Neubeginn

Es war ein sehr spontaner Entschluss. Nachdem ich den Computer ausgeschaltet hatte, überlegte ich mit dem Hund spazieren zu gehen oder mit ihm zum Friedhof zu fahren. Fünf Minuten später saßen wir im Auto und fuhren los. Ich hatte 14 Tage vermieden daran zu denken, aber jetzt sagte das Bauchgefühl, sei der richtige Zeitpunkt. Gleich an der ersten Ampel fing der Starkregen an. Nun wollte ich es aber durchziehen und fuhr weiter. Auch am Friedhof regnete es noch in Strömen, trotzdem nahm ich Balou an die Leine und wir liefen los.

Ich war mir sicher die Grabstelle sofort zu finden, verlief mich aber hoffnungslos auf diesem riesigen Friedhof. Schließlich fand ich mit der Satellitenansicht des Handys doch die richtige Stelle. Der Hund nahm einen Stock zum Knabbern. Ich stand das erste Mal, tropfnass, am Grab meines Mannes, der 14 Tage zuvor beerdigt worden war. Seit dem 8. Februar bin ich Witwe. Etwas, was ich bei allen Möglichkeiten und Gedanken nie ins Auge gefasst hatte. Ich verbrachte etwas Zeit in der Stille des Bereichs, nur mit dem Geräusch des Regens. Dann nahm ich die Leine wieder auf und drehte mich zum Gehen um. Genau in diesem Moment riss der Himmel auf. Balou und ich gingen unter tropfenden Bäumen, aber mit strahlendem Sonnenschein zum Auto zurück. Es hatte etwas Mystisches: Der erste Besuch am Grab im Regen begonnen und unter der Sonne beendet. Ich hatte ein schönes Gefühl in mir und dachte „Du passt ja doch auf uns auf!“

Seit 10 Wochen bin ich nun alleinstehend. Von Heute auf Morgen war beendet, was ich immer geliebt und geschätzt hatte. Unser einfaches, stinknormales Familienleben mit erwachsenen Kindern, die ihrer Wege gehen, gibt es nicht mehr. Wir waren glücklich, hatten Pläne, haben an Zukunft gedacht, uns auf ein Leben wieder zu zweit gefreut. Es machte uns Spaß, dem anderen eine kleine Freude zu bereiten. Wir hatten uns immer noch etwas zu sagen. Waren einander noch lange nicht müde. Der Plan, als Greise auf einer Bank sitzend, unser Leben noch einmal zu besprechen geht nicht mehr auf. Und doch kann ich, trotz aller Trauer auf eine erfüllte Liebe und glückliche Ehe zurückblicken. Das empfinde ich als Geschenk. Ich hatte den besten Vater für meine Kinder und er war nicht nur mein Ehemann, sondern auch der beste Freund, Schutz, meine Schulter zum Anlehnen und der Mensch, mit dem ich am liebsten meine Zeit verbrachte. Er ist nicht mehr.

Seither kämpfen meine Gedanken. Ich bedenke alle Konsequenzen und überlege, was sich alles ändern wird. Versuche zu erfassen, was das für mich bedeutet. Ich fange an mich einzurichten in diesem neuen Lebensabschnitt – alleine. Ich habe eine neue Freiheit, die ich nie haben wollte, und weiß, je eher ich sie zu schätzen weiß, desto besser komme ich mit ihr klar. Ich wollte das alles nicht, aber muss es doch annehmen.

Verbittern oder in Trauer versinken ist nicht meins. Was wäre wenn … bringt mich nicht weiter. Und nach wie vor spüre ich in mir diese Lust auf Leben, meine permanente Neugierde auf alles, was mir begegnet und den ständigen Drang der Langeweile keine Chance einzuräumen. Ich habe Ideen, ich entwickel Pläne, korrigiere frühere Vorhaben. Nur derjenige, dem ich das alles am liebsten erzählt hätte, fehlt. Ich erzähle es ihm in Gedanken.

Ein Plan ist diesen Blog wieder zu aktivieren. Als die Trauer ganz frisch war, konnte ich sehr guten Freunden schreiben. Ohne Antworten zu erwarten, konnte ich meinen Gedanken Raum geben und sie los lassen. Das hat unheimlich geholfen. Wenn ich etwas schreibe, bekomme ich es schneller aus dem Kopf. Das Schreiben hatte mir schon lange gefehlt, nur waren andere Dinge an der Reihe. Jetzt finde ich den Zeitpunkt gut wieder weiter zu machen. 

Was ich seit Jahren pflege, und sicher von manchem hin und wieder belächelt wurde, ist mein Optimismus. Er ist für mich purer Egoismus mir mein Leben leichter zu machen und Überlebensstrategie. Und genau das rechnet sich jetzt. Besser als Dietrich Bonhoeffer kann ich es nicht sagen: 

„Optimismus ist in seinem Wesen keine Ansicht über die gegenwärtige Situation, sondern er ist eine Lebenskraft, eine Kraft der Hoffnung, wo andere resignierten, eine Kraft, den Kopf hochzuhalten, wenn alles fehlzuschlagen scheint, eine Kraft, Rückschläge zu ertragen …“

Es wird weitergehen und es wird gut weitergehen. Anders als erhofft, aber mit wundervollen Erinnerungen im Gepäck und dem ein oder anderen Gespräch in Gedanken mit ihm. Wie, werdet ihr hin und wieder hier lesen.

Und noch einen Satz habe ich gelesen, der sich gerade in meiner jetzigen Situation, siehe oben, bewahrheitet: Die Sonne scheint immer – auch hinter den Wolken!

18 Kommentare zu “Neubeginn

  1. Andrea Bentele sagt:

    Liebe Anna, sei dir meines Respekts versichert. Ich bewundere, wie du mit deiner Situation umgehst und deinen Hannes bei und in dir trägst.
    Und dass du jetzt wieder diesen Blog betreibst, das ist wunderbar.
    Früher, in der Schule, habe ich oft Zigaretten von dir geschnorrt. Jetzt möchte ich mir ein wenig von deiner Lebensfreude, deinem Optimismus und deiner Liebenswürdigkeit schnorren.
    Darf ich ?

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    • Liebe Andrea, von Herzen gerne, auch wenn du mich nun öffentlich als Raucherin verraten hast. 😉 Dabei hatte ich es zwei Jahre geschafft, nur in dieser Situation nicht durchgehalten. Wird wieder. Aber alles andere gebe ich dir sehr gerne und aus voller Überzeugung! Herzlich Anna

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  2. Liebe Anna, bei Fb hattest du ja von dem Tod deines Lebensgefährten geschrieben und uns sogar Fotos gezeigt. Ich habe mit dir empfunden, weil ich ähnliches erleben musste – aber nicht nach so langer und glücklicher Zeit und nicht mit gemeinsamen Kindern.
    Es liest sich so schön, dass du jetzt wieder Pläne und neuen Lebensmut schöpfst, um deine Zeit mit Familie und Hund – der ist ganz, ganz wichtig in so einer traurigen Zeit – in anderer Freude gestalten wirst.
    Liebe Grüße von Clara

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  3. Anna-Lena sagt:

    Liebe Anna, ich bin erschüttert und wünsche dir von Herzen Kraft und Zuversicht, diesen schweren Verlust anzunehmen und deiner Trauer Raum lassen zu können.

    Es geht mir auch deshalb nahe, weil mein Mann gerade dem Tod förmlich von der Schippe gesprungen ist und nach 6 Wochen am Samstag aus dem Krankenhaus kommt. Was sich alles ändern würde – mit diesen Gedanken habe ich mich wochenlang auch beschäftigt …

    Ich denke fest an dich!
    Sei von Herzen gegrüßt,
    Anna-Lena

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    • Liebe Anna-Lena, ich freue mich wirklich sehr, dass ihr Glück gehabt habt. Genießt jede Minute, sie sind so wertvoll. Es ist schwer, aber ich werde mich daran gewöhnen – müssen. Und das geht mit Zuversicht besser. Schließlich habe ich noch zwei großartige Töchter, eine große Familie und wunderbare Freunde um mich. Allein ist nicht Einsam … aber gewöhnungsbedürftig nach so vielen Jahren. Von Herzen liebe Grüße!

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      • Anna-Lena sagt:

        Danke, liebe Anna! Von Herzen wünsche ich dir Menschen, die dich tragen und auffangen und für dich da sind, wenn die Sonne mal nicht scheint.
        Aber ich bin auch zuversichtlich, dass du das packen wirst!

        Von Herzen liebe Grüße und viel Kraft für dich!

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  4. maribey sagt:

    Liebe Anna, das berührt mich sehr und ich fühle mit dir. Bei aller Traurigkeit, schreibst du wunderschön über deinen Mann und über die Liebe und das Miteinander, das ihr erleben durftet. Ich wünsche dir den Trost der wärmenden Erinnerungen. Es ist gut, dass du die Sonne hinter den Wolken siehst, denn sie will dich ganz bestimmt weiter erwärmen. Viele liebe Grüße, Marion

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  5. Herzliche Anteilnahme und mein Mitgefühl.
    Was für ein Sonnenstrahl auf dem Friedhof!
    Und wie Du über Deinen Neubeginn schreibst.
    Deine Blog-Beiträge waren und bleiben besonders.
    Alle guten Wünsche
    Bernd

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  6. Gudrun sagt:

    Ich war damals sehr erschüttert, als ich las, was geschehen war. Jetzt freue ich mich über deine Worte, deine Einstellung zum Leben, deinen Optimismus. Alles Gute wünsche ich dir.
    Liebe Grüße, Gudrun.

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  7. Grinsekatz sagt:

    Mein Mitgefühl …

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  8. Liebe Frau Schmidt, das was Sie da schreiben und wie Sie es schreiben, geht ans Herz. Machen Sie weiter so, Sie sind auf dem richtigen Weg. LG Rainer Frohloff

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  9. Anonymous sagt:

    Liebe Anna, Euer abruptes Ende mich auch sehr überrascht. Es tut mir von Herzen leid. Viel Kraft auf dem Weg der Trauer. Deine Worte sind sehr schön und Dein Leben bisher klingt wie ein wundervolles Geschenk. Sicher auch, weil Du die schönen Momente früher und zukünftig genießen kannst. Liebe Grüße, Deine Sabine

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