Die Sache mit dem Klettergerüst

Foto: ©-Kara-Fotolia.com

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Ein bekanntes Beispiel für die Diskrepanz zwischen dem Wunsch einer Mutter, ihr Kind in Sicherheit zu wissen und dem Bewegungs- und Entdeckerdrang eines Kindes ist wohl das Klettergerüst. Kinder wollen es erobern, so hoch als möglich klettern und oben stolz beweisen, dass sie es geschafft haben. Die Mutter steht unten, beobachtet, muss sich schwer zusammenreißen, nicht wie ein jonglierender Tanzbär unter dem Kind herumzutanzen und die rettenden Arme aufzuhalten. Selbst den eingezogenen Zischlaut der Mutter, falls das Kind schwankt, sollte es nicht mitbekommen, um nicht das Gefühl zu bekommen, die Mutter zweifele an seinen Fähigkeiten. Kinder brauchen und wollen Sicherheit, die sich aber mit jedem Lebensjahr verändert und oft sehr von der Vorstellung der Eltern abweicht.

Wohl zu den schönsten Gefühlen in der Erziehung gehört der Moment, in dem Mutter oder Vater realisieren, dass das Kind Vertrauen, Zuneigung und Schutz beim Elternteil sucht. Besonders, wenn einem klar wird, dass diese Zuneigung, dieses Schutzbedürfnis, nur einem selbst gilt. Der Moment, wenn sich das erste Mal die Hand des Säuglings um die der Eltern schließt oder das Kind den Kopf vertrauensvoll auf der Schulter ablegt. Dieses Urvertrauen, das das Kind entgegenbringt ist so unglaublich schön und so schwer zu erschüttern – doch es verändert sich. Ist es beim Säugling noch sehr durch Nähe und Körperkontakt bestimmt, löst es sich immer weiter, erforscht und erobert seinen Lebenskreis. Eltern werden zur Zuflucht, wenn es in der Ferne nicht mehr stimmt. Je selbstständiger und selbstbewusster das Kind wird, desto weniger bedarf es den familiären Schutz. Desto größer werden seine Kreise, die für die Eltern immer schwerer zu kontrollieren sind.

Das Maß, wie stark der Schutz sein muss, den Kinder bedürfen, ist individuell und von Kind zu Kind unterschiedlich. Es gibt Kinder, die von Anfang an selbstbewusst, stark und neugierig durch ihre Erlebniswelt streifen, aber auch Kinder, die eher zögerlich und zurückhaltend sind. Genauso wie Eltern: Die einen, die Angst vor jeder Veränderung und Gefahr für das Kind haben oder Eltern, die es entspannt schaffen, das Kind seine Erfahrungen machen zu lassen. Für alle Kinder gilt, dass sie nur aus den Erfahrungen, die sie machen dürfen, lernen und ihr Verhalten entsprechend einstellen.

Kinder sind von Natur aus neugierig und möchten die Welt erfahren. So ist es durchaus sinnvoll, Schutzmaßnahmen zu treffen und vorausschauend die nähere Umgebung zu prüfen, was zur Gefahr werden könnte. Sind das beim Säugling im Krabbelalter noch herumliegende Kleinteile, muss beim laufenden Kind geprüft werden, wo es sich stoßen und verletzen könnte. Gefährliche Substanzen sollten immer gut bewahrt und offene Fenster oder Türen gesichert werden. Scharfe Gegenstände gehören ebenso nicht unbeobachtet in Kinderhände, da gilt nach wie vor der alte Spruch: „Messer, Gabel, Schere, Licht, ist für kleine Kinder nicht!“ Wer Kinder im Haus hat, sollte in allen Lebensbereichen gut prüfen, wo es nachhaltige Maßnahmen zu treffen gilt, die Unfälle vermeiden und so manchen Kummer ersparen.

Dennoch sollte man auch nicht übervorsichtig sein. Ein Kind, dass den Umgang mit Messer und Schere nicht lernt, ist eher in Gefahr, sich damit zu verletzen. Ein Kind, dass nie eine Kerze anzünden darf, wird früher oder später dem Reiz, es im Verborgenen zu tun, unterliegen. Besser als die schützende Glasglocke ist der altersentsprechende Lernprozess und das Gespräch über Gefahren. Dieser Lernprozess gilt auch für Bereiche außerhalb der Wohnstätte. Ein Kind, das nicht schwimmen kann, wird an einen Schwimmbadbesuch keinen Spaß haben. Ein Kind, das nicht lernt, wie man vernünftig einem Tier begegnet, baut Ängste auf, die es in Gefahr bringen. Gut ist, sich zu informieren, wo Kinder in allen Lebensbereichen lernen können und dürfen, und so immer bereichernde Erfahrungen machen.

Ist es in jüngeren Jahren eher der körperliche Schutz und Lernprozess, sind es mit dem Heranwachsen mehr die ideellen Erfahrungswerte. Kinder fangen mehr oder weniger im Alter von 10 Jahren an, sich für Handys und Internet zu interessieren. Verbieten bringt wenig. Sinn macht ein begleitetes Heranführen, was für viele Eltern heute einem gemeinsamen Lernen gleich kommt. Ein Kind muss heute lernen, wo sich Abofallen beim Handy verbergen; muss lernen, welche Gefahren das Internet mit sich bringt; muss wissen, was Datenweitergabe in Netzwerken bedeutet. Meist wird in der Grundschule mit Referaten begonnen, die im Internet recherchiert werden müssen, und wer kennt nicht die gute alte PowerPoint-Präsentation, die ein beliebtes Medium ist. Ein Computer muss ins Haus. Die Ausrede von Erziehungsberechtigten, selber keine Ahnung davon zu haben, hat heutzutage keinen Bestand mehr. Kinder müssen damit umgehen können, da heutzutage nahezu kein beruflicher Weg, geschweige denn viele private Angelegenheiten, ohne die digitale Technik auskommen. Hier kann man mit dem Kind lernen und Angebote nutzen, die vielfältig bereit stehen. Das wichtigste dabei bleibt jedoch, wie bei allen Erziehungsangelegenheiten, mit dem Kind im Gespräch zu bleiben. Nur dadurch kann man beobachten, herausfinden, was aktuell von Interesse ist und notfalls rechtzeitig eingreifen – im Idealfall. Welche Absprachen man trifft, welche Regeln gelten sollen, ist Individuell und familiärer Natur, muss aber immer wieder entsprechend des Kindesalters neu verhandelt werden.

So auch die Regeln, die den Ausgang betreffen und ganz besonders der Umgang mit Alkohol. Irgendwann, und da fasse sich bitte jeder an die eigene Nase, wird der Nachwuchs (wenn er es denn nicht heimlich tut) sein erstes Bier trinken. Hier mit Entsetzen, harten Strafen und Moralpredigten zu reagieren, macht wenig Sinn. Er/sie wird es wieder tun, dann aber erst recht heimlich. Es ist besonders in diesem Bezug wichtig, miteinander zu reden, mit Offenheit zu versuchen einen Weg zu finden, der Eltern und dem Kind entgegen kommt.

Einen ganz besonderen Aspekt der Sicherheit für ein Kind dürfen wir aber nie vergessen: Kinder brauchen Rückendeckung und Vertrauen. Wenn sie sich stets sicher sein können, dass das Zuhause ein Ort ist, der Unterstützung und Verständnis bietet, werden sie sich in der Welt freier und sicherer bewegen. Sicherheit bedeutet, erzählen dürfen ohne Angst zu haben verurteilt zu werden. Sicherheit bedeutet, so sein zu dürfen, wie man ist. Schwäche, Enttäuschung, Wut zeigen zu dürfen, ein offenes Ohr zu finden und im Gespräch Lösungen aufzuzeigen. Sie sind es wert und was Eltern an Zeit in die Erziehung und Sicherheit der Kinder investieren, zahlt sich später vielfach aus. Gute Eltern werden nicht geboren, auch das müssen sie lernen. Wenn wir dabei den Blick in die eigene Kindheit nicht vergessen, mit einem guten Bauchgefühl, viel Liebe und einer gewaltigen Portion Humor in die Erziehungsarbeit einsteigen, kommen wunderbare kleine Persönlichkeiten dabei heraus, auf die wir – berechtigt – stolz sein können. Kinder können ganz oben auf dem gedachten Klettergerüst stehen, wenn ihre Eltern den richtigen Balanceakt zwischen Sicherheit und Freiheit gemeistert haben!

zeit0515

Stadtteilzeitung Steglitz-ZehlendorfNr. 187 • Mai 2015

Was ist „Alt“?

©photo5000-Fotolia.com

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Wir saßen in einer fröhlichen Runde in einem Restaurant und waren mit verschiedenen Themen beschäftigt, die wir sehr spaßig durchsprachen. Bis die Frage aufkam, was eigentlich „Alt“ ist. Da wurden die Gesichter plötzlich ziemlich ernst. Wer fällt nun in das Muster, schienen die Gesichter zu fragen – die Altersspanne der Runde lag zwischen geschätzten Mitte 30 bis Anfang 60 – alle Jahrzehnte vertreten. Ich habe mal frech behauptet, dass „Alt“ eine Sache des Kopfes ist und relativ früh anfangen kann. Das, weil ich Menschen kenne, jünger als ich, die ich aber schon als sehr alt empfinde. Wirklich wissen tue ich nicht, wie sich Alter definiert. Wie komme ich dem also nun näher? Eine Definition muss her. Deshalb: Google ist mein Freund – ich gebe „definition alt“ ein (Google interessiert sich nicht für Groß- und Kleinschreibung) und bekomme 67.200.000 Einträge. Dafür habe ich keine Zeit. Also versuche ich mal aus dem Bauch raus das Thema zu beleuchten und meine „Altersweisheit“ zu Rate zu ziehen.

„Alt“ werden wir wohl immer nach der eigenen Jahreszahl, dem persönlichen Standpunkt und beruflichen Hintergrund definieren. Ich weiß noch genau, dass ich mit 18 Jahren meine Eltern als ganz schön alt empfand. Meine Mutter war damals 38 Jahre alt. Aus heutiger Sicht – mit 38 Jahren hatte ich gerade mal zwei kleine Kinder – ist 38 Jahre so richtig volle Kanne mittendrin. Mir war erst ziemlich spät klar, dass ich mit sehr jungen Eltern gesegnet war. Heute stehe ich manchmal da und denke bei manchen Leuten: „Die sind ja noch ganz schön jung.“ Das hat aber weniger mit ihrem Alter als eher mit ihrem Verhalten zu tun. Wenn sich mal wieder ein eigener Geburtstag nähert, staune ich tatsächlich darüber wie viele Jahre ich schon geschafft habe und mich trotzdem noch so jung fühlen kann. Wie jung es sich in meinem Kopf anfühlt, kann ja keiner von außen sehen. Zugegeben, manchmal stehe ich morgens auf und ohne Kaffee in der Hand, fühle ich mich mindestens 30 Jahre zu alt – manchmal. Zum Glück nicht oft – das überwiegende Morgens-Gefühl ist Neugierde auf den Tag – das fühlt sich ziemlich jung an.

Aus Sicht der Soziologie werde ich mir in Bezug auf das Alter wohl die Frage stellen, welche Rolle ich in der Gesellschaft erfülle. Bin ich noch in der Entwicklung oder am Anfang des Arbeitsprozesses, bin ich jung. Trage ich Verantwortung, im Beruf oder für Kinder/Familie, habe ich eine tragende Rolle, bin also im „besten“ Alter. Gebe ich Verantwortung ab, die Kinder wachsen aus dem Haus heraus, junge Kräfte wachsen im Arbeitsprozess nach, bin ich auf dem Weg ins Alter. Der Biologe schaut sich den Körper an und fragt nach dessen Leistungsfähigkeit oder beginnenden Abbauerscheinungen. Der Psychologe macht alles am Zustand der Psyche fest – ein sehr komplexer und umfassender Bereich.

Der beste Gradmesser für das eigene Alter ist wohl das Selbstempfinden, auch wenn das durch die Sicht der anderen empfindlich gestört werden oder manchmal sogar peinlich werden kann. Ich selbst empfinde mich also noch als ganz schön jung … bis im Bus ein netter junger Mann für mich aufsteht und fragt, ob ich mich setzen möchte. Zwischen Rührung (Er nimmt auf mich persönlich Rücksicht) und Entsetzen (Wie kommt der denn da drauf – als ob ich so aussehe), lehne ich natürlich dankend ab. Natürlich empfinde ich ein gewisses Alter, durch das ich mich aber noch lange nicht alt fühle, sondern es genießen kann. Ich weiß heute zum Beispiel, was ich nicht mehr will. Da gibt’s eine ganze Menge Sachen … habe ich alles ausprobiert – muss nicht mehr sein. Ich weiß, dass ich mich nicht mehr beweisen muss – vor anderen – vor mir selber schon, aber das ist eine andere Geschichte. Ich weiß, was ich unbedingt noch machen oder erleben möchte – das ziemlich bewusst und als Antriebsfeder. Und ich weiß, welche Menschen mir gut tun und welche nicht. Und tatsächlich bin ich auch auf dem Weg „Nein“ sagen zu lernen – dafür musste ich allerdings ganz schön alt werden. Also hängt alt sein eigentlich von der jeweiligen Sache und meiner Tagesform ab – aus meiner Sicht.

Der Körper freilich lässt unser Alter nicht leugnen. Ich bewundere Bilder von superfitten Senioren, die in Fitness-Studios locker mithalten können mit allen, die unter 25 Jahre alt sind. Aber das ist Werbung, die uns genauso ein falsches Bild vermitteln möchte, wie das der ständig superschlanken Frauen. Gehen wir in ein Bildarchiv und geben das Wort „Alt“ ein, strahlen uns zu 95 Prozent Bilder mit lachenden Alten an. Selbst auf Krankenhausbildern oder wo Omas gefüttert werden – die lachen alle. Eigentlich müsste das was richtig schönes sein, so wie die sich alle freuen. Tja, nur will keiner so alt sein. Die Realität sieht  dann doch anders aus und ich behaupte mal, dass derjenige ein Lügner ist, der mit 50 Jahren noch kein Zipperlein an sich entdeckt hat. Im Alter scheiden sich die Geister in diejenigen, die immer mehr und teurere Schönheitscremes brauchen und diejenigen, die tapfer jede Falte als Trophäe sammeln. In diejenigen, die heroisch zur kurzgeschorenen, offenen Frisur stehen, weil einfach keine Haare mehr da sind oder diejenigen, die jedes, aber auch jedes Haarwässerchen ausprobieren und Strähnchen hoch toupieren und pflegen. Es gibt definitiv keinen Jungbrunnen nach dem die Menschheit seit Jahrhunderten sucht – oder war’s der Gral? Na gut … vielleicht gibt’s dafür ja irgendwann einmal eine App.

Die Jugend und die Gesellschaft sind diejenigen, die uns erbarmungslos unsere Altersgrenzen aus ihrer Sicht aufzeigen. Wenn ich meine Kinder auffordere, dass sie mal wieder deutsch mit mir sprechen sollen, bedeutet das, ich verstehe ihre Jugendsprache nicht. Besonders allergisch reagiere ich auf: „Ey, alter!“ was so ziemlich einem konstanten Satzende bei ihnen gleich kommt. Sobald ich ein Wort in ihrer Sprache gelernt habe, kommt ein „Mama, das ist peinlich.“ Pfff … was denn nun? Fangen wir „Alten“ an „chillen“ in unseren Wortschatz aufzunehmen, sagt das schon kein Jugendlicher unter 20 mehr. Man will sich ja abgrenzen … Tja, und die Gesellschaft – die ist nicht viel besser als die Jugendlichen – die grenzt uns Ältere ab. Ich lese von Angeboten „50+“, Senioren-Bonus-Heften, Seniorenresidenz, Freizeit-Angebote speziell am Vormittag … Die Wirtschaft hat uns als zahlungskräftiges Potential – allerdings nur im Freizeit- und Pflegebereich entdeckt. Hallo? Und seien wir ehrlich, ab dem gesegneten Alter von 40 Jahren müssen wir bei einem Wechsel der Arbeitsstelle entweder verbeamtet sein, in irgendeinem Aufsichtsrat sitzen und Millionen verdienen oder mindestens eine wichtige Fähigkeit haben, damit das klappt. Das Potential und die Erfahrung der Normalbürger zu nutzen, hat unsere Wirtschaft noch nicht verstanden. Normalbürger schicken wir lieber in Rente, sonst werden sie zu teuer und Rente zahlen ja unsere Kinder – wie auch immer sie das einmal machen werden.

Bei allen Überlegungen über das Alter komme ich zu der Überzeugung, dass ich dennoch eines nicht will: Noch einmal Jung sein und alle Erfahrungen, die ich heute habe, noch einmal machen müssen. So wie es ist, ist es auch gut. Ich fühle mich im „besten“ Alter, aller Zipperlein und schönen Erinnerungen zum Trotz. Alt sein bleibt für mich eine Frage des Kopfes. Wenn ich den Kopf kein Futter mehr gebe, wird das auch nix mit der fitten Alten. Krampfhaft jung bleiben wollen funktioniert nicht. Wenn ich aufgebe – mich für nichts mehr interessiere – mich von nichts mehr begeistern lasse und nur noch von negativen Dingen beeinflussen lasse. Wenn ich mich über die Jugend aufrege und früher alles viel besser fand – wenn ich jeden Tag damit beschäftigt bin, mir selber leid zu tun und die Schuld meines Dilemmas bei anderen vorgeschobenen Dingen suche – dann bin ich alt. Möge dieser Tag nie kommen! Und wenn mich andere als alt empfinden, dann möchte ich die Persönlichkeit haben, das mit Würde – und ganz  besonders mit Humor – zu tragen und hoffe, dass meine Erfahrungen für Jüngere zum Nutzen sind. Alt werden kann ziemlich entspannend, schön und lustig sein. Alt sein – auch!