Das hässliche Entlein war schon immer ein Schwan!

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Es waren verschiedene Dinge zu erledigen, was bedeutete, dass ich eine Weile im Auto sitzen würde. In Berlin sind die Wege manchmal recht weit. Kurzfristig erklärt Tochter 2, dass sie mitkommt. Was das bedeutet, war mir gleich klar, weil dieses Kind eine sehr feine Antenne dafür hat, wann Mutter beide Ohren offen hat und ihr zuhören muss. So kam es dann auch: Kind 2 … seit jeher vom Augen aufmachen morgens bis Augen schließen am Abend sehr kommunikativ … erzählte und erzählte. Als ich schon glaubte, dass es nichts mehr zu erzählen gab, fragte sie mich, ob ich schon von der „Don’t judge challenge“ gehört hätte. Hatte ich nicht.

Sie erklärte mir, dass das ein Wettbewerb sei, der gerade durch die Netzwerke, besonders in Facebook, läuft. Es werden Video-Sequenzen gezeigt, in denen sich Jugendliche besonders hässlich machen, um später deutlich zu machen, dass sie in Wirklichkeit recht gut aussehen. Das machen sie um zu zeigen, dass man nicht gleich nach dem ersten Eindruck über Menschen urteilen sollte. Soweit alles klar – das sollte ja jedem einleuchten. Nun sei aber diese Challenge in Verruf geraten, weil viele behaupten würden, das die Jugendlichen dies nur machen um ihr Ego zu streicheln und zu zeigen, wie toll sie aussehen. Kind 2 hatte eine andere Meinung. Den Stau auf der Straße kurz vor dem Autobahnzubringer nutzt sie um mir solch ein Video zu zeigen. Mehrere Leute hintereinander zeigen sich hässlich angemalt, legen nach kurzer Zeit die Hand vor die Linse um danach wieder vollkommen hübsch zu erscheinen. Dabei auch ein Mädchen, das anfänglich recht normal aussieht, sich aber nach dem Verdecken mit der Hand als Krebspatientin entpuppt und lächelt. Wow, denke ich, das ist bemerkenswert!

Meine Tochter erzählt mir von ihrer Idee, dazu einen Beitrag in Facebook zu posten (so heißt das dort). Sie hätte kürzlich ein Foto von sich selber gefunden auf dem man ihre Akne (die ehemalige) besonders gut sieht. Dazu wollte sie den Ist-Zustand stellen und ihre Meinung dazu schreiben – eben dass sie diese Challenge recht gut findet. Wir diskutierten ein bisschen hin und her. Ich gab zu bedenken, dass der Text gut geschrieben sein müsse und sie sich dadurch natürlich angreifbar macht. Es gibt manchmal einfach sehr dumme Leute in diesen Netzwerken. Die Diskussion endete nicht, weil wir nichts mehr dazu zu sagen hatten, sondern weil wir Zuhause ankamen.

Später nach dem Abendessen bekam ich noch mit, dass Kind 2 auch Kind 1 von der Idee erzählte. Was Kind 1 davon hielt, bekam ich nicht mehr mit. Die beiden besprechen viele Dinge untereinander und soweit ich weiß, finden sie meistens einen Konsens. Ich saß wieder am Computer und arbeitet. Kurze Zeit später sah ich in Facebook einen recht langen Beitrag meiner Tochter, den ich unverändert hier einfüge:

annaschmidt-berlin.com_akne

„Hier mein kleiner Beitrag zur Don’t judge Challenge.

Als ich das erste mal ein solches Video gesehen habe, war ich nicht einmal negativ abgeneigt davon, sondern ich fand es amüsant. Der eigentliche Gedanke der Challenge war, dass man nicht auf den ersten Blick urteilen sollte.

Ich habe diese ‚Challenge‘ als ‘Aus hässlichem Entlein wird schöner Schwan’-Effekt gesehen. Das einzige was ich anders gemacht hätte, wäre der Aufbau dieser Challenge gewesen. Von einem gestylten Menschen, zu einem völlig normalen und natürlichem Aussehen, so wie jeder von uns morgens in den Spiegel schaut.

Ich persönlich habe bis vor sieben Monaten, acht Jahre lang mit extremer Akne zu kämpfen gehabt. Ich habe versucht mit Cremes, Tabletten, Ernährungsumstellung, Hautkuren und vielem mehr, dem ganzen entgegen zuwinken. Hoffnungslos! 
Und ganz ehrlich ich fühlte mich unwohl, ungepflegt und hässlich. 
Manchmal stand ich vor dem Spiegel und hab mich gefragt warum ich Akne haben muss. Dem ist einfach so und das sollte man nunmal nicht leugnen. 
Nach gewisser Zeit habe ich versucht meine Akne zu verstecken. Mit Make-up. Das Make-up hat ungefähr eine Stunde gehalten, danach sah alles wie ungeschminkt aus. Aber trotzdem versuchte ich es jeden Tag aufs neue mein Gesicht mit Make-up zu überschminken und somit vor blicken zu verstecken. Soviel, dass meine Haut gar nicht mehr atmen konnte. 
Dadurch entwickelte ich eine kleine Make-up-Sucht die mich bis heute auch ohne Akne noch begleitet.
An manchen Tagen wollte ich nicht aufstehen, weil ich mich selbst schämte und neidisch auf die Haut der anderen war.
Mittlerweile habe ich keine Akne mehr und ich fühle mich wohl damit und mein ganzes Selbstbewusstsein hat sich nochmal gestärkt.
Trotzdem habe ich es den anderen Menschen gegönnt eine so schöne und glatte Haut zu haben.

So auch in der ‪#‎dontjugechallenge . 
Die Leute die da mitmachen haben ein so schönes Aussehen, sei es ein Mädchen mit Make-up, eine Krebskranke, eine Türkin mit Kopftuch, eine die sich abschminkt. Alle sehen super nach ihrer ‚Verwandlung‘ aus! Das sei ihnen auch gegönnt ihr gutes Aussehen zu präsentieren, warum denn auch nicht?
Und darum gehts, aus jedem kleinem hässlichem Entlein kann und wird mal ein schöner Schwan. 
Seht es mit Humor.

Und nur weil sie gut aussehen und das auch zeigen ist das oberflächlich von ihnen? 
Ja klar, Charakter ist das wichtigste aber seh ich in einem solchen Video welchen Charakter ein Mensch wirklich hat? Eben nicht. Weswegen ich ihn auch nicht auf den ersten Blick, egal wie er nun ausschaut, verurteile bzw. rückschließe wie er nun ist. Was eben der Ursprungsgedanke dieser Challenge sein sollte.

Alle sagen wir sollen Menschen so sein lassen wie sie sind, dann lasst uns es doch bei allen tun, auch nicht die Menschen verurteilen, die ein Don’t judge Video drehen. Egal ob dick, dünn, glatte Haut, Akne.

Mittlerweile ist unsere Gesellschaft auf Schönheitsideale und Moralpredigten über Schönheitsideale so eingefahren, dass wir mittlerweile den Humor an uns selbst verloren haben. 

Lasst uns unsere mittlerweile so verklemmte Gesellschaft mit ein bisschen Humor auflockern und Spaß an der ganzen Sache haben.“

Als ich es gelesen hatte, war ich sehr betroffen. Erst einmal allein von der Tatsache, dass ich mein Kind durch die Jahre mit dieser Akne begleitet habe, sie unzählige Male zur Kosmetiksprechstunde gefahren habe und wir oft über dieses Leid gesprochen haben. Wie es tatsächlich in ihr drinnen aussieht, was diese Akne für sie bedeutet, wurde mir jetzt erst richtig klar. Man kann als Mutter 100 000 Mal sagen: „Du bist trotzdem hübsch!“ oder „Es wird wieder gut!“, aber es hilft dem Kind nicht wirklich. Auch ohne Akne, kann ein einziger Pickel schon zu gewaltig schlechter Laune führen, seien wir ehrlich. Hinzu kam meine Hochachtung für meine Tochter. Öffentlich zu zeigen, wie schlimm es bei ihr aussah und wie es geworden ist, diesen Mut aufzubringen und gerade für ihre Meinung einzustehen. Prima fand ich auch die Art und Weise … zwar hat sie vorher gefragt, was ich davon halte, aber letztlich mir den Text nicht einmal vorher zum Lesen gegeben. Es war einfach im Netz. Sie äußert und vertritt ihre Meinung selbstbewusst! Sie hat unglaublich viel Zustimmung dafür bekommen. Eine Freundin fragte, ob sie es teilen dürfe, es würde so viel Mut machen.

Mir blieb nur noch „Respekt!“ unter ihren Beitrag zu schreiben … für mich waren, sind und werden meine Töchter immer schöne Schwäne sein – innerlich wie äußerlich – die Entlein gibt’s nicht mehr.

17 Kommentare zu “Das hässliche Entlein war schon immer ein Schwan!

  1. Anna-Lena sagt:

    Ich finde den Beitrag deiner Tochter lobenswert, sehr mutig und hoffe, dass sich viele daran ein Beispiel nehmen, zu sich zu stehen. Großes Lob!!!

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  2. Sabine Depew sagt:

    Respekt! Sehr viel Respekt. Vor allem in dem Alter. Dass wir später wissen, dass in jeder/m ein Schwan steckt, ist etwas anderes 🙂

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  3. Davon habe ich noch gar nichts mitbekommen. Bin gespannt, ob es hier irgendwann auch ankommt und Thema wird. Mein Grosser hatte auch viele Jahre mit Akne zu kämpfen. Kaum war er aus der Schule raus, war damit Schluss. Ich frage mich heute, ob es an dem Stress dort gelegen haben könnte.
    Der Text deiner Tochter ist super. 👍👍👍

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  4. kinder unlimited sagt:

    Ganz tolle Leistung von Deiner Tochter, ich würde nur nachfassen, wie das mit den Kommentaren aussieht. Nicht alle Kids sind mitfühlend. Und wenn man so offen seine Verletzbarkeit ins Netz setzt,macht man sich angreifbar……

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  5. Ruhrköpfe sagt:

    Wow! Danke! Ja, in Wirklichkeit sind sie Schwäne und verstecken sich hinter Masken, die sie häufig sogar weniger schön wirken lassen…

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