Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Foto: © AllebaziB - Fotolia.com

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Hand auf’s Herz: Insgeheim hat jeder von uns befürchtet, dass etwas passieren könnte, hat die Nachrichten beobachtet, ob etwas verkündet wird und war am Morgen erleichtert, dass wir nichts von Bomben, Schüssen oder Opfern lesen mussten. Aber die Erleichterung währte nicht lange, denn es ist doch etwas passiert. Etwas, was sich vordergründig vielleicht nicht so grausam anhört, aber ebenso schlimm ist, wie der befürchtete Fall. Die Silvesternacht hat etwas verändert, etwas ins rollen gebracht, deren Auswirkungen das ganze Land diskutiert. Ich lese seither die Nachrichten mit äußerster Skepsis, schaue immer genau aus welchem Topf sie kommen und kann das Kopfschütteln nicht vermeiden. Weil ich genauso wenig, wie die meisten von uns darüber weiß, wollte ich mich dazu nicht äußern.

Jetzt werde ich es doch tun, weil es um Grundsätzliches geht: Auf der Startseite meines Blogs werbe ich für „Vielfalt“ und „Unterschiedlichkeit“ und gehe später in den Kommentaren auf die „Gemeinsamkeiten, die uns zusammenhalten“ ein. Ein neuer Kommentar meint nun, dass sich gerade jetzt ein völlig neues Bild der „Unterschiede“ und „Gemeinsamkeiten“ ergibt und beides zur Zeit wie eine große Schere auseinander klappt. Muss ich nun wegen einer einzigen Nacht und deren Auswirkungen, der Art und Weise wie darüber diskutiert wird, mein Weltbild hinterfragen? Dazu sage ich ein klares „Nein!“

Seit dieser Nacht haben wir es mit drei großen Themen zu tun: Sexuelle Übergriffe, Rassismus und Flüchtlingsdebatte. Alles drei Themen, die für sich alleine schon eine Nation in Atem halten können. Alles drei Themen, die man sauber getrennt behandeln muss.

Wir leben in einem Staat, der einem Grundgesetz verpflichtet ist. Artikel eins bis drei sagen alles aus, was dazu grundlegend ist. An dieses Gesetz haben sich alle zu halten, die in diesem Staat leben und dieses Gesetz für sich selber in Anspruch nehmen. Besonders: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“ und „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ – mehr braucht man nicht, um zu wissen, dass alles was dem zuwider läuft eine Straftat ist. Und auch für die Straftat gilt, dass es gleichgültig ist, welchen Geschlechts, Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat, Herkunft, Glaube oder Anschauung der Täter ist. Ein sexueller Übergriff ist eine Straftat. Unser Strafrecht geht von einer individuellen Verantwortlichkeit aus, d.h. es gibt keine Kollektivschuld und somit keine Kollektivstrafe. Jede Straftat muss individuell nachgewiesen werden sowie es keine Vorverurteilungen gibt. Soweit die Theorie!

Und doch gibt es sie massenhaft hier und in der ganzen Welt – sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen. In Indien, beim IS, Boko Haram sind aktuelle Beispiele. Aber es gibt sie genauso tagtäglich in deutschen Wohnungen, auf deutschen Straßen, von deutschen Bürgern. Es gab und gibt sie als gezieltes Mittel in Kriegen. Und nur, weil andere Kulturen ein vermeintlich anderes Frauenbild haben, sind sie dort nicht schlimmer als hier. Wie lange ist es denn her, dass bei uns die Prügelstrafe verboten wurde? Wie lange, dass Frauen wählen durften und als gleichberechtigt galten? So weit sind wir noch lange nicht entfernt von dem ach so fortschrittlichen Frauenbild mit dem wir uns gerne brüsken. Und dürfen nicht die Arroganz besitzen zu behaupten, dass im Gesetz verankerte Grundsätze tatsächlich in den Köpfen der Menschen hier angenommen sind.

Was in dieser Nacht passiert ist, ist niederträchtig und für die Betroffenen furchtbar. Ein Phänomen, das in anderen Staaten bekannt ist. Es ist Aufgabe der Politik geeignete Mittel dagegen zu finden – damit es nicht wieder passiert und damit unmissverständlich klar wird, wie man hier im Rahmen der Gesetze mit solchen Straftaten umgeht.

Schneller als man lesen konnte, entsprang aus dieser Nacht erneut die Debatte um den Umgang mit den Flüchtlingszahlen. Weil ein paar wenige eine Straftat verübten, wurden gleich tausende von Hilfe suchenden Menschen unter Generalverdacht gestellt. Wer bitte ist so naiv zu glauben, dass alle Flüchtlinge nette Menschen sind? Natürlich sind auch solche dabei, die wir lieber nicht hier hätten. Das heißt aber noch lange nicht, dass diese Menschen ein Frauenbild zu uns tragen, das wir nicht wollen. Das heißt noch lange nicht, dass diese Menschen alle Straftäter sind und/oder unsere Kultur unterwandern. Es sind Menschen die Hilfe und Ruhe suchen. Die geordnete Verhältnisse und Sicherheit möchten. Die ihren Kindern eine menschenwürdige Zukunft ermöglichen möchten. Flüchtlinge sind Menschen, die sich in unsere Kultur eingliedern werden, sie mit ihren Elementen ergänzen und bereichern und so für unsere ganze Gesellschaft ein Gewinn sein werden. Auch hier ist es Aufgabe der Politik endlich ein funktionierendes System zu schaffen, diese Menschen aufzunehmen, ihre Anträge zu bearbeiten und Entscheidungen zu treffen, wie weiter mit ihnen verfahren wird. Und auch hier sind wir dem Grundgesetz verpflichtet, dass uns einen ganz klaren Auftrag dafür gibt.

Schneller als man lesen konnte, waren die Rechten wieder auf dem Plan und nutzen ihre Chance wieder einmal in abstoßender Art und Weise, einen Vorfall für ihre Zwecke zu missbrauchen. Sollen wir die nun auch unter Generalverdacht und Kollektivschuld stellen. Alle, die Flüchtlingsunterkünfte anzünden, den Namen „Volk“ missbrauchen und sich nicht einen Deut um den individuellen Menschen und sein Schicksal scheren. Und mit den Rechten meine ich nicht nur die, die sich jetzt wieder stark in der Gruppe fühlen, sondern auch diejenigen, die schnell auf den Wagen springen, plötzlich härtere Strafen fordern und ein Thema für sich missbrauchen, dass sie vor Jahren noch als unwichtig empfanden. Denen möchte ich nur sagen: Lest doch bitte das Grundgesetz. Da steht alles drin und wenn es euch nicht passt, sucht euch ein Land in dem es besser ist.

Mehr den je bin ich von meinem Weltbild überzeugt: Davon, dass sich Menschen ergänzen, völlig gleichgültig aus welchem Hintergrund sie kommen. Um die Unterschiedlichkeiten zu erkennen und daraus fruchtbare Gemeinsamkeiten zu erarbeiten, braucht man jedoch eine faire und sachliche Debatte über die Ereignisse, die passiert sind. Braucht man Aufklärung über tatsächliche Sachverhalte und Schlussfolgerungen im Rahmen unserer Gesetze. Mein Weltbild habe ich in diesem/unseren Kulturkreis entwickelt und lebe es aus. Es muss nicht das richtige sein und hat auf der anderen Seite der Welt sicherlich keine Gültigkeit. Aber ich lebe hier, trete hier für Vielfalt ein und liebe sie. Ich sehe die Chancen, die sich aus Vielfalt, Unterschiedlichkeit und Gemeinsamkeit für uns in der Zukunft entwickeln können. Sehe, dass sich Gesellschaft verändert und nicht stehen bleibt. Bleibe optimistisch, trotz dessen ich viele Dinge mit Sorge betrachte. Und glaube an die viele guten Menschen, die die Regeln unserer Gemeinschaft achten und mit den Erfordernissen und Entwicklungen, die auf uns zukommen im Rahmen unserer Gesetze fortbilden.

51 Kommentare zu “Unterschiede und Gemeinsamkeiten

  1. effieweka sagt:

    Hat dies auf effifanblog rebloggt und kommentierte:
    Entspricht in jeder Hinsicht der gleichen Auffassung wie auch ich sie teile! Ich glaube an Vielfalt – und ich lebe sie auch! Auch wenn ich nicht frei von Sorgen bin und nur glückliche Erfahrungen in meinem Leben hatte – Ich glaube an die Werte und dass wir in der Lage sind diese gemeinsam umzusetzen! .

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  2. juckplotz sagt:

    Erst einmal vielen Dank für die klaren Worte und die Aufteilung in die verschiedenen Themen, Ich bin enttäuscht, dass unsere Journalisten zum grossen Teil diese Aufteilung nicht vollziehen und damit zu einer Undurchsichtigkeit beitragen.

    Und: So dumm es auf den ersten Blick klingt; das Aufatmen, dass es an Silvester keine Anschläge (der üblichen Art) gegeben hat, hat uns Aufatmen lassen. Was in Köln passierte war etwas, mit dem niemand gerechnet hatte und auf die es auch keine vorbereiteten Statements und Reaktionen gab und gibt. Wir können es noch nicht einordnen. Und das macht es so schwer für alle.

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    • Ich kann den Druck verstehen, dem Journalismus unterliegt, aber wenn man schon beim lesen merkt, dass es nur um Leserzahlen und als erster dabei sein geht, hat das nicht mehr viel mit objektiver Meinungsbildung zu tun. Ja, es ist schwer seine persönliche Meinung zu finden! Da gebe ich dir recht.

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      • …darum wäre ich durchaus für eine ‚Bildungsabgabe‘ in den Demokratien der Welt. Mit dieser könnte z.B. objektiver und investigativer Journalismus unterstützt werden. Leider führt die Kommerzialisierung in die falsche, dem Moment und den Klicks bzw. Verkäufen Tribut zollende Richtung…

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        • Eine Bildungsabgabe wäre sicherlich durchaus sinnvoll. Doch würde ich die lieber in die Schulbildung der Kinder stecken um mündige, kritische und selbstbewusste junge Erwachsene zu fördern, die sich nicht so leicht etwas vormachen lassen. Die die Welt hinterfragen und bereit sind aufzustehen und sich einzumischen … darauf müsste auch der Journalismus über kurz oder lang reagieren. Oder? 🙂

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  3. merlanne sagt:

    Liebe Anna,
    Und wieder hast Du die richtigen Worte gefunden, um auszudrücken, was viele Menschen denken, einschliesslich meine selbst. Ich danke Dir für deine Gabe, so engagiert schreiben zu können und komplexe Themen so gut in Worte fassen zu können. Es tut gut, bei Dir zu lesen.
    Ganz herzliche Grüsse,
    Claudine

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    • Lieber Claudine, freu mich so über deine Worte. Ich bin ganz ehrlich immer noch erstaunt, wenn ich diese tollen Kommentare lese und bei wirklich jedem Beitrag aufgeregt, als wenn’s der erste wäre. Und hier freue ich mich speziell, dass doch viele Menschen in die (meiner Meinung nach) gute Richtung denken. Liebe Grüße von Anna

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  4. wolfcat01 sagt:

    ich hab’s mir auf meine Seite “ kreuz und quer“ und auf Google+ geteilt —- ich hoffe wirklich dass man Menschen zum Denken anregen kann …

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  5. Hat dies auf Meine Erlebnisse im Altenheim rebloggt und kommentierte:
    Die Silvesternacht in Köln, die Flüchtlingspolitik, Rassismus… Die Presse und auch das Netz sind seit Jahresbeginn voll von Meldungen drüber.
    .
    Eigentlich kann ich diese Themen nicht mehr hören. Doch dann las ich doch gestern diesen Beitrag dazu von ‚Bunt und farbenfroh‘. Ich finde ihn so gut, dass Rebloggen für mich die logische Konsequenz ist.
    .
    Bildet euch eine eigene Meinung!

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  6. nurmalich sagt:

    Wie gut, dass es in dieser Diskussion Menschen wie dich gibt, die einen klaren Kopf behalten und zu einer so guten Analyse fähig sind.
    Danke!
    Die Leser meines blogs bekommen das nun auch zu lesen.

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  7. nurmalich sagt:

    Hat dies auf nur mal ich rebloggt.

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  8. nurmalich sagt:

    Wie gut, dass es Menschen wie dich gibt, die in dieser Diskussion einen klaren Kopf behalten und klare Gedanken formulieren!
    Die Leser meines blogs werden einen entsprechenden link bekommen!

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  9. Flowermaid sagt:

    … wie gut, dass du dir die Zeit genommen hast für diesen Artikel, der präziser nicht mit Herz formuliert sein könnte… herzkammerflimmern für die, die Schutz brauchen und die, die helfen… liebe Grüße Rita!

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  10. nane48 sagt:

    Ganz meine Meinung. Gut, dass auch viele andere so denken.

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  11. Ilanah sagt:

    Hat dies auf Das Leben – bunt wie ein Regenbogen rebloggt und kommentierte:
    Sehr gut geschrieben, wie ich finde.
    Danke, liebe Anna.

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  12. Ilanah sagt:

    Sehr gut geschrieben, liebe Anna.
    Das sollten sich möglichst viele mal zu Herzen nehmen.

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  13. Danke für diesen wundervollen Artikel. Auch ich werde ihn nur zu gerne rebloggen, und damit weiter tragen.

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  14. Dem kann ich nichts hinzufügen, liebe Anna, hast alles gesagt und ich pflichte Dir aus vollem Herzen bei. Danke für soviel Klarheit und die Gedanken, die Du Dir dazu gemacht hast.
    Liebe Grüße
    Andrea

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  15. Michael Hermann sagt:

    Liebe Anna, wenn meine Kommentare dazu beigetragen haben, dass Du diesen Artikel schreibst, macht mich das unheimlich glücklich. Du sagst hier alles so, wie ich es nie hingekriegt hätte.
    Ganz, ganz herzlichen Dank!!!
    … ich wünsche Dir eine ganz große Leserschaft!
    Mit lieben Grüßen,
    Michael

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  16. Sylvia Kling sagt:

    Ein sehr wichtiger Artikel, liebe Anna. Ich werde ihn gern auf meinem Artikelblog rebloggen, wenn Du erlaubst.
    Herzliche Grüße
    Sylvia

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  17. maribey sagt:

    Deine Worte zu lesen tut gut. Klare Worte zur Vielfalt und den Glauben daran. Danke in diesen Zeiten, in denen es diese Worte braucht.

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  18. oglach sagt:

    I appreciate that you stated at the beginning of your post that you did not wish to comment any further, and then stated that you would do so regardless. That shows a great degree of bravery and humanity.

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  19. Clara HH sagt:

    Danke für deine Worte. Diese Fairnis und Objektivität in der Beurteilung würde ich so vielen Menschen wünschen, die jetzt nur wüten und hetzen.

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  20. Thomas Michl sagt:

    Hat dies auf Toms Gedankenblog rebloggt und kommentierte:
    Anna Schmidt hat es treffend formuliert:

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  21. Sehr richtig ausgedrückt. Danke für diesen Text.

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  22. […] weil es gerade so gut dazu passt, möchte ich euch den neuen Beitrag von Anna empfehlen, er ist […]

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  23. Anna-Lena sagt:

    Ich danke dir für diesen so klaren und guten Artikel, liebe Anne, den ich zu meiner eben geschriebenen Buchrezension setze und verlinke.

    LG Anna-Lena

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