Wie würde dein Raum aussehen?

Die Ausstellung „The Haus“

Ich sage es lieber gleich am Anfang: Dies ist der Beitrag einer Unwissenden, aber er muss geschrieben werden, schließlich war das, was ich gesehen habe, großartig. Die Organisatoren sagen sogar zurecht, dass es „fresh“ und „überkrass“ sei. Es geht um Kunst, die unter normalen Umständen in keinem Museum zu finden ist. Es geht um Street-Art und die aktuelle Ausstellung „The Haus“ in Berlin. Eine Ausstellung, die gestaltet wurde, um am Ende doch zerstört zu werden. Schon früh in diesem Jahr wurde das Ereignis über viele Kanäle angekündigt und schon früh verabredete ich mich mit meinem Freund Sebastian „The Haus“ gemeinsam anzuschauen. Anfang April wurde die Ausstellung eröffnet und wie erwartet wurde ein großer Besucherandrang gemeldet. Wir warteten etwas ab bis schließlich die Verabredung stand.

Ich habe mich wirklich sehr darauf gefreut, denn von Anfang an war klar, dass wir etwas Besonderes sehen würden. Eine bessere Begleitung hätte ich nicht finden können. Sebastian versteht es bestens selber mit der Sprühdose typografische Bilder zu kreieren, Wände, Autos, Bauwagen oder auch ganz einfach Papier in Kunst zu verwandeln. Hätte er keinen anderen Weg gewählt, wäre er vielleicht bei dieser Ausstellung dabei gewesen. Etwas neugierig habe ich mich vorher auf der Internetseite der Ausstellung informiert und geschaut, was mich erwartet.

„The Haus“ ist eine temporäre Galerie. Eine leerstehende Bank mitten in Berlin, um die Ecke von Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche und dem Europacenter, stand 165 Künstlern zur Verfügung. Künstler, die das komplette Gebäude in ein Haus voller Street- und Urban-Art verwandelt haben. Jedem Künstler oder Team stand ein Raum zur Verfügung, um ihre Ideen und Visionen zu verwirklichen. Entstanden sind Gemälde, Video-Installationen, Skulpturen, Projektionen, Illustrationen und vieles mehr, wobei jeder Raum und jede Fläche ihre eigene Botschaft trägt. Straßenkunst wurde in ein Gebäude geholt, um nach zwei Monaten wieder zerstört zu werden. Zwei Monate ist die wohl einzigartigste Galerie der Welt eröffnet. Es ist ein Projekt von DIE DIXONS, einer Künstler-Crew, die alle Beteiligten und Verantwortlichen von dieser ungewöhnlichen Idee begeistern konnte. Ich finde viele Informationen auf der wirklich gut gemachten und durchdachten Internetseite www.thehaus.de. Nur eins gefällt mir nicht: Ich lese unter anderem, dass Besucher gebeten werden am Eingang ihre Smartphones einzutüten und während des Besuches keine Fotos zu machen. Na klasse, genau mein Ding … eine Ausstellung besuchen und keine Fotos machen dürfen. Hilft aber nichts, ich will es ja sehen.

Auf dem Weg zur Ausstellung schaue ich sehr genau aus dem Bus und in der U-Bahn, wo ich Graffitis an den Wänden sehe. Ich freue mich sehr, dass ich bald das, was der Straße vorbehalten ist, in konzentrieren Form in einem Gebäude sehen werde. Mein Freund Sebastian ist schon dort und wartet in der Warteschlange. Ich hatte gelesen, dass maximal 199 Besucher hereingelassen werden. Nun, wir haben uns länger nicht gesehen und ein junger Vater hat eine Menge zu erzählen, genauso wie die Mutter, deren Kinder gerade die Welt erobern. So ging die halbe Stunde schnell vorbei. Kurz vor dem Einlass bekommen wir die angekündigte Tüte für die Smartphones und auch eine smarte Nachfrage oder Hinweis auf den Presseausweis hilft nichts – die Dinger müssen in die Tüte. Aber … wir waren drin.

Im Prinzip waren wir gleich im Eingangsraum des ersten Treppenabsatzes gefangen und betrachteten sehr lange das uns gebotene Graffiti. Wir wussten ja noch nicht, was vor uns lag. Schon hier hätten wir länger verweilen können und die gekonnte Machart des Bildes betrachten können. Wir sind beide der darstellenden Kunst verbunden und im Umgang mit Farben, Malmitteln, Pinsel oder Spraydose, nicht unbedarft. So war es ein leichtes in den Sog der verschiedensten Künstler einzutauchen. Jeder, wirklich jeder der 165 KünstlerInnen hat seine eigene Handschrift und nichts lässt sich vergleichen. Es sind Bilder, Visionen, Träume, Statements, Anklagen, Hinweise, Proteste und vieles mehr verbildlicht worden, jedes in seiner Sprache. Man kann sogar sagen, dass man binnen zwei bis drei Stunden in „The Haus“ durch 165 Ausstellungen wandeln darf. Sebastian und ich haben es durchs Treppenhaus geschafft und in der vierten Etage angefangen uns die Räume zu erschließen. Gesprayt oder getaped, gestupft, gemalt, mit Schablonen gearbeitet … kaum eine Technik ist nicht vertreten.

Der einzige Künstler, den ich im Vorfeld kannte, war El Bocho, weil ich einen seiner Galeristen kenne. Alles andere waren für mich bis dahin unbekannte Namen. Sebastian sagte, dass er vier der Künstler aus früheren Zeiten kenne. Überhaupt klang in allem, was er mir erklärte und erzählte, viel Wehmut mit. Ich denke, er hätte gerne sofort losgelegt. Er verstand es aufs beste mir die Wortbilder auseinander zu setzen und den Schwung der Buchstaben zu erklären. Die Schriften sind bestens geeignet die fähigsten Typografen neidisch zu machen und in vielen Räumen steck Potential schöner Innenarchitektur. Aber schön ist die falsche Bezeichnung für die meisten Räume. Vieles bringt düstere Botschaften in ästhetischem Gewand dem Betrachter näher.

In der zweiten Etage gestehe ich Sebastian kleinlaut, wie froh ich bin, dass ich nicht fotografieren darf. Ich fühlte mich vollkommen in der Bildwelt gefangen. Hätte ich mich jetzt auch noch damit beschäftigen müssen, was und in welchem Licht oder Winkel fotografiert werden soll, wäre ich hoffnungsvoll überfordert gewesen. Schlimmer noch, ich hätte sicherlich einiges übersehen. Die Besucher werden hier vollkommen vereinnahmt und das Fotoverbot steht zu Recht. In der dritten Etage bekomme ich fast das Gefühl, dass ich satt bin und komme an die Grenzen dessen, was ich fassen kann. Ich tröste mich mit dem Gedanken an den Katalog und – was ich vorher gelesen hatte – die wirklich gute Übersicht aller Künstler auf der Internetseite. In diesem Pdf THE ARTIST LINE UP findet man Künstlernamen und Webseiten und kann nach Interesse nacharbeiten. Doch trotz voranschreitender Sättigung hätte ich um nichts in der Welt einen Raum, eine Fläche oder Flur verpassen wollen. Sebastian und ich überlegen, wie unser Raum aussehen würde. Ob 199 oder 500 Besucher im Haus anwesend waren, war nicht wahrnehmbar. Überall war Platz, Ruhe und keiner, der drängelte. Und niemand, nicht einmal wir, standen jemandem fotografierend im Blickfeld. 

Mein persönlicher Favorit war „Amigo“, der mir mit urbaner Kalligrafie besonders gefällt. Aber auch ein Raum, dessen eine Hälfte schwarz/weiß und die andere Hälfte in bunt die gleiche Handschrift trägt. Dies war der Raum der „Super Bad Boys„, in dem auch Sebastian fasziniert vor sich hin strahlte. Eigentlich jedoch ist es nicht richtig einzelne Künstler herauszuheben. Es wurde gemeinschaftlich ein Projekt verwirklicht, das seines Gleichen noch lange suchen wird. Es ist alles durchdacht, sehr gut als Projekt umgesetzt, herausragend von den Künstlern umgesetzt und selbst der Abriss des Gebäudes im Juni in seiner Konsequenz ist folgerichtig.

Ich werde Street-Art künftig mit anderen Augen betrachten, nicht mehr so ganz unwissend, und hoffe, dass diese Kunstformen weit größere Akzeptanz als bisher erfahren wird. Sogar Sebastian, für den Street-Art bisher nur eine weniger „coole“ Spielart des Graffiti war, fühlte sich nachhaltig beeindruckt und wachgerüttelt, wie er gestand. Ich hoffe, dass Abrisshäuser den Künstlern angeboten werden und hoffe, dass auch junge Straßenkünstler, die nicht legal ihre Tacks verteilen, durch solche Projekte neue Perspektiven bekommen. Und hoffe, dass ich meinem Freund Basti bald mit einer Spraydose in der Hand über die Schulter schauen kann. Schön war es! 🙂

 

Mein Respekt gilt den Künstlern und Machern – ich bin dankbar, dass ich diese besondere Ausstellung sehen durfte.

Mit Dank für die Erlaubnis die Fotos verwenden zu dürfen:
© Million Motions – Eugen Lebedew 

Der Töchter-Mutter-Tag und viele Tattoos

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Ich hätte ja viel für möglich gehalten, nicht aber, mich so oft mit einem Thema zu beschäftigen, das ich für mich persönlich ausgeschlossen habe. Die Neugierde an Andersartigkeit und der Wunsch der Töchter sich ein Tattoo stechen zu lassen, war schon zweimal Anlass für Blog-Beiträge. Im zweiten fand sich in Kommentaren der Hinweis auf eine Tattoo-Ausstellung in Hamburg. Museum für Kunst und Gewerbe hörte sich ziemlich prima an. So waren die Töchter schnell gefragt, die Fahrkarte mit der Bahn gebucht und der Termin stand fest. Dass es der diesjährige „Muttertag“ war, habe ich später erst zufällig gemerkt, aber der Gedanke gefiel mir. Wir machten uns auf den Weg … noch etwas skeptisch, ob der Zug trotz Bahnstreik fährt. Es klappte und nach knapp zwei Stunden angenehmer Fahrt waren wir in Hamburg. Kommt man dort aus dem Hauptbahnhof heraus, stolpert man fast in das Museum, das genau gegenüber des Bahnhofs liegt. 

Gleich vor dem Eingang zeigen sechs sehr große Fotografien, was einen drinnen erwartet – Menschen mit nackten Oberkörpern zeigen die verewigten Kunstwerke auf ihren Körpern. Die Faszination, die von diesen Bildern ausgeht, hört auch im inneren der Räume nicht auf.

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Beginnend mit kleineren Skulpturen kommt man schnell zu Fotografien russischer Strafgefangener. Hier schaudert es einen, denn sehr freundlich sehen die Herren nicht aus. Etwas ruhiger geht es weiter, denn religiöse Riten oder Stammes-Zugehörigkeiten gehen eher in den Vorstellungsbereich des untätowierten Menschen. Tätowierte Hände, die die Träger einzigartig machen, gehören dazu.

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Hat man sich gerade wieder etwas beruhigt, steht man vor den Hautpräparaten aus dem 1900 Jahrhundert, die zur Identifikation unbekannter Leichen dienten. Hier bin ich unsicher, ob’s das Schaudern oder die Neugierde ist, die mich fesselt. Selbst König Harald II soll im 11. Jahrhundert anhand einer Tätowierung nach seinem Tod erkannt worden sein.

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Sak Yants – sakrale Tätowierungen aus Thailand – fesseln durch ihre Schönheit und verblüfft lese ich, dass sie verdeckt getragen werden und nicht offen zu sehen sind. Sie dienen den Menschen als Glücksbringer und Schutz vor Unheil.

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Gesichtstätowierungen aus Birma, die dem Übergang vom Kind zur Frau symbolisieren. Hier erstaunt mich, dass diese Tradition zwar teilweise erloschen ist, aber wieder auflebt. Was für Gesichter … ich würde am liebsten immer wieder faszinierend, faszinierend, faszinierend schreiben.

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Und auch japanische Tätowierungen fehlen unter den Bildern nicht, die aber, denke ich, schon eher gewohnt für unsere Augen sind. Wobei sie dadurch nicht an Schönheit einbüßen.

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Jeder der Farben mag, zu welchem Zweck auch immer, freut sich an dem Farbspektrum der schönen Tattoo-Tinten, deren Unbedenklichkeit aber sicherlich manchmal angezweifelt werden darf oder durfte. Hier kann man sich freuen, dass heute auf so etwas geachtet wird.

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Die Gerätschaften wiederum dürften jeden interessieren. Den einen im Entschluss bestärken, so etwas nicht an die Haut zu lassen. Den anderen überlegen lassen, welches wohl das schmerzloseste Gerät ist. Interessant sehen sie alle aus. Von der Reise-Tattoo-Maschine bis hin zu Dornen-, Horn- oder Knochen-Werkzeugen – auch hier ist die Auswahl groß.

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Und selbst vorm Kinderzimmer hat das Tattoo nicht Halt gemacht … den kleinen Piraten, Indianer und Seebären gehört eine eigene Vitrine.

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Literatur hat die Ausstellung ebenso zu bieten wie viele Video-Einspielungen … und auch die Erklärungen an den Bildern oder auf den Wänden bieten wirklich interessante Fakten, die immer wieder Staunen erzeugen. Wer weiß schon, dass selbst Sissi – Kaiserin von Österreich – ein Tattoo getragen hat?

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Das Schweinchen wiederum fand ich klasse, was meine Tochter mit einem „Mama, was denkst du woran die üben?“ kommentierte. Egal – ich finde das Schwein hipp … cool … megamodern!

Die beiden letzten Bilder der Ausstellung haben mich in ihren Bann gezogen.

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Was für ein Blick …

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… und welch ein krasser Gegensatz. Man möchte eine liebevolle Großmutter sehen und kann sich nicht von ihren Körperbemalungen trennen.

Die Ausstellung ist sehr sehenswert und war den Weg wert. Ich persönlich spüre immer noch nicht den Wunsch ein Tattoo zu tragen, doch die Schönheit, Faszination, das Unbegreifliche oder eben auch Verständliche dahinter, übt einen ungeheuren Reiz aus. Und beiden Töchtern, altersgemäß kritisch, hat es ebenfalls sehr gefallen. Sie hätten sich allerdings auch einen Blick auf die neusten Tattoo-Moden gewünscht. Dennoch lässt die Ausstellung den Besucher mit wunderschönen Bildern, Informationen und Erklärungen bereichert nach Hause gehen. Fazit: Wen es interessiert – hinfahren – es lohnt sich sehr!

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Natürlich sind wir nicht sofort wieder in den Zug nach Hause eingestiegen, sondern gut gelaunt in die Stadt gelaufen. Am Rathaus vorbei in die Altstadt und zum Hafen ging der Weg. Das Hafenfest war voll im Gange, was natürlich den großen Vorteil hatte, dass wir als Berlin-Touristen nicht weiter auffielen. Die Töchter fühlten sich wohl, zumal in dieser Stadt der Lieblings-Fussball-Verein beheimatet ist. Das Essen hat geschmeckt und eine Runde Riesenrad sind sie auch gefahren (Mutter musste zum Glück am sicheren Boden auf die Taschen aufpassen). Es war ein wunderschöner Tag, bei bestem Wetter, mit gut gelaunten Töchtern, viel Lachen und Gemeinsamkeit. Nur einer hat gefehlt am Töchter-Mutter-Tag … der Vater. Der hat uns wieder vom Bahnhof abgeholt … aber der Plan für den Vatertag-Familien-Abend steht.

Den Töchter-Mutter-Tag möchte ich gerne wieder machen … mal sehen, was uns im nächsten Jahr einfällt – am Muttertag! 🙂