Transportprobleme

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Als Kind habe ich es mir immer gewünscht: Einmal das Bein brechen, einen schönen Gips drumherum bekommen und mich in der Folgezeit von der ganzen Familie bedienen und verwöhnen lassen. Mein kleiner Bruder hat mir oft genug vorgemacht, wie das geht. Aber – meine Knochen sind alle heile geblieben – zum Glück – bis heute und ich bin ja auch kein Kind mehr. Der Meniskus dafür nicht, der hatte einen Riss, der am Ende so zwickte, dass ich dann doch mal zum Arzt gegangen bin. 

Der Doktor fragte, ob ich irgendwann mal einen Unfall gehabt hätte. Außer, dass mein Hund vor Jahren mal im vollen Galopp bei Dunkelheit in mich hereinrannte, musste ich das verneinen. Der Doktor meinte aber, ich sei schon mal wegen des Knies bei ihm gewesen – 2011. Konnte ich mich nicht mehr dran erinnern – Gedächtnislücke … hab ich wohl verdrängt. Nun gut, jetzt gab’s kein Zurück mehr. Die Operation war beschlossene Sache, die Voruntersuchungen gemacht, der Termin festgelegt. Am OP-Termin ging alles so schnell – der Gatte brachte mich hin und drinnen schaffte ich es nicht mal ins Wartezimmer – dass ich auch keine Zeit mehr hatte, ein Opfer zu finden, das ich mit meiner Angstneurose voll quatschen konnte. Da mussten im Vorfeld nur ein paar KollegInnen leiden.

Das nächste woran ich mich erinnern kann, ist ein lautes „Frau Schmidt! Die OP ist vorbei!“ Wer das gesagt hat, weiß ich nicht. Aber der Zustand in dem ich war, den weiß ich – göttlich! Ich kam mir vor, als wenn ich in Watte gepackt auf Wolkenfeldern schweben würde! Herrlich – Zustand bitte halten … ich werde freiwillig Narkose-Junkie! Hielt aber nicht … schade! Mir wurde mein eingepacktes Bein bewusst und ich probierte, ob sich der große Zeh bewegen lässt. Klappte – alles ok! Ab und zu kam dann ein netter Pfleger vorbei, gab mir etwas zu trinken und fragte, wie es geht. Ich musste wach werden und warten. … Langeweile … Warten ist nicht mein Ding … weiter lange warten … ich erinnerte mich, dass neben dem Bett ein Stuhl mit meiner Jacke steht … warten … Da drin war mein Handy 🙂 und mit ein paar Verrenkungen – der Pfleger kam zum Glück gerade nicht vorbei – hatte ich das Handy in der Hand! Der Tag muss noch erfunden werden, an dem Frau Schmidt nicht an ihr Handy kommt. Schnell alles checken und in Facebook ein kleines „Wieder wach! Alles gut!“ posten.

Dann kam der Krankentransport. Drei nette Sanitäter und ein monströser Stuhl auf Rädern. Schon im Fahrstuhl wurde aus den Gesprächen klar, dass die beiden jüngeren Berufsanfänger sein mussten. Sie rollten mich über den Bürgersteig zu dem Sanitätswagen. Eine dicke hohe Bordsteinkante und drei Meter zum Wagen mussten sie überwinden. Als der eine Ältere den beiden Jüngeren erklärte, wie sie den Stuhl drehen und fassen mussten, kam dann doch Panik in mir auf. Innerlich erklärte ich ihnen übelste Probleme, falls sie mich fallen lassen sollten. Haben sie aber nicht – ich saß wohlbehalten im Wagen und war recht schnell Zuhause. Die drei waren ganz schön nett – prima Truppe.

Bei der Ankunft Zuhause war das einzige Problem, den freudig wedelndem Hund begreiflich zu machen, dass er im Weg steht. Dies aber nur bis er die Gehstützen (im folgenden manchmal Krücken genannt) wahr nahm. Frauchen wackelig mit zwei Stöcken war ihm dann doch suspekt. Er legt sich zwar in meine Nähe, aber beobachtet immer genau, wo die bedrohlichen Teile gerade sind. Frauchen sind die Krücken auch suspekt, aber man lernt ja besonders, wenn man zu Wegen gezwungen ist. Allein die Vorstellung das erste mal mit den Dingern die Treppe hochzukommen, hat mir rote Ohren eingebracht. Mittlerweile bin ich Profi, wenn ich auch zugeben muss, dass beim ersten Weg die Treppe runter eher die Po-Backen als die Krücken gefordert waren. Nach 1 ½ Tagen hätte ich sie am liebsten die Kellertreppe auf nimmer wiedersehen herunter geschmissen. Erstmalig in meinem Leben dachte ich ernsthaft über Gewichtsreduzierung nach. Mittlerweile hatte ich so einen Muskelkater in den Armen, dass ich nicht mal Lust hatte vor dem Einschlafen ein Buch zu heben. Die Einschlaf-Lektüre viel aus – krückenbedingt. In Erinnerung kam mir meine Freundin Heike, die kürzlich eine Knieverletzung hatte und wochenlang auf den Gehhilfen laufen musste. Das Problem war, dass ihre Wohnung im vierten Stockwerk liegt. Jedes Mal wenn ich ihr einen kleinen Einkauf brachte, war ich ohne Knieverletzung schon ab Stockwerk 2 ½ komplett bedient. Meine Bewunderung für die tapfere Freundin steigt ins unermessliche und signalisiert mir eher dankbar für nur ein Stockwerk zu sein.

Nun, frau fügt sich ihrem Schicksal (das ist schön theatralisch ausgedrückt 😉 ) und passt sich den Gegebenheiten an. Nur zwei Kleinigkeiten bereiteten mir etwas Sorge. Ich muss mir zum einen Thrombose-Spritzen selber setzen. Auch ein Transportproblem – wie bekomme ich die Flüssigkeit in mich hinein? Glücklicherweise hatte ich noch nie ein Problem mit Spritzen und dachte auch nicht weiter darüber nach. Bequem hingesetzt ermahnte ich mich, den Bauch entspannt zu lassen, dann würde ich es gut hinbekommen. Bekam ich nicht. Mir viel ein, dass die Arztgehilfin etwas von desinfizieren gesagt hatte. Also bin ich wieder los gehumpelt – mit Krücken – und habe entsprechende Utensilien geholt. Jetzt aber … oder auch nicht. Bauchdecke entspannen, desinfizieren und los … wenn ich noch rauskriege, wie die kleine Spritze aufgeht, könnte es etwas werden … Zum Glück saß ich in meinem Bürostuhl, schaute auf dem Bildschirm und dachte „Google weiß alles!“. Suchwort „Thrombose Spritzen“ bringt nix, „Thrombose Spritzen setzen“ auch nix. OK, ich setze den Namen des Präparates ein. Das klappt sofort – aber ich muss ewig scrollen, denn es handelt sich um einen Beipackzettel. Irgendwo muss doch stehen, wie das Teil aufgeht und nicht nur, was mir alles passieren kann … und da steht es, ganz am Ende mit Bild: „Halten Sie die Spritze an den Seiten fest. Ziehen Sie die Nadelschutzkappe gerade ab, ohne sie zu drehen oder zu biegen.“ Prima – dafür hätte ich Google nicht gebraucht, also fester ziehen und als ob die kleine Spritze mich auf den Arm nehmen will, geht sie jetzt auf. Der Rest ist kein Problem und tut nicht mal weh … nur – Bauchdecke entspannt lassen! 😉

Die zweite Kleinigkeit waren Überlegungen, wie ich kleine Dinge, insbesondere Nahrungsmittel von A (Küche) nach B (Wohnzimmer) transportiere. Die OP war am Donnerstag und rechtzeitig ab Freitagnachmittag waren alle Familienmitglieder abgemeldet. Ein Kind komplett weg und die anderen beiden, Kind und Mann, hockeytechnisch unterwegs. Den Morgen-Kaffee bekam ich noch geliefert, den Nachmittags-Kaffee musste ich mir selber machen und – transportieren. Kaffee machen klappte mit viel Hüpfen und grazilen Streckübungen. Und der Transport – auch …  es ist doch erstaunlich, was der Mensch zustande bringt, wenn er muss! Auf Krücken laufen und in einer Hand eine große Kaffeetasse halten klappt: Einen Schritt rechts, stabilisieren, einen ruhigen, ausgeglichenen Schritt mit Tasse links und wieder von vorne … so ein Kaffee schmeckt besonders gut. Das größte Transportproblem bin letztendlich ich selber und ich war schier begeistert als ich am zweiten Tag schon den Fuß aufsetzen konnte. Entlastung für die Arme ist gegeben und ich trage seit Tagen eine Jacke mit riesigen Taschen an den Seiten. Da passt richtig viel rein, ganze Mineralwasserflaschen, eine Menge Nervennahrung und vieles mehr!

Mein Fazit: Ich bin froh, dass sich nicht alle Kindheitsträume erfüllen! Eine kleine OP und alles Folgende ist auszuhalten und ok. Das Krückenlaufen aber schlicht und einfach doof. Ich passe weiter gut auf meine Knochen auf und hoffe, dass der Rollator noch in weiter Ferne liegt. Respekt allen, die das eine Weile hinnehmen müssen und tapfer tragen. Eine schöne Erfahrung ist es zu bemerken, wie erfindungsreich man sein kann, wenn etwas nicht geht oder man zu etwas gezwungen ist. Der Perspektivwechsel bringt doch einige Erkenntnisse. Zum Beispiel hat die Bedeutung einer Badewanne einen neuen Stellenwert bekommen. Da ich nur dusche, hielt ich sie bisher für vollkommen überflüssig. Jetzt weiß ich um ihre Bedeutung beim Zähneputzen, wenn man mal nicht gut auf den Beinen steht und sie als Sitzmöbel umfunktionieren kann. Mal sehen, was ich noch für wichtige Erkenntnisse in den nächsten Tagen gewinne. Das Ding mit der Geduld wird noch etwas schwer, aber da hilft ja der Kopf – der zum Glück noch in Ordnung ist – meistens jedenfalls! 😉

30 Kommentare zu “Transportprobleme

  1. Flowermaid sagt:

    In jeder Beziehung kreativ gelöst deine missliche Lage… allerliebstegenesungswünsche vom Blumenvolk und deren Betreuerin 😉

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  2. Juliane Erler sagt:

    Ich hätte noch einen Vorschlag für die Transportprobleme – den Hund einbinden. Es gibt Tragetaschen für Hunde, da kann man auch etwas reinpacken. Ich bin mit meinem tatsächlich auch schon so losgezogen. 🙂

    Viele Grüße und weiter beste Genesung!

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  3. Tapfere Anna! Gute Besserung!

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  4. Elisabeth Berger sagt:

    Hallo Anna,
    bei allem Mitleid, ich mußte trotzdem schmunzeln☺️
    Hatte ebenfalls schon Knieoperationen und es ging mir haargenau wie dir. Man merkt jetzt erst richtig, wie oft man im gesunden Zustand hin und her läuft. Mit Krücken überlegt man es sich zweimal. Die Idee mit der Jacke und den großen Taschen ist prima! Habe noch dieses Jahr eine weitere Knieoperation und werde schon mal nach so einer Jacke suchen.
    Das Gefühl, das du beschrieben hast, als du aus der Narkose aufgewacht bist, ist wirklich göttlich. So angenehm leicht und so zufrieden, irgendwie kuschelig – außer man hat Schmerzen oder muß sich erbrechen, dann sieht die Sache gleich anders aus.
    So ein schöner Bericht, den du uns da gegeben hast😀
    Braucht man gar nicht mehr so viel Angst haben vor einer OP!
    Baldige und gute Genesung!
    LG Elisabeth

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    • Schmunzeln ist prima, Mitleid nicht notwendig und Angst – gut hatte ich auch, aber war unnötig. Es geht mir ja ziemlich prima – relativ gesehen. Glücklicherweise hab ich keine richtigen Schmerzen und das brennen, zwicken und jucken lässt sich aushalten. Es gibt sicherlich weitaus schlimmere Verletzungen … da freu ich mich lieber über mein Glück und lache über den Einfallsreichtum, der sich entwickelt! – Da können wir ja richtig fachsimpeln … sag Bescheid, wenn ich dich unterstützen kann! 😉

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      • Elisabeth Berger sagt:

        Ja, liebe Anna, bis es bei mir so weit ist, hoffe ich, daß du wieder erfindungsreich bist und gute Tips geben kannst. Wahrscheinlich wird es erst Anfang 2016 was, weil ich warten muß, bis sich meine Mama von ihrer Knie OP erholt hat. Wir geben uns sozusagen die Krankenhaustürklinke in die Hand😄
        Es freut mich sehr, daß du keine ganz argen Schmerzen hast und die Sache erträglich ist. Hoffentlich darfst du bald wieder voll belasten und kannst die Krücken in die Ecke pfeffern😉
        Weiterhin gute Besserung und einen lieben Gruß
        Elisabeth

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      • Elisabeth Berger sagt:

        Ja, liebe Anna, bis es bei mir so weit ist, hoffe ich, daß du wieder erfindungsreich bist und gute Tips geben kannst. Wahrscheinlich wird es erst Anfang 2016 was, weil ich warten muß, bis sich meine Mama
        von ihrer Knie OP erholt hat. Wir geben uns sozusagen die Krankenhaustürklinke in die Hand😄
        Es freut mich sehr, daß du keine ganz argen Schmerzen hast und die Sache erträglich ist. Hoffentlich darfst du bald wieder voll belasten und kannst die Krücken in die Ecke pfeffern😉
        Weiterhin gute Besserung und einen lieben Gruß
        Elisabeth

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  5. maribey sagt:

    Wie schön, dass du der Situation etwas Gutes abgewinnen kannst! Liebe Grüße und eine Ladung Geduld wünscht dir Marion

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  6. Auf die ’seligen‘ Minuten kurz nach dem grossen Aufwachen… ;-)!
    Gute Genesung! Nora

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  7. Lis sagt:

    …wünsche Dir eine gute Genesung und sende lieben Gruß mit ❤ Lis

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  8. Anna-Lena sagt:

    Da hast du ja Einiges hinter dir! Ich wünsche dir schnelle und vollständige Heilung. Manchmal ist es ganz gut, wenn der Körper mal etwas zur Ruhe gezwungen wird und innehalten muss.
    Lass es dir gut gehen und Kopf hoch!!!

    ♥lichst,
    Anna-Lena

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  9. kinder unlimited sagt:

    Liebe Anna,

    ich freue mich, dass alles so gut verlaufen ist. Krücken sind wirklich nervig. Aber das Schlimmste hast Du ja hinter Dir. Mein Golden Retriever früher knurrte immer, wenn jemand humpelte, das war mir so peinlich 😉 Er wusste einfach, dass irgendetwas nicht wie immer war 😉

    Allerbeste Genesungswünsche, Ann

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