Sie trauen sich!

Das Erste, woran ich mich in diesem Zusammenhang erinnern kann, sind die Überlegungen meiner älteren Tochter, wie sie bei uns zu Hause einen Kuchen backen kann. Das Besondere, er sollte eine Hertha BSC Dekoration bekommen und das alles, ohne dass ihr Vater es mitbekommt. Schon allein die Tatsache, dass sich dieses Kind an einen Kuchen wagen wollte, war ungewöhnlich, war das doch eher die Domäne der Jüngeren. Doch sie schaffte es. Der Kuchen wurde gebacken, dekoriert, duftete durchs ganze Haus und natürlich bekam der Vater es mit. Dazu muss man wissen, dass wir in einem reinen, unumstößlichen Hamburger SV Fan-Haushalt leben. Das Missfallen des Vaters war sicher und die Tochter in Erklärungsnot. Keine verlorene Wette, sondern ein Geburtstag. Es konnte nur ein Mann dahinter stecken.

Tat es auch. Die Informationen, die wir Eltern über die sich verändernde Lebenssituation der Tochter bekamen, waren spärlich. Auch die Schwester hielt dicht. Aber der verklärte und abwesende Blick der Tochter auf ihr Handy häufte sich. Kein Abendessen konnte schnell genug erledigt sein, damit sie wieder das Handy in die Hand nehmen konnte, um zu schauen, ob (seine) Nachrichten da sind. Es wurde immer deutlicher, besonders durch Abwesenheit. Die Tochter hatte einen Freund und es war ernst.

Tatsächlich kam nach einiger Zeit die Frage, ob der junge Mann einmal zum Abendessen kommen könne, was wir natürlich mit großer Begeisterung (oder Neugierde?) bejahten. Bis es so weit war, zeichneten sich haufenweise Szenarien vor unserem inneren Auge ab, wen sich die Tochter gewählt hatte. Ich denke, die Anlage für manch graues Haar wurde in dieser Zeit gelegt. Was, wenn er (in unseren Augen) der Falsche ist, die Chemie mit uns nicht stimmt, die Verliebtheit das Kind geblendet hat. Und überhaupt – ein Hertha-Fan. Es half nichts. Wir mussten da durch. – Er auch. Und sicher hatte er ebenso seine Szenarien im Kopf, ähnlich dem Film „Meine Braut, ihr Vater und ich“ mit Robert de Niro, in dem der Schwiegersohn beim Antrittsbesuch nicht nur jedes Fettnäpfchen mitnimmt, sondern die Familie nahezu in den Ruin treibt.

Nichts davon passierte bei uns. Der junge Mann, der uns besuchte, erfüllte noch viel besser als wir den Eindruck eines kultivierten Menschen. Frisch aus dem Büro kommend, korrekt und sehr schick gekleidet, ließ er uns in unserem Räuberzivil eher blass aussehen. Nun, ohne viel drumrum zu reden: Mein Kind hat gute Gene und so auch hier ihren guten Geschmack unter Beweis gestellt. Dieser Bewerber war vorstellbar, denn uncoolerweise denken Eltern ja gleich in Zukunftsperspektiven. Es war ein schöner Abend und wir haben viel gelacht.

Wenn über WhatsApp die Frage kommt: „Wie wäscht man Buntwäsche?“, weiß man als Eltern, dass sich der gemeinsame Lebensweg mit dem Kind in der Trennungsphase befindet. Bei uns bekam der Vater die Frage gestellt, denn entgegen dem gängigen Rollenverständnis war die Waschküche das Hoheitsgebiet des Vaters. Der erklärte auch gerne, was die Tochter wissen musste, womit sich ihre Besuche zu Hause weiter reduzierten. Nicht uneigennützig, muss man zugeben, bedeutet das für ihn ja weniger Arbeit. Und zufälligerweise befand sich die Arbeitsstelle der Tochter genau auf der anderen Straßenseite von der Wohnung des Freundes. Musste sie um sechs Uhr morgens anfangen zu arbeiten, klingelte ihr Wecker bei ihm um halb sechs. Bei uns hingegen um vier Uhr. Wir hatten verloren. Trotz Ein-Zimmerwohnung, Liebe macht das möglich, lebte das junge Paar in minimalistischen vier Wänden. Nun wurden wir „nur“ noch besucht.

Aber auch in dieser Sache machte der Gewöhnungseffekt ganze Arbeit. Der Mann an der Seite des Kindes war nicht nur sehr sympathisch, sondern wir mussten schnell feststellen, dass sich das junge Paar in allen positiven Eigenschaften perfekt ergänzte. Es passte einfach für die beiden und auch für uns. Die Eingangstür in die Familie stand offen. Er wurde uns vertraut und gehörte immer mehr dazu. Spätestens als an einem legendären Sonntag der Vater, HSV, mit dem potenziellen Schwiegersohn, Hertha, im Wohnzimmer ein gemeinsames Spiel beider Vereine zusammen anschauten und beide überlebten. Die friedliche Koexistenz beider Fußballfans täuschte aber zuweilen, je nach Punktestand und Tordifferenz des Gegners.

Ein weiterer Pluspunkt sollte sich herausstellen, als die Eltern beider selber zum Antrittsbesuch verabredet wurden. Wieder flogen die Gedanken durch die Köpfe, was wäre, wenn man sich nun so gar nicht grün wäre oder auf völlig anderen Planeten leben würde. Ich denke, das Magen-Grummeln war deutlichst zu hören. Aber: Glück gehabt – und mehr als das. So ein akzeptabler, eventuell mal, Schwiegersohn musste ja aus einem entsprechenden Elternhaus kommen. Und seine Eltern waren nicht nur sympathisch, sondern hatten beträchtliches Potenzial, einen neuen freundschaftlichen Familienzweig zu eröffnen. Wir verstanden uns von Anfang an und das war ein sehr schönes Gefühl, sicherlich auch für die Kinder.

Das Leben ist leider nicht immer nett zu uns und wir mussten uns vom Vater im Februar verabschieden. Es war hart und bei einem der ersten Gespräche kam die Frage der Tochter auf, wer sie nun zum Traualtar führen würde. Das Paar fing das erste Mal an, offen über Hochzeit zu sprechen. Sicher war es öfters schon Thema, nun hatte es zwar einen wehmütigen Anklang, war aber doch ein sehr tröstliches Zeichen, dass auch wir wieder feiern werden und in Zukunft denken. Trotz der Umstände und es war ok. Denn ganz besonders in dieser Trauersituation zeigte der junge Mann, wie stark er mit uns zusammen gewachsen war. Er war eine sehr besondere Stütze, nicht nur für die eine Tochter und ich war extrem dankbar dafür.

Den nächsten Kuchen wird ganz sicher nicht die Tochter backen, aber sie wird ihn mit ihrem Mann anschneiden. Er hat sich getraut zu fragen, nicht ohne sich vorher die Zustimmung der jüngeren Schwester zu holen. An einem verlängerten Urlaubswochenende zwischen den Dünen wurde mein Kind seine Verlobte. Sie wird seine Frau und ganz gleich, wer sie zum Traualtar führt, sie wird genau vom Richtigen empfangen.

Hat Frau die Wahl? – Zum Frauentag 2014

Beruf und Familie, Vereinbarkeit

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Hat man immer eine Wahl? Nein, nicht ganz! Wird man geboren gehört man auf die Seite der Männer oder der Frauen. Damit ist entschieden, ob man zum starken oder vermeintlich schwachem Geschlecht gehört und auf welcher Seite der Chancengleichheit man steht. Frauen machen in etwa die Hälfte der Gesamtbevölkerung aus. Gibt man das Wort „Frau“ in Google ein, kann man 74.100.000 Millionen Einträge finden, die versuchen den Begriff Frau in Worte zu fassen. Aber trotz dessen, dass das Frauenwahlrecht schon vor 96 Jahren in Deutschland eingeführt wurde, ist die Gleichstellung und Chancengleichheit der Frauen nicht gewährleistet. Der Frauentag wurde schon 1911 das erste Mal gefeiert. Doch der Staat ist schwerfällig und auch das Denken in den Köpfen der Protagonisten. Ganz besonders die Situationen der Mütter lassen in diesem Land mehr als zu wünschen übrig. Dazu zwei Beispiele:

Die eine Frau ist verheiratet mit einem sehr beschäftigtem Mann, den sie kaum sieht. Die Kinder gehen auf gute Schulen, die gehobene Ansprüche erfüllen. Sie selber arbeitet um nicht den Anschluss im Berufsleben zu verlieren. Sie wohnen in einer Eigentumswohnung. Die Freizeit ist vornehmlich von den Freizeitaktivitäten der Kinder bestimmt. Das Essen kommt aus dem Biosupermarkt und die Haushaltshilfe kommt dreimal in der Woche. Urlaub ist zweimal im Jahr, selbstverständlich im Ausland, vorgesehen – die einzig wirklich gemeinsame Zeit, die die Familie hat.

Die zweite Frau ist alleinstehend und hat nur über den Anwalt Kontakt zum Vater der Kinder. Die Kinder gehen auf die Schule um die Ecke. Sie hat einen 400 € Job gefunden und putzt daneben bei zwei alten Damen. Ihre kleine Wohnung hat kaputte Fenster, lässt sich schwer heizen, aber etwas anderes kann sie sich nicht leisten. Wenn sie zuhause ist, muss sie den Haushalt versorgen, mit den Kindern Hausaufgaben machen und sich um die Schriftkram kümmern. Gegen Monatsende muss sie wieder zur Tafel gehen, auch wenn sie sich schämt. Und an die Ferien mag sie gar nicht denken, weil die Kinder dann alleine sind und viel Blödsinn machen.

Tatsache ist, dass man bei beiden Frauen absehen kann wie die Zukunftsprognose aussieht. Alleinstehend mit Kind ist in Deutschland zur Zeit die sicherste Konstellation von Armut betroffen zu sein. Nicht nur für die Frau sieht es düster aus, auch für die Kinder, die mit höchster Wahrscheinlichkeit aus dieser Prognose nicht heraus kommen werden. „Gelernte Hoffnungslosigkeit macht es schwer, Herausforderungen im weiteren Leben zu meistern.“ heißt es dazu im UNICEF-Bericht zur Lage von Kindern in Deutschland 2013. Unter andern wird dort aufgeführt, dass 2009 schon jede vierte alleinerziehende Mutter die Schule nicht beendet hatte bzw. nur einen Hauptschulabschluss geschafft hat. Wie hoch die Rentenansprüche einer Frau sein werden, die lebenslang in Minijobs oder gar nicht gearbeitet hat, kann man sich ausrechnen.

Die verheiratete Mutter wird aller Wahrscheinlichkeit nach, sofern sie die Ehe bis zum Rentenalter ohne Scheidung übersteht, eine kleine Rente erwirtschaften können. Natürlich nicht die Rente, die große Kreuzfahrten oder ähnliches ermöglichen wird, aber wenn sie klug ist, kümmert sie sich um private Vorsorge und erwirbt ggf. Rentenansprüche durch ihren Mann. Sofern ihre Kinder den Sprung in ein erfolgreiches Berufsleben schaffen, kann sie auch dort hoffen, im Alter ausreichend unterstützt zu werden. Wie gesagt, sie kann nur hoffen, dass der Plan aufgeht und sie nicht in die gleiche Situation wie die Alleinstehende kommt.

Das sind zwei Beispiele von Frauen im Jahr 2014 und das Schlimme daran ist, dass es die Mehrzahl der Frauen betrifft, die bereit sind, in diesem Staat die dringend gewünschten und benötigten Kinder zu bekommen. Der demographische Wandel macht deutlich, was uns in einigen Jahren bevorsteht. Die Baby-Boom-Kinder aus den 1960er Jahren gehen in einigen Jahren in Rente und die Kinder, die die Umlage finanzierte Rente bezahlen sollen fehlen. Düstere Aussichten, wenn man bedenkt, dass wir zu den modernsten und wirtschaftlich stabilsten Ländern der Welt gehören.

Zum Frauentag am 8. März wird jährlich eine der Zeit entsprechende Problematik um das Frauenbild aufgegriffen. Die Frage, ob das im 21. Jahrhundert noch notwendig ist, kann nur mit einem klaren „Ja“ beantwortet werden. In keiner Zeitperiode vorher, wie der seit dem ersten Weltkrieg bis heute, hat sich das Bild der Frau und ihre Akzeptanz in der Gesellschaft so häufig und stark verändert. Wirklich befriedigend sind die Fortschritte seit jeher aber nicht, bedenkt man die wirtschaftliche Unsicherheit in die sich vor allem Mütter in der heutigen Zeit begeben. Die Emanzipation ist überstanden, Frau fühlt sich gleichberechtigt für einen hohen Preis. Frauen dürfen wählen, in die Bundeswehr gehen und ihren Mann stehen, im Arbeitsleben gehören zum akzeptierten Bild, uneheliche Kinder sind nicht mehr mit gesellschaftlichem Ausschluss gleichbedeutend. In die Führungsetagen gehört die Frau aber nicht und ist von gleichberechtigter Bezahlung oft weit entfernt. Und wehe der, die bereit ist Mutter zu werden und damit oft auf den Staat angewiesen ist. Immerhin, dass es an Unterbringungsmöglichkeiten in Kitas und Horten fehlt, wurde erkannt. Dem versucht man entgegenzuwirken. Das Modell der Ganztagsschulen beispielsweise scheitert jedoch noch an der nötigen personellen wie finanziellen Ausstattung. Die Elternzeit kann geteilt werden, also auch Väter den frühkindlichen Dienst übernehmen. Alles Maßnahmen, die gebraucht werden um Müttern zu ermöglichen, ihre Kinder in guten Händen unterzubringen, berufliche Qualifikationen zu erwerben und ganztags zu arbeiten.

“Gender Mainstreaming“, heißt das Zauberwort, nach dem Staat und Organisationen bei allen gesellschaftlichen Vorhaben die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern von vornherein und regelmäßig zu berücksichtigen. Die Privatwirtschaft sagt dazu einfach Chancengleichheit. Das geht in die richtige Richtung, man hat erkannt, dass es keine geschlechtsneutrale Wirklichkeit gibt. Aha, also doch nicht. Außer einem sprachlichen Wirrwarr um beispielsweise “Freunde und Freundinnen”, „FreundInnen” oder „Freund_Innen” sind errungenen Fortschritte für Frauen jedoch  nicht wirklich erkennbar.

Es bleibt zu hoffen, dass wirklich effektive und nachhaltige Schritte erarbeitet und durchgesetzt werden, die Mütter und damit ihre Kinder absichern.  Zudem Gelder zur Verfügung stehen, die es sozialen Einrichtungen, Schulen und Organisationen möglich machen, dort zu helfen, wo der Staat zu weit weg oder schwerfällig ist. Das bei Hilfsmöglichkeiten viel früher angesetzt wird, so dass Mütter erst gar nicht in die Situation kommen, ein wirtschaftliches Fiasko zu erleben.

Das Denken in den Köpfen der Menschen muss sich ändern, Männern wie Frauen. Nur der Staat muss dafür die Grundlagen bieten und Frauen Bedingungen schaffen, die die Entscheidung Mutter zu werden, nicht von Existenzängsten abhängig werden lässt. Einen Staat, in dem Kinderlachen per Gerichtsurteil erlaubt werden muss, sollten wir uns alle nicht wünschen – geschweige denn einen, in dem es kein Kinderlachen mehr gibt.

Leitartikel der Homepage des Stadtteilzentrum Steglitz e.V.
vom 10. März 2014