Dein Frieden muss mein Frieden sein

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Frieden hat für mich eine kaum fassbare Größe. Ich lebe in ihm, lebe mit ihm und glaube ein Recht darauf zu haben, in Frieden leben zu können. Er ist immer da seit dem ich denken kann. Ich wünsche ihn mir, meinen Kindern, meinen Freunden, meinen Mitmenschen. Ich kann es mir nicht anders vorstellen, habe nichts anderes kennengelernt und habe doch eine furchtbare Angst davor, dass er eines Tages nicht mehr da sein könnte – hier – dort, wo ich lebe. In meiner Welt.

Ich gehöre der Generation an, die Eltern haben oder hatten, die den Nicht-Frieden erlebt haben. Gehöre zu denjenigen, die eins zu eins die Geschichten erzählt bekamen, die von Krieg, Vertreibung, Bombennächten, Hunger, Verlust von Menschen, Hoffnung und Verzweiflung hörten. Zu denjenigen, die Menschen kennen oder kannten, die Kriegstraumata ihr Leben lang mitnahmen. Aber erlebt habe ich es nicht und kann mir den Schrecken des Krieges nur vorstellen und mit Gesichtern und Erzählungen in Verbindung bringen. Meine Kinder nicht mehr – für sie gibt es nichts anderes als den Frieden in dem wir hier leben. Selbst die Vorstellung des beklemmenden Gefühls an der Berliner Mauer, einer direkten Auswirkung des letzten Krieges bei uns, ist diesen Kindern nicht mehr zu vermitteln. Sie fühlen sich, wie ich, sicher – weil sie ja auch nichts anderes kennengelernt haben. Ich bin dankbar dafür.

Diese Sicherheit endet mit einem Knopfdruck und genau dieser Knopfdruck macht uns die außergewöhnliche Lage klar, in der wir leben. Es bedarf nur den Fernseher anzuschalten um zu erfahren, was in anderen Ländern und der Welt los ist. In den Nachrichten erfahren wir von dem Schrecken, den Menschen in allen Teilen der Welt erleben und dieser Schrecken heißt Krieg. Gerade jetzt finden überall politische Kriege statt, zu nennen sind aktuell die Ukraine, Afghanistan, Irak, Gaza oder Syrien – unter anderen. Aber auch Glaubenskriege in alle Teilen der Welt und soziale Kriege lassen von sich hören, in einer Vielzahl, die kaum mehr zu ertragen ist. In jeder Sekunde leiden und sterben Menschen, weil andere Menschen ihre politischen, wirtschaftlichen oder religiösen Interessen nicht vereinen können. Wir hören, wie der Nachrichtensprecher sagt, dass die Bilder nicht gezeigt werden können, weil sie zu grausam sind. Wir sehen Menschen, die um ihr Leben rennen, dabei die Richtung egal ist, weil es keine Flucht gibt. Wir sehen Gesichter, die das Grauen erleben. Und schalten den Fernseher aus, weil wir diese Nachrichten nicht mehr erfassen können. Oder – schalten um und lenken uns mit einer Talkshow ab – nicht ohne vorher für die Bequemlichkeit vor dem Apparat gesorgt zu haben.

Und was tun wir? Manch einer postet im Facebook-Profil, wie schrecklich er dies alles findet. Mancher klebt sich ein Peace-Zeichen aufs Auto. Mancher schreibt sich den Frust, wie ich, von der Seele. Wenige gehen auf die Straßen, wenige sind aktiv in irgendwelchen Organisationen. Stellung beziehen wir gerne, was ja auch wichtig und richtig ist, aber wirklich aktiv sind wir kaum. Dabei könnten wir alle etwas tun.

Ich denke, dass jeder Frieden im Kopf anfängt. Der erste Schritt zu unseren Friedensbemühungen muss deshalb in unseren Köpfen stattfinden. Wir dürfen nicht in Gleichgültigkeit verharren, weil Kriegsschauplätze in sicherer Entfernung liegen. So ist schon viel erreicht, wenn wir uns selber prüfen und überlegen, wo unsere eigenen Grenzen sind. Wo steckt noch ein kleiner Rest Intoleranz und einseitiges Denken in uns. Wo wären unsere Grenzen Andersartigkeit, Fremdheit oder andere Meinungen zu akzeptieren. Wo wird es uns zu persönlich, dass wir uns in unserer Welt bedroht fühlen. Wir müssen uns prüfen, was uns an Menschen mit anderem Hintergrund oder Nationen, auch religiöser oder sexueller Ausrichtung tatsächlich stört, warum wir manches nicht akzeptieren wollen. Wir müssen thematisieren, wie die Vorstellung und Definition von Frieden beim anderen aussieht und wo dieser Frieden seine Grenze hätte. Denn wenn wir die Grenzen kennen, können wir diese auch benennen und eben mit jenen Menschen in einen Dialog treten und Grenzen für beide Seiten öffnen.

Beide Seiten zusammen zu bringen, ist die Grundlage für jegliche Friedensbemühungen. Um das zu bewerkstelligen muss man immer auch erkennen und begreifen, dass jede Seite ihre eigene Geschichte hat. Nur wenn man die Geschichte des anderen kennt, kann man einlenken, verstehen, Kompromisse schließen und gangbare Wege finden. Es gibt keinen bösen Palästinenser und guten Juden, genauso wenig wie einen bösen Juden und guten Palästinenser. Beide Völker haben einen historischen Weg hinter sich, den man kennen muss um zu verstehen, was in diesen Ländern passiert. Mir ist es vollkommen unverständlich, warum in unserem „sicheren“ Land Geschichts- und Politikunterricht zu Nebenfächern degradiert sind, die leicht abwählbar gar keine Rolle mehr in der Schulbildung der Kinder spielen. Wie sollen Kinder und Jugendliche zu verantwortungsvollen politisch denkenden Menschen erzogen werden, wenn sie Politik aus der historischen Rolle überhaupt nicht mehr verstehen. Statt dessen werden sie durch die Schulzeit geschubst, um möglichst schnell für Staat und Wirtschaft als „Material“ zur Verfügung zu stehen und Bruttosozialprodukt und Renten zu sichern. Wo bitte sollen sie Toleranz lernen, die über Urlaubsbekanntschaften hinaus geht. Wie sollen sie begreifen, aus welchen Gründen Menschen in unserem Land Schutz suchen. Wie verstehen, dass der ganze Globus zusammenhängt und das Wohl eines Volkes auf Kosten der anderen geht. Und wie sollen sie Kulturen verstehen, die sie im Schnellverfahren der Rahmenlehrpläne streifen. Und da brauchen wir nicht einmal in die weite Welt zu schauen, auch unsere eigene Geschichte verblasst immer mehr in den Köpfen. Ein fataler Fehler aus meiner Sicht.

Frieden ist dort nicht möglich, wo wenige ihre einseitigen Interessen mit Macht wahren wollen und Massen lenken. Und gefährlich wird es dort, wo diese wenigen radikal werden. Alles was radikal ist, kann einer Gemeinschaft nicht nutzen. Aber je leichter eine Masse zu lenken ist, desto schneller wird sie für dumm verkauft und in eine Richtung gedrängt, die weder Freiheit noch Gleichberechtigung oder Frieden heißen kann. So ist es geradezu Pflicht für uns, darauf zu achten Medienmacher, Politiker und auch die Wirtschaft kritisch zu betrachten und dort unbequem zu sein, wo es undurchsichtig oder allzu platt erscheint. Kritik zu üben und zu äußern ist nicht nur Recht, es ist auch Pflicht und genau das müssen Kinder lernen. Tun sie aber nicht, wenn sie nur das nächste Klassenziel und das Wohlwollen der Lehrkräfte vor Augen haben.

Um den Frieden in unserem Land zu wahren, müssen wir der kommenden Generation begreiflich machen, dass der Zustand in dem wir leben nicht selbstverständlich ist. Sie müssen verstehen, wie die Welt funktioniert und warum es in anderen Kulturen andere Prioritäten als bei uns gibt. Sie müssen lernen, Konflikte ohne Waffen zu lösen. Sie müssen sich eine Welt gestalten, in der nicht das ständige Wirtschaftswachstum, sondern das friedliche, kompromissfähige Leben die Zukunft sichert. Und wir müssen Kindern vorleben und thematisieren, dass nur die Differenzierung, das Gespräch und Kompromissfähigkeit mit Zukunft gleichzusetzen ist.

Ich hoffe, nichts anderes kennenzulernen als den Frieden in meinem Land. Aber ich möchte auch den Frieden für meine Kinder und deren Kinder, Frieden in anderen Ländern. Dafür kann ich etwas tun. Indem ich in meinem Kopf aufräume, indem ich meine Kinder zu kritischen und bewussten Bürgern erziehe und in dem ich immer wieder offen und laut fordere, dass unsere Zukunftsinvestition nur in den Kindern und Jugendlichen liegen kann. Sie brauchen den Rückhalt und die Sicherheit, dass wir ihnen die Zukunft in unserem Land anvertrauen und die Gewissheit, dass wir alles tun, um sie für diese Aufgabe vorzubereiten. Sie müssen diejenigen sein, die den Friedenswunsch in die Welt tragen und durchsetzen. Unsere Kinder müssen mit unserer Unterstützung Frieden zu einer festen Größe wandeln und das nicht nur bei uns!

7 Kommentare zu “Dein Frieden muss mein Frieden sein

  1. w8screens sagt:

    Guten Start in die neue Woche wünsch ich 😉

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  2. FrauFrisch sagt:

    Ich habe immer gedacht, etwas ändern zu können, und wenn auch nur auf allerkleinstem Boden/Terrain. Ich habe immer gedacht, viele ‚Kleinkleins‘ könnten zu einem Großen zusammenwachsen. Ich habe immer gedacht, gut informiert zu sein, sei die halbe Miete, um mitzuwirken im großen Ganzen. Ich … habe den Blick auf das sog. große Ganze verloren, hatte ihn nie. Es war und wird immer so sein, dass einige Wenige mit uns und unserer Welt machen, was sie wollen bzw. was ihren Geldbörsen und/oder Glaubensidealen gut tut. Ich habe resigniert, dagegen aufbegehren zu wollen. Wir sind ausgeliefert und werden es immer bleiben. Jeder einzelne von uns, die wir die „Kleinen“ sind, und das sind meiner Schätzung nach 98% aller, die auf dieser Erde leben. Bedrückend, dieser Gedanke. Und wütend machend. Aber? Wo liegt der Ansatz, etwas dagegen zu tun? Protestieren? Sich empören? Hilft es? Interessiert es jemanden?
    Ich bin übrigens auch ein sog. Nachkriegskind. Die zwei Kriege im letzten Jh. haben meine Familie sehr dezimiert und die einstige Heimat zerstört und das hallt bis heute nach. Auch wir Nachgeborenen sind traumatisiert, und das nicht wenig. Sie vererben sich, diese Traumata. Man „redet“ nur nicht darüber …

    Lieber Gruß
    Ele

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    • Liebe Ele, du hast in vielem Recht, nur mit dem Resignieren (in meiner Sicht) nicht. Wenn ich resigniere, gebe ich auf und dagegen wehre ich mich, wann immer nicht kann. Ich kann etwas bewirken und wenn es nur bedeutet in meinem Umfeld für Frieden und Friedlichkeit einzustehen. Jeder kann für sich und sein Umfeld etwas tun, sonst würde es den Sieg des Gegenteils bedeuten … und ich glaube fest daran, dass der Mensch von Geburt an gut ist!

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  3. Es wäre so schön, wenn es friedlicher wäre in der Welt, doch leider sind ja nicht nur Fanatismus die Ursache für Kriege, oft ist es ja wirklich Unterdrückung, also das, was man gemeinhin als „Freiheitskriege“ bezeichnet. Doch leider werden dann in diese Auseinandersetzungen von stärkeren Ländern eingegriffen, die immer und immer wieder „Weltpolizist“ spielen wollen. Nicht etwa uneigennützig, nein, meist gibt es dort in diesen Ländern wichtige Rohstoffe oder Flugplätze, die das eigene Territorium erweitern.
    Ich war gestern Abend in bekannter Runde Doppelkopf spielen. Mag es die Schwüle gewesen sein, mag es eine laute, schrille und sehr unangenehme Stimme gewesen sein, deren Besitzerin vor der Tür saß und deren Stimme zu uns hereinwehte – auf jeden Fall war die Stimmung an unserem Tisch aggressionsgeladen, mehr unterschwellig als offen – aber ich wäre am liebsten gegangen, wenn wir nicht auf einen Geburtstag um Mitternacht gewartet hätten.
    Wirklich friedliches Verhalten ist wohl eine Kunst, die schwer zu erlernen ist.
    Liebe Grüße von Clara

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  4. Ulli sagt:

    ja, wir kennen den Krieg in D nur aus der Geschichte und dem, was uns unsere Eltern erzählt haben und dennoch würde ich nicht sagen, dass wir im Frieden leben, Frieden beginnt für mich in der kleinsten Zelle, nämlich bei mir selbst und dann innerhalb der Familie, des Freundes- und Bekanntenkreises … und wie oft sehe ich, dass weder ich, noch die anderen WIRKLICH friedlich sind- so übe ich mich jeden Tag und hoffe, dass sich der Frieden in der Welt ausweiten möge …
    mir gefallen deine Gedanken zum Thema sehr, du sprichst vieles aus, was in mir seit Tagen ist … ohne Dialoge, ohne die Geschichte, die Kultur, die Religionen der anderen zu akzeptieren werden wir keinen Frieden finden …

    herzliche Grüsse
    Ulli

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    • Liebe Ulli, deine Antwort ist sehr ehrlich und richtig. Und es ist auch genau, was ich meine. Wir müssen in uns selber schauen, was wir bereit sind aufzugeben, um mit anderen in Frieden zu leben – von der kleinsten Zelle an – besonders mit uns selber. Herzliche Grüße Anna

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