Mein Bildschirmschoner heißt „Ich habe gute Laune!“

Meine Kaffeetasse steht unter dem Vollautomat und ich warte, dass die Bohnen fertig gemahlen mit heißem Wasser das wichtige Morgengetränk bereiten. Während ich warte, kommt mein Chef dazu, wir wechseln ein paar Sätze und kommen auf die am nächsten Tag geplanten Klausurtagung. Einmal im Jahr treffen sich alle ProjektleiterInnen des Stadtteilzentrums Steglitz e.V. um zukunftsweisende Themen zu erarbeiten. In diesem Jahr steht der Tag unter dem Thema „Leiten und Führen!“ Ich beschwere mich ein bisschen, dass meine Motivation bei dem Thema nicht sehr groß ist. In meiner Funktion gehöre ich keinem Team an, leite und führe nicht, sondern bin eher ein Einzelkämpfer. Klar muss ich immer wieder alle MitarbeiterInnen für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit begeistern, aber direkte Personaltätigkeiten habe ich nicht. Der Chef, Thomas Mampel – falls ich es noch nie erwähnt habe – gibt mir zu bedenken, dass ich quasi doch mich selbst leiten und führen muss. Wie es denn mit meiner Selbstmotivation aussieht, was ja auch zu „leiten und führen“ gehört. Sofort und noch während er mir das Thema schmackhaft macht, fängt mein Kopf an zu arbeiten (sogar noch ohne Kaffee). Selbstmotivation ist von Natur aus ein sehr beliebtes Thema, mit dem ich mich oft, bewusst und gerne beschäftige. Der Klausurtag ist in Form eines Barcamps geplant. Jeder kann sein Thema einbringen und versuchen dafür Interessierte zum Austausch zu finden. Mein Thema steht also fest.

Am Klausurtag biete ich dieses Thema an und trotz vieler interessanter, parallel laufender Themen, sitzen wir in einer kleinen Runde und beschäftigen uns mit den Dingen, die uns selber Motor und Antrieb sind. Dabei stellte sich sehr schnell heraus, wie unterschiedlich Selbstmotivation je nach Charakter aufgefasst und genutzt wird. Braucht der eine kleine Rituale, ist es beim anderen die Rückmeldung und beim dritten die Vorstellung eines erreichten Ziels. Das Erledigt-Häkchen war genauso dabei, wie ein Erfolgstagebuch oder Motivation durch Musik. Dem einen Kollegen hilft die Möglichkeit Aufgaben auf das einfachste herunterzubrechen, dem anderen die Freiheit und das Vertrauen seinen Arbeits- und Aufgabenbereich selber zu gestalten. Wir haben wirklich eine Menge Aspekte gefunden, die unsere Selbstmotivation stärken, aber einen gemeinsamen Nenner dafür nicht.

Ich wage zu bezweifeln, dass es einen ausschlaggebenden Aspekt der Selbstmotivation gibt. Je nachdem in welchem Kontext ich mich bewege, müssen jeweils andere Aspekte greifen, die mich in meinem Handeln führen, bestärken und antreiben. Ist es das eine Mal eine positive Vorstellung, kann es ein anderes Mal eine reale Belohnung sein und ein drittes Mal ein erleichtertes Aufatmen. Selbstmotivation spiegelt meine persönliche Haltung und Lebenseinstellung wider und ist eine Fähigkeit, die ich erlernen und pflegen kann. Trainiere ich sie, kann sie treue und sehr effektive Dienste leisten, die mein Handeln in allen Facetten positiv voranbringen. Schon Kinder sollten sehr früh die Möglichkeit und Fähigkeit erlernen, das „Selbst“ zu leben, zu probieren, zu entscheiden und so eigene Erfolge zu erleben. Erlebte Erfolge graben sich tief ins Bewusstsein ein, die künftige Aufgaben beeinflussen. Das „stolz sein“ etwas geschafft zu haben, beflügelt und motiviert im Folgenden.

Im Internet finde ich Seiten voll mit Listen, die alle möglichen Formen der Selbstmotivation anbieten. Motivation durch: erkannten Sinn und Zweck einer Aufgabe, … messbare und realistische Ziele, … machbare Teilaufgaben, … durch Klarheit, … durch Vereinfachung, … Zielvorstellungen, … durch Niederlagen als Lernschritte, … dadurch negative Denkbarrieren abzuschalten, … durch Gefühl, … durch Belohnung, … durch feste Zeitpunkte, … durch bewusste Auszeiten, … durch Druck, … durch kleine Rituale, … durch To-do-Listen, … durch ein Erfolgstagebuch, … durch Verbündete, … durch Rückmeldung, … durch Vorbilder, … durch Weiterentwicklung, … durch Lachen und positives Denken, … durch Energiequellen, … durch Musik, … durch Mut, … durch Kreativität, … selber andere Motivieren. Ganz egal, was gerade als Motivation greift, ist die Selbstmotivation grundsätzlich von dem Willen beeinflusst, etwas erreichen zu wollen.

Mein persönlich stärkster Motivator ist vornehmlich der Optimismus. Sicherlich von manchen hin und wieder belächelt, hilft es mir immer das Gute einer Sache zu betrachten und positive Umstände zu schaffen. Natürlich kann ich auch schlecht gelaunt sein, wütend werden, irgendjemanden so richtig blöde finden, entsetzt sein oder übelst schimpfen. Ich kann meinen inneren Schweinehund in die Hölle wünschen und mich selber dafür verfluchen. In der Regel halte ich es in dem Zustand jedoch nicht lange aus. Über die „Kraft des positiven Denkens“ haben meine Großeltern schon viel geredet und irgendwann ist der Funke auf mich übergegangen. Ich bin von der positiven Selbstsuggestion überzeugt. Mein Denken steuert mein Handeln, was ein bewusster Prozess und eine klare Entscheidung ist. Optimismus und positives Denken hat nichts damit zu tun, sich die Welt schön zu färben, hilft jedoch enorm sich in ihr erfolgreich zu bewegen.

Den Optimismus muss ich natürlich auch trainieren, dies ganz besonders, wenn sich widrige Umstände auftun. Aber ich habe meine kleinen Hilfen: Als Bildschirmschoner steht bei mir der Satz „Ich habe gute Laune!“. Meine Passwörter sind immer ein positiver Satz. Ich gehe an fast keinem Spiegel vorbei, in dem ich mir kein Lächeln schenke (auch wenn ich muffelig bin). Ich liebe Smileys, als Aufkleber oder wenn ich schreibe. Schöne Dinge machen mir gute Laune, was sich z.B. in zahllosen Blumenbildern wiederfindet. Und noch ein paar andere Sachen. Mit Optimismus, positivem Denken, Humor, Offenheit und einer guten Portion Selbstironie ist man, denke ich, recht gut aufgestellt und gut in der Lage sich selbst zu motivieren. Das mit dem Schweinehund trainiere ich noch, immer wieder, mal mehr oder weniger erfolgreich … 😉

Und wenn’s mal nicht klappt mit der Selbstmotivation? Nun, ich habe gelernt, dass man manchen Dingen ihren Lauf lassen muss. Fehlt eine gute Idee, lieber einer anderen Aufgabe zuwenden und später weiter machen. Wenn der Antrieb fehlt, einfach mal akzeptieren, dass ich nicht immer 100 % geben kann (99 % tun es auch 🙂 ). Der Schweinehund hat mal wieder gewonnen? Neue Strategien planen … Das wichtigste mit der Selbstmotivation ist, dass wir ehrlich mit uns selbst sind, sozusagen Experten in eigener Sache – dann klappt es! Bestimmt!

Randbegegnung

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Johannes Mirus und Sascha Foerster (links und rechts) – Bonn.digital – und Hendrik Epe in der Mitte

Ich gebe es gerne zu: Ich gehöre zu den Facebook-Nutzern, die nicht alle „Freunde“ in ihrer Freundesliste persönlich kennen. Es sind einige dabei, die ich im Kontext meiner Arbeit, des Bloggens oder durch andere Aktivitäten virtuell kennen und schätzen gelernt habe. Hin und wieder ergibt sich die Gelegenheit einmal einen solchen Kontakt persönlich kennenzulernen, was bisher immer ein Gewinn war. Solch eine Gelegenheit bot sich, als Sabine Depew über ihr Facebookprofil zum Barcamp „Sozial wird digital“ in Bonn eingeladen hatte. Bei den Wörtern „Sozial“ und „digital“ bekomme ich immer spitze Ohren und dies damit in Verbindung gesetzt, einen Facebookkontakt persönlich kennenzulernen, konnte nur bedeuten, dass ich mich anmelden wollte. Kurze Rücksprache mit dem Chef gehalten und Anna Schmidt war angemeldet. Etwas später zeigte sich, dass ich sogar zwei, bisher digitale, Kontakte persönlich kennenlernen würde. Auch Hendrik Epe hatte sich angemeldet, den ich bisher insbesondere über seinen Blog Ideenquadrat kannte. Sabine kannte ich über ihre Blogs Reisekladde und Zeitzuteilen.

Auf dem Weg zum Barcamp, und das gebe ich auch gerne zu, war ich unsicher, ob ich dort überhaupt am richtigen Platz sein würde. Zwar arbeite ich für einen sozialen Träger, habe aber keine Ausbildung, die irgend etwas soziales an sich hat. Meine Aufgabe ist es über die soziale Arbeit der KollegInnen zu berichten und dies gedruckt und digital der Welt mitzuteilen. Natürlich konnte ich über die Jahre einen guten Überblick darüber gewinnen, in welchem Ausmaß die Digitalisierung bei unserer Arbeit eine Rolle spielt. Also setzte ich mutig meinen Weg fort, kam an und fühlte mich ziemlich schnell willkommen. Die virtuellen Freunde stellten sich auch in echt als sehr sympathisch heraus und so konnte das Barcamp mit guter Laune beginnen.

Ein Barcamp ist kurz erklärt eine Zusammenkunft interessierter Menschen unter einem Leitthema. Außer dem Leitthema sind kommende Inhalte offen. Jeder, der über einen Aspekt dieses Leitthema sprechen möchte, stellt seinen Vorschlag vor. Die Vorschläge werden auf einer Tafel gesammelt auf Räume und Stunden verteilt. So kann sich jeder Teilnehmer heraussuchen, welches Unterthema ihn interessiert und er besuchen möchte. Die Wahl der Themen, was viele sicherlich bestätigen werden, war ob der Vielfältigkeit schwer, doch musste sie getroffen werden. Dennoch bestand die Möglichkeit auch während eines Gespräches oder Vortrags die Räume zu wechseln. So stellte sich jeder Teilnehmer seinen eigenen inhaltlichen „Fahrplan“ zusammen. Eine weitere Besonderheit gegenüber gewohnten Seminaren oder Workshops ist, dass man schon während des Barcamps die Welt teilhaben lässt, also über die sozialen Medien weitgehend live mitteilt, was man gerade erlebt, bespricht oder hört … so wurde über den Hashtag #sozialcamp fleißig gepostet oder getwittert. … Und es wurde später sehr viel darüber geschrieben – kurz gesagt, es war ein großer Erfolg und Gewinn für alle Teilnehmer … ein paar Links findet ihr am Ende.

Am Abend des ersten Tages waren alle zum Essen verabredet. Vorher wurde zu einer Führung durch das Bonner Regierungsviertel eingeladen. Da ich das aus den vielen Jahren, die ich dort gewohnt hatte kannte, ging ich nicht mit. Ich ging etwas früher in das Lokal. Dort saßen schon zwei Teilnehmer mit denen ich ins Gespräch kam. Bei dem einen zeigte sich recht bald, was er beruflich machte und so fragte ich den zweiten nach einer Weile, aus welchem Grund er an dem Barcamp teilnehmen würde. Er sagte kurz, er sei Autist. Ich denke, wenn man mich gefilmt hätte, hätte man gesehen, wie es in meinem Kopf arbeitet. Ich fragte unbeholfen nach und er klärte mich auf: Sein Name ist Aleksander Knauerhase und er sei Botschafter in eigener Sache. Er reist in ganz Deutschland herum und hält Vorträge über Autismus aus Sicht eines Autisten. Nun muss man wissen, dass ich noch nie einen Kontakt mit einem Autisten direkt hatte und mein Wissen darüber mehr als dürftig zu bezeichnen war. Was ich aber in der Folge erlebte, war ein Mann, der mir jegliche Scheu nahm zu fragen, was Autismus ist.

annaschmidt-berlin-com_barcamp-bonn-2Bei Aleksander wurde der Autismus sehr spät diagnostiziert, womit klar war, dass er einen schwierigen Weg gegangen sein musste. Er erzählte von der Mutter, die ihn dennoch immer so sein ließ, wie er war und so unterstützte wie er es brauchte. Natürlich war er der Mitschüler am äußeren Rand und immer anders als die anderen. So zerfiel mit jedem Wort mein Bild eines Autisten, der völlig in sich gekehrt die Welt aus seinem Leben ausschloss. Ich lernte die verschiedenen Arten des Autismus kennen. Erkannte, dass meine Tochter schon lange von einem Mädchen mit dem Asperger Syndrom in ihrer Klasse erzählte und nahm wissbegierig jedes Wort von Aleksander auf. Bewunderung empfand ich besonders für seine Darstellung, wie klar er sein Leben strukturiert und genau gelernt hatte, was er sich zumuten will, kann und darf. Ein besonderer Mann unter vielen Unwissenden, mit der besonderen selbstgestellten Aufgabe, diese Unwissenden in angenehmer Weise aufzuklären. Wir saßen auch später im Hotel noch ein wenig zusammen, denn er wurde nicht müde mir zu antworten. Stand aber später abrupt auf und forderte seine nun verdiente Ruhe. Mein Kopf kam an diesem Abend noch lange nicht zur Ruhe.

Am zweiten Tag beeindruckte mich besonders ein Vortrag „Die Psychologie des Bösen – Wie aus gewöhnlichen Menschen Täter werden“ von Reiner Knudsen. Auch darüber werde ich noch so manches Mal nachdenken müssen. Schaut euch die Präsentation an … es lohnt sich, denn wir sollten nie aufhören uns selber zu hinterfragen. Auch Aleksander bot an mit einer Gruppe über Autismus zu sprechen und natürlich war ich wieder unter den Zuhörern. Letztlich freute ich mich auf einen Beitrag – diese Beiträge werden Sessions genannt –  den Annette Schwindt über eine Video-Live-Schaltung anbot. Annette Schwindt kannte ich sehr lange über ihren Blog und über ihre Arbeit via Facebook. Sie war für mich immer die Expertin, die sich in Social Media Dingen auskennt und ich mochte schon immer ihre klare Art Dinge zu erklären. Das Thema der Videoschaltung hieß „Wie ich digital helfen wollte und niemand es verstand!“ … im Kern ging es darum, dass sie ihr Wissen sozialen Trägern zur Verfügung stellen wollte, es aber von niemandem angenommen wurde. Das konnte ich nun gar nicht verstehen, denn was konnte einem besseres passieren als solch kompetente Hilfe zu bekommen. Auch in dieser Session saß ich neben Aleksander und ich bemerkte die Vertrautheit zwischen Aleksander und Annette. Mir fiel wieder ein, dass ich auch von Annette gelesen hatte, dass sie mit dem Asperger Syndrom lebt.  Mein Plan, Annette zu schreiben, war gefasst.

Ich bin von diesem Barcamp sehr bereichert nach Hause geflogen. Hatte viel erlebt, wirklich interessante Menschen kennengelernt und viele Anregungen für meine Arbeit mitgenommen. Ganz besonders denke ich aber seither über Aleksander nach. Ich finde es bewundernswert, mit welcher Selbstverständlichkeit er für seine Sache arbeitet. Unwissende, wie mich aufklärt und für Verständnis beziehungsweise Verstehen in reinster Form wirbt. Nur wenn wir die Regeln verstehen, nach denen Menschen mit Autismus leben, können wir uns öffnen und auf ihre Bedürfnisse eingehen. Ich habe von einer stark sehbehinderten Freundin gelernt, warum sie immer auf eine Vorstellungsrunde bestanden hat – sie konnte nicht sehen, wollte aber hören wer da ist. Ich weiß aus eigener Erfahrung als Hörgeräte-Trägerin, wie wichtig es für mich ist, die Gesichter der Menschen zu sehen, die in meiner Nähe sprechen. Es sind manchmal Kleinigkeiten, die das Miteinander der Menschen erleichtern. Ein wenig zuhören, ein wenig Beobachten, ein wenig Verständnis und Entgegenkommen. Ich bin Aleksander dankbar, dass ich lernen durfte und überlege viel, was das Gehörte für mich bedeutet, wo ich umdenken, neu lernen, überdenken muss.

Die Randbegegnung war alles andere als das: Sie gehört zu den wichtigsten Begegnungen, die ich in diesem Jahr erleben durfte. Annette und ich haben E-Mails und ein paar Nachrichten ausgetauscht und freue mich, dass sich auch hier eine Tür geöffnet hat. Heute ist mir klar, warum sie so klar und logisch erklären kann … sie kann es gar nicht anders. Andersherum muss ich lernen deutlich und auf den Punkt genau Annette mitteilen, was ich ausdrücken möchte. Eine große Aufgabe für mich. Wollt ihr etwas über Autismus erfahren, dann lest in Aleksanders Blog Quergedachtes … es lohnt sich und bereichert! So zeigt sich, dass neben den realen auch virtuelle Kontakte ein wertvoller Fundus im Leben sind. Die Mischung macht’s – aber letztendlich steht hinter allen ein Mensch!

Über das Barcamp – was andere TeilnehmerInnen geschrieben haben (die Liste ist nicht vollständig, sondern nur ein Eindruck):

http://www.annetteschwindt.de/2016/12/05/digitale-hilfe-anbieten/

https://bonn.camp/sozialcamp/

http://www.praktische-sozialwissenschaft.de/2016/12/17/digitalitaet-in-der-sozialen-arbeit-es-bewegt-sich-was/

http://www.sozial-pr.net/erstes-barcamp-soziale-arbeit/?utm_content=bufferc7b3c&utm_medium=social&utm_source=twitter.com&utm_campaign=buffer

https://www.care-camp.de/war-ja-doch-viel-digitales/#more-1219