Die Zahnputzbecher bleiben leer

Wochenend-Einkauf: Ich schiebe meinen Einkaufswagen durch den Supermarkt und staune nach einer Weile, dass der Einkaufszettel kürzer, der Wagen aber so gar nicht voll wird. Viele Sachen, die sonst zum „Must-have“ des Einkaufs gehörten bleiben in den Regalen. Keine Himbeeren im Winter, kein Vollkorn-Knäckebrot, kein Steviazucker, kein Joghurt 0,1%. In den Süßigkeiten-Regalen schaue ich nur nach Sachen, die der Vater mag. An den Kosmetik-Regalen gehe ich ohne Interesse vorbei. Kein spezielles Haarwaschmittel oder Duschshampoo wird gebraucht. Nach dem Bezahlen kommt mir der Quittungsstreifen ungewöhnlich kurz vor und das Umladen des Einkaufs in das Auto kommt keiner Schwerstarbeit gleich. Andere Situationen gibt es auch: Die tägliche Frage, was es zum Abendessen gibt, ist in kürzester Zeit und ohne Diskussion gelöst. Ziehe ich beim Heimkommen die Schuhe aus, finde ich immer einen Platz dafür im kleinen Schuhregal ohne mich durch sieben davor stehende Paare durchzuwühlen. Mache ich nach der Arbeit Zuhause meinen Entspannungskaffee, sieht die Küche tatsächlich so aus, wie ich sie morgens verlassen habe. Morgens im Bad hängt mein Handtuch immer dort, wo ich es zuletzt hingehängt habe. Ich muss keine Haargummis in das entsprechende Schälchen weglegen (ich selbst habe maximal 2 cm lange Haare). Wenn ich Zähne putze, fällt mein Blick oft auf die zwei leeren Zahnputzbecher. Ich überlege, ob ich sie wegräume, denn sie bleiben auch künftig leer. Beide Töchter haben sich in diesem Jahr auf eigene Wege begeben. Auch ihre Betten bleiben leer.

Wenn man Kinder bekommt, muss einem klar sein, dass man die nächsten 20 Jahre in der zweiten Reihe steht. Das bedeutet nicht, sich selber aufzugeben, aber alles Bestreben in dieser Zeit sollte darauf ausgerichtet sein, eigenständigen und selbstbewussten Nachwuchs großzuziehen. Je mehr Zeit man darin investiert, umso erfolgsversprechender und sicherer hat man später auch seine Ruhe. Gerade in den ersten durchwachten Nächten mit dem Säugling kommt einem diese Zeitspanne unüberwindbar vor. Selbst viel später in der Pubertät des Nachwuchs, denkt man immer noch, dass man es nie schaffen wird. Doch irgendwann ist es dann doch vorbei. Plötzlich vorbei. Viel schneller vorbei, als man eigentlich für möglich gehalten hätte. Der Nachwuchs zieht aus und die Zeit beginnt, in der sich Mutter und Vater ihres Elternjobs beraubt fühlen und sich wieder auf sich selbst besinnen müssen. Nun ist das natürlich nicht mit der gemeinsamen Zeit zu vergleichen, die man mehr oder weniger hatte bevor die Kinder da waren. Zum einen ist man eben gut 20 Jahre älter, die rosa Wölkchen der Anfangszeit haben so ziemlich alle Farbnuancen durchgemacht und das eine oder andere Zipperlein ist ständiger Wegbegleiter geworden. Herr Schmidt und ich sind frisch in diese neue Lebensphase eingetreten. Wir müssen uns neu sortieren, miteinander positionieren, neue Routine oder Herausforderungen finden.

Unsere erstgeborene Tochter hat uns Eltern sanft entwöhnt, beziehungsweise sich selber sehr elegant heraus gelöst. Man könnte es auch als eine Art „Ausschleichen“ bezeichnen. Letzten November zog ihr Freund in seine erste eigene Wohnung ein. Der unglaubliche Vorteil dieser Wohnung für unsere Tochter bestand darin, dass sie genau auf der anderen Straßenseite ihrer Ausbildungsstätte liegt. Hat sie Frühschicht, ist es natürlich ein gewaltiger Unterschied für die jungen Frau, ob sie in der Wohnung des Freundes um halb sechs aufstehen muss oder in dem elterlichen Heim um halb vier morgens. Wir erlebten nicht mehr viele Frühschichten der Tochter. Auch nicht mehr viele Spätschichten. Kam sie nach Hause, war eine große Tasche im Gepäck mit Schmutzwäsche, aber auch diese Tasche blieb irgendwann weg, nachdem über WhatsApp geklärt war, bei wie viel Grad man Bunt- oder Kochwäsche wäscht. Im Sommer räumten der Ehemann und ich einiges im Haus um und überlegten, wie wir die Räume optimal nutzen könnten. Mit einigen Vorbehalten trauten wir uns die Tochter bei ihrem nächsten Besuch zu fragen, ob in ihr Zimmer nicht der Vater einziehen könnte. Statt einem entsetzen „Wollt ihr mich rausschmeißen!“, kam nur ein „Warum habt ihr das nicht schon längst gemacht.“ Damit war das bisher Unausgesprochene offiziell: Es lebt nur noch ein Kind hier im Haus.

Loslassen war das erste Mal ein Thema für mich. Nein, eigentlich nicht loslassen. Das müssen Mütter mit jedem Entwicklungsschritt der Kinder mitmachen. Trennung bezeichnet es eigentlich besser. Der gemeinsame Weg mit der Tochter ist beendet. Jetzt zeigt sich, ob wir ihr das richtige Rüstzeug in der Erziehung mitgegeben haben. Aber: Sie ist selbstbewusst, weiß was sie will, zieht konsequent ihr Studium durch und wirkt auf mich bei jedem Besuch ausgeglichen und zufrieden. Hier kann ich gut loslassen, zumal der junge Mann an ihrer Seite mir das Gefühl gibt, dass er ihr gut tut. Seinen Besucherstatus haben wir irgendwann aufgehoben. Jetzt gehört er zu uns. Sie planen beide ihre Zukunft und wir haben den Eindruck, dass sie sich gut ergänzen und glücklich zusammen sind.

Die jüngere Tochter hat die Schule im Sommer beendet, womit der Weg frei war, sich ihren großen Traum zu erfüllen. Seit drei Jahren spielte sie mit dem Gedanken ein Jahr ins Ausland zu gehen. Nach vielen Überlegungen hat sie sich für Australien entschieden. Wir haben eine begleitende Organisation ausgewählt und Fakten geschaffen. Lange stand der 24. Oktober als Abflugdatum fest, sodass der Sommer von Vorbereitungen geprägt war. Das erste Mal komisch wurde es mir erst, als wir den großen Rucksack zur Probe gepackt haben. Damit wurde sichtbar, dass sie nicht mehr lange hier sein würde. Trotzdem rückte der Reisetag näher, bis wir sie schließlich zum Bahnhof brachten. Entgegen allen vorherigen Beteuerungen rollten natürlich ein paar Tränen, aber es war ein ruhiger und liebevoller Abschied. Zu Hause alleine fühlte sich die Ruhe unwirklich an. Die ersten zwei Tage hatte ich immer das Gefühl, dass sie gleich wieder kommt. Mit der Nachricht, dass sie in Sydney gelandet ist, hörte das sofort auf. In der ersten Woche erlebten wir ein ständiges Auf und Ab der Gefühle, das uns zugegebener Maßen alle sehr beanspruchte. Wir hatten alle nicht damit gerechnet, dass der Jetlag sie so treffen würde. Schlafmangel und unregelmäßiges Essen taten ihren Teil dazu, dass es ihr nicht gut ging. WhatsApp, Skype, Facebook, Telefon kann man bei solchen Reisen als Fluch oder Segen betrachten. Für uns war es ein Segen, weil wir die nötige moralische Unterstützung geben konnten. Auch Familienmitglieder und Freunde halfen mit Ratschlägen, eigenen Erfahrungen und lieben Worten, sodass es langsam bergauf ging und die ersten schönen Nachrichten aus Sydney kamen. Als sie in ihrem Blog EscapeWorld, den sie eigens für diese Reise eingerichtet hatte, ganz ehrlich über ihre Anfangsschwierigkeiten berichtete, bekam sie so viel Zuspruch, dass die Gefühlswende gelang.

Es war eine schwere erste Woche. Aber: Sie macht jetzt Erfahrungen, die sie Zuhause nicht machen kann. Sie lernt Dinge, die sie sich hier lange erarbeiten müsste. Sie erlebt Sachen, die ihr hier verborgen bleiben würden und sie sieht Orte, die wir nicht sehen werden. Ich bin ein bisschen neidisch und freue mich, dass sie das erleben kann, auch wenn es hin und wieder nicht so leicht ist. Ein bisschen staune ich über mich selber: Bisher hatte ich noch keine Gelegenheit mein Kind zu vermissen. Ich denke, weil wir oft Kontakt hatten. Vornehmlich aber, weil ich weiß, was dieses Kind für Stärken hat und ich tief im Bauch weiß, dass sie es bewältigen wird. Mein Jammer kommt sicherlich, wenn es ihr prächtig geht. Ich bin sehr gespannt mit wie vielen bereichernden Kontakten, lehrreichen Erkenntnissen und neuen Ideen sie wieder nach Hause kommt.

Wir sind also sozusagen kinderlos auf Probe. Die jüngere Tochter kommt wieder. Wer weiß, wie lange sie dann bleiben wird. Jetzt probieren wir erst einmal, wie es sich so alleine lebt, nach gut 20 Jahren Kindererziehung. Es hat Vorteile. Viele Vorteile. Trotzdem möchte ich keine Sekunde der letzten Jahre missen. Es gibt Momente, in denen man seine Kinder verfluchen könnte, um Sekunden später festzustellen, dass man sie einfach nur liebt. Es gibt schwere Phasen, die eine Familie auf harte Proben stellt, um später zu erkennen, dass man noch mehr zusammen gewachsen ist. Und es gibt eben diese Zeit des Loslassens, die zeigen wird, ob man als Eltern einen guten Job gemacht hat. Und hat man es gut gemacht, kommen die Kinder eh immer wieder zurück. Eine Freundin hat mir letzte Woche geschrieben: „Ihr habt ihnen Wurzeln gegeben – jetzt sind die Flügel dran!“ Goethe würde sich immer noch freuen, dass er bis heute zitiert wird.

Mein Mann und ich haben Pläne, Ideen und Ziele. Wir genießen unsere eigenen Freiräume und wieder gewonnene Unabhängigkeit. Und so ganz lassen uns die Kinder ja doch nicht los. Wenn am Feiertag die Frage der großen Tochter über WhatsApp kommt: „Mama, was gibt‘s heute bei euch zu essen?“, liegt die Vermutung doch sehr nahe, dass da ein Kühlschrank leer ist. Natürlich plant die Mutter dann so, dass zwei zusätzliche Bäuche satt werden. Alles verändert sich, muss sich weiter entwickeln und birgt seinen eigenen Reiz.

Nach meinen Wochenend-Einkäufen habe ich immer das Gefühl etwas vergessen zu haben. Manchmal, wenn ich morgens im Bad stehe und Zähne putze, genieße ich die noch ungewohnte Ruhe, die ich um mich herum fühle. Aber manchmal, wenn ich dort stehe, denke ich: „Jetzt könnte doch endlich mal einer ungeduldig klopfen und fragen, wann ich endlich fertig bin.“ Aber, die Zahnputzbecher bleiben auch künftig leer, zumindest einer. Irgendwann zieht sicherlich so eine kleine Kinderzahnbürste der Enkel ein.

Besuch bei Carl – und noch ein Tattoo

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Hin und wieder bin ich fällig: Da finde ich keine Ausrede mehr mich vor einer Shoppingtour mit meinen Töchtern zu drücken. Erst die eine und dann die andere. Nach solchen Nachmittagen bin ich immer ziemlich platt. Vor Weihnachten war es wieder soweit und ich fügte mich in mein Schicksal mit der jüngeren Tochter durch die Läden zu ziehen. Zum Glück wusste sie ziemlich genau was sie will und schneller als ich gehofft hatte, saßen wir im Restaurant um uns mit einem Abschluss-Essen zu belohnen. Wir saßen uns gegenüber und unterhielten uns. Dabei fiel es mir wieder auf. Wir hatten uns so schnell daran gewöhnt, dass wir es kaum mehr wahrnehmen – das Tattoo an ihrem Handgelenk.

Es war ein langer Prozess bis dieses Tattoo an ihrem Handgelenk für immer verewigt war. Etwa mit 13 Jahren fasste sie den Entschluss einmal ein Tattoo zu tragen und ziemlich früh wusste sie, dass ein Notenschlüssel wegen ihrer Verbindung zur Musik ein Bestandteil sein würde. Aber es brauchte noch das richtige Alter und das Jahr vor dem 18. Geburtstag wurde oft mit Gesprächen und Diskussionen über Tätowierungen gefüllt. Es wurde greifbarer, dass sie ihren Plan in die Tat umsetzen konnte. Ich selber trage kein Tattoo und habe es für mich selber ausgeschlossen. Dennoch muss ich gestehen, dass auch für mich eine gewisse Faszination davon ausgeht. So habe ich schon einmal einen Bericht über das Anderssein in Bezug auf Tätowierungen geschrieben, der aber nichts mit der Tochter zu tun hatte. Doch es blieb Thema und in einem zweiten Bericht habe ich über die Auseinandersetzung von uns Eltern mit diesem Thema geschrieben. Schließlich, weil ich immer besser mit Dingen umgehen kann mit denen ich mich beschäftigt habe, kam ein dritter Bericht dazu, als ich beide Töchter in die Tattoo-Ausstellung nach Hamburg einlud. Später saß ich ein paar Mal mit der Tochter am Computer, wir probierten Notenschlüssel in Verbindung mit Schriftarten für ihren Schriftzug aus. Als das Motiv recht sicher war, fing sie an sich Studios anzusehen. Auf die Empfehlung von zwei Kollegen kam sie schließlich in das Tattoo-Studio von Carl. Dort stimmte offensichtlich die Chemie und das Gesagte passte zu ihrer Vorstellung. Der 18. Geburtstag stand bevor und der Termin wurde abgesprochen.

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Ich hatte gebeten dabei sein zu dürfen (… weil ich immer besser mit Dingen umgehen kann …), was auch sofort die Zustimmung der Tochter fand. Als wir schließlich hingegangen sind, glaube ich, war ich nervöser als die Hauptperson. Von beiden Töchtern bekam ich vorher die Info, dass Carl etwas anders sei. Er sei halt ein Typ, ein Charakter, eben nicht so ganz wie es in ein konservatives Bild passt. Ich weiß allerdings bis heute nicht, warum sie mich vorwarnten … oder warum sie glaubten mich vorwarnen zu müssen. 😉

„Welcome to Berlin Street Tattoo“ steht gleich auf der Startseite der Homepage des Studios und bei aller Andersartigkeit fühlt man sich durchaus gleich willkommen, wenn man sich über die Türschwelle wagt. Wir konnten uns kurz hinsetzen, ein paar Bücher mit Arbeiten ansehen und schon war Carl bei der Tochter um das Motiv und die Einwilligungserklärung zu besprechen. Für kurze Zeit ging er noch einmal zum Computer um das Motiv etwas zu modifizieren, überlegte mit der Tochter, von welcher Seite es lesbar sein sollte und schon saß sie in einer der Kabinen auf dem Stuhl.

Von dem Motiv hatte er eine Matrix hergestellt, ein Wachspapier, mit dem das Motiv auf die zu tätowierende Stelle aufgetragen wird. Das alles geschieht unter größtmöglicher Sauberkeit, gehen die Stiche ja tatsächlich unter die Haut, weshalb auch nur Einwegnadeln benutz werden. Ziemlich zu Anfang kann ich mich an seine Aussage erinnern, dass es heutzutage etwas besonderes sei, wenn man nicht tätowiert ist. Damit war klar, dass auch die (bildlose) Mutter ihn sympathisch finden musste! 🙂 Das Motiv saß schließlich am Handgelenk, Farben und Nadel wurde von ihm vorbereitet, die Schwester durfte die andere Hand halten und los ging es. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, aber das Gesicht meines Kindes blieb entspannt. Keine schmerzverzerrte Mine, kein Wehklagen, einfach nur gute Stimmung und interessante Gespräche. Carl war offensichtlich keine unserer Fragen zuviel. Redend und arbeitend konnte das Motiv auf dem Handgelenk wachsen.

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Gemalt hat Carl schon als kleiner Junge gerne und so sieht er seinen Beruf nicht als Handwerk, sondern eher als Leidenschaft zu Formen und Farben. Die bunten realistischen Tiermotive sind seine Welt, die wie Aquarelle auf Haut anmuten und zweifelsohne nicht zu den leichtesten Tattoo-Techniken gehören. Beigebracht hat er sich das alles selber, sogar die erste Maschine hat er selber gebaut, ist der Tätowierer doch kein anerkannter Beruf bei uns. Offiziell zählt das Studio zu den Kosmetikstudios, Rubrik Permanent Make-up. So erzählt er auch bald von den schwarzen Schafen der Branche, deren Motive, sogenannte Cover-ups, zu den häufigsten Arbeiten des Tagesgeschäfts gehören. Misslungene Motive werden dabei sozusagen „gerettet“. Darüber ärgert er sich offensichtlich, gehören doch verschiedene Dinge für ihn zu einem guten Tattoo.

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Er empfiehlt, sich vorher gut zu informieren und auf Mundpropaganda zu hören. Auf gute Beratung und Sauberkeit legt er hohen Stellenwert. Das Handwerkszeug muss stimmen und auch die Farbe muss in sehr guter Qualität zur Verfügung stehen. Farben finden in diesem Studio nur Verwendung, wenn sie von renommierten Händlern und in Deutschland hergestellt sind. Er nimmt sich die Freiheit von dem Tätowieren von Namen abzuraten und tätowiert keine Motive, mit denen er nicht einverstanden ist. Die Frage nach politischen Motiven beantwortet er recht knapp, da er sich nicht in irgendwelche Ecken drängen lassen würde und eben die Mundpropaganda ihr schädliches Zutun hätte. Eigentlich hätte sich die Frage auch von selbst beantwortet, wenn man die Namen seiner Kollegen hört. Carl, Murrat und Pierre haben jeder für sich ein Spezialgebiet im Bereich ihrer Kunst, mit dem sie alle möglichen Techniken abdecken können.

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Im Bezug auf die Namen verrät er noch, verschmitzt lächelnd, dass er selbst natürlich den Namen seiner Ehefrau trägt. Die wäre aber auch seine Traumfrau und er wisse ja, was er tut. So erzählend war die Arbeit am Handgelenk der Tochter schnell zu Ende gebracht. Das Handgelenk wurde eingecremt. Carl gab wichtige Hinweise für die Pflege in den ersten Tagen und Wochen und wir konnten ein schönes „Geschafft“-Foto machen. Alles in Allem muss ich sagen, dass es sehr viel Spaß gemacht hat. Eine wirklich sehr nette Atmosphäre, eine überzeugende Arbeit und eine zufriedene Tochter waren das Ergebnis. Ich gebe zu, dass ich zwischendurch Lust bekam, selber ein Tattoo zu haben. Nicht um eins zu tragen, sondern das Gefühl des Stechens auszuprobieren. (Nein, ich werde es nicht machen 🙂 ). Die Informationen, die man braucht um solch einen Entschluss umzusetzen, bekommt man hier ohne Umschweife und beeindruckend ist die Ausführlichkeit der Internetseite. Selbst zweifelnde Eltern sind dort angesprochen. Und ja, ich gebe auch noch zu, dass Carl tatsächlich ein Typ, ein Charakter ist. Freundlich und nett, halt so wie er sagt „Was früher der Barbier oder Friseur war, ist heute der Tätowierer – Zuhörer, Kummerkasten, Lebensberater.

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Zuhause saßen wir jetzt erneut am Computer, haben ein Motiv mit Schriftzügen kombiniert und ausprobiert. Noch ein Tattoo ist in Planung. Wieder steht ein Termin fest – nein, diesmal nicht bei Carl, diesmal bei Pierre – mit der anderen Tochter. Aber dieses Mal ist die Mutter gelassen, weiß sie die Tochter in guten Händen und hat vorher erlebt, wie schnell man sich an ein gut gemachtes, gut durchdachtes Tattoo gewöhnt.

Es ist jedes Jahr das gleiche …

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Es fängt immer ganz unscheinbar an. Um die Weihnachtzeit ist es noch ruhig, weil alle glückselig die Harmonie der Feiertage genießen. Im Januar haben alle den Kopf voll mit Jetzt-wird-alles-anders-und-besser-Plänen und wenn man dann realisiert hat, dass der Alltag ja doch der gleiche wie vorher ist, geht’s langsam und schleichend los … nur noch Motzerei über zu kaltes, zu graues, zu dunkles Wetter. Als ob keiner mehr eine gescheite Jacke, Handschuhe und Schal hat und keiner mehr gemütliches Kerzenlicht zu schätzen weiß. Alle haben vergessen, wie wir letztes Jahr über die Hitze gestöhnt haben und die Sonnenanbeter kommen früher auf den Plan als es überhaupt einen Sinn hat!

Egal wo man ist, schleichen sich in die Gespräche die Sehnsüchte nach schönem Wetter ein. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht über die Wettervorhersage gesprochen wird oder die Wetter-App auf dem Smartphone flehentlich untersucht wird, ob nicht doch ein paar Grad wärmeres Wetter angesagt wird. Die Netzwerke sind voll mit „Winter – wir haben genug von dir!“ Sprüchen und der ein oder andere kramt in alten Fotoalben und postet vergangene Frühjahrsbilder aus dem Vorjahr. Ein Gänseblümchen beispielsweise, das die Gemeinde verzückt liked, als ob alle vergessen haben, wie es aussieht. Und wehe, wenn irgendjemand im Februar (viel zu früh) eine Knospe entdeckt – dann kommen gleich die „Wir haben es bald geschafft“-Jünger und predigen den Jungbrunnen ähnlichen Frühling.

Mal ehrlich. Wenn ich im Winter schlafen will und das heldenhaft natürlich mit offenem Fenster – ist Ruhe. Ein paar Monate später … schlafen, offenes Fenster, vier Uhr morgens – ein netter Piepmatz meint es ist Zeit für sein Morgenlied. Er trällert fröhlich und – hartnäckig – bis sein Kumpel vom nächsten Ast endlich antwortet. Fünf Uhr morgens … die Vogelgemeinde ist wach – und ich auch. Ich nehme mir allmorgendlich vor, endlich eine Packung Oropax zu kaufen, was ich natürlich immer wieder vergesse, oder erwäge ernsthaft unsere Katze auf dem Ast zu domestizieren.

Schuhwerk. Im Winter brauche ich dicke, warme Schuhe – ein oder zwei Paar. Gedeckte Farben, braun oder schwarz, völlig ausreichend. Möglichst wasserabweisend und schon bin ich bestens ausgerüstet. Die Erde ist gefroren und wenn es kalt genug ist gibt’s auch keine Matsche. Tierische Hinterlassenschaften sind leicht erkennbar und so hart, dass es keine Probleme gibt – alles schick. Ein paar Monate später … fängt das Problem schon am Kleiderschrank an und das nicht nur bei den Damen. Die Welt wird bunt und natürlich muss das Kleid/der Anzug zur neuen Sandale oder dem schicken Sneaker passen. Viele Damen beginnen den „Ich habe die glattesten, nackten und längsten Beine“ Wettlauf schon im März, wenn der gemütliche Normalbürger noch überlegt, ob sich die Anschaffung der Naturbaumwoll-Strumpfhose in diesem Jahr noch rentiert. Und mal Hand-aufs-Herz … wer braucht die jährliche Diskussion mit den Kindern, dass im März Flipp-Flopps und bauchfrei noch lange nicht angesagt sind.

Regelmäßig und spätestens im April werden wir sehr nett daran erinnert, dass die nächste Diät in Betracht zu ziehen ist. Natürlich nicht, weil wir zu dick sind, sondern weil die neuste Sommer-Bikinimode viel zu figurbetont geschneidert ist. Wer dem Diätendruck entgehen will hat eigentlich nur die Möglichkeit, sich aus allen Netzwerken abzumelden, Zeitungsläden zu meiden und Gruppierungen von mehr als zwei Personen zu umgehen. Wer das nicht kann, wird unweigerlich mit der neusten Methode konfrontiert, wie man 10 Kilo in drei Tagen verliert. Oder greift freiwillig zur Nulldiät, wenn er eben dieses neuste Bikinimodel in der Ankleidegarderobe im Spiegel von vorne, hinten, rechts und links betrachtet hat – Träger inbegriffen. DAS ist im Winter leichter … eine Hose, ein Pullover (zwei Nummern größer) und ein größenverstellbarer Gürtel … der Kühlschrank darf gefüllt sein. Zudem wird unser Blick in der kalten Jahreszeit von Graue-Socke-tragenden-Sandalenträgern oder 100%-Polyamid-Kittel-Trägerinnen verschont.

Und wer braucht einen Sonnenbrand? Reicht im Winter eine einfache Feuchtigkeitscreme, muss im Sommer teure, mittlerweile mindestens Faktor 50, Sonnencreme gekauft werden. Und nicht nur dies … nachdem wir alle Berichte über sonnenbedingte Hautkrankheiten verdaut haben, kommen die Berichterstattungen über Zecken und Mücken an die Reihe. Die neusten Produkte gegen Juckreiz werden vorgestellt und spätestens im Herbst haben wir wieder festgestellt, dass die gute alte halbe Zwiebel doch das beste Hilfsmittel ist.

… das sollte nun wohl reichen um die Lust auf Frühling/Sommer zu vermiesen, oder? Tut’s aber nicht.

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Zu viel Gartenarbeit, klebriges Eis, zu viele Fahrradfahrer oder überfüllte Wasserflächen – könnte ich auch noch auf’s Korn nehmen. Aber – Ich selber gehöre zu den Ersten, die schon im Januar im Garten Ausschau halten, ob sich ein gelber Winterling (ein Blümchen) aus der Erde drückt. Ich würde eher das Datum meines Geburtstages vergessen als den Frühlingsanfang verpassen. Selbst die Zeitumstellung, die ich eigentlich nicht mag, sehne ich herbei, ist sie doch unweigerlich der Einstieg in die hellere Jahreszeit. Ich freue mich ungemein über die Vogellieder, auf die Geräusche in den Gärten an den langen warmen Sommerabenden, auf die morgendliche Kaffeetasse auf der Terrasse und nerve meine Facebook-Freunde mit Blumenbildern in allen Variationen. Im Sommer habe ich um 18.00 Uhr das Gefühl „Was stelle ich jetzt noch an“, wenn ich zur gleichen Uhrzeit im Winter schon überlege, wo die Bettlektüre liegt. Die Vorfreude auf Sommerfeste, die jetzt schon geplant werden und Spaziergänge ohne dicke Jacke und Schirm, ist da.

Es wird endlich Frühling und Sommer – ich freue mich auf lachende Gesichter. Die Menschen wirken freier, fröhlicher und es hat den Anschein, als dass alle mehr Zeit haben. Parks und Plätze sind belebt und es wird bunt um uns herum. Trockenes Geäst wird mit einem leichten Hauch von grüner Farbe überzogen. Wir brauchen die Sonne um aufzutanken. Die Mückenstiche nehme ich gerne in Kauf und eine Diät mache ich sowieso nicht. Wetter-Apps habe ich, glaube ich, vier auf dem Handy und glaube immer der, die mir das gefälligste gute Wetter vorher sagt.

Es ist jedes Jahr das gleiche mit mir … ich freue mich auf den Frühling.

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Was geben wir den Kindern mit?

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Stell dir vor, du gehst auf eine einsame Insel und gründest eine neue Zivilisation. Vorher musst du allerdings an einer Versteigerung teilnehmen. Zu ersteigern gibt es moralische Werte, auf die diese Zivilisation aufbauen wird. Welche Werte würdest du ersteigern wollen?

Eine Werte-Versteigerung: Die Tochter hatte ein Praktikum absolviert und musste abschließend eine Präsentation aus der Praktikums-Arbeit in der Schule vorstellen. Im Rahmen des Geschichts-/Sozialkunde-Unterrichts hatte sie eine Schulstunde vorbereitet. Ihre Vorarbeiten habe ich beobachtet und das ein oder andere mit ihr diskutiert. Beschäftigt hat es mich erst, als sie nach der Präsentation nach Hause kam und davon erzählte. Die Schulstunde war ein großer Erfolg und die Tochter glücklich. Ihre MitschülerInnen hatten sich auf das Thema eingelassen, waren der Fiktion gefolgt, diskutierten über Werte und ersteigerten sie für ihre neue Zivilisation. Was mich besonders daran freute waren die nachträglichen Rückmeldungen, die mein Kind von ihren Mitschülern bekam. Es hätte sehr großen Spaß gemacht. Ein Junge schrieb ihr, dass er es schade fände, dass sie solche Diskussionen nicht öfter machten. Auf einer Skala von eins bis 10 bekäme sie eine 100. Total zufrieden … besser ging es nicht.

annaschmidt-berlin.com_werte2Es war nicht nur der Erfolg der Arbeit, der so positiv war. Es war die Vorstellung, dass sich eine Klasse von etwa 15 – 18-jährigen Oberschülern eine Stunde lang intensiv mit moralischen Werten auseinandergesetzt hatten. Sich offensichtlich sehr ernsthaft damit beschäftigte, was höheres Gewicht in der Wertung hätte. Zur Wahl hatten sie 14 Optionen: Ausbildung, Fortschritt, Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit, Gesundheit, glückliches Familienleben, Gleichheit, Glück, Liebe, Reichtum, Schönheit, Tradition, Weisheit. Sie waren in sieben Gruppen eingeteilt, mussten erst für sich selber, dann in der Gruppe festlegen, welche Werte sie ersteigern möchten. Aus der Wertung der sieben Gruppen (Ich habe das erste Mal in meinem Leben selber ein Säulendiagramm erstellt – Mac-sei-dank! :-) ) ergab sich, dass die drei höchsten Werte Frieden, Freiheit und Liebe sind. Tradition, Reichtum und Schönheit belegten die letzten Plätze. Ein sehr schönes Ergebnis finde ich.

Es gefällt mir, dass sich eine Klasse mit Jugendlichen mit moralischen Werten auseinandersetzt, stehen Jugendliche im Generationskonflikt doch immer etwas unter Generalverdacht, dass sie so etwas nicht interessiert. Und dass es sie interessiert und ihnen sogar sehr wichtig ist, zeigt sich in ihren Reaktionen. Es zeigt aber auch, dass sie sich schon viel damit beschäftigt haben müssen und hier ziehe ich den Rückschluss zu ihren Eltern. Kinder übernehmen das, was ihnen ihre Eltern vorleben. Wenn nie über Werte gesprochen wird, keine Werte gelebt werden, können sie auch nicht weitergegeben werden. “Kinder lernen mehr von dem, was Du bist, als was Du sie lehrst …“ heißt es.

Immer mal wieder seine eigenen Werte überprüfen und sich selber zu hinterfragen, was man selber weiter gibt, kann daher nicht verkehrt sein. In meinem Umfeld werden junge KollegInnen Eltern und Großeltern, ich selber werde in Kürze Tante. Was wollen wir diesen Kindern mitgeben, was soll sie formen? Meine eigenen Kinder haben in wenigen Monaten beide die Volljährigkeit erreicht. Haben wir es richtig gemacht? Ihnen die richtige Basis, eine solide Grundlage auf guten Werten vermittelt?

Wie sieht es mit uns selber aus? Welche Werte finden wir für uns persönlich grundlegend und lebenswert. Wie verändern sich unsere persönlichen Werte im Kontext mit einer Gruppe, einer Gesellschaft? Werte verändern sich mit steigendem Alter. Ist dem Jugendlichen die Freiheit sehr wichtig, mag sich der Senior vielleicht doch in den Traditionen ausruhen. Freiheit, Liebe, Gesundheit und Glück dürfte dabei keine Altersfrage sein. Für jeden einzelnen dieser vierzehn Werte lohnt sich eine eigene Debatte. Kann es Gesundheit ohne Glück geben oder Liebe ohne Weisheit? Interessant ist der Dialog zwischen Jugendlichen und Älteren. Aus dem Blick der Erwachsenen fehlen vielleicht Werte, die für eine Gesellschaft elementar sind. Wie sieht’s mit Sicherheit oder Wachstum aus? Werte, die die Jugend noch nicht interessiert. Sind Jugendliche noch enthusiastisch und wollen die Welt verändern, haben sich die Älteren mit einem realitätsnahem Blick vielleicht schon zurückgelehnt.

Ich stelle mir meine Insel vor und die Werte, die ich als Priorität einsetzen würde. Bei Frieden und Freiheit gehe ich mit der Schulklasse einher. Beim dritten Wert kämpfe ich sehr mit mir selber. Ich denke fast, ich würde das glückliche Familienleben einsetzen, beinhaltet es für mich doch das Glück, die Gesundheit und die Liebe. Vielleicht ist das aber auch mogeln … Es ist jedenfalls immer ein interessantes Thema, sich mit Werten auseinanderzusetzen. Dort, wo über Werte gesprochen wird, werden sie auch gelebt und weitergegeben … in der Familie, an die Kinder und in der Gesellschaft. Wir brauchen keine neue Zivilisation, aber wir müssen an unserer sehr hart arbeiten, viele Dinge gerade rücken, korrigieren und verbessern. Mit welchen Werten das am besten gelingt, wäre eine grundlegende Frage. Tröstlich und schön, dass sich die nächste Generation positiv diesem Thema widmet.

Wir können die Welt ändern

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Momentaufnahme: Vor mir sitzt eine rebellische 17-jährige und verteidigt ihre Argumente ohne Rücksicht auf Verluste. Eigentlich ärgere ich mich, weil ihre Argumente gefühlt die besseren sind, ich aber in meiner elterlichen Vernunft gefangen bin. Insgeheim freu ich mich unheimlich, dass wir ein Kind erzogen haben, das so engagiert und stark argumentiert – auch wenn es sich gegen unsere „erwachsene“ Sicht der Dinge richtet.

Wir saßen wieder beim Abendessen. Für uns alle die wichtigste Mahlzeit am Tag. Auch wegen der Nahrungsaufnahme, wichtiger ist jedoch, einmal am Tag zusammenzusitzen, besprechen was erlebt wurde, was beschäftigt, was anliegt. Die Tochter bat den Vater um Hilfe, weil sie eine Geschichtshausaufgabe über die Ferien schreiben müsse. Eine Argumentation für und wider den Ersten Weltkrieg. Und wie so oft – wir sind alle Liebhaber historischer Vorgänge – waren wir sofort in einer Diskussion. Vornehmlich ging es darum, Argumente für etwas zu finden, zu dem man im Grunde die Gegenposition vertritt. Also in diesem Fall Argumente für den Ersten Weltkrieg, obwohl wir gegen Krieg überhaupt sind. Nicht leicht, auch für Erwachsene nicht.

Wir diskutierten und diskutierten, zogen andere Beispiele heran und waren mit einem mal bei dem Thema gelandet, ob Homosexualität schon Bestandteil des Lehrplans einer Grundschule sein sollte. Ich werde nicht alles wiedergeben. Es zeigte sich jedoch bald, dass unsere Kinder eine ganz andere Position als wir Eltern einnahmen. Die ältere Tochter unterstützte die Jüngere, jeder kämpfte mit der Regel, den anderen ausreden zu lassen, Argumente wurden aufgegriffen um widerlegt zu werden – es war heftig. Aber – die Kinder vertraten einen guten Standpunkt, der mich später sehr ins Grübeln brachte. Die Vehemenz mit der die Töchter ihre Position verteidigten und die Energie, die dahinter stand, beeindruckte mich nachhaltig und rief Erinnerungen wach.

Ich war genauso und befürchte, an einem Teil der grauen Haare meiner Mutter bin ich schuld. Als Jugendliche war ich frech, manche nannten es vorlaut oder schlagfertig. Ich habe meine Meinung laut und auch ungefragt geäußert, habe mich immer gemeldet, wenn ich Ungerechtigkeit spürte und liebte Weltverbesserungsdebatten. Ich war auch nicht gerade ein Liebling mancher LehrerInnen, denn die mögen es oft gar nicht, wenn man ehrlich sein Denken in die Runde gibt. Da ich eine (sagen wir nett) bequeme Schülerin war, waren die Noten nun nicht so die besten. Aber immerhin, ich habe es geschafft das Abitur zwischen Bequemlichkeit und freier Meinungsäußerung zu meistern. Durch die Zeit wurde ich natürlich ruhiger, bzw. habe ich gelernt, dass es manchmal doch besser ist den Mund zu halten und diplomatisch abzuwägen, was gesagt werden sollte oder was zu dem wunderbaren Lied „Die Gedanken sind frei!“ passt – übrigens bis heute eins meiner Lieblingslieder. Auch ändert man Ansichten, wenn sich die Lebenssituation ändert, Erfahrungen dazu kommen oder man einfach älter wird. Aber hin und wieder ist sie noch da – die Schlagfertigkeit – eine Bemerkung findet ihren Weg zu fremden Ohren und ich denke „Konntest du den Mund wieder nicht halten“.

Heute denke ich manchmal „Kind – halte doch einfach den Mund!“ – was natürlich so ganz nicht stimmt. Wir haben uns mehr oder weniger bewusst den schwierigsten Erziehungsweg ausgesucht. Wir haben unsere Kinder dazu erzogen, ihre Meinung frei und offen zu sagen. Ihnen gesagt, dass sie egal wo und zu wem, alles sagen dürfen was sie denken, solange sie die Grenzen des Respektes einhalten. Tun sie das, stehen wir hinter ihnen. Sie haben es beherzigt – sie sagen ihre Meinung. Da aber Menschen unterschiedliche Ansichten haben, was Grenzen des Respekts sind, hat uns diese Erziehungsart schon unzählige LehrerInnengespräche eingebracht. Zudem richtet sich diese freie Meinungsäußerung natürlich manchmal gegen uns selber, wie zum Beispiel in der oben beschriebenen Diskussion – es wird härter. Ein Argument der älteren Tochter war, dass sie den Satz „Es ändert sich so schnell sowieso nichts“, nicht mehr hören könne. Dann könne man auch jeglichen Fortschritt, jegliche Bewusstseinsänderung vergessen. Dazu kann ich nur sagen: „Kind, du hast recht“!

Später, als ich darüber nachdachte, kam mir ein schöner Gedanke: „Ja, wir können die Welt ändern“. Mir gehen ja auch frustrierte Menschen auf den Wecker, die lieber leiden als sich neue Wege zu suchen – die lieber schimpfen, als sich Lösungen auszudenken – die lieber alles lassen, wie es ist, als aktiv an Veränderungen teilzuhaben. Wir können selbstbewusste junge Menschen erziehen, die ihre Meinung äußern und Veränderungen in der Gesellschaft fordern. Wir können sie dabei unterstützen, ihren jugendlichen Elan zu erhalten und ihre Sicht der Welt zu behalten. Und wenn wir gut und offen sind, hören wir zu, was sie zu sagen haben und lernen von ihnen.

Die Diskussionen mit meinen Töchtern finde ich immer sehr spannend. Manchmal sind es anstrengende Gespräche und hin und wieder gebe ich zu, bin ich grummelig, weil sie an Punkten recht haben, die für mich unbequem sind. Aber ich kann nicht das eine wollen (selbstbewusste Kinder) und damit verbundenes ablehnen (selbstbewusste Kinder, die recht haben). Und ich wäre dumm, würde ich mich ihren Argumenten verschließen. Hin und wieder geben sie ja auch zu, dass die Mutter oder der Vater recht hat. Natürlich nicht so gerne, aber wenn ich ins Feld führe, dass sich ihre Sicht der Dinge ändern wird, wenn sie zum Beispiel selber Kinder haben werden, ist das nun mal nicht von der Hand zu weisen.

Entscheidend ist, das wir im Gespräch bleiben. Dass die Jungen von den Erfahrungen der älteren Menschen profitieren, aber auch, dass sich die Älteren von den Ideen der jungen Menschen anstecken lassen. Dann wird ein Schuh draus und die Welt vielleicht ein klitzekleines bisschen besser! 🙂

Und nun … Diskussion frei …