Wir müssten mal wieder …

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Wer kennt es nicht: Man ist unterwegs und trifft alte Freunde oder Bekannte aus längst vergangenen Tagen wieder. Die Freude ist groß, man grüßt sich, fragt wie es geht, tauscht spannende Dinge aus, die sich zwischenzeitlich ergeben haben und stellt fest, dass die Sympathie doch noch die gleiche ist wie früher. Und eh man sich versieht, sagt einer von beiden: „Wir müssten mal wieder …!“ Gegenseitig verspricht man sich zu melden und geht wieder getrennter Weg … Zuhause erzählen wir vielleicht von der Begegnung, gehen ins Tagesgeschehen über und vergessen in der Regel ziemlich schnell dieses „Wir müssten mal wieder …!“

Ich sage es selber und halte mir zugute, dass ich es ehrlich so meine – solange bis ich wieder in meinem eigenen Trott bin. Schuld daran ist natürlich die Zeit, die ich nie habe. Das glaube ich jedenfalls, wenn ich denkfaul bin oder eine Ausrede parat haben möchte. Tatsächlich bin ich diejenige, die ihre Zeit verwaltet und ja, ich habe inzwischen gelernt, dass es nicht die Zeit ist, die ich nicht habe. Es sind die Prioritäten, die allein ich selber festlege. Doch gerade diese Prioritäten sind es, die sich von Zeit zu Zeit verschieben und sich aus meiner jeweiligen Lebenssituation ergeben. Dieses „Wir müssten mal wieder …!“ ist eigentlich der Wunsch an etwas Vergangenem anzuknüpfen, das es in der damaligen Form nicht mehr gibt.

Der Kern ist, dass sich die Menschen, mit denen wir uns umgeben, immer wieder in der Zusammensetzung verändern. Es gibt einige wenige, die für immer bleiben. Die Familie bleibt, wenn man ein gutes Verhältnis hat, und ein paar Freunde, von denen uns, wenn wir Glück haben, ein paar das ganze Leben begleiten. Alle anderen Freunde wie Bekannte, ArbeitskollgInnen, Freunde aus Interessensgruppen, Menschen, die man aus bestimmten Aktualitäten kennt, kommen und gehen, meist ohne bewusstem Beginn oder Abschied. Man kann diese Menschen nicht festhalten. Muss akzeptieren, dass die Dinge sich ändern und Freundschaften ihre Zeit haben, so schmerzlich es manchmal ist.

Es ist ein langer Prozess, dies zu erkennen und, vor allen Dingen, auch zu akzeptieren. Definiert man sich in jungen Jahren oft über viele Freunde und dem Wunsch einer Gruppe anzugehören, setzt sich mit steigendem Alter immer mehr durch, dass eher die Qualität als die Zahl der Freunde von Bedeutung ist. Die Erkenntnis, dass jeder wirkliche Freund einen besonderen Stellenwert hat und zu anderen nicht vergleichbar ist, kommt ebenso hinzu. So ist der Freund mit dem ich prima philosophieren kann, nicht minder demjenigen, der der ideale Partner ist um zum Beispiel Museen und Ausstellungen zu besuchen. Genauso wie das Heer von Bekannten, die je nach Kontext eine andere Funktion erfüllen.

Ein gutes Beispiel dafür sind unsere Schulfreunde, mit denen wir jahrelang die gleichen Stundenpläne, Lehrer, Schulstreiche und Notenkonferenzen teilen. Kaum vorstellbar für den Schüler, diesen Verband zu verlassen – bis zum letzten Zeugnis. Damit trennt sich dann die Gemeinsamkeit und allein die Berufswahl schickt alle in verschiedene Richtungen. Wie schön sind da Klassentreffen, bei denen sicherlich oft das ein oder andere „Wir müssten mal wieder …!“ gesprochen wird. Mit Studienfreunden verhält es sich genauso, wie mit Freunden aus Sport oder Hobby. Freundschaften trennen sich, wenn Paare beschließen alleine zu bleiben oder Kinder zu bekommen. Hat man Kinder, lernt man viele Bekannte unter den Eltern von Kita und Schule kennen. Elternabende und Schulfeste verbinden für ein paar Jahre und trotz Sympathie verliert man sich später aus den Augen. Trifft man sich dann beim Einkauf, hört man, wie sich die Kinder entwickelt haben und kann sich dieses „Wir müssten mal wieder …!“ vielleicht gerade noch verkneifen. Man hat die Realität verstanden oder fürchtet zu wenig Gesprächsstoff für ein ganzes Treffen. Die wenigsten bleiben übrig und nur dann, wenn das eigene Lebensmodell sich mit dem des Freundes oder Bekannten überschneidet, wenn eine Grundhaltung die gleiche ist oder ein anderes Interesse eine Fortführung der Freundschaft stützt.

Das schöne daran ist, dass man im Laufe seines Lebens unglaublich viele tolle Menschen und Erinnerungen an sie sammeln kann. Akzeptiert man, dass alles seine Zeit hat, bleibt in manchen Fällen vielleicht etwas Wehmut und Bedauern. Bei manchen Fällen, seinen wir ehrlich, bemerkten wir den Verlust kaum oder sind vielleicht sogar froh darüber. Andererseits kommen ja auch immer wieder neue Bekanntschaften hinzu, die sich vielleicht in Freundschaften wandeln. Es gibt viele Menschen, die ich kennengelernt habe, mit denen ich sehr gerne befreundet wäre. Viele, die ich leider hinter mir lassen musste. Viele, die ich bewundere, die aber aus den verschiedensten Gründen nicht zu meiner Lebensweise, Familie oder Umfeld passen. Doch welch glücklicher Umstand, dass es keine Grenze gibt, wie viele Bekannte ein Mensch verkraften kann. Das ist etwas, was ich an den sozialen Netzwerken sehr genieße: Zwar trifft man sich nicht mehr im realen Leben, kann aber doch ab und zu lesen, wie es dem anderen ergeht. Wer weiß, was daraus wird. Ich persönlich mag Menschen – viele, vielfältig, multikulturell und grenzenlos.

Nun, vielleicht ist dieses „Wir müssten mal wieder …!“ aber auch ein zaghaftes Abtasten, ob sich ein neuer Anknüpfungspunkt finden lässt. Oder es ist ein Test, ob der andere einen noch mag. Ein verlegener Satz eventuell, weil man sonst nicht weiß, wie man sich endgültig vom anderen trennen soll. Lassen wir sie gehen, diese vielen tollen Menschen und bedenken, dass „Vergangenheit ist, wenn es nicht mehr weh tut!“ – Mark Twain. Soll es aber nicht Vergangenheit sein, müssen wir den Augenblick nutzen. Dann gibt’s als Antwort auf das „Wir müssten mal wieder …!“ einzig ein bestimmendes „Wann?“

10 Kommentare zu “Wir müssten mal wieder …

  1. Hat dies auf Gedankenwelt von Stephie rebloggt und kommentierte:
    Liebe Anna, mit diesen Zeilen hast du einen tiefen Punkt bei mir getroffen und die Wahrheit die ich nicht wahr haben wollte vor den Augen geführt. Und ich stimme dir voll zu.

    Vielen Dank! Es ist dem Text nichts hinzu zu fügen. Herzliche Grüße Stephie

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  2. Holger sagt:

    Danke Anna für die Zeilen und den Gedanken…
    Kann dem nur zustimmen. Interessant ist, dass Menschen kommen und gehen. Man denkt, man hat sie aus dem Kopf. Ist aber nicht so. Sobald man sich Fotos anschaut oder andere Dokumente kommen die Erinnerungen. Viele Gute, lustige, aber auch traurige, negative Momente und Erlebnisse die man nicht noch einmal haben möchte.
    Zum Glück bleiben die tollen und guten Momente eher haften und prägen uns mehr als das Negative. Zum Glück. Mal gespannt was jetzt so für Menschen meinen Lebensweg noch so kreuzen werden und welche bleiben…

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    • Da hast du vollkommen recht: Zum Glück speichern wir eher das Positive. Das ist halt „Mensch sein!“ – wo die Chemie passt, entsteht auch was – und wenn’s nur ein schöner Gedanke ist! 🙂 Liebe Grüße!

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  3. nicoleinez sagt:

    Ich habe schon lange nicht mehr eine so wahren und tiefgründigen Text gelesen. Es war sehr berührend und ich kann mich total darin wiederfinden. Vielen Dank dafür. Liebe Grüße, Nicole

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  4. Ashanar sagt:

    Ein wirklich schöner, tiefsinniger Text. Ich habe mir selbst schon oft Gedanken darüber gemacht, weshalb sich aus der einen Begegnungen so eine haltbare, strapazierfähige Freundschaft entwickelt, während die andere sich wie eine Spur im Sand verliert. Meine Erkenntnis ist, dass wir immer mit den Menschen intensive Kontakte pflegen, die uns wichtig sind oder für die wir Bedeutung haben. Wir haben etwas zu geben, was der andere schätzt, unseren Humor, unsere Ehrlichkeit, gemeinsame Themen, bei denen wir gerne eine andere Meinung hören wollen. Es gibt Menschen, die man zehn Jahre nicht gesehen hat, auch nur sporadisch Kontakt halten kann, die aber immer noch wertvoll sind und bei denen die Verbindung genau an dem Punkt anknüpft, wo man vor 10 Jahren aufgehört hat. Andere Menschen erfüllen eine Aufgabe, indem sie uns eine Idee, eine andere Sichtweise oder den Kontakt zu weiteren Menschen ermöglichen. Nachdem diese Aufgabe erfüllt ist, gehen sie wieder.
    Ich bin deshalb ein Verfechter der Dankbarkeit darüber, dass sie in meinem Leben waren, statt traurig zu sein, dass sie gegangen sind. Dieser Wandel und Wechsel ist Teil der Veränderung, die zum Leben dazu gehört.

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    • Ein sehr schöner Kommentar und eine wunderbare Ergänzung zum Beitrag. Ja, Dankbarkeit ist wohl das beste Gefühl, das bleibt, schließlich hinterlässt jeder Kontakt eine Erinnerung und Erfahrung, die letztlich unsere heutige Persönlichkeit mit beeinflussen. Lieben Dank! 🙂

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  5. kinder unlimited sagt:

    ein sehr schöner nachdenklich machender Post. Ich habe inzwischen die Erfahrung gemacht, dass so manche Freunde in der Vergangenheit als wunderschöne Erinnerung bleiben sollen, weil es jetzt nicht mehr funktionieren würde. Das Leben verändert und ich mag das. LG Ann

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