Die Zahnputzbecher bleiben leer

Wochenend-Einkauf: Ich schiebe meinen Einkaufswagen durch den Supermarkt und staune nach einer Weile, dass der Einkaufszettel kürzer, der Wagen aber so gar nicht voll wird. Viele Sachen, die sonst zum „Must-have“ des Einkaufs gehörten bleiben in den Regalen. Keine Himbeeren im Winter, kein Vollkorn-Knäckebrot, kein Steviazucker, kein Joghurt 0,1%. In den Süßigkeiten-Regalen schaue ich nur nach Sachen, die der Vater mag. An den Kosmetik-Regalen gehe ich ohne Interesse vorbei. Kein spezielles Haarwaschmittel oder Duschshampoo wird gebraucht. Nach dem Bezahlen kommt mir der Quittungsstreifen ungewöhnlich kurz vor und das Umladen des Einkaufs in das Auto kommt keiner Schwerstarbeit gleich. Andere Situationen gibt es auch: Die tägliche Frage, was es zum Abendessen gibt, ist in kürzester Zeit und ohne Diskussion gelöst. Ziehe ich beim Heimkommen die Schuhe aus, finde ich immer einen Platz dafür im kleinen Schuhregal ohne mich durch sieben davor stehende Paare durchzuwühlen. Mache ich nach der Arbeit Zuhause meinen Entspannungskaffee, sieht die Küche tatsächlich so aus, wie ich sie morgens verlassen habe. Morgens im Bad hängt mein Handtuch immer dort, wo ich es zuletzt hingehängt habe. Ich muss keine Haargummis in das entsprechende Schälchen weglegen (ich selbst habe maximal 2 cm lange Haare). Wenn ich Zähne putze, fällt mein Blick oft auf die zwei leeren Zahnputzbecher. Ich überlege, ob ich sie wegräume, denn sie bleiben auch künftig leer. Beide Töchter haben sich in diesem Jahr auf eigene Wege begeben. Auch ihre Betten bleiben leer.

Wenn man Kinder bekommt, muss einem klar sein, dass man die nächsten 20 Jahre in der zweiten Reihe steht. Das bedeutet nicht, sich selber aufzugeben, aber alles Bestreben in dieser Zeit sollte darauf ausgerichtet sein, eigenständigen und selbstbewussten Nachwuchs großzuziehen. Je mehr Zeit man darin investiert, umso erfolgsversprechender und sicherer hat man später auch seine Ruhe. Gerade in den ersten durchwachten Nächten mit dem Säugling kommt einem diese Zeitspanne unüberwindbar vor. Selbst viel später in der Pubertät des Nachwuchs, denkt man immer noch, dass man es nie schaffen wird. Doch irgendwann ist es dann doch vorbei. Plötzlich vorbei. Viel schneller vorbei, als man eigentlich für möglich gehalten hätte. Der Nachwuchs zieht aus und die Zeit beginnt, in der sich Mutter und Vater ihres Elternjobs beraubt fühlen und sich wieder auf sich selbst besinnen müssen. Nun ist das natürlich nicht mit der gemeinsamen Zeit zu vergleichen, die man mehr oder weniger hatte bevor die Kinder da waren. Zum einen ist man eben gut 20 Jahre älter, die rosa Wölkchen der Anfangszeit haben so ziemlich alle Farbnuancen durchgemacht und das eine oder andere Zipperlein ist ständiger Wegbegleiter geworden. Herr Schmidt und ich sind frisch in diese neue Lebensphase eingetreten. Wir müssen uns neu sortieren, miteinander positionieren, neue Routine oder Herausforderungen finden.

Unsere erstgeborene Tochter hat uns Eltern sanft entwöhnt, beziehungsweise sich selber sehr elegant heraus gelöst. Man könnte es auch als eine Art „Ausschleichen“ bezeichnen. Letzten November zog ihr Freund in seine erste eigene Wohnung ein. Der unglaubliche Vorteil dieser Wohnung für unsere Tochter bestand darin, dass sie genau auf der anderen Straßenseite ihrer Ausbildungsstätte liegt. Hat sie Frühschicht, ist es natürlich ein gewaltiger Unterschied für die jungen Frau, ob sie in der Wohnung des Freundes um halb sechs aufstehen muss oder in dem elterlichen Heim um halb vier morgens. Wir erlebten nicht mehr viele Frühschichten der Tochter. Auch nicht mehr viele Spätschichten. Kam sie nach Hause, war eine große Tasche im Gepäck mit Schmutzwäsche, aber auch diese Tasche blieb irgendwann weg, nachdem über WhatsApp geklärt war, bei wie viel Grad man Bunt- oder Kochwäsche wäscht. Im Sommer räumten der Ehemann und ich einiges im Haus um und überlegten, wie wir die Räume optimal nutzen könnten. Mit einigen Vorbehalten trauten wir uns die Tochter bei ihrem nächsten Besuch zu fragen, ob in ihr Zimmer nicht der Vater einziehen könnte. Statt einem entsetzen „Wollt ihr mich rausschmeißen!“, kam nur ein „Warum habt ihr das nicht schon längst gemacht.“ Damit war das bisher Unausgesprochene offiziell: Es lebt nur noch ein Kind hier im Haus.

Loslassen war das erste Mal ein Thema für mich. Nein, eigentlich nicht loslassen. Das müssen Mütter mit jedem Entwicklungsschritt der Kinder mitmachen. Trennung bezeichnet es eigentlich besser. Der gemeinsame Weg mit der Tochter ist beendet. Jetzt zeigt sich, ob wir ihr das richtige Rüstzeug in der Erziehung mitgegeben haben. Aber: Sie ist selbstbewusst, weiß was sie will, zieht konsequent ihr Studium durch und wirkt auf mich bei jedem Besuch ausgeglichen und zufrieden. Hier kann ich gut loslassen, zumal der junge Mann an ihrer Seite mir das Gefühl gibt, dass er ihr gut tut. Seinen Besucherstatus haben wir irgendwann aufgehoben. Jetzt gehört er zu uns. Sie planen beide ihre Zukunft und wir haben den Eindruck, dass sie sich gut ergänzen und glücklich zusammen sind.

Die jüngere Tochter hat die Schule im Sommer beendet, womit der Weg frei war, sich ihren großen Traum zu erfüllen. Seit drei Jahren spielte sie mit dem Gedanken ein Jahr ins Ausland zu gehen. Nach vielen Überlegungen hat sie sich für Australien entschieden. Wir haben eine begleitende Organisation ausgewählt und Fakten geschaffen. Lange stand der 24. Oktober als Abflugdatum fest, sodass der Sommer von Vorbereitungen geprägt war. Das erste Mal komisch wurde es mir erst, als wir den großen Rucksack zur Probe gepackt haben. Damit wurde sichtbar, dass sie nicht mehr lange hier sein würde. Trotzdem rückte der Reisetag näher, bis wir sie schließlich zum Bahnhof brachten. Entgegen allen vorherigen Beteuerungen rollten natürlich ein paar Tränen, aber es war ein ruhiger und liebevoller Abschied. Zu Hause alleine fühlte sich die Ruhe unwirklich an. Die ersten zwei Tage hatte ich immer das Gefühl, dass sie gleich wieder kommt. Mit der Nachricht, dass sie in Sydney gelandet ist, hörte das sofort auf. In der ersten Woche erlebten wir ein ständiges Auf und Ab der Gefühle, das uns zugegebener Maßen alle sehr beanspruchte. Wir hatten alle nicht damit gerechnet, dass der Jetlag sie so treffen würde. Schlafmangel und unregelmäßiges Essen taten ihren Teil dazu, dass es ihr nicht gut ging. WhatsApp, Skype, Facebook, Telefon kann man bei solchen Reisen als Fluch oder Segen betrachten. Für uns war es ein Segen, weil wir die nötige moralische Unterstützung geben konnten. Auch Familienmitglieder und Freunde halfen mit Ratschlägen, eigenen Erfahrungen und lieben Worten, sodass es langsam bergauf ging und die ersten schönen Nachrichten aus Sydney kamen. Als sie in ihrem Blog EscapeWorld, den sie eigens für diese Reise eingerichtet hatte, ganz ehrlich über ihre Anfangsschwierigkeiten berichtete, bekam sie so viel Zuspruch, dass die Gefühlswende gelang.

Es war eine schwere erste Woche. Aber: Sie macht jetzt Erfahrungen, die sie Zuhause nicht machen kann. Sie lernt Dinge, die sie sich hier lange erarbeiten müsste. Sie erlebt Sachen, die ihr hier verborgen bleiben würden und sie sieht Orte, die wir nicht sehen werden. Ich bin ein bisschen neidisch und freue mich, dass sie das erleben kann, auch wenn es hin und wieder nicht so leicht ist. Ein bisschen staune ich über mich selber: Bisher hatte ich noch keine Gelegenheit mein Kind zu vermissen. Ich denke, weil wir oft Kontakt hatten. Vornehmlich aber, weil ich weiß, was dieses Kind für Stärken hat und ich tief im Bauch weiß, dass sie es bewältigen wird. Mein Jammer kommt sicherlich, wenn es ihr prächtig geht. Ich bin sehr gespannt mit wie vielen bereichernden Kontakten, lehrreichen Erkenntnissen und neuen Ideen sie wieder nach Hause kommt.

Wir sind also sozusagen kinderlos auf Probe. Die jüngere Tochter kommt wieder. Wer weiß, wie lange sie dann bleiben wird. Jetzt probieren wir erst einmal, wie es sich so alleine lebt, nach gut 20 Jahren Kindererziehung. Es hat Vorteile. Viele Vorteile. Trotzdem möchte ich keine Sekunde der letzten Jahre missen. Es gibt Momente, in denen man seine Kinder verfluchen könnte, um Sekunden später festzustellen, dass man sie einfach nur liebt. Es gibt schwere Phasen, die eine Familie auf harte Proben stellt, um später zu erkennen, dass man noch mehr zusammen gewachsen ist. Und es gibt eben diese Zeit des Loslassens, die zeigen wird, ob man als Eltern einen guten Job gemacht hat. Und hat man es gut gemacht, kommen die Kinder eh immer wieder zurück. Eine Freundin hat mir letzte Woche geschrieben: „Ihr habt ihnen Wurzeln gegeben – jetzt sind die Flügel dran!“ Goethe würde sich immer noch freuen, dass er bis heute zitiert wird.

Mein Mann und ich haben Pläne, Ideen und Ziele. Wir genießen unsere eigenen Freiräume und wieder gewonnene Unabhängigkeit. Und so ganz lassen uns die Kinder ja doch nicht los. Wenn am Feiertag die Frage der großen Tochter über WhatsApp kommt: „Mama, was gibt‘s heute bei euch zu essen?“, liegt die Vermutung doch sehr nahe, dass da ein Kühlschrank leer ist. Natürlich plant die Mutter dann so, dass zwei zusätzliche Bäuche satt werden. Alles verändert sich, muss sich weiter entwickeln und birgt seinen eigenen Reiz.

Nach meinen Wochenend-Einkäufen habe ich immer das Gefühl etwas vergessen zu haben. Manchmal, wenn ich morgens im Bad stehe und Zähne putze, genieße ich die noch ungewohnte Ruhe, die ich um mich herum fühle. Aber manchmal, wenn ich dort stehe, denke ich: „Jetzt könnte doch endlich mal einer ungeduldig klopfen und fragen, wann ich endlich fertig bin.“ Aber, die Zahnputzbecher bleiben auch künftig leer, zumindest einer. Irgendwann zieht sicherlich so eine kleine Kinderzahnbürste der Enkel ein.

Ohne Headline …

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Kürzlich fiel mir auf, dass ich jedes Mal, wenn ich länger über etwas nachdenke, dem Thema meiner Gedanken sehr schnell eine Headline gebe. Es ist so, als wenn ich in meinem Kopf einen Beitrag schreibe. Vermutlich färbt mein Beruf oder auch das Blogschreiben ab. In den letzten Wochen las oder hörte ich viele Zusammenfassungen des aktuellen Jahres und musste über mein persönliches Jahr 2016 nachdenken. Nur dafür – so sehr ich mich auch bemühe – finde ich keine Headline. Viele unterschiedliche  Begebenheiten haben dieses Jahr geprägt, viele unterschiedliche Menschen haben eine entscheidende Rolle gespielt und viele Dinge haben erst begonnen, müssen weiterverfolgt oder beendet werden. Das Jahr lässt sich in Subheadlines ausdrücken, die entscheidend waren und mir lange im Gedächtnis bleiben werden:

Die Blogparade – Schreiben gegen Rechts
Ich bin kein mutiger Mensch, fasste im Februar dennoch Mut und veröffentlichte den Aufruf „Schreiben gegen Rechts!“ und lud zur Blogparade ein. Ich hatte gehofft, vielleicht um die zehn Beiträge zusammen zu bekommen, was für mich als Erfolg verbucht worden wäre. Es wurden tatsächlich weit über 80 teilnehmende Beiträge und es wurde unglaublich viel kommentiert. Daraus ist ein eBook entstanden (mein erster Versuch mit diesem Format), es sind neue wertvolle Kontakte entstanden und ähnlich wie bei meinem Beitrag über die Bundeswehr 2014, bekam ich wieder einen Eindruck, was Internet tatsächlich bedeutet. Die Blogparade hat mich bis in den April sehr beschäftigt. Ganz besonders aber bekam ich das Gefühl, mit meiner Einstellung für Offenheit und Toleranz bei weitem nicht alleine zu sein, und dass jedes geschriebene und gesprochene Wort, für Empathie und Miteinander über Grenzen hinweg, ein wertvolles Wort ist … jedes einzelne die richtige Antwort auf rechte Parolen. Das Emblem der Blogparade bleibt in der linken Seitenleiste des Blogs und ich werde auch künftig jede Gelegenheit ergreifen mich für meine Überzeugung zu äußern. Denn nur wenn wir das tun, können wir andere zu nachdenken anregen und Schweigen beenden. Die Solidarität, die sich in allen Beiträgen zeigte hat mich tief beeindruckt und ich bin jedem einzelnen dafür sehr dankbar.

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne
Herrmann Hesse drück sehr gut aus, was es für mich bedeutete, mich nach 13 Jahren von meiner geliebten Stadtteilzeitung trennen zu müssen. Der Vehemenz und dem Wunsch meines Chefs nach einem neuen Format der Öffentlichkeitsarbeit machte es erforderlich, mich mit der Erstellung von eBooks und einem Magazin zu beschäftigen. Ich gebe zu, dass ich mich anfangs schwer tat, aber glücklicherweise lasse ich mich gerne von Herausforderungen begeistern. So erschien im April die letzte von 131 Stadtteilzeitungen, die an meinem Computer entstanden und am 1. Mai das erste Magazin „Im Mittelpunkt“ als gedrucktes Heft und als eBook. Zähneknirschend, aber gerne und mit einem Lächeln, muss ich zugeben, dass der Wechsel von Zeitung zu Magazin zeitgemäß und erforderlich war. Durch das Magazin können wir im Sinne der sozialen Arbeit viel spezifischer arbeiten. Das eBook-Format bietet Möglichkeiten, die wir noch lange nicht ausgeschöpft haben. … Und schließlich – der Moment in dem der iTunes-Store meldete, dass er das Magazin veröffentlichte … großartig! 😃

Erst die Fremde lehrt uns, …
ist der erste Teil des Spruchs von Theodor Fontane, der uns in diesem Jahr nach Prag und nach Kreta führte. Die schönen Tage in Prag hatte ich in einem Beitrag beschrieben. In Erinnerung blieb vor allen Dingen die schöne Architektur der Stadt, und die schöne Zeit mit meinem besten Freund und Ehemann. Diese Städtereise lässt uns weitere Ziele planen, da die Kinder so langsam ihre eigenen Wege gehen. Auf Kreta haben wir zwei wunderschöne Wochen verbracht, denn wir mussten zuhause ausziehen. Darüber konnte ich aus Zeitmangel nicht mehr schreiben. In Erinnerung sind entspannte, freundliche Menschen, ein wirklich schöner, sauberer Strand, eine bunte Vegetation und traumhafte Landschaftsbilder. Wir fahren sicherlich noch einmal dorthin.

… was wir an der Heimat haben …
sagt der zweite Teil des Spruchs. 2016 haben wir uns einen langen Wunsch erfüllt und unser Haus kernsaniert und angebaut. In den zwei Wochen Kreta-Urlaub wurden unsere Bäder neu gemacht. Im März hatte mein Mann die ersten Holzpaneele herausgerissen und Ende September kamen die Handwerker zum letzten Mal. Ich bin oft in meinem Leben umgezogen. Jeder Umzug ist einfacher als ein Haus umzubauen und währenddessen darin wohnen zu bleiben. Wir konnten das Wort „Staub“ nicht mehr hören, noch mochten wir ihn spüren. Es war oft schwierig und hat uns viel Geduld abverlangt. Die Firma, die den Umbau durchführte, war in jeder Hinsicht klasse. Sie haben nicht umgebaut, sondern mitgedacht, beraten und letztlich wirklich gut umgesetzt. Auch haben alle Nachbarn in irgendeiner Weise geholfen. Die einen hüteten den Hund, die anderen halfen Bauschutt zu entsorgen, passten auf oder übten sich in großer Geduld, wenn auch am Wochenende gebohrt wurde. Spätestens als wir einrichten konnten und nicht mehr von Zimmer zu Zimmer umziehen mussten, wurde uns klar, was wir über Jahre gesammelt hatten und nutzen die Gelegenheit ohne Ende auszumisten. Wir haben immer noch nicht alle Zimmer durch sortiert und fertig, aber wir genießen ein helles und schönes Haus. Mit diesem Umbau ist endgültig klar, dass wir „Zuhause“ angekommen sind, was für ein Bundeswehrkind und einen Berufssoldaten schon eine tiefe Bedeutung hat.

Ein Reich ist leicht zu regieren, eine Familie schwer
… sagt ein Sprichwort. Dieses Jahr hat gezeigt, dass man sich nie zu sicher sein sollte, wie die Familiengeschicke laufen. Der Herr Schmidt ist Pensionär und doch nicht mehr. Was als Urlaubsvertretung im Rahmen einer Wehrübung anfänglich gedacht war, entwickelte sich als durchgehenden Dienst. Die Wehrübung, die im April begann wurde verlängert und verlängert, und wird auch das nächste Jahr ausfüllen. Der pensionierte Berufssoldat erfüllt seinen Dienst im alten Büro. Zuhause trauen wir uns wieder eine Kaffeetasse einfach so stehen zulassen … die straffe Haushaltsorganisation des Familienoberhauptes hat eine Pause. 😉

Ich spreche hier meistens von zwei Töchtern, was so aber nicht ganz stimmt. Wenn ich von ihnen erzähle meine ich die gemeinsamen Töchter. Die älteste Tochter, die dritte, stammt aus der ersten Ehe meines Mannes. Ihr Lebensweg war lange nicht der unsere und getrennt, was sich in den letzten zwei Jahren aber ändert und eine schöne Entwicklung nimmt. Im Sommer hat sie nun geheiratet und wir freuen uns über immer größere Nähe. Dafür hat die zweite Tochter, die erste gemeinsame, beschlossen, ihre Mutter etwas leiden zu lassen und verbringt immer mehr Zeit bei ihrem Freund. Es ist nicht leicht, auch wenn man immer weiß, dass es so kommen wird, das Kind gehen zu lassen. Im gleichen Maß wie ich „leide“ freue ich mich aber mein Kind glücklich mit ihrem lieben Freund zu sehen. Glücklich über die häufige Abwesenheit der mittleren Tochter ist ganz besonders die Jüngste, die entspannt den Einzelkindstatus genießt.

Der Tod, die Nachrichten und viele Ereignisse …
Das dieses Jahr vielen neuen Idole Platz gemacht hat, musste letztendlich auch ich zugeben. Viele Kindheitshelden und Vorbilder sind gegangen. Ich stelle mir die Party im Himmel vor … es muss ein großartiges Fest sein. Auch unsere Familie musste den Tod eines Mitgliedes erleben. Mein Onkel Fridolin Hablitzel hat mit 94 Jahren beschlossen, dass er seinen Weg auf der Erde beendet. Dieser Tod war von Bedauern, aber nicht von Traurigkeit begleitet. Wir wissen, dass er Traurigkeit nicht gewollt hätte, er hatte schon lange gesagt, dass sein Soll erfüllt ist und wir werden uns immer an einen besonderen Mann und sein Lachen erinnern. Ich durfte meine ersten vier Berufsjahre in seiner Werbeagentur lernen – Lehrjahre, die mein Berufsleben prägten, wofür ich noch heute dankbar bin.

Mit Sorge betrachtete ich über das ganze Jahr die Nachrichten, die uns alle bewegten. Besonders der Krieg in Syrien, Attentate und immer stärkere rechte Tendenzen in allen Ländern. Die Wahl des neuen amerikanischen Präsidenten lähmte mich etwa 14 Tage lang und ich war in gewisser Weise unglücklich und dankbar zugleich, dass ich in den letzten Monaten kaum Zeit fand für meinen Blog zu schreiben oder in befreundeten Blogs zu lesen. Ich verstehe die Empathielosigkeit vieler Menschen und den Nationalismus der Länder nicht. Je größer mein Unverständnis wird, desto größer wird mein Wunsch rechten Tendenzen Widerstand zu leisten.

Neben dem, was wir wie oben beschrieben erlebten, passierten in diesem Jahr viele Ereignisse, die schöne Erinnerungen hinterlassen. Seit meiner Jugend bin ich das erste Mal wieder auf eine Demo gegangen, die Menschenkette gegen rechts, in sehr netter Begleitung. Wir durften den 3. Kunstmarkt der Generationen organisieren und ausrichten und ich freue mich sehr auf den 4. Markt. Im Juni lud meine Mutter zu einem Familienfest ein – wie dankbar bin ich ein Teil dieser großen, bunten und multinationalen Familie zu sein. In diesem Jahr durfte ich bis in den Dezember immer wieder Menschen kennenlernen, die mich sehr beeindruckt haben und ich hoffe, dass ich einige dieser Kontakte vertiefen und festigen kann. Bestehende lange Kontakte haben sich sehr positiv verändert und ich fand die Kraft, mich von einigen wenigen zu trennen – auch das gehört dazu.

Es war ein sehr intensives Jahr, in dem eins nicht dazu gehörte und das war Ruhe!

Da ich auch viel über das Älter werden nachdachte und schlicht feststellen kann, wie wohl ich mich mit meinen Lebensjahren fühle, möchte ich zum Schluss das vollständige Gedicht „Stufen“ von Herrmann Hesse anführen, von dem ich mich sehr angesprochen fühle. Ich wünsche allen, die das hier lesen ein wunderbares neues Jahr, besonders Gesundheit und jeden Tag ein Lächeln. Ich bin neugierig auf 2017, es darf ein bisschen ruhiger als 2016 sein … aber wenn ich ehrlich bin … ich kenne mich und meine Ideen … es wird nie langweilig werden! 😃 Vielleicht gibt’s 2017 dann eine Headline … seid herzlich gegrüßt!

Stufen

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf‘ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden…
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

Hermann Hesse

Hühnchen, Möhrchen, Tiger und Co.

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34,4 Millionen Haustiere gab es laut statistika.com im Jahr 2015 in deutschen Haushalten, untergliedert in Katzen, Kleintiere, Hunde, Ziervögel, Gartenteiche, Aquarien und Terrarien. Eine Studie der Uni Göttingen von Prof. Dr. Renate Ohr aus dem Jahr 2014 zum „Wirtschaftsfaktor Heimtierhaltung“ gibt an, dass „Deutschlands Heimtierhaltung insgesamt einen jährlichen Umsatz von über 9,1 Mrd. Euro mit ca. 185.000 – 200.000 Arbeitsplätzen bewirkt“. Enorme Zahlen, die viel Raum für Interpretationen lassen und doch nichts über den wirklichen Wert und die Wirkung eines Haustieres aussagen. Jedes dieser 34,4 Millionen Haustiere ist für seinen Besitzer einzigartig – emotionale Ladestation, Entspannungsfaktor, Quelle persönlicher Liebe und Zuneigung, oft Schutz vor Vereinsamung. Rational ist jedem klar, dass diese Tiere eine kurze Lebenszeit haben, doch wenn sie sich verabschieden ist die Trauer groß. So wie bei uns – wir mussten uns nach 15 Jahren von unserem Tiger trennen. Ich bin eigentlich kein Katzenmensch, Hunde liegen mir eher. An diese Katze denke ich jedoch gerne zurück. Sie hat uns so viele Jahre begleitet und meine Kinder sind mit ihr aufgewachsen. Sie war besonders – dreifarbig, also eine Glückskatze, und hat nach ihren Regeln bei uns gelebt.

Ich selber bin mit Haustieren aufgewachsen. Das erste war eine Schildkröte, Mohammed, die meine Eltern damals noch legal aus Marokko mitgebracht hatten. Da wir oft zelteten, hatte mein Vater ihr ein Loch in den Panzer gebohrt und so konnte sie immer mitkommen, weil eine Nylonschnur das Weglaufen verhinderte. Das zweite Tier war ein Hund, der Boxer XuXu, den wir von Portugal mit nach Deutschland brachten. Ich habe das Bild noch vor Augen, als der Hund das erste mal mit Schnee in Kontakt kam. Der Schnee lag über Nacht einen Meter hoch im unserem Hof und der Hund tobte so sehr darin, dass man nur hin und wieder die spitzen Ohren sah. Der zweite Hund kam mit 9 Monaten in unser Haus, Afra von der Neusiedlung, ein irischer Setter mit dem wir aufwuchsen. Sie sollte als Jagdhund dienen, jagte aber lieber selber als dem Jäger sein Handwerk zu überlassen und wurde Familienhund. Sie wurde 16 Jahre alt und hatte zwei Würfe mit ihrer großen Liebe aus der Nachbarschaft, einem langhaarigen Schäferhund.

Afra musste viele andere Haustiere dulden. Bei uns zuhause mit fünf Kindern waren oft Tiere, die gerettet werden mussten. Die waren natürlich nur kurz da, sofern mein Vater entschied, dass man sie retten konnte – sonst waren sie noch kürzer da. Ich hatte einmal zwei Hamster, an denen ich aber die Lust verlor als mich beide gleichzeitig in beide Daumen bissen. Meinen Daumen brauchte ich noch selber. Bei den Geschwistern blieb der Nymphensittich Hühnchen, die Zebrafinken und Fische in Erinnerung. Der jüngste Bruder kann die Graugans „Gertrud“ im Lebenslauf erwähnen und verzeiht uns bis heute nicht die Witze, die wir mit Kochtöpfen in Bezug zu ihr machten. Und obwohl mein Vater keine Katzen mochte, kam irgendwann doch eine ins Haus. An das schwarz-weiße Flöhchen erinnere ich mich noch, weil sie nichts schöner fand als die nackten Füße eben des Vaters zu jagen.

Später kamen sogar Hühner dazu. Als meine ältere Schwester in Belgien heiratete, schenke unser Onkel ihr einen Schnellkochtopf – lebendes Huhn inklusive. Ein Huhn allein geht aber nicht und da mein Vater wundersamer Weise es nicht übers Herz brachte dieses eine Huhn zu schlachten, zudem ein Hühnerhaus vorhanden war, kauften wir auf dem Sonntagsmarkt in Mons halt sechs Küken dazu. Pech war, dass alle sechs Küken wunderschöne Hähne wurden. Da war wirklich was los im Hof und so konnte nur ein Hahn übrig bleiben. Andere Hühner kam hinzu und meine Mutter konnte immer über einen guten Vorrat an frischen Eiern verfügen.

Wir bekamen also reichlich Erfahrung mit Tieren, einschließlich Jagdtieren. Der Vater war Hobbyjäger und der Ansicht, dass wir Kinder wissen mussten, wie man einem Kaninchen das Fell über die Ohren zieht. Es könnte ja sein, dass wir einmal dadurch überleben mussten. In meinem Fall eine einmalige Erfahrung. Überhaupt mochte ich die erjagten Tiere nicht, da zum einen immer tot und wer zum anderen einmal ein Fasanbeinchen versucht hat zu essen, das mit Bleikugeln gespickt war, den Geschmack daran verliert. Für drei Tage hatten wir zwei Karpfen. Die schwammen in der Badewanne und wurden viel von uns gestreichelt. Nur war irgendwann die Wanne leer und die Karpfen auf dem Tisch – wir Kinder verweigerten. Als wir älter waren stank es irgendwann fürchterlich aus dem Keller. Nach sehr langer Ursachensuche wurde klar, dass Mohammed aus Marokko den Winter nicht überlebt hatte. Sie überwinterte immer im Kohlenkeller und mein Vater hatte dort einen Schrank abgebeizt. Die Dämpfe haben ihr bis dahin langes Leben beendet. Schade, denn sie war schon stattlich groß und hübsch.

Zuhause ausgezogen, versuchte auch ich es kurz mit Zebrafinken. Danach lebte ich viele Jahre ohne Haustier und heiratete einen Mann, der sogar ganz ohne Tiere aufgewachsen war. Das änderte sich erst wieder mit den eigenen Kindern. Die Kleinste hatte Angst vor Tieren überhaupt und war das einzige Kind in der Welt, dem man mit einem Zoobesuch keine Freude machen konnte. Die Tochter aus erster Ehe meines Mannes beschloss künftig ebenso bei uns zu leben und sie war Katzen bei der Mutter gewohnt. So erkämpfte ich gegen den hartnäckigen Widerstand meines Mannes, die Zustimmung für eine Katze – aus psychologischen Gründen natürlich. Aus der ersten einen Katze wurden zwei, denn die Schwester des zugesagten Katers hatte auch noch kein Zuhause. Zwei Katzen sind ja einfacher zu halten als eine. Tiger (dreifarbig) und Puma (schwarz) wohnten von nun an bei uns. Mit den beiden sind meine Kinder aufgewachsen und mit ihnen haben wir wirklich viel erlebt. Die Tierphobie der Kleinsten war schnell überwunden und ich habe immer gestaunt, was ein Tier alles mitmacht, wenn es von kleinen Mädchen als Puppenersatz bespielt wird. Jedenfalls kam es oft vor, dass zur Futterzeit eine Katze ganz lässig mit T-Shirt gekleidet zu mir in die Küche kam.

Meinen Kampf, dass kein Tier in ein Bett gehört habe ich offiziell gewonnen. Inoffiziell möchte ich nicht wissen, wie oft sie in unseren Federn lagen, wenn ich nicht da war. Erwischt habe ich einmal unter weißer Tagesdecke eine schwarze Schwanzspitze und sie dann flitzen sehen. Auch der Gatte gewöhnte sich an die beiden und die tierliebe Nachbarin übernahm immer den Dienst, wenn wir verreisten. Nur die Sache mit den Geschenken der Katzen konnten wir zwischen uns nie befriedigend klären, wollte sich doch bei mir keine Dankbarkeit für tote Mäuse oder Vögel einstellen. Zu den Katzen kam ein Hund. Den hatten wir der Schwiegermutter als Welpe geschenkt und sie liebte ihn sehr. Eddi, der Golden Retriever, schlich sich in unsere Herzen. So sehr meine Schwiegermutter ihn aber auch liebte, vergaß sie, dass man so einen Hund erziehen muss. Eines Tages war er groß, pubertär, der Chef im Haus und nicht mehr zu halten. Weggeben ging nicht – der Kinder wegen und so blieb nur, ihn zu uns zu holen. Die Katzen waren nicht begeistert, der Gatte auch nicht, wobei letzterer ihn ja schon sehr mochte. Die Katzen verpassten ihm rechts-links Kombinationen und machten ziemlich schnell deutlich in welchem Radius sich Eddi um sie herum bewegen durfte.

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Eddi und ich haben im ersten halben Jahr sehr darum gerungen, wer von uns beiden Chef im Haus ist. Nach einem Biss, an dem ich selber Schuld war, waren wir beide Blutsbrüder und ich seit dem sein Chef. Trotzdem haben wir noch weitere zwei Jahre viel Zeit mit dem Hundetrainer verbracht. Nicht, weil der Hund nichts kapierte, sondern weil es Spaß machte. Der Puma musste nach einem Unfall vor ein paar Jahren gehen, was sehr hart für die Kinder war. Tiger und Eddi wurden nun gemeinsam älter, und in den letzten ein/zwei Jahren näherten sie sich sogar an. Bei Gewitter war es durchaus möglich, dass sie beide zusammen lagen und pünktlich um 18.00 Uhr war Zeit für friedliche Koexistenz in der Küche. Tiger fraß, Eddi fraß auch und wartete immer bis die Katze satt war und wegging … um dann nach eventuellen Katzenfutter-Resten zu schauen.

Jetzt musste auch der Tiger gehen. Ein Tumor hat seit Ende besiegelt und da kein Tier unnötig leiden sollte, durfte sie friedlich in unseren Armen bei der Tierärztin einschlafen. Was ich vorher nicht für möglich gehalten hätte: Der Tiger sollte im Garten begraben werden, wo auch der Bruder liegt. Wir nahmen die tote Katze mit nach Hause und ich legte sie auf die Terrasse in einer Decke eingeschlagen. Während mein Mann das Loch grub, kam der Hund und leckte die Katze immer wieder ab um sie aufzuwecken. In dieser Nacht war er nicht dazu zu bewegen ins Haus zu kommen, sondern legte sich neben das Grab und passte bei der Katze auf. Er hatte eine Freundin verloren, was man ihm mehrere Tage anmerkte. Meine Kinder trauerten ebenso, die Große auf ihre Weise, die Jüngere sehr heftig. Auch wir Eltern empfinden eine gewisse Wehmut, können mit den Unabänderlichkeiten der Dinge aber besser umgehen. Natürlich entstand sofort die Diskussion nach einer neuen Katze. Die Kinder sind aber beide in einem Alter, das viel Veränderungen in den nächsten Jahren verspricht. Mein Mann und ich möchten keine Katze mehr … der Hund wird sicherlich nicht der letzte sein.

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Ich bin allen Tieren dankbar, die meinen Weg begleitet haben. Besonders diesen beiden Katzen für das was sie uns, besonders meinen Kindern, gegeben haben. Aber – es sind Tiere, die nicht vermenschlicht werden sollten. Trotzdem sind es fühlende Wesen, die in der Lange sind, Stimmungen des Menschen aufzunehmen, bei Krankheiten helfen, trösten und Lachen erzeugen können. Sie können Kindern Verantwortung beibringen, Selbstbewusstsein schenken, Einsamkeit zunichte machen, können Freund sein, Liebe erwidern und vieles andere mehr. Sie geben uns Menschen echte Gefühle und Zuneigung. Natürlich bezweifele ich, ob der Fisch im Aquarium oder die Echse im Terrarium mir das geben kann, wozu mein Hund in der Lage ist, aber vielleicht verstehe ich nur nicht, wie Fisch und Echse Zuneigung und Treue vermitteln. Ich denke aber, dass jedes dieser 34,4 Millionen Haustiere seine Berechtigung hat und einen Platz in einem Herzen.

Heimat – Heimweh – Hoffnung!

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Als ich mich auf den Weg machte und zur Halle gefahren bin, war ich sehr nachdenklich. Einerseits freute ich mich sehr, dass ich es umsetzen kann. Andererseits war ich nun skeptisch und zweifelte, ob es tatsächlich eine gute Idee war. Eine neue Ausgabe der Stadtteilzeitung war in Vorbereitung und das Leitthema sollte „Heimat“ sein. Deshalb hatte ich überlegt, dass insbesondere die Menschen zu Wort kommen müssten, die ihre Heimat gerade verloren haben. Nun im Auto, so kurz bevor ich die Gelegenheit zum Gespräch bekommen sollte, fiel mir keine gute Anfangsfrage ein. Eine Anfangsfrage, die nicht befürchten ließe, dass die Gefragten gleich in Tränen ausbrechen würden oder ich gar keinen finde, der bereit ist über dieses für Geflüchtete heikle Thema zu sprechen. Die Halle, eine Notunterkunft unter Trägerschaft des Stadtteilzentrums Steglitz e.V., kannte ich sehr gut, weil ich meine Kinder hier oft beim Training beobachtet hatte. Jetzt war ich gespannt, was mich erwartete und musste es auf mich zukommen lassen – nicht ohne Vorbehalte, ob das Ergebnis mich nicht zu sehr erschüttern würde.

Sehr korrekt wurde ich am Eingang von der Security gefragt, was oder zu wem ich wolle und wurde zum richtigen Raum geschickt. Mein Kollege Max Krieger, der Projektleiter der Halle, war noch in einem Gespräch, hatte aber bald Zeit für mich. Ich hatte ihm im Vorfeld gesagt, was ich vor hatte und seine entspannte Art beruhigte mich jetzt doch etwas. Wir machten einen Rundgang durch die Halle, die durch Planen in drei Teilbereiche unterteilt ist. Er zeigte mir die verschiedenen Bereiche, die Essensausgabe, den vorderen Bereich in dem unbegleitete Männer wohnen, den mittleren Bereich für Männer und Frauen und den hinteren Bereich in dem Familien gemeinsam untergebracht sind. In jedem Bereich saßen Männer und Frau zusammen, Gespräche, verschiedene Sprachen und auch viel Lachen war zu hören. Überall standen die „Bettenburgen“ – Doppelbetten, einzeln oder zusammen, mit Decken und Tüchern abgehangen, um so wenigstens ein Minimum an Intimität zu erreichen. Dazwischen überall Menschen an Tischen und Stühlen, die insgesamt das Gefühl vermittelten, dass hier eine gute Stimmung herrscht. Max zeigte mir den eigentlichen Geräteraum, der nun so gut umfunktioniert ist, dass er in eine Kita passen würde. Überall steht sortiertes und aufgeräumtes Spielzeug, gemalte Kinderbilder hängen an den Wänden. Der Raum vermittelt erfolgreich, dass hier sehr auf die kleinen Gäste der Halle geachtet wird.

Als der Rundgang beendet war, grübelte Max, da die Leute, die er sich für ein Gespräch vorgestellt hatte, derzeit nicht in der Halle waren. Ihm fiel jedoch ein, dass wir an einem Tisch vorbeigekommen waren, an dem eine ehrenamtliche Helferin mit einer Familie saß. Dort gingen wir hin und nach einer kurzen Erklärung konnte ich mich dazu setzen. Spielerisch sollte hier etwas Ablenkung verschafft und natürlich auch das deutsche Gespräch geübt werden. Die Helferin hatte einmal einen persischen Freund und konnte dadurch etwas die Sprache sprechen. Zuerst wurde mein Vorhaben erklärt, was sofort auf freundliche Zustimmung stieß. Dann lies ich mir die Familie vorstellen. Bei mir saßen die Mutter Ayeche, die insgesamt acht Kinder hat. Neben ihr die jüngste Tochter Hajar mit 18 Jahren. Ihnen gegenüber saß der 19-jährige Bruder Arvin. Neben Hajar saß ihre Schwägerin Arizuu und der Bruder Firooz. Die Unterhaltung für sich selbst, lässt mich im Nachhinein schmunzeln, hatten wir doch keinen „richtigen“ Dolmetscher bei uns, aber man findet einen Weg. Mit Gesten, Teilen aus Deutsch, Englisch und Farsi, mit Bildwörterbüchern, Heften voll mit Worten in Deutsch und Farsi „erarbeiteten“ wir uns jede Frage und Antwort dazu.

Die Familie kommt aus Afghanistan, aber ein Leben sei dort unter den Taliban nicht mehr möglich gewesen. So sind sie illegal in den Iran geflüchtet. Derzeit leben circa 1 Million offiziell anerkannte und 1,5 bis 2 Millionen illegale afghanische Flüchtlinge im Iran. Auch im Iran konnte die Familie illegal nur unter sehr schweren Bedingungen leben. Es gab keine Arbeit, keine Möglichkeit des Schulbesuchs oder irgendwelche Hoffnungen auf künftig stabile Lebensbedingungen. Hinzu kam, dass der Sohn Firooz die Iranerin Arizuu heiratete. Eine Ehe, die weder im Land Iran noch von Arizuu’s eigener Familie anerkannt wurde. Firooz und seine Familie gehört den Schiiten an, Arizuu zu den Sunniten. Arizuu war vor der Ehe Studentin für Ingenieurwesen Natur und natürliche Ressourcen, was sie aufgeben musste und somit ebenfalls keine Aussicht auf Arbeit hatte. Die Verhältnisse zwangen die Familie auch den Iran zu verlassen und sich auf den langen Weg zu machen. Über die Türkei mit dem Boot nach Griechenland, über den Balkan und Österreich nach Deutschland. Arvin zeigt mir Fotos auf seinem Handy, die die Familie in Verschlägen auf dem Boden schlafend zeigt. Unter freiem Himmel oder Wäldern haben sie geschlafen, 25 Stunden Märsche über Berge mit der alten Mutter hinter sich gebracht, unglaubliche Angst im Boot ausgestanden, weil keiner von ihnen schwimmen kann. Die Menschen, denen sie auf ihrem Weg begegneten, waren in der Mehrzahl freundlich, aber auch sie mussten einen Überfall mit geladenen Waffen und dem Raub ihrer Habseligkeiten ertragen und ebenso die Schikanen von türkischen Polizeimännern erdulden. Es ist kaum vorstellbar, wenn man sich die Karte Europas vor Augen führt, welchen gefahrvollen Weg sie auf sich genommen haben und welcher Zwang dahinter stehen muss, alles aufzugeben, was man bisher hatte oder kannte.

Schließlich traute ich mich doch das Wort Heimat ins Gespräch zu bringen. Sie verstanden mich zuerst nicht, ein Wörterbuch übersetzt das Wort. „Ob sie in die Heimat zurück möchten“, hatte ich gefragt und bekam eher verständnislose Blicke. Arizuu erklärte mir, dass sie und Firooz nur eine Familie werden könnten, wenn sie hier leben dürften, andernfalls könne sie keine Kinder bekommen. Hajar erklärt mir, dass sie unbedingt studieren und Juristin werden möchte. Dazu muss man wissen, dass diese junge Frau, die nie in eine Schule gehen durfte, bestens lesen und schreiben kann. Das hat ihr der Bruder Arvin beigebracht, wenn er nach der Schule nach Hause kam. Arvin möchte schnell die deutsche Sprache lernen, Schulen besuchen und Arzt oder Computerfachmann werden. Firooz möchte unbedingt eine gute Arbeit. Ich verstehe in der Vehemenz mit der sie von ihren Hoffnungen und Plänen erzählen, dass sie ausschließlich eine Zukunft in diesem Land sehen. Das was hinter ihnen liegt, hat kein Heimatgefühl zu bieten, wurden sie dort überall abgelehnt. Ich fragte, ob sie Heimweh haben. Wieder verstanden sie mich nicht. Arvin sah im Wörterbuch nach und sagte laut das Wort in seiner Sprache. Es ist Ayeche, die Mutter, die sofort reagierte. Mit einem heftigen Kopfschütteln machte sie deutlich, dass Heimweh keinen Platz in ihr hat und alle Hoffnung in diesem Land liegen.

Als ich auf meinen Fotoapparat deutete, verschwanden sofort alle drei Frauen in ihrer Bettenburg. Es war klar, dass sie ihre Tücher richten möchten um gut auszusehen, auch die Brüder glätteten die Haare und schon standen alle fünf vor mir. So ein richtiges Lächeln war nicht zu schaffen und das Bild vermittelt nicht ganz die Freundlichkeit, die ich erleben durfte. Ein kleiner Junge im Rollstuhl kam vorbei und wollte auch ein Bild von sich. Ich mache das Foto, zeige es ihm und er probiert sofort, ob mein Fotoapparat „touch“ hat (also das Display interaktiv ist) – er grinste – ist es natürlich nicht. Ich bedankte und verabschiedete mich bei der ganzen Familie mit einem Handschlag. Ayeche drückte meine Hand besonders lange, legt die zweite Hand darüber. Es war, als ob sie mir sagen wollte, dass alles gut wird. Sie schaute mir lange in die Augen mit einem beruhigenden Blick. Ich war berührt.

Als ich mich auf dem Weg nach Hause machte, war ich wieder nachdenklich. Ich habe mich nicht getraut zu fragen, wo der Vater und die anderen Geschwister sind. Ich habe nur an der Oberfläche gekratzt. Wie erschütternd wäre ihre Geschichte, wenn sie alles, mit Dolmetscher, erzählen könnten. Bei all meinen Vorstellungen vor diesem Gespräch, hätte ich mir dieses Ergebnis nicht vorstellen können. Und doch ist es so logisch. Diese Menschen haben alles verloren, waren überall unerwünscht und haben nur noch die Zukunft. Es gibt keine Heimat, keinen Frieden, keine Erinnerungen in die sie zurück können. Es gibt für sie nur das Hier und Jetzt. Der Gedanke, kein Heimweh zu spüren, tut mir persönlich fast körperlich weh. Heimat bekommt in ihrem Sinne eine völlig andere Bedeutung. Es ist nicht der Platz, den ich gewählt habe, den ich kenne, den ich liebe – es ist der Platz, der mich leben lässt, annimmt, so wie ich bin, mich meinen Beitrag zum gemeinschaftlichen Leben leisten lässt. Ich hätte ihnen so gerne Hoffnung gegeben, hätte so gerne gesagt, es wird alles gut, und dass sie hier willkommen sind. Es ging nicht – ich wollte nicht lügen, weil ich nicht weiß, wie sich ihr Aufnahmeverfahren entwickeln wird – und fühle mich nicht gut dabei. Ich möchte meine Heimat so gerne mit diesen Menschen teilen, das fehlende Heimweh mit Zukunft ersetzen!

Leitartikel der Homepage des Stadtteilzentrum Steglitz e.V. vom 15. Februar 2016

Die Freiheit muss lebenswert sein …

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Sprachlosigkeit, Schock, Mitgefühl, Wut, Angst, Fassungslosigkeit, Trauer, Ohnmacht, Innehalten. Alles durcheinander. Suche nach Orientierung, suche nach Antworten und der eigenen Position. In Gedenken der Opfer! Ein schwerer Tag für alle – der Tag danach, dem viele weitere folgen werden, an denen wir Halt finden müssen – Hoffnung aufbauen und Stärke beweisen müssen. Trost suchen!

Die Antwort darf niemals Hass sein, nicht Gewalt und auch nicht Hetze.

Die Freiheit muss verteidigt werden, die freien Werte, freie Meinung, freie Lebensform … jeder auf seine Weise – jeden anderen achtend.

Leichte Worte … in meinem sicheren Haus … dennoch dürfen wir uns dem Terror nicht beugen, woher er auch immer kommen mag.

Die Freiheit muss lebenswert sein – für dich, den Fremden, den Freund, den Andersdenkenden, für mich … genug Worte!

Was ist „Alt“?

©photo5000-Fotolia.com

© photo 5000 – Fotolia.com

Wir saßen in einer fröhlichen Runde in einem Restaurant und waren mit verschiedenen Themen beschäftigt, die wir sehr spaßig durchsprachen. Bis die Frage aufkam, was eigentlich „Alt“ ist. Da wurden die Gesichter plötzlich ziemlich ernst. Wer fällt nun in das Muster, schienen die Gesichter zu fragen – die Altersspanne der Runde lag zwischen geschätzten Mitte 30 bis Anfang 60 – alle Jahrzehnte vertreten. Ich habe mal frech behauptet, dass „Alt“ eine Sache des Kopfes ist und relativ früh anfangen kann. Das, weil ich Menschen kenne, jünger als ich, die ich aber schon als sehr alt empfinde. Wirklich wissen tue ich nicht, wie sich Alter definiert. Wie komme ich dem also nun näher? Eine Definition muss her. Deshalb: Google ist mein Freund – ich gebe „definition alt“ ein (Google interessiert sich nicht für Groß- und Kleinschreibung) und bekomme 67.200.000 Einträge. Dafür habe ich keine Zeit. Also versuche ich mal aus dem Bauch raus das Thema zu beleuchten und meine „Altersweisheit“ zu Rate zu ziehen.

„Alt“ werden wir wohl immer nach der eigenen Jahreszahl, dem persönlichen Standpunkt und beruflichen Hintergrund definieren. Ich weiß noch genau, dass ich mit 18 Jahren meine Eltern als ganz schön alt empfand. Meine Mutter war damals 38 Jahre alt. Aus heutiger Sicht – mit 38 Jahren hatte ich gerade mal zwei kleine Kinder – ist 38 Jahre so richtig volle Kanne mittendrin. Mir war erst ziemlich spät klar, dass ich mit sehr jungen Eltern gesegnet war. Heute stehe ich manchmal da und denke bei manchen Leuten: „Die sind ja noch ganz schön jung.“ Das hat aber weniger mit ihrem Alter als eher mit ihrem Verhalten zu tun. Wenn sich mal wieder ein eigener Geburtstag nähert, staune ich tatsächlich darüber wie viele Jahre ich schon geschafft habe und mich trotzdem noch so jung fühlen kann. Wie jung es sich in meinem Kopf anfühlt, kann ja keiner von außen sehen. Zugegeben, manchmal stehe ich morgens auf und ohne Kaffee in der Hand, fühle ich mich mindestens 30 Jahre zu alt – manchmal. Zum Glück nicht oft – das überwiegende Morgens-Gefühl ist Neugierde auf den Tag – das fühlt sich ziemlich jung an.

Aus Sicht der Soziologie werde ich mir in Bezug auf das Alter wohl die Frage stellen, welche Rolle ich in der Gesellschaft erfülle. Bin ich noch in der Entwicklung oder am Anfang des Arbeitsprozesses, bin ich jung. Trage ich Verantwortung, im Beruf oder für Kinder/Familie, habe ich eine tragende Rolle, bin also im „besten“ Alter. Gebe ich Verantwortung ab, die Kinder wachsen aus dem Haus heraus, junge Kräfte wachsen im Arbeitsprozess nach, bin ich auf dem Weg ins Alter. Der Biologe schaut sich den Körper an und fragt nach dessen Leistungsfähigkeit oder beginnenden Abbauerscheinungen. Der Psychologe macht alles am Zustand der Psyche fest – ein sehr komplexer und umfassender Bereich.

Der beste Gradmesser für das eigene Alter ist wohl das Selbstempfinden, auch wenn das durch die Sicht der anderen empfindlich gestört werden oder manchmal sogar peinlich werden kann. Ich selbst empfinde mich also noch als ganz schön jung … bis im Bus ein netter junger Mann für mich aufsteht und fragt, ob ich mich setzen möchte. Zwischen Rührung (Er nimmt auf mich persönlich Rücksicht) und Entsetzen (Wie kommt der denn da drauf – als ob ich so aussehe), lehne ich natürlich dankend ab. Natürlich empfinde ich ein gewisses Alter, durch das ich mich aber noch lange nicht alt fühle, sondern es genießen kann. Ich weiß heute zum Beispiel, was ich nicht mehr will. Da gibt’s eine ganze Menge Sachen … habe ich alles ausprobiert – muss nicht mehr sein. Ich weiß, dass ich mich nicht mehr beweisen muss – vor anderen – vor mir selber schon, aber das ist eine andere Geschichte. Ich weiß, was ich unbedingt noch machen oder erleben möchte – das ziemlich bewusst und als Antriebsfeder. Und ich weiß, welche Menschen mir gut tun und welche nicht. Und tatsächlich bin ich auch auf dem Weg „Nein“ sagen zu lernen – dafür musste ich allerdings ganz schön alt werden. Also hängt alt sein eigentlich von der jeweiligen Sache und meiner Tagesform ab – aus meiner Sicht.

Der Körper freilich lässt unser Alter nicht leugnen. Ich bewundere Bilder von superfitten Senioren, die in Fitness-Studios locker mithalten können mit allen, die unter 25 Jahre alt sind. Aber das ist Werbung, die uns genauso ein falsches Bild vermitteln möchte, wie das der ständig superschlanken Frauen. Gehen wir in ein Bildarchiv und geben das Wort „Alt“ ein, strahlen uns zu 95 Prozent Bilder mit lachenden Alten an. Selbst auf Krankenhausbildern oder wo Omas gefüttert werden – die lachen alle. Eigentlich müsste das was richtig schönes sein, so wie die sich alle freuen. Tja, nur will keiner so alt sein. Die Realität sieht  dann doch anders aus und ich behaupte mal, dass derjenige ein Lügner ist, der mit 50 Jahren noch kein Zipperlein an sich entdeckt hat. Im Alter scheiden sich die Geister in diejenigen, die immer mehr und teurere Schönheitscremes brauchen und diejenigen, die tapfer jede Falte als Trophäe sammeln. In diejenigen, die heroisch zur kurzgeschorenen, offenen Frisur stehen, weil einfach keine Haare mehr da sind oder diejenigen, die jedes, aber auch jedes Haarwässerchen ausprobieren und Strähnchen hoch toupieren und pflegen. Es gibt definitiv keinen Jungbrunnen nach dem die Menschheit seit Jahrhunderten sucht – oder war’s der Gral? Na gut … vielleicht gibt’s dafür ja irgendwann einmal eine App.

Die Jugend und die Gesellschaft sind diejenigen, die uns erbarmungslos unsere Altersgrenzen aus ihrer Sicht aufzeigen. Wenn ich meine Kinder auffordere, dass sie mal wieder deutsch mit mir sprechen sollen, bedeutet das, ich verstehe ihre Jugendsprache nicht. Besonders allergisch reagiere ich auf: „Ey, alter!“ was so ziemlich einem konstanten Satzende bei ihnen gleich kommt. Sobald ich ein Wort in ihrer Sprache gelernt habe, kommt ein „Mama, das ist peinlich.“ Pfff … was denn nun? Fangen wir „Alten“ an „chillen“ in unseren Wortschatz aufzunehmen, sagt das schon kein Jugendlicher unter 20 mehr. Man will sich ja abgrenzen … Tja, und die Gesellschaft – die ist nicht viel besser als die Jugendlichen – die grenzt uns Ältere ab. Ich lese von Angeboten „50+“, Senioren-Bonus-Heften, Seniorenresidenz, Freizeit-Angebote speziell am Vormittag … Die Wirtschaft hat uns als zahlungskräftiges Potential – allerdings nur im Freizeit- und Pflegebereich entdeckt. Hallo? Und seien wir ehrlich, ab dem gesegneten Alter von 40 Jahren müssen wir bei einem Wechsel der Arbeitsstelle entweder verbeamtet sein, in irgendeinem Aufsichtsrat sitzen und Millionen verdienen oder mindestens eine wichtige Fähigkeit haben, damit das klappt. Das Potential und die Erfahrung der Normalbürger zu nutzen, hat unsere Wirtschaft noch nicht verstanden. Normalbürger schicken wir lieber in Rente, sonst werden sie zu teuer und Rente zahlen ja unsere Kinder – wie auch immer sie das einmal machen werden.

Bei allen Überlegungen über das Alter komme ich zu der Überzeugung, dass ich dennoch eines nicht will: Noch einmal Jung sein und alle Erfahrungen, die ich heute habe, noch einmal machen müssen. So wie es ist, ist es auch gut. Ich fühle mich im „besten“ Alter, aller Zipperlein und schönen Erinnerungen zum Trotz. Alt sein bleibt für mich eine Frage des Kopfes. Wenn ich den Kopf kein Futter mehr gebe, wird das auch nix mit der fitten Alten. Krampfhaft jung bleiben wollen funktioniert nicht. Wenn ich aufgebe – mich für nichts mehr interessiere – mich von nichts mehr begeistern lasse und nur noch von negativen Dingen beeinflussen lasse. Wenn ich mich über die Jugend aufrege und früher alles viel besser fand – wenn ich jeden Tag damit beschäftigt bin, mir selber leid zu tun und die Schuld meines Dilemmas bei anderen vorgeschobenen Dingen suche – dann bin ich alt. Möge dieser Tag nie kommen! Und wenn mich andere als alt empfinden, dann möchte ich die Persönlichkeit haben, das mit Würde – und ganz  besonders mit Humor – zu tragen und hoffe, dass meine Erfahrungen für Jüngere zum Nutzen sind. Alt werden kann ziemlich entspannend, schön und lustig sein. Alt sein – auch!
 

In Freundschaft …

Foto: ©-Ciaobucarest-Fotolia.com

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Sie hat mich am frühen Abend abgeholt. Zusammen sind wir eine große Kanalrunde gelaufen und als der Hund glaubte, jetzt geht’s nach Hause, sind wir einfach umgedreht und die gleiche Runde noch einmal gelaufen. Dann ging es aber immer noch nicht nach Hause. Eine Parkbank kam uns gerade recht, auf die wir uns setzten und weiter erzählten … erzählten, erzählten und weiter erzählten. Wir hatten uns lange nicht gesehen, zwischenzeitlich viel erlebt und mussten nun das alles austauschen, besprechen und beratschlagen – auf einer Ebene und mit einer Nähe, die ich nur bei wenigen Menschen zulasse. Ich war mit meiner Freundin unterwegs und als ich wieder zuhause war, vollkommen zufrieden, besänftigt, bestätigt und ruhig – eine Gefühlsmischung, die man eben nur bei der Freundin erlebt.

Ich habe immer Probleme damit „meine Freundin“ oder „meine beste Freundin“ zu sagen. Denn sie ist ja nicht „meine“, sie ist „eine“ Freundin, aber eben eine ganz besondere. Es ist eine sehr alte und vertraute Freundschaft, die unabhängig von Zeit und Ort immer weiter besteht und sich durch die Jahre entwickelt und verändert hat. Diese Freundschaft ist immer ein paar Monate älter als unsere älteren Kinder. Wir waren damals beide Neulinge in Berlin und schwanger. Durch die Schwangerschaftsgymnastik und einen Geburtsvorbereitungskurs haben wir uns und unsere Männer kennengelernt und es passte einfach. Neu in Berlin und schwanger ist eine gute Mischung um noch mehr Mütter kennenzulernen. So kamen wir gemeinsam in der PEKiP-Gruppe an und erlebten stundenlange Spaziergänge mit den Kinderwagen, bei denen wir uns austauschen konnten und Junge-Mütter-Geschichten debattierten. Die Schwangerschaft der Zweigeborenen erlebten wir fast gleichzeitig und auch den ersten Kindergarten besuchten unsere Kinder gemeinsam. Das trennte sich eine Weile, bis sich unsere größeren Kinder in der ersten Klasse wieder trafen. So ging es immer weiter. Mit der Zeit fingen wir beide wieder an zu arbeiten und im letzten Jahr besuchten wir den gleichen Abiturball unserer Kinder. Wir verabreden uns schon lange nicht mehr, damit die Kinder miteinander spielen können. Daran mussten sich zeitweilig auch die Kinder gewöhnen, dass sich die Mütter verabreden einfach um ihrer selbst willen. Nur sehen wir uns heute seltener, jeder hat seine Kreise, seine Arbeit, unterschiedliche Interesse.

Es ist eine Freundschaft, die alles erfüllt, was ich mir von Freundschaft erhoffe. Das Vertrauen, mich öffnen zu können. Den Respekt, in meiner Situation verstanden zu werden. Die Sicherheit, eine ehrlich und keine gefällige Meinung zu hören. Die Verschwiegenheit, sehr persönliche Dinge erzählen zu können und das Gefühl in Freude wie auch Schmerz aufgehoben zu sein. Wenn wir merken, dass es dem anderen nicht gut geht, können wir fragen und helfen. Wenn einer von beiden etwas sehr Schönes erlebt, die Freude vorbehaltlos teilen. Das alles – es sind ja hohe Ansprüche – ohne das Empfinden gefangen oder verpflichtet zu sein und ohne Erwartung.

Das ist die eine Freundschaft, die in dieser Form nur funktionieren kann, weil sie frei ist. Frei von Absolutheitsansprüchen und frei von Eifersucht. Wir haben beide viele andere Freundschaften, die mit unserer nichts zu tun haben. Ich pflege einige andere Freundschaften, die einen völlig andern Stellenwert und Inhalt haben. Jeder Freund, jede Freundin belegt einen anderen Platz in mir und erfüllt ein anderes Bedürfnis. Keine von ihnen ist mehr oder weniger Wert als die andere. Es gibt Freunde, mit denen ich philosophieren kann, Freunde für Unternehmungen, Freunde aus meinem Arbeitskreis, Freunde durch die Familie, Freundschaften durch den Hund, alte Schulfreundschaften, Brieffreundschaften, ganz alte Wegbegleiter, Freundschaften, die sich über Gefühl definieren, durch gemeinsame Hobbies, durch Sport oder sonst welche Umstände. Jede davon ist mir gleich wichtig und wertvoll. Aber doch ist es nur eine Handvoll, die sehr innig, beständig, zeitlos und wertfrei – eben so, wie diese besondere Freundschaft, sind.

Neben den Freundschaften gibt es das Heer von Bekanntschaften. Auch die sind mir wertvoll und ich freue mich über Jeden, dem ich begegne, mit dem ich etwas erlebt oder eine Gemeinsamkeit habe. Jedes freundliche Lächeln, wenn man sich begegnet und grüßt, ein paar Worte tauschen kann. Unter den Bekanntschaften sind viele Menschen, die ich so interessant finde, dass ich es schade finde nicht mehr Zeit zu haben um sich intensiver kennenlernen zu können. Es gibt so spannende Menschen.

Den Umgang mit Freundschaften muss man erlernen. Es ist ein hartes Stück Arbeit, sie aufrecht zu erhalten und nach Bauchgefühl zu entscheiden, was richtig für die jeweilige ist. Ist es für Kinder und Jugendliche oft wichtig viele Freunde zu haben, lernt man mit der Zeit, dass nicht die Anzahl sondern die Tiefe den Wert bestimmt. Und nicht unbedeutend ist der schöne Satz: „Sei der Freund, den du dir wünscht!“ … es gibt so schöne Zitat über Freundschaft. Freunde muss ich nicht unbedingt um mich haben. Sie geben mir Halt und es reicht, zu wissen, dass sie da sind und erreichbar wären, wenn ich sie bräuchte. Manchmal freue ich mich über einen Anruf, ein Bild oder eine Kleinigkeit – besonders aber hin und wieder über solche Aussichten wieder eine Runde am Kanal zu laufen und alles Erlebte vertraut zu tauschen.