Jeder wie er will – analog vs. digital

annaschmidt-berlin.com_analog-vs-digital_pixabayEin kleines Mädchen sitzt unter einem Tisch und schneidet gedankenverloren in einem alten Werbekatalog Figuren aus, die es immer wieder neu arrangiert und damit spielt. Ein anderes Kind sitzt gemütlich in der Sofaecke und versucht auf seinem Tablet vier gleichfarbige Spielsteine in eine Reihe zu bekommen, um den nächsten Level zu erreichen. Beide Kinder tun unterm Strich das gleiche – sie spielen. Die eine Frau schreibt eine Geburtstagskarte per Hand, eine andere schreibt zum Geburtstag eine E-Mail, der sie ein schönes Bild anhängt. Auch sie vollziehen die gleiche Handlung – das Schreiben. Der eine Mann hat einen dicken Schmöker vor sich liegen und ist glücklich, dass er bald mit Seite 426 die Mitte des Buches erreicht hat, der andere hat die Schrift auf seinem eBook-Reader groß gestellt, weil er eigentlich zu müde zum Lesen ist, der Inhalt ihn aber nicht loslässt. Im Mittelpunkt steht das Lesen. Drei gleichwertige Handlungen werden ausgeführt, die sich allein in der Art unterscheiden, ob sie analog, also direkt, oder digital, mittels Elektronik, bewerkstelligt werden. Soweit ist alles in Ordnung, bis man zu der Frage kommt, was besser ist.

Besser oder schlechter ist in diesem Zusammenhang eher die falsche Frage, weil es keine klare Antwort geben kann. Es ist eher eine Frage des Weges, eine Handlung zu erlernen und dafür elektronische Hilfsmittel einzusetzen. Hinzu kommt die Verhältnismäßigkeit zu den Möglichkeiten, die sich daraus ergeben. Kinder haben es beispielsweise leichter, die Uhrzeit mittels digitaler Zahlen zu lernen. Ganz verstehen tuen sie die 12-Stunden-Taktung unserer Uhrzeit jedoch erst sehr viel später. Kinder, die einen geduldigen Erwachsenen neben sich haben, der sich die Mühe macht, mit ihnen als erstes die analoge Uhr zu lernen, haben schneller die Möglichkeit das System der 12 Stunden, Vormittag, Nachmittag, Tag und Nacht zu begreifen. Ein beliebtes Beispiel ist immer wieder die Mathematik: Wenn ich das
Prinzip der Kaufmannsrechnung begriffen habe, kann ich auch verstehen, was mein Taschenrechner eigentlich macht. Natürlich ist der Taschenrechner vordergründig der weitaus bequemere Weg, zur Lösung zu kommen, nimmt dem Kopf den Denkprozess jedoch ab und ist somit letztlich kontraproduktiv.

Es ist wichtig, jegliche Handlung, die für uns eine Rolle spielt, auf konventionelle Weise zu erlernen, um verstehen zu können, was elektronische Hilfsmittel uns abnehmen und erleichtern können. Ist dieses Verstehen die Basis sie einzusetzen und bin ich in der Lage auch ohne sie auszukommen, kann ich die Vorzüge, die sich daraus ergeben in vollem Maße einsetzen und ausschöpfen. Gerade dies gilt ganz speziell für das kindliche Lernen. Erst muss das „Was und Wie“ gelernt werden, bevor das „Wie geht‘s leichter“ genutzt werden kann. Und genau an diesem Punkt machen viele Erwachsene heute einen entscheidenden Fehler: Was von der elektroniklosen Kindergeneration in vielen Jahren bis heute erlernt werden konnte, lernen Kinder heute in einem Tempo, dem Erwachsene kaum mehr standhalten können. Kinder müssen heutzutage wissen, wie ein Computer, ein Tablet, ein Smartphone funktioniert. Vor dem steht jedoch das Begreifen, was diese Geräte können und uns ermöglichen. So können sie, sinnvoll eingesetzt, eine große Ergänzung des konventionellen Lernens sein. Kinder spielen und lernen heute anders und eine Welt ohne elektronische Geräte wird es nie wieder geben.

Hier kommt die Verhältnismäßigkeit ins Spiel: Ein Kind, das im Dialog mit den Eltern den Umgang mit Smartphone und Co. erlernt, ist sicher. Es weiß, was es tut, kennt Internet-Fallen, kann offen mit Eltern kommunizieren, was es beschäftigt. Ein Kind, das alleine gelassen die Geräte erforscht, drückt schnell einen falschen Button oder kennt keine zeitlichen Grenzen bzw. den Aus-Schalter der Geräte. Aufmerksame Eltern erlauben und begleiten den Umgang mit den Geräten, sorgen aber gleichzeitig für genügend Ausgleich in der Natur, beim Sport oder bei Freunden. Ein gut geschultes Kind weiß, dass die Milch von der Kuh und nicht aus der Destillationsanlage kommt, es aber im Internet alles über das Thema „Milch“ für das nächste Schulreferat findet.

Erwachsene haben es da schon einfacher. Sie hatten keine andere Wahl, als alles Wissen von der Pike auf zu erlernen. Ein Taschenrechner war für die 60er Jahrgänge schon ein Luxus, doch durfte wenn überhaupt nur der Rechenschieber im Unterricht benutzt werden. Computer und Co. nahmen erst Mitte der 80er Jahre ihren Feldzug durch die Gesellschaft auf. Was heute selbstverständlich ist, war früher kaum denkbar und noch immer gibt es Anhänger der „Irgendwann-ist-das-Internet-kaputt!“-Fraktion. Ist es nicht und kaum ein Lebensbereich ist nicht von Apps, Internetseiten und elektronischen Hilfsmittel frei. Aber – wir haben die Wahl. Ist der Eierkocher bequemer als das punktgenaue Kochen des Frühstücksei‘s im Kochtopf, trockne ich die Haar mit dem Föhn oder warte ein paar Minuten bis sich die Sache von selbst erledigt hat. Verlasse ich mich auf die Pünktlichkeit meines Kindes zum Abendessen oder kontrolliere ich rund um die Uhr, wo es sich aufhält via Smartphone-App. Tätige ich eine Überweisung online oder werfe ich den Überweisungsträger in den Briefkasten der Bank. Viele administrative Bereich kommen ohne Elektronik überhaupt nicht mehr aus. Einen Flug buchen, einen Termin beim Amt bekommen, die Lichtanlage des PKWs reparieren … dumm, wenn die konventionelle Art der Erledigung unmöglich bzw. schwer gemacht wird.

Sicherlich, wir haben durch den Einzug der Elektronik in unser Leben viel Nostalgisches verloren. Wir haben aber auch sehr viel gewonnen – was man schlicht Fortschritt nennt. Die Weltgeschichte hat sich nie rückwärts entwickelt, weshalb wir keine Wahl haben, als uns diesen Dingen zu stellen. Allein das Maß dessen, was wir mitmachen, bestimmen wir, tragen es mit oder schließen uns bewusst in manchen Prozessen aus. Die Welt ist in unser Wohnzimmer gekommen und so sind es neue Erfordernisse, die wir – gleichgültig ob Kind oder Erwachsener lernen müssen. Wir müssen Nachrichten in einer nie da gewesenen Fülle aushalten, sortieren und selektieren. Den Umgang mit Information ganz neu erlernen, sehen aber auch Teile der Welt, die uns bisher verschlossen waren. Wichtig geworden ist der Umgang mit persönlichen Daten, der Wahl der Informationsquellen, der Art und Weise wie wir kommunizieren und vieles mehr. Ausnahmslos jeder hinterlässt digitale Spuren, allein als Steuernummer oder Bankkunde … jede einzelne Spur ist eine Art Visitenkarte. Wie die aussieht – analog oder digital – haben nur wir selber in der Hand – löschen lässt sie sich nur schwer!

Ein Beitrag aus dem Magazin „Im Mittelpunkt“
des Stadtteilzentrum Steglitz e.V.
Erhältlich im iTunes-Store oder hier als interaktives Pdf

4 Kommentare zu “Jeder wie er will – analog vs. digital

  1. merlanne sagt:

    Eine gründliche und intelligente Analyse der eigentlich unsinnigen Frage „was ist besser“. Es geht darum, den Fortschritt zu akzeptieren und den richtigen Umgang damit zu erlernen und weiterzugeben. Danke für deine immer wieder von mir gern gelesene Gedanken.
    Liebe Grüsse,
    Claudine

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  2. Also ich sehe das auch so ähnlich und denke, dass es, wie du bereits gesagt hast, die Verhältnismäßigkeit ausmacht. Viel Technologie tut sicher nicht gut, aber ein bisschen schadet auch nicht, weil sich die Zeiten nun eben verändert haben. Diese Kinder werden in 60 Jahren zurück blicken und sich noch an die guten, alten Tablets erinnern und ihre Enkelchen damit belehren, wie toll das war 🙂
    LG

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