Reisefreiheit … privilegiert per Geburt

Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich – oder doch nicht? Es sollte ein wohlverdienter Urlaub und eine spannende Reise werden. Martina und Ousman hatten die Reise gebucht und freuten sich sehr auf die Sonne und die Geheimnisse Marokkos. Die Koffer wurden gepackt, es ging zum Flughafen und das Flugzeug startete. Alles wie gewünscht. Nach der Landung war die Reise zu Ende. Ousman wurde die Einreise nach Marokko verweigert.

Das Problem: Martina, in Deutschland geboren, darf per Geburt und mit ihrem Pass in 179 Länder der Erde ohne Visum einreisen. Ousman, in Guinea geboren, darf das nicht. Martina hätte sofort einreisen dürfen, aber ihr Ehemann wurde am Flughafen festgehalten. Was beide nicht wussten und auch der Reiseveranstalter im Vorfeld nicht mitteilte: Als Staatsbürger einiger afrikanischer Länder muss man ein paar Tage vor Einreise nach Marokko eine sogenannte eTA – electronic travel authorization online ausfüllen. Hintergrund ist der Versuch vieler Afrikaner über Marokko nach Europa zu gelangen. Trotz Wohnsitz in Berlin und der deutschen Ehefrau an der Seite, wurde Ousman die Einreise verweigert und auch das Ausfüllen des Formulars vor Ort verwehrt. Ihm wurde der Reisepass abgenommen. Sie bekamen die Auskunft, dass die Flughafenangestellten einen Rückflug buchen würde, nicht ohne den Hinweis, dass Martina ja weiter reisen könne. Dann verschwand der Flughafenpolizist für mehrere Stunden. Warten im Passkontrollbereich. Es gab keine Möglichkeit etwas zu essen oder zu trinken zu bekommen. Immerhin gab es zwischendurch die Information, dass der nächste Rückflug in fünf Tagen gehen würde und beide so lange im Flughafen bleiben müssten.

Martina erreichte den Reiseveranstalter und konnte so einen Rückflug für den kommenden Tag erreichen. Sie suchte den Flughafenpolizisten, der den Reisepass abgenommen hatte und erzählte ihm von dem früheren Rückflug. Daraufhin bekamen sie die Auskunft bald in den Boarding-Bereich gebracht zu werden, was nach weiteren zwei Stunden warten und mehreren Nachfragen auch geschah. Dort konnte man immerhin Essen und Trinken kaufen. Das Gepäck durften sie nicht selber einchecken, da der Bereich für beide verboten war. Nach dem Abflug der letzten Maschine für den Tag wurden Martina und Ousman im Boarding-Bereich über Nacht eingeschlossen.

An Schlaf war nicht zu denken: Alle Sitze des Bereichs hatten Armlehnen. Schlafen ging nur im Sitzen oder auf dem Fußboden liegend. Martina und Ousman entschieden sich für eine Nacht mit Kartenspielen. Am nächsten Morgen wurde Ousman von einem Polizisten zu seinem Sitz im Flugzeug gebracht. Ousmans Pass wurde der Crew übergeben. Nach der Landung in Berlin wurde er wieder von einem Flughafenpolizisten in der Maschine abgeholt und beide mit dem Polizeiauto zu den Gepäckbändern gebracht. Dort bekam Ousman seinen Reisepass zurück. Er war wieder frei – in Deutschland.

Jetzt könnte man sagen, selbst Schuld, wenn man sich nicht genau vorher informiert. Nur, wer kommt auf die Idee, dass ein geborener Afrikaner zwar nur mit Visum nach Europa reisen kann, aber auch ein Visum braucht, um wieder nach Afrika reisen zu können? Wie viele nach Europa reisewillige Afrikaner verhindert Marokko, in dem das Land auch die Einreise per Visum beschränkt? Nun, sie waren wieder in Berlin und hatten freie Urlaubstage. Waren frei, das Beste daraus zu machen, frei sich überall hinzubewegen. Aber wirklich frei? Ihre Freiheit hat einen faden Geschmack bekommen.

Ousman kam vor sieben Jahren mit einem Studentenvisum nach Berlin. Er hatte in Sierra Leone seinen Bachelor als Bauingenieur mit Auszeichnung bestanden. In Berlin hat er das Masterstudienfach Real Estate and Construction Management belegt, die Masterarbeit aus persönlichen Gründen aber nicht geschrieben. Sein Bachelor wurde in Deutschland anerkannt. Martina kennt er seit fünf Jahren und vor zweieinhalb Jahren haben sie geheiratet. Er könnte jederzeit nach Guinea zurückgehen, dort leben und arbeiten, was auch sein ursprünglicher Plan war. Aber dann hat er eben seine Frau kennengelernt. Ousman hat einen Aufenthaltstitel in Deutschland und bekommt dieses Jahr seine dauerhafte Niederlassungserlaubnis. Später kann er die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen. Dann werden beide deutsche Staatsbürger sein und doch ist es nicht das Gleiche.

Bei jeder Reise wird Ousman besonderen Kontrollen unterworfen und skeptisch geprüft. Martina reist einfach. Auch im Alltag muss sich Ousman immer wieder beweisen und subtile Diskriminierungen aushalten. Der Unterschied der weißen oder dunklen Hautfarbe ist beiden immer gegenwärtig. Sie hat das Glück, dass sie in Europa, in Deutschland, geboren ist und per Geburt und Zufall die „richtige“ Hautfarbe hat, Privilegien wie Reisefreiheit in die Wiege gelegt bekam. Kein hier geborener Mensch macht sich vor dem Urlaub Gedanken, ob er irgendwohin reisen darf. Er, in Afrika mit dunkler Hautfarbe geboren, hat ihre Privilegien nicht. Trotz dessen, dass er als freier Mann geboren wurde, einen hohen Bildungsabschluss hat, in Deutschland anerkannten Status hat, eine deutsche Ehefrau hat, arbeitet und Steuern bezahlt.

Nicht nur die Freiheit der beiden hat einen faden Geschmack bekommen. Auch das Wissen, dass unsere Welt immer noch nach Hautfarben und in Kontinente eingeteilt wird. Der Norden mag seinen Reichtum nicht mit dem Süden teilen. Der Westen schließ seine Grenzen, um vom Osten nicht überrannt zu werden. Dunkelhäutige Menschen müssen per se mit dem Stempel der Zweitrangigkeit leben. Hellhäutige haben per Geburt mehr Rechte, die weder verdient noch erarbeitet sind.

Hier wurde nicht nur eine Einreise in ein Land verweigert. Es wurde einem Menschen per Geburt das gleiche Recht, wie einem anderen verwehrt. In einer Zeit, in der die Menschen langsam verstehen und lernen müssten, dass wir global leben und nur im Zusammenspiel aller Kontinente und Länder auf Dauer eine friedliche Welt haben werden. Artikel 3 des Grundgesetzes ‚Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich‘ wartet auf seine gelebte Verwirklichung.

Der kleine König

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Sein Name hat einen persischen Ursprung und bedeutet König. Im keltischen bedeutet es weiser oder alter Mann, aber bis es soweit ist, wird es noch lange dauern, ist er doch gerade erst geboren. Halten wir uns ans Persische, denn königlich sind auch die Empfindungen, wenn man den kleinen Kerl sieht. Mit seinen gerade mal 50 Zentimetern fällt die Vorstellung, dass daraus einmal ein großer Mann wird, im Moment noch etwas schwer. Mein Bruder ist Vater geworden. Lange war mein Besuch geplant und da das Baby so unpünktlich gar nicht war, konnte ich die zweite Lebenswoche begleiten. Es ist ein unglaublich schönes Gefühl, ein Kind in den Armen zu halten, dessen Vater ich vor 33 Jahren ebenso im Arm hielt, den 21 Jahre jüngeren Bruder. Wie schön muss dieses Gefühl für die Großmutter des Kindes sein?

Wenn ich ihn im Arm halte kommen viele Gedanken und Erinnerungen auf. Allein der Geruch des Säuglings, der mit nichts anderem zu vergleichen ist. Das Schutzgefühl, das sich automatisch in mir ausbreitet. Das wohlige Gefühl, wenn ich die zarte Haut streicheln kann. Der Hoffnung, dass ihm nur das Beste im Leben widerfährt. Die Erinnerung an die eigenen Kinder, die so klein, so zart, so schutzbedürftig waren. Es ist immer wieder ein kleines Wunder, wenn so ein kleines Kind eine ganze Familie bereichert und erwachsene Menschen zu emotional gesteuerten Tagträumern macht.

Die Rollen sind neu verteilt. Der Bruder, der lange alleine lebte, hat eine wunderbare Frau gefunden und aus dem Bund ist dieses Kind entstanden. Ein Kind, das in Liebe geboren ist und zwei sehr große Familien verbindet. Wir lernen den Bruder in seiner neuen Rolle kennen. Merken, wie er Verantwortung übernimmt, die er bislang nicht kannte. Freuen uns, wie er seine Jugendhaftigkeit behält und erzählt, welche Pläne er hat und was er einmal alles mit seinem Sohn machen wird. Sehen die Freude und den Stolz in seinen Augen als ihm bewusst wird, dass sein Sohn mit den Augen seinem Finger folgen kann. Wir lernen, dass seine Frau nun die erste Stelle einnimmt und er seine eigene Familie hat. Und wir freuen uns, dass diese Frau seine Familie genauso angenommen hat wie die Familie sie.

Die Familien des kleinen Königs könnten unterschiedlicher nicht sein, wobei sie sich in der Größe nicht viel geben. Er ist eins von fünf, sie ist eins von acht Kindern. Die eine, europäische, Großmutter hat die komplette Erstlingsausstattung des Vaters aufgehoben. Da er ein Nachzügler war, musste sie damals alles noch einmal anschaffen. Das sollte nicht noch einmal passieren, da die Töchter schon erwachsen, auch Mütter werden könnten. Das bedeutet, dass der neugeborene Sohn nun die gleichen Strampelanzüge trägt wie der 33-jährige Vater. Dies fand die andere, afrikanische, Großmutter unglaublich als sie es hörte, da in ihrem Land ganz andere Traditionen, Gepflogenheiten und Erfordernisse im Umgang mit Säuglingen gelten. Es gibt zum Beispiel keine Kinderwagen. Dort, wo sie lebt, werden die Kinder am Körper getragen. Müssen doch einmal längere Wege zurück gelegt werden, ist immer jemand im Familienverband zur Stelle, der das Kind hütet. Und damit ihr Enkel im fernen Europa auch den richtigen Kinderbrei bekommt, ist ein Paket unterwegs mit einem Getreide, dass hierzulande nicht zu bekommen ist.

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Das die Mutter des kleinen Kerls aus einer anderen Kultur kommt, merkt man deutlich. Ich habe selten eine so entspannte junge Mutter erlebt. Ich denke, so entspannt war ich selber kaum. Mit einer Engelsruhe widmet sie sich ihrem Kind, wird kaum nervös und verliert nie die Geduld. Ihr ist das Glück anzusehen und das macht sie wunderschön. Aber einmal habe ich sie doch erwischt. Wir wollten spazieren gehen. Der kleine Kerl wurde von uns in den Kinderwagen gelegt und meckerte lautstark und lange. Nach ein paar Metern hörte es schlagartig auf und er schlief. Die Mama musste doch ein paarmal prüfen, ob alles mit ihm ok ist. Ha, das kannte ich doch – wie oft ging ich ans Kinderbett, wenn mein Kind länger schlief, um zu prüfen, ob alles gut ist.

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Nun muss sich die kleine Familie bewähren, wird täglich Veränderungen erfahren und im Miteinander wachsen. Wir sind Begleiter, unterstützen, wo es sinnvoll ist und stützen, wenn es erforderlich wird. Freuen uns an deren Glück und wünschen uns, dass der kleine Kerl einen guten Lebensweg vor sich hat. Nach einer Woche bin ich nach Hause gekommen, voller Erinnerungen, wie es für uns damals war, als unsere Kinder noch so klein waren. Es war wunderschön, aber auch die Jahre, die seither vergangen sind, waren im Miteinander wunderschön. Vielleicht werde ich einmal erfahren, wie das Gefühl einer Großmutter ist, die ihr Enkelkind das erste Mal auf dem Arm hält. Beim kleinen König durfte ich sehen, wie meine Mutter ihn hielt – es muss großartig sein.