Eine Zeitung von Kindern

Stadtteilzeitung Steglitz-Zehlendorf Juli-August 2015

Ich gebe es ganz ehrlich zu: Nach 123 Ausgaben der kleinen Zeitung, die ich seit 2003 bearbeite, glaubte ich, schon mit allen Wassern in der Zeitungsarbeit gewaschen zu sein. War ich nicht, denn … Jede Ausgabe der Stadtteilzeitung Steglitz-Zehlendorf hat ein Leitthema. Diese werden einmal im Jahr bei der Klausurtagung der ProjektleiterInnen des Stadtteilzentrums Steglitz e.V., für das kommende Jahr beschlossen. „Flüchtlinge“, „Nachhaltigkeit“, „Senioren“ oder „Ehrenamt“ sind Beispiele für solche Themen – alle aus dem sozialen Bereich. Im letzten Jahr hatten meine KollegInnen eine besondere Idee für mich. Unter anderen Themen sollte die Nr. 124 eine Zeitung werden, die nur von Kindern geschrieben wird.

Ich war, zugegebener Maßen, skeptisch. Das Thema bedeutete nämlich auch, dass ich für diese Ausgabe den RedakteurInnen, die alle ehrenamtlich für die Zeitung arbeiten, den aktiven Schreib-Part absagen musste. Und da diese RedakteurInnen vornehmlich der zweiten Lebenshälfte angehören, war auch nicht zu erwarten, dass wir mit der aktiven Hilfe von deren Kindern oder Kindeskinden rechnen konnten. Woher diese ganzen Kinderbeiträge kommen sollten, war mir noch ziemlich unklar. Auch, wie eine Zeitung aussehen sollte, die auf Nachrichten und Hinweisen aus dem Bezirk verzichtete. Klar war nur, dass die geschalteten Anzeigen bestehen bleiben und die Seite 6 und 7, auf denen immer die Veranstaltungen des sozialen Vereins stehen. Gut, es war ja Zeit. Bis zum Juli/August war viel Zeit … Zeit für einen öffentlichen Aufruf über unsere sozialen Netzwerke. Zeit, die KollegInnen immer wieder an dieses nette Thema zu erinnern. Zeit selber immer mal wieder rum zuhören. Und dann war die Zeit ziemlich schnell rum – wie immer, wenn man denkt, man hat Zeit.

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Der öffentliche Aufruf war verbreitet und hier freute ich mich unheimlich, dass viele Freunde z.B. unserer Facebook-Seite, diesen Aufruf weiter teilten und verbreiteten. Leider kamen aus dieser Richtung keine Beiträge bei mir an. Dabei behaupte ich immer noch, dass jede Mutter, jeder Vater, irgendwo eine Schublade hat, in der sie und er vielleicht die erste Liebeserklärung oder den ersten bitterbösen „Du-bist-so-ungerecht!“-Brief des eigenen Kindes aufgehoben hat. Nun gut. Wir machten auch wie gewohnt unsere Redaktionsvorbereitungs-Sitzung zu dem Thema, bei der sehr gute Ideen entstanden. Wie es mit Beiträgen der Jugendfeuerwehr, des Jugend-DRK oder eines Schulchores aussehen würde. Schulen könnten angesprochen werden, die Pfadfinder kontaktiert werden und vieles mehr. Nur – da war wieder das Ding mit der Zeit und die hatten wir nicht mehr. Eine Redakteurin bereitete sogar ein Anschreiben an die Direktorin einer Grundschule hier im Bezirk vor, neben der sie wohnt. Sie ist an der, sagen wir freundlich, „Für-sowas-haben-wir-keine-Zeit“-Sekretärin gescheitert und hatte nicht einmal Gelegenheit, ihr Anliegen vorzutragen. Wäre ja vielleicht schick für die Schule gewesen, in einer Zeitung darzustellen, was für fitte Schüler dort sind. War also nicht.

Die Gelegenheit nutzte dafür eine andere Schule, die Montessori Oberschule. In einem Elterngespräch fragte ich die Lehrerin meiner Tochter, ob sie schreib freudige SchülerInnen hätte. Die wusste sofort zwei Schreiberlinge und auf diese Beiträge konnte ich mich verlassen. Immerhin zwei Beiträge – für zwölf Seiten – reichte noch nicht. Nun treffen sich ja die ProjektleiterInnen des Stadtteilzentrums nicht nur einmal im Jahr, sondern monatlich in einer sogenannten PL-Runde. In einer dieser Runden bekam ich Gelegenheit mein Anliegen vorzutragen, ordentlich zu jammern und alle daran zu erinnern, dass dieses Thema eben in dieser Runde entstanden ist. Und obwohl ich eigentlich ein schlechtes Gewissen, wegen des Jammerns hatte, wirkte es. In den darauf folgenden Tagen kam eine Nachricht nach der anderen an, dass ich mit dem ein oder anderen Beitrag rechnen könne. Und nicht nur das – ich merkte, dass diese KollegInnen anfingen Spaß an der Sache zu entwickeln. Merkte ziemlich schnell, dass nun die „Zeitung von Kindern“ wahr werden würde.

Und an dieser Stelle möchte ich zu dem Grund kommen, warum ich diesen Bericht schreiben möchte. Eine Kollegin, die in einer kleinen Schulstation arbeitet, steckte mich so langsam mit ihrer Begeisterung an. Erzählte mir immer wieder, was sich bei ihr mit den Kindern ergab und lud mich ein, die Beiträge abzuholen und die kleinen RedakteurInnen kennenzulernen. Ich fuhr hin und saß in ihrem Büro, erzählte mit den MitarbeiterInnen dort und dann klingelte es zur Pause. Es wurde lauter in der Umgebung, klingelte nochmal an der Tür und ehe ich mich versah, standen etwa 10 Kinder in dem kleinen Büro. Ich wurde als die Frau mit der Zeitung vorgestellt und die nächsten Minuten werden mir immer in Erinnerung bleiben. Mit großen neugierigen und gespannten Augen, stellten die Kinder ihre Beiträge vor und verschwanden zum Teil mit noch nicht fertig gestellten Geschichten. Zwei blieben im Raum. Ein Mädchen aus der vierten Klasse, die zwei sehr lange Beiträge fast fertig hatte und ein Junge aus ihrer Klasse, der sehr gut fotografieren konnte. Wir besprachen, was noch zu tun sei und der spürbare Stolz dieser Kinder, war ein unglaublich schönes Gefühl. Ihre Beiträge in einer richtigen Zeitung. Am Ende der Pause standen wieder so viele Kinder in dem kleinen Büro und jedes plapperte: „Ich brauche drei Zeitungen!“, „Ich brauche auch drei!“, „Geht auch vier?“ oder „Mama, Papa, Oma und mein Bruder!“. Schwer für die Kinder, zu verstehen, dass es aber noch etliche Tage brauchte bis die Zeitung gestaltet, gedruckt und geliefert werden würde. Meine Kollegin schickte sie in ihre Klassen zurück. Das Mädchen verabschiedete sich sehr höflich und ihr Klassenkamerad verpasste mir die erste „Ghetto-Faust“ meines Lebens, die ich glücklicherweise sofort parierte ohne mich vor ihm zu blamieren. Solche Sachen erleben normalerweise nur die KollegInnen, die direkt mit den Kindern arbeiten, nicht ich in meinem kleinen Büro. Ich fuhr ziemlich beeindruckt wieder zurück.

Von anderen KollegInnen kamen Beiträge für die Kinderzeitung und ich muss wirklich sagen, dass ich sehr angetan war. Oft musste ich schmunzeln, oft herzhaft lachen und sehr oft imponierte mir die Weisheit oder Wahrheit, die in diesen Beiträgen stand. Schließlich – und damit hätte ich nie gerechnet, hatte ich mehr Beiträge als ich auf 12 Seiten unterbringen konnte. Ich habe gelernt, ziemlich treffsicher einen Stapel Manuskripte einzuschätzen, um zu sagen wie viele Seiten es werden. Hier konnte ich es nicht. Denn viele Artikel waren kurz, sehr viele handgeschrieben und manche nur als Bild verwendbar. Ich hatte die Qual der Wahl, fing an die Zeitung zu gestalten und musste mich entscheiden bzw. passende Beiträge zusammenstellen. Wenn ich mit so einer Zeitung anfange, brauche ich immer schnell ein Titelbild – dann hat die Zeitung für mich ein „Gesicht“. Ich weiß nicht warum, aber das ist wichtig für mich. Und das hatte ich sehr bald – eine Kinderzeichnung – warum sollte diese besondere Zeitung auch unbedingt ein Foto als Titelbild haben. Der Rest ist eigentlich schnell erzählt, denn er ergab sich von selbst. Die Titelgeschichte stand recht zügig fest und alles andere war ein doch gewohntes großes Puzzle. Das wurde pünktlich fertig, allen beteiligten KollegInnen zur Korrektur geschickt, mit einem Vorwort unseres Geschäftsführers versehen und schließlich gedruckt.

Zum Inhalt sage ich hier nicht so viel, denn es soll eine Einladung zum Lesen sein. Schaut euch die Kinderzeitung einmal an. Ich finde sie großartig, finde klasse, was Kinder können. Wir haben bewusste Rechtschreibfehler nicht verbessert, den auch beim Schreiben muss erst einmal die Motivation gelegt werden. Die richtige Schreibweise kommt mit der Übung – und dem Spaß an der Sache. Ich hatte sehr viel Spaß an dieser Zeitung und freue mich über den Stolz der Kinder, deren Beiträge in dieser Zeitung stehen. Wenn die KollegInnen im nächsten Jahr wieder einmal eine Kinderzeitung haben möchten, werde ich sicherlich sagen: „Gerne – mit eurer Hilfe – ja!“

Stadtteilzeitung Steglitz-Zehlendorf - Juli/August 2015

Ein Klick auf die Zeitung und ihr könnt los lesen! 🙂

Einen besonders herzlichen Dank für ihre Mitarbeit und Vermittlung der Beiträge:
Bianca Zielinska – Schulstation „Schuloase“ an der Ludwig-Bechstein-Grundschule.
René Stürkat – Schülerclub Memlinge.
Saskia Valle und Juliane Langguth – Ergänzende Förderung und Betreuung an der Grundschule am Insulaner.
Kristoffer Baumann – KiJuNa – Kinder-, Jugend- und Nachbarschaftszentrum.
Mike  Haase – Ergänzende Förderung und Betreuung an der Peter-Frankenfeld-Schule.
Beate Mohnstein – Geschäftsstelle Stadtteilzentrum Steglitz e.V.
Kordula Proschitzki – Montessori Oberschule.

Warum machst du das eigentlich?

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„Warum machst du das eigentlich“, fragte mich eine Bekannte und ihr Unverständnis in der Stimme war deutlich zu hören. Im ersten Moment war ich verwirrt, bis ich verstand was sie meinte. Ich hatte mich beklagt, dass ich trotz Müdigkeit am Abend noch eine ehrenamtliche Arbeit für den Sportverein meiner Kinder fertig bekommen musste. Ja, warum macht man das eigentlich. Warum engagieren sich manche Menschen ehrenamtlich, obwohl vordergründig keine Vorteile daraus ersichtlich sind. Ein Ehrenamt hat immer etwas den Ruf, dass man mehr investiert als man zurück bekommt. Also muss es andere Gründe geben, warum sich viele Menschen engagieren und so einen wertvollen Beitrag in allen gesellschaftlichen Belangen leisten. Ehrenamtlich Engagierte als blauäugig oder Weltverbesserer abzutun wäre zu leicht.

In einem Bereich meiner Arbeit wechsele ich die Rolle der selbst Engagierten, in die Rolle derjenigen, die ein Ehrenamt anbietet. Mein Arbeitgeber ist das Stadtteilzentrum Steglitz e.V., ein sozialer Verein mit Einrichtungen von der Kita bis zum Seniorenheim. Mein Arbeitsbereich ist die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. In diesem Rahmen begleite ich ein Projekt, das ohne ehrenamtliche MitarbeiterInnen in dieser Form nicht denkbar wäre – die Stadtteilzeitung Steglitz-Zehlendorf. Die erste Stadtteilzeitung erschien im März/April 1996 und hieß damals noch “Nachbarschaftsbote”. Die ersten Ausgaben wurden auf einem Kopierer vervielfältigt, aber im Laufe der Zeit entwickelte sie sich zur Stadtteilzeitung und veränderte viele Male ihr “Gesicht”. Nach einer sieben monatigen Zeitungspause durfte ich an diesem Projekt ab April 2003 teilhaben. Schaut man in das Impressum der ersten Ausgaben 2003, so findet man vornehmlich MitarbeiterInnen des Stadtteilzentrums, was sich aber in den folgenden Ausgaben sehr schnell ändert. Das Impressum füllte sich sehr bald mit den Namen ehrenamtlicher RedakteurInnen, die uns nun zum Teil schon über sehr viele Jahre begleiten.

Die Gründe in diesem Bereich mit Ehrenamtlichen zu arbeiten sind vielfältig. Einer davon ist der zeitliche Aspekt. In der täglichen sozialen Arbeit ist zum einen viel zu tun und zum anderen fällt es MitarbeiterInnen schwer zu erkennen wie erzählenswert ihre Arbeit ist, die sie als Selbstverständlichkeit ansehen. Geht ein Kind glücklich nach der Hausaufgabenbetreuung nach Hause, ist das für „Zeitungsmacher“ eine Geschichte wert. Der Mitarbeiter sieht eher die erfüllte Pflicht, die schwer in Worte zu fassen ist. Der Blick des Ehrenamtlichen von außen, lässt es dann wiederum zu einem Bericht werden. Hinzu kommt die Vielfältigkeit der Stadtteilzeitung, die aus allen Bereichen des Bezirks berichtet. Nicht nur eigene Einrichtungen, auch Kooperationspartner, Initiativen, der Bezirk, Privatpersonen, Schulen, Aktionen, Projekte … jeder kommt zu Wort, der sich an die Redaktion wendet und die moralischen Grundsätze der Zeitung einhält. Diese Vielfältigkeit zu bedienen ist nur durch ehrenamtliche Redakteure möglich, die aus allen Bereichen des Bezirks kommen. Sie sind nicht nur die Berichtenden, sondern zugleich auch diejenigen, die Hinweise geben, worüber wir berichten sollten. Seit einigen Jahren arbeiten wir in der Redaktion in jeder Ausgabe mit Themenschwerpunkten, wie zum Beispiel Familie, Bildung, Jugend, Sport, Nachhaltigkeit. Auch diesbezüglich offerieren die RedakteurInnen die notwendige Vielfalt. Durch die Unterschiedlichkeit ihrer Persönlichkeiten bekommen die Themenschwerpunkte verschiedene Gewichtungen, die eine abwechslungsreiche Zeitung möglich machen.

Die Redaktionssitzungen sind spannend. Denn auch wenn sich das Team meist schon lange kennt, gibt es immer wieder Diskussionen, die verschiedene Standpunkte und Sichtweisen unter einen Hut bringen müssen. Es muss ein gemeinsamer Nenner gefunden werden, der eine gemeinsame Zeitungsausgabe möglich macht. Die Gründe über teils viele Jahre in diesem Team mitzuarbeiten sind unterschiedlich. Dank und große Wertschätzung hat einen hohen Stellenwert. Es ist eine fruchtbare Arbeit, abwechslungsreich und spannend und letztendlich erfüllt es ja auch mit Stolz, zu wissen, dass der eigene Artikel 10.000 mal im Bezirk gelesen wird. Es ist ein Team, das über die Zeit gelernt hat, die Eigenheiten, Schwächen und Stärken der anderen zu schätzen.

Meine KollegInnen erfreuen sich ebenso der Unterstützung durch Ehrenamtliche in ihren Arbeitsbereichen. Englischunterricht, Deutschunterricht, Lesestunden für Kinder, Bastelstunden, Hilfe im Nachbarschaftscafé, bei der Gartenarbeit, Hausaufgabenhilfe … sind einige Beispiele dafür. Und genauso wie die Ehrenamtlichen der Stadtteilzeitung, ermöglichen sie eine Angebotsvielfalt, die nur mit dem normalen Arbeitsaufwand personell nicht möglich wäre. Sie bringen den Gemeinschaftsgedanken, Freude am Umgang mit Menschen, Wertschätzung, Erfahrungen und viele andere menschliche Aspekte mit ein, die eine große Bereicherung und ganz besondere Hilfe sind.

In jedem Ehrenamt liegt ein egoistischer Aspekt. So engagiere ich mich in der GEV (Gesamteltervertretung) der Schule meiner Tochter und bin besser informiert, als die meisten Eltern. Ich engagiere mich im Sportverein und kann auch so indirekt den sportlichen Gedanken meiner Kinder fördern. Ich stelle mich an einen Info-Stand meines Vereins und kann meiner Neugier auf ein Event den nötigen Raum einräumen. Ich schreibe für eine Zeitung und finde meine Berichte in großer Vervielfältigung. Ich gebe Deutschunterricht und trainiere eine Weiterbildung. Ich helfe im Café und bin nicht mehr allein. Es ist ein gesunder Egoismus, der Menschen motiviert, sich zu engagieren. So müsste die Antwort auf die Eingangsfrage eigentlich eine Gegenfrage sein: „Warum machst du es noch nicht?“

Erschienen auf der Seite des Paritätischen Berlin für den Rundbrief August 2014
www.paritaet-berlin.de