt worden sein. Das Relief am Sockel der Figur wird von den Menschen berührt. Hier sieht man, wer sie für ein Erinnerungsfoto berührt oder eben die Einheimischen, die auf die Gelegenheit wartend, die Figur für ein kurzes stilles Gebet berühren. Alle paar Meter stehen Souvenirhändler, die kleines Kunsthandwerk anbieten, alle paar Meter bietet ein Zeichner persönliche Karikaturen an und alle paar Meter steht ein kaum beachteter Bittsteller. Die Brücke verbindet die Altstadt mit der Kleinseite, aber ganz gleich wo man sich in angrenzenden Höhen aufhält, die Brücke mit ihren alten Türmen ist wie ein Mittelpunkt fast von überall zu sehen.

Wer gerne und deftig ist sollte nach Prag fahren. Als wir durch die Stadt gelaufen sind haben wir festgestellt, dass es kaum ein Lokal gibt, in das wir nicht hineingehen würden. Alle Restaurants, Lokalitäten und Cafés sehen einladend aus und versprechen reichliche Genüsse. Wem das noch nicht ausreicht, der kann an zahlreichen Buden in der ganzen Stadt typische Gerichte bekommen, die appetitanregend in großen Pfannen oder Schinken auf großen Grills angeboten werden. Wir sind in ein kleines Lokal zweimal hineingegangen, weil es einerseits wunderbar geschmeckt hat und auch die Atmosphäre und Freundlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ. Die Sprache zu verstehen, war äußerst schwierig für mich. Selbst wenn ich Worte zu lesen versuchte, hatte ich eher den Eindruck meine Zunge verknotet sich gleich. Aber mit dem alten „Mit Händen und Füßen“-Prinzip, ein wenig Englisch und Deutsch kommt man überall durch und bekommt entsprechend Gehör. Die Menschen sind durchweg sehr freundlich ihren Touristen gegenüber eingestellt. Wen wundert’s? 😃 Neben den Buden mit leckerem Esse findet man ebenso zahlreich die Buden mit landestypischen Souvenirs – wer es mag, sehr bunt, verschnörkelt und reich verziert.

Uns hat es alles in allem sehr gut gefallen. Das Hotel war schlicht, sauber, gut zu erreichen und der Service bestens. Einziger Nachteil, wir wohnten im sechsten Stock. Bis zum fünften ging der Fahrstuhl, dann kam die Treppe, was nach so einem langen Tag und gefühlt 1 Million Schritte, schwer zu bewältigen war! Der kleine Laden neben dem Hotel versorgte uns bestens mit Getränken, wobei ich verschiedenste Sorten Mineralwasser ausprobierte, bevor ich eins mit Kohlensäure fand. 😃 Bedauerlich war, dass uns auch hier das Elend mancher Menschen begegnete. Natürlich ist es nicht verwunderlich in so einer großen Stadt, aber es schmerzt ja doch, ganz gleich wo man sich aufhält. Und auch die Nachrichten aus Belgien trübten am letzten Tag die Stimmung massiv. Trotzdem überwiegt das Gute und Schöne an dieser Reise, die uns lange in Erinnerung bleiben wird und zum zweiten Besuch einlädt. In guter deutscher Manier sind wir zur Heimreise sehr zeitig im Bahnhof gewesen um das richtige Gleis zu finden. Wir mussten etwas warten und wunderten uns über die Trauben von Menschen, die sich vor den großen Anzeigetafeln sammelten. Plötzlich lösten sie sich auf und waren weg. Minuten später sammelte sich eine neue Traube. Als wir dann unser Gleis suchten war uns klar, was das bedeutete. Anders als bei uns gibt es keine Pläne auf denen die Gleise der Abfahrten stehen. Man muss vor den Tafeln geduldig warten, bis kurz vor Abfahrt das Gleis angegeben wird. Leuchtet es schließlich auf, ist Eile geboten, dies besonders in einem Bahnhof, den man nicht so gut kennt. Nun, wir haben den richtigen Zug erwischt, die richtigen Plätze gefunden und freuten uns auf Zuhause. Die Kinder hatten schon signalisiert, dass der Kühlschrank leer ist … schön, wenn man trotz Eigenständigkeit der Kinder zuhause erwartet wird. 😉 Als wir zuhause waren zeigte der Schrittzähler für die vier Tage zusammengerechnet 79.344 Schritte oder 51,6 Kilometer an. Jeder einzelne Schritt war es wert!

Es soll gelacht werden

annaschmidt-berlin.com_lachen-im-szs

Soziale Arbeit zu leisten bedeutet vornehmlich, Menschen bestmöglich in ihrer persönlichen Entfaltung und Entwicklung zu unterstützen. Das dies nicht immer einfach ist, versteht sich auch daraus, dass sich Menschen, die soziale Hilfe wünschen, häufig in einer Konfliktsituation befinden. Das allein wäre jedoch zu oberflächlich, denn soziale Arbeit bedeutet ebenso, Menschen zusammen zu führen und ein gesellschaftliches Miteinander zu fördern. Die Aufgaben in diesem Bereich sind vielfältig, nur eines haben sie in allen Facetten gemeinsam – Menschen unterschiedlichster Art, Alter und Herkunft, treffen aufeinander. Dieses Aufeinandertreffen bestimmt die Arbeit aller Mitarbeitenden des Stadtteilzentrum Steglitz e.V., ein sozialen Träger, der von der Kita bis zum Seniorenzentrum in über 20 Einrichtungen im Bezirk Steglitz-Zehlendorf tätig ist. Die vielen Kinder, Jugendlichen, Besucher, Kursteilnehmer, Ratsuchenden, Mitarbeitenden, die tagtäglich mit diesem Träger in Verbindung stehen, eint besonders eines – es darf nicht nur, es soll sogar gelacht werden.

Dem Lachen wird Vieles nachgesagt und wissenschaftliche Untersuchungen untermauern es: Lachende Mensch kooperieren besser miteinander. Sie haben ein gemeinsames Ventil, das ihnen hilft, besser mit Stress umzugehen und sie widerstandsfähiger bei Belastungen macht. Lachen löst Anspannungen und fördert so kreative Prozesse. Wer zusammen lachen kann, arbeitet auch besser miteinander. Viel einfacher erklärt sich die wohltuende Wirkung des Lachens daraus, dass Lachen Menschlichkeit und Nähe offenbart. Humorvolle Menschen wirken viel sympathischer als Sauertöpfe, sind zugänglicher und leichter anzusprechen. Dumm wäre also derjenige, der die positive Wirkung nicht erkennt und nutzt.

Für den Arbeitsprozess bedeutet das Lachen besonders eins – man darf sich wohlfühlen. Das fängt gleich morgens bei der Begrüßung an. Fühlt sich jemand willkommen, geht er schon mit einem guten Gefühl in den Tag, das alle weiteren Dinge, die da kommen mögen beeinflusst. Das kennt und erkennt jeder. Und auch ein wertschätzender, fröhlicher Abschied kann eine tragende Wirkung in einen erholsamen Abend sein. Zwischen Morgen und Abend verbringen wir meist mehr Zeit mit KollegInnen als mit dem Partner und Familie, weshalb deutlich ist, warum eine gute Atmosphäre, hin und wieder ein freundliches Wort oder ein fröhliches Lachen so wichtig ist. Auf diese Weise kann Lachen, dort wo sich Menschen angenommen fühlen, durchaus bewusst gefördert und eingesetzt werden. Lächeln, Lachen, Humor, Freundlichkeit … tut gut und hält gesund!

Danach gefragt, was Lachen für ihre tägliche Arbeit bedeutet, antworten KollegInnen aus dem Stadtteilzentrum, dass Lachen zu den wichtigsten Bestandteilen der Arbeit gehört. Es macht den Kopf frei, verbindet und gibt Kraft. Eine Kollegin führt an, dass wer lacht, schon ein Problem gelöst hat. Ein anderer sagt, dass es Freude macht und Sorgen vergessen lässt. Es sei wie Medizin, nur ohne Nebenwirkungen. Eine Kollegin aus einer Kindereinrichtung, erzählt, dass die Kinder gerade so gerne kommen, weil viel gelacht wird und Quatsch gemacht werden darf. Die Kinder hatten selbst eine Stellenanzeige für einen neuen Erzieher geschrieben und dem Lachen dabei einen sehr hohen Stellenwert eingeräumt. Ein anderer sagt: „Das Kinderlachen ist für mich etwas Positives, da es Fröhlichkeit, Unbeschwertheit und Leichtigkeit der Kinder ausstrahlt. Ein ehrliches und herzliches Lachen der Kinder zeigt mir, dass sie eine fröhliche Zeit mit mir haben und das ist die schönste Motivation für meine Arbeit.“ Lachen bedeutet, Kontakt, Verbindung und Beziehung mit den Kindern aufzunehmen. Über Humor und Freude erreicht man Kinder und auch Erwachsene anders als sonst in der alltäglichen Kommunikation. Und nicht zuletzt stärkt es das Selbstempfinden, man wächst näher zusammen, festigt Bindungen im Team.

Wo wird gelacht? Überall – ist die einzig mögliche Zusammenfassung aller Antworten der KollegInnen. In Besprechungen, Teamsitzungen, persönlichen Gesprächen, in Spielsituationen, zwischen Kindern, Eltern, KollegInnen, Besuchern, Gästen, Kursteilnehmern … die Liste ist unendlich. Dabei spielt Sprache, Nationalität oder ethnische Merkmale nicht die geringste Rolle. Die Antworten sind so vielfältig, dass der Eindruck entsteht, dass das Lachen durchaus allgegenwärtig ist. Gut so!

Vorausgesetzt, dass nie über jemanden oder aus Schadenfreude gelacht wird. Lachen darf nicht „auf Kosten“ eines Einzelnen gehen und sollte immer ein feines Gespür für den Humor des anderen beinhalten. Lachen ist nicht konfliktfrei. Es funktioniert nur, wenn keiner unterlegen ist. Die Schwelle, über sich selber zu lachen, ist unterschiedlich hoch und komische Situationen können schnell falsch verstanden werden. Ebenso wie es Konflikte lösen kann, kann es auch erst der Auslöser eines Konfliktes werden. Lachen kann ein Ausdruck für Unsicherheit, Anspannung, Nervosität und Ängste sein. Feingefühl ist gefragt, das sich besonders zeigt, wenn es um Lachen mit und über Randgruppen geht. Blondinenwitze, Ostfriesenwitze, Fritzchenwitze … es gibt sogar ein Buch über SozialarbeiterInnenwitze. Der Witz ist der Versuch, den Zuhörer über eine Pointe zum Lachen zu bringen, doch oft hat er ein „Opfer“. Es ist Vorsicht geboten. Selbst Menschen mit Behinderungen witzeln über sich selber, in der Medizin und dem Hospiz wird gewitzelt – oft um der Situation die Schärfe zu nehmen oder als Selbstschutz. Tragikomische Witze sind eher ein hilfloser Ausdruck. Wenn ein demenzkranker Mensch erklärt, er sei doch nicht meschugge? Darf man Lachen?

Die letzte Frage an die KollegInnen war die nach dem schönsten Lachen, dass sie persönlich erlebt hatten. Die Antworten hatten alle eine Verbindung mit Kindern. Kinderlachen ist unbelastet, frei und echt. Es steckt an, erleichtert, macht die Umgebung freundlich. Auch ein kleines Lächeln, dass Zustimmung, Wohlwollen oder Akzeptanz ausdrückt, gehört zu den Favoriten. Kleine Momente, die haften bleiben. Situationen, in denen ein Wort ein Kopfkino auslöste. Das Lachen ist mit der Arbeit nicht zu trennen, denn hinter der Arbeit stehen die KollegInnen, die letztendlich Mensch sind. Der Mensch braucht das Lachen, die kleinen feinen Aufheller, im täglichen Geschehen. Lachen ist soziale Interaktion in höchster Form. Eine Kollegin hat das schönste Lachen, dass sie persönlich erlebt hatte, besonders schön beschrieben – ganz im Sinne des sozialen Trägers: „Es war das letzte, gerade erlebte!“

zeit0415

Stadtteilzeitung Steglitz-ZehlendorfNr. 186 • April 2015

Eine Einrichtung mit Herz – der „kieztreff“

kieztreff_41

Wenn sie auf die lange Wand an der Seite des „kieztreffs“ schaut, ist Rita Schumann besonders stolz. Dort ist ein riesengroßes Graffiti zu sehen, dass 2011 im Rahmen einer Veranstaltung von ihrem Kollegen und Graffiti-Künstler Sebastian Unger gesprüht wurde. Es ist immer noch unbeschädigt und das empfindet sie als eine Art Respekterweisung gegenüber der kleinen Einrichtung. Der „kieztreff“ ist eine Nachbarschaftseinrichtung in der Thermometersiedlung in Lichterfelde-Süd und feierte in diesem Jahr unter der Trägerschaft des Stadtteilzentrum Steglitz e.V. und in Kooperation mit FAMOS e.V. Berlin sein 10-jähriges Bestehen. Rita Schumann ging 2006 das erste Mal durch die Tür des Treffpunktes.

kieztreff_53

Anfänglich war ihr nicht klar, was für eine erfüllende Aufgabe ihr bevorstand, als sie im „kieztreff“ als Projektleiterin anfing. Es war ein völlig neuer Einstieg nachdem sie jahrelang im Künstlermanagement gearbeitet hatte. Eine Tätigkeit, die so gar nichts mit sozialem Engagement zu tun hatte. Aber es war durchaus so gewollt: Nach der Arbeit mit den schönen Künsten und der Zusammenarbeit mit Künstlern stand ihr der Sinn danach etwas für das Gemeinwohl zu tun. Dazu bekam sie reichlich Gelegenheit und eigentlich gleich von Anfang an freute sie sich jeden Tag zur Arbeit zu gehen, Menschen aus dem Kiez zu treffen und mit Rat und Tat Unterstützung im Alltag zu geben. Hier kam ihr die erworbene Menschenkenntnis und Flexibilität zugute, die ihr früheres Berufsleben forderte. Aber hier war auch das Herz am richtigen Fleck gefragt und dafür war sie genau die Richtige. Die Einrichtung blühte auf und konnte sich beständig in der Nachbarschaft etablieren.

Die Aufgaben, die sie zu bewältigen hat sind sehr vielfältig und verlangen ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen. Es kommen Menschen vorbei, die Hilfe bei Schriftwechseln mit Ämtern oder Vermietern benötigen. Manche wissen nicht, wie man eine Bewerbung verfassen kann und bekommen hier Unterstützung, manche haben ein Problem und möchten es einfach loswerden und manche möchten zum Problem einen Rat. Rita Schumann muss mit feinem Gespür herausfinden, wie viel Hilfe gewünscht wird ohne zu nahezutreten. Natürlich weiß sie nicht alles, gibt sich auch nicht den Anspruch, aber sie weiß wohin man sich wenden kann und wer weiter helfen kann. Mit der Zeit konnten einige Beratungsangebote etabliert werden. In der Bürgersprechstunde steht die Polizei regelmäßig zur Verfügung, in der sozialen Sprechstunde können alle familienrelevanten Themen angesprochen werden und wenn’s ganz dicke kommt, gibt es auch noch eine Rechtsberatung vornehmlich für Familienrecht.

kieztreff_56

Die Besucher der Einrichtung kennen sich zum großen Teil alle aus der Nachbarschaft, vom Sehen, vom Einkauf, von der Bushaltestelle. Sehr viele Familien mit kleinen Kindern kommen, auch alleinstehende Menschen und Senioren. Alle kommen vorbei und schätzen den einvernehmlichen Ton in der Einrichtung. Alle finden ein passendes Angebot oder wissen einfach eine gute Tasse Kaffee zu schätzen. Angebote gibt es viele und es fällt nicht schwer sie anzunehmen. Ausländische Frauen können einen Deutschkurs besuchen, der ihnen hilft im Alltag zurechtzukommen. Senioren können ihre Englischkenntnisse auffrischen, Kreative finden sich in der Malgruppe wieder und eine Rommé-Gruppe will sich gründen. Die Kaffee- und Gesprächsrunde bietet immer wieder neue Themen … das Miteinander bestimmt die Angebote und die Nachfrage ist groß. Dennoch sollte man kinderfreundlich sein, wenn man den „kieztreff“ besucht. Die Kleinen nehmen den gemütlichen Treffpunkt sehr für sich ein. An den Bastelnachmittagen, die mit FAMOS e.V. Berlin in Kooperation angeboten werden, wimmelt und wuselt es nur so von kleinen Künstlern, die egal ob drei oder zwölf Jahre alt, alle etwas Schönes mit nach Hause nehmen wollen. In der Lesestunde mit Märchen oder Gruselgeschichten und bei der Hausaufgaben-Hilfe sind auch die kleinen Geister ruhiger. Aber es ist gleichgültig, ob die Kinder im Sommer das Freigelände beschlagnahmen oder im Winter die Zimmer mit ihrem Spiel füllen, sie gehören zum Bild dazu und laden jedem zum Lächeln ein. Ob die Gäste einfach kommen um nicht alleine Frühstücken zu müssen oder ob sie am monatlichen Brunch teilnehmen, spielt im „kieztreff“ keine Rolle. Alle möchten Begegnung, Gespräch und gemeinsames Erleben. Hier kann man zwanglos Kontakte knüpfen oder einfach eine Zeitung lesen und nur am Rande das Geschehen beobachten.

kieztreff_52

Das der „kieztreff“ so lebhaft ist, ist insbesondere der bunten Mischung vieler Nationen und Kulturen zu verdanken. Hier verkehren türkische, arabische, baltische, asiatische und polnische Familien. Die Unterschiede zwischen den Kulturen werden in den Alltag mit einbezogen. Muslimische Familien zum Bespiel feiern mit den Einheimischen Weihnachten und Ostern, die christlichen Kinder werden zum Zuckerfest von manchem Gast mit einem kleinen Geschenk bedacht. Es herrscht eine große Akzeptanz untereinander. Aber auch Neugierde und Interesse an fremden Kulturen. So hat das Feiern einen besonderen Stellenwert in der kleinen Einrichtung. Da die Wohnungen der Familien oftmals zu klein sind, verlegen sie ihre privaten Festlichkeiten in den „kieztreff“. Familienfeiern aller Art und Kindergeburtstage werden sehr oft ausgerichtet. Rita Schumann hilft mit ihren ehrenamtlichen Kräften, dass die Mütter einen schön geschmückten Raum präsentieren können. Das Buffet und was man so zum Essen benötigt bringen die Familien selber mit. Der Raum ist für diese Feiern so gefragt, dass man unbedingt einen Termin reservieren muss und die Einschränkung akzeptiert, dass nur während der Öffnungszeiten gefeiert werden kann. Macht aber nichts – genauso wenig, wie die Tatsache, dass meist mehr Gäste dabei sind, wenn sie schon mal in der Einrichtung sind. Vor der Tür muss niemand stehen. So passiert es, dass bei der Babyparty oder Taufe, der ein oder andere alleinstehende Senior dazu geladen wird oder die Trauerfeier durch Kinderlachen gelockert wird – das ist im „kieztreff“ nun einfach mal so. Abgrenzungen finden kaum statt, eher das Gegenteil kommt zum Tragen.

Manche Momente möchte Rita Schumann am liebsten festhalten. Hin und wieder kommt beispielsweise ein älterer Herr aus der Nachbarschaft vorbei. Die Kinder nennen ihn liebevoll „Herr Seymerchen“. Er ist 75 Jahre alt und spielt mit den Kindern sehr gerne, meistens Kids-Memory oder „Mensch ärgere dich nicht“. Hin und wieder ist ein besonders ehrgeiziges und mutiges Kind dabei, das fordert ihn dann zum Schach heraus. Herr Seymer nimmt es gelassen und wer weiß, wie oft er schon seine kleinen Spielpartner hat gewinnen lassen. Das sind die Szenen, die für Rita Schumann das nachbarschaftliche Zusammenleben symbolisieren. Diesen Momenten Raum zu geben, das Miteinander der Menschen zu moderieren, Anregungen und Hilfe zu geben, das sieht sie als ihre Herausforderung und Aufgabe an. Sie nimmt sie von Herzen täglich auf’s neue an und macht so aus dem „kieztreff“ eine Einrichtung mit Herz!

kieztreff_39

Dieser Beitrag kam mit der wertvollen Unterstützung meiner Kollegin Rita Schumann zustande! 🙂

Leitartikel der Homepage des Stadtteilzentrum Steglitz e.V.
vom 29. September 2014