Eins bis Fünf plus Zwei macht Sieben

annaschmidt-berlin-com_1bis5plus2macht7Beim morgendlichen Hundespaziergang begegne ich einer Frau mit einem Welpen und ich komme mit ihr ins Gespräch. Wir kennen uns seit Jahren und unterhalten uns über die Kinder, denn unsere Ältesten waren in einer Grundschulklasse. Insgesamt hat die Frau sieben Kinder und als sie zum Ende kommt, habe ich das Gefühl, kaum etwas über meine Zwei erzählen zu können. Nun, ich kann doch mitreden, denn ich selber bin eins von fünf Kindern. Auf dem Rückweg denke ich über diesen Beitrag nach, der ebenfalls von einer Familie mit fünf Kindern handeln soll. In meiner unmittelbaren Nachbarschaft wohnen noch einmal drei Familien mit vier bzw. fünf Kindern. So selten scheint es also gar nicht zu sein, dass sich Eltern entschließen, dem gängigen Bild der Familie mit einem oder zwei Kindern zu widersprechen.

Ich mache mich schlau und finde verschiedene Zahlen. Im Schnitt sind es etwa 12 % der Familien, die in Deutschland als kinderreich, also mit drei und mehr Kindern, gelten. Dabei wird das Wort „kinderreich“ gerne vermieden, weil reich an Kindern oft mit wirtschaftlich schmalen Verhältnissen verbunden wird. Dies, weil man in den Köpfen davon aus geht, dass wenigstens ein Elternteil aufgrund der Kinderzahl nicht erwerbstätig sein kann. Der überzeugten Einzelkind-Mutter und anderen gelingt es kaum, die Vorstellung mit drei und mehr Kindern zu leben, nicht mit Stress, Chaos und viel Hausarbeit zu verbinden.

Stress erlebt sie nur durch die Lautstärke, wenn alle Kinder zuhause sind, sagt meine Interview-Mutter und fügt tröstlich dazu, dass das ja nur besser werden kann, je älter die Kinder werden. Die Ruhe am Vormittag täuscht. Sie sitzt mit mir entspannt bei einer Tasse Tee und erzählt aus dem Familienleben. Auf dem Schoß sitzt der jüngste Sohn. Entsprechend seines Sprachvermögens mit 9 Monaten beteiligt er sich lebhaft an der Unterhaltung. Ansonsten hat sie keinen Stress, denn es kommt ja sowieso so, wie es kommt und das muss man nehmen, wie es ist. Starke Worte, wenn man weiß, dass ab dem frühen Nachmittag Kind Nummer 2, 3, 4 und 5 nach Hause kommen. Dann ist es mit der Ruhe vorbei.

Die Alleinstellung der Familie kommt ihr lediglich ins Bewusstsein, wenn sie von anderen darauf angesprochen wird. Im normalen Alltag erlebt sie die Vielzahl der Familienmitglieder als Selbstverständlichkeit. Trotzdem nimmt sie wahr, dass die Menschen aufhorchen, wenn sie von fünf Kindern erzählt. Ob geplant oder nicht, der Vater ist eins von vier Kindern, die ebenfalls alle vier Kinder haben. Sie selber hatte früher die Vorstellung, einmal ein oder zwei Kinder zu bekommen. Die Reaktionen auf Schwangerschaften haben sich mit steigender Kinderzahl verändert. Von anfänglicher Begeisterung und Glückwünschen bis hin zu unpassenden Fragen, ob es nicht schon genug Kinder seien oder es ein Unfall ist, hat sie alles erlebt. Das Unverständnis mancher Leute, die Irritation und das Befremden, dass man gerne und bewusst mit vielen Kinder leben möchte, wird größer.   

Vom frühen Nachmittag bis frühen Abend ist Kinderzeit in der Familie. Bis halb Acht fordern die Jüngeren Aufmerksamkeit, danach ist noch Raum für die Älteren, bis diese schlafen gehen. Der Vater steht mitten drin, unternimmt und spielt viel mit seinem Nachwuchs, redet und beschäftigt sich mit ihnen. Jedes Kind hat seine eigenen Nischen, über die es sich seine besondere Aufmerksamkeit holt. Sieht der Außenstehende fünf Kinder, lebt die Familie sehr bewusst mit den individuellen Eigenheiten jedes einzelnen und geht, wo möglich, darauf ein. Der Mutter ist durchaus bewusst, dass sie nur begrenzt erziehen kann. Eher versteht sie sich als Begleitung nach den persönlichen Stärken und Schwächen ihrer Kinder. Dennoch geben die Eltern den formenden Rahmen. Gemeinsame Mahlzeiten sind für große Familien ein Muss und so legt besonders der Vater Wert darauf, dass beispielsweise alle am Tisch sitzen und Essmanieren gewahrt bleiben. Rituale und Regeln dienen nicht allein dazu, das Familienleben zu ordnen und organisieren, sie sind auch zugleich ein probates Mittel, das Gemeinschaftsgefühl der Kinder untereinander zu stärken. Die Kinder wachsen einerseits mit der stets schützenden Gemeinschaft auf, in der Begriffe wie Rücksicht, Teilen, für die anderen mitdenken genauso bedeutend sind, wie die Selbstverständlichkeit, früh zu lernen, eigene Wege zu gehen und Eigenverantwortung zu übernehmen – immer die Familie im Rücken.

Die Mutter ist weit entfernt davon, die gängigen Vorstellungen einer Hausfrau mit fünf Kindern zu erfüllen. Ohne ihre Arbeit hätte sie keine fünf Kinder bekommen, sagt sie. Beim dritten Kind war sie ein Jahr lang zuhause und konnte kaum den Arbeitsbeginn erwarten. Einen Krankheitstag wegen krankem Kind hat sie noch nie einreichen müssen. War einmal ein Kind krank, war es immer möglich, den Dienst zu tauschen oder zu verschieben. Gute Organisation und ein starkes Netzwerk ist ohne Zweifel bei so einer großen Familie erforderlich, was aber mit der Zeit wächst. So lebt im gleichen Haus eine Familie mit drei Kindern. Ergeben sich Überschneidungen bei Terminen, ist es mittels Babyphone immer möglich, kleine Lücken zu überbrücken. Zusammengerechnet (einschließlich Arbeitszeit) verbucht die Mutter zwei Tage in der Woche ohne Kinderbetreuung für sich. Genug Zeit, um zu entspannen und eigenen Interessen, wie Sport und Treffen mit Freunden, nachzugehen.

Natürlich gehen manche Dinge nicht so leicht, wie in kleineren Familien. Wollen die Kinder Angebote nutzen und Vereinssport machen, müssen sie Angebote in unmittelbarer Umgebung suchen. Sie kann keinen Fahrdienst einrichten und so müssen manche Dinge warten bis die Kinder selber das öffentliche Verkehrsnetz nutzen können. Elternabende versucht sie zu besuchen. Dabei ist es ihr wichtig, der Lehrkraft oder Erzieherin ihre Wertschätzung durch ihr Interesse auszudrücken. Die Kinder suchen sich ihre Lücken, in denen sie ganz speziell für sich Zeit mit den Eltern finden. Alles andere wird halt gemeinsam gemacht.

Wo bleibt das Paar? An dieser Stelle lacht sie: Zeit für ihren Mann und sich ist hart erkämpfte Zeit. Zum Glück sei der Vater sehr kommunikativ und unterhaltsam, weshalb sie immer das Gefühl der Verbundenheit hat. Er würde durchaus einmal ein paar Tage wegfahren, die Kinderbetreuung organisieren und abschalten. Aber da gesteht sie ein, noch nicht soweit zu sein … der 9 Monate alte Sohn auf dem Schoß macht es deutlich.

Kinderreiche Familien empfinden sich selber als selbstverständlich und tatsächlich auch reich. Reich im Sinne der Gemeinschaft, nie alleine sein zu müssen und kennen selten das Gefühl der Langeweile. Die Eltern wachsen in diese Rolle in natürlicher Weise hinein, müssen ein hohes Maß an Flexibilität und Offenheit einbringen. Wo fünf Kinder zuhause sind, kommen oft Freunde dazu … macht ja auch nichts – es kommt ja sowieso so, wie es kommen muss.


szs_mittelpunkt_februar-2017Ein Beitrag aus dem Magazin „Im Mittelpunkt“ Januar/Februar 2017 mit dem Leitthema „Eltern“
Das ganze Magazin kann als eBook oder interaktives Pdf heruntergeladen werden. Die gedruckte Version, einschließlich dem Einleger mit allen Veranstaltungen, bekommt man in den Einrichtungen des Stadtteilzentrum Steglitz e.V.

Das Ding mit der Erziehung

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Jedes Kind stellt mutmaßlich mindestens einmal im Laufe seiner Kindheit fest, dass es einmal alles anders machen wird, wenn es groß ist. Insbesondere, wenn es eigene Kinder haben wird und die Erziehung endlich selbst in die Hand nehmen darf. Eltern sind oft einfach zu streng, zu hartnäckig, zu nervig, zu uncool sowieso. Manchmal auch peinlich und sie wollen eigentlich immer zuviel wissen. Das ist so, das war so und wird immer so sein.

Bis dann der Tag der bitteren Erkenntnis kommt. Man steht da, mitten im Chaos, zwischen Wäschebergen, Unordnung, Hundefutter, Schriftkram, blubbernden Suppentöpfen, streitlustigen Kindern, Bügelbrett. Weiß nicht, wo man anfangen soll und merkt, dass das andere Ende der Erziehungskette doch ganz anders aussieht als in den kühnsten Kinderträumen. Der Blick hat sich verändert, Prioritäten haben sich verschoben, Einblicke haben sich entwickelt. Das Ideal von einst, alles ganz anders – besser zu machen, rückt in weite Ferne.

Sicherlich – es ändern sich Dinge von Generation zu Generation. So wurde am Esstisch der letzten Jahrhundertmitte nicht gesprochen, schon gar nicht von den Kindern. Heute hat sich die, meist einzige, gemeinsame Mahlzeit am Tag zum Kommunikationstreffpunkt der modernen terminverplanten Familie entwickelt. Auch das „Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt.“ hat sich von der hungrigen Nachkriegsgeneration bis zur heutigen konsumverwöhnten Gesellschaft ebenso verändert, wie die Einsicht, dass eine Ohrfeige wohl noch niemandem geschadet hat. Gehörte die früher zu den erfolgreichen Erziehungsmethoden dazu, stehen heute doch (glücklicher Weise) Unversehrtheit und Persönlichkeitsrecht aller Kinder im Vordergrund. Erziehung passt sich der Zeit, dem Menschenbild und der Philosophie der jeweiligen Generationen an. Gut so!

Aber da gibt es doch ein paar Kleinigkeiten, die werden sich wohl nie ändern und je nachdem an welchem Ende der Erziehungskette man steht, sehr unterschiedlich empfunden. Denn, was man als Kind noch so gar nicht bedacht hat und nicht absehen kann, sind Faktoren wie Planung, Erschöpfung, Verantwortung, Weitsicht, Umsicht und der Blick auf das gesamte Familiengefüge.

Zum Beispiel „Scheren“. Scheren sind häusliche Gegenstände, die immer weg sind. Es gibt keine Schublade, kein Versteck, keine Ablage, die es schafft, Scheren für immer an sich zu binden. Sind Kinder im Haus, sind Scheren immer verschwunden, nie zur Hand und unauffindbar. Findet man eins der seltenen Exemplare sind sie immer Zweckentfremdet. Die Schneiderschere liegt im Bad, die Papierschere in der Küche, die Bastelschere eventuell im Sandkasten und Nagelscheren – mein Gott, wer verwendet denn Nagelscheren? Vielleicht tauchen sie beim nächsten Elternabend, wenn man am Platz des Filius sitzt, zufällig unter der Bank auf. Also – planen Sie einmal Nachwuchs – gewöhnen Sie sich schon einmal an Messer … obwohl, die richtig scharfen Messer? Gleiches Thema wie bei den Scheren.

Haustiere: Jeder liebende Elternteil weiß heutzutage um die wohltuende Wirkung eines Haustieres auf die psychologische Entwicklung des Nachwuchs. Kinder sollen die Möglichkeit zum Kuscheln haben, vor allen Dingen aber lernen Verantwortung zu tragen. Von Anfang an, denn nur, wer Verantwortung übernehmen lernt, kann später eimal Führungskraft werden. Also – Diskussionen – welches Haustier. Ist dieses Stadium überstanden, kommt die „Ich schwöre“-Phase. Fast ausnahmslos jedes Kind schwört, dass es – kommt das Tier ins Haus – Verantwortung und Pflege bis in die Steinzeit übernimmt. So, als würden die Eltern nicht mal merken, dass da überhaupt etwas Vierbeiniges im Haus ist. Sie dürfen sich sicher sein – die „Ich-schwöre“-Phase wird Ihnen am hartnäckigsten im Gedächtnis haften bleiben. Immer wenn Sie bei Regen mit dem Hund draußen stehen, den Karnickelstall sauber machen oder beim Tierarzt den 147igsten Kratzer von ihrer sonst so lieben Katze eingefangen haben. Ich schwöre – Kinder spielen und kuscheln mit Tieren, Sie machen zuverlässig den „Rest“.

Spülmaschine ausräumen. Uns ist es doch tatsächlich passiert, dass dieses unersätzlichste aller Haushaltsgeräte kaputt gegangen ist. Aus unterschiedlichsten Gründen kam keine Neue ins Haus. Die Eltern gewöhnten sich schnell an dieses durchaus kommunikationskräftige abendliche Geschirrspülen. Es war ok, bis zu dem Punkt als der Nachwuchs auch helfen sollte. Dann kam das gleiche Thema wie bei den Haustieren. Endlose Diskussionen und die „Ich-schwöre“-Phase – der eine räumt immer ein, der andere immer aus. Festzustellen bleibt lediglich die unwahrscheinliche Gemeinsamkeit von Haustieren und Geschirrspülmaschinen. Nachwuchs genießt, Eltern machen den Rest.

Schließlich noch ein ganz heißes Thema: Gerechtigkeit. So empfindet der Nachwuchs zuweilen die ganze Welt als geballte Ungerechtigkeit. Wird ein Wunsch nicht erfüllt oder die Last der kindlichen Arbeitsaufträge ist untragbar, kommt noch eine gemeine Hausaufgabe dazu, kann es immer nur an den Eltern liegen. Eltern und Gerechtigkeit sind Gegensätze wie Eiscreme und Solarium. Das wird besonders im Partyalter deutlich. Die ganze „KollegInnenschar“ darf immer, ohne Murren der (fremden, unbekannten) Eltern, die ganze Nacht Party feiern. Nur der eigene Nachwuchs soll zeitgerecht, oder noch schlimmer abgeholter Weise, zuhause sein. Das geht ja gar nicht. Und Fragen, ob man nicht auch mal jung war oder warum man so uncool ist, poltern auf den erzkonservativen langweiligen Erziehungsneurotiker ein. Und fragen Sie beim Frühstück bitte nicht, ob der gestrige Abend schön war. Der Nachwuchs muss ja erst aufwachen. Ist er wach, ist er schon wieder weg – die KollegInnen warten ja.

Sie bleiben schließlich zuhause sitzen, das Chaos im Haus ist vielleicht bewältigt, haben Gelegenheit und Ruhe einmal drei Gedanken einfach so in den Raum zu hängen. Ein Gedanke davon wird sicherlich sein, dass Sie ja doch viel, vielleicht sehr viel, genauso machen, wie Sie es als Kind abgelehnt haben. Von den Eltern dennoch abgeguckt, geprüft aus neuem Blickwinkel und schließlich für gut befunden haben.