Es ist still im Land

breakwater-pixabay

Endlich Sommer … lang genug haben wir gewartet um das Grau in Grau zu verlassen, ohne dicke Jacke herumzulaufen, bis nachts auf der Terrasse zu sitzen oder die Blumentöpfe wieder mit bunter Vielfalt zu füllen. Parks und Straßen sind lebendig geworden. Die Menschen gehen raus und genießen die schöne Jahreszeit. Mit dem Sommer – so scheint es – ist auch endlich Ruhe in die Nachrichten eingekehrt. Keine täglichen Berichte von wartenden Flüchtlingen vor dem LaGeSo. Kaum einer spricht noch von Engpässen in den Turnhallen, die als Notunterkunft dienen. Keine Prognosen mehr, wer wohl das Richtige oder Falsche wählt. Es ist still im Land – keine größeren Probleme erhitzen die Gemüter. Aber: Die Flüchtlinge sind noch alle da, die Turnhallen belegt und Wahlen kommen wieder. Und doch hat es den Anschein, dass kaum einer noch darüber reden mag – im Moment jedenfalls nicht – ist doch jeder mit sich und der schönen Jahreszeit beschäftigt. Vor dem LaGeSo friert ja keiner, Sport machen wir im Freien und Wahlen … die sind erst in ein paar Monaten wieder aktuell. Verdiente Pause, trügerische Ruhe, Gleichgültigkeit oder Leichtsinn?
Mir ist es zu still im Land!

Um mich herum arbeiten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meines Arbeitgebers tagtäglich an den Erfordernissen der Flüchtlingsarbeit. Die Menschen in der Notunterkunft in der Halle werden in ihren behördlichen und alltäglichen Gängen betreut. Die jeweiligen Stadien ihrer Asylanträge stellen neue Anforderungen, die bewältigt werden müssen. Nebenher laufen alle möglichen Integrationsangebote für deren Kinder und natürlich auch für die Erwachsenen, die vornehmlich unsere Sprache lernen müssen. Zusätzlich müssen alteingesessene Nachbarn umfassend informiert werden und insbesondere Gelegenheit bekommen „die Neuen“ kennenzulernen, denn nur so können Ängste abgebaut werden. Integration der neuen und Teilhabe der alten Nachbarn – ein sehr wichtiger und zeitaufwendiger Aspekt der Flüchtlingsarbeit und erklärter Auftrag sozialer Träger.

In einer Einrichtung haben zwei junge Männer das Asylverfahren erfolgreich durchlaufen. Die Kollegin erzählt immer wieder von ihren Bemühungen, die jungen Männer zu begleiten, eine Wohnung und Arbeit zu finden. Erzählt von den Hindernissen und Teilerfolgen. Eine interne AG tagt regelmäßig, in der Vertreter verschiedenster Institutionen im Kiez zusammensitzen, Erfolge und Hindernisse der Arbeit zusammentragen und machbare Lösungswege beraten. Eine AG in der Nachbarschafts- und Jugendeinrichtung, Schulsozialarbeit und Politik ineinandergreifen. Was der eine nicht weiß oder kann, schafft der andere auf kürzerem Weg und umgekehrt.

Ein anderer Kollege ist kaum noch im Büro, sondern vor Ort, wo im Januar eine Einrichtung für unbegleitete Jugendliche eröffnet wurde. Vor ein paar Wochen kam ein zweiter Standort für unbegleitete Kinder hinzu. Neue Kolleginnen und Kollegen müssen eingestellt werden – sofern sie denn gefunden werden – und ein Team muss sich bilden. Die Einrichtungen müssen Auflagen erfüllen, die nicht immer sehr leicht zu erreichen sind. Vor allem aber müssen sich die jungen Bewohner wohl fühlen können. Sie brauchen Angebote, die ihre Tage nicht leer erscheinen lassen und sie müssen in Schulen untergebracht werden. Der Kollege führt mich durch beide Einrichtungen, zeigt mir wo geschlafen, gegessen, gemeinschaftlich Freizeit verbracht wird. Immer wieder begegnen uns Jugendliche, die respektvoll und wertschätzend gegrüßt werden. Die gute Atmosphäre ist deutlich in beiden Häusern spürbar.

All diese Flüchtlingsarbeit wird still gemacht und trotzdem merke ich wie an allen Ecken und Enden im sozialen Verein intensiv gearbeitet wird um den anvertrauten Menschen gerecht zu werden. Sie machen diese Arbeit, weil sie selbstverständlich für sie ist, aber eine Schlagzeile in den Nachrichten bekommen sie dafür nicht. Dies genauso wenig, wie die vielen Menschen, die zur Zeit das gute Wetter nutzen und versuchen über das Meer zu kommen – und es nicht schaffen. Es sind Hunderte, aber Europa hat das Problem vor die Grenzen geschoben. Es betrifft uns nicht mehr direkt, betrifft nicht unser Land, unsere Nachbarschaft und unsere Nachrichten. Nur hin und wieder kommt eine Nachricht durch. Wo vor Monaten noch das Bild eines ertrunkenen Kleinkindes Symbol für das Versagen Europas in der Flüchtlingspolitik wurde, kann nun das Bild eines ertrunkenen Säuglings in den Armen eines Retters keine Redaktion mehr dazu bewegen eine Schlagzeile daraus zu machen. Kein Sturm der Bestürzung geht durch die Netzwerke, kein Politiker reagiert darauf.

Die Nachrichten beherrschen andere. Leute, die den Deckmantel der Demokratie nutzen um sie permanent anzugreifen. Leute, die sich Politiker nennen, sich dabei aber einen Deut um unsere Grundwerte scheren. Parolen und Unverschämtheiten in die Welt posaunen um bewusst zu provozieren um in den Medien zu landen. Das Spiel geht auf! Es hat den Anschein, dass es wichtiger ist eine Talk-Sendung zu zeigen in der es um die Glaubwürdigkeit eines fragwürdigen „Politikers“ geht, als über fliehende und sterbende Menschen zu berichten. Es ist wichtiger, sich darüber zu empören, dass da jemand unseren dunkelhäutigen Nationalspieler diskreditiert, als darüber nachzudenken, wie man doch eine europäische Lösung in der Flüchtlingsfrage bewerkstelligen kann. Wir empören uns nicht über jetzt sterbende Menschen, sondern darüber, dass jemand das Land seiner Väter von 1941 zurückhaben will. Ein Land,  das alles in Schutt und Asche legte und 6 Millionen Menschen ermordete. Das Argument, dass es gewählte Vertreter sind mit denen man sich auseinandersetzen muss, kann ich nicht mehr hören, denn wer sich so verhält und so einen Müll erzählt – damit auch noch auf offene Ohren stößt – den kann ich nicht wirklich ernst nehmen … und sollte es doch, denn die Gefahr ist offensichtlich.

Kürzlich warf ein Bekannter eine interessante Frage auf: Er sprach davon, dass der Begriff Rassismus von manchen Menschen sehr weit gefasst wird. Für ihn ist Rassismus, wenn jemand stigmatisiert wird, weil er ein Merkmal (Hautfarbe, Nationalität, Religion …) hat für das er von Geburt nichts kann. Für andere beginnt Rassismus schon dort, wo sich jemand dumm äußert und verhält, obwohl er die Möglichkeit und Zugang zu Bildung hat. Im zweiten Fall überlege ich erstmalig, ob ich rassistisch bin, weil ich jedem verachtend gegenüberstehe, der sich überheblich, dumm und menschenverachtend verhält. Diese Leute bringen mich an meine Toleranzgrenze … ich werde weiter darüber nachdenken.

In diesem Zusammenhang möchte ich einmal einen Werbefilm empfehlen: momondo – The DNA Journey. Es ist ein Werbefilm der mehrere Personen zeigt, die aus verschiedenen Ländern kommen. Alle haben irgendein Ressentiment gegen ein anderes Land. Schließlich machen alle einen DNA Test und die Ergebnisse machen ihnen klar, dass keiner aus einer reinen Abstammung hervorgeht. Jeder verbindet in sich mehrere Länder. Wann begreifen auch hier die Letzten, dass wir ein multikulturelles Volk sind, das schon seit Jahrhunderten … und genau das unsere Stärke ist.

 

Ich möchte nicht still sein und mag die Stille im Land nicht. Ich möchte Schlagzeilen lesen von Politikern, die nach Lösungen suchen. Möchte Stimmen hören, die unbequem sind und die Mächtigen zum Handeln zwingen. Wünsche mir dass die Redaktionen die stillen, konstanten Menschen und Projekte entdecken und von ihnen erzählen – von denen, die immer und unermüdlich ihre Arbeit im Sinne der heimatlosen Menschen tun. Ich möchte etwas tun … nicht still sein … Stellung beziehen.

Wir können etwas tun:

Hand in Hand gegen Rassismus für Menschenrechte und Vielfalt
Bundesweite Menschenketten am 18. und 19. Juni 2016

Einen Tag vor dem internationalen Gedenktag für Flüchtlinge
soll ein gemeinsames ein Zeichen gesetzt werden – gegen Fremdenhass
und für Menschlichkeit, Vielfalt und Weltoffenheit.

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Wer braucht noch den Telefonhörer?

Foto: © brat82 - Fotolia.com

Foto: © brat82 – Fotolia.com

Wenn ich mich als Kind auf den Weg machte und absehbar war, dass ich eine Zeit lang auf mich selbst gestellt bin, kam immer die Frage: „Hast du zwei Groschen dabei!“ Zwei Groschen brauchte man um im Fall der Fälle eine Telefonzelle zu finden und zuhause anzurufen. Wollte man hingegen zuhause telefonieren ging das nur sitzender oder stehender Weise neben dem einzigen Apparat im Haus. Eine recht ungemütliche Angelegenheit, da das dazugehörende Kabel sehr kurz war. Insbesondere in Zeiten der Pubertät ein äußerst lästiges Unterfangen. Sobald jemand in der Nähe war konnte er mithören – ausweichen oder mit dem Apparat wandern war unmöglich. Bei zuviel telefonierenden Teenagern im Haus besaß das Telefon oft ein kleines Schloss mit dem man die Wählscheibe nicht mehr drehen, also auch keine Nummer wählen konnte. Musste man ein Ferngespräch führen, wurde streng auf die Uhrzeit geachtet, da es ab 20.00 Uhr abends günstiger wurde zu telefonieren. Bei besonderen Feiertagen, beispielsweise Silvester, war langes Stehvermögen angesagt und man hatte Glück, wenn der Telefonapparat über eine Wahlwiederholungstaste verfügte, denn eine freie Leitung zu bekommen, war an solchen Tagen nicht selbstverständlich. Telefone waren in der Zeit reine Gebrauchsgegenstände. Die vorgegebene Modellwahl, quitsch-orange, dunkelgrün oder einheitsgrau, war sehr eingeschränkt und als Dekoration ungeeignet. Schöne alte Zeit – weit entfernt vom Komfort, den wir heute genießen.

Der technische Fortschritt legte insbesondere in den 1980er und ’90er Jahren ein rasantes Tempo vor. Dies sowohl in der Entwicklung der Computertechnik als auch der Mobiltelefone. Sowohl die ersten Computer als auch die ersten Mobiltelefone waren ungeeignet sie in der Hosentasche mit sich herumzutragen, doch das ist längst vergessen. Wir sind im Zeitalter der Laptops, Tablets und Smartphone angelangt. Design spielt eine große Rolle, besonders aber der Anspruch möglichst viel Technik in immer kleineren Geräten zu vereinigen. Ziel ist, immer und überall erreichbar, flexibel, handlungsfähig und online zu sein. Schöne neue Zeit mit allem Komfort.

Nicht nur die Technik hat sich geändert, auch das Kommunikationsverhalten der Nutzer. Wenn man bedenkt, dass Alexander Graham Bell 1876 das Patent auf das Telefon bekam, hat es noch einhundert Jahre gedauert, bis das erste Mobiltelefon 1973 durch Motorola vorgestellt wurde. Kaum mehr 50 Jahre später sind wir soweit dem Festnetz den sicheren Tod anzusagen. Das Internet hat in wenigen Jahren alles bisher dagewesene verändert und manch einer verweigert sich dieser rasanten Entwicklung. Immerhin – sprechen tun wir noch miteinander.

Das Telefonieren hat seinen hohen Stellenwert eingebüßt, trotz dem mehr Menschen als jemals zuvor Zugang zu einem Mobiltelefon haben. Die Möglichkeit zu telefonieren ist nicht der Hauptgrund dafür. Der findet sich in den vielen Messenger und Apps über die diese Geräte verfügen. Bevor ich jemanden anrufe, nicht erreichen oder stören könnte, schreibe ich eine SMS – Short Message Service – und kann in der Regel sicher sein, dass der Andere mein Begehren kennt. Gibt’s dazu Fragen, kann der ja anrufen oder eben auch eine SMS schreiben, was wahrscheinlicher ist. Wurden 2011 in Deutschland pro Tag noch 148 Millionen SMS verschickt, hat sich das Wort SMS auch schon wieder überholt. 2015 waren es „nur“ noch knapp 40 Millionen. Heute heißt es „Schreib mir über WhatsApp“ – was sich in 667 Millionen Nachrichten pro Tag widerspiegelt. Selbst der Verdacht auf eklatante Sicherheitsmängel und die Übernahme durch Facebook konnte den Messenger nicht aufhalten. Nicht nur meine Textnachrichten, auch Bilder, Videos, Sprachnachrichten und Standortübermittlungen, geben mir die Möglichkeit mich der Welt mitzuteilen.

Die Möglichkeit sich mitzuteilen bietet sich zudem im Internet. Nicht nur die vielen Sozialen Netzwerke, bei denen vorrangig Facebook, Google+, twitter oder Instagram (und viele, viele andere) zu nennen sind, auch Dienste wie zum Beispiel Skype eröffnen Möglichkeiten der Kommunikation von hohem Stellenwert. Man kann über das Internet nicht nur telefonieren, sondern sein Gegenüber in Echtzeit sehen. Verbringen Großeltern den Winter in warmen Ländern, bekommen sie die Entwicklung der Enkel live mit. Leben Verwandte in fremden Erdteilen, kann man den persönlichen Kontakt halten. Arbeitsbesprechungen lassen sich zwischen Partnern verschiedener Städte und Ländern via Bildschirm organisieren. Die Möglichkeiten sind – wie das Internet – unendlich.

Dies alles nun schöne neue Zeit zu nennen wäre etwas zu oberflächlich gedacht. Letztendlich zählt das gesprochene und geschriebene Wort, das gereifte Sprachvermögen und der sichere Umgang damit. Der Mensch kann ohne andere Menschen nicht leben und der soziale – reale – Kontakt muss gegeben bleiben, sonst verkümmert er. Viele Erwachsene denken gerne wehmütig an die schöne alte Zeit zurück, als sie sich verabreden mussten, um ihre Freunde zu sehen. Beklagen die ständige Erreichbarkeit heutzutage und führen gerne Beispiele an, die von Verbrechen – durch das Internet entstanden – erzählen. Die schöne alte Zeit ist Vergangenheit – ganz einfach vorbei. Es ist eine Frage der Relation und der eigenen Verhältnismäßigkeit geworden. Können sich Erwachsene der Entwicklung noch verweigern, ist das für Kinder und Jugendliche nicht mehr möglich. Sie wachsen mit der Technik und deren Möglichkeiten auf. Eltern sind besser beraten Kindern so früh als möglich den sicheren Umgang damit begleitet beizubringen, als zu verbieten und sie dann aus Unwissenheit und Angst den Tücken auszusetzen. Der reale Kontakt und Umgang muss dennoch gegeben bleiben, der durch die Möglichkeiten der modernen Kommunikation aufgewertet werden kann.

Die Form der Kommunikation ist so individuell wie der Charakter jedes einzelnen. Nicht der ist der Held, der im sozialen Netzwerk 563 „Freunde“ vorweisen kann, sondern der, den im realen Leben „die“ zwei, drei Freunde lebenslang begleiten. Trotzdem können Freundschaften über das Internet entstanden, eine unglaubliche Bereicherung sein und Kommunikation und Austausch fördern. Sorgsamer Umgang damit ist zwingend notwendig und öffentliche Kommunikation darf nicht als persönliche Frustabladestation genutzt werden. Gleichgültig was ich von mir gebe, jedes Wort, jede Äußerung, jeder Kommentar – ob gesprochen oder geschrieben – ist ein Ausdruck meiner persönlichen Visitenkarte! Und an diesem Punkt könnten sich nostalgische Erwachsene und moderne Kinder wunderbar ergänzen. Erwachsene, die den sicheren, höflichen, kommunikativen Umgang beherrschen, lassen sich von Kindern den sicheren, technischen, medialen Umgang zeigen. Eine Ergänzung, die jedem gedient – in der schönen neuen realen Welt.

Die zwei Groschen von früher wurden durch mein Handy abgelöst. Ein Handy dabei zu haben, bedeutet längst nicht mehr, dass ich nur telefonieren möchte. Es ist mit meinem E-Mail-Programm verbunden, meine Wettervorhersage, meine Kamera, das Fenster zum Internet mit allen verbundenen Netzwerken und ich komme an alle digitalen Arbeitsdateien – völlig gleichgültig wo ich mich aufhalte. Die App-Welt eröffnet vielfältige Möglichkeiten, die tägliche Erfordernisse zu unterstützt. Gehe ich spontan nach der Arbeit einkaufen, sichert mir eine vorherige Abfrage in der Familie, nichts zu vergessen. Via Messenger weiß ich fast lückenlos, wo sich meine Kinder aufhalten. Bin ich unterwegs, kann ich sofort auf dringende Anfragen reagieren und handeln. Und mich mitteilen, was immer mir auch gerade passiert. Ich persönlich, ein frühes ’60 Kind, würde die Zeit nicht zurück drehen wollen. Ich nutze diese modernen Möglichkeiten in vollen Zügen und lasse mich davon faszinieren. Das Festnetz-Telefon klingelt bei uns nur noch selten. Den Spruch „Da fällt mir doch fast der Telefonhörer aus der Hand!“, sprich: ich bin erstaunt über etwas, wird man Kindern bald erklären müssen. Und trotzdem schätze ich drei Dinge in meiner Kommunikation besonders: Den Stummschalter des Handys, den Ausschalter des Computers, eine reale Verabredung und Zeit mit meinem Gegenüber über Gott und die Welt zu reden. Kommunikation ist ja doch sehr viel mehr als jegliche Technik uns geben kann. Kommunikation ist Gestik, Mimik, Sprache, Gefühl, Ausdruck und vieles mehr – sehr menschliche Dinge, die man zum Glück in keine App quetschen kann.

Stadtteilzeitung Steglitz-Zehlendorf – Februar 2016

Die Februar-Ausgabe 2016 der Stadtteilzeitung beschäftigt sich mit dem Leitthema „Internet und Kommunikation“. Ab dem 1. Februar ist die Ausgabe hier online zu finden und an allen bekannten Auslagestellen. Alle Ausgaben der Stadtteilzeitung Steglitz-Zehlendorf von 2003 bis heute liegen im Archiv der Stadtteilzeitung.

Up-date 22. Januar 2016: Gerrit Jan Appel hat aufgrund dieses Beitrags einen ebenso lesenswerten auf seinem Blog  WORTGEPÜTTSCHER geschrieben. „Das Pferd frisst keinen Gurkensalat“ – Sehr lesenswert! 

Herzlichen Dank! 🙂

Der Weg vom Blog zum Leser …

liebster-award

Ziemlich zögerlich und ganz langsam hat es angefangen, dass sich dieser Blog einen Weg in die weite Welt gesucht hat. Zu Beginn stand für mich mehr im Vordergrund bei anderen zu lesen, zu staunen, zu bewundern und neugierig zu beobachten. Bei einigen Blogs bin ich immer wieder zu Besuch gekommen, gefiel mir doch sehr die Art und Weise, wie sie es schafften ihre Leser zu fesseln – und mich!

Ein Blog war von Anfang an auf meiner Bestsellerliste, weil ich bis heute die Geschichten, Denkanregungen und den Schreibstil liebe und verfolge. Noch dazu (ganz wichtig!) schafft es dieser Blog immer wieder, mich mit den Gedankenspielen zwischen Großstadt (in der ich lebe) und den selbstgewählten Exil auf dem Land (wo sie lebt) zum Lachen zu bringen. Ausgerechnet dieser Blog, bzw. seine Schreiberin, hat mich nun in die Liste der Blogs eingereiht, die ihre Fragen für den „Liebsten Award“ beantworten dürfen. Also beantworte ich (nicht ohne Stolz … ehrlich bleiben! 😉 ) die Fragen von Friederike und ihrem LANDLEBENBLOG … mit einer herzlichen Leseempfehlung!

Ist das geschafft, bekommt ihr noch ein paar Leseempfehlungen zu anderen Blogs, die dann wiederum meine Fragen (vielleicht) beantworten. Es ist ein Spiel unter den Bloggern, macht Spaß und bringt so manche interessante Einsichten ans Licht. Denn – so ist das mit den Blogs … sie leben vom Austausch, der Kommunikation und Empfehlungen … und nicht selten trifft man gute alte Bekannte auf den anderen Seiten wieder!

Friederikes Fragen:

Warum hast Du angefangen zu bloggen?
Ganz am Anfang fand ich das Wort „Blog“ komisch, aber hörte es immer öfter und habe gegoogelt, was es bedeutet. Dort stand, dass es eine Art virtuelles Tagebuch sei. Das fand ich ziemlich komisch, denn – wer schreibt ein öffentliches Tagebuch … bis ich irgendwann mitbekam, dass mein Chef bloggt. Der Mann ist alles mögliche, keinesfalls aber komisch, und so war die Neugierde geweckt. Ich fing an (siehe oben) zögerlich zu lesen, zu staunen, zu … hatten wir ja schon. Es fing an mir zu gefallen und es entstand eine Idee. Seit 2003 entsteht eine Bezirkszeitung an meinem Computer und mit der Zeit schrieb ich den ein oder anderen Texte dafür. Über die Jahre verschwanden die Texte aber in den alten Ausgaben. Schade eigentlich und so fragte ich eben den Chef, ob er eine Idee hätte, wie ich diese Texte sammeln könnte und einen Überblick behalte. „Mach einen Blog!“ war die Antwort. Und da wir für unsere Arbeit in dieser Zeit eine neue Internetseite mit WordPress erarbeiteten, hatte ich das System schon lieb gewonnen. Also bastelte ich meinen Blog, stellte zwei Beiträge ein, lies es aber ein dreiviertel Jahr unberührt – der richtige Mut fehlte. Zu Weihnachten schrieb ich schließlich eine schöne Geschichte, die auf der Homepage der Arbeit veröffentlicht wurde. Da ich dort großen Zuspruch fand, traute ich mich endlich und ab dann purzelten die Beiträge nur noch so in meinen Blog … und ich bekam mit der Zeit einen Begriff, was Internet tatsächlich bedeutet!

Wissen Freunde und Familie von der Bloggerei?
Oh ja … und sie gehören zu den wichtigsten Kritikern! Ich teile immer fleißig in die Netzwerke oder Messenger. Viele Beiträge handeln von ihnen.

Und lesen die das etwa auch?
Ich denke ja – die Rückmeldungen zeigen es. Jeden Beitrag, in dem ich jemanden persönlich erwähne, lasse ich vorher von demjenigen lesen. Es ist mir wichtig, dass sie Bescheid wissen und sich ebenso damit identifizieren können. Töchter, Mann, Geschwister, meine Mutter, viele Freunde … da sind alle mit im Boot. Wenn ich mit einem Beitrag unsicher bin (was immer noch oft vorkommt) hole ich mir Rat (davon weiß u.a. der Chef ein Lied zu singen) – vier Augen sehen immer mehr als zwei! ;-).

Hast Du eine Bloggerbotschaft an die Welt?
Ja … viele … lest einfach. Das wichtigste wäre mir, jeden Menschen so zu akzeptieren, wie er ist und in der Toleranz und dem Kompromiss die größte Errungenschaft der Menschheit zu sehen!

Liest Du auch noch Zeitungen?
Ich lese sie nicht nur – ich mache auch eine – seit 12 Jahren – die Stadtteilzeitung Steglitz-Zehlendorf. Ich liebe sie und werde immer ganz grantig, wenn jemand Blättchen dazu sagt. Immerhin 12 Seiten und eine Auflage von 10.000 Stück. Die lese ich besonders intensiv – auch zur Korrektur. Ich lese auch viele andere Zeitungen … nicht mehr in den Mengen wie früher, aber an manchen Sonderheften komme ich nicht vorbei. Modezeitungen gar nicht und für Society-Lektüre müssen die seltenen Arztbesuche ausreichen.

Bist Du online und offline gleich?
Aaaaahhhhhh … nein … wenn ich ehrlich bin. Ich liebe online, kann offline aber bestens aushalten und mich problemlos beschäftigen. „Langeweile“ und „Anna Schmidt“ passt nicht auf einen Planeten – kenne ich nicht. Ich bin aber die Ohne-Fernseher-Handy-Computer-Kindheitsgeneration … schätze also beide Seiten sehr!

Hast Du schon mal Internetbekanntschaften im realen Leben getroffen?
Mehrere und es war jedes Mal ein absoluter Gewinn! 🙂

Was machst Du in computerfreien Zeiten?
Hungrige Kinder füttern, reale Bücher lesen, Garten genießen, Hund sozialisieren, den Gatten beschäftigen und Pläne schmieden, was ich noch so alles vor habe … und das ist viel!

Hast Du überhaupt längere computerfreie Zeiten?
Wenn ich ehrlich bin – nein. Im Sommer habe ich es im Urlaub sehr genossen, aber das Smartphone war doch immer irgendwo in der Nähe und ich bin grundsätzlich ein sehr interessierter Mensch. Das Seniorenheim bekommt mich irgendwann einmal nur mit der Zusage von uneingeschränktem WLan.

Wie gehts Dir, wenn Du momentan die Welt betrachtest?
Schwierige Frage – das wäre einen eigenen Beitrag würdig. Ich bin sehr realistisch und lebe nicht auf einem rosa Wölkchen. Dennoch weigere ich mich, zu glauben, die Welt und der Mensch sei schlecht. Miesmacher, Schlecht-Redner, Zukunfts-Paniker ertrage ich nicht in meiner Nähe. Wenn wir nur das Negative sehen würden, hätten wir keine Zukunft mehr. Und so bin ich auch überzeugt, dass ein Kind, dass selbstbewusst und positiv erzogen wird, die beste Investition in die Zukunft ist. Wenn ich zuhöre, wie meine Töchter sich mit Dritten über Toleranz und Weltoffenheit unterhalten, weiß ich, dass ich etwas richtig gemacht habe. Selbst, wenn mich mancher für meinen Optimismus belächeln mag, denke ich, dass ich für meinen Teil der Welt mehr erreiche, als andere die mit ihrem Wehgeschrei nerven.

Magst Du Schnitzel mit Pommes?
Ganz klar – nein! 50 % unserer kleinen Familie mag es sehr und ich esse es, wenn ich mich nur an den Tisch setzen muss. Offiziell habe ich beschlossen, dass ich beim Panieren die größte Pflaume bin und es nicht kann. Ich liebe Tintenfisch, esse Schnecken oder rohen Fisch, aber auch ein einfaches Spiegelei kann bei mir Begeisterung auslösen … es gibt wenige Dinge, die ich nicht esse … das Schnitzel ist ein Volltreffer in Bezug auf nicht mögen! 😉

 

Meine Leseempfehlungen wären folgende Blogs – neben vielen anderen, die ich sehr schätze:

Wortgepüttscher

Schnipseltippse

Modepraline

Mein Lesestübchen

keinbisschenleise

Kinder Unlimited

Ich habe nicht nachgeschaut, ob sie an diesem Award schon einmal teilgenommen haben – es lohnt sich in jedem Fall ein Klick auf ihre Seiten, wo ihr schöne, interessante Beiträge findet.

 

Meine Fragen an sie wären die Folgenden …

Alter ist ein relativer Begriff – gibt’s Momente, in denen du dich alt fühlst?

Ist Alter ein Problem für dich?

Würdest du noch einmal gerne von vorne Anfangen?

Welches Alter war das spannendste?

Gibt es Einstellungen oder Dinge, die sich bei dir im Laufe des Lebens geändert haben?

Wird man im Alter ein sozialerer Mensch?

Was möchtest du einmal machen, wenn du das Glück hast so richtig alt zu werden? 🙂

Was wäre deine Großmutter/Großvater-Botschaft an die Jugend?

 

Ich habe in Facebook einen wunderbaren Spruch
bei Irene Söding gelesen:

„Wenn ich alt bin,
will ich nicht jung aussehen,
sondern glücklich!“

So soll es sein! 🙂 Ich bin gespannt!

Das hässliche Entlein war schon immer ein Schwan!

©-Pefkos-Fotolia.com

Foto: © Pefkos Fotolia.com

Es waren verschiedene Dinge zu erledigen, was bedeutete, dass ich eine Weile im Auto sitzen würde. In Berlin sind die Wege manchmal recht weit. Kurzfristig erklärt Tochter 2, dass sie mitkommt. Was das bedeutet, war mir gleich klar, weil dieses Kind eine sehr feine Antenne dafür hat, wann Mutter beide Ohren offen hat und ihr zuhören muss. So kam es dann auch: Kind 2 … seit jeher vom Augen aufmachen morgens bis Augen schließen am Abend sehr kommunikativ … erzählte und erzählte. Als ich schon glaubte, dass es nichts mehr zu erzählen gab, fragte sie mich, ob ich schon von der „Don’t judge challenge“ gehört hätte. Hatte ich nicht.

Sie erklärte mir, dass das ein Wettbewerb sei, der gerade durch die Netzwerke, besonders in Facebook, läuft. Es werden Video-Sequenzen gezeigt, in denen sich Jugendliche besonders hässlich machen, um später deutlich zu machen, dass sie in Wirklichkeit recht gut aussehen. Das machen sie um zu zeigen, dass man nicht gleich nach dem ersten Eindruck über Menschen urteilen sollte. Soweit alles klar – das sollte ja jedem einleuchten. Nun sei aber diese Challenge in Verruf geraten, weil viele behaupten würden, das die Jugendlichen dies nur machen um ihr Ego zu streicheln und zu zeigen, wie toll sie aussehen. Kind 2 hatte eine andere Meinung. Den Stau auf der Straße kurz vor dem Autobahnzubringer nutzt sie um mir solch ein Video zu zeigen. Mehrere Leute hintereinander zeigen sich hässlich angemalt, legen nach kurzer Zeit die Hand vor die Linse um danach wieder vollkommen hübsch zu erscheinen. Dabei auch ein Mädchen, das anfänglich recht normal aussieht, sich aber nach dem Verdecken mit der Hand als Krebspatientin entpuppt und lächelt. Wow, denke ich, das ist bemerkenswert!

Meine Tochter erzählt mir von ihrer Idee, dazu einen Beitrag in Facebook zu posten (so heißt das dort). Sie hätte kürzlich ein Foto von sich selber gefunden auf dem man ihre Akne (die ehemalige) besonders gut sieht. Dazu wollte sie den Ist-Zustand stellen und ihre Meinung dazu schreiben – eben dass sie diese Challenge recht gut findet. Wir diskutierten ein bisschen hin und her. Ich gab zu bedenken, dass der Text gut geschrieben sein müsse und sie sich dadurch natürlich angreifbar macht. Es gibt manchmal einfach sehr dumme Leute in diesen Netzwerken. Die Diskussion endete nicht, weil wir nichts mehr dazu zu sagen hatten, sondern weil wir Zuhause ankamen.

Später nach dem Abendessen bekam ich noch mit, dass Kind 2 auch Kind 1 von der Idee erzählte. Was Kind 1 davon hielt, bekam ich nicht mehr mit. Die beiden besprechen viele Dinge untereinander und soweit ich weiß, finden sie meistens einen Konsens. Ich saß wieder am Computer und arbeitet. Kurze Zeit später sah ich in Facebook einen recht langen Beitrag meiner Tochter, den ich unverändert hier einfüge:

annaschmidt-berlin.com_akne

„Hier mein kleiner Beitrag zur Don’t judge Challenge.

Als ich das erste mal ein solches Video gesehen habe, war ich nicht einmal negativ abgeneigt davon, sondern ich fand es amüsant. Der eigentliche Gedanke der Challenge war, dass man nicht auf den ersten Blick urteilen sollte.

Ich habe diese ‚Challenge‘ als ‘Aus hässlichem Entlein wird schöner Schwan’-Effekt gesehen. Das einzige was ich anders gemacht hätte, wäre der Aufbau dieser Challenge gewesen. Von einem gestylten Menschen, zu einem völlig normalen und natürlichem Aussehen, so wie jeder von uns morgens in den Spiegel schaut.

Ich persönlich habe bis vor sieben Monaten, acht Jahre lang mit extremer Akne zu kämpfen gehabt. Ich habe versucht mit Cremes, Tabletten, Ernährungsumstellung, Hautkuren und vielem mehr, dem ganzen entgegen zuwinken. Hoffnungslos! 
Und ganz ehrlich ich fühlte mich unwohl, ungepflegt und hässlich. 
Manchmal stand ich vor dem Spiegel und hab mich gefragt warum ich Akne haben muss. Dem ist einfach so und das sollte man nunmal nicht leugnen. 
Nach gewisser Zeit habe ich versucht meine Akne zu verstecken. Mit Make-up. Das Make-up hat ungefähr eine Stunde gehalten, danach sah alles wie ungeschminkt aus. Aber trotzdem versuchte ich es jeden Tag aufs neue mein Gesicht mit Make-up zu überschminken und somit vor blicken zu verstecken. Soviel, dass meine Haut gar nicht mehr atmen konnte. 
Dadurch entwickelte ich eine kleine Make-up-Sucht die mich bis heute auch ohne Akne noch begleitet.
An manchen Tagen wollte ich nicht aufstehen, weil ich mich selbst schämte und neidisch auf die Haut der anderen war.
Mittlerweile habe ich keine Akne mehr und ich fühle mich wohl damit und mein ganzes Selbstbewusstsein hat sich nochmal gestärkt.
Trotzdem habe ich es den anderen Menschen gegönnt eine so schöne und glatte Haut zu haben.

So auch in der ‪#‎dontjugechallenge . 
Die Leute die da mitmachen haben ein so schönes Aussehen, sei es ein Mädchen mit Make-up, eine Krebskranke, eine Türkin mit Kopftuch, eine die sich abschminkt. Alle sehen super nach ihrer ‚Verwandlung‘ aus! Das sei ihnen auch gegönnt ihr gutes Aussehen zu präsentieren, warum denn auch nicht?
Und darum gehts, aus jedem kleinem hässlichem Entlein kann und wird mal ein schöner Schwan. 
Seht es mit Humor.

Und nur weil sie gut aussehen und das auch zeigen ist das oberflächlich von ihnen? 
Ja klar, Charakter ist das wichtigste aber seh ich in einem solchen Video welchen Charakter ein Mensch wirklich hat? Eben nicht. Weswegen ich ihn auch nicht auf den ersten Blick, egal wie er nun ausschaut, verurteile bzw. rückschließe wie er nun ist. Was eben der Ursprungsgedanke dieser Challenge sein sollte.

Alle sagen wir sollen Menschen so sein lassen wie sie sind, dann lasst uns es doch bei allen tun, auch nicht die Menschen verurteilen, die ein Don’t judge Video drehen. Egal ob dick, dünn, glatte Haut, Akne.

Mittlerweile ist unsere Gesellschaft auf Schönheitsideale und Moralpredigten über Schönheitsideale so eingefahren, dass wir mittlerweile den Humor an uns selbst verloren haben. 

Lasst uns unsere mittlerweile so verklemmte Gesellschaft mit ein bisschen Humor auflockern und Spaß an der ganzen Sache haben.“

Als ich es gelesen hatte, war ich sehr betroffen. Erst einmal allein von der Tatsache, dass ich mein Kind durch die Jahre mit dieser Akne begleitet habe, sie unzählige Male zur Kosmetiksprechstunde gefahren habe und wir oft über dieses Leid gesprochen haben. Wie es tatsächlich in ihr drinnen aussieht, was diese Akne für sie bedeutet, wurde mir jetzt erst richtig klar. Man kann als Mutter 100 000 Mal sagen: „Du bist trotzdem hübsch!“ oder „Es wird wieder gut!“, aber es hilft dem Kind nicht wirklich. Auch ohne Akne, kann ein einziger Pickel schon zu gewaltig schlechter Laune führen, seien wir ehrlich. Hinzu kam meine Hochachtung für meine Tochter. Öffentlich zu zeigen, wie schlimm es bei ihr aussah und wie es geworden ist, diesen Mut aufzubringen und gerade für ihre Meinung einzustehen. Prima fand ich auch die Art und Weise … zwar hat sie vorher gefragt, was ich davon halte, aber letztlich mir den Text nicht einmal vorher zum Lesen gegeben. Es war einfach im Netz. Sie äußert und vertritt ihre Meinung selbstbewusst! Sie hat unglaublich viel Zustimmung dafür bekommen. Eine Freundin fragte, ob sie es teilen dürfe, es würde so viel Mut machen.

Mir blieb nur noch „Respekt!“ unter ihren Beitrag zu schreiben … für mich waren, sind und werden meine Töchter immer schöne Schwäne sein – innerlich wie äußerlich – die Entlein gibt’s nicht mehr.

Mein digitaler Begleiter

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Es war ein wunderschöner Nachmittag bei einer Freundin und ich lief gut gelaunt nach Hause. Nach guten Gesprächen und vielen Neuigkeiten, schaute ich schnell auf mein Handy … könnte ja sein, dass mich jemand zwischenzeitlich vermisst hat oder weltbewegende Mails oder Nachrichten gekommen sind. Als ich wieder aufschaute, winkte mir in 50 Metern Entfernung eine andere Freundin zu. Wir liefen zueinander, begrüßten uns herzlich und einer ihrer ersten Sätze lautete: „Ich war mir unsicher, ob du das bist. Aber bei der Körperhaltung, dachte ich, ist sie es bestimmt.“ sprach’s, lachte und wir tauschten wieder Neuigkeiten und Spannendes – was halt so los war. Als ich weiterlief, kam mir ihr erster Satz wieder ins Gedächtnis. Hm, soweit ist es jetzt also: Man erkennt mich von weitem an meiner Körperhaltung. Wie ich laufend auf mein Handy schaue in dem Bemühen nichts aus der digitalen Welt zu verpassen.

Dabei bin ich vollkommen undigital aufgewachsen. Mein Lieblingsspielzeug war Schere und Papier, Puppen, Bälle, Bücher … Wir haben uns miteinander oder mit Dingen beschäftigt, die wenn überhaupt, vielleicht klingeln konnten. Mehr nicht. Ich kann mich erinnern, dass meine kleine Schwester und ich „Vater, Mutter, Kind“ mit Buntstiften an der Fensterbank gespielt haben. Und wir hatten unendlich viele Papier-Anziehpuppen. Meine Mutter musste sie uns immer vormalen und dann konnten wir ihnen Kleider zeichnen, ausschneiden und mit den Papierlaschen anziehen. Wenn sie kaputt gespielt waren, haben wir die Mutter wieder gelöchert, uns eine neue Modepuppe zu malen. Klappte lange, bis sie auf den Trichter kam, dass wir in der Lage waren sie uns selber zu malen. Dabei waren ihre immer schöner. Wir haben zweckentfremdet, was wir in die Finger bekommen konnten. Kartons wurden Puppenstuben, Stoffreste zu Teppichen, Steine und Stöcke Möbelstücke. Mein persönliches Highlight war immer, wenn der neue Otto-Katalog kam und ich den alten haben durfte. Stundenlanges ausschneiden … ich habe ganze fiktive Familien und Hausstände ausgeschnitten und mit den Bildern gespielt. Gefehlt hat uns dabei nichts – wir kannten ja nichts anderes.

Den ersten Fernseher im Wohnzimmer habe ich sehr spät bewusst erlebt. „Dick und Doof“, „Bonanza“, „Bezaubernde Jeanny“, „Speedy Gozales“ … waren meine Kinderhelden. Und viel mehr Technik gab’s in meiner Kindheit eigentlich nicht. In jugendlichen Jahren kam ein Kassettenrekorder hinzu. Was war das für eine Herausforderung sich Lieder aus dem Radio übergangslos auf einer Kassette zu sichern. Begeistert war ich immer, wenn ein Wecker, Radio oder ähnliches kaputt war. Schraubenzieher aus dem Keller holen, Innenleben erforschen und die Einzelteile weiterverwerten.

Die nächste größere technische Herausforderung stellte sich mir in der ersten Ausbildung in Form einer Reproduktionskamera. Diese raumfüllenden Geräte waren früher Teil der Produktionskette zur Erstellung von Druckerzeugnissen. Heute dürften sie alle museumsreif sein. Etwa in dieser Zeit erlebte ich den ersten Computer. Mein Onkel, bei dem ich die zweite Ausbildung absolvierte, schaffte sich den ersten kleinen Macintosh etwa 1985 an und … er ließ mich das Teil erforschen. Ich liebte beide – den Onkel, der mich das Gerät erforschen und probieren ließ und dieses kleine technische Wunder. Von da an hatte ich immer die Möglichkeit, irgendwo Hand an einen Computer zu legen. 1993 war dann ein rundum revolutionäres Jahr. Nicht nur, dass ich mit der Liebe meines Lebens zusammen zog, die Liebe meines Lebens kaufte uns auch noch den ersten eigenen Heimcomputer. Wieder liebte ich beide … den Mann sowieso und den Computer … bis heute!

Das erste Handy kam mit dem ersten Kind ins Haus, also mit dem Kind im Bauch – für den Notfall. Nein, nicht dieses monströse Teil mit Antenne. Unser erstes Handy passte schon in eine etwas größere Hosentasche, die dann zugegeben etwas ausgebeult aussah. Der Gatte kam mit den Karton nach Hause, streckte mir diesen entgegen und sagte „Mach’ mal!“ Ich glaube im Nachhinein, das war der Moment in dem ich fortan die elektronischen und digitalen Dinge im Haushalt übernahm. In den ersten Handy-Jahren habe ich dieses Teil wohl nur mit mir herumgetragen, weil man das eben so machte – für den Notfall. Damit telefonieren war eh zu teuer, besonders für einen Menschen, der in der Pubertät noch ein Telefonschloss an der Drehscheibe erlebt hat, bzw. damit aufgewachsen ist, immer zwei Telefongroschen für die Telefonzelle in der Hosentasche zu haben – für den Notfall.

Mit den Kindern, eher aber wohl, weil es an der Zeit war, nahm die technisch, digitale Entwicklung seither eine nicht mehr fassbare Geschwindigkeit auf, die auch vor uns keinen Halt machte. Mein Beruf hat sich seit Mitte 80er Jahren komplett verändert und kommt ohne digitale Technik nicht mehr aus. Und auch im privaten werden immer mehr Dinge am Computer geregelt, was früher undenkbar gewesen wäre. Aus dem eigenen Interesse heraus, haben wir auch unsere Kinder sehr früh an dieser Entwicklung teilhaben lassen. Bewusst, kontrolliert und gesteuert. Heute passiert es durchaus, dass ich die Installation des Routers, des neuen Druckers oder anderes meine Tochter machen lasse. Und – wir haben trotz bald überstandener Pubertät, keine Telefonschlösser gebraucht. Geht ja auch schlecht bei Handys. Wir bezahlen die Handy-Verträge für die Smartphones, haben den Kindern früh den kontrollierten Zugang zu verschiedenen Netzwerken erlaubt und wissen, dass sie sich heute sicher in diesen Medien bewegen. Natürlich haben wir Lehrgeld bezahlt, sowohl in der Kommunikation als auch bei unbedachten Klicks z.B. auf Spiele. Aber dieses Lehrgeld ist tausendmal mehr wert, als wirkliche Schwierigkeiten aus Unwissenheit. Und auch wenn es sich im Zusammenhang komisch anhört – wir haben über diese Dinge sehr viel geredet.

Mittlerweile bin ich ständig umgeben von einem Computer, einem Tab oder meinem Handy. Ich habe Spaß daran diese Dinge zu nutzen und damit zu arbeiten, beruflich wie privat. Ich kommuniziere gerne, vielfältig und neugierig. Bin gespannt, wenn ich wieder einmal etwas ganz neues ausprobieren kann. Staune, wenn eine Entwicklung, die ich gerade verstanden habe, schon wieder überholt worden ist. Freue mich über kleine Apps, die für mich sinnvoll, eine Bereicherung darstellen. Und bewundere die Kinder und Jugendlichen, die viel schneller als ich diese Dinge begreifen und nutzen.

Ich finde meine techniklose Kindheit klasse, aber hüte mich davor, sie meinen Kindern oder ggf. Enkeln zu wünschen. Es ist unrealistisch und vergangene Zeiten holen wir nicht zurück. Sie lesen trotzdem, können sich mit Brettspielen beschäftigen und verfügen über einen sehr großen Wortschatz (ohne Abkürzungen). Die technikbeladene Zeit, die ich jetzt erlebe, finde ich genauso klasse und freue mich, dass ich sie mit Spaß erleben darf. Ich lese täglich in einem echten Buch, kann mich stundenlang techniklos bewegen und beschäftigen – wenn ich will. Ins Seniorenheim werde ich einmal nur unter der Bedingung einziehen, dass flächendeckend WLan vorhanden ist – falls es dann nicht schon was Neues gibt. Mit meinem digitalen Begleiter, der mir lückenlosen Kontakt zu Außenwelt ermöglicht.

Meine Tochter kommt zu mir an den Computer und fragt, was ich mache. Ich erzähle ihr, dass ich darüber schreibe, dass ich schon an der Handy-Körperhaltung von weitem zu erkennen bin, und dass mir das zu denken gibt. Die sagt nur: „Und dabei heißt es immer – die Jugend von heute!“ schaut auf ihr Handy und lächelt … ich nehme an eine SMS vom Freund … das gabt’s bei uns auch nicht.

Es ist jedes Jahr das gleiche …

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Es fängt immer ganz unscheinbar an. Um die Weihnachtzeit ist es noch ruhig, weil alle glückselig die Harmonie der Feiertage genießen. Im Januar haben alle den Kopf voll mit Jetzt-wird-alles-anders-und-besser-Plänen und wenn man dann realisiert hat, dass der Alltag ja doch der gleiche wie vorher ist, geht’s langsam und schleichend los … nur noch Motzerei über zu kaltes, zu graues, zu dunkles Wetter. Als ob keiner mehr eine gescheite Jacke, Handschuhe und Schal hat und keiner mehr gemütliches Kerzenlicht zu schätzen weiß. Alle haben vergessen, wie wir letztes Jahr über die Hitze gestöhnt haben und die Sonnenanbeter kommen früher auf den Plan als es überhaupt einen Sinn hat!

Egal wo man ist, schleichen sich in die Gespräche die Sehnsüchte nach schönem Wetter ein. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht über die Wettervorhersage gesprochen wird oder die Wetter-App auf dem Smartphone flehentlich untersucht wird, ob nicht doch ein paar Grad wärmeres Wetter angesagt wird. Die Netzwerke sind voll mit „Winter – wir haben genug von dir!“ Sprüchen und der ein oder andere kramt in alten Fotoalben und postet vergangene Frühjahrsbilder aus dem Vorjahr. Ein Gänseblümchen beispielsweise, das die Gemeinde verzückt liked, als ob alle vergessen haben, wie es aussieht. Und wehe, wenn irgendjemand im Februar (viel zu früh) eine Knospe entdeckt – dann kommen gleich die „Wir haben es bald geschafft“-Jünger und predigen den Jungbrunnen ähnlichen Frühling.

Mal ehrlich. Wenn ich im Winter schlafen will und das heldenhaft natürlich mit offenem Fenster – ist Ruhe. Ein paar Monate später … schlafen, offenes Fenster, vier Uhr morgens – ein netter Piepmatz meint es ist Zeit für sein Morgenlied. Er trällert fröhlich und – hartnäckig – bis sein Kumpel vom nächsten Ast endlich antwortet. Fünf Uhr morgens … die Vogelgemeinde ist wach – und ich auch. Ich nehme mir allmorgendlich vor, endlich eine Packung Oropax zu kaufen, was ich natürlich immer wieder vergesse, oder erwäge ernsthaft unsere Katze auf dem Ast zu domestizieren.

Schuhwerk. Im Winter brauche ich dicke, warme Schuhe – ein oder zwei Paar. Gedeckte Farben, braun oder schwarz, völlig ausreichend. Möglichst wasserabweisend und schon bin ich bestens ausgerüstet. Die Erde ist gefroren und wenn es kalt genug ist gibt’s auch keine Matsche. Tierische Hinterlassenschaften sind leicht erkennbar und so hart, dass es keine Probleme gibt – alles schick. Ein paar Monate später … fängt das Problem schon am Kleiderschrank an und das nicht nur bei den Damen. Die Welt wird bunt und natürlich muss das Kleid/der Anzug zur neuen Sandale oder dem schicken Sneaker passen. Viele Damen beginnen den „Ich habe die glattesten, nackten und längsten Beine“ Wettlauf schon im März, wenn der gemütliche Normalbürger noch überlegt, ob sich die Anschaffung der Naturbaumwoll-Strumpfhose in diesem Jahr noch rentiert. Und mal Hand-aufs-Herz … wer braucht die jährliche Diskussion mit den Kindern, dass im März Flipp-Flopps und bauchfrei noch lange nicht angesagt sind.

Regelmäßig und spätestens im April werden wir sehr nett daran erinnert, dass die nächste Diät in Betracht zu ziehen ist. Natürlich nicht, weil wir zu dick sind, sondern weil die neuste Sommer-Bikinimode viel zu figurbetont geschneidert ist. Wer dem Diätendruck entgehen will hat eigentlich nur die Möglichkeit, sich aus allen Netzwerken abzumelden, Zeitungsläden zu meiden und Gruppierungen von mehr als zwei Personen zu umgehen. Wer das nicht kann, wird unweigerlich mit der neusten Methode konfrontiert, wie man 10 Kilo in drei Tagen verliert. Oder greift freiwillig zur Nulldiät, wenn er eben dieses neuste Bikinimodel in der Ankleidegarderobe im Spiegel von vorne, hinten, rechts und links betrachtet hat – Träger inbegriffen. DAS ist im Winter leichter … eine Hose, ein Pullover (zwei Nummern größer) und ein größenverstellbarer Gürtel … der Kühlschrank darf gefüllt sein. Zudem wird unser Blick in der kalten Jahreszeit von Graue-Socke-tragenden-Sandalenträgern oder 100%-Polyamid-Kittel-Trägerinnen verschont.

Und wer braucht einen Sonnenbrand? Reicht im Winter eine einfache Feuchtigkeitscreme, muss im Sommer teure, mittlerweile mindestens Faktor 50, Sonnencreme gekauft werden. Und nicht nur dies … nachdem wir alle Berichte über sonnenbedingte Hautkrankheiten verdaut haben, kommen die Berichterstattungen über Zecken und Mücken an die Reihe. Die neusten Produkte gegen Juckreiz werden vorgestellt und spätestens im Herbst haben wir wieder festgestellt, dass die gute alte halbe Zwiebel doch das beste Hilfsmittel ist.

… das sollte nun wohl reichen um die Lust auf Frühling/Sommer zu vermiesen, oder? Tut’s aber nicht.

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Zu viel Gartenarbeit, klebriges Eis, zu viele Fahrradfahrer oder überfüllte Wasserflächen – könnte ich auch noch auf’s Korn nehmen. Aber – Ich selber gehöre zu den Ersten, die schon im Januar im Garten Ausschau halten, ob sich ein gelber Winterling (ein Blümchen) aus der Erde drückt. Ich würde eher das Datum meines Geburtstages vergessen als den Frühlingsanfang verpassen. Selbst die Zeitumstellung, die ich eigentlich nicht mag, sehne ich herbei, ist sie doch unweigerlich der Einstieg in die hellere Jahreszeit. Ich freue mich ungemein über die Vogellieder, auf die Geräusche in den Gärten an den langen warmen Sommerabenden, auf die morgendliche Kaffeetasse auf der Terrasse und nerve meine Facebook-Freunde mit Blumenbildern in allen Variationen. Im Sommer habe ich um 18.00 Uhr das Gefühl „Was stelle ich jetzt noch an“, wenn ich zur gleichen Uhrzeit im Winter schon überlege, wo die Bettlektüre liegt. Die Vorfreude auf Sommerfeste, die jetzt schon geplant werden und Spaziergänge ohne dicke Jacke und Schirm, ist da.

Es wird endlich Frühling und Sommer – ich freue mich auf lachende Gesichter. Die Menschen wirken freier, fröhlicher und es hat den Anschein, als dass alle mehr Zeit haben. Parks und Plätze sind belebt und es wird bunt um uns herum. Trockenes Geäst wird mit einem leichten Hauch von grüner Farbe überzogen. Wir brauchen die Sonne um aufzutanken. Die Mückenstiche nehme ich gerne in Kauf und eine Diät mache ich sowieso nicht. Wetter-Apps habe ich, glaube ich, vier auf dem Handy und glaube immer der, die mir das gefälligste gute Wetter vorher sagt.

Es ist jedes Jahr das gleiche mit mir … ich freue mich auf den Frühling.

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Fassungslos …

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Im Fernseher laufen Nachrichten, in den sozialen Netzwerken berichten Live-Ticker über jede Veränderung und auch die Zeitungen sind gefüllt mit Beiträgen. Ein schweres Unglück erschüttert das Land und die Fassungslosigkeit lähmt. Unvorstellbar das Leid der Angehörigen … der Kopf weigert sich, die Vorstellung zu erwägen, selber betroffen zu sein. Aus zwei unabhängigen Richtungen höre ich dennoch trotzige Kritik, warum gerade dieses Unglück so dermaßen viel Aufmerksamkeit auf sich zieht und warum hier eine Schweigeminute abgehalten wird, bei anderen Unglücken aber nicht. Ist ein Unglück bedenkenswerter als ein anderes? Wohl kaum!

Was in diesem Fall besonders bestürzt ist Nähe. Es ist fast vor der Haustür passiert, die Passagiere wären eine Stunde später auf deutschem Boden ausgestiegen, wurden von Angehörigen erwartet. Die Wahrscheinlichkeit ein Opfer zu kennen, ist eben nicht unwahrscheinlich. Jeder der ein Schulkind zuhause hat, mag nicht wahrhaben, was dort passiert ist. Jeder, der in ein paar Monaten eine Reise plant, will nicht hören was diesen Reisenden widerfuhr. Es ist so nah passiert, gehört in unseren Alltag und den Menschen, die betroffen sind könnten wir jeden Tag begegnen. Dieses Unglück ist gegenwärtig. Den Angehörigen, wo immer sie leben, ist zu wünschen, dass sie optimalen Trost, Kraft und Versöhnung mit dem Schicksal finden werden.

Am Tag des Unglücks hat es eine weitere „kleine“ Nachricht geschafft in den Nachrichtenstrom einzudringen. Sie fällt mir auf, weil sie an diesem Tag so anders ist. Boko Haram hat erneut 500 Frauen und Mädchen entführt um Druck auf Wahlen auszuüben. Diese 500 Frauen und Mädchen schafften es nicht, die Bestürzung der Weltgemeinschaft auf sich zu lenken, verleiten keinen Staatschef dazu, eine Stellungnahme abzugeben, kein Flugzeug wird sich in ihre Richtung bewegen um zu helfen. Wenn ich an dem Tag aufmerksamer gewesen wäre oder nicht von dem aktuellen Unglück so bestürzt, wären mir sicherlich noch weitere Nachrichten aufgefallen, in denen Menschen Furchtbares widerfährt. Wir lesen täglich von Kriegen, Morden, Amokläufen, Vergewaltigungen, Misshandlungen, Entführungen, Folter, … So viele Nachrichten, die ohnmächtig machen, so dass es eigentlich einem Wunder gleich kommt, dass noch ein Mensch in dieser Welt lachen kann.

Es stellt sich die Frage, ob wir überhaupt noch in der Lage sind, das alles zu erfassen. Setzt ein Selbstschutz-Mechanismus ein, um uns davor zu bewahren, in Depressionen und Hilflosigkeit zu fallen? Stumpfen wir emotional ab? Woher nehmen wir Lebensmut, Optimismus, Neugierde in die Zukunft? Warum arbeiten wir weiter, versuchen unser Leben bestmöglich zu gestalten, wenn uns eine Welt voll Grausamkeit und Horror vor Augen gehalten wird?

Eine erhebliche Rolle dabei spielen die Medien. Es geht um nichts weiter als Auflagezahlen oder Klicks in den Netzwerken. Wer als erster die auffallendste Nachricht, das kompromittierendste Bild veröffentlichen kann. Von Pietät, Einfühlungsvermögen, Rücksicht oder gar Zurückhaltung ist nicht das mindeste erkennbar. Warum muss gleich diskutiert werden, was Opfer an Entschädigung zu erwarten haben? Was soll eine Headline, die nach Suizid oder Mord fragt? Warum kann man Schüler einer Schule nicht alleine trauern lassen? Wen interessiert der Aktienkurs der Gesellschaft? Wer entlockt als erster einem Freund des Piloten ein bloßstellendes Zitat? Es geht um Sensationen, Voyeurismus, Quoten … und hat nichts mehr mit Einfühlungsvermögen und objektiver Berichterstattung zu tun. Diese Katastrophen werden instrumentalisiert, genutzt um sich selber ins Spiel zu bringen, aber nicht um mit guten Journalismus zu glänzen, sondern ein Publikum zu bedienen, dass von dieser Medienmache erzogen wurde. Und ist die Nachricht drei Tage alt, hoffen wir wieder, dass sich ein neuer Schauplatz eröffnet, um das Spiel weiterzutreiben.

Dies alles bedenkend kann es nicht unsere Aufgabe oder Ziel sein, zu resignieren oder hinzunehmen. Statt zu kotzen und alles zu verdammen, müssen wir bewussten Medienumgang lernen, einfordern und auch handhaben. Journalismus in seine Schranken zu weisen muss möglich und erlaubt sein. Insbesondere, wenn der Journalismus in Hinblick auf sich selber und einer Katastrophe wie Charlie Hebdo Moralität für sich selber einfordert!

Und in Hinblick auf alle Katastrophen, die den Menschen heute passieren und von denen wir lesen – Resignation ist die falsche Haltung. Nie in der Menschengeschichte gab es so wenige Kriege, Unglücke und Gewalt. Nur hören wir dank der Medien so viel davon, als ob jedes im Wohnzimmer passiert. Und doch sind sie weit genug weg, dass wir sie ausblenden können. Jedes einzelne Verbrechen, jedes Unglück, jeder Krieg ist für den Einzelnen und die Weltgemeinschaft furchtbar. Unsere Aufgabe muss es sein hinzusehen, bewusst zu machen, Veränderungen zuzulassen und an ihnen mitzuarbeiten. Das können wir alle tun und vor der eigenen Haustür anfangen … da fallen mir spontan sehr viele Beispiele ein. Die Welt, die Zukunft und Veränderungen zum Guten und zu Humanität geht uns alle etwas an. Deshalb bleibe ich bei der Überzeugung, so schrecklich die Ereignisse sind, dass jede Schweigeminute, jede echte Anteilnahme und jede Stimme, die sich erhebt, ein Schritt in die richtige Richtung sind. Und viele dieser Schritte – mit Optimismus gepaart – machen eine großartige Weltreise aus.