Geschichten erzählen und Transparenz schaffen

Öffentlichkeitsarbeit im Stadtteilzentrum Steglitz e.V.

Windows 95 kommt auf den Markt, der Krieg in Bosnien wird endlich beendet und Christo verpackt den Reichstag für zwei Wochen … 1995. Währenddessen sitzen ein paar Straßen weiter eine Handvoll Menschen in einem kleinen Büro. Sie wollen anfangen, die Welt zu verändern und gründen einen sozialen Verein. „Dienstleistungen für Menschen in Lankwitz“ bietet der Nachbarschaftsverein Lankwitz auf einem Din A5 Handzettel an, der Geschäftsführer hat seine erste Visitenkarte und eine Internetseite gab es auch sehr bald, das „Nachbarschaftsnetz“ …. http://www.lankwitz.de. Öffentlichkeitsarbeit war von der ersten Stunde dabei.

In den Wochen und Monaten nach der Vereinsgründung war Öffentlichkeitsarbeit, noch weit entfernt davon diesen Namen zu tragen, bittere Notwendigkeit. Der Kiez, die Nachbarn und der Bezirk mussten erst einmal erfahren, dass sich dort ein Verein gründete, der Gutes tun wollte. Die Glasfront des Büros wurde als Informations- + Werbefläche für Handzettel vermietet. Auch eine Nachbarschaftszeitung gab es in diesen frühen Tagen. Erst als Nachbarschaftsbote, der in Din A4 auf dem Kopierer vervielfältigt wurde. Später erschien die Zeitung als „Lankwitzer Zeitung“, die mit einer Auflage von 3000 Stück der Leserschaft wichtige Bezirks- und Vereinsnachrichten erzählen durfte. Auf einem ersten Briefumschlag wurde es konkreter, was man dort erwarten konnte: NachbarschaftsCafé, HandwerkerHilfe, FamilyManagement, Beratung zu Thema Arbeit … Männer- + Frauengruppen, Umweltfahrkartensharing, Internet-Schnupperkurse und vieles, vieles mehr. Entweder war es nach diesem Kuvert gleich ein Riesenverein oder die ersten Mitarbeiter*innen waren äußerst kreative Menschen, vielseitig und ideenvoll. Man neigt zu lächeln, wüssten wir nicht, was 25 Jahre später daraus geworden ist. Nicht genau diese Ideen hatten Bestand, aber weit ist das heutige Angebot nicht davon entfernt.

„Klappern gehört zum Handwerk“ ist ein geflügeltes Wort, dass beherzigt werden musste. Zum einen um bekannt zu werden, Teilnehmer*innen für Angebote, Gruppen und Kurse zu finden und schließlich auch Förderer von der Seriosität des Tuns zu überzeugen. Transparenz schafft Vertrauen, Vertrauen fördert wiederum Kooperationen und mit Kooperationen baut sich ein Netzwerk auf. Zwar gibt es das Internet, aber noch lange sind nicht alle Menschen damit verbunden. Analoge Werbung ist das richtige Mittel um die Jahrtausendwende. Zeitung, Handzettel, Plakate werden gestaltet und verteilt. Programmübersichten erstellt und ausgehängt. Es wird immer mehr, denn der Verein wird größer. Der Projektleiter des Nachbarschaftstreffs Lüdeckestraße macht die Öffentlichkeitsarbeit so nebenbei.

Von Januar bis März 2003 bieten drei Studentinnen der Medienakademie Cimdata ihre zweimonatige unentgeltliche Mitarbeit in Form einer Projektarbeit an. Nach diesen zwei Monaten hat der Verein ein eigenes Logo, eine neue Internetseite, Geschäftspapiere und passen ein neues Programmheft. Manches gab es früher schon, nun aber in einheitlicher modernerer Form. Ab April 2003 wurde die im Jahr vorher eingestellte Stadtteilzeitung wieder neu aufgelegt. Ab nun zweifarbig und in einer Auflage von 10.000 Exemplaren. Es bildete sich mit der Zeit ein Team ehrenamtlicher Redakteur*innen, die je nach Interessen aus dem Bezirk berichteten. Mit dem Wachsen des Vereins wurde die Notwendigkeit, gezieltere Öffentlichkeitsarbeit zu machen, dringlicher. Der Projektleiter, der es nebenher erledigte hatte, suchte neue Aufgaben und orientierte sich um. Ab 2008 gab es eine halbe Stelle, die nur für die Öffentlichkeitsarbeit und die Stadtteilzeitung zuständig war.

Social Media fängt an eine Rolle zu spielen. Zwar ist analoge Werbung noch im Vordergrund, aber es zeichnet sich ab, dass sich das ändern wird. Seit April 2009 wird ein twitter-Account geführt. Ab Dezember 2009 die Facebookseite des Stadtteilzentrums aufgebaut. Die Arbeit wird vielseitiger, weil Werbung analog und digital geführt werden muss. Was für Ältere noch spannendes Neuland ist, wird für die jüngere Generation normaler Bestandteil des Alltags. Längst sind Lexika in den Regalen verstaubt und das Internet die erste Informationsquelle geworden. Ganz besonders geprägt sind die Jahre um 2010 bis 2015 von einer relativ allgegenwärtigen Diskussion über die Etikette der Handynutzung. Auch die Arbeit innerhalb des Stadtteilzentrums ändert sich. Durch die Notwendigkeit der E-Mail-Flut Herr zu werden, wird ein Firmenaccount im internen Netzwerk Yammer eingerichtet. Ähnlich wie Facebook wird seither in Yammer informiert, berichtet, verabredet und abgesprochen. Die Digitalisierung von Dokumenten wird immer öfter Gesprächsthema.

2016 wird die Stadtteilzeitung Steglitz-Zehlendorf eingestellt. Als neues Format erscheint das Magazin „Im Mittelpunkt“. Dadurch wird es möglich, sich besser Themen aus der sozialen Arbeit zu nähern. Jedes Magazin hat ein Hauptthema, das aus verschiedensten Blickwinkeln betrachtet wird. Und auch das Magazin wird der digitalen Welt gerecht. Zur gedruckten Auflage wird ein eBook erstellt, dass das Lesen am Bildschirm möglich macht. Im gleichen Jahr übernimmt der Verein die StadtrandNachrichten, eine Onlinezeitung, die über alles berichtet, was für den Süden Berlins wichtig erscheint.

Neue Formate kommen digital hinzu, alte werden eingestellt. Es wird viel ausprobiert und versucht. Manche haben Bestand, andere wiederum passen nicht oder müssen der Zielgruppe angepasst werden. Instagram kommt als beständiger Kanal hinzu, Handzettel werden immer weniger, Plakate gibt es kaum noch. Die Werbewelt verändert sich – ständig. Große Veränderungen gab es 2020 durch die Pandemie. Nicht nur in der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit wurden Social Mediakanäle bespielt, auch die Einrichtungen bedienen passende Tools. Videokonferenzen gehören zum Alltag, beispielsweise bei Beratungen oder Runden Tischen und anderem.

Die Form der Öffentlichkeitsarbeit spielt im Grunde genommen keine Rolle. Der Kern des Anliegens ist heute der gleiche wie 1995, als das Stadtteilzentrum anfing zu arbeiten. Was damals nebenher erledigt wurde, bearbeiten heute drei Mitarbeiter*innen. Sie erzählen, was 240 Mitarbeiter*innen jeden Tag Gutes tun. Sie berichten den Menschen im Bezirk, was sie vom Stadtteilzentrum erwarten können, sie erzählen Geschichten, was in den Einrichtungen passiert und sie machen transparent, für welche Ziele und Visionen der Verein einsteht. Fördernde, wie  z.B.  Bezirks- und Landesverwaltungen,  aber auch private Spender*innen können jederzeit sehen, dass bereitgestellte Fördermittel für gute Arbeit und den von ihnen bestimmten Zweck eingesetzt werden. Es geht nicht nur um einen netten Einblick. Es geht um Vertrauen, das es braucht, um eben jeden Tag ein bisschen etwas für eine bessere Welt zu tun. Die Öffentlichkeitsarbeit ist dabei …

Ein Beitrag aus der Festschrift des Stadtteilzentrum Steglitz e.V., ein gemeinnütziger Verein für Soziale Arbeit, der sich seit 1995 im Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf engagiert.

Als eBook oder interaktives Pdf zum Herunterladen:
www.stadtteilzentrum-steglitz.de/ebook/25.Jahre.SzS.Festschrift.epub 
www.stadtteilzentrum-steglitz.de/ebook/25.Jahre.SzS.Festschrift.pdf

Redet drüber … Sucht!

Es ist fast wie eine alte Gewohnheit: Wenn ich in einer Zeitung oder in sozialen Netzwerken einen Artikel finde, der „Sucht“ zum Thema hat, muss ich ihn lesen. Ich lese diese Artikel immer sehr kritisch. Wenige schaffen es, mir neue Erkenntnisse aufzuzeigen, selten finde ich etwas, was mich fesselt und zu Ende lesen lässt. Kürzlich hat mich meine Schwester auf einen Bericht aufmerksam gemacht, der mich nicht nur sehr ansprach, sondern der sowohl meine Erfahrungen deckte, als auch einen anderen Weg im Umgang mit Sucht offenbarte. Die Headline des Beitrags im Business Insider Deutschland lautet: „Studie zeigt eine unbequeme Wahrheit über Sucht“. Der Beitrag beginnt mit dem Satz: „Das Wort Sucht – … – ist negativ konnotiert. Wir bezeichnen Sucht als eine Störung und Betroffenen wird von der Gesellschaft ein Problem zugesprochen.“

Die Gesellschaft jedoch ist, nach meiner Ansicht, ein großer Teil des Problems, wenn es bei uns um das Thema Sucht geht. Süchtige stehen außerhalb der Norm. Was nicht die Norm erfüllt, gehört geächtet. Die Form der Sucht spielt dabei keine Rolle. Sucht ist nicht gesellschaftsfähig. Wer süchtig ist, wird abschätzig betrachtet, möglichst totgeschwiegen, aus den eigenen Reihen verwiesen. Über Sucht wird nicht gesprochen, jedenfalls nicht öffentlich, weil es ja vermuten ließe, dass man selbst Betroffener ist, als Angehöriger oder Süchtiger. Betroffen sein bedeutet Schwäche, deutet auf ungelöste Probleme hin, falsche Erziehung und lässt Fehler in der Lebensführung oder im Miteinander vermuten. Zu gerne wird negiert, dass es einen selbst treffen könnte. Zu gerne vergessen, dass Sucht keinen sozialen Status kennt und zu gerne übersehen, dass Sucht überall in unserer Gesellschaft präsent ist.

Ich bin betroffen und damit auch meine Familie. Ich könnte auch sagen „Ich war betroffen“, aber auch dafür hat die Gesellschaft eine Form gefunden, die mich sozusagen lebenslang „ächtet“. Ich bin, wenn es nach der Gesellschaft geht, eine „trockene Alkoholikerin“. Ich verabscheue den Begriff, denn ich bin weder „trocken“, noch „Alkoholikerin“. Ich habe vor 20 Jahren geschafft, meinem Leben die entscheidende Wende zu geben und für mich beschlossen, das Alkohol keine Rolle mehr in meiner Lebensführung spielen wird. Den Entschluss fasste ich selber, den nötigen Rückhalt dafür gab mir meine Familie und mein Freundeskreis. Wer jetzt erwartet, dass ich hier von dem Grauen der Sucht und dem elendigen Weg daraus erzähle, braucht nicht weiterlesen. Das werde ich nicht tun, denn seither ist jeder Tag für mich besser gewesen als die Tage davor. Ich genieße mein Leben, ich lebe bewusst und bin die Summe dessen, was ich erlebt habe, wozu auch sehr düstere Tage gehören. Aber ich bin nicht bereit, ein lebenslanges Stigma zu tragen, nur weil unsere Gesellschaft Sucht nicht offen bespricht. Jeder anderen Krankheit wird mit Betroffenheit begegnet, aber Sucht nicht als Krankheit anerkannt, sondern als Makel empfunden.

Natürlich gab es Gründe für meine Sucht, trotz dessen, dass ich eine glückliche Kindheit und eine große Familie hatte und habe. Nur spielt es hier keine Rolle, welche Gründe dazu führten, die vielfältigster Art sein können. Ich kann nur versichern, dass es tatsächlich jeden treffen kann, sei man sich auch noch so sicher gefeit zu sein. Entscheidend, wenn man denn in die „Falle“ getappt ist, ist die eigene Erkenntnis und der Wille sich zu befreien. Das passiert im Kopf und so bezeichne ich es immer als „Kopfsache“. Die körperlichen Symptome bekommt man je nach Substanz recht schnell in den Griff. Viel schwieriger ist es, den eigenen Geist zu überzeugen, dass das Ende der Sucht als lebensrettender Entschluss zu sehen ist. Wir verlieren nichts, sondern können nur gewinnen!

Ich fasste meinen Entschluss vor 20 Jahren auf dem Weg in ein Krankenhaus. Im Zuge der anschließenden Therapie wurden Patienten verpflichtet die verschiedenen Gruppen kennenzulernen, die Alkoholsucht zum Thema hatten. So saß ich an einem Abend in einem recht dunklen Raum, in dem die Gruppenmitglieder um einen Tisch saßen. Es waren die Anonymen Alkoholiker, bei deren Begrüßungsritual jeder Teilnehmer sagt: „Ich heiße Soundso, bin seit … anonymer Alkoholiker …“ und fügt dann noch ein/zwei Sätze zur aktuellen Verfassung an.  Irgendwann war Ingrid an der Reihe und sagte: „Ich heiße Ingrid, ich bin seit 7 Jahren anonyme Alkoholikerin und ich leide seit 7 Jahren unter meiner Sucht!“ Das war aus meiner heutigen Sicht der Moment in meinem Leben, in dem ich Optimist wurde. Ich saß mit großen Augen dort, hörte die anderen kaum mehr und dachte für mich, dass ich mich nicht der ganzen Mühe unterwerfe meine Sucht zu besiegen um den Rest meines Lebens zu leiden. Ich wollte leben, bewusst und jeden kommenden Tag genießen.

Das gelang natürlich nicht sofort, aber es wurde immer besser. Meine Familie und Freunde mussten wieder Vertrauen in mich gewinnen. Ich musste die Ernsthaftigkeit zeigen, mein Leben zu stabilisieren. Ich wurde stärker, physisch, wie psychisch und gewann meine frühere Persönlichkeit nicht nur zurück, sondern gewann eine veränderte, selbstbewusstere hinzu. Etwa zwei Jahre nach der Therapie hatte ich hin und wieder noch das Gefühl, dass mir „Alkoholikerin“ auf der Stirn geschrieben steht. Doch irgendwann merkte ich, dass es außer mir selbst, niemanden mehr interessierte. Die Menschen um mich herum bewerteten mich nach dem, wie sie mich aktuell erlebten. Natürlich habe ich nicht jedem gleich erzählt, was ich erlebt hatte, aber hin und wieder ergab es sich doch aus Gesprächen. Niemals in den vergangenen Jahren erlebte ich dadurch Ablehnung. Immer Anerkennung und oft die gegenseitige Öffnung, dass mein Gegenüber ähnliche Erfahrungen gemacht hatte. Diese anderen waren immer starke, in sich ruhende Menschen, die ihr Leben im Griff hatten und genau wussten, was sie nicht mehr wollten. Es kann tatsächlich jeden treffen und wenn man aufmerksam zuhört, ist es erstaunlich, wie viele Menschen betroffen sind.

Wäre es nach der gesellschaftlichen Meinung gegangen, hätte ich damals „erst mal in der Gosse landen müssen“, hätte mein Umfeld verlassen müssen um, eine Chance zu haben, hätte mich später still und ohne Stressfaktoren bewegen müssen. „Einmal ‚Suchti‘, immer ‚Suchti‘“ ist die gängige Meinung. Hin und wieder hörte ich Gespräche mit Leuten, die diese Meinungen vertraten. Ich habe nichts dazu gesagt, sondern sie nur still für mich zu den Dummen stellt.

Ich habe nichts von dem getan, was in der Allgemeinheit für richtig gehalten wird, um einen Weg aus der Sucht zu finden. Ich habe mich nicht verkrochen, sondern den Weg in den Beruf wiedergefunden. Ich blieb in genau dem Umfeld, welches ich vorher hatte. Ich habe Alkohol nicht aus meinem Leben verbannt, sondern kann jedem Gast ein Glas Wein anbieten oder eingießen und gönne es ihm von Herzen. Ich habe keinen Psychologen konsultiert oder eine Gruppe besucht, die mich auf Jahre an eine schwache Lebensphase erinnert. Ich ging meinen – glücklichen – Weg.

Möglich wurde das, weil meine große Familie, meine Freunde und mein Ehemann im entscheidenden Moment erkannten, dass es mir ernst war. Auch vorher ließen sie mich nicht fallen, sondern zeigten mir ihre Grenzen auf, bekräftigten immer wieder die Möglichkeiten mir zu helfen, aber gaben mir trotz Abhängigkeit, das Gefühl nicht alleine zu sein. Mit meinem Mann habe ich zwei wunderbare Kinder aufgezogen. Natürlich interessierten die sich im gewissen Alter für Alkohol. So haben wir frühst möglich mit ihnen meine Problematik kommuniziert und sie ihre Erfahrungen mit Alkohol machen lassen. Einen heilsamen „Kater“ hatten beide, den die Mutter half auszukurieren.

Ich bin nicht stolz auf das, was ich erlebt habe, aber stolz darauf, was ich daraus gemacht habe. Es gehört zu mir und hat mein Wesen verändert. Ich wurde aufgefangen, bekam Grenzen aufgezeigt, bekam Halt und Zuneigung als ich sie am dringendsten brauchte. Ich habe gelernt Hilfe annehmen zu können. Das Wunderbare ist, dass ich heute in der Lage bin, das was ich bekam, weiterzugeben. Ich helfe, wem ich helfen kann, und sei es nur dadurch, dass ich eine positive Lebenseinstellung teile. Dabei ist mir vollkommen klar, dass ich ideale Bedingungen und die richtigen Menschen um mich hatte, um das zu schaffen. Nicht selten endet Sucht in hilfloser Ohnmacht und Tod.

Sucht ist kein Makel. Eine Krankheit allemal und eine Falle, in so vielfacher Form, dass man sich hüten sollte, sich sicher zu fühlen. Ich bin dankbar, dass ich ihr entkommen bin und Menschen hatte, die mich begleiteten, unglaubliche Kraft mobilisierten mich zu stützen, mit mir redeten, mir meine Chance gaben und bis heute bei mir sind. Es sind die Menschen, die praktiziert haben, was im letzten Satz des oben erwähnten Beitrags steht: „Anstatt Süchtige zu hassen und sie zu isolieren, sollten wir eine warmherzigere Gesellschaft aufbauen.
Wenn wir die Art und Weise anpassen, wie wir uns miteinander verbinden und Menschen helfen können, durch ihr normales Leben erfüllt zu werden, kann Sucht in Zukunft ein geringeres Problem werden.“

Redet drüber!

 

Ohne Eltern geht es nicht

teamfoto

Vier Mal im Jahr wird es wuselig, bunt und laut – jedes Mal, wenn im Hort an der Giesensdorfer Grundschule ein Jahresevent stattfindet. Jedes Event steht unter einem anderen Motto: „Was ich einmal werden will“, „Kostümparty“, „Giesensdorfer Weltfest“, „Auf den Spuren von Daniel Düsentrieb“ oder „Casino Royal“ steht auf den Einladungen. An diesen Tagen, an denen das Event stattfindet, steht der Hort den Kindern mit ihren Eltern offen. An den anderen Tagen stehen die Eltern als unverzichtbare Unterstützung im Hintergrund, denn – ohne Eltern geht es nicht.

Der Hort an der Giesensdorfer Grundschule betreut zur Zeit 152 Kinder. Für diese Betreuung steht ein Team von 14 ErzieherInnen bereit. Sie begleiten die Kinder über den ganzen Tag von der Frühbetreuung über die Unterrichtsbegleitung bis zum Nachmittag in der ergänzenden Förderung und Betreuung. Die Eltern der Kinder sind an diesem Tagesablauf nicht unmittelbar beteiligt und geben doch den wichtigen Rahmen für diese Betreuung. Sie sind die eigentlichen Experten ihrer Kinder und so ist eine enge Zusammenarbeit zwischen den ErzieherInnen und Eltern unbedingt erforderlich, um für jedes Kind individuell die richtige Förderung und Unterstützung leisten zu können. Die oberste Direktive dabei ist, dass die Kinder gut eingebettet in ihrem Schulalltag hineinfinden und die Eltern gelassen ihren beruflichen und privaten Verpflichtungen nachkommen können.

Die Beteiligung der Eltern an der ergänzenden Förderung und Betreuung beginnt lange vor dem ersten Schultag. Ein Tag, der für das Kind und seine Eltern meist eine besondere Bedeutung hat. Hier trennen sich die Wege der Familie nach dem Kindergarten besonders deutlich. Das Kind verlässt die spielerische Förderung des Kindergartens und beginnt die zukunftsweisende Schullaufbahn. Umso wichtiger ist es, dass der Beginn gelingt. Für dieses Gelingen ist es unabdingbar, das Vertrauen der Eltern und Kinder zu gewinnen. Ein Stichwort, um dieses Vertrauen zu schaffen, ist die Eingewöhnung: Drei Wochen vor dem ersten Schultag sind die neuen Erstklässler eingeladen, die Ferienbetreuung zu besuchen. Auch dort sind die Eltern sehr willkommen! Sie sind gerne zu einer Tasse Kaffee eingeladen, können erste Gespräche führen und beobachten, wie ihr Kind sich in die EFöB einfindet. Ebenfalls kann beobachtet werden, wie erste Kontakte geknüpft werden und Freundschaften entstehen. Das alles ohne dem strengen Stundenplan des Schulalltags. Kommt nach der Zeit der Eingewöhnung der erste Schultag, können Eltern und Kinder entspannt den Schulbeginn erleben, da das Umfeld bekannt ist und die Familien andere Kinder sowie die ErzieherInnen der EFöB schon kennen.

In den ersten Schulwochen holen Eltern ihr Kind oft noch sehr gespannt ab. Fragen wie „Wie macht es sich?“, „Hat es Mittag gegessen?“, „Hat es mit anderen gespielt?“ und viele andere, wollen beantwortet werden. Dazu stehen die ErzieherInnen immer gerne für einen kurzen Austausch zur Verfügung. Besteht ein intensiverer Gesprächsbedarf, wird ein Termin vereinbart. Die EFöB an der Giesensdorfer Schule legt viel Wert darauf, dass die Eltern jederzeit gut informiert sind und der EFöB Alltag transparent ist. Umgekehrt ist der Austausch mit den Eltern auch für die ErzieherInnen sehr wichtig. Sie begleiten die Kinder über den ganzen Tag, beobachten es im Unterricht und haben so eine ganz andere Nähe als die Lehrkräfte der Schule. Auch geben sie keine Noten, bewerten nicht und fordern keine Hausaufgaben. Fällt ein Kind auf, weil es beispielsweise traurig, aggressiv oder müde wirkt, gilt es, die Ursache unter anderem im Gespräch mit den Eltern zu finden. Wenn man sowohl das schulische wie auch das häusliche Umfeld des Kindes verstehen kann, lässt sich oft leichter eine Lösung finden. Wichtig ist bei allen Gesprächen die Diskretion und das Feingefühl der ErzieherInnen, deren Bärenaufgabe es ist, den Eltern das Loslassen leicht zu machen.

Eltern müssen dennoch verstehen, dass sie Begleiter sind, das Kind vertrauensvoll den ErzieherInnen überlassen können und dem Kind die Zeit in der EFöB zugestehen. Finden am Nachmittag AGs oder zum Beispiel ein Geburtstagsnachmittag statt, ist es störend, wenn Kinder zu früh abgeholt werden. Viele Eltern setzen sich daher dazu, beobachten das Ende des Spiels und räumen ihren Kindern die benötigte Zeit ein. Bei den Hausaufgaben weichen die Wünsche der Kinder oft von denen der Eltern ab. Will das Kind, nach dem es den ganzen Vormittag im Unterricht gesessen hat, nach dem Mittagessen nur noch spielen, möchten Eltern meist ein Kind abholen, dass fertig mit den Hausaufgaben eine unbelastete Nachmittagsgestaltung zulässt. Hier versucht die Kollegin der Hausaufgabenbetreuung beide Interessen in Einklang zu bringen und belohnt die Kinder mit Konzentrationskaugummis oder kleinen Spielen.

Aktive Hilfe bekommen die ErzieherInnen in der EFöB an der Giesensdorfer Schule von den Eltern, wenn die Spendenbereitschaft gefragt ist. Nicht selten hört man von den sehr abwechslungsreichen Buffet bei besonderen Veranstaltungen. Auch wenn Papier knapp wird, Stifte oder besonderes Bastelmaterial gefragt ist, sind die Giesensdorfer Eltern immer mit im Boot. Besonders schön ist es jedoch, wenn man bei den Jahresevents die Eltern mit ihren Kindern beobachten kann, wie sie gemeinsam spielen, staunen, lachen und Freude haben … denn – ohne Eltern geht es nicht!


szs_mittelpunkt_februar-2017Ein Beitrag aus dem Magazin „Im Mittelpunkt“ Januar/Februar 2017 mit dem Leitthema „Eltern“
Das ganze Magazin kann als eBook oder interaktives Pdf heruntergeladen werden. Die gedruckte Version, einschließlich dem Einleger mit allen Veranstaltungen, bekommt man in den Einrichtungen des Stadtteilzentrum Steglitz e.V.

Integration ist ein fortwährender Prozess

Zum 31. Januar 2017 soll die Kiriat-Bialik-Sporthalle freigezogen werden. Die letzten der ehemals 200 BewohnerInnen können in sehr wohnliche neue Unterkünfte umziehen.

Zum 31. Januar 2017 soll die Kiriat-Bialik-Sporthalle freigezogen werden. Die letzten der ehemals 200 BewohnerInnen können in sehr wohnliche neue Unterkünfte umziehen.

Es ist ruhiger geworden in den Nachrichten, was die Einreise von Geflüchteten betrifft. In diesem Winter mussten keine neuen Turnhallen beschlagnahmt werden, es kamen keine Nachrichten von Menschen, die in der Kälte vor Ämtern warten mussten und es kamen keine Spendenaufrufe, um Geflüchtete zu versorgen. Problem gelöst? Bei weitem nicht. Die Menschen, die in den Wintern 2014 und 2015 zu uns gekommen sind, sind immer noch da und noch immer haben nicht alle die Hallen verlassen. Auch kommen noch viele Menschen, wenn auch nicht in so hohen Zahlen. Trotzdem ist viel geschafft, doch lange nicht genug. Der Teil von ihnen, deren Aufnahmeverfahren weitgehend abgeschlossen sind, kann sich glücklich schätzen, aber auch sie haben erst eine Teilstrecke geschafft. Die nächste Etappe heißt Integration. Das bedeutet ankommen in einem Land in dem alles anders ist als sie es gewohnt sind. Das bedeutet von vorne anfangen und ein Leben aufbauen. Ganz alleine müssen sie das – sofern sie wollen – allerdings nicht tun: Seit Oktober 2016 gibt es das Integrationsbüro Steglitz.

Der Deutschkurs im KiJuNa – Kinder-, Jugend- und Nachbarschaftszentrum

Der Deutschkurs im KiJuNa – Kinder-, Jugend- und Nachbarschaftszentrum

Im März 2016 wurde dem Berliner Senat der Masterplan für Integration und Sicherheit auf Vorlage der Senatorin für Arbeit, Integration und Frauen, Dilek Kolat, vorgestellt. Dieser Masterplan sieht insbesondere acht Schritte für einen erfolgreichen Pfad zur Integration vor: Ankunft, Registrierung und Leistungsgewährung der Geflüchteten, Gesundheitsversorgung, Unterbringung und Wohnraum, Sprach- und Bildungsangebote, Integration in den Arbeitsmarkt, Sicherheit, Integrative und offene Stadtgesellschaft, Aktive Teilhabe der Geflüchteten am gesellschaftlichen und kulturellen Leben. Zur Verwirklichung dieser Schritte wurden aus dem Masterplan Gelder bereitgestellt, die die Einrichtung der Büros für Integration in den Bezirken möglich machten. Das Stadtteilzentrum Steglitz e.V. kam so in die Lage das Integrationsbüro Steglitz im Oktober 2016 zu eröffnen. Zwei neue Kolleginnen, Sabine Schwingeler und Martina Sawaneh, wurden dafür eingestellt und können sich seither unter der Leitung von Veronika Mampel, der Integration neuer Nachbarn widmen.

In der Evangelischen Gemeinde bot sich die Möglichkeit für eingesessene und neue Nachbarn gemeinsam über Flucht und Zukunft sprechen

In der Evangelischen Gemeinde bot sich die Möglichkeit für eingesessene und neue Nachbarn gemeinsam über Flucht und Zukunft sprechen

Veronika Mampel konnte diese Arbeit in gewohnter Routine übernehmen. Hier zahlt sich die Anbindung an den sozialen Träger aus, der seit vielen Jahren im Bezirk sesshaft ist und über ein großes Netzwerk von Kooperationspartnern und Beratungsstellen verfügt. Die Arbeitsbereiche der nachbarschafts- und generationsübergreifenden Arbeit, die Koordination der ehrenamtlichen Arbeit sowie alle Angelegenheiten im Bereich der Flüchtlingsarbeit betreut sie von Anbeginn und sie weiß, was zu tun ist. So bestimmt sie auch für die Arbeit des Integrationsbüros drei vornehmliche Bereiche – Wohnen, Bildung und Arbeit – die für eine gelungene Integration von Menschen mit Migrationshintersgrund wichtig sind. Unter diese drei Bereiche fallen fast alle Dinge, die für Familien oder Einzelpersonen elementar sind, wenn sie bei uns ein neues Leben beginnen wollen oder auch, wenn sie schon länger hier leben, aber an bestimmten Hürden nicht weiter kommen. Darüberhinaus werden auch Kultur- und Freizeitangebote vermittelt sowie Veranstaltungen organisiert. Braucht ein Kind beispielsweise Ausgleich im Freizeitsport, wird ein geeigneter Verein gesucht oder gemeinsame Nachmittage mit gemeinsamen Kochen, Essen, Tanz und Musik laden zu Entspannung und Austausch ein. Integration gelingt jedoch nur, wenn alle Beteiligten eingebunden sind. So steht das Büro auch allen Einheimischen offen, die Angebote in ehrenamtlicher Hinsicht machen möchten oder einfach nur Fragen zum Thema haben. So integriert sich diese Arbeit in die Arbeit des Trägers und seiner Einrichtungen, die Menschen aller Altersgruppen einschließen.

Zum gemeinschaftlichen Kochen müssen sich die Frauen künftig extra verabreden. Das Gemeinschaftsleben in der Halle geht dem Ende entgegen.

Zum gemeinschaftlichen Kochen müssen sich die Frauen künftig extra verabreden. Das Gemeinschaftsleben in der Halle geht dem Ende entgegen.

„Wir müssen den Menschen, die zu uns kommen, das Gefühl geben, dass sie bei uns Respekt und Zeit für ihre Person und Anliegen finden,“ sagt Veronika Mampel. „trotzdem verstehen wir uns lediglich als Begleitung und Stärkung. Die Selbstachtung der Hilfesuchenden muss in jedem Fall gewahrt bleiben und es dauert auch seine Zeit bis das Vertrauen aufgebaut ist.“ Sie fügt hinzu, dass umgekehrt auch die Hilfesuchenden sich einbringen und gewisse Regeln befolgen müssen. Dazu gehört es, Termine einzuhalten, gemeinsam getroffene Absprachen zu halten und, wo erforderlich, benötigte Papiere tatsächlich zu beschaffen. Das Integrationsbüro engagiert sich, wo Kenntnisse in deutschen Systemen erforderlich sind, enthebt die Hilfesuchenden jedoch nicht ihres Eigenanteils zum Ziel des Begehrens. Dazu gehört auch Perspektiven aufzuzeigen sowie Zusammenhänge deutlich zu machen. Sprachvermögen, eigene Bildung und die der Kinder, Arbeit und Wohnung … alle Bereiche spielen unmittelbar ineinander und müssen zusammenhängend bearbeitet werden. Geduld wird in allen Bereichen, besonders im Antragswesen, sowohl von den zu integrierenden Menschen wie auch von den Mitarbeitenden des Integrationsbüros, gefordert.

Routine ist ein Begriff, der nicht mit der Arbeit des Integrationsbüros zu vereinen ist. Diese Feststellung haben Sabine Schwingeler und Martina Sawaneh nach vier Monaten Arbeit im Büro gemacht. Natürlich gebe es ein Grundmuster, was die Menschen brauchen und suchen, dennoch ist jeder Fall anders, fordert andere Vorgehensweisen und stützt sich auf andere Grundbedingungen. Auch sie bekräftigen, dass Vertrauen eine sehr wichtige Voraussetzung für gelungene Arbeit ist, da die ersten Erfahrungen mit Ämtern und Büros bei diesen Menschen nicht unbedingt positiv besetzt sind. Erschwerend kommt hinzu, dass Menschen aus anderen Ländern und Kulturen ein völlig anderes Verständnis für Bürokratie mitbringen. Selbst der alteingesessene Bürger bei uns klagt über die teils schwerfällige deutsche Bürokratie, wie geht es da erst einem Menschen, der Bürokratie wie unsere überhaupt nicht kennt. Wird bei uns von Geburt an alles belegt und mit Zeugnissen besiegelt, zählt in anderen Ländern eher die Erzählung und Tat. Will ein Mann beispielsweise Bäcker werden, fängt er bei einem Bäcker, der ihn braucht, an zu arbeiten und wird Bäcker. Bei uns ist niemand Bäcker, der nicht einen Gesellenbrief vorweisen und somit eine Ausbildung nachweisen kann. Wie bringe ich nun einen Bäcker aus einem fremden Land hier in Lohn und Brot? Jedenfalls kaum als Bäcker. Trotz der Hürden konnte schon eine Arbeitsstelle, eine Ausbildung, drei Maßnahmen mit Übernahmegarantie und zwei Wohnungen vermittelt werden. Viele andere Vermittlungen sind in Arbeit. Die persönliche Freude der Menschen über diese Erfolge sind immer wieder Antrieb und Motor.

Auch das Spielzimmer, der eigentliche Geräteraum der Sporthalle, wird in Kürze seiner ursprünglichen Funktion zurückgegeben.

Auch das Spielzimmer, der eigentliche Geräteraum der Sporthalle, wird in Kürze seiner ursprünglichen Funktion zurückgegeben.

Der unterschiedliche kulturelle Hintergrund spielt für die Arbeit des Integrationsbüros zudem eine wichtige Rolle. Sabine Schwingeler und Martina Sawaneh müssen ihrer Klientel deutlich machen, dass es ohne Bürokratie nicht geht und gleichzeitig die Funktions- und Wirkungsweise verständlich machen. Unerlässlich ist dabei der persönliche Kontakt. Natürlich gibt es einen schönen Flyer, der gut erklärt, was jeder im Integrationsbüro zu erwarten hat. Kontakt entsteht jedoch meist durch Empfehlungen. Viele Hilfesuchenden kamen über die Jobbörse für Geflüchtete, die im letzten November im Rathaus Zehlendorf im Rahmen des Interkulturellen Dialogs stattfand. Dort konnten sich die Mitarbeiterinnen bekannt machen und dem Büro ein Gesicht geben. Die Menschen, denen geholfen werden konnte, empfehlen das Büro nun weiter und so stellen sich immer mehr Menschen vor. Hin und wieder kommen auch Menschen aus anderen Bezirken, denen sie nicht weiter helfen können und sie an andere Stellen in ihren Bezirken verweisen müssen. Eine berlinweite Übersicht über Integrationsbüros gibt es derzeit noch nicht.

Beide Frauen geben zu bedenken, dass an Integration bei uns sehr hohe Erwartungen geknüpft sind. Man kann Menschen, die schon einen langen Weg hinter sich gebracht haben, nicht von Heute auf Morgen eine Kulturkappe überstülpen und erwarten, dass alles auf Anhieb klappt. Integration ist der Prozess den Alltag in einem fremden Land zu bewältigen. Dieser Prozess fängt bei der Sprache an und mündet in die aktive Teilhabe an unserem gesellschaftlichen Leben. Integration ist keine Einbahnstraße, die nur von den Geflüchteten und Menschen mit Migrationshintergrund bewältigt werden kann. Diese Menschen müssen auf eine Gesellschaft treffen, die sich öffnet und sie willkommen heißt … hier gibt es keine Etappenziele … Integration ist ein fortwährender Prozess.

Veronika Mampel fügt insbesondere einen wichtigen Wunsch an: Als besondere Schwierigkeit hat sich die Wohnungssuche für die Menschen ergeben, die hier unbedingt Fuss fassen möchten. Dabei werden Wohnungen für alleinstehende Erwachsene und für teils große Familien gesucht. Manchmal hilft auch ein Zimmer, dass untervermietet werden kann. Das Integrationsbüro ist jedem dankbar, der hier einen entscheidenden Tipp geben kann oder selber geeigneten Wohnraum anbieten kann. Denn dann kann Integration tatsächlich mit neuen und alten Nachbarn stattfinden und so uns alle bereichern!

 

Veronika Mampel
Leitung des Integrationsbüros
E-Mail: integrationsbuero@sz-s.de

Nachbarschafts- + generationsübergreifende
Arbeit, Koordination Flüchtlingsarbeit + Ehrenamt
E-Mail v.mampel@sz-s.de, Telefon 0173 2 34 46 44
Termine nach Vereinbarung

Kontakt & Terminvereinbarung:

Sabine Schwingeler, Telefon 0172 7 93 36 10
Martina Sawaneh, Telefon 0172 7 93 36 70

Öffnungszeiten
Montag, Mittwoch, Freitag, 10.00 – 16.00 Uhr
Dienstag + Donnerstag, 10.00 – 18.00 Uhr

Integrationsbüro Steglitz
Lankwitzer Straße 13 – 17, Haus G, Tor 3,
12209 Berlin

In guten wie in schlechten Tagen

Foto: c2a9drsg98 - fotolia-com

Foto: c2a9drsg98 – fotolia-com

Mit den Kindern das JETZT erleben, ist ihre größte Antriebsfeder im Job. Mit ihnen Sprechen, Lachen und die täglichen Dinge erleben, fasziniert sie immer wieder auf’s neue. Elke Heinrich ist Erzieherin, Kita-Erzieherin, und das schon ziemlich viele Jahre. In „ihrer“ Kita ist sie sozusagen eine Honoration, obwohl sie noch recht jung ist, aber sie war von Anfang an dabei. Als der freie Träger, das Stadtteilzentrum Steglitz e.V., die Kita 1999 übernahm, entstand ihr erste Kontakt und seither hat sie die Entwicklung des sozialen Vereins begleitet. Jetzt zum 20. Geburtstag des Vereins möchte sie ihre eigene Geschichte mit dem Verein erzählen. Möchte damit Danke sagen und erzählen, dass es nicht nur dem Namen nach ein sozialer Verein ist. Deshalb stimmt an dieser Geschichte alles und nur ihr Name nicht. Den haben wir geändert, weil es nicht darauf ankommt, wer sie ist, sondern auf das, was sie zu erzählen hat:

Zwei Vorstellungsgespräche musste sie führen, überzeugte und war damit dabei – im ersten Team der ersten Kindertagesstätte des jungen Vereins. Damals noch eine kleine Kita, genauso im Aufbau wie der ganze Verein. Das erste Team konnte wachsen, sich ausprobieren und mit der Unterstützung und dem Vertrauen der Eltern die Arbeit aufnehmen. Routine konnte sich entwickeln, das Team zusammenwachsen und Handlungsfelder wurden ausprobiert, geändert, angepasst. Es dauerte nicht lange, dass sich die Kita etablierte und sich ein vertrautes Verhältnis zwischen Kindern, Eltern und Erzieherinnen entwickelte. Elke entwickelte Berufserfahrung, dies insbesondere dahingehend, dass kein Tag dem anderen glich. Die Kinder, die ihr in ihrer Gruppe anvertraut waren, brachten jeden Tag auf’s Neue Neugierde und Lust auf’s Leben mit. Jeder Tag wurde für sie eine neue Herausforderung. Sie konnte sich in der guten Atmosphäre des Teams wohlfühlen und hatte Spaß im Beruf. Im Privaten führte sie ein völlig normales Leben. Der Lebensgefährte, Freunde, Verwandte begleiteten sie auch hier und so sehr sie das Private schätzte, freute sie sich doch jeden Morgen erneut auf „ihre“ Kinder, die Kolleginnen und Ereignisse rund um die Arbeit.

Die Idylle ihrer Geschichte änderte sich von heute auf morgen. Die Beziehung zum Lebensgefährten wurde brüchig, doch bevor er endgültig aus ihrem Leben verschwand, hatte er noch so manche Überraschung für sie parat. Eines morgens kam sie wieder zur Arbeit, wo sie die Buchhalterin empfing. In einem Gespräch erfuhr Elke, dass eine Lohnpfändung vorlag und damit ihr Kartenhaus eines intakten Lebens zusammenbrach. Die Puzzleteile setzen sich in Folge langsam zusammen und das ganze Ausmaß ließ Elke schier verzweifeln. Der Lebensgefährte hatte über das Internet einen Kredit auf Elkes Namen abgeschlossen. Völlig unbedacht hatte sie dem Briefträger eine Sendung unterschrieben, unwissend, dass dies die Unterschrift für den Kredit war. Auch ihr Konto war leer geräumt, die Miete für die gemeinsame Wohnung nicht bezahlt, der Lebensgefährte verschwunden. Sämtlicher Halt und Boden unter den Füßen war für Elke verloren. Das Leben in Trümmern und die Aussichtslosigkeit groß.

Sie war nicht allein. In der Folgezeit erlebte sie, was Hilfe bedeutet und welchen Halt man in solch einer Situation erleben kann. Die Buchhalterin ging mit ihr gemeinsam zum Rechtsanwalt, der ihr half die Sachlage nüchtern zu betrachten und erforderliche Schritte einzuleiten. Familie und Freunde gaben ihr Unterschlupf, Unterstützung und Trost. Vereinsleitung und KollegInnen gaben ihr Halt, ließen sie erzählen, weinen und fluchen. Aus einem sozialen Fond bekam sie zur Unterstützung etwas Geld. Alle hatten ein offenes Ohr, alle haben geholfen und waren offen für ihre Anliegen in dieser Zeit. Letztlich blieb nichts anderes übrig, als ihre finanzielle Notlage mit viel Geduld und Zeit zu klären. Sie hatte karge Jahre vor sich und musste Wünsche sehr weit hinten anstellen. Sie ließ den Kopf nicht hängen, so schwer es auch war und nahm gebotene Chancen wahr. Noch heute ist sie dankbar, dass dies für den Arbeitgeber kein Drama, sondern schlicht Selbstverständlichkeit zur Unterstützung war.

Heute sagt sie, dass sie nicht gewusst hätte, was sie in der schweren Zeit ohne ihre Arbeit hätte machen sollen. Elke bekam nie das Gefühl, Scham empfinden zu müssen, sondern fand Verständnis und Hilfe. Darüber hinaus konnte sie sich mit der Arbeit, die sie schon immer liebte, ablenken. Sie erlebte täglich Stunden, in denen sie nicht an die Probleme denken musste, sondern durfte mit Kindern lachen, die ihr zuversichtlich klar machten, das es immer weiter gehen wird.

Trotz der schweren Zeit schafften Freude und KollegInnen es oft, Elke zum Ausgehen zu ermuntern. Eines Abends lernte sie einen Mann kennen, den sie öfter traf und schließlich wurden sie ein Paar. Sie wurden so vertraut, dass der Moment kam, an dem sie dem neuen Mann erzählen musste, was für ein Päckchen sie trug. Statt Ablehnung erlebte sie auch durch ihn uneingeschränkte Unterstützung und Hilfe. Heute ist sie mit diesem Mann verheiratet und hat mit ihm gemeinsam die Zeit der finanziellen Not überstanden. Sie vergisst nie, was sie in dieser Zeit alles erlebt und erfahren hat.

Elke erlebt nach wie vor jeden Arbeitstag mit „ihren“ Kindern. Sie hat immer Spaß, sie zu beobachten – wie sie die Welt entdecken, wie sie Dinge aufnehmen, Schwierigkeiten überwindet, Freude empfinden, Kleinigkeiten wertschätzen, Emotionen ausleben. Sie möchte diesen Kindern das geben, was sie besonders in schweren Jahren selbst bekommen hat: Selbstbewusstsein, bestärkende Begleitung, Optimismus, Verständnis für die individuelle Situation. Heute geht sie gerne wieder nach Hause. Sie weiß, dass dort jemand wartet, mit dem sie alle Hürden nehmen kann. Morgens kommt sie gerne wieder zur Arbeit, freut sich auf die Kinder und die Arbeit. Die Arbeit bei einem Träger, der nicht nur sozial heißt, sondern es auch tatsächlich ist. Mit dem sie in guten wie in schlechten Tagen gemeinsam gehen kann und am Ende doch immer ein wertvoller Mensch sein wird.

Die Sache mit dem Klettergerüst

Foto: ©-Kara-Fotolia.com

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Ein bekanntes Beispiel für die Diskrepanz zwischen dem Wunsch einer Mutter, ihr Kind in Sicherheit zu wissen und dem Bewegungs- und Entdeckerdrang eines Kindes ist wohl das Klettergerüst. Kinder wollen es erobern, so hoch als möglich klettern und oben stolz beweisen, dass sie es geschafft haben. Die Mutter steht unten, beobachtet, muss sich schwer zusammenreißen, nicht wie ein jonglierender Tanzbär unter dem Kind herumzutanzen und die rettenden Arme aufzuhalten. Selbst den eingezogenen Zischlaut der Mutter, falls das Kind schwankt, sollte es nicht mitbekommen, um nicht das Gefühl zu bekommen, die Mutter zweifele an seinen Fähigkeiten. Kinder brauchen und wollen Sicherheit, die sich aber mit jedem Lebensjahr verändert und oft sehr von der Vorstellung der Eltern abweicht.

Wohl zu den schönsten Gefühlen in der Erziehung gehört der Moment, in dem Mutter oder Vater realisieren, dass das Kind Vertrauen, Zuneigung und Schutz beim Elternteil sucht. Besonders, wenn einem klar wird, dass diese Zuneigung, dieses Schutzbedürfnis, nur einem selbst gilt. Der Moment, wenn sich das erste Mal die Hand des Säuglings um die der Eltern schließt oder das Kind den Kopf vertrauensvoll auf der Schulter ablegt. Dieses Urvertrauen, das das Kind entgegenbringt ist so unglaublich schön und so schwer zu erschüttern – doch es verändert sich. Ist es beim Säugling noch sehr durch Nähe und Körperkontakt bestimmt, löst es sich immer weiter, erforscht und erobert seinen Lebenskreis. Eltern werden zur Zuflucht, wenn es in der Ferne nicht mehr stimmt. Je selbstständiger und selbstbewusster das Kind wird, desto weniger bedarf es den familiären Schutz. Desto größer werden seine Kreise, die für die Eltern immer schwerer zu kontrollieren sind.

Das Maß, wie stark der Schutz sein muss, den Kinder bedürfen, ist individuell und von Kind zu Kind unterschiedlich. Es gibt Kinder, die von Anfang an selbstbewusst, stark und neugierig durch ihre Erlebniswelt streifen, aber auch Kinder, die eher zögerlich und zurückhaltend sind. Genauso wie Eltern: Die einen, die Angst vor jeder Veränderung und Gefahr für das Kind haben oder Eltern, die es entspannt schaffen, das Kind seine Erfahrungen machen zu lassen. Für alle Kinder gilt, dass sie nur aus den Erfahrungen, die sie machen dürfen, lernen und ihr Verhalten entsprechend einstellen.

Kinder sind von Natur aus neugierig und möchten die Welt erfahren. So ist es durchaus sinnvoll, Schutzmaßnahmen zu treffen und vorausschauend die nähere Umgebung zu prüfen, was zur Gefahr werden könnte. Sind das beim Säugling im Krabbelalter noch herumliegende Kleinteile, muss beim laufenden Kind geprüft werden, wo es sich stoßen und verletzen könnte. Gefährliche Substanzen sollten immer gut bewahrt und offene Fenster oder Türen gesichert werden. Scharfe Gegenstände gehören ebenso nicht unbeobachtet in Kinderhände, da gilt nach wie vor der alte Spruch: „Messer, Gabel, Schere, Licht, ist für kleine Kinder nicht!“ Wer Kinder im Haus hat, sollte in allen Lebensbereichen gut prüfen, wo es nachhaltige Maßnahmen zu treffen gilt, die Unfälle vermeiden und so manchen Kummer ersparen.

Dennoch sollte man auch nicht übervorsichtig sein. Ein Kind, dass den Umgang mit Messer und Schere nicht lernt, ist eher in Gefahr, sich damit zu verletzen. Ein Kind, dass nie eine Kerze anzünden darf, wird früher oder später dem Reiz, es im Verborgenen zu tun, unterliegen. Besser als die schützende Glasglocke ist der altersentsprechende Lernprozess und das Gespräch über Gefahren. Dieser Lernprozess gilt auch für Bereiche außerhalb der Wohnstätte. Ein Kind, das nicht schwimmen kann, wird an einen Schwimmbadbesuch keinen Spaß haben. Ein Kind, das nicht lernt, wie man vernünftig einem Tier begegnet, baut Ängste auf, die es in Gefahr bringen. Gut ist, sich zu informieren, wo Kinder in allen Lebensbereichen lernen können und dürfen, und so immer bereichernde Erfahrungen machen.

Ist es in jüngeren Jahren eher der körperliche Schutz und Lernprozess, sind es mit dem Heranwachsen mehr die ideellen Erfahrungswerte. Kinder fangen mehr oder weniger im Alter von 10 Jahren an, sich für Handys und Internet zu interessieren. Verbieten bringt wenig. Sinn macht ein begleitetes Heranführen, was für viele Eltern heute einem gemeinsamen Lernen gleich kommt. Ein Kind muss heute lernen, wo sich Abofallen beim Handy verbergen; muss lernen, welche Gefahren das Internet mit sich bringt; muss wissen, was Datenweitergabe in Netzwerken bedeutet. Meist wird in der Grundschule mit Referaten begonnen, die im Internet recherchiert werden müssen, und wer kennt nicht die gute alte PowerPoint-Präsentation, die ein beliebtes Medium ist. Ein Computer muss ins Haus. Die Ausrede von Erziehungsberechtigten, selber keine Ahnung davon zu haben, hat heutzutage keinen Bestand mehr. Kinder müssen damit umgehen können, da heutzutage nahezu kein beruflicher Weg, geschweige denn viele private Angelegenheiten, ohne die digitale Technik auskommen. Hier kann man mit dem Kind lernen und Angebote nutzen, die vielfältig bereit stehen. Das wichtigste dabei bleibt jedoch, wie bei allen Erziehungsangelegenheiten, mit dem Kind im Gespräch zu bleiben. Nur dadurch kann man beobachten, herausfinden, was aktuell von Interesse ist und notfalls rechtzeitig eingreifen – im Idealfall. Welche Absprachen man trifft, welche Regeln gelten sollen, ist Individuell und familiärer Natur, muss aber immer wieder entsprechend des Kindesalters neu verhandelt werden.

So auch die Regeln, die den Ausgang betreffen und ganz besonders der Umgang mit Alkohol. Irgendwann, und da fasse sich bitte jeder an die eigene Nase, wird der Nachwuchs (wenn er es denn nicht heimlich tut) sein erstes Bier trinken. Hier mit Entsetzen, harten Strafen und Moralpredigten zu reagieren, macht wenig Sinn. Er/sie wird es wieder tun, dann aber erst recht heimlich. Es ist besonders in diesem Bezug wichtig, miteinander zu reden, mit Offenheit zu versuchen einen Weg zu finden, der Eltern und dem Kind entgegen kommt.

Einen ganz besonderen Aspekt der Sicherheit für ein Kind dürfen wir aber nie vergessen: Kinder brauchen Rückendeckung und Vertrauen. Wenn sie sich stets sicher sein können, dass das Zuhause ein Ort ist, der Unterstützung und Verständnis bietet, werden sie sich in der Welt freier und sicherer bewegen. Sicherheit bedeutet, erzählen dürfen ohne Angst zu haben verurteilt zu werden. Sicherheit bedeutet, so sein zu dürfen, wie man ist. Schwäche, Enttäuschung, Wut zeigen zu dürfen, ein offenes Ohr zu finden und im Gespräch Lösungen aufzuzeigen. Sie sind es wert und was Eltern an Zeit in die Erziehung und Sicherheit der Kinder investieren, zahlt sich später vielfach aus. Gute Eltern werden nicht geboren, auch das müssen sie lernen. Wenn wir dabei den Blick in die eigene Kindheit nicht vergessen, mit einem guten Bauchgefühl, viel Liebe und einer gewaltigen Portion Humor in die Erziehungsarbeit einsteigen, kommen wunderbare kleine Persönlichkeiten dabei heraus, auf die wir – berechtigt – stolz sein können. Kinder können ganz oben auf dem gedachten Klettergerüst stehen, wenn ihre Eltern den richtigen Balanceakt zwischen Sicherheit und Freiheit gemeistert haben!

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Stadtteilzeitung Steglitz-ZehlendorfNr. 187 • Mai 2015

In Freundschaft …

Foto: ©-Ciaobucarest-Fotolia.com

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Sie hat mich am frühen Abend abgeholt. Zusammen sind wir eine große Kanalrunde gelaufen und als der Hund glaubte, jetzt geht’s nach Hause, sind wir einfach umgedreht und die gleiche Runde noch einmal gelaufen. Dann ging es aber immer noch nicht nach Hause. Eine Parkbank kam uns gerade recht, auf die wir uns setzten und weiter erzählten … erzählten, erzählten und weiter erzählten. Wir hatten uns lange nicht gesehen, zwischenzeitlich viel erlebt und mussten nun das alles austauschen, besprechen und beratschlagen – auf einer Ebene und mit einer Nähe, die ich nur bei wenigen Menschen zulasse. Ich war mit meiner Freundin unterwegs und als ich wieder zuhause war, vollkommen zufrieden, besänftigt, bestätigt und ruhig – eine Gefühlsmischung, die man eben nur bei der Freundin erlebt.

Ich habe immer Probleme damit „meine Freundin“ oder „meine beste Freundin“ zu sagen. Denn sie ist ja nicht „meine“, sie ist „eine“ Freundin, aber eben eine ganz besondere. Es ist eine sehr alte und vertraute Freundschaft, die unabhängig von Zeit und Ort immer weiter besteht und sich durch die Jahre entwickelt und verändert hat. Diese Freundschaft ist immer ein paar Monate älter als unsere älteren Kinder. Wir waren damals beide Neulinge in Berlin und schwanger. Durch die Schwangerschaftsgymnastik und einen Geburtsvorbereitungskurs haben wir uns und unsere Männer kennengelernt und es passte einfach. Neu in Berlin und schwanger ist eine gute Mischung um noch mehr Mütter kennenzulernen. So kamen wir gemeinsam in der PEKiP-Gruppe an und erlebten stundenlange Spaziergänge mit den Kinderwagen, bei denen wir uns austauschen konnten und Junge-Mütter-Geschichten debattierten. Die Schwangerschaft der Zweigeborenen erlebten wir fast gleichzeitig und auch den ersten Kindergarten besuchten unsere Kinder gemeinsam. Das trennte sich eine Weile, bis sich unsere größeren Kinder in der ersten Klasse wieder trafen. So ging es immer weiter. Mit der Zeit fingen wir beide wieder an zu arbeiten und im letzten Jahr besuchten wir den gleichen Abiturball unserer Kinder. Wir verabreden uns schon lange nicht mehr, damit die Kinder miteinander spielen können. Daran mussten sich zeitweilig auch die Kinder gewöhnen, dass sich die Mütter verabreden einfach um ihrer selbst willen. Nur sehen wir uns heute seltener, jeder hat seine Kreise, seine Arbeit, unterschiedliche Interesse.

Es ist eine Freundschaft, die alles erfüllt, was ich mir von Freundschaft erhoffe. Das Vertrauen, mich öffnen zu können. Den Respekt, in meiner Situation verstanden zu werden. Die Sicherheit, eine ehrlich und keine gefällige Meinung zu hören. Die Verschwiegenheit, sehr persönliche Dinge erzählen zu können und das Gefühl in Freude wie auch Schmerz aufgehoben zu sein. Wenn wir merken, dass es dem anderen nicht gut geht, können wir fragen und helfen. Wenn einer von beiden etwas sehr Schönes erlebt, die Freude vorbehaltlos teilen. Das alles – es sind ja hohe Ansprüche – ohne das Empfinden gefangen oder verpflichtet zu sein und ohne Erwartung.

Das ist die eine Freundschaft, die in dieser Form nur funktionieren kann, weil sie frei ist. Frei von Absolutheitsansprüchen und frei von Eifersucht. Wir haben beide viele andere Freundschaften, die mit unserer nichts zu tun haben. Ich pflege einige andere Freundschaften, die einen völlig andern Stellenwert und Inhalt haben. Jeder Freund, jede Freundin belegt einen anderen Platz in mir und erfüllt ein anderes Bedürfnis. Keine von ihnen ist mehr oder weniger Wert als die andere. Es gibt Freunde, mit denen ich philosophieren kann, Freunde für Unternehmungen, Freunde aus meinem Arbeitskreis, Freunde durch die Familie, Freundschaften durch den Hund, alte Schulfreundschaften, Brieffreundschaften, ganz alte Wegbegleiter, Freundschaften, die sich über Gefühl definieren, durch gemeinsame Hobbies, durch Sport oder sonst welche Umstände. Jede davon ist mir gleich wichtig und wertvoll. Aber doch ist es nur eine Handvoll, die sehr innig, beständig, zeitlos und wertfrei – eben so, wie diese besondere Freundschaft, sind.

Neben den Freundschaften gibt es das Heer von Bekanntschaften. Auch die sind mir wertvoll und ich freue mich über Jeden, dem ich begegne, mit dem ich etwas erlebt oder eine Gemeinsamkeit habe. Jedes freundliche Lächeln, wenn man sich begegnet und grüßt, ein paar Worte tauschen kann. Unter den Bekanntschaften sind viele Menschen, die ich so interessant finde, dass ich es schade finde nicht mehr Zeit zu haben um sich intensiver kennenlernen zu können. Es gibt so spannende Menschen.

Den Umgang mit Freundschaften muss man erlernen. Es ist ein hartes Stück Arbeit, sie aufrecht zu erhalten und nach Bauchgefühl zu entscheiden, was richtig für die jeweilige ist. Ist es für Kinder und Jugendliche oft wichtig viele Freunde zu haben, lernt man mit der Zeit, dass nicht die Anzahl sondern die Tiefe den Wert bestimmt. Und nicht unbedeutend ist der schöne Satz: „Sei der Freund, den du dir wünscht!“ … es gibt so schöne Zitat über Freundschaft. Freunde muss ich nicht unbedingt um mich haben. Sie geben mir Halt und es reicht, zu wissen, dass sie da sind und erreichbar wären, wenn ich sie bräuchte. Manchmal freue ich mich über einen Anruf, ein Bild oder eine Kleinigkeit – besonders aber hin und wieder über solche Aussichten wieder eine Runde am Kanal zu laufen und alles Erlebte vertraut zu tauschen.

Liebe mit 70+

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Mohnblumenfeld in Spanien

Die Liebesgeschichte begann eigentlich mit einer Trennung, wenn auch noch Jahre vergehen mussten, bevor sie begann. Nach 40 Jahren Ehe verstarb der Ehemann und die Frau, die nie alleine gewesen war, war erstmalig alleine für ihr Leben verantwortlich. Witwe mit 58 Jahren. Das erste Kind hatte sie mit 17 Jahren bekommen, eine Kinderhochzeit zur damaligen Zeit. Vier Jahre vor der Volljährigkeit war sie verheiratet und sozusagen vom Kinderzimmer direkt in die Obhut des Ehemanns gegangen. Es war eine gute Ehe mit vielen Höhen und Tiefen. Sie wurde geschlossen aus der Verpflichtung des Kindes wegen, war aber keine Liebesheirat. Am Ende standen Vertrauen, Respekt und Wertschätzung zwischen ihnen, ganz andere Werte und fünf erwachsene Kinder sowie eine gemeinsame Lebensleistung. 

Als junges Mädchen hatte sie in Sachen Liebe ein Schlüsselerlebnis. Die Damenschneider-Werkstatt in der sie lernte, bekam hin und wieder Besuch von einer Kundin. Sie kam immer in Begleitung ihres Partners oder Ehemanns. Während der Anprobe kokettierte die Dame mit ihren üppigen Rundungen, was dem Partner offensichtlich sehr gut gefiel. Er schwärmte immer davon, wie gut sie doch aussehe. So stellte sie sich die Liebe vor, in der man noch im Alter eine Begeisterung füreinander empfindet. Diese beiden waren später die einzigen, die ihr zu der frühen Schwangerschaft gratulierten.

Sie war Witwe – das erste Mal, dass sie selber, ohne Absprache, bestimmen konnte, wie sie ihren Lebensraum gestalten will. Einen neuen Partner wollte sie in keinem Fall. Sie wollte die Freiheit genießen und sich mit Dingen beschäftigen, die ihr selber wichtig waren. Sie wollte unabhängig ihre Tage gestalten, Reisen unternehmen, Freunde besuchen, selber entscheiden, welchen Film sie anschaute und einfach nur für sich sein. Das hatte sie vorher nie gehabt. Auch das fünfte Kind zog irgendwann aus und begann seinen eigenen Weg. Dann schließlich kamen die Tage, an denen sie alleine am Frühstückstisch saß, die Wochenenden, an denen keiner vorbeikam und Stunden, in denen sie mit niemandem sprach.

Sie begann Annoncen zu lesen, Zeit war ja da, und studierte die Partnerschaftsgesuche. Also doch? Nun ja, erst mal lesen bedeutet ja nichts, ganz unverbindlich einfach mal interessieren und schauen, ob nicht doch jemand Interessantes zu finden ist. Natürlich wurde sie fündig, denn eine Anzeige gefiel ihr recht gut. Es stellte sich jedoch schnell heraus, dass es sich dabei um eine Fangannonce einer Partneragentur handelte. Dennoch traf sie sich mit ein paar Herren, doch das Ergebnis war sehr ernüchternd. Der eine Herr suchte Gesellschaft, ein anderer wollte seine Porno-Sammlung vorstellen. Ein dritter wollte mit ihr nach Australien ausreisen, lebte selber aber schon im Seniorenheim. Ein weiterer hatte im Hinterkopf, seine Pflege für die beginnende Demenz zu sichern. Allen gemeinsam war der Wunsch ihre Lebensgeschichte zu erzählen, es gibt doch so viele einsame Menschen, aber ein so richtig interessanter Mann war für sie nicht dabei. Also lies sie es sein, das Leben konnte sie besser alleine gestalten.

Erstmal! Denn irgendwann saß sie wieder alleine beim Sonntagsfrühstück. Lass die Zeitung und landete doch wieder auf der Partnerseite. Dort lass sie eine außergewöhnliche Anzeige: Ein Glückssucher versprach kein Holzbein, keine Glatze und keine feuchten Hände zu haben. Fragte, wer Mut hätte zu schreiben. Den hatte sie, denn hier fand sie einen mit Humor. Um ein Foto bat er, dass er auch zurückschicken würde. Aussehen, Nationalität, Figur wären sekundär. Als Bild musste ein Passbildautomatenfoto reichen und schreiben konnte sie. So war die Antwort bald fertig und machte sich auf den Weg nach Spanien.

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Ihre Offenheit war es, die ihn wiederum antworten lies. Unter 436 Antworten auf seine Anzeige (man stelle sich den armen Briefträger des kleinen spanischen Ortes vor), war ihr Brief aufgefallen, der vielem entsprach, was er selber empfand. Und damit begann ein reger Briefwechsel. Die erwachsenen Kinder merkten natürlich eins nach dem anderen, dass sie sich veränderte. Die Laune war eine andere, das Lachen zog wieder in ihr Leben ein, die Fröhlichkeit wurde Begleiter. Alarmglocken klingelten bei allen Kindern, als sie nach zwei Brief wechselnden Monaten erzählte, dass er sich auf den Weg von 1600 km machen würde um sie kennenzulernen. Die zaghafte Frage, nach der Unterbringung des Mannes, beantwortet sie einfach: Sie hatten kein Hotel gebucht, er könne ihr gleich an der Haustür sagen, ob sie ihm gefiele oder nicht. Er blieb – für 14 Tag. Verließ für eine kurze Reise das Haus um nach weiteren 14 Tagen wieder da zu sein. Dann reiste sie – 1600 km zu ihm nach Spanien.

Das passierte vor fünf Jahren. Bis heute sind sie ein Paar – ein Liebespaar 70+. Die Kinder mussten sich daran gewöhnen, doch er machte es ihnen leicht ihn zu mögen. Dies war eine ganz andere Geschichte als die Geschichte mit ihrem Vater. Er tat nicht so, als hätte er kein Leben vorher gehabt. Seine frühere Ehe war glücklich, aber er sei nicht zum alleine leben geschaffen. Trotzdem war es teilweise schwer für die Kinder sich, ungeachtet des Erwachsenseins, daran gewöhnen zu müssen, dass die Mutter nun einen anderen Fokus hatte und das elterliche Haus nicht mehr das Haus von früher war. Mancher Unmut musste besprochen und behoben werden. Letztendlich aber zählt etwas ganz anderes. Sie ist glücklich, sie ist gesund, sie erlebt an seiner Seite Dinge, die alleine nicht möglich gewesen wären.

Sie sagt dazu, dass diese Liebe im Alter etwas Besonderes und Schönes sei. Beide müssen sich gegenseitig nichts mehr beweisen. Akzeptieren den Partner so, wie er nun mal ist – mit all seinen Ecken und Kanten. Mit 70 kann man niemanden mehr verbiegen und Kompromisse müssen geschlossen werden. Die grauen Haare, die Falten und der Bauch gehört ebenso dazu, wie die kleinen Macken, deren einzige Berechtigung das Alter ist. Aber, sagt sie, man muss sich auch selbst akzeptieren, so wie man ist, und wenn man den Jugendwahn die kalte Schulter zeigt, lässt sich manche Unebenheit durch hübsche Kleidung kaschieren. Und beobachtet sie ältere Paare, in den Straßen oder Kaffees, wenn sie sich unterhalten, dann wirken sie immer lebendig und vermitteln das Gefühl, sich noch etwas zu sagen zu haben.

So wie damals das Paar in der Damenschneider-Werkstatt, faszinierten sie auch immer schon die Gesichter und Hände älterer Menschen aus denen man viel lesen kann. Wenn diese älteren Menschen das Glück haben, jemanden lieben zu können, sie den Geruch des anderen wahrnehmen, den Kopf an den anderen anlehnen können oder beim Aufwachen dessen Hand spüren, gibt es dafür keinen anderen Namen als „Glück“. Diese Liebe und das Leben mit ihr – wird wertvoll durch Lob, Verständnis, Anerkennung und Dankbarkeit. Das jugendliche Schlüsselerlebnis wurde wahr.

Einzig eine Sorge begleitet diese Liebe im hohen Alter: Wie sieht die nächste Trennung aus? Wer bleibt, wer muss als erster gehen!