Eine Zeitung von Kindern

Stadtteilzeitung Steglitz-Zehlendorf Juli-August 2015

Ich gebe es ganz ehrlich zu: Nach 123 Ausgaben der kleinen Zeitung, die ich seit 2003 bearbeite, glaubte ich, schon mit allen Wassern in der Zeitungsarbeit gewaschen zu sein. War ich nicht, denn … Jede Ausgabe der Stadtteilzeitung Steglitz-Zehlendorf hat ein Leitthema. Diese werden einmal im Jahr bei der Klausurtagung der ProjektleiterInnen des Stadtteilzentrums Steglitz e.V., für das kommende Jahr beschlossen. „Flüchtlinge“, „Nachhaltigkeit“, „Senioren“ oder „Ehrenamt“ sind Beispiele für solche Themen – alle aus dem sozialen Bereich. Im letzten Jahr hatten meine KollegInnen eine besondere Idee für mich. Unter anderen Themen sollte die Nr. 124 eine Zeitung werden, die nur von Kindern geschrieben wird.

Ich war, zugegebener Maßen, skeptisch. Das Thema bedeutete nämlich auch, dass ich für diese Ausgabe den RedakteurInnen, die alle ehrenamtlich für die Zeitung arbeiten, den aktiven Schreib-Part absagen musste. Und da diese RedakteurInnen vornehmlich der zweiten Lebenshälfte angehören, war auch nicht zu erwarten, dass wir mit der aktiven Hilfe von deren Kindern oder Kindeskinden rechnen konnten. Woher diese ganzen Kinderbeiträge kommen sollten, war mir noch ziemlich unklar. Auch, wie eine Zeitung aussehen sollte, die auf Nachrichten und Hinweisen aus dem Bezirk verzichtete. Klar war nur, dass die geschalteten Anzeigen bestehen bleiben und die Seite 6 und 7, auf denen immer die Veranstaltungen des sozialen Vereins stehen. Gut, es war ja Zeit. Bis zum Juli/August war viel Zeit … Zeit für einen öffentlichen Aufruf über unsere sozialen Netzwerke. Zeit, die KollegInnen immer wieder an dieses nette Thema zu erinnern. Zeit selber immer mal wieder rum zuhören. Und dann war die Zeit ziemlich schnell rum – wie immer, wenn man denkt, man hat Zeit.

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Der öffentliche Aufruf war verbreitet und hier freute ich mich unheimlich, dass viele Freunde z.B. unserer Facebook-Seite, diesen Aufruf weiter teilten und verbreiteten. Leider kamen aus dieser Richtung keine Beiträge bei mir an. Dabei behaupte ich immer noch, dass jede Mutter, jeder Vater, irgendwo eine Schublade hat, in der sie und er vielleicht die erste Liebeserklärung oder den ersten bitterbösen „Du-bist-so-ungerecht!“-Brief des eigenen Kindes aufgehoben hat. Nun gut. Wir machten auch wie gewohnt unsere Redaktionsvorbereitungs-Sitzung zu dem Thema, bei der sehr gute Ideen entstanden. Wie es mit Beiträgen der Jugendfeuerwehr, des Jugend-DRK oder eines Schulchores aussehen würde. Schulen könnten angesprochen werden, die Pfadfinder kontaktiert werden und vieles mehr. Nur – da war wieder das Ding mit der Zeit und die hatten wir nicht mehr. Eine Redakteurin bereitete sogar ein Anschreiben an die Direktorin einer Grundschule hier im Bezirk vor, neben der sie wohnt. Sie ist an der, sagen wir freundlich, „Für-sowas-haben-wir-keine-Zeit“-Sekretärin gescheitert und hatte nicht einmal Gelegenheit, ihr Anliegen vorzutragen. Wäre ja vielleicht schick für die Schule gewesen, in einer Zeitung darzustellen, was für fitte Schüler dort sind. War also nicht.

Die Gelegenheit nutzte dafür eine andere Schule, die Montessori Oberschule. In einem Elterngespräch fragte ich die Lehrerin meiner Tochter, ob sie schreib freudige SchülerInnen hätte. Die wusste sofort zwei Schreiberlinge und auf diese Beiträge konnte ich mich verlassen. Immerhin zwei Beiträge – für zwölf Seiten – reichte noch nicht. Nun treffen sich ja die ProjektleiterInnen des Stadtteilzentrums nicht nur einmal im Jahr, sondern monatlich in einer sogenannten PL-Runde. In einer dieser Runden bekam ich Gelegenheit mein Anliegen vorzutragen, ordentlich zu jammern und alle daran zu erinnern, dass dieses Thema eben in dieser Runde entstanden ist. Und obwohl ich eigentlich ein schlechtes Gewissen, wegen des Jammerns hatte, wirkte es. In den darauf folgenden Tagen kam eine Nachricht nach der anderen an, dass ich mit dem ein oder anderen Beitrag rechnen könne. Und nicht nur das – ich merkte, dass diese KollegInnen anfingen Spaß an der Sache zu entwickeln. Merkte ziemlich schnell, dass nun die „Zeitung von Kindern“ wahr werden würde.

Und an dieser Stelle möchte ich zu dem Grund kommen, warum ich diesen Bericht schreiben möchte. Eine Kollegin, die in einer kleinen Schulstation arbeitet, steckte mich so langsam mit ihrer Begeisterung an. Erzählte mir immer wieder, was sich bei ihr mit den Kindern ergab und lud mich ein, die Beiträge abzuholen und die kleinen RedakteurInnen kennenzulernen. Ich fuhr hin und saß in ihrem Büro, erzählte mit den MitarbeiterInnen dort und dann klingelte es zur Pause. Es wurde lauter in der Umgebung, klingelte nochmal an der Tür und ehe ich mich versah, standen etwa 10 Kinder in dem kleinen Büro. Ich wurde als die Frau mit der Zeitung vorgestellt und die nächsten Minuten werden mir immer in Erinnerung bleiben. Mit großen neugierigen und gespannten Augen, stellten die Kinder ihre Beiträge vor und verschwanden zum Teil mit noch nicht fertig gestellten Geschichten. Zwei blieben im Raum. Ein Mädchen aus der vierten Klasse, die zwei sehr lange Beiträge fast fertig hatte und ein Junge aus ihrer Klasse, der sehr gut fotografieren konnte. Wir besprachen, was noch zu tun sei und der spürbare Stolz dieser Kinder, war ein unglaublich schönes Gefühl. Ihre Beiträge in einer richtigen Zeitung. Am Ende der Pause standen wieder so viele Kinder in dem kleinen Büro und jedes plapperte: „Ich brauche drei Zeitungen!“, „Ich brauche auch drei!“, „Geht auch vier?“ oder „Mama, Papa, Oma und mein Bruder!“. Schwer für die Kinder, zu verstehen, dass es aber noch etliche Tage brauchte bis die Zeitung gestaltet, gedruckt und geliefert werden würde. Meine Kollegin schickte sie in ihre Klassen zurück. Das Mädchen verabschiedete sich sehr höflich und ihr Klassenkamerad verpasste mir die erste „Ghetto-Faust“ meines Lebens, die ich glücklicherweise sofort parierte ohne mich vor ihm zu blamieren. Solche Sachen erleben normalerweise nur die KollegInnen, die direkt mit den Kindern arbeiten, nicht ich in meinem kleinen Büro. Ich fuhr ziemlich beeindruckt wieder zurück.

Von anderen KollegInnen kamen Beiträge für die Kinderzeitung und ich muss wirklich sagen, dass ich sehr angetan war. Oft musste ich schmunzeln, oft herzhaft lachen und sehr oft imponierte mir die Weisheit oder Wahrheit, die in diesen Beiträgen stand. Schließlich – und damit hätte ich nie gerechnet, hatte ich mehr Beiträge als ich auf 12 Seiten unterbringen konnte. Ich habe gelernt, ziemlich treffsicher einen Stapel Manuskripte einzuschätzen, um zu sagen wie viele Seiten es werden. Hier konnte ich es nicht. Denn viele Artikel waren kurz, sehr viele handgeschrieben und manche nur als Bild verwendbar. Ich hatte die Qual der Wahl, fing an die Zeitung zu gestalten und musste mich entscheiden bzw. passende Beiträge zusammenstellen. Wenn ich mit so einer Zeitung anfange, brauche ich immer schnell ein Titelbild – dann hat die Zeitung für mich ein „Gesicht“. Ich weiß nicht warum, aber das ist wichtig für mich. Und das hatte ich sehr bald – eine Kinderzeichnung – warum sollte diese besondere Zeitung auch unbedingt ein Foto als Titelbild haben. Der Rest ist eigentlich schnell erzählt, denn er ergab sich von selbst. Die Titelgeschichte stand recht zügig fest und alles andere war ein doch gewohntes großes Puzzle. Das wurde pünktlich fertig, allen beteiligten KollegInnen zur Korrektur geschickt, mit einem Vorwort unseres Geschäftsführers versehen und schließlich gedruckt.

Zum Inhalt sage ich hier nicht so viel, denn es soll eine Einladung zum Lesen sein. Schaut euch die Kinderzeitung einmal an. Ich finde sie großartig, finde klasse, was Kinder können. Wir haben bewusste Rechtschreibfehler nicht verbessert, den auch beim Schreiben muss erst einmal die Motivation gelegt werden. Die richtige Schreibweise kommt mit der Übung – und dem Spaß an der Sache. Ich hatte sehr viel Spaß an dieser Zeitung und freue mich über den Stolz der Kinder, deren Beiträge in dieser Zeitung stehen. Wenn die KollegInnen im nächsten Jahr wieder einmal eine Kinderzeitung haben möchten, werde ich sicherlich sagen: „Gerne – mit eurer Hilfe – ja!“

Stadtteilzeitung Steglitz-Zehlendorf - Juli/August 2015

Ein Klick auf die Zeitung und ihr könnt los lesen! 🙂

Einen besonders herzlichen Dank für ihre Mitarbeit und Vermittlung der Beiträge:
Bianca Zielinska – Schulstation „Schuloase“ an der Ludwig-Bechstein-Grundschule.
René Stürkat – Schülerclub Memlinge.
Saskia Valle und Juliane Langguth – Ergänzende Förderung und Betreuung an der Grundschule am Insulaner.
Kristoffer Baumann – KiJuNa – Kinder-, Jugend- und Nachbarschaftszentrum.
Mike  Haase – Ergänzende Förderung und Betreuung an der Peter-Frankenfeld-Schule.
Beate Mohnstein – Geschäftsstelle Stadtteilzentrum Steglitz e.V.
Kordula Proschitzki – Montessori Oberschule.

Ein Brief für mich!

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Ob schöne Karten, besondere Briefe, kleine Zettelchen oder geheime Nachrichten, wie hier, in der Tablettendose versteckt … sie sagen immer – ich habe nur an dich gedacht!

Der kleine Schlüssel dreht sich einmal im Schloss und die Klappe vom Briefkasten ist geöffnet. Ich nehme den ganzen Stapel Post heraus, schließe wieder und trage meine „Beute“ ins Haus. Auf dem Tisch sortiere ich. Rechnung, Werbung, Rechnung, Werbung, Werbung, Infopost, Rechnung, Brief, Werbung, … stopp … ein Brief dazwischen. Ich werde neugierig und schaue mir den Brief genauer an. In Handschrift steht meine Adresse darauf und hinten ebenso der Absender. Ein Brief von meiner Freundin, nur für mich oder besser – extra für mich. Ich öffne ihn und lese, bin gerührt und freue mich ganz besonders über diese gelungene Überraschung. 

Ein Brief im Zeitalter der Digitalisierung und dabei stehen auch dieser Freundin und mir sämtliche Kommunikationswege via Internet und Smartphone offen. Wir haben oft Kontakt über sogenannte Messenger, schicken uns Nachrichten oder Bilder, grüßen kurz oder erzählen etwas von den Kindern. Wir wohnen in unmittelbarer Nähe. Und nun dieser Brief. Ich hatte ihr zwei Tage zuvor einen Link geschickt und mich gewundert, dass sie sich dazu nicht äußerte. Die Antwort auf meine Nachricht war ihr so wichtig, dass sie sich die Mühe machte, einen schönen Briefbogen zu nehmen, zu schreiben, ihn in den Umschlag zu stecken und in meinen Briefkasten zu legen. Welch eine Wertschätzung – ich war überwältigt.

Ich gehöre nicht zu der „Früher war alles viel besser“-Fraktion, aber die Gefühle, die sich bei mir um diesen Brief zeigten, machen mich doch etwas nachdenklich. Mein Umgang mit Nachrichten und Briefen war früher anders. Früher habe ich viel geschrieben, nein, ich habe immer viel geschrieben. Doch früher hatte ich kein Smartphone, keinen Computer, keine Technik und keine Autokorrektur, die das Schreiben viel schneller, effektiver, leichter machen. Früher habe ich mir schönes Papier genommen, habe Briefe und Botschaften geschrieben und verschickt. Viele Briefe und lange Briefe. Ich war auf jeden Brief stolz und immer glücklich, wenn ich einen in den Briefkasten stecken konnte. Und wie groß war die Freude, wenn eine Antwort kam – nur für mich.

Dabei spielten Briefe immer eine besondere Rolle. Als ich zum Beispiel meinen Mann kennengelernt habe, wohnte er an der Nordsee und ich im Schwabenland. Damals gab es nur Telefon und Briefe. Telefonieren war teuer, also schrieben wir Briefe, über zwei Jahre lang. Wunderbare, lange Briefe. Er schrieb immer so, wie er sprach und da er immer schon ein Mensch war, der andere zum Lachen bringen kann, waren auch seine geschriebenen Briefe so zum Lachen. Ich fuhr manchmal in der Mittagspause meiner Ausbildung nach Hause um zu sehen, ob ein Brief von ihm da war. War einer da, steckte ich ihn ein und musste schnell wieder zum Unterricht. Dort las ich die Briefe heimlich unter der Bank – warten ging nicht – und musste manchmal so lachen, dass ich manchen Toilettengang vortäuschen musste. Später verloren wir den Kontakt zueinander, das sollte aber nicht auf Dauer so sein. Sieben Jahre später erzählte mir mein Cousin wieder von diesem Mann und ich schrieb wieder einen kleinen Brief, vollkommen belanglos und kurz. Er könne sich ja melden, wenn er Lust hätte … hatte er. Wir schrieben wieder Briefe und telefonierten zwei Monate lang. Als die Telefonrechnung dann um die 1600,- DM betrug, war mein Umzug in den Norden beschlossen. Das war vor 21 Jahren – wir schreiben keine Briefe mehr – aber lachen oft, wenn wir an diesen Briefwechsel denken müssen.

Ganz besondere Briefe und Botschaften waren die kleinen Zettelchen meiner Kinder. Jede Mutter, jeder Vater könnte vor Rührung fast umfallen, wenn sie oder er das erste Mal einen Brief vom Kind bekommt. Kleine, große, bunte und krumme Buchstaben, die Worte formen, Sätze bilden und die Welt der Eltern in ein Meer von Gefühlen eintauchen lassen. So schön, wertvoll und wichtig die Botschaft des Kindes! Später, wenn das mit dem Schreiben bei den Kleinen dann schon besser geht, werden auch ihre Briefe wichtiger. So fand ich einige Botschaften an strategisch wichtigen Stellen. Kinder haben ein punktgenaues Gespür dafür, wo sie Botschaften für Eltern hinterlegen müssen. Dabei waren unter anderen lebenswichtige Appelle, bittere Entschuldigungen, herzergreifende Wünsche oder auch mal ein „Ich kann nicht schlafen!“ (funktionierte immer – Kind schlief). Ganz oft fand ich die schlichten Botschaften „Ich hab dich lieb!“, die mich immer wieder ermahnten, ob ich das meinen Kindern im Gegenzug auch deutlich zeige. Ich habe alle aufgehoben.

Handgeschriebene Briefe sind mehr als Nachrichtenübermittler. Sie sind die direkte Auseinandersetzung mit meinem Gegenüber. Kein Korrekturprogramm hilft mir und ich muss die Worte bewusst und überlegt wählen, die ich verwenden will. Ich muss acht geben, was ich schreibe, wie ich schreibe und was ich nicht nur im Wort, sondern auch im Gefühl transportieren will. Solche Briefe sagen immer aus „Ich habe mir Zeit genommen – nur für dich!“. Handgeschriebene Briefe sind auch nicht so schnell gelöscht, wie eine E-Mail oder verschwinden in dem Meer der Kurznachrichten. Sie sagen immer aus, dass mir eine Sache so wichtig ist, dass ich mir die Zeit dafür nehme. Der Brief liegt beim Empfänger und selbst, wenn er unter einem Stapel Papiere oder einer Schublade verschwindet, taucht er wieder auf und erinnert an eine besondere Begebenheit.

Oftmals habe ich Briefe geschrieben, bei denen für mich von Anfang an klar war, dass ich sie nicht abschicken würde. Diese Briefe haben mir geholfen, mir über eine Begebenheit klar zu werden. Mit etwas ins Reine zu kommen, etwas für mich zu verarbeiten und abzuschließen. Und ich habe immer ein schönes Papier und einen gute Stift gewählt. Die Wahl des Papiers und des Schreibmittels trägt sehr zur Freude und Wertigkeit der Sache bei. An schönem Schreibpapier kann ich kaum vorbeigehen.

Für mich habe ich beschlossen, wieder mehr – handgeschriebene – Briefe zu schreiben und zu verschicken. Ich möchte wieder bewusster entscheiden, welche Nachrichten eine besondere Form wert sind. Es muss ja kein seitenlanger Brief werden, auch eine schöne Karte kann viel ausdrücken. Zu oft nehme ich die mangelnde Zeit als Ausrede, schnell eine E-Mail zu schreiben oder anzurufen. Besondere Menschen, besondere Freunde, besondere Anlässe und besondere Gedanken sind es wert, diese Form der Wertschätzung nicht zu vergessen. Ich selbst finde Besinnung beim Schreiben und bei der Vorstellung, wie mein Brief bei dem anderen ankommt. Auch ist das handgeschriebene Wort bewusster gewählt, als das der E-Mail, dass eh gleich wieder von der Korrektur gelöscht werden kann. Der erste Brief geht an die Freundin, die jetzt im Urlaub ist. Mal sehen, was sie sagt, wenn sie ihren kleinen Briefkastenschlüssel bei der Heimkehr in den Briefkasten steckt. Dort einen Brief findet auf dem steht: „Nur für dich!“

Plötzlich ist alles ganz anders

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In dem einen Moment genießen wir es alle – endlich ist Sommer und die Sonne scheint. Gut, es ist vielleicht schon wieder ein bisschen zu warm, aber seien wir ehrlich. Besser als mit dicken Mänteln und roter Nase über Glatteis laufen, ist das Wetter gerade allemal. Wir genießen die Parks, die Gärten, die Blumen und die Möglichkeit sämtliche Freiräume zu nutzen, die sich uns bieten. Wir genießen das Leben in vollen Zügen. Dann kommt plötzlich ein Anruf und alles ist anders.

Eine Nachricht, dass die Mutter, Schwiegermutter und Oma im Krankenhaus liegt. Die Familie bricht sofort alles ab, was im Moment vonstattengeht und orientiert sich von jetzt auf gleich neu. Man setzt sich ins Auto, fährt zum Krankenhaus mit der bangen Hoffnung, dass es nicht so schlimm sein wird, wie man … nein, wie man sich eigentlich nicht denken möchte. Die erste Einschätzung vom Arzt wird eröffnet und dann heißt es abwarten, wie es sich entwickelt. Was kommt am nächsten Tag? Was wird sein, wenn alle Ergebnisse der Untersuchungen vorliegen? Wie sieht die Zukunft aus?

Das ist eine Situation, wie sie jeden Tag geschieht, die wir aber eigentlich nicht wahrhaben wollen. Wir sind froh, wenn sie uns selber nicht trifft. Man hört davon immer wieder von Verwandten, von Nachbarn, von Kollegen oder Freunden von Freunden. Plötzliche Krankheitsfälle oder Unfälle, die dem Leben von einer Minute auf die andere eine völlig andere Richtung geben. Wollen wir auch nicht hören. Wir sind ja gesund und es geht uns gut. Was auch immer so bleiben sollte – hoffen wir.

Nach der ersten Prognose des Arztes kommt die Ernüchterung und es beginnen die Gedankenspiele, was wird wenn dies oder jenes passiert. Spekulationen kreisen im Kopf, aber ein richtiges und befriedigendes Ergebnis kann es nicht geben, denn es ist ja nichts mehr sicher und fest. Und – es wird nie mehr, wie es einmal war. Die einzige Sicherheit.

Die Angehörigen müssen nun warten, gezwungenermaßen. Wie gestaltet sich der Krankheitsverlauf? Mit welchen Einschränkungen ist zu rechnen? Ist eine vollständige Gesundung überhaupt möglich? Jeder verarbeitet für sich selber, auf seine Weise. Hat Bilder im Kopf, erinnert sich an Situationen und versucht seiner Angst Herr zu werden. Gut, wenn man sich austauschen kann. Wenn man gemeinsam verarbeitet, die Situation bespricht und notwendige Schritte plant.

Wenn man denn planen kann! Allzu oft stellen Angehörige in genau solch einer Situation fest, dass sie gar nichts planen dürfen. Das sie nicht entscheiden können. Keinerlei Rechte haben einzugreifen und dem Angehörigen nach ihrem Verständnis unterstützen dürfen. Es fehlen die notwendigen Papiere, Unterlagen, Verfügungen und Vollmachten. Man weiß vielleicht genau, was sich der kranke oder verletzte Angehörige gewünscht hat, dennoch gibt es keine Möglichkeit, dies geltend zu machen, wenn zeitige Vorsorge nicht getroffen wurde. Ein gerichtlich bestellter Vormund wird benannt und Angehörige können nur hoffen, dass er die Lage des Patienten einvernehmlich einschätzt und handelt.

Es tut weh, sich vorzustellen was wird, wenn man selber einmal schwer krank oder so verletzt ist, dass man nicht mehr für sich selber entscheiden kann. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass genau dieser Fall eintritt ist enorm hoch. Selbst wenn wir Glück haben, nicht schwer krank werden, keinen Unfall erleben, sondern einfach nur alt werden – irgendwann kommt der Moment indem wir nicht mehr selber entscheiden können. So gilt es vorzusorgen, wenn wir gesund und im Vollbesitz unserer geistigen Kräfte sind. Und dies nicht nur für uns selber, sondern und insbesondere als Entlastung für unsere Angehörigen. Ja, es tut weh, sich diesen schlimmsten Fall der Fälle vorzustellen und entsprechende Papiere vorzubereiten, aber – genau diese Vorbereitung gibt die beruhigende Sicherheit, dass im schlimmsten Fall das getan wird, was wir selber verfügt haben. Das unseren Wünschen Rechnung getragen werden muss und die Menschen, denen wir vertrauen, auch ein Auge darauf haben, dass unsere Verfügungen umgesetzt werden.

Zu nennen sind hierbei die Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung, Betreuungsverfügung, Bankvollmachten und ggf. eine Generalvollmacht. Papiere, die eine vertraute Person in die Lage versetzen, unseren bestimmten Willen durchzusetzen. Zudem ersparen wir der Person unseres Vertrauens viele unangenehme Wege und Erklärungen. Die Rechtslage ist klar. Gibt es keine Papiere, gibt es für Angehörige nichts zu tun, außer die Dinge als Zuschauer zu beobachten und hinzunehmen oder einen unangenehmen und schwierigen Instanzenweg zu durchlaufen.

Besondere Vorsicht ist dabei denen zu raten, die glauben, dies gilt nur für erwachsene Kinder und deren Eltern im Seniorenalter. Ehepartner sind genauso betroffen, wie Paare mit Kindern. Lebensgemeinschaften haben wiederum besondere Regelungen, genauso wie Geschwister untereinander. Es gibt ausnahmslos niemanden, der keiner Vorsorge bedarf, was im Fall der Fälle mit ihm geschehen soll. Oder besser noch, was eben nicht mit uns geschehen soll. Wer denkt schon als junge Mutter oder Vater gerne daran, was passiert, wenn beiden Elternteilen ein Unglück geschieht. Haben Sie festgelegt, wer das Sorgerecht und das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Kinder bekommt? Wollen Sie die Entscheidung treffen und festlegen oder überlassen Sie diese den Ämtern, die keinen Einblick haben, wie die familiäre Konstellation wirklich ist? Wem die Kinder vertrauen oder bei wem Sie denken, dass sie in ihrem Sinne weiter erzogen werden könnten. Wer, wenn nicht Sie selber, kann am besten beurteilen, wie der Fall der Fälle in ihrem Sinne geregelt werden sollte.

Informationen dazu findet man an vielen Stellen. Man kann viel Geld dafür ausgeben oder sich an soziale Verbände wie die Caritas oder in Berlin z.B. an die Bezirksämter wenden, die solide Informationen und Hilfe geben können. Bei den Bezirksämtern wird eine Gebühr von 10 € für die Beglaubigung erhoben.

Im Eingangs beschriebenen Fall der Großmutter wurden alle erforderlichen Verfügungen rechtzeitig getroffen. Und so ungewiss die Situation sein mag, ist es beruhigend, dass die Familie aktiv teilhaben, begleiten und entscheiden kann, wie auch immer der Genesungsverlauf aussehen wird. Die Aufmerksamkeit gilt allein dem Patienten und nicht irgendwelchen Formularen, für die man doch keinen Kopf frei hat.